Aussergewöhnliches ist normal geworden
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Aussergewöhnliches ist normal geworden
«MITTENDRIN» «Mittendrin» In der heutigen Ausgabe von «mittendrin» stehen «Familienmitglieder von Menschen mit besonderen Bedürfnissen» im Mittelpunkt. Unter angeführten Internet- und E-Mailadressen finden Interessierte Unterstützung rund um dieses Thema. www.lbv.li (Liechtensteiner Behindertenverband mit div. Links) www.llv.kose.li (Kontaktadressen u. Informationen von Selbsthilfegruppen) www.deaf.li (Gehörlosen Kulturverein Liechtenstein) Für hörende Kinder (ab 14) gehörloser Eltern gibt es eine deutschsprachige Internetplattform, die dem Austausch und Kontakt dient – Informationen bei Sabine Gossner [email protected] [email protected] oder Tel. +423/268 39 48, Barbara Bargetze («Trialog» – Psychiatrie – Erfahrende, deren Angehörige sowie Fachpersonen treffen sich monatlich zum Erfahrungsaustausch). LIECHTENSTEINER VATERLAND | DIENSTAG, 23. SEPTEMBER 2008 18 Aussergewöhnliches ist normal geworden Sicherlich ist es einerseits eine nicht alltägliche Situation, Teil einer Familie zu sein, in der auch Menschen mit besonderen Bedürfnissen leben. Weil diese Tatsache Einfluss auf das Leben der gesamten Familie nimmt. Andererseits wird gerade für diese Familien diese besondere Situation im Laufe der Zeit Alltag, vieles Aussergewöhnliche normal. Angehörige von Menschen mit Behinderung kommen nicht umhin, sich grundsätzlich und immer wieder mit der Thematik bzw. der besonderen Situation auseinanderzusetzen. Der Austausch im Gespräch, dem Erleben und im Umgang untereinander ist unausweichlich. Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, sind zu be- wältigen, kleine Glücksmomente werden als besonders gross erlebt. Innerhalb der Familie, aber auch nach aussen werden Erfahrungen gemacht, die oft den eigenen Blickwinkel verändern können. Gedanken von Familienmitgliedern In nachfolgenden Statements haben wir Familienmitglieder von Menschen mit besonderen Bedürfnissen gefragt: «Wo siehst Du für Dich die Bereicherung bzw. die Schwierigkeiten im Zusammenleben?» Ihnen als Leser wollen wir damit einen kleinen Einblick geben, welche Gedanken und Gefühle Menschen begleiten, denen sich die Frage, ob sie «mittendrin» sein wollen oder nicht, gar nie gestellt hat. Eva Wohlwend Vor- und Nachteile Gedankenwelt steht Kopf Glossar Cerebrale Parese/CP: Cerebral (von lat. «Gehirn»), Parese (v. gr. Erschlaffung bzw. Lähmung). Allgemeiner Begriff für verschiedenste Auswirkungen von Hirnlähmungen. Down-Syndrom: Spezielle Genommutation, nämlich die Verdreifachung des 21. Chromosoms oder von Teilen davon. Daher lautet eine weitere übliche Bezeichnung Trisomie 21. Autismus: (v. gr. «selbst») – Tiefgreifende Entwicklungsstörung. Cerebrale Bewegungsstörung: Bleibende sensomotorische Störung infolge einer frühkindlichen Hirnschädigung. Gehörlosigkeit: Das vollständige oder weitgehende Fehlen des Gehörs.Von Gehörlosigkeit wird dann gesprochen, wenn die betroffene Person keine akustische Wahrnehmung mehr hat. Psychose: Bezeichnet eine Gruppe schwerer psychischer Störungen, die mit einem zeitweiligen weitgehenden Verlust des Realitätsbezugs einhergehen. (Quelle Wikipedia) Andreas Verling (r.) mit seinem Bruder Johannes (Autist/CP). Antonio Aprile mit seinem Sohn Andreas. Als werdender Vater machte natürlich auch ich mir während der Schwangerschaft meiner Frau Gedanken über die Zukunft unseres Kindes. Da waren Träume, Wünsche und Vorstellungen, was wir gemeinsam erleben und erreichen können.Als mein Sohn Andreas mit der Behinderung Down Syndrom geboren wurde, stellte dies von heute auf morgen meine ganze Gedankenwelt auf den Kopf. Und nachdem der erste Schock vorüber war, musste ich mich erst einmal auf diese unerwartete Lebenssituation einstellen, in all meinen Gedanken wieder von vorne beginnen. Im Sein Bild pd und Erleben mit meinem Sohn wurden so andere Vorstellungen und Wünsche wichtig für mich, und auch die Freude über «kleine»Dinge ist heute immer riesengross.Was war das beispielsweise für ein glücklicher Tag, an dem ich als Vater voller Stolz erleben durfte, wie mein Sohn gemeinsam mit einem Freund seinen Schulweg ohne weitere Hilfe bewältigen konnte! Nicht zuletzt mit der Unterstützung unserer sehr sozial eingestellten Gesellschaft ist mein Traum, als Vater erfolgreich zu sein, in Erfüllung gegangen. Antonio Aprile Klar ist das Leben mit meinem grossen Bruder, der eine Behinderung hat, etwas anders. Ich meine, ich bin ja der Jüngere, aber eigentlich bin ich doch der Grössere von uns beiden. Wenn ich aber so überlege, fällt mir nicht wirklich was dazu ein, weil fast jeder Nachteil auch irgendwie wieder ein Vorteil für mich ist. Mein Bruder kann zum Beispiel nicht mit mir Fussball spielen oder Ski fahren, aber streiten mit mir tut er auch nicht. Und manches Mal ist es auch ein bisschen blöd, dass mein Bruder nicht reden kann, Kontaktstelle Stabsstelle für Chancengleichheit Bernadette Kubik-Risch Äulestr. 51, 9490 Vaduz Tel. 00423 236 60 60, Fax 00423 236 65 60 E-Mail: [email protected]/ www.scg.llv.li Die Artikel der vergangenen acht Ausgaben von «mittendrin» sind auf www.scg.llv.li abrufbar. aber andererseits kann er mir darum auch nicht widersprechen, und das ist oft auch nicht so schlecht.Vieles geht mit ihm etwas langsamer und ist komplizierter, auch weil Johannes nicht rennen kann, aber andererseits bin ich dann immer schneller als er. Dank der Therapieferien mit Johannes waren wir schon an vielen verschiedenen Orten und ich durfte auch schon mit Delphinen schwimmen, vielleicht hätte ich das ohne ihn noch nicht erleben können. Andreas Verling Vom Schock zur Normalität Als meine Tochter geboren wurde und ich erfahren habe, dass sie behindert Ungewohntes wird Alltag Entlastungsdienst für Familien und Freizeitprogamm für Kinder mit Behinderung: Seit April 2005 bietet der Liechtensteiner Behindertenverband (LBV) den Entlastungsdienst für Familien von Kindern mit Behinderung an. Ziel ist es, den Eltern und Geschwisterkindern Freiraum zu geben, den Kindern mit Behinderung selbst die Möglichkeit, Freizeit auch ausserhalb der Familie zu erleben. Einmal im Monat – jeweils samstags – bringen die Eltern ihre Kinder zur Kindertagesstätte in Vaduz. Dort werden die Kinder von 10 bis 16 Uhr unter fachlicher Leitung gut versorgt und liebevoll betreut. Die Kosten belaufen sich auf SFR 80.-/Tag. Wer sich für dieses Angebot interessiert, wendet sich bitte direkt an den LBV, Tel. 390 05 15, [email protected] oder an die Gruppenleiterin Gertrud Caminada unter Tel. 232 77 02, [email protected]. Bild Emmi Wohlwend ist, war es zuerst ein Schock. Es stellte sich heraus, dass sie cerebrale Bewegungstörung (CP) hat. Um sich fortzubewegen braucht sie einen Rollstuhl, ansonsten kann man mit ihr normal umgehen. Ich wusste damit umzugehen, da mein Bruder gehörlos ist. Für mich war es schwer, dass meine Tochter so weit weg die Schule und Lehre machen musste. Nun lebt sie aber wieder in meiner Nähe und findet sich sehr selbstständig in ihrer 4 1/2 –Zimmer Wohnung zurecht. Martha Oehri Braucht und gibt Kraft Birgit Oehri (l.) mit ihrer Schwiegermutter Heidi Oehri. Als ich vor sechs Jahren die Familie meines jetzigen Mannes kennenlernte, war der Umgang mit seinen beiden gehörlosen Eltern und seiner Cousine im Rollstuhl sehr ungewohnt für mich. Ich wusste nicht, wie ich mich ihnen gegenüber verhalten sollte, hatte ich doch davor kaum direkte Begegnungen mit Menschen mit Behinderung. Heute ist der Umgang mit ihnen für mich ganz normal. Meine Schwiegereltern lesen sehr gut von den Lippen, und ich absolviere seit drei Jahren Gebärden-Sprachkurse. Die Sprache und das Kommunizieren mit Gehörlosen interessieren mich sehr. Sehr positiv finde ich, dass unsere Kinder von klein an mit Menschen mit Behinderungen in Berührung gekommen sind. Bild Emmi Wohlwend Ich denke, dass sie dadurch Toleranz für Menschen mit besonderen Bedürfnissen entwickeln, weil sie sehen, dass ihre Grosseltern auch mit ihrer Behinderung sehr gut leben können. Für mich ist es kein Nachteil, dass meine Schwiegereltern gehörlos sind. Der Unterschied zu hörenden Menschen ist, dass man sie nicht anrufen kann, aber heute ist das ja per SMS, E-Mail oder Fax kein Problem mehr. Oder dass man sie nicht rufen kann, wenn sie sich z. B. in einem Haus gerade in einem anderen Stockwerk befinden. Dank der heutigen technischen Hilfsmittel, wie z. B. Blinksignalbabyfon oder Blinksignalwecker u.s.w. gibt es selbst für gehörlose Menschen immer weniger Nachteile. Birgit Oehri Als mein Sohn vor zwei Jahren mit einer Psychose in die Klinik kam, begann für uns ein neuer Lebensabschnitt. Mit meinen Besuchen in der Klinik habe ich viele Leute jeden Alters kennengelernt. Die vielen kranken Menschen haben mich zuerst tief erschüttert. Doch heute gibt es mir Kraft, zu wissen, dass mein Sohn mit seiner Krankheit nicht alleine ist. Glücklicherweise ist er ein sehr offener Mensch. Vor der Diagnose und den entsprechenden Therapien war ich als Alleinerziehende oft überfordert: Arbeit, Haushalt, ein Kind, das «sehr schwierig» ist etc. Heute erlebe ich das anders, weil mein Sohn und ich besser den je miteinander reden und leben können. Schön ist es, zu sehen, was für Fortschritte er macht und wie gut es ihm jetzt geht. Schon Jahre vor der Diagnose hatte ich bei verschiedenen Ämtern auf die Problematik meines Sohnes aufmerksam gemacht. Aber meistens wurde das Problem bei mir als alleinerziehende, berufstätige Mutter gesucht. Dadurch fühlte ich mich oft allein gelassen: es gab weder ideelle noch finanzielle Unterstützung. Lange erlebte ich die Suche nach Hilfe wie einen Gang durch einen riesigen, dichten Dschun- Susanne Ospelt mir ihrem Sohn Serge. Bild pd gel. Und trotz alledem, mir hat diese Situation im Nachhinein sehr viel Kraft und Mut gegeben. Mittlerweile habe ich einige Menschen mit verschiedensten Behinderungen kennengelernt. Und das hat mein Leben bereichert. Susanne Ospelt