VWL - Eine kritische Einführung
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VWL - Eine kritische Einführung
Karl Betz VWL - Eine kritische Einführung Studienbuch zum Kurs VWL für Ingenieure FH SWF / Meschede, 2011 Kontakt: [email protected] Dieses Skript kann ganz oder in Auszügen frei kopiert, ausgedruckt und weitergeben werden, so lange die Quelle angegeben wird und bei der Weitergabe nicht mehr als die Kosten der Vervielfältigung erhoben werden. Bezüge zu aktuellen Entwicklungen sowie weitere Fragen finden Sie auf meiner Homepage: www.Karl-Betz.de Errata werden darüber hinaus auch auf den Seiten der Studienbücher und auf meiner Seite auf FH-SWF eingestellt werden. S. I Inhalt S. Verzeichnisse Inhalt .......................................................................................................................................... hier Boxen im Text ............................................................................................................................... V Tabellen ......................................................................................................................................... V Abbildungen .................................................................................................................................. V Abkürzungen ............................................................................................................................. VIII Vorbemerkung ................................................................................................................................ IX 1 Fragestellung, Methode und Gegenstand .................................................................................... 1 1.1.2 Arbeitsteilung ........................................................................................................................ 1 1.1.2.1 Vorteile der Arbeitsteilung ............................................................................................ 2 1.1.2.2 Das Koordinationsproblem ........................................................................................... 3 1.2 Vwl und Bwl ............................................................................................................................ 4 1.2.1 Die Gemeinsamkeit: Das ökonomische Prinzip ............................................................... 4 1.2.2 Der Unterschied: Einzel- vs. gesamtwirtschaftliche Betrachtung .................................... 5 1.3 Methode ................................................................................................................................... 6 1.4 Einige Prämissen ...................................................................................................................... 9 Fragen zum ersten Kapitel ........................................................................................................... 12 Teil 1 Mikroökonomik 2 Das Marktmodell ......................................................................................................................... 15 2.1 Zum Überblick: Die Kreislaufdarstellung ............................................................................. 15 2.2 Das Marktmodell: Die Grundannahmen ................................................................................ 19 2.2.1 Die Marktnachfrage ....................................................................................................... 21 2.2.2 Das Marktangebot .......................................................................................................... 23 2.2.3 Elastizitäten .................................................................................................................... 24 2.2.4 Das Marktgleichgewicht ................................................................................................ 26 2.2.4.1 Marktformen ........................................................................................................... 26 2.2.4.2 Wettbewerbsgleichgewicht ..................................................................................... 27 Fragen zum zweiten Kapitel ........................................................................................................ 32 Exkurs zum zweiten Kapitel: Die unsichtbare Hand des Marktes ............................................... 34 3 Komparative Statik oder: Das Marktmodell in Aktion ........................................................... 39 3.1 Komparative Statik: Die Methode ......................................................................................... 39 3.1.1 Verschiebung der Nachfragekurve ................................................................................. 41 3.1.2 Verschiebung der Angebotskurve ................................................................................... 43 S. II 3.1.3 Simultane Verschiebung beider Kurven ......................................................................... 44 3.2 Komparative Statik:Steuern ................................................................................................... 45 3.3 Komparative Statik:Externe Effekte ...................................................................................... 49 3.4 Mit Zitronen gehandelt: Marktversagen bei Informations-Asymmetrien............................... 51 3.5 Bubbles und Deflationen........................................................................................................ 51 Fragen zum dritten Kapitel .......................................................................................................... 56 Exkurs zum dritten Kapitel: Anchoring ....................................................................................... 59 4 Theorie des Angebots ................................................................................................................... 61 4.1 Produktionsfunktion ............................................................................................................... 62 4.2 Produktionsfunktion, Kostenfunktion und Angebotsfunktion (Lange Frist) ......................... 63 4.3 (Partielle) Produktionsfunktion und Kostenfunktion (Kurze Frist) ....................................... 67 Fragen zum 4. Kapitel .................................................................................................................. 70 Exkurs zum vierten Kapitel: Grenzproduktivität, Lohn und Arbeitsnachfrage ........................... 72 Einkommensverteilung ........................................................................................................... 73 5 Produktionspreismodell und Faktorpreisgrenze (fpf) .............................................................. 77 5.1 Die Produktionspreisgleichung .............................................................................................. 77 5.2 Die Faktorpreisgrenze (fpf) ................................................................................................... 79 5.3 Mehrere Techniken: fpf und die Wahl der Technik ................................................................ 81 5.4 Anwendungen: Komparative Statik mit der fpf ..................................................................... 84 Fragen zum 5. Kapitel .................................................................................................................. 85 6 Faktormärkte ............................................................................................................................... 89 6.1 Das Faktorangebot ................................................................................................................. 91 6.1.1 Das Kapitalangebot der Haushalte ................................................................................. 91 6.1.2 Das Arbeitsangebot der Haushalte ................................................................................. 97 6.2 Faktornachfrage und Gleichgewicht der Faktormärkte ......................................................... 99 6.3 Das BIP: die angebotsorientierte Sicht ................................................................................ 103 Fragen zum 6. Kapitel ................................................................................................................ 104 Exkurse zum sechsten Kapitel Exkurs 6.1 Realzinssatz und Nominalzinssatz ...................................................................... 106 Exkurs 6.2 Verlauf der Arbeitsangebotskurve: Backward bending labour supply curve und multiples Gleichgewicht ....................................................................................................... 107 Teil II - Makroökonomik 7 Mikro- und Makroökonomie .................................................................................................... 109 7.1 Angebotsorientierte und nachfrageorientierte Theorie: der Unterschied in den Sichtweisen109 7.2 Mikro- und Makro: Der Unterschied ................................................................................... 114 7.3 Aggregation .......................................................................................................................... 116 BIP ......................................................................................................................................... 116 S. III Preisniveau / Inflation ........................................................................................................... 117 7.4 ex post / ex ante; notionale und effektive Pläne ................................................................... 118 Fragen zum 7. Kapitel ................................................................................................................ 121 8 Geld und Banken ....................................................................................................................... 123 8.1 Geldmenge ........................................................................................................................... 123 8.2 Wie Geld entsteht ................................................................................................................. 126 8.2.1 Wie Zentralbankgeld entsteht ....................................................................................... 126 8.2.2 Wie M entsteht ............................................................................................................. 129 8.2.3 Zusammenfassung: Wie Geld entsteht ......................................................................... 133 Too interconnected to fail ................................................................................................. 134 8.3 Banken trennen Sparen und Investieren .............................................................................. 137 8.4 Bubbles, the sequel .............................................................................................................. 140 Schulden sind sicher .............................................................................................................. 142 Too big to be saved ............................................................................................................... 144 Fragen zum 8. Kapitel ................................................................................................................ 145 9 Nachfrage und Einkommen ...................................................................................................... 149 9.1 Das Einkommen-Ausgaben-Diagramm ............................................................................... 150 9.1.1 Die Gleichgewichtsbedingung ..................................................................................... 151 9.1.2 Nachfrage und Gütermarktgleichgewicht .................................................................... 152 9.1.2.1 Konsumnachfrage ................................................................................................. 152 9.1.2.2 Sparen ................................................................................................................... 154 9.2 Erweiterung: Investitionen ................................................................................................... 156 9.3 Der Multiplikatorprozeß ...................................................................................................... 157 9.4 Staat ..................................................................................................................................... 159 Steuerfinanzierte Staatsausgaben ..................................................................................... 161 9.5 Ausland ................................................................................................................................ 163 9.6 Saldenbeziehungen .............................................................................................................. 165 Fragen zum 9. Kapitel ................................................................................................................ 168 Exkurse zum 9. Kapitel Exkurs 9.1 Übersicht Multiplikatoren ................................................................................... 169 Exkurs 9.2 Vom Einkommen abhängige Steuern .................................................................. 170 Exkurs 9.3 Einkommensverteilung, Multiplikator und BIP .................................................. 171 Exkurs 9.4 d Y oder Y? ......................................................................................................... 173 10 IS-MP ....................................................................................................................................... 175 10.1 Zinselastische Nachfrage: Die IS-Kurve ........................................................................... 176 10.2 Geld, Banken und Zinsen: die MP-Kurve ......................................................................... 178 10.2.1 Die Grundidee ............................................................................................................ 178 10.2.2 Lage und Verlauf der MP-Kurve ................................................................................ 182 10.3 Das IS-MP-Gleichgewicht ................................................................................................. 184 10.4 Komparative Statik im IS-MP-Modell .............................................................................. 186 10.5 IS-MP und Arbeitsmarkt: Zwei Schließungen ................................................................... 189 S. IV 10.5.1 IS-MP: Die angebotsorientierte Variante ................................................................... 190 10.5.2 Die nachfrageorientierte Schließung .......................................................................... 194 Fragen zum 10. Kapitel .............................................................................................................. 199 Exkurs zu Kapitel 10: Neoklassisches vs. keynesianisches Gleichgewicht .............................. 200 Exkurs 10.1: Das neoklassische Gleichgewicht: Ein Sonderfall .......................................... 202 Exkurs 10.2: Eine monetär-keynesianische Schließung ....................................................... 203 Exkurs 10.2.1 Vermögensmarkt und Zinssatz .................................................................. 204 Exkurs 10.2.2 Zurück zu IS-MP ....................................................................................... 207 11 Wachstum & Konjunktur 11.1 Zur Abgrenzung von Wachstum und Konjunktur .............................................................. 211 11.2 Wachstumstheorie .............................................................................................................. 214 11.2.1 Der definitorische Rahmen ......................................................................................... 214 11.2.2 Nochmal zur Produktionsfunktion ............................................................................. 216 11.2.3 Angebotsorientierte Wachstumstheorie ...................................................................... 217 11.2.4 Nachfrageorientierte Wachstumstheorie .................................................................... 220 11.3 Konjunktur ......................................................................................................................... 221 11.4 Hysterese - oder: Hat die Konjunktur einen Einfluß auf das Wachstum? .......................... 223 Fragen zum 11. Kapitel .............................................................................................................. 228 12 Antworten auf die Anwendungsfragen .................................................................................. 231 S. V Boxen im Text Fallstudie: Überschußnachfrage .................................................................................................. 26 Fallstudie: Waldbrände in Rußland .............................................................................................. 44 Ab- und Aufdiskontieren ............................................................................................................. 53 Fallstudie: Kapitalumbewertung und -vernichtung : Der Wohnungsleerstand in den USA ........ 93 Fallstudie: Freiwillige und unfreiwillige Arbeitslosigkeit ........................................................... 98 Wie hoch ist r? Eine Überschlagsrechnung ............................................................................... 102 Neoklassische Synthese ............................................................................................................. 113 EZB und ESZB .......................................................................................................................... 126 Bruttoinlands- und Bruttoinländerprodukt (Sozialprodukt) ....................................................... 116 Anmerkungen zum Multiplikator .............................................................................................. 159 Einkommens- und Vermögensverteilung: USA ......................................................................... 173 Das Dilemma der Geldpolitik im Jahr 2011 .............................................................................. 183 Liquiditätsfalle: Der Fall Japans und der USA .......................................................................... 194 Wachstumsprognosen ................................................................................................................ 219 Einkommensentwicklung nach der Great Recession ................................................................. 225 Tabellen Tab. 4.1: Arbeitsinput und Outputmenge ..................................................................................... 69 Tab. 8.1: Zinssätze der EZB ....................................................................................................... 127 Tab. 9.1: Übersicht Multiplikatoren ........................................................................................... 170 Abbildungsverzeichnis Abb. 1.1: Zahl der Unternehmen in Deutschland .......................................................................... 2 Abb. 2.1: Ein einfaches Kreislaufschema .................................................................................... 16 Abb. 2.2: Die Phillips-Maschine .................................................................................................. 18 Abb. 2.3: Einfaches Marktdiagramm ........................................................................................... 20 Abb. 2.4: Nachfrage nach Wasser ................................................................................................ 22 Abb. 2.5: Unterschiedliche Verläufe der Angebotsfunktion ........................................................ 23 Abb. 2.6: Markt im Ungleichgewicht .......................................................................................... 28 Abb. 2.7: Marktgleichgewicht ..................................................................................................... 30 Abb. 2.A.1: Anforderungen an Nachfrage- und Angebotsfunktionen ......................................... 37 Abb. 3.1: Verschiebung der Nachfragefunktion .......................................................................... 41 Abb. 3.2: Verschiebung der Angebotsfunktion ............................................................................ 43 Abb. 3.3: Verschiebung beider Kurven ........................................................................................ 45 Abb. 3.4: Mengensteuer, die der Käufer zahlt ............................................................................. 46 Abb. 3.5: Steuerinzidenz bei unterschiedlicher Steuererhebung ................................................. 47 Abb. 3.6: Steuerkeil ..................................................................................................................... 48 S. VI Abb. 3.7: Negative Produktions-Externalität ............................................................................... 49 Abb. 3.8: historische Rhodiumpreise ........................................................................................... 52 Abb. 3.9: historische Goldbubbles ............................................................................................... 55 Abb. 4.1: Skalenerträge ............................................................................................................... 63 Abb. 4.2: Kostenfunktion und Grenzkostenfunktion bei sinkenden Skalenerträgen ................... 65 Abb. 4.3: Grenzkostenfunktion und Angebotsfunktion ............................................................... 65 Abb. 4.4: Angebotskurven bei sinkenden und konstanten Skalenerträgen .................................. 66 Abb. 4.5: Grenzproduktivität der Arbeit bei unterschiedlichem Kapitaleinsatz .......................... 69 Abb. 4.6: Grenzproduktivität der Arbeit und Arbeitsnachfragefunktion ..................................... 72 Abb. 5.1: Faktropreisgrenze (fpf) ................................................................................................ 80 Abb. 5.2: Mehrere Techniken ...................................................................................................... 81 Abb. 5.3: Reswitching ................................................................................................................. 83 Abb. 5.4: Technischer Fortschritt im Produktionspreismodell .................................................... 84 Abb. 6.1: Erweitertes Kreislaufdiagramm: Sparen und Investieren ............................................ 90 Abb. 6.2: Höhe der Brutto und Nettoinvestitionen als Anteil am BIP der BRD ......................... 92 Abb. 6.3: Realzinssatz, Kapitalangebot und Arbeitsnachfrage .................................................... 96 Abb. 6.4: Arbeitsnachfrage und Zins ........................................................................................... 97 Abb. 6.5: Arbeitsangebot, freiwillige und unfreiwillige Arbeitslosigkeit .................................... 98 Abb. 6.6: Simultanes Gleichgewicht von Arbeits- und Kapitalmarkt ....................................... 101 Abb. 6.7: Arbeitsmarktgleichgewicht und Volkseinkommen .................................................... 103 Abb. 6.E2.1: Multiple Gleichgewichte am Arbeitsmarkt .......................................................... 107 Abb. 7.1: Angebotsorientierte Theorie: Die Logik .................................................................... 110 Abb. 7.2: Nachfrageorientierte Theorie: Die Logik ................................................................... 111 Abb. 7.3: Keynesianischer Arbeitsmarkt ................................................................................... 112 Abb. 8.1: Entstehung von Zentralbankgeld ............................................................................... 126 Abb. 8.2: Geldmarkt .................................................................................................................. 128 Abb. 8.3 Zinskorridor ................................................................................................................ 129 Abb. 8.4 Entstehung von M ....................................................................................................... 130 Abb. 8.5: Kreditmarkt ................................................................................................................ 131 Abb. 8.6 Entwicklung der Reservehaltung britischer Banken ................................................... 135 Abb. 8.7 Eigenkapitalquoten US-amerikanischer und britischer Banken ................................. 136 Abb. 8.8: Entwicklung der Eigenkapitalrendite britischer Banken ........................................... 137 Abb. 8.9: Anteil der Finanzdienstleistungen am BIP der USA .................................................. 141 Abb. 8.10: Anteil der Gewinne der Finanzindustrie an allen Gewinnen in den USA ............... 142 Abb. 9.1: Gütermarktdiagramm mit Gleichgewichtsbedingung ................................................ 151 Abb. 9.2: Einkommen-Ausgabenmodell, nur Konsumnachfrage .............................................. 154 Abb. 9.3: Änderung der marginalen Konsum-/ bzw. Sparneigung ............................................ 155 Abb. 9.4: Investitionsnachfrage ................................................................................................. 157 Abb. 9.5: Die Wirkung steuerfinanzierter Staatsausgaben ........................................................ 162 Abb. 9.6: Kreislaufdiagramm einer offenen Volkswirtschaft mit Staat ..................................... 166 Abb. 10.1: Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals ..................................................... 177 Abb. 10.2: Die Herleitung der IS-Kurve .................................................................................... 178 S. VII Abb. 10.3: IS-MP: Der einfachste Fall ...................................................................................... 181 Abb. 10.4: Verlauf der MP-Kurve gemäß der Taylor-Regel ...................................................... 183 Abb. 10.5: IS-MP-Gleichgewicht .............................................................................................. 185 Abb. 10.6. Verschiebung der IS-Kurve ...................................................................................... 187 Abb. 10.7 Inflationsrate und Geldpolitik in den USA ............................................................... 188 Abb. 10.8: Volkerts Recession: Verschiebung MP ..................................................................... 188 Abb. 10.9: Schema Totalmodell ................................................................................................. 189 Abb. 10.10 Schema Arbeitsmarkt .............................................................................................. 190 Abb. 10.11 Angebotsorientiertes IS-MP-Gleichgewicht ........................................................... 191 Abb. 10.12 Zinspolitik der Notenbank und Arbeitsmarkt ......................................................... 192 Abb. 10.13: Zinsspreads in den USA ......................................................................................... 195 Abb. 10.14 Keynesianisches IS-MP-Gleichgewicht .................................................................. 196 Abb. 10.15: Keynesianischer Arbeitsmarkt ............................................................................... 197 Abb. 10.E.1: fpf im IS-MP-Modell ............................................................................................ 201 Abb. 10.E.2: "Falscher" Verlauf der IS-Kurve .......................................................................... 202 Abb. 10.E.3 Geldvermögen und Verbindlichkeiten in einer einfachen Ökonomie ................... 205 Abb. 10.E.4: Geldvermögensangebot und -nachfrage und Notenbankzinssatz ......................... 206 Abb. 10.E.5 Ein geldkeynesianisches totales Gleichgewicht .................................................... 208 Abb. 11.1: Reales BIP in Deutschland 1950 - 2009 .................................................................. 212 Abb. 11.2: Wachstumsraten des BIP in Deutschland 1951 - 2009 ............................................ 213 Abb. 11.3: Konjunkturzyklus ..................................................................................................... 222 Abb. 11.4: Konjunkturzyklus in der BRD ................................................................................. 223 Abb. 11.5: Konjunktur und Trendentwicklung .......................................................................... 225 Abb. 11.6 Trend und Konjunktur: BRD / USA und Japan ......................................................... 226 Abb. 11.7: Rückkehr zum Trend? .............................................................................................. 227 S. VIII Abkürzungen Versalien A B C Co D EX F Arbeit Bevölkerung Konsum (consumption) autonomer Konsum Abschreibungen (depreciation) Exporte (in der PF: Stand der Technik). Ansonsten: Ausland (Foreign) G Staatsnachfrage (government spending) GG Gleichgewicht H (in der PF: Humankapital) Ansonsten: Inland (Home) I Investitionen IM Importe K Kapital M Geldmenge (money) MP Monetary Policy Kurve NCO Nettokapitalexporte NR in der PF: Natürliche Ressourcen NX Nettoexporte P Preisniveau Q Quwinne Gewinne (r · K) S Ersparnis (savings) T Steuern (taxes) U Arbeitslosigkeit (unemployment) V Umlaufgeschwindigkeit des Geldes (Velocity of circulation) W Lohnsumme (w · A) (wages) Y reales BIP Z Zentralbankgeldmenge Minuskeln a Arbeitskoeffizient (Arbeitseinsatz/Output) c marginale Konsumquote (dC/dY) cQ, cW … aus Löhnen bzw. Gewinnen e Wechselkurs R e realer (effektiver) Wechselkurs f meist: Funktionssymbol fpf factor-price-frontier g Wachstumsrate. Bspl: gY = Wachstumsrate von Y i nominaler Zinssatz k Kapitalkoeffizient (Kapitaleinsatz/Output) m marginale Importneigung: Wie viel % des zusätzlichen Einkommens geht in die Importnachfrage p Preis r realer Zinssatz Profit-Ratte (meist, der Einfachheit halber, unterstellt: Profitrate = realer Zinssatz) rZB Leitzinssatz der Notenbank s marginale Sparquote (dS/dY); s = 1 – c t (Einkommens-)Steuersatz w Nominallohnsatz w/p Reallohnsatz z Zinsmarge der Banken Indices XAT Angebot von X XF Gut X in Land Foreign XH Gut X in Land Home XNE Nachfrage nach X X* Gleichgewichtswert von X Sonderzeichen λ (durchschnittliche) Arbeitsproduktivität (=1/a) μ Multiplikator π Inflationsrate τ in der Produktionsfunktion: Stand des technischen Wissens Einführung in die VWL Vorbemerkung S. IX Vorbemerkung TOP 10 REASONS TO STUDY ECONOMICS 1. Economists are armed and dangerous: "Watch out for our invisible hands." 2. Economists can supply it on demand. 3. You can talk about money without every having to make any. 4. You get to say "trickle down" with a straight face. 5. Mick Jagger and Arnold Schwarzenegger both studied economics and look how they turned out. 6. When you are in the unemployment line, at least you will know why you are there. 7. If you rearrange the letters in "ECONOMICS", you get "COMIC NOSE". 8. Although ethics teaches that virtue is its own reward, in economics we get taught that reward is its own virtue. 9. When you get drunk, you can tell everyone that you are just researching the law of diminishing marginal utility. 10. When you call 1-900-LUV-ECON and get Kandi Keynes, you will have something to talk about. 1 Volkswirtschaftslehre verschafft Ihnen einen Überblick über wirtschaftliche Zusammenhänge. Diese sind heute wichtiger denn je - welches Thema, das die politische Diskussion beherrscht, hat denn heutzutage nichts mit Ökonomie zu tun? (OK, evtl. der Afghanistan Einsatz. 2 Aber sonst?) Ein Grundverständnis für VWL ist also hilfreich, um aktuelle Entwicklungen zu verstehen. Aber warum ein anderes Skript - Lehrbuch reicht doch? Der Kurs VWL für Ingenieure kürzt den Stoff der beiden Veranstaltungen Mikro- und Makroökonomie auf ein Semester zusammen. Damit kam die Mehrzahl der VWL Lehrbücher nicht als Literaturgrundlage in Frage. Ich kann Ihnen schlecht 1200 Seiten als Lehrbuch für ein Semester empfehlen. Lehrbücher, die den Stoff kürzer darstellen, sind hingegen entweder Institutionenkunde oder sie vereinfachen zu sehr. Von Institutionenkunde haben Sie nichts: Stellen Sie sich vor, Sie hätten 1995 studiert: Dann wüßten Sie jetzt genau, wie die Bundesbank funktioniert und welche Instrumente sie einsetzt - nur daß es sie (mit ihrer damaligen Aufgabenstellung) heute gar nicht mehr gibt. Andere Lehrbücher (aber das gilt auch für die meisten umfangreichen 3) vereinfachen, in dem sie Kritikpunkte weglassen. Viele Ergebnisse lassen sich nur unter Annahmen herleiten, von denen sicher ist, daß sie in der Praxis nicht erfüllt sein können. Oder, schlimmer: Die zwar sehr plausibel und einsichtig, aber schlicht falsch sind. Dies wird dann elegant überspielt und bei den Studierenden wird der Eindruck erweckt, alle Ergebnisse und Theoreme seien zwingend und unstrittig. Ich möchte mit diesem Kurs aber dreierlei erreichen: Erstens sollen Sie nicht Resultate sondern Methoden erlernen. Kleine Modelle, die Ihnen sagen, wie Sie eine Frage analysieren können und welche Informationen Sie evtl. noch brauchen, um zu einem Urteil zu kommen. 1 Dieser und die weiteren englischen Witze sind geklaut bei: http://netec.wustl.edu/JokEc.html 2 Von den Rohstofffunden dort haben Sie aber schon gelesen? 3 Snowdon, Brian und Vane, Howard R. (2005) Modern Macroeconomics: It's Origins, Development and Current State. Edward Elgar. den Sie in der Bibliothek finden, sind ein positives Gegenbeispiel. Aber das wären dann wieder 800 Seiten alleine für den Makroökonomie Teil gewesen - schlicht nicht in einem Semester realisierbar. S. X Vorbemerkung Karl Betz Zweitens möchte ich blinde Flecken und unbegründete Annahmen herausstellen: Viele Annahmen in der VWL werden nicht getroffen, weil man Sie für plausibel hält, sondern damit sich das Modell besser rechnet.4 Solche Schwachstellen heißen nicht, daß die Modelle nichts taugen. Von Ihnen gehört zu haben, könnte aber eine Warnung sein, neben dem Modellergebnis auch noch etwas gesunden Menschenverstand zu benutzen: In wie weit sind meine Empfehlungen diesen unrealistischen Annahmen geschuldet, muß ich da in der Interpretation evtl. etwas Spiel lassen? Und wenn ja: In welche Richtung? Und drittens gibt es zumindest zwei sehr unterschiedliche Theorien über die Funktionsweise einer Volkswirtschaft: Die angebotsorientierte Richtung (Neoklassik) und die nachfrageorientierte (Keynes). In den allermeisten Lehrbüchern lernen Sie nur eine dieser Theorien kennen (in der Regel die angebotsorientierte Theorie). Andere Ansätze tauchen höchstens als „schon lange überwundene Fehler“ in den Texten auf. Ich möchte statt dessen versuchen, Ihnen beide Sichtweisen vorzustellen: Wie denkt der angebotsorientierte Ökonom? Welche Voraussetzungen macht er, warum folgen seine Ergebnisse aus diesen Voraussetzungen. Aber eben auch: Was ändert sich, wenn ich diese Voraussetzungen in Zweifel ziehe und wie sieht die nachfrageorientierte Sicht der Ökonomie aus, die so entstehen kann? Ja, das macht die Sache schwieriger, weil Sie die Zusammenhänge durch zwei unterschiedliche Brillen betrachten müssen und sie souverän genug werden müssen, die Brillen zu wechseln, ohne daß Ihnen schwindelig wird. Andererseits gewinnen Sie so aber auch ein Stück Freiheit – Sie sind nicht mehr jeder Expertenmeinung ausgeliefert, sondern Sie können selbst entscheiden, was Sie für vernünftig halten und was nicht. In der Politik hat sich eingebürgert, ökonomische Grundsatzentscheidungen an Expertenkommissionen zu delegieren, statt sie politisch auszutragen. Aber die Ergebnisse dieser Kommissionen sind keineswegs so "objektiv" wie das Verfahren suggeriert: Wer die Experten auswählt, bestimmt zugleich die Richtung der Empfehlung. In der Wirtschaftspolitik gibt es eben nicht nur eine "richtige Antwort". Man kann vielmehr zu unterschiedlichen Maßnahmen kommen. Das ist (a) möglich, wenn man unterschiedliche Prioritäten setzt. Also, wenn man sich zwar über die Konsequenzen der Maßnahmen einig ist, diese Konsequenzen aber unterschiedlich beurteilt. Beispiel: Mindestlöhne führen jedenfalls zu einer geringeren Verteilungsungleichheit, weil extrem niedrigen Lohnsätze verboten werden. Und die führen im Niedriglohnsektor zu weniger Abhängigkeiten, weil dann weniger Beschäftigte ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt beim JobCenter beantragen müssen. Neoklassisch führen sie aber außerdem zu geringerer Beschäftigung. Es kann daher durchaus Neoklassiker geben die für die Einführung von Mindestlöhnen plädieren (allerdings sind das eher wenige) und solche, die dagegen sind. Denn in der Frage: „Ist jetzt die etwas höhere Beschäftigung wichtiger oder hat eine höhere soziale Ungleichheit Konsequenzen, welche die Wohlfahrt einer Gesellschaft mehr drücken, als das bißchen zusätzlicher Output sie heben kann?“5 kann man ja durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Und es ist (b) möglich, wenn man eine andere Theorie für richtig hält. Für Marxisten gilt das sowieso. Aber auch ein Keynesianer könnte beim Beispiel Mindestlöhne anmerken: Das 4 Damit steht die VWL aber nicht alleine da: Denken Sie z.B. an die Symmetrie Annahmen in der Teilchenphysik. 5 Allerdings, und das ist ein Beispiel für die oben genannten blinden Flecken, wird der zweite Aspekt in der Regel nicht diskutiert. Grund: Die Haushaltstheorie unterstellt, daß der Nutzen eines Haushalts allein davon abhängt, was er sich kaufen kann. Die relative Einkommensposition, also das Einkommen anderer Haushalte, geht nicht ins Kalkül ein (allgemeiner: Nutzeninterdependenzen werden qua Annahme ausgeschlossen). Es macht daher evtl. Sinn, sich bei dieser Frage auch mal bei der Soziologie oder Psychologie zu erkundigen. (Oder bei der langsam neu entstehenden Verhaltensökonomik (Behavioural Economics) vorbei zu schauen.) Einführung in die VWL Vorbemerkung S. XI neoklassische Ergebnis läßt sich nur herleiten, wenn die Märkte auf Vollbeschäftigung führen. Tun sie das aber nicht. Haben wir aber Arbeitslosigkeit, dann ist die relative Höhe der Löhne weitgehend willkürlich und eine Umverteilung nach unten könnte sogar zu mehr Nachfrage und deswegen zu höherer Beschäftigung führen. Hier würde die Theorie also die negative Auswirkung auf die Beschäftigung bestreiten. In Summe: Man kann in vielen Fragen unterschiedlicher Meinung sein. Und ich möchte Ihnen nicht, wie etwa Mankiw dies tut, eine Meinung als die richtige aufoktroyieren. Sie können gerne zu anderen Positionen als meiner eigenen kommen. Aber: Wenn es auch verschiedene Theorien über das Funktionieren einer Ökonomie gibt, die Gesetze der Logik gelten immer noch: 6 Sie sollen Ihre Meinung wissenschaftlich sauber begründen können und Sie sollen wissen, welche stillschweigenden Voraussetzungen Sie unterstellen müssen, damit Ihre Position Sinn macht. Einige dieser Erläuterungen oder Kritikpunkte sind in Exkurse gepackt. Diese Themen sind teils weiterführend, teils etwas schwieriger. Ich finde schon, daß man davon mal gehört (bzw.: gelesen) haben sollte, denke aber, es würde zu weit gehen, sie in den Stoff der Prüfung zu packen. Die Themen werden daher in der Klausur nicht auftauchen, sind also kein Lernstoff. Aber vielleicht lohnt es sich für Sie ja, wenn das Fach sie interessiert, trotzdem mal kurz drüber zu lesen. Diese erste Fassung wimmelt sicherlich noch von Fehlern und unverständlichen Passagen. Ich würde mich daher über Rückmeldungen von Ihnen freuen, die mir helfen, in einer zweiten Fassung besser zu werden. Korrekturen grober Fehler, oder auch von Rechenfehlern bei den Lösungshinweisen,7 werden zeitnah auch über die Errata auf der Seite der Studienbücher, im web eingestellt. 6 Tatsächlich sagt die Wissenschaftstheorie Ihnen, daß diese "Gesetze" nicht beweißbar sind. Aber ein vernünftiger Diskurs unterstellt ihre Gültigkeit. Man muß sie also, beweißbar oder nicht, als Diskussionsregeln unterstellen, damit wir vernünftig miteinander reden können. 7 Jau, ich weiß, das ist gemein: Sie müssen die Aufgaben richtig rechnen können. Ich muß sie nur korrigieren können. Ist aber vielleicht auch ein Anreiz für Ihr Studium: Je weiter man sich qualifiziert hat, desto weniger muß man scheinbar können. S. XII Vorbemerkung Karl Betz Einführung in die VWL 1 Fragestellung, Methode ... S.1 1 Fragestellung, Methode und Gegenstand Was ist der Unterschied zwischen einem Ökonomen und einem Terroristen? Terroristen haben Sympathisanten!1 Lernziele: Die Studierenden verstehen - Arbeitsteilung erhöht die Produktivität, läßt zugleich aber Koordinationsbedarf entstehen - das ökonomische Prinzip gilt sowohl für VWL als für BWL - der Unterschied besteht darin, daß die VWL nach den gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen einzelwirtschaftlicher Entscheidungen fragt. - daß es zum gleichen Gebiet unterschiedliche Theorien geben kann. - Dabei geht die VWL für die Analyse von einigen elementaren Annahmen aus: Wahl zwischen Alternativen Opportunitätskostenkonzept Nutzenmaximierung Marginalkalkül abnehmender, aber positiver Grenznutzen 1.1 Arbeitsteilung Eines der Kennzeichen von Gesellschaften ist, daß arbeitsteilig produziert wird. Nur in einer Robinsonade, also der Welt von Robinson, der nach seinem Schiffbruch alleine auf einer Insel gestrandet ist. produziert der Einzelne alle Güter selbst - und auch Robinson Crusoe war dazu nur in der Lage, weil er eine ganze Menge an Gegenständen aus dem Schiffbruch gerettet hatte, die alleine herzustellen er nie in der Lage gewesen wäre. In einer modernen Gesellschaft gibt es eine große Anzahl unterschiedlicher Berufe: Die Liste der staatlich anerkannten Ausbildungsberufe, Stand 01.08.2009, weist 349 Einträge, vom Änderungsschneider über die Bürsten- und Pinselmacherin bis hin zur Zupfinstrumentenmacherin und dem Zweiradmechaniker, aus.2 Das Studiengangverzeichnis kennt 3765 unterschiedliche Studiengänge in Deutschland.3 Und in den meisten dieser Felder wird man sich spätestens nach Aufnahme der Tätigkeit noch weiter spezialisieren, z.B. als Programmierer auf eine bestimmte Programmiersprache. Die Menschen mit diesen vielen unterschiedlichen Qualifikationen arbeiten in nahezu drei Millionen Betrieben 1 http://iiso-web.fb7.uni-bremen.de/verschiedenes/witziges.html 2 http://www2.bibb.de/tools/aab/aabberufeliste.php 3 http://www.studiengang-verzeichnis.de/studieren/ S. 2 1 Fragestellung, Methode Karl Betz Abb. 1.1 Zahl der Unternehmen in Deutschland Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Unternehmen 1.1.1 Vorteile der Arbeitsteilung Die Vorteile dieser Arbeitsteilung liegen klar auf der Hand: 1. Wenn jede sich auf die Verrichtungen spezialisiert, die ihr (relativ 4) am besten von der Hand gehen, wird eine gegebene Arbeit am schnellsten erledigt werden. 2. Man bewegt sich entlang seiner "Lernkurve": Wenn man sich auf wenige Tätigkeiten beschränkt, gewinnt man schneller an Erfahrung und eignet sich Tricks an, mit denen man seine Produktivität steigern kann. 3. Es entfallen Einrichtzeiten: Man muß nicht ständig sein Werkzeug weg räumen und das für die nächste Tätigkeit notwendige hervorkramen. 4. Es sind weniger Produktionsmittel (= weniger Kapitaleinsatz) erforderlich: Auf dem typischen Bauernhof des Mittelalters wurde in den Wintermonaten z.B. Leinen versponnen und gewebt. Das hieß aber, daß die Webstühle, Spindeln etc. nur 2 bis drei Monate im Jahr in Gebrauch waren. Folglich (a) standen Kapitalgüter ein Gutteil des Jahres unbenutzt herum und (b) waren die Anreize, in Verbesserungen der Geräte zu investieren, entsprechend begrenzt. Und aus dem gleichen Grund waren die Anreize, derlei Verbesserungen zu entwickeln, ebenfalls eher bescheiden. Diese Liste ist sicherlich nicht abschließend. Sie sollte aber bereits ausreichen, um zu verdeutlichen, daß die Arbeitsteilung beträchtliche Produktivitätsgewinne mit sich bringt. Und da die Menschen auf die Dauer nicht mehr verbrauchen können, als sie herstellen, bedeuten Produktivitätsfortschritte, daß die Konsummöglichkeiten für jedes Mitglied einer solchen Gesellschaft sich – zumindest: potentiell5 – erweitern. 4 Entscheidend sind die relativen, nicht die absoluten Vorteile. Ein Kreisligaspieler mag durchaus besser Fußball spielen als den Rasen mähen. Trotzdem macht es wahrscheinlich mehr Sinn, wenn er als Gärtner für Messi arbeitet. Und das würde auch dann gelten, wenn Messi im Rasenmähen besser wäre. 5 Eine höhere Produktivität eröffnet die Möglichkeit, entweder bei der gleichen Beschäftigung mehr herzustellen oder für die Erzeugung des gleichen Outputs weniger zu arbeiten. Produktivitätsfortschritte können daher entweder (bei gleicher Beschäftigung) zu Wachstum oder (bei gleichem Output) zu mehr Arbeitslosigkeit führen. Ob die Einführung in die VWL 1 Fragestellung, Methode ... S.3 Aber andererseits weist Arbeitsteilung auch zwei Probleme auf, von denen das zweite der Hauptgegenstand der Volkswirtschaftslehre ist Entfremdung – Auf diesen Punkt hat vor allem Marx hingewiesen: Bei einer sehr weitgehenden Arbeitsteilung verliert der Arbeiter den Bezug zu seinem Produkt, die Arbeit wird monoton und der Sinn ist nicht mehr ersichtlich. Das kann so weit gehen, daß durch eine zu weit gehende Arbeitszerlegung die Produktivität sogar wieder sinkt. Koordinationsbedarf – Wenn unterschiedliche Menschen am gleichen Projekt arbeiten, müssen deren Arbeiten irgendwie koordiniert werden. Wie geschieht dies in einer ganzen Volkswirtschaft? 1.1.2 Das Koordinationsproblem Nehmen Sie an, Sie wollen mit einigen Freunden im Sommer eine Blockhütte bauen. Was tun Sie? Nun, Sie setzen sich (hoffentlich) vorher zusammen, sprechen den Bauplan ab und teilen die einzelnen Tätigkeiten untereinander auf: „Du fällst die Bäume, Du behaust die Stämme, Du planierst schon mal den Boden“ u.s.w. Wie organisiert eine Firma ihre Produktion? Nun ja, da gibt es z.B. eine Hierarchie von Vorgesetzten, die den jeweiligen Untergebenen konkrete Anweisungen gibt, was sie zu tun haben. Und wie organisiert eine Volkswirtschaft die Produktion des Outputs, des Volkseinkommens, die ja um ein vielfaches komplexer ist, als der Output einer einzelnen Firma? Etwa durch Absprachen? Überlegen Sie mal: Gehen Sie morgens bei Aldi vorbei und sagen Sie: „Ich brauche übrigens in zwei Wochen eine Tüte Milch, ein Päckchen Kaffee und zwei Joghurt. Verständigt schon mal die Molkerei und die Rösterei, damit die das bis dann auch hergestellt haben.“? Oder gehen Sie einfach rein und erwarten, daß (in der Regel) alles da ist, was Sie brauchen? Und jetzt stellen Sie sich mal vor, Sie basteln nach dem gleichen Schema an Ihrem Blockhaus .... Jedenfalls also wird die Produktion einer Volkswirtschaft (oder gar der Weltwirtschaft) nicht durch persönliche Absprache organisiert. Vielmehr entsteht dadurch, daß mehr oder minder alle Arbeiten miteinander zusammenhängen, ohne daß sie bewußt koordiniert werden, ein System gegenseitiger Abhängigkeiten, ein System von Märkten, in welchem die Tätigkeiten sich wechselseitig beeinflussen. (Das ist übrigens die zweite Bedeutung, in der Marx den Begriff Entfremdung gebraucht: Der Zusammenhang ihrer Tätigkeiten erscheint den Menschen als objektiver Systemzwang, als "Sachzwang": Obwohl die Finanzkrise keine einzige Maschine vernichtet und keine einzige Arbeiterin ihrer Qualifikation beraubt hat, brach die Produktion und daher das Pro-Kopf-Einkommen in der BRD im Jahr 2009 um 5% ein.) Wirtschaft automatisch immer auf das erstere Ergebnis führt, ist eine der großen Streitfragen zwischen unterschiedlichen volkswirtschaftlichen Theorien. S. 4 1 Fragestellung, Methode Karl Betz 1.2 VWL und BWL Two men are flying in a captive balloon. The wind is ugly and they come away from their course and they have no idea where they are. So they go down to 20 m above ground and ask a passing wanderer. "Could you tell us where we are?" "You are in a balloon." So the one pilot to the other: "The answer is perfectly right and absolutely useless. The man must be an economist" "Then you must be businessmen", answers the man. "That's right! How did you know?" "You have such a good view from where you are and yet you don't know where you are!" Während die Betriebswirtschaftslehre fragt, wie ein einzelner Betrieb seine Produktion und seine Beschaffung organisieren sollte, um möglichst viel Gewinn zu machen, 6 fragt die Volkswirtschaftslehre danach, wie die Ökonomie als ganze funktioniert. Zu welchen gesamtwirtschaftlichen Ergebnissen also die Interaktion von Haushalten und Unternehmen am Markt führt – und wie diese Interaktion überhaupt funktioniert. 1.2.1 Die Gemeinsamkeit: Das ökonomische Prinzip Nun, Gewinne sind Erlös minus Kosten – damit kann ich meinen Gewinn noch weiter erhöhen (kann also nicht in einem Maximum sein), wenn ich (bei gegebenen Erlösen) nicht zu minimalen Kosten produziere. (In dem ich die Kosten weiter senke.) Oder ich kann den Gewinn weiter erhöhen, wenn ich – aus gegebenen Kosten – nocht nicht die maximalen Erlöse heraushole (z.B. in dem ich mit der gleichen Einsatzmenge an Faktoren mehr Output herstelle). Allgemeiner formuliert: Das ökonomische Prinzip lautet: Entweder: Erreiche ein gegebenes Ziel mit minimalem Aufwand! oder: Hole aus einem gegebenen Aufwand das Maximum an Zielerfüllung heraus! Die Formulierung, die man häufig hört: "Versuche, mit einem Minimum an Aufwand ein maximales Ergebnis zu erreichen" ist hingegen schlicht Blödsinn: Ich kann nämlich meinen Aufwand immer weiter senken, in dem ich mich mit weniger Ergebnis zufrieden gebe. Und ich kann mein Ergebnis immer erhöhen, wenn ich meinen Aufwand erhöhe. Formaler: Es geht hier um die Lösung einer Extremwertaufgabe unter Nebenbedingungen. Entweder um eine Maximierungsaufgabe: Maximiere die Zielerfüllung (Zielfunktion) bei gegebenen Mitteln (Nebenbedingung) oder um eine Minimierungsaufgabe: Minimiere den Mitteleinsatz (Zielfunktion) bei gegebenem Zielerfüllungsgrad (Nebenbedingung) 6 Ok, in BWL hat man / hat Herr Klett / Ihnen gesagt, die Unternehmen seien gar nicht nur auf kurzfristige Gewinnmaximierung aus. Aber wo steht oben im Text was von kurzfristig? Einführung in die VWL 1 Fragestellung, Methode ... S.5 1.2.2 Der Unterschied: einzel- vs. gesamtwirtschaftliche Betrachtung OK. Was das ökonomische Prinzip betrifft, sitzen BWL und VWL im gleichen Boot – einfach weil beide das gleiche Unternehmensziel unterstellen: Ich will meinen Gewinn maximieren. Und weil, wenn dieses Ziel erreicht wird, das ökonomische Prinzip gewahrt sein muß. An dieser Stelle hören die Gemeinsamkeiten dann aber auch schon so ziemlich auf, denn der zentrale Unterschied zwischen VWL und BWL besteht darin, daß die BWL sich für die Konsequenzen für das einzelne Unternehmen interessiert, während die VWL nach den Konsequenzen für die gesamte Volkswirtschaft fragt. Das kann – und wird dann auch oft – bedeuten, daß die beiden Disziplinen zu diametral gegensätzlichen Ergebnissen kommen.7 Das sei am Beispiel Marketingaufwendungen illustriert: Einzelwirtschaftliche Logik: Der Betriebswirt würde wahrscheinlich zu dem Ergebnis kommen: "Wenn ich meine Marketingaufwendungen erhöhe, dann kann ich meinen Marktanteil erhöhen." Dabei hat er allerdings unterstellt, daß die anderen Marktteilnehmer ihre Aufwendungen nicht verändern. Und er hat sich nicht dafür interessiert, daß der Sinn der Marketingausgaben darin bestand, anderen Marktanteile abzunehmen. Der Volkswirt hingegen würde sagen, daß höhere Marketingaufwendungen gesamtwirtschaftlich nicht zu höheren Marktanteilen führen können: Gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen: Die Summe aller Marktanteile ist eins. ===> Höhere Marketingaufwendungen können den Marktanteil nicht erhöhen. Dies ist ein typisches Nullsummenspiel: Die Summe ist gesamtwirtschaftlich konstant (100%), sie wird lediglich umverteilt. Oder nehmen Sie das Beispiel Kostensenkung. Sie werden sicherlich in anderen Kursen über die Aussage stolpern: Wenn ein Betrieb seine Kosten senkt, kann er Arbeitsplätze sichern und seine Gewinne erhöhen. Das stimmt auch für jeden einzelnen Betrieb. Was aber wirklich bei der Geschichte herauskommt, sind nicht intendierte Nebenwirkungen: Erstens: Gesamtwirtschaftlich müssen Sie sich überlegen: a) Gesamtwirtschaftlich kann man Geld nicht ausgeben – man kann es höchstens weitergeben (oder, aber das kommt erst in Kapitel 8, vernichten). b) Kosten (= Ausgaben) von Betrieb A fallen folglich bei irgendwem anders als Einnahmen an. Wenn also ein Betrieb erfolgreich seine Kosten senkt, senkt er zugleich erfolgreich die Einnahmen bei anderen Menschen in der Ökonomie (bei seinen Arbeitern oder bei seinen Zulieferfirmen) – und damit die Nachfrage. Für die Wirtschaft insgesamt wird die Beschäftigung durch die Kostensenkung also gerade nicht gesichert. Zweitens bedeutet Rationalisierung, daß Sie jetzt mit weniger Aufwand den gleichen Output produzieren können, wie zuvor. Solange Sie ihre Produkte jetzt zum gleichen Preis verkaufen können wie früher, haben Sie in der Tat einen höheren Gewinn. Das Problem ist nur: Ihre Kostensenkung setzt Ihre Wettbewerber unter Zugzwang, ebenfalls ihre Kosten zu senken. Dann ist es aber, zumindest auf einem Wettbewerbsmarkt, für jeden einzelnen profitabel, zu versuchen, seinen Absatz mit etwas geringeren Preisen auszuweiten. Und das heißt, daß die Rationalisierung 7 Früh und ausführlich herausgearbeitet wurde dieser Zusammenhang zwischen Partialaussagen, die für einzlene Elemente des Systems gelten und Totalaussagen, die für die Interaktion aller gelten, von Stützel: Paradoxa der Volkswirtschaftlichen Saldenmechanik. S. 6 1 Fragestellung, Methode Karl Betz eben nicht zu den erhofften höheren Gewinnen, sondern zu niedrigeren Preisen führt.8 Die Idee bei jeder einzelnen Kostenreduzierung mag gewesen sein: Ich will meine Gewinne erhöhen. Die Wirkung ist: Die Produktivität steigt und deswegen steigt die Kaufkraft der Löhne. Das heißt natürlich nicht, daß Sie Ihrem Chef raten sollten, die geplante Rationalisierung zu unterlassen. Täte er dies, würde er ja von seinen Konkurrenten vom Markt verdrängt. Allerdings sollten Sie ihm schon davon abraten, die Gewinne, die er sich daraus für die nächsten 10 Jahre erhofft, heute schon in einen neuen Porsche zu stecken ... Übrigens ist dies ein Beispiel für ein Positivsummenspiel: Hier ist durch den Wettbewerb technischer Fortschritt entstanden (die Produktivität ist gestiegen) und daher kann, wenn die Nachfrage ebenfalls ansteigt, das Einkommen steigen: Weil mehr hergestellt werden kann als vorher, kann auch mehr konsumiert werden. Um das nochmal zu resümieren: Der Unterschied zwischen BWL und VWL besteht also darin, daß die BWL fragt: „Was sind die Konsequenzen dieser Maßnahme für mich?“ Während die VWL darüber hinaus fragt: „Was sind die Konsequenzen wenn alle das tun (und evtl.: wie wirkt die Reaktion der übrigen Marktteilnehmer auf den Einzelnen zurück)?“ Wenn Sie die Sache nochmal aus Sicht der Buchhaltung sehen: Nehmen Sie an, Sie bekommen eine Überweisung von 100 €. Der Einfachheit sei angenommen, diese erfolgte ohne Gegenleistung. Dann verbuchen Sie diese unter Zahlungseingänge als Zuwachs an Geldvermögen und die Gegenbuchung ist eine Zunahme Ihres Reinvermögens. Aus einzelwirtschaftlicher Sicht ist der Vorgang damit abgeschlossen. Aus gesamtwirtschaftlicher Sich aber muß es bei einem anderen Akteur eine Gegenbuchung geben: Bei diesem nehmen das Reinvermögen und das Geldvermögen ab. Bei einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung müssen Sie also nicht nur beide Seiten einer, sondern die beiden Seiten von (mindestens) zwei Bilanzen ansprechen. Daß sich die Antworten aus einzel- und gesamtwirtschaftlicher Sicht in der Regel unterscheiden, nennt man auch fallacy of composition.9 1.3 Methode Sie können sich vielleicht vorstellen, daß es etwas unübersichtlich würde, wenn man die Handlungen von Millionen von Firmen und zig Millionen von Menschen (bzw. Milliarden, im Fall der Weltwirtschaft) in einem Modell simultan darstellen wollte (von den Problemen der Datenerhebung mal ganz zu schweigen). Volkswirtschaftliche Modelle sind daher entweder sehr abstrakt und argumentieren nur mit qualitativen Eigenschaften10 oder aber sie sind sehr stark 8 In der Vergangenheit sind die Preise aber doch (fast) immer gestiegen, nicht gesunken? Produktivitätsfortschritt erlaubt entweder bei konstanten Inputpreisen billiger anzubieten, oder die Preise weniger zu erhöhen, wenn die Preise der Inputs steigen. Wie in Kapitel 5 sehen werden, ist der volkswirtschaftlich entscheidende Inputpreis der Lohn. Man kann also bei steigender Produktivität im Prinzip wählen zwischen steigenden Geldlöhnen und stabilen Preisen oder stabilen Löhnen und fallenden Preisen. Wie wie im zweiten Teil noch zu zeigen sein wird, ist die erste Variante die volkswirtschaftlich wünschenswertere. 9 Bei Stützel, der dieses Thema besonders prominent gemacht hat, nennt es "Paradoxa der volkswirtschaftlichen Saldenmechanik." 10 Beispiel gefällig?: "Wir unterstellen, die Präferenzmenge sei ein konvexer Kegel und die Technologiemenge strikt konkav. " Einführung in die VWL 1 Fragestellung, Methode ... S.7 vereinfacht. Ich nehme mal an, Sie werden die zweite Variante präferieren – und dieser folgt auch dieses Skript. Allerdings müssen Sie sich dann darauf verlassen, daß die Aussagen, die hergeleitet werden, im Prinzip auch noch gelten, wenn man die vereinfachenden Annahmen aufhebt. Wo das nicht so ist, werde ich darauf in Fußnoten oder Anhängen hinweisen. Soweit werden Sie auch in anderen Lehrbüchern keinen großen Unterschied in den Aussagen zur Methodik finden: Die Realität ist komplex und die Theorie vereinfacht, in dem Sie die komplexen Zusammenhänge auf das wesentliche reduziert und die Welt so übersichtlich macht. Das Problem an dieser Aussage ist nur der naive Gebrauch des Begriffs „Realität“. Seit Kant könnte man wissen – und weiß die Erkenntnistheorie – daß es keine „Realität“ gibt außer der, die wir wahrnehmen. Kriegen Sie das nicht in den falschen Hals: Es wird nicht behauptet, daß es außerhalb unseres Kopfes keine Wirklichkeit gibt. Alles, was der Satz sagt, ist, daß wir keine Fragen zu Dingen formulieren können, die wir nicht wahrgenommen haben – und daß unsere Wahrnehmung nicht die Dinge selbst wiedergibt, sondern diese gefiltert oder gefärbt durch unsere Wahrnehmung. Und jetzt mal im Ernst: Glauben Sie wirklich, daß, wenn Westerwelle, Ackermann und ein arbeitsloser Bauarbeiter über Arbeitslosigkeit reden, diese wirklich von der gleichen Realität reden? Ok, Sie werden vielleicht entgegen, das ließe sich doch ganz einfach empirisch überprüfen. Man müsse deren Aussagen doch nur mit „den Zahlen“ konfrontieren und werde dann schon sehen, wer richtig liege oder ob evtl. alle falsch liegen. Nur: Mit welchen Zahlen denn bitte? Wenn Sie sich die Zahlen des Arbeitsamtes ansehen, dann sehen Sie nur, wie viele Menschen arbeitslos gemeldet sind (und auch gezählt werden – das ist auch nicht das gleiche11). Aber warum meldet sich jemand arbeitslos? Weil er eine Arbeit sucht oder weil sie Arbeitslosengeld bekommen will? Und so werden Ihnen manche (die meisten) Ökonomen sagen, die Zahl sei viel zu hoch, weil die Leute sich nur wegen dem Arbeitslosengeld arbeitslos melden – und andere (z.B. ich) werden Ihnen sage, die Zahl sei viel zu niedrig, weil Menschen, die zwar arbeitslos sind, aber keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben, keinen Sinn darin sehen, sich zu melden – eine Stelle bietet ihnen das Amt ja sowieso nicht an, weil die Angebote zuerst an die gehen, die Leistungen beziehen (also Kosten verursachen). Dies ist auch ein gutes Beispiel dafür, daß es nicht sein kann, daß man eine Theorie „aus der Erfahrung“ extrahiert: Ohne ein theoretisches Vorverständnis kann man gar keine Erfahrung machen: Die Theorie geht bereits in die Kriterien ein, nach denen man die Arbeitslosen erfaßt. In den Arbeitslosenzahlen ist die Theorie also bereits enthalten.12 Das ist übrigens kein Spezialproblem der Sozialwissenschaften. 13 In den Naturwissenschaften ist dies kein bisschen anders: Die Werte, die Sie im Labor messen, messen Sie ja mit Hilfe von Instrumenten – Amperemeter, Oszillograph ... – und diese Instrumente wurden auf der Basis der gleichen Theorie entwickelt, die die Daten im Versuch testen sollen. In der Erfahrung – in den Werten, die das Experiment Ihnen liefert – steckt also bereits die Theorie mit drin. 11 Vgl. ausführlicher Kapitel 11 12 So liegt die Arbeitslosigkeit in den USA derzeit (2010) - je nach dem ob man nur die gemeldeten Arbeitslosen zählt oder alle, die eine Arbeit suchen - zwischen knapp 10% im ersten und 17% bis 19% im zweiten Fall. 13 Im Gegenteil wurde die hier vertretene neuere Wisssenschaftstheorie gerade an den Naturwissenschaften entwickelt. Vgl. Kuhn, Die Logik wissenschaftlicher Revolutionen, Stegmüller oder Feyerabend: Against Method. (dt. : Wider den Methodenzwang) S. 8 1 Fragestellung, Methode Karl Betz Was macht Theorie nun? Sie versucht, unsere Erfahrungen zu erklären und sie tut dies, in dem sie unsere Vorstellung von der Welt – hier von ökonomischen Zusammenhängen – systematisiert. Sie entwickelt Modelle – aber diese Modelle sind in sich konsistente Modelle unserer Vorstellung, wie Wirtschaft im Prinzip funktioniert, nicht Modelle einer "Wirklichkeit an sich". Wenn Sie diese beiden Aussagen zusammennehmen: - Ökonomische Theorien systematisieren unsere Vorstellung davon, wie die Wirtschaft funktioniert - und: Menschen können unterschiedliche Vorstellungen haben dann kommen Sie zusammen gefaßt auf die Aussage: Es kann unterschiedliche Theorien geben. Und es gab und gibt sie auch: Die Klassik etwa (Smith / Ricardo / Marx bzw., um jüngere Vertreter zu nennen: Sraffa, Passinetti, Garegnani) versucht, die Ökonomie als gesellschaftliche Produktion zu verstehen. Die Neoklassik versteht sie (in der Folge von Walras) als Tausch. Und bei Keynes geht es vor allem um Geld. Kriegen Sie die Sache aber nicht in den falschen Hals: Die Theorien erklären nicht unterschiedliche Aspekte, die es in einer Ökonomie alle gibt (Produktion, Tausch und Geld) sondern sie erklären die gleichen Aspekte nach einem anderen Schema. Für die Neoklassik etwa ist Produktion einfach ein Tausch – ein Tausch von Gütern, die in die Produktion eingehen (Inputs) gegen die Güter, die durch den Produktionsprozeß entstehen (Outputs). Und Geld ist einfach ein allgemeines Tauschmittel, auf das die Gesellschaft sich geeinigt hat. Die herrschende Theorie heute ist die neoklassische angebotsorientierte Theorie. Über Keynes etwa gibt es das schöne Bonmot: As Keynes said: „In the long run we are all dead“ – now we are in the long run and Keynes is dead. Aber Tote können wiederauferstehen: In der Folge der letzten Weltwirtschaftskrise waren auf einmal wieder Konzepte und Wirtschaftspolitik en vouge, die man längst zusammen mit Keynes beerdigt glaubte. Warum wird dies hier breit getreten? Sie sollten sich klar machen, daß abweichende Meinungen in der Ökonomie zwar daran liegen können, daß eine der beiden Kontrahentinnen falsch liegt. Sie können aber eben auch daran liegen, daß die beiden Positionen von Standpunkt unterschiedlicher Theorien aus argumentieren. Welchen Ansatz man für richtig hält, hat aber nichts mit einem „objektiven“ Wahr oder Falsch zu tun, sondern viel mehr damit, was man für plausibel hält und was nicht. Allerdings: Wenn man einen Ansatz – also eine Satz von Ausgangsannahmen – wählt, dann muß man auch immer konsistent in diesem Rahmen argumentieren. Also nicht, da wo es einem paßt Marx nehmen, woanders Keynes und dann zu Adam Smith wechseln, weil die Aussage gerade so schön plausibel klingt. Gerade in der (Theorie der) Wirtschaftspolitik hat die Vorherrschaft eines einzigen Ansatzes (der Neoklassik, bzw. ihrer Kampfversion, des Neoliberalismus) dazu geführt, daß wirtschaftspolitische Entscheidungen für alternativlos gehalten wurden. Gerhard Schröder hatte dies vor seiner ersten Wahl auf den Satz gebracht: „Es gibt keine linke oder rechte Wirtschaftspolitik, nur gute und schlechte.“ und in der Folge wurden viele Entscheidungen der politischen Debatte entzogen und an scheinbar objektive Expertenkommissionen übertragen (Hartz-Kommission zur Reform des Arbeitsmarktes, Rürup-Kommission zu Reform der Rentenund später der Krankenversicherung ...). Die Gegenposition dieses Skripts ist, daß Politikvorschläge immer allenfalls so zwingend sind, Einführung in die VWL 1 Fragestellung, Methode ... S.9 wie die Theorie, aus der heraus sie entwickelt wurden. Daß es unterschiedliche Theorien und daher unterschiedliche Wirtschaftspolitiken geben kann. Und daß die Wahl zwischen Alternativen eben eine politische Wahl ist – die durch Expertenkommissionen nur scheinbar entpolitisiert wird, weil die Empfehlung der Kommissionen dadurch präjudiziert wird, welche Experten man auswählt. Dieses Skript wird (im ersten Teil) in weiten Zügen der herrschenden Lehre folgen, also der neoklassischen Tauschökonomie. Dabei aber angeben, wo die Schwachstellen des Ansatzes sind und, wo dies sinnvoll erscheint, Alternativen skizzieren.14 1.4 Einige Prämissen Ein Kreuzfahrtschiff sinkt und es überleben nur drei Personen, ein Physiker, ein Chemiker und ein Ökonom. Sie stranden auf einer einsamen Insel und mit ihnen wird eine große, stabile Dose Wiener Würstchen an den Strand gespült. Der Chemiker sagt: Ich werde Salz aus dem Meer extrahieren und eine Säure anmischen, um die Dose zu öffnen. Eine Woche lang probiert er dies, aber die Dose gibt nicht nach. Sagt der Physiker: Lass mich mal ran, ich werde über Hebel und Kräfte versuchen, die Dose zu öffnen, auch dies wir eine Woche probiert. Währenddessen sitzt der Ökonom die ganze Zeit am Strand und bräunt sich, bis die beiden anderen kommen und mächtig hungrig den Ökonomen anpaulen: Wir versuchen, hier unser Leben zu retten und Du trägst nichts dazu bei. MACH WAS!!! … Darauf sagt der Ökonom: Jungs ich weiß gar nicht was ihr habt. „Nehmen wir doch einfach mal an, die Dose wäre offen“. 15 Eine Theorie, das wurde schon in 1.3 betont, kann nicht aus Beobachtungen extrahiert werden. Vielmehr wird sie aus einzelnen Annahmen entwickelt, die dann, ganz wie in der Mathematik, zu einem System von Aussagen entfaltet werden. Sodann mag man sich fragen, ob diese Aussagen geeignet sind, die Erfahrungen, die man in der Praxis macht, zu erklären. (Und, wie gesagt, Erfahrungen können nicht nur auf eine einzige Art erklärt werden.) Die Theorie besteht also weder in Definitionen. Die fallen unter den Oberbegriff der Taxonomie und sind praktisch alle in der Wikipedia abrufbar. Deswegen wird hier kein großer Wert auf sie gelegt werden und sie werden in der Klausur auch nicht abgeprüft werden. (Allerdings: Ein paar Begriffe sollten Sie sich schon merken, damit wir uns unterhalten können: Was ist ein Preis und so.) Und sie besteht auch nicht in historischen oder sonstigen Daten – sowas läuft unter Wirtschaftsgeschichte oder, wenn es sehr mathematisch zugeht, unter Ökonometrie. (Allerdings ist es hilfreich, sich mit der Zeit ein paar Daten zu merken, um Größen einschätzen zu können – ob eine Reduktion des Haushaltsdefizits um 60 oder 80 Mrd. viel oder wenig ist, kann man leichter einschätzen, wenn man im Hinterkopf hat, daß das Volkseinkommen der BRD bei rund 2,8 Billionen liegt und die Steuereinnahmen so bei rund einem Drittel liegen.) Auch solche Zahlen werden aber in der Klausur nicht abgefragt werden. Falls sie gebraucht werden, werden sie in der Aufgabenstellung gegeben werden. Der wirkliche Kern der Theorie besteht in den (in diesem Lehrbuch: kleinen) Modellen, die aus relativ unscheinbaren Ausgangsannahmen entwickelt werden. Der Rest dieses Eingangskapitels wird vier simple Ausgangsannahmen kurz vorstellen. Und in den folgenden Kapiteln geht es dann 14 Für den unwahrscheinlichen Fall, daß die ein odere andere von Ihnen gerne mehr über die anderen Ansätze wissen möchte, stelle ich zwei ältere Skripte ins Netz: Eines zur Preistheorie und eines zur Beschäftigung. 15 http://iiso-web.fb7.uni-bremen.de/verschiedenes/witziges.html S. 10 1 Fragestellung, Methode Karl Betz in die Theorie – also in die Modelle und ihre Anwendungen auf Fragestellungen. Annahme 1: Individuen wählen zwischen Alternativen. Das beinhaltet zunächst einmal, daß Entscheidungssituationen Alternativen zu Grunde liegen. Wenn Sie mit 20 € in eine Kneipe gehen, ist die Frage: „Soll ich ein Bier oder einen Korn trinken?“ keine Alternative. Sie können ja beides16. Eine Alternative wäre hingegen: Soll ich ein Bier trinken und mit 18 € nach Hause gehen oder nehm' ich auch noch 'nen Korn und hab dann nur noch 15 € übrig? Alternativen schließen einander gegenseitig aus: Die Entscheidung für die eine Alternative ist zugleich eine Entscheidung gegen alle anderen. Dies liegt daran, daß die Menschen, wie Erich Schneider in seinen Vorlesungen zu formulieren pflegte, „unter dem kalten Stern der Knappheit“ leben. Unsere Mittel sind beschränkt und unsere Bedürfnisse, jedenfalls im Verhältnis zu den Mitteln, sie zu befriedigen, unendlich. Daher müssen die knappen Mittel so eingesetzt werden, daß mit ihnen ein Maximum an Zielerfüllung realisiert werden kann. Genau dieser Konflikt: Knappe Mittel und diese Mittel übersteigende Bedürfnisse ist es, der Menschen zwingt, zu wirtschaften. Damit ist nicht gesagt, daß immer alle Mittel knapp sind – manches mag es im Überfluß geben: Streusand in der Sahara, oder (derzeit noch) atembare Luft und Eis am Nordpol sind Beispiele hierfür. Aber weil von diesen Gütern genug da ist, ist es eben nicht notwendig zu wirtschaften. Mann nimmt sich kostenlos so viel man will und den Rest läßt man liegen – auf Fachchinesisch: Dies sind „Freie Güter“ (der Preis ist Null) von denen jede die Sättigungsmenge nachfragt (nimmt, so viel sie braucht). Annahme 2: (Opportunitätskosten): Die Kosten einer Alternative bestehen in dem, was man dafür aufgibt. Wenn Sie zwischen einander ausschließenden Alternativen wählen müssen, dann bedeutet die Entscheidung für eine Alternative zugleich, daß Sie alle übrigen Alternativen nicht mehr wählen können. Ökonomen sagen daher auch gerne: „There is nothing like a free lunch“: Die Kosten einer gewählten Alternative bestehen im Verzicht auf den Vorteil aus der nicht gewählten zweitbesten Alternative. (Nicht etwa: Aller nicht gewählter, denn Sie hätten statt der gewählten ja nur eine andere Alternative wahrnehmen können.) Wenn ihre Freundin Sie für Sa. Nachmittag zum Kaffee trinken einlädt (Frauen können ja so wenig einfühlsam sein) dann bestehen die Opportunitätskosten der Live-Übertragung Mainz gegen St. Pauli im entgangenen Kaffee trinken mit Ihrer Freundin. (Naja, eigentlich, weil die zweitbeste Alternative ist ja entscheidend, in der Live-Übertagung von Dortmund gegen Hoffenheim). Nicht ganz trivial ist, daß mit dieser Definition ein anderer Kostenbegriff eingeführt wird, als in der BWL. Während in der BWL nur die expliziten Kosten, also Ausgaben erfaßt werden, gehören zu den Opportunitätskosten auch Kosten, denen kein Zahlungsstrom gegenübersteht – also z.B. der Verzicht auf Einnahmen aus einer anderen Verwendung des Vermögens (Eigenkapitalverzinsung) oder der Verzicht auf eine andere Verwendung seines Zeitbudgets (entgangener Nutzen aus Freizeit). Annahme 3: Menschen wählen die Alternative, die sie für die beste halten. Oder anders, Menschen versuchen, aus den vorgegebenen knappen Mitteln, die ihnen zu Gebote stehen, das Beste für sich herauszuholen – damit ein Maximum an Bedürfnisbefriedigung zu erzielen. 16 Von bestimmten Etablissements, in denen Sie für 20 € gerade mal ein Getränk bekommen, sehen hier ab, da dieses Buch jugendfrei ist. Einführung in die VWL 1 Fragestellung, Methode ... S.11 Dies erinnert daran, daß die VWL – zumindest für die Haushalte – nur formale, nicht substantielle Rationalität unterstellt. Sprich: Es wird kein Ziel vorgegeben und die Alternativen werden von der Theorie selbst nicht bewertet – sowas ist Hauswirtschaftslehre, in der gefragt wird, wie viel Vitamine eine Mahlzeit enthalten sollte. Formale Rationalität fragt hingegen nicht danach, was jemand für das Beste halten sollte, sondern danach, was er (warum auch immer) jeweils für das beste hält. Wenn jemand auf junk food steht, trifft er eine rationale Wahl, wenn er einen Burger einem Salat vorzieht und der Vegetarier trifft eine rationale Wahl, wenn er das umgekehrte wählt. Allerdings ist hier schon eine starke implizite Prämisse im Spiel: Es muß nämlich unterstellt werden, daß die Menschen auch alle in Frage kommenden Alternativen kennen und korrekt darüber informiert sind. (Vgl. den Anhang zu Kapitel 2). Einzig bei Unternehmen wird eine substantielle Rationalitätsannahme getroffen: Unternehmen haben das Ziel, ihren Gewinn zu maximieren. (Bedenken Sie aber, daß auch hier – über die Opportunitätskosten – nicht-pekuniäre Motive eine Rolle spielen können.) Das heißt jetzt jedoch nicht, daß die VWL konkrete Motive zu erforschen sucht. Die Annahme dient vielmehr dazu, sich um diese Frage herum drücken zu können: Wenn Menschen die Alternative wählen, die sie für die beste halten, dann muß ihnen das Gut, das sie kaufen, zum Zeitpunkt des Kaufs auch (mindestens) so viel wert gewesen sein, wie sie dafür gezahlt haben – sie hatten ja die Alternative, ihr Geld zu behalten.17 4. Rational entscheidende Individuen denken in Grenzbegriffen. Daß die Akteure ein Maximum an Zielerfüllung bei gegebenen knappen Mitteln anstreben, sagt doch im Kern nichts anderes, als: Maximiere die Zielerfüllung unter den Nebenbedingungen .... Sprich, es wird postuliert, daß die Akteure maximieren. Nun, eine Funktion maximiert man, in dem man die erste Ableitung gleich Null setzt. 18 Wenn Sie also abends in eine Kneipe gehen, müssen Sie sich bei jedem weiteren Bierchen fragen: Ist mir das nächste Bierchen noch 2 € wert, oder habe ich genug? Damit diese Überlegung auch wirklich zu einem Maximum führt, ist eine weitere Annahme erforderlich (Gossen'sche „Gesetze“): Erstens: Nichtsättigung: Jede weitere Einheit eines Gutes erhöht meinen Nutzen. Das ist letztlich weniger dramatisch als es sich anhört: Wenn Sie von Gut 1 genug haben, können Sie ihr Einkommen für mehr an Gut 2 einsetzten – da der entgangene Nutzen aus Gut 2 die Opportunitätskosten der Nachfrage nach Gut 1 sind folgt, daß Sie, solange irgend ein Gut noch einen positiven Nutzen für sie hat, mit dem weiteren Kauf von Gut 1 aufhören, ehe dessen Grenznutzen den Wert Null erreicht hat. Und wenn ich von allem genug habe? Naja, entweder Sie haben nur von allen Gütern (inkl. Ihrem Vermögen) genug – warum schränken Sie dann nicht Ihr Einkommen ein, und leisten sich statt dessen mehr Freizeit (die aber einen positiven Grenznutzen hat)? Oder Sie haben tatsächlich von allem genug – dann scheiden Sie aber per Suizid aus der 17 Insoweit greift die Kritik der Verhaltensökonomen, die in Experimenten überzeugend beweisen, daß Menschen nicht immer aus guten Gründen entscheiden, hier ein wenig ins Leere, weil ja gar nicht unterstellt wird, daß die Gründe, aus denen Menschen eine Alternative für besser halten, in irgend einem Sinne vernünftig sind. Andererseits trifft sie schon die wohlfahrtsökonomische Interpretation, die zeigen will, daß Märkte die Wohlfahrt aller Beteiligten steigern. Auf diese Aspekte wird in diesem Skript aber auch verzichtet. 18 Das gilt streng genommen nur für ein inneres Extremum und es ist ferner nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung, denn könnten ja ebensogut in einem (lokalen) Minimum gelandet sein. Hier wird durchgängig einfach unterstellt, daß ein inneres Extremum vorliegt und die Bedingungen zweiter Ordnung erfüllt sind. Wäre eigentlich nicht erforderlich, macht die Sache aber einfacher. S. 12 1 Fragestellung, Methode Karl Betz Ökonomie aus und brauchen daher im Modell auch nicht weiter betrachtet zu werden. Zweitens: Abnehmender Grenznutzen: Der Grenznutzen eines Gutes sinkt mit dem Konsum jeder weiteren Einheit. Das scheint zumindest insofern plausibel, als es plausibel erscheint, daß man ein Gut zunächst den wichtigsten Verwendungen zuführt, ehe man es für die weniger wichtigen einsetzt. Wenn man sich sehr wenig Wasser leisten kann, wird man es also erstmal für den Pernot benutzen und erst danach, falls man sich mehr leisten kann, für den Kaffee, den Abwasch ....19 Fragen zum ersten Kapitel Verständnisfragen 1) Versuchen Sie, sich irgend eine Tätigkeit vorzustellen, die Sie ausüben können, ohne daß Sie dabei auf Leistungen anderer zurückgreifen. Vorschläge? 2) Sie trinken eine Tasse Kaffee – welche unterschiedlichen Produktionsprozesse sind involviert? 3) Welchen Studienabschluß streben Sie an? Was könnten Sie mit ihrer Qualifikation in einer Gesellschaft mit wenig entwickelter Arbeitsteilung anfangen? 4) Nehmen Sie an, Ihre Heimatgemeinde wird durch eine Naturkatastrophe von der Außenwelt abgeschnitten. Was passiert nach einem Tag? Was nach einer Woche? Was nach einem Monat? 5) „Was unterschiedet ein VWL- und ein BWL-Studium? Die Opportunitätskosten.“20 Bitte erklären Sie den Witz 6) Kennen Sie Freie Güter? 7) Welche der folgenden Fragen formulieren Alternativen? Bitte begründen Sie. Soll ich in die Vorlesung gehen oder länger schlafen? Soll ich ein Bier oder einen Korn trinken? Soll ich dieses Semester Vwl oder Bwl schreiben? Soll ich mich heute (den ganzen Tag) auf die Vwl oder auf die Bwl Klausur vorbereiten? 8) Menschen haben unendliche Bedürfnisse und knappe Mittel, sie zu befriedigen - inwiefern und in welcher Ausprägung steckt in dieser Aussage das ökonomische Prinzip drin? 19 Allerdings widerspricht diese Annahme dem verbreiteten Phänomen, daß man sich erstmal warmtrinken muß, daß das dritte Bierchen also besser schmeckt als das erste. 20 http://iiso-web.fb7.uni-bremen.de/verschiedenes/witziges.html Einführung in die VWL 1 Fragestellung, Methode ... S.13 Anwendungen 1) Eines Morgens wachen Sie auf und es ist ein wunderschöner Wintertag im Sauerland und Sie überlegen sich, ob Sie nicht nach Winterberg zum Skifahren gehen sollen. Wenn Sie ehrlich gegen sich selbst sind, dann ist Ihnen dieser Skiausflug € 60 wert. Das ist gewissermaßen der höchste Betrag, den Sie an diesem Morgen dafür ausgeben würden. Die Kosten für den Skiausflug belaufen sich auf € 40 und setzen sich aus dem Bustransfer, der Liftkarte und der Miete für die Skiausrüstung zusammen. Der Ausflug dauert 5 Stunden. a) Als Alternative können Sie an der Fachhochschule in Meschede als studentische Hilfskraft (SHK) tätig sein. Die Arbeit dort macht Ihnen so viel Spaß, dass Sie auch ohne Bezahlung arbeiten würden, aber Sie erhalten einen Stundenlohn von € 9. Wenn Sie sich rational entscheiden, fahren Sie Ski oder gehen Sie an die FH? b) Warum werden die Kosten für das Mittagessen nirgends aufgeführt? c) Wenn Sie als Alternative nicht als SHK, sondern als Tellerwäscher zum gleichen Lohnsatz in der Mensa tätig wären, dann macht die Arbeit viel weniger Spaß. Sie sind daher nicht bereit, für weniger als € 6 pro Stunde als Tellerwäscher zu arbeiten. Zur Vereinfachung gehen Sie bitte davon aus, dass Sie sehr flexible Arbeitszeiten haben. Es macht dem Manager der Mensa nichts aus, wenn Sie mal einen Tag nicht kommen. Wenn Sie sich rational entscheiden, fahren Sie Ski oder arbeiten Sie in der Mensa? 2) Sie gewinnen € 1.000 im Lotto. Sie haben die Möglichkeit, das Geld auszugeben oder für ein Jahr zu 5% Zinsen auf ein Konto einzuzahlen. Welches sind die Opportunitätskosten für € 1.000 Ausgaben sofort? 3) Wenn ein Unternehmen im Gewinnmaximum produziert, produziert es immer zugleich in seinem Kostenminimum - können Sie diese Aussage schon beweisen? 4) Noch vor wenigen Jahren waren die Läden in der Bundesrepublik bis auf wenige Ausnahmen nur Werktags von 9:00 bis 18:30 und Samstags bis 14:00 geöffnet. Die Handelsverbände machten sich erfolgreich für eine Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten stark. Welche Überlegung der Mitgliedsfirmen könnte wohl hinter dieser Forderung gestanden haben. Welche gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen könnte sie wohl gehabt haben? Hinweis: Überlegen Sie sich. Was passiert mit dem Umsatz eines Ladens, wenn dieser länger öffnet? Was passiert mit dem Umsatz aller Läden, wenn alle länger auf haben? 5) Sie kommen in eine Kneipe und haben 10 € in der Tasche. In der Kneipe gibt es nur Bier zu 2 € / Glas. a) Beschreiben Sie die Alternativen vor denen Sie stehen verbal und in einer Tabelle. (Damit Sie fertig werden: Nehmen Sie bitte nur ganzzahlige Werte an.) b) Kriegen Sie das auch grafisch hin? (In der Grafik sollten Bier und Geld auf den Achsen stehen.) c) Können Sie eine Möglichkeit formulieren, die nicht zu den Alternativen zählt? Begründen Sie, warum nicht. d) Die Kneipe hat gerade ihr Angebot ausgeweitet. Neben Bier gibt es nun auch Korn zu 4 €/Glas. Wie würden Sie Ihre Alterativen jetzt beschrieben? S. 14 1 Fragestellung, Methode Karl Betz da) als Tabelle db) als Diagramm? 6) Sie haben 12 Gutscheine für den nächsten Jahrmarkt gewonnen. Die Gutscheine sind nur für diesen Jahrmarkt gültig und können nicht übertragen werden. Sie werden angenommen von der Geisterbahn, dem Riesenrad und der Achterbahn. Der folgenden Tabelle können Sie entnehmen, wie viel Gutscheine Sie für eine Fahrt jeweils brauchen (1. Zeile). Die folgenden Zeilen geben Ihre persönliche Wertschätzung an. Der Eintrag bei Riesenrad, Fahrt Nr. 2, besagt also, daß Sie der zweiten Fahrt mit dem Riesenrad einen Nutzen in Höhe von 2 zumessen. Attraktion Kosten [Gutscheine] Geisterbahn Riesenrad Achterbahn 2 3 1 Ihre Wertschätzung Fahrt Nr. 1 4 6 2 Fahrt Nr. 2 3 2 1,5 Fahrt Nr. 3 2 1 1 Fahrt Nr. 4 1 0,5 0,25 a) Wofür geben Sie Ihre Gutscheine aus? b) Welche Regeln haben Sie angewandt, um Ihre Entscheidung zu treffen? Bitte nennen Sie nicht nur die (4) Regeln, sondern erläutern Sie auch, was diese in diesem Falle konkret bedeuten. 7) Ökonomen sagen gerne "There is nothing like a free lunch." Bitte erläutern Sie an einem Beispiel. 8) Eines der Mitglieder des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung wird auf Vorschlag der Gewerkschaften berufen. Zur Zeit ist dies Bofinger. Dieser gibt häufig abweichende Meinungen im Gutachten zu Protokoll. Woran könnte dies liegen? Einführung in die VWL 2 Das Marktmodell S. 15 2 Das Marktmodell Lernziele: Die Studierenden verstehen Märkte organisieren das Wirtschaften Das Marktmodell formalisiert das Zusammenspiel von Preisen und Mengen. Dargestellt wird es als Marktdiagramm oder in Form von Angebots- und Nachfragefunktion. Betrachtet werden zwei Typen von Märkten: Güter- und Faktormärkte. Die entscheidenden Akteure sind Anbieter und Nachfragerinnen. Auf dem Gütermarkt sind dies Unternehmen (Produzentinnen) und Haushalte (Konsumenten). Es wird unterstellt: Die Nachfragefunktion verläuft (monoton) fallend, die Angebotsfunktion (monoton) steigend. Im Marktgleichgewicht (p*, x*) stimmen die Pläne von Anbietern und Nachfragern überein. Im Gleichgewicht haben alle identischen Güter den gleichen Preis. Es gilt die non-Arbitrage Bedingung Außerhalb des Gleichgewichts ändern sich die Preise und setzen einen Prozeß zum Gleichgewicht in Gang. Die Studierenden können ein Gleichgewicht graphisch und algebraisch bestimmen. Die Stärke der Reaktion der Menge auf eine Preisänderung mißt man mit der Elastizität. 2.1 Ein erster Überblick: Ein simples Kreislaufmodell Ich starte mal mit einem groben Überblick darüber, was eigentlich zu erklären ist. Menschen müssen wirtschaften, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Zu diesem Zweck produzieren und konsumieren sie. Die VWL faßt alle Entscheidungen, die unter dem Oberbegriff konsumieren, dem (End-)Verbrauch von Gütern und Diensten, laufen, unter der Überschrift „Haushalte“ zusammen und alle Entscheidungen, die mit der Erstellung dieser Güter zusammenhängen, unter dem Oberbegriff „Unternehmen“. Bitte verwechseln Sie die Begriffe „Haushalte“ und „Unternehmen“ nicht mit in der „Realität“ vorkommenden Akteuren. Sie stehen für bestimmte Kalküle und Entscheidungen, die zu treffen sind. Natürliche Personen können selbstverständlich sowohl Haushalts- als Unternehmensentscheidungen zu treffen haben. (Auch Unternehmer müssen essen.) Zunächst sei angenommen (ich werde diese Vereinfachungen später fallen lassen), daß in der Produktion nur Arbeit eingesetzt wird und daß es neben Haushalten und Unternehmen keine weiteren Akteure gibt (also keinen Finanzsektor, keinen Staat, kein Ausland), dann kann man den Fluß von Geld, Gütern und Leistungen wie folgt darstellen: Wie Haushalte und Unternehmen miteinander interagieren, kann ein einem Kreislaufdiagramm S. 16 2 Das Marktmodell Karl Betz dargestellt werden. Hier wird es zunächst in der einfachsten Form vorgestellt, der Sogenannten geschlossenen Volkswirtschaft (Staat und Ausland werden nicht betrachtet) ohne Investitionen (Haushalte können nicht sparen und Unternehmen nicht investieren). In den Makroabschnitten (Kapitel 7 folgende) wird das Modell noch um diese Aspekte erweitert werden. Vorläufig aber sind die Vereinfachungen hilfreich, um besser den Überblick zu behalen. Abb.2.1: Ein einfaches Kreislaufschema Zunächst ist zu bemerken, daß in diesem Kreislaufschema unter „Unternehmen“ alle Unternehmen einer Volkswirtschaft zusammen gefaßt sind. Und unter Haushalte alle Haushalte. Das erhöht die Übersichtlichkeit schon mal beträchtlich, weil man jetzt auf alle Transaktionen zwischen Haushalten nicht mehr eingehen muß und ebenso alle Transaktionen zwischen Unternehmen wegfallen: Der Vorleistungskauf eines Unternehmens ist der Verkauf eines anderen. Die Güter bleiben im Unternehmenssektor und das Geld ebenfalls, weil es nur von einem Unternehmen an ein anderes weitergegeben wurde. Gibt ein Haushalt einem anderen einen Kredit, dann hat Haushalt A eine Forderung und Haushalt B eine Verbindlichkeit – erneut verschwindet der Vorgang, wenn man über alle Haushalte aufsaldiert (zusammenzählen). Die Zahlen in Klammern bezeichnen die Schnittstellen der Sektoren zu den beiden Typen von Märkten, Güter- und Faktormärkte, wobei die gestrichelten Linien die Geld- und die durchgezogenen Linien die realen Leistungsströme darstellen. (1) Die Unternehmen bieten am Gütermarkt Güter und Dienstleistungen an. Sie nehmen Geld aus dem Verkauf der Güter ein. (3) Die Haushalte fragen am Gütermarkt Güter und Dienstleistungen nach. Sie zahlen diese mit Geld. (2) Die Unternehmen fragen am Faktormarkt Faktorleistungen: Arbeit, Boden (und, wenn Kapital zugelassen wird: Kapitaldienste) nach und zahlen dafür Faktoreinkommen (Löhne, Bodenrente (Pachten) und Zinsen). (4) Die Haushalte bieten am Faktormarkt Faktorleistungen an und erzielen ein Einführung in die VWL 2 Das Marktmodell S. 17 Faktoreinkommen. Das Modell heißt „Kreislauf“modell, weil es zwei Eigenschaften eines geschlossenen Kreislaufs aufweist Erstens: Was von jedem der Pole (derzeit: Unternehmen und Haushalte) abfließt, kommt an einem anderen Pol wieder an. Zweitens: Was an jedem Pol zufließt, fließt auch wieder ab. (1) und (2) Unternehmen treffen Produktionsentscheidungen. Sie legen fest, wie viele Güter sie anbieten wollen und entscheiden, welche Faktorleistungen (vorläufig ist das nur Arbeit) sie benötigen, um diese Güter herzustellen. Zufluß = Abfluß: Alle eingekauften Faktorleistungen werden (durch die Produktion) in Güter des Endverbrauchs transformiert und diese werden an die Haushalte verkauft. Alle Einnahmen aus dem Verkauf werden an die Haushalte weitergereicht. Die Güter, die die Unternehmen (unter 2) an die Haushalte verkaufen, sind gleich dem (bewerteten) Output des Unternehmenssektors. Und da die Unternehmen (unter 3) alles, was sie in diesem Verkauf eingenommen haben (die Verkaufserlöse) in Form von Löhnen und Gewinnen an die Haushalte abführen,1 ist der Wert der neu erstellten Güter zugleich gleich der Summe der Einkommen, also gleich dem Volkseinkommen. Es mag Sie jetzt etwas stutzig machen, daß die Unternehmen alle Erlöse an die Haushalte abführen – was ist denn mit den einbehaltenen Gewinnen? Nun, ein Unternehmen gehört ja einem (oder mehreren) Haushalt(en). Und damit gehören dem auch die Gewinne. Die Entscheidung, diese nicht zu entnehmen, ist eine Haushaltsentscheidung – und beiläufig eine, über die ich (zur Zeit) noch nicht reden kann, weil ich die Möglichkeit zu sparen ja noch gar nicht thematisiert habe. (Allenfalls könnte der Haushaltssektor in unserem Grundmodell sparen, indem er haltbare Güter kauft.) Der Unternehmenssektor wüßte zur Zeit auch noch gar nicht, was er mit der Ersparnis der Haushalte anfange sollte – Kapitalgüter als Input habe ich ja auch noch nicht zugelassen. (1) und (3) Dem Güterfluß steht ein Geldfluß gegenüber: Güter werden durch Kauf und Verkauf übertragen (kein Diebstahl, keine Geschenke). (2) und (4) Den Faktorleistungen steht ein Einkommensstrom gegenüber (keine Zwangsarbeit). (3) und (4) Alles was die Haushalte an Einkommen von den Unternehmen bekommen, geben sie in Form von Konsumnachfrage wieder aus. Daß das jetzt nur Konsumnachfrage ist und die Haushalte nicht sparen können, ist erstmal unserer ersten Vereinfachung geschuldet und wird später aufgehoben werden. Abgesehen davon bedeutet die Bedingung aber nur, daß die Haushalte alles, was sie an Einkommen einnehmen, auch wieder für irgendetwas verwenden. Und da es vorläufig nur den Konsum als Verwendungszweck gibt, heißt das eben, daß sie es für die (Konsum)Nachfrage ausgeben. Aber gibt es nicht so etwas wie eine „Sättigung der Bedürfnisse?“. Ja, das ist schon denkbar – aber bedenken Sie bitte, daß Einkommenserzielung mit Nachteilen verbunden ist („Arbeit ist ätzend“). Die Haushalte entscheiden gleichzeitig über ihr Faktorangebot und ihre Konsumnachfrage. Sie werden also, wenn sie weniger nachfragen wollen, gleichzeitig weniger Faktorleistungen zum Verkauf anbieten. Sie reduzieren also ihr (geplantes) 2 Angebot und ihre 1 Unternehmen verwenden ihre Erlöse doch auch, um Vorleistungen zu bezahlen. Ja, jedes einzelne Unternehmen tut dies. Aber es bezahlt ein anderes Unternehmen. Aus dem Sektor Unternehmen fließt Geld nur in Form von Löhnen und Gewinnen ab (wobei Zinszahlungen gesamtwirtschaftlich als Gewinne behandelt werden). (Und in Form von Steuern. Aber der Staat ist ja noch nicht in das Modell eingebaut.) 2 Der Punkt, daß hier von Plänen die Rede ist, wird später wichtig werden, wenn ich von der neoklassischen zur keynesianischen Theorie übergehe. Erstens können Pläne bekanntlich schief gehen. Dies ist der Ansatz für die S. 18 2 Das Marktmodell Karl Betz (geplante) Nachfrage gleichzeitig, so daß die Kreislaufbedingung „(3) = (4)“ (geplante Ausgaben = geplante Einnahmen) gewahrt bleibt. Als Summe dieser Annahmen ergeben sich die beiden nicht ganz so offensichtlichen Schlußfolgerungen: (1) und (4) Das Einkommen der Haushalte ist immer hoch genug, damit diese den gesamten produzierten Output kaufen können. Arbeitslosigkeit oder ein zu geringes Wachstum kann also nicht durch ein zu niedriges Einkommen der Haushalte verursacht sein. (2) und (3) Die Haushalte können nur mit dem Geld nachfragen, das die Unternehmen ihnen in Form von Faktorentlohnung ausgezahlt haben. Die Unternehmen können also nur das Geld wieder einnehmen, das sie zuvor (oder zeitgleich) den Haushalten gegeben haben. Marx hat das so formuliert: Die Kapitalisten als Klasse schießen sich ihre Gewinne selbst vor. Wachstum kann also nicht durch zu hohe (Geld-)löhne in Schwierigkeiten geraten. (Jedenfalls nicht solange noch kein Ausland im Modell ist.) Abb. 2.2: Die Phillips-Maschine Der neuseeländische Ökonom Phillips entwickelte 1950 eine Kreislaufdarstellung mit einem System kommunizierender Röhren, den moniac. Links das Modell, rechts die schematische Darstellung. Quelle: Fortune März 1952 S. 100 ff. OK. Als Resultat dieser Vorüberlegungen läßt sich schon mal festhalten, über welche Arten von Konjunkturtheorie. Ferner wird dann die Frage, von welche Art von Plänen die Rede ist, noch eine bedeutsame Rolle spielen (Keynesianisches vs. neoklassisches Gleichgewicht). Einführung in die VWL 2 Das Marktmodell S. 19 Märkten zu reden sein wird: Auf dem einen Typ von Märkten sind die Unternehmen die Anbieter und die Haushalte die Nachfrager. Dieser Markt heißt Markt für Güter und Dienstleistungen oder in der Folge kurz: Gütermarkt. Auf dem zweiten Typ sind die Haushalte die Anbieter und die Unternehmen die Nachfrager. Hier handelt es sich um die Faktormärkte, den Arbeitsmarkt (und den Kapitalmarkt). Weitere Faktorleistungen (Boden/natürliche Ressourcen) werde ich in diesem Skript in der Regel nicht beachten. 2.2 Das Marktmodell: Die Grundannahmen Zur Illustration vieler Problemstellungen wird in der VWL gerne Robinson herangezogen, der auf seiner Insel gestandet ist und nun seine Ressourcen (seine Zeit und die aus dem Schiffbruch geretteten Konsumgüter und Werkzeuge) so einteilen muß (allozieren, daher Allokationstheorie), daß er überleben kann. Hier wird das oben angesprochene Koordinationsproblem als bereits gelöst unterstellt. Das macht einerseits Sinn: Schließlich bekommen Sie ja (in der Regel) Ihre Tüte Milch im ALDI, die Koordination hat also in diesem Falle funktioniert. Andererseits können so aber Koordinationsprobleme, die praktisch sehr wohl auftreten, leicht überspielt und aus der Betrachtung ausgeblendet werden. Robinson weiß ja ob und wie viele Kokosnüsse er gerne haben möchte; es ist unlogisch, daß Robinson Fische fängt und erst hinterher feststellt, daß er Vegetarier ist. (Es kann also keine Strukturkrisen geben, in der einzelne Branchen schrumpfen.) Oder daß er wochenlang Wohnhöhlen einrichtet und erst nachher merkt, daß er ja nur eine braucht. (Eine Subprime-Krise ist also auf der Insel auch eher unwahrscheinlich.) Und es ist auch nicht so recht einzusehen, wie es Arbeitslosigkeit geben können sollte: Wenn Robinson länger arbeiten will (weil er noch eine weitere Kokosnuß möchte), dann tut er es halt. In einer Marktwirtschaft nun findet diese Koordination, die in Robinsons Fall in seinem Kopf – und beim oben erwähnten Bau eines Blockhauses beim Frühstück – stattfindet, über – Sie ahnen es sicher schon: – den Markt statt. Aber der Markt, von dem hier die Rede ist, ist weder ein orientalischer Basar, noch ein deutscher Supermarkt, sondern ein theoretisches Konstrukt. Er ist der logisch vorgestellte Ort, an dem ökonomische Interaktion über das Zusammentreffen von Preis- und Mengensignalen erfolgt. Wie sich (unter bestimmten Annahmen – vgl. Anhang) nämlich zeigen läßt, läßt sich eine komplexe Volkswirtschaft lediglich über Preis- und Mengensignale steuern. Ok. Unter Marktdiagramm im Sinne dieses Skripts soll ein Diagramm verstanden werden, welches die Nachfrage nach und das Angebot von einer Ware in Abhängigkeit von ihrem Preis darstellt. Lassen Sie uns zunächst die Begriffe klären Ware: Unter einer Ware oder einem Gut sollen sowohl Güter als Dienstleistungen verstanden werden, die Nutzen für den Endverbraucher stiften. Was ist mit Gütern, die Schaden verursachen? Nun, man könnte entweder eine negative Nachfrage formulieren und handelte sich formale Komplikationen ein3 - oder man definiert die Sache einfach um: Statt Abfall betrachtet man 3 Weil es dann negative Preise geben müßte und ich z.B. mit einem Quadranten für die Grafik nicht mehr hinkäme. S. 20 2 Das Marktmodell Karl Betz Abfallentsorgung oder statt Körperverletzung die Nachfrage nach Bodyguards u.s.w. Wichtig ist auch die Unterstellung, daß die betrachtete Ware homogen ist, in dem Sinne, daß es für Nachfrager keinen Unterschied zwischen den einzelnen Gütern gibt. Wenn diese Bedingung nicht erfüllt ist, müssen unterschiedliche Märkte betrachtet werden. Es gibt also keinen Markt für Rotwein (es sei denn, man unterstellt, es gäbe nur eine Sorte Rotwein), sondern ganz viele unterschiedliche: Einen Markt für Asti Spumante, einen für Bourdeaux Primeur, einen für Chateau La Tour 2003 etc. Was nicht so offensichtlich ist: Die Pommes von der Frittenbude mit der hübschen Verkäuferin sind für Sie evtl. nicht das gleiche Gut wie die an der Frittenbude nebenan. Und das Rettungsboot in Liverpool ist auch nicht das gleiche Gut wie das (ansonsten identische) Rettungsboot auf der Titanic nach dem meeting mit dem Eisberg - für letzteres hätten die Passagiere mehr gezahlt aus für ersteres. Nachfrage: Der Nachfrager ist derjenige, der ein Gut erwerben möchte und dafür etwas hergeben will. Angebot: Die Anbieterin bietet ein Gut an und möchte dafür im Gegenzug eine Gegenleistung erhalten, den Preis des Gutes. Preis: Der Preis ist das, was für die Überlassung der Ware gezahlt wird. Ist diese Gegenleistung ein Geldbetrag, so spricht man vom absoluten Preis (ein Apfel kostet 50 Cent), ist es eine andere Ware, so spricht man von einem relativen Preis (ein Apfel kostet eine Birne). Kauf / Tausch: Durchgängig wird unterstellt, daß Güter nur durch Kauf und Verkauf (oder Tausch) übertragen werden können. Schenkungen sind dabei nicht notwendig ein Problem: Ich kaufe das Gut und mein Nutzen besteht darin, daß jemand anders sich darüber freut. Kreditfinanzierung ist auch keines: Ich tausche das Gut gegen einen Zahlungsstrom in der Zukunft. Ausgeschlossen sind aber Diebstahl plus (und spätestens hier wird's kritisch) Pleiten (denn wenn ich meinen Kredit nicht zurückzahle, wäre der vereinbarte Tauschvertrag ja nicht erfüllt worden.) Abb. 2.3: Einfaches Marktdiagramm Einführung in die VWL 2 Das Marktmodell S. 21 2.2.1 Die Marktnachfrage Auf die (Markt-) Nachfragekurve kommt man, in dem man die individuellen Zahlungsbereitschaften aufaddiert. Nehmen Sie z.B. an, es gebe nur drei Nachfrager in der Volkswirtschaft: Tick, Trick und Track. Die beiden kommen an einem schwül heißen Tag in die Mensa und überlegen sich, ob sie ein oder mehrere Mineralwasser trinken wollen. (Wobei unterstellt sei, daß Mineralwasser ein homogenes Gut ist, daß es also in der Mensa nur eine Sorte Mineralwasser gibt.) Bevor sie den Verkäufer nach dem Preis fragen, überlegen sie sich, wie viel sie denn bei unterschiedlichen Preisen trinken wollen. Ihre Überlegungen seien in folgender Tabelle wiedergegeben: Wasserpreis (Cent) Wassernachfrage von ... Marktnachfrage nach Wasser Tick Trick Track 60 0 2 1 3 50 1 2 2 5 40 1 3 2 6 30 1 3 3 7 20 2 3 4 9 Um die Tabelle zu interpretieren: Zeile 2: Bei einem Wasserpreis von 60 c würde Tick überhaupt nichts kaufen. (Als Fieselschweifling weiß er nämlich, daß auf einen schwülen Tag oft ein Gewitter folgt - und er kann warten, bis er das Wasser kostenlos auffangen kann.) Trick hat so einen Brand, daß er trotz des Wucherpreises zwei Gläser Wasser herunter stürzen will und Track würde dann nur den größten Brand mit einem Glas Wasser löschen. Die letzte Spalte addiert alle Nachfragemengen beim jeweiligen Preis auf. Die Marktnachfrage ergibt sich also einfach als Summe der individuellen Nachfragen: Bei einem Preis von 60 Cent werden drei Glas nachgefragt. In den Spalten schlägt sich die Annahme des sinkenden Grenznutzens nieder: Ist Wasser sehr teuer (60 c), dann ist es Tick die Ausgabe nicht wert. Bei 50 c stillt er seinen größten Brand und erst wenn der Preis auf 20 c gefallen ist, ist er bereit, auch noch ein weiteres Glas zu kaufen, weil der Nutzen, den ihm das zweite Glas bringt, ihm nicht mehr als 20 c wert ist. (Die Tabelle sagt also nicht, daß Tick bei 50 c ein Glas kauft und bei 40 noch eins und so weiter, sondern daß er, wenn der Preis 40 ist, genau so viel kaufen würde - nämlich ein Glas - wie wenn er bei 50 steht.) Entsprechend sagt uns die Spalte der Marktnachfrage, daß bei einem Preis von 40 c sechs und bei einem Preis von 20 c 9 Gläser Wasser nachgefragt würden. Dieser Zusammenhang ist in Diagramm 2.4 als Kurve dargestellt - als Nachfragekurve nach Wasser: WasserNE. Die einzelnen Punkte der Tabelle wurden in das Diagramm übertragen und mit einer durchgehenden Linie verbunden. Letzteres anzunehmen ist deswegen wichtig, weil, wenn Nachfrage- und die Angebotsdiagramm nur aus einzelnen Punkten bestünde (die Funktionen also nicht stetig sind) sie sich unter Umständen nicht treffen würden, es also zu keinem Ausgleich (keiner Gleichheit von) Angebot und Nachfrage kommen könnte. Sie sehen übrigens, daß die Nachfragekurve bei den hier gewählten Werten nicht linear laufen (keine Gerade sein) würde. Das ist sie im allgemeinen auch nicht. Da es aber für das, was in diesem Skript zu zeigen ist, keinen S. 22 2 Das Marktmodell Karl Betz Unterschied macht4 ob die Nachfragefunktion linear ist oder nicht, wird im weiteren, weil's so leichter zu zeichnen und zu rechnen ist, davon ausgegangen, daß Nachfrage und Angebot durch Geraden abgebildet werden können. Abb. 2.4: Nachfrage nach Wasser Noch eins ist wichtig: Die Nachfragekurve gibt die Reaktion der nachgefragten Menge auf den Preis UND NUR AUF DEN PREIS wieder. Die Nachfrage nach Wasser hängt von einer ganzen Menge an Einflußfaktoren ab. Um nur einige zu nennen: Welche Getränke gibt es sonst noch und was kosten die? (Substitute) Wollen sie vielleicht auch etwas scharfes essen? (Komplemente) Sind auch die übrigen Fähnlein Mitglieder in der Kantine? (Größe des Marktes) Wie heiß ist es? (Umweltbedingungen) Wie viel Geld haben sie dabei?5 (Einkommen / Vermögen) Tick rechnet mit einem Gewitter (Erwartungen) .... Man stellt sich die Nachfragekurve daher am besten als partielle Ableitung der Nachfrage nach dem Preis vor. Wenn sich nur der Preis und sonst nichts ändert (ceteris paribus Bedingung), wie verändert sich dann die nachgefragte Menge? 4 Mit einer Ausnahme, auf die im Anhang zu diesem Kapitel eingegangen wird. 5 Falls Sie die Überlegungen zum Kresilaufschema noch im Hinterkopf haben sollten: Gesamtwirtschaftlich kann das Einkommen natürlich nicht vorgegeben sein - es wird an den Faktormärkten erwirtschaftet. Wenn ich alle Märkte gleichzeitig betrachte muß ich also sagen: Die Nachfrage hängt davon ab, welche Faktorleistungen die drei anbieten können und wie die Preise dieser Faktorleistungen sind. Einführung in die VWL 2 Das Marktmodell S. 23 Merken Sie sich schon mal: Wenn sich nur der Preis oder nur die Menge und sonst nichts ändert, bewegen Sie sich auf der Kurve: Die Wirkung der Größen, die an den Achsen stehen, aufeinander wird von der Kurve beschrieben. Wenn sich ein anderer Einflußfakor ändert, bewegt (verschiebt und / oder dreht) sich die Kurve. Dabei wird hier und im Hauptteil des restlichen Skripts unterstellt, daß die nachgefragte Menge zurück geht, wenn der Preis steigt. Und der Einfachheit halber unterstelle ich eine lineare Funktion. Es ist also: XNE = a - b · p mit a, b > 0 Ich belasse es hier bei dieser willkürlichen Unterstellung. In vielen Mikrolehrbüchern werden Sie Abschnitte finden, in denen die Nachfragekurve aus den Neigungen der Nachfrager hergeleitet wird (Präferenzaxiomatik und Indifferenzkurven). Ich habe in meinem Studium im ersten Semester VWL nichts anderes getrieben als das (Haushaltstheorie; das zweite Semester war Produktionstheorie). 6 Irgendwann bestand wohl mal die Hoffnung, man könne von ganz allgemeinen Annahmen herkommend zeigen, daß die Nachfragekurve immer fallen müsse. Kann man nicht. Was geblieben ist, ist Lehrstoff, den man halt schön abprüfen kann. Mache ich nicht. 2.2.2 Das Marktangebot Beim Marktangebot kann man sich folgende Fälle vorstellen Abb. 2.5: Unterschiedliche Verläufe der Angebotsfunktion 6 Oder, um ehrlich zu sein, ich hätte das tun sollen. Ich fand das Thema aber so ätzend, daß ich lieber die zeitgleiche Philosophieveranstaltung besucht habe. (Ging damals noch: Die Noten vom Vordiplom wurden im Diplom nicht angerechnet.) S. 24 2 Das Marktmodell Karl Betz a) Durchgezogene Kurve: Die angebotene Menge ist fix und hängt nicht vom Preis ab. Sowas ist immer dann realistisch, wenn keine Produktion möglich ist: Sage, das Angebot an Land, die Landfläche der Erde, sei fest vorgegeben. (Deichbau und Global Warming vernachlässige ich mal, bzw. ich unterstelle, beides hänge nicht vom Landpreis ab.) So kann man z.B. auch das Angebot an Emissionszertifikaten für CO2 in der EU darstellen: Die Menge X an CO2 Emissionen ist erlaubt und diese Menge an Verschmutzungsrechten kann an der Börse gehandelt werden. Tipp: Es ist in solchen Fällen viel einfacher, in Gedanken so zu tun, als würden alle Bestände auf einen großen Haufen geworfen und die Eigennachfrage, also das, was man behalten statt verkaufen will, in der Nachfragefunktion zu berücksichtigen. Man muß dann nämlich nur noch eine statt zwei Funktionen berechnen. (Und, aber siehe hierzu 2.2.4, das Gleichgewicht rechnet sich einfacher.) b) Flache (gestrichelte) Kurve: Die Kurve besagt: Zum Preis p wird jede beliebige Menge angeboten. Dies ist ein wichtiger Sonderfall, vor allem für die lange Frist, und ich werde in Kapitel 5 ausführlicher auf ihn zurückkommen. c) Vorläufig unterstelle ich den Verlauf der gepunkteten Kurve: Das Angebot steigt mit steigendem Preis.7 Das heißt, wie in Kapitel 4 noch hergeleitet werden wird, ich unterstelle, daß eine Ausweitung der Produktion nur zu steigenden Stückkosten erfolgen kann und daß die Angebotskurve diese Kosten der Produktion reflektiert. Die Theorie des Angebots macht im Unterschied zur Theorie der Nachfrage Sinn: Weil hier eine substantielle Annahme getroffen wird (die Anbieter wollen ihren Gewinn maximieren) und weil sich über Kosten und Erlöse etwas mehr sagen läßt, kommt man hier zu handfesteren Ergebnissen. Da dieses Thema in Kapitel 4 ausführlicher behandelt werden wird, kann hier darauf verzichtet werden, genauer auf den Verlauf der Angebotskurve einzugehen. 2.2.3 Elastizitäten Die Angebotskurven in Abb. 2.5 reagieren unterschiedlich stark auf Preisänderungen. Ein Konzept, die Stärke dieser Reaktion zu messen, ist das Konzept der Elastizität. Denken Sie an einen Zusammenhang zwischen zwei Größen, der sich durch eine Funktion y = f (x) ausdrücken läßt. Das Konzept der Elastizität fragt allgemein: Elastizität: Wenn ich den Einflußfaktor x um ein Prozent ändere, um wie viel Prozent ändert sich dann das Ergebnis y? Die Zugelastizität eines Gummibandes z.B. würde sich bestimmen über die Frage: Wenn ich die ausgeübte Zugkraft um ein Prozent ändere, um wie viel Prozent wird das Band dann länger? Was Sie am Beispiel schon sehen können, ist, daß die Elastizität einer Kurve in der Regel nicht an allen Punkte die gleiche sein wird:8 Irgendwann reißt z.B. das Band . Was Sie ferner sehen können, ist, daß die Elastizität ein dimensionsloses Maß ist: Änderung Länge ·100 ursprüngliche Länge Elastizität = Änderung Zug · 100 ursprünglicher Zug 7 Kann das Angebot mit steigenden Preis auch sinken? Scheint erstmal unplausibel. Im Exkurs zu Kapitel 6 wird aber aber mit dem Arbeitsangebot ein Beispiel gegeben werden, bei dem man sich sowas durchaus vorstellen kann. 8 Die Ausnahme bildet der Sonderfall der einheitselastischen (isoelastischen) Funktionen. Einführung in die VWL 2 Das Marktmodell S. 25 Egal ob Sie die Zugkraft in Pond, Kilo, Tonnen oder Gramm messen: Die Dimension steht in Zähler und Nenner, sie fällt also weg. Und egal, ob Sie die Länge in cm, Zoll oder Inch messen: Sie steht in Zähler und Nenner, kürzt sich also raus. Und daß oben und unten Prozent stehen, ist auch egal, weil sie sich ebenfalls rauskürzen. Und schließlich können Sie auch einen eleganten Weg sehen, die Elastizität zu berechnen, wenn Sie die Gleichung der Kurven haben: d y dy dy 1. Ableitung y dx dx = = = = dx y f x Durchschnittsfunktion x x x Das sagt dann auch gleich, daß eine Gerade (y = a + b · x) an jeder Stelle eine andere Elastizität haben muß. Denn die erste Ableitung ist überall gleich (hier = b), während der Durchschnitt ((a + b · p) / p = b + a/p) für jedes p ein anderer ist. (Außer für a = 0) Bei der durchgezogenen, vertikalen Kurve reagiert die angebotene Menge überhaupt nicht auf Preisänderungen: Sie ist vollständig unelastisch. (x = a heißt ja x hängt überhaupt nicht von p ab, reagiert daher auch nicht auf Veränderungen von p → η = 0) Bei der gestrichelten, horizontalen Kurve (p = konstant) genügt eine winzige Preisänderung, um das Angebot entweder völlig verschwinden zu lassen (wenn der Preis unter den Schnittpunkt mit der Preis-Achse fällt) oder um das Angebot explodieren zu lassen: Wenn der Preis über den Schnittpunkt stiege, würde unendlich viel angeboten. Das Angebot reagiert unendlich stark: Die gestrichelte Kurve ist unendlich elastisch. (η = ∞) (Hinweis: η wird als Betrag angegeben, kann daher nicht negativ werden. Es mißt nur die Stärke, nicht die Richtung der Reaktion.) Die gepunktete, diagonale Kurve liegt irgendwo dazwischen, sie ist endlich elastisch. (So wie sie hier gezeichnet ist, könnte sie einheitselastisch sein, war aber keine Absicht.) (0 < η < ∞) Wichtig, als Sprachregelung für später: Wenn eine Kurve elastischer wird, dann heißt das, daß sie sich in Richtung der unendlich elastischen Kurve dreht (also flacher wird). Und wenn Sie unelastischer wird, dann dreht sie sich in Richtung der vollständig unelastischen Kurve, wird also steiler. Sie sollten im Hinterkopf behalten, daß die Elastizitäten auch vom Betrachtungshorizont abhängen: Langfristig haben Sie mehr Möglichkeiten auf eine Preisänderung zu reagieren. Steigen die Benzinpreise, können Sie kurzfristig nur mit weniger fahren reagieren. Mittel- bis langfristig könnten Sie aber auch auf ein verbrauchsärmeres Auto umsteigen (und können effizientere Motoren entwickelt werden) oder das Auto ganz abschaffen und näher an Ihren Arbeitsplatz ziehen (oder in eine Lage mit besserer Anbindung an den ÖPNV9). 2.2.4 Das Marktgleichgewicht 2.2.4.1 Marktformen Auf einem Markt kann es unterschiedliche Ausmaße von Marktmacht geben: Eine einzige Anbieterin kann vielen Nachfragern gegenüberstehen - das wäre ein Monopol - oder sie kann wenige Konkurrenten haben - ein Oligopol, wie Sie es z.B. von Mineralölfirmen kennen - oder eben 9 Ok, ich weiß, im Sauerland muß man das erklären: Öffentlicher Personen Nahverkehr (ÖPNV), das sind Verkehrsmittel wie U-Bahnen, Züge oder Busse, die häufig und regelmäßig verkehren (müßten) und in denen viele Menschen gleichzeitig befördert werden können. S. 26 2 Das Marktmodell Karl Betz ganz viele, ein Polypol. Umgekehrt kann ein einziger oder können wenige Nachfrager vielen Anbieterinnen gegenüberstehen - im Lebensmittelbereich ist dies z.B. der Fall (Discounter haben eine hohe Marktmacht gegenüber ihren Zulieferern) und das Verhältnis von Autofirmen gegenüber den meisten ihren Zulieferer ist ähnlich - oder es können viele Anbieter und viele Nachfrager am Markt auftreten ... Das Problem bei wenigen Anbietern und/oder Nachfragern besteht darin, daß man dann sein Angebot oder seine Nachfrage auch von der erwarteten Reaktion der anderen Anbieter oder Nachfragerinnen abhängig machen muß. Im Beispiel (und mal angenommen, die drei wären die einzigen Kunden in der Volkswirtschaft) müßten sich Tick, Trick und Track nicht nur überlegen: Was ist mir ein Glas Wasser wert? Sondern sie müßten sich fragen: - Wie ändert der Kantinenwirt wohl seine Preise, wenn wir ihm sagen, daß wir zu 50 c nichts kaufen? Können wir also den Preis drücken, wenn wir unsere wahre Zahlungsbereitschaft verschweigen? - Und wenn ich sage, zu 40 c nehme ich nichts - kann ich dann sicher sein, daß Trick nicht aus unserer verabredeten Strategie ausbricht? - Oder, wenn gar nichts verabredet wurde: Kann Trick, indem er sagt, er zahlt keine 60 c, Track signalisieren, daß man erstmal versuchen sollte, den Preis zu drücken? Und der Kantinenwirt muß sich fragen: Bluffen die nur und fragen doch nach, wenn ich stur bleibe? Oder gehen die dann raus und ich verkaufe gar nichts? Sprich: Ändert sich deren (geäußerte) Nachfrage, wenn ich eine andere Angebotsstrategie einschlage? Sie merken: Wenn es wenige Anbieter oder Nachfrager gibt, wird die Sache kompliziert (und man muß in die Spieltheorie einsteigen, um noch zu Ergebnissen zu kommen, die dann aber oft auch nicht mehr eindeutig sind, sondern Fallunterscheidungen brauchen). Wenn es wenige Anbieter und Nachfrager gibt, kommt auch noch hinzu, daß die Angebotskurven nicht mehr unabhängig von den Nachfragekurven sein können: Die Strategie, die ich als Anbieter wähle, hängt nicht nur von der Strategie meiner Konkurrenten sondern auch noch von der (vermuteten) Strategie der Nachfrager ab. Am einfachsten zu handhaben sind deswegen Fälle, in denen strategisches Handeln keinen Sinn macht. Über die Auswirkungen seiner Strategie auf die Strategie seiner Wettbewerber muß sich ein Unternehmen aber in zwei Fällen keine Gedanken machen: Erstens, wenn es gar keine hat (Monopoltheorie) und zweitens wenn es relativ zum Markt so klein ist, daß seine Handlungen keine Auswirkungen auf die Pläne seiner Mitbewerber haben. Diesen letzten Fall, die vollständige Konkurrenz, werde ich in diesem Skript weitgehend unterstellen, teils weil es der einfachste Fall ist, teils, weil die meisten Aussagen, die Sie in der wirtschaftspolitischen Diskussion hören, auf dieser Annahme fußen (wenn auch in der Regel, ohne dies zu sagen). Vollkommene Konkurrenz10 bedeutet, daß alle Anbieter und alle Nachfrager relativ zum Markt so klein sind, daß sie erwarten, zum herrschenden Preis so viel kaufen und verkaufen zu können, 10 Ich benutzte die Begriffe vollkommene / vollständige Konkurrenz und vollkommener Wettbewerb synonym. Einführung in die VWL 2 Das Marktmodell S. 27 wie sie gerne möchten, ohne daß sich deswegen der Preis ändert.11 Die Akteure sind daher Preisnehmer und Mengenanpasser. Nachfrage: Wenn Sie Bier kaufen gehen, fragen Sie sich nicht wirklich: Wie viele Flaschen wird der Getränkegroßhändler wohl haben? Sie schauen in die Zeitungsanzeige und überlegen sich: Wie viel Flaschen will ich bei dem Preis kaufen? Sie passen Ihre nachgefragte Menge dem Preis an. Angebot: Ok, hier wird's schwieriger, plausible Beispiele zu finden. Aber das könnte eins sein: Milchbäuerin Huber sieht die Abnahmepreise der Molkerei und überlegt sich: Wie viel Milch sollte ich bei diesen Preisen wohl anbieten? Macht es Sinn, eine weitere Kuh zu kaufen (wegen der müßte ich dann Heu zukaufen, weil meine Weide für die Tiere zu klein wird)? Sie fragt also: Wie viel Milch soll ich zum gegebenen Preis produzieren. Sie fragt nicht: Nimmt die Molkerei mir auch die weiteren 100 Liter zum gleichen Preis ab? Sie paßt also ihre angebotene Menge dem Preis an. In beiden Fällen ist aus Sicht des einzelnen Anbieters oder der einzelnen Nachfragerin die Menge unter sonst gleichen Bedingungen (ceteris paribus) eine Funktion des Preises, wie das unsere Angebots- und Nachfragefunktionen auch behaupten: xNE = f(p) xAT = g(p) Gesamtwirtschaftlich ist dies jedoch nicht so: Streusand in der Sahara ist ein freies Gut, weil (relativ zu den Bedürfnissen) so viel da ist. Hier ist also der Preis (p = 0, der Sand kostet nichts) eine Funktion der Menge. Aus diesem Grund ist die Marktgrafik auch (scheinbar) falsch beschriftet: Die Menge steht an der x-Achse und der Preis an der y-Achse. 2.2.4.2 Wettbewerbsgleichgewicht OK. Ich hatte oben gesagt, daß der Markt die Pläne (und darüber die Handlungen) der Marktteilnehmer über die Preise koordiniert. Wie genau tut er das? Ich starte mal mit einer ersten Frage an: Kann es für das gleiche Gut eigentlich unterschiedliche Preise geben? Die Antwort lautet: Jedenfalls nicht lange. Wenn ALDI Mineralwasser zu 20 c pro Liter verkauft und HIT für 50 c, dann können Sie Ihr Studium finanzieren, indem Sie in Ihren Freistunden Wasser bei ALDI kaufen und sich vor HIT stellen um es dort für 40 c zu verkaufen. Damit steigt die Nachfrage bei ALDI und HIT verkauft nichts mehr.12 HIT müßte also entweder seinen Preis senken (und ALDI ihn evtl. erhöhen) oder den Verkauf einstellen. Natürlich ist die Geschichte hier nicht abgeschlossen, weil jetzt Ihre Kommilitonin auf die Idee kommen wird: Das Geschäftsmodell ist ja geil, kauf ich halt auch Wasser und biete es für 35 c an, dann habe ich den ganzen Umsatz für mich. Diese Geschichte geht genau so lange weiter, bis sich durch Arbitrage (billig kaufen und teuer verkaufen) kein Gewinn mehr machen läßt.13 Arbitrage führt also auf einen einheitlichen Preis für 11 Diese Annahme macht für die wenigsten Firmen wirklich Sinn - andernfalls wären alle Menschen, die Marketing studieren, anschließend arbeitslos. Ich werde sie, wenn wir zu Keynes kommen, durch die Annahme der Kapitalkonkurrenz ersetzen. Im Moment ist es aber am einfachsten, mit der Preisnehmer- und Mengenanpasser Annahme zu arbeiten. 12 Falls Ihnen jetzt Einwände kommen sollten: Erinnern Sie sich daran, wie ein homogenes Gut definiert war. 13 Das unterstellt allerdings die Abwesenheit von Transaktionskosten: Der Stand vor HIT kostet nichts, der Transport von ALDI zu HIT kostet nicht und so weiter. Arbitrage sichert vor allem auf Märkten mit geringen Transaktions kosten den Ausgleich von Preisdifferenzen - Finanzmärkte sind so ein Beispiel (Wenn die Fordaktie oder der € abstürzt, stürzt er in New York und Frankfurt gleichzeitig ab.) Andernfalls kann es (in Grenzen) schon unterschied- S. 28 2 Das Marktmodell Karl Betz ein homogenes Gut. Non-Arbitrage-Bedingung (auch law of one price genannt): Homogene Güter haben im Marktgleichgewicht stets den gleichen Preis. Damit ist schon mal klar, daß man, wenn man über einen Markt reden, sich immer nur fragen muß, was bei einem bestimmten Preis los sein wird, denn mehrere Preise gleichzeitig kann es nicht (oder jedenfalls: nicht lange) geben. Ich male mal ein willkürliches Marktdiagramm und starte in irgend einer Ausgangssituation, sage beim Preis p1: Abb. 2.6: Markt im Ungleichgewicht So wie die Geraden hier laufen, habe ich offensichtlich angenommen: WasserNE = 8 - 0,1 ∙ p und WasserAT = - (4/3) + (4/30) ∙ p Beim Preis p1 (= 20 c) sind nur zwei Punkte von Interesse : die Punkte auf der Angebots- und der Nachfragekurve bei diesem Preis. Denn alle übrigen Mengen werden bei diesem Preis ja sowieso nicht gewählt: mehr oder weniger als die Menge am Schnittpunkt mit der Angebotskurve (x AT(p1) = 1,33... ) wollen die Anbieter nicht anbieten. Und mehr (oder weniger) als die Menge am Schnittpunkt mit der Nachfragekurve (xNE(p1) = 6) wollen die Nachfragerinnen sowieso nicht haben. Die geäußerten Nachfragen und Angebote bei p 1 = 20 sind hier also ungleich. Die Nachfrage ist größer als das Angebot - oder: Bei p1 = 20 liegt eine Überschußnachfrage vor: liche Preise geben. Aber auch das macht das Modell nicht falsch: Warum kaufen Sie Mister Tom in der Kantine? Weil Ihnen der Weg zu ALDI wegen eines einzigen Nußriegels zu weit wäre. Das heist aber: Ein Mister Tom in der Kantine und ein Riegel bei ALDI sind für Sie nicht das gleiche Gut. Es handelt sich also um zwei verschiedene Märkte. Einführung in die VWL 2 Das Marktmodell S. 29 ÜNE(p1) = xNE(p1) - xAT(p1) = 6 - 4/3 = 4 (2/3) Wenn die Nachfrage aber höher als das Angebot ist, dann heißt das, daß einige Nachfrager, die bereit wären, mehr als 20 c für Wasser zu zahlen, nicht zum Zuge kommen. Diese werden nun versuchen, doch an Wasser zu kommen, in dem sie höhere Preise bieten. Nun zum umgekehrten Fall: der Preis liege bei p2: Bei einem Preis von 50 c ist das Angebot 5,33... Flaschen Wasser, die Nachfrage aber nur 3 Flaschen. Es liegt also ein Überschußangebot in Höhe von 7/3 Flaschen vor.14 ÜAT(p2) = xAT(p2) - xNE(p2) = 16/3 - 3 = 7/3 Den Fall kennen Sie auch: Wie in der Fallstudie geschildert, decken sich die Schwarzhändler frühzeitig mit Karten ein, die sie dann über Ebay vor der Halle oder dem Stadion verkaufen. Nun kann es gut vorkommen, daß sie sich verrechnet haben: Sie haben sich vorab mit Karten für das Championsleague Finale in Dresden eingedeckt - und jetzt sind die Bayern schon in der Vorrunde ausgeschieden und der FC Levadia Tallinn spielt gegen Vikingur Gotu (Farör Inseln). 15 Die Karten14 Für das Überschußangebot muß man die Nachfrage von Angebot, für die Überschußnachfrage das Angebot von der Nachfrage abziehen. Um sich die lästige Fallunterscheidung zu ersparen, definiert man ganz einfach eine Überschußnachfrage als ein negatives Überschußangebot. 15 Ätsch. S. 30 2 Das Marktmodell Karl Betz händler müssen dann versuchen, ihre Karten zu jedem Preis los zu werden - im Zweifelsfall unter dem Preis der Abendkasse - weil der Event nicht ausverkauft ist. Bei einem Überschußangebot werden also die Anbieter ihre Preise senken, um ihre Produkte los zu werden. Es läßt sich also schon mal festhalten: Wenn der Preis zu niedrig ist, ist das Angebot kleiner als die Nachfrage und der Preis wird steigen. Wenn der Preis zu hoch ist, ist die Nachfrage kleiner als als das Angebot und der Preis wird fallen. Es gibt damit genau einen Preis, der sich nicht weiter verändern, stabil bleiben wird (solange sich nichts an den anderen Einflußfaktoren ändert): den Preis, bei dem Nachfrage und Angebot gleich hoch sind. Formal ist das das Marktgleichgewicht, der Punkt der gleichgewichtigen Menge (x*) und des gleichgewichtigen Preises (p*) - oder, graphisch: Der Punkt, in dem Angebots- und Nachfragekurve sich schneiden. Abb. 2.7 Marktgleichgewicht Daran können Sie sich das Problem von Höchst- oder Mindestpreisen klar machen: Setzen Sie einen Mindestpreis über dem Gleichgewichtspreis (darunter ist er nicht bindend: Der Marktpreis kann sich ja einstellen und daher wirkungslos.), dann entsteht ein Überschußangebot; die Anbieter bleiben auf ihren Waren sitzen. Setzen Sie einen Höchstpreis unter dem Gleichgewichtspreis, dann können Sie der Fallstudie entnehmen, was passiert: Es bilden sich Schwarzmärkte oder Warteschlangen heraus. Das Marktgleichgewicht können Sie entweder graphisch bestimmen: Sie berechnen für Angebots- und Nachfragekurve je zwei Punkte, tragen die Kurven in ein Marktdiagramm ein und bestimmen den Schnittpunkt. Oder, genauer, Sie berechnen es über das Gleichsetzen der beiden Einführung in die VWL 2 Das Marktmodell S. 31 Kurven. Im Beispiel: Angebots- und Nachfragefunktionen: WasserNE = 8 - 0,1 ∙ p WasserAT = - (4/3) + (4/30) ∙ p Gleichgewichtsbedingung: Wasser* = WasserNE(p*)!= WasserAT(p*) (Die Gleichgewichtsbedingung verbal wiedergegeben: Die gleichgewichtige Wassermenge (Wasser*) ist die Menge, bei der Angebot und Nachfrage gleich sind.) Setzen Sie nun die Gleichungen der Angebots- und Nachfragekurve gleich (wobei Sie p durch p* ersetzen, weil diese Gleichheit ja nur bei einem bestimmten Preis, dem Gleichgewichtspreis p*, gilt.): 8 - 0,1 ∙ p* = - (4/3) + (4/30) ∙ p* => 28/3 = 7/30 ∙ p* ==> p* = 28⋅ 30 =40 7⋅ 3 Den Gleichgewichtspreis können Sie jetzt in entweder die Angebots- oder in die Nachfragefunktion einsetzen, um die Gleichgewichtsmenge zu erhalten. Ich nehme mal die Wassernachfrage: Wasser* = 8 - 0,1 ∙ p* = 8 - 0,1 ∙ 40 = 4 Und zur Sicherheit können Sie den Gleichgewichtspreis nochmal die Angebotsfunktion einsetzen, um Ihr Ergebnis zu überprüfen: Wasser* = - (4/3) + (4/30) ∙ p* = (- 40/30) + 160/30 = 120/30 = 4. Stimmt. Das Marktgleichgewicht liegt also bei x* = 4 und p* = 40 c. Ach ja, eins noch: Es garantiert Ihnen natürlich niemand, daß die Kurven so nett sind und sich immer bei ganzzahligen Werten schneiden. Daher muß man annehmen, daß die Bedingung beliebiger Teilbarkeit erfüllt ist. Eine Gleichgewichtsmenge von 3 31 Flaschen Wasser zu einem 4 Preis von 2 Cent ist also durchaus eine zulässige Lösung. 7 Nebenbemerkung: Die Rechnung wird drastisch einfacher, wenn Sie es mit einer vollkommen unelastischen oder einer unendlich elastischen Angebotskurve (aus Abschnitt 2.2.3) zu tun haben. Im ersten Fall kennen Sie die Menge schon, im zweiten den Preis - und Sie brauchen diesen Wert dann nur noch in die Nachfragefunktion einzusetzen, um den Gleichgewichtspreis (bzw., im zweiten Fall, die Gleichgewichtsmenge) zu erhalten. Bei einem starren Angebot steigt der Preis also so lange bis die Nachfrager sich nicht mehr leisten können (oder wollen) als da ist. Und bei einem vollkommen elastischen Angebot stellen die Produzentinnen halt so viel her, wie die Nachfrager bei diesem Preis haben wollen Der entscheidende Punkt ist an der Marktlösung ist jetzt nicht die Frage, ob der Markt besonders gut für die Wohlfahrt ist. Das kann man zwar zeigen, aber nur unter einer ganzen Batterie von Annahmen, von denen klar ist, daß sie in der Realität nicht zutreffen können. 16 Der entscheidende Punkt ist, daß man hier sieht, wie die Pläne koordiniert werden: Die Nachfragekurve faßt ja die 16 Bei Interesse können Sie (eines Tages) im Exkurs zu diesem Kapitel mehr dazu finden. S. 32 2 Das Marktmodell Karl Betz geplanten Nachfragemengen aller Nachfrager in der Ökonomie bei unterschiedlichen Preisen zusammen. Und die Angebotskurve auf die gleiche Weise die geplanten Angebotsmengen aller Anbieter. Der Gleichgewichtspreis stimmt also alle einzelnen Angebots- und Nachfragepläne an diesem Markt aufeinander ab. Der Markt funktioniert also über den Preis als Zuteilungs(Allokations)mechanismus. Knappe Güter werden über den Preis auf die Menschen aufgeteilt, die bereit sind, am meisten dafür zu zahlen. Und ein hoher Preis (auf Grund einer hohe Nachfrage) und bewirkt, daß mehr knappe Faktoren in der Produktion eines Gutes eingesetzt werden als andernfalls. Das ist einerseits effizient. Bei anderen Zuteilungsmechanismen wie Schlage stehen werden Ressourcen verschwendet - schließlich wartet ein Teil der Leute in der Schlange umsonst, weil das Gut ausverkauft ist, ehe sie drankommen. (In der Fallstudie z.B. wurden viel mehr Telefongespräche bezahlt als es überhaupt Karten gab). Andererseits bekommen so die Leute die Güter, die am meisten dafür zu zahlen bereit sind - und das sind nicht notwendiger Weise die, die sie am dringendsten brauchen. Denken Sie z.B. an eine Epidemie. Wenn da Medikamente knapp sind gehen sie nicht notwendigerweise an die Kranken, sondern zumindest zum Teil an die wohlhabenden, die sich mit einem Vorrat eindecken, für den Fall, daß sie sich anstecken. Im Ergebnis breitet die Seuche sich dann schneller aus, weil mehr unbehandelte Kranke sie weiter verbreiten. Als 2009 die Schweinegrippe ausbrach, war das Medikament Tamiflu bei den Internet Apotheken binnen kurzem ausverkauft. Geliefert worden war die Masse nach Europa und in die USA - obwohl es außerhalb Mexikos zunächst noch keinen einzigen Fall gab. (Und daß viele Rockfans von diesem Zuteilungsmechanismus auch nicht gerade begeistert sind, können Sie der Fallstudie auch entnehmen.17) Fragen zum zweiten Kapitel Verständnisfragen 1) Warum wird unterstellt, daß der Unternehmenssektor alle Erlöse an den Haushaltssektor auszahlt? 2) Was versteht man eigentlich unter einem Sektor? 3) Kann die gleiche Person zugleich Haushalt und Unternehmer sein? 4) Warum ist die Summe der Zu- und der Abflüsse für einen Sektor stets gleich? 17 Allerdings würde ich im konkreten Fall eher die Band verantwortlich machen. Als es in den frühen 70ern Scharzmarktpreise für ein Konzert von Pink Floyd in Dortmund gab, hat die Band einfach noch ein Zusatzkonzert am Folgetag im Westfalenstadion angesetzt. Wenn eine Gruppe wie AC/DC nur eine Halle bespielt (und Eventim als Monopol-Kartenhändler einsetzt) oder Metallica nur ein einziges Big Four Festival im deutschsprachigen Raum spielt, dann wissen die Bands schon, was sie tun. Einführung in die VWL 2 Das Marktmodell S. 33 5) Welches (Koordinations-)Problem lösen Märkte? 6) Wann erreicht ein Markt ein Gleichgewicht? 7) Was geschieht oberhalb, was unterhalb eines Gleichgewichts? 8) Bitte streichen Sie die unzutreffende Aussage: Ein Marktgleichgewicht ist dadurch gekennzeichnet, daß es allen gut geht. daß sich die Preise nicht mehr weiter ändern. 9) Bitte streichen Sie die unzutreffende Alternative Wenn sich nur der Preis ändert / bewegt man sich auf der Kurve / verschiebt sich die Kurve. Wenn sich ein anderer Einflußfaktor ändert, dann / bewegt man sich auf der Kurve / verschiebt sich die Kurve. 10) Was könnte man unter der Zug Elastizität eines Gummibandes verstehen? Anwendungen 1) Einfaches Kreislaufmodell: Kein Staat, kein Ausland, keine Investitionen. (a) In einer Ökonomie werden Güter im Wert von 100 konsumiert. Die Lohnsumme ist 80. Wie hoch sind die Gewinne? (Warum?) (b) In Folge des technischen Fortschritts könnte in der Ökonomie mit dem gleichen Arbeitsaufwand das Doppelte produziert werden. Der Konsum steigt aber nur auf 150. (ba) Was ist geschehen? (bb) Was erwarten Sie: Wie könnten sich Löhne und Gewinne entwickelt haben? 2) Am Markt für Lederhosen ist die Angebotsfunktion: LederAT = 2 · p - 5 LederNE = 10 - 3 · p Bitte bestimmen Sie das Gleichgewicht grafisch und algebraisch. 3) Wie verläuft Ihres Erachtens Die Angebotsfunktion für Streichhölzer? Die Angebotsfunktion für Grundstücke? Die (Arbeits-) Angebotsfunktion für SHK-Tätigkeiten an der FH? Die Angebotsfunktionen der Lehrbriefe? S. 34 2 Das Marktmodell Karl Betz Die Angebotsfunktion für das Skript zu diesem Kurs? Tragen Sie die Kurven in ein Diagramm ein und bestimmen Sie: Welche Kurve ist (endlich) elastisch? Welche vollständig unelastisch? Welche unendlich elastisch? 4) Kann eine Verteuerung von Benzin den CO2-Ausstoß senken? (Welche Kurve müssen Sie betrachten? Was ist das Kriterium für die Antwort?) 5) Der Staat will den Milchpreis regulieren und setzt einen Mindestpreis von 0,5 € (50 Cent) pro Liter Milch. Es ist MilchAT = 6 · p - 0,5 MilchNE = 3,5 - 4 · p (a) Bitte bestimmen Sie das Gleichgewicht grafisch und algebraisch. (b) Wie hoch sind Angebot und Nachfrage nach der Einführung des Mindestpreises? (c) Was würde am Markt passieren? (d) Wie kann der Staat sicherstellen, daß der Mindestpreis trotzdem erlöst wird? (e) Was sagt Ihnen das über die EU-Agrarmarktpolitik? Exkurs: Die unsichtbare Hand des Marktes Um leichter die Übersicht zu behalten, nehme ich hier erstmal an, daß es in einer Ökonomie nur zwei Güter gebe, sage Äpfel (A) und Birnen (B). Die beiden Güter werden nicht produziert, sondern sind zu Beginn einfach da. Diese Anfangsausstattung bezeichne ich mit dem Index E (Erstausstattung). Es stehe also AE für den Anfangsbestand an Äpfeln und BE für den Anfangsbestand an Birnen. Nun ist diese Erstausstattung willkürlich auf die Haushalte verteilt worden. Daher haben jetzt manche Haushalte mehr Äpfel und andere mehr Birnen als sie wollen. Geld gibt es auch noch nicht, also müssen die Haushalte Äpfel gegen Birnen tauschen. Ein Haushalt kann also zum Beispiel einen Teil seiner Äpfel anbieten, wenn er mehr Birnen will. Es ist aber letztlich für die Fragestellung, um die es hier geht, einfacher, so zu tun, als ob der Haushalt alles Obst, das er hat, anbietet und einen Teil davon gleich wieder zurück tauscht, also quasi bei sich selbst kauft. Der Wert des geplanten Angebots eines Haushalts ist dann gleich dem Wert seiner Erstausstattung, also gleich pA · AE + pB · BE und der Wert seiner geplanten Nachfrage ist pA · ANE + pB · BNE. Da nun unterstellt wird, daß Güter nur durch Tausch übertragen werden, 18 muß der geplante Wert des Angebots immer gleich dem geplanten Wert der Nachfrage sein. geplantes Angebot: pA · AE + pB · BE = pA · ANE + pB · BNE :geplante Nachfrage Wäre der geplante Wert des Angebots kleiner, würde der Haushalt ja planen, einen Teil der Güter zu stehlen - und wäre er größer, würde er einen Teil wertvoller Güter wegwerfen, statt sie gegen etwas anderes einzutauschen. (Es ist natürlich möglich, daß von manchen Gütern mehr da ist, als gebraucht wird. Aber dann kosten sie nichts - ihr Preis ist Null und dann ist der Wert des geplanten Angebots (= 0) immer noch gleich dem Wert der geplanten Nachfrage (ebenfalls 0).) 18 Kauf und Verkauf sind ein Spezialfall eines Tausches: Ein Tausch Ware gegen Geld. Einführung in die VWL 2 Das Marktmodell S. 35 Wenn diese Aussage aber für jeden Haushalt gelten muß, dann muß sie auch für alle Haushalte zusammen gelten. Daraus folgt für die gesamte Ökonomie: (1) Der Wert aller (geplanten) Nachfragen muß gleich dem Wert aller Angebote sein - so etwas wie eine zu niedrige gesamtwirtschaftliche Nachfrage scheint es nicht geben zu können. (2) Die Märkte hängen miteinander zusammen: Wenn auf dem Markt für Gut A der Wert der Nachfrage größer als der Wert des Angebots ist, muß auf mindestens einem anderen Markt der Wert des Angebots größer als der Wert der Nachfrage sein. Dies ergibt sich durch einfaches Umstellen der Gleichung: pA · AE - pA · ANE = - (pB · BE - pB · BNE) Diese beiden Aussagen würden zwar am Beispiel von zwei Gütern hergeleitet. Es ändert sich aber nichts an ihnen, wenn man mehr Güter betrachtet: Die beiden Seiten der Gleichungen werden dann nur länger und unübersichtlicher. Vielleicht nochmal anders formuliert: Wenn jemand Birnen nachfragt, dann muß sie dafür Äpfel vom gleichen Wert anbieten. Ein Birnenangebot ist also immer zugleich eine Apfelnachfrage und Angebot: Die Nachfragekurve am Birnenmarkt ist zugleich die Angebotskurve am Apfelmarkt. Wenn ich also im Text über einen Markt rede, dann spreche ich in Wirklichkeit implizit immer mindestens zwei, in den meisten Fällen aber ganz viele Märkte an. Daran sieht man, wie sich ein Schock 19 auf einem Einzelmarkt auf die gesamte Ökonomie überträgt: Steigt die Nachfrage nach irgend einem Gut plötzlich an, kommt nicht nur der Preis an diesem Markt in Bewegung, sondern auch die Preise an allen Märkten, die etwas mit dem ersten Gut zu tun haben und die Preise an allen Märkten, die etwas mit diesen Gütern zu tun haben usw., usf.. Informell wird dies in der Nachfolge von Adam Smith als die "unsichtbare Hand des Marktes" bezeichnet: Diese Preisänderungen koordinieren die Märkte und sorgen dafür, daß am Ende ein kohärentes Marktergebnis herauskommt, daß die Ökonomie "funktioniert". Man kann nun fragen: "Gibt es einen Vektor von Preisen, der dafür sorgt, daß alle Märkte gleichzeitig im Gleichgewicht sind?", bei dem also die geplanten Angebote und Nachfragen für alle Güter von allen Haushalten auch realisiert werden können? Die praktische Dimension dieser Frage dürfte Ihnen klar werden, wenn Sie daran denken, daß ein Teil dieser Güter Arbeitsleistungen (unterschiedlicher Qualifikation) sein können. Dann ist nämlich ein Teilaspekt: Gibt es einen Vektor von Preisen, bei dem Vollbeschäftigung herrscht? Und sorgt der Marktprozeß (die unsichtbare Hand) auch dafür, daß sich dieser Vektor auch einstellt? Bejaht man diese Frage, dann folgt, daß der Markt, wenn man ihn nur sich selbst überläßt, automatisch zu Vollbeschäftigung führt. (Unfreiwillige) Arbeitslosigkeit kann es dann entweder nicht geben, oder sie wird durch politische Eingriffe in den Markt verursacht, die diesen am funktionieren hindern (Mindestlöhne, Tariflöhne, Arbeitsschutzgesetzgebung – you name it.) Neoliberale Ökonomen sind also nicht aus Menschenfeindlichkeit für Deregulierung (auch wenn es praktisch darauf hinausläuft), sondern weil sie die Frage, ob der Markt immer dieses Gleichgewicht herstellen wird. Unter welchen Bedingungen diese Annahme berechtigt ist, wird (formaler) von der Theorie des Allgemeinen Gleichgewichts behandelt. Sie fragt: "Unter welchen Annahmen kann man zeigen (a) daß es überhaupt ein Gleichgewicht gibt? (b) daß dieses auch eindeutig ist (daß es also nicht drei, fünf oder mehr (die Zahl ist immer ungerade) unterschiedliche Gleichgewichte gibt) ? 19 Unter einem Schock versteht man irgend einen äußeren Einfluß, eine nicht im Modell selbst erklärte Änderung. S. 36 2 Das Marktmodell Karl Betz (c) daß dieses auch vom Markt erreicht wird?." Um eine lange Frage kurz zu beantworten: Ja, man kann zeigen, daß es Bedingungen gibt, unter denen ein Preisvektor auf ein eindeutiges und stabiles Gleichgewicht führt. ... aber die dafür erforderlichen Annahmen (jedenfalls die, die bisher gefunden wurden) sind so restriktiv, daß man sich zugleich sicher sein kann, daß sie in der Praxis nie zutreffen können. Bevor ich auf einige dieser Annahmen im Einzelnen eingehe, noch kurz die Interpretation des Ergebnisses: Einerseits: Daß man nicht beweisen kann, daß der Marktprozeß immer auf ein Gleichgewicht führt, heißt nicht, daß er es nicht trotzdem (immer oder manchmal) tut. Andererseits: Wenn jemand sagt (wie dies die gesamte herrschende Ökonomie tut) flexible Preise würden immer ein Gleichgewicht herstellen, also z.B. für Vollbeschäftigung sorgen, dann ist dies bestenfalls ein Glaubenssatz (wahrscheinlich eher: Blödsinn) ganz sicher aber keine wissenschaftlich bewiesene Tatsache. Hier nun Annahmen, die man für den Beweis braucht, daß sich ein Gleichgewichtspreis einstellt. Vollständigkeit der Märkte. Damit Märkte Preissignale übermitteln können, muß es sie erstmal geben. Klar. Nur: Es gibt sehr viel mehr Güter als man auf den ersten Blick denken sollten: Güter unterscheiden sich nämlich, abgesehen von ihren sonstigen Charakteristika, - durch den Ort: Am Markt für Rettungsboote auf der Titanic am 14. April 1912 gegen 23:40 Uhr der markträumende Preis sehr wahrscheinlich höher als zur gleichen Zeit in Liverpool. - durch die Zeit: Kalender aus dem Vorjahr kosten heute deutlich weniger als Kalender für das nächste Jahr. - durch die Umweltzustände: Der Preis von Jod Tabletten wird im Jahr 2020 in der Nähe von Neckarwestheim ein anderer sein, wenn das Kraftwerk hochgeht, als wenn es Störfall frei bis zum Ende seiner Lebensdauer funktioniert. Das sind dann schon eine ganze Menge Märkte: Alle Güter mal alle Orte mal alle Zeitpunkte mal alle denkbaren Umweltzustände. Vollständige Information: Die Akteure müssen nicht nur alle Preise, sondern auch alle denkbaren Umweltzustände (und deren Eintrittswahrscheinlichkeiten) kennen. Handel nur im Gleichgewicht. Es darf erst gehandelt werden, wenn das Gleichgewicht bereits erreicht ist (die Gleichgewichtspreise bereits bekannt sind). Damit diese Annahmen überhaupt Sinn machen, bedarf es einer Zusatzannahme: Abwesenheit von Transaktionskosten. Denn wenn Vertragsverhandlungen oder die Beschaffung von Informationen zeitaufwändig sind, dann wäre es viel zu teuer, all die Informationen zu beschaffen und all die Myriaden von Verträgen auszuhandeln. Ferner dürfen die Akteure keinen Einfluß auf die Preise haben: Sie müssen Preisnehmer und Mengenanpasser sein, also die Marktpreise als gegeben hinnehmen und nur ihre geplanten angebotenen und nachgefragten Mengen ändern. Dies bedeutet unter anderem, daß sie unterstellen müssen, zu einem gegebenen Preis so viel kaufen und verkaufen zu können, wie sie wollen. Und wenn diese Anforderungen alle erfüllt sind, dann muß darüber hinaus auch noch unterstellt werden, daß die Präferenzen und die Produktionsbedingungen der Haushalte und Unternehmen so sind, daß gilt (a) Die Angebots- und Nachfragefunktionen müssen stetig verlaufen, dürfen also keine Sprungstellen aufweisen, weil sonst nicht sichergestellt ist, daß sie sich überhaupt schneiden (Graph Einführung in die VWL 2 Das Marktmodell S. 37 (a) in Abb.2.1.1). Sie müssen also im Zweifelsfall schon mal ein halbes Auto kaufen wollen. (Alternativ kann man auch unterstellen, daß es unendlich viele Anbieter und Nachfrager gibt – auch nicht gerade realistisch.20) (b) Sie müssen monoton steigen oder fallen – weil es sonst mehrere Gleichgewichte geben könnte. Die Vorstellung, daß man bei einem niedrigen Lohn länger arbeiten muß, sich dann mit steigendem Lohn mehr Freizeit leistet, und daß ein weiter steigender Lohnsatz zusätzliche Arbeitsangebote hervorruft, ist also nicht erlaubt, weil es dann mehr als ein Gleichgewicht geben könnte (Graph (b)). (c) Schließlich gibt es eine Anforderung an die Steigung der Funktionen: Die Nachfragefunktion muß langsamer steigen (idealerweise: fallen) als die Angebotsfunktion, weil ein Gleichgewicht sonst instabil wäre: Unter dem Gleichgewichtspreis wäre die Nachfrage kleiner als das Angebot – der Preis würde immer weiter fallen und die Überschußnachfrage immer weiter zunehmen. Damit fiele der Preis aber immer weiter. Oberhalb von p* wäre das Umgekehrte der Fall. Wenn man nicht gleich im Gleichgewicht starten würde, könnte es also nie erreicht werden. Probieren Sie mal in Graph (c), ob Sie dieses Argument dort rekonstruieren können. Abb. 2.A.1: Anforderungen an Nachfrage- und Angebotsfunktionen In der Ökonomie – jedenfalls in der Makroökonomie – gibt es nun aber Modelle, die scheinbar ganz problemlos zu einem gesamtwirtschaftlichen „Gleichgewicht“ kommen – CGE Modelle (Computable General Equilibrium) und DSGE Modelle (Dynamik Stochastic General Equilibrium Model). So beeindruckend der mathematische Apparat auch ist, den die jeweiligen Autoren dabei auffahren – die oben genannten Anforderungen und Probleme definieren sie entweder einfach weg, oder sie unterstellen implizit, daß die Anforderungen erfüllt sind – mag das in der Praxis realistisch sein oder nicht. Daß ein Ergebnis richtig ausgerechnet wurde, heißt eben noch lange nicht: vernünftiges Ergebnis. Eine Herleitung kann vielmehr nie überzeugender sein als die ihr zu Grunde liegenden Annahmen. 20 Immerhin konnte man zeigen, daß es schon reicht, wenn es abzählbar unendlich viele sind und nicht, wie man früher unterstellen mußte, überabzählbar unendlich viele. S. 38 2 Das Marktmodell Karl Betz Einführung in die VWL 3 Der Vergleich von Gleichgewichten S. 39 3 Komparative Statik oder der Vergleich von Gleichgewichten Lernziele: Mit Hilfe von Modellen kann man die Konsistenz seiner Aussagen überprüfen. Die Studierenden lernen, den Vergleich von Gleichgewichten anzuwenden, um Aussagen über die Wirkung von Schocks auf das Marktergebnis zu machen. - Preisänderungen führen zu einer Bewegung auf der Angebots- und Nachfragekurve. - Änderungen anderer Einflüsse führen zu einer Verschiebung der Kurven. Sie verstehen den Sinn von ceteris-paribus Annahmen. Sie können die Wirkung von Steuern auf das Marktergebnis erläutern. Sie verstehen, daß die Frage, wer eine Steuer abführt (Zahllast), in der Regel nichts darüber besagt, wer davon letztlich getroffen wird (Traglast). Sie können das Konzept des Steuerkeils einsetzen. Sie verstehen, warum Märkte problematisch sind, wenn nicht alle Kosten beim Verursacher anfallen. Sie verstehen, warum bei externen Effekten staatliche Eingriffe sinnvoll sein können. Sie kennen die wesentlichen Eingriffsmöglichkeiten: Auflagen, (Pigou-)Steuer und Zertifikate. Sie verstehen, wie bubbles entstehen können und warum Informations-Asymmetrien Marktversagen erzeugen können. Das Kapitel zum Marktgleichgewicht hat geholfen zu verstehen, wie Märkte funktionieren und was sie tun. Mehr aber auch noch nicht, denn normalerweise sind die die Angebots- und Nachfrage Gleichungen ja nicht bekannt und daher läßt sich zwar sagen,daß (unter bestimmten Annahmen) im Gleichgewicht p* und x* erreicht werden – es ist aber nicht bekannt, wie hoch die genauen Werte sind. Das ist in etwa so hilfreich, wie zu glauben, daß der Weihnachtsmann existiert: Wie soll ich ihm meinen Wunschzettel zuschicken, wenn ich nicht weiß, wo er wohnt? Lassen sich dem Modell etwas konkretere Aussagen entlocken? Die Antwort ist: Ja, es geht. Die Methode hierfür ist: Der Vergleich die komparative unterschiedlicher Gleichgewichte oder Statik. 3.1 Komparative Statik: die Methode In Kapitel 2.2 hatte ich herausgearbeitet, daß die Angebots- und die Nachfragekurven angeben, wie sich Angebot und Nachfrage bei Änderungen des Preises verändern, gegeben alle anderen Einflußfaktoren. Der Einfluß des Preises bestimmt also die Steigung der Kurve. Die anderen Einflußfaktoren bestimmen ihre Lage. Ändert sich also etwas an den anderen Einflußfaktoren, wird sich entweder eine oder werden beide Kurven sich verschieben. S. 40 3 Der Vergleich von Gleichgewichten Karl Betz Was hier also betrachtet wird, ist der Einfluß einer exogenen (außerhalb des Marktmodells) entstandenen (und daher im Modell nicht erklärten) Veränderung. Eine solche exogene Veränderung nennt man auch Schock: Angebotsschock, wenn die Angebotskurve. Nachfrageschock, wenn die Nachfragekurve betroffen ist. Ob etwas exogen ist oder nicht, hängt vom Umfang des Modells ab. Betrachte ich nur einen einzigen Markt, ist alles exogen außer Gleichgewichtspreis- und -menge, denn letztere werden innerhalb des Modells bestimmt, sind also endogen. Habe ich ein Modell der Weltwirtschaft, ist der Dollarkurs endogen. Habe ich nur eines der Bundesrepublik ist er exogen. Die komparative Statik sagt zwar in der Regel nicht, um wie viel genau sich das Marktergebnis bei solchen exogenen Schocks verändert,1 aber man kann immerhin meist die Richtung bestimmen. Der erste Schritt ist dabei die Identifizierung der Änderung. Werden mehrere gleichzeitige Änderungen diskutiert, so sollte man jede der Reihe nach einzeln diskutieren (also unter der ceteris paribus Bedingung) und die Effekte erst dann addieren. Sodann ist zu klären, auf welche Kurve der Einfluß wirkt: Auf die Angebotskurve? Auf die Nachfragekurve? Oder auf beide? Und dann müssen Sie fragen, in welche Richtung die Kurve(n) sich wohl verschieben wird. Klausurtechnisch: Beides ist im Zweifelsfall gar nicht immer so eindeutig. Nehmen Sie an, eine Klausurfrage lautet: Es wird eine Steuer auf Zigaretten erhoben: Wie wirkt das auf das Marktgleichgewicht am Markt für Tabak? Dann müßten Sie erst evtl. mal eine Annahme treffen, wer die Steuer eigentlich abführt: die Verbraucher oder die Hersteller? 2 Wie wirkt sich das auf die Menge an Zigaretten aus und wie wirkt das auf die Tabaknachfrage? Schon hier ist ihre Einschätzung gefordert: Wenn Sie der Auffassung sind, daß Raucher so süchtig sind, daß sie die Preiserhöhung weg stecken, ohne ihren Konsum einzuschränken, so wird sich an der Menge an Zigaretten nichts ändern. Allerdings ist fraglich, ob die Nachfrage auch auf längere Sicht unelastisch ist: Potentielle Neueinsteiger sind ja noch nicht süchtig und könnten sich z.B. für Gras statt Tabak entscheiden. Angenommen, Sie sind zum Ergebnis gekommen, die Gleichgewichtsmenge an Zigaretten ist gesunken. Aber auch über die Wirkung auf den Tabakmarkt kann man wieder unterschiedliche Annahmen treffen. Man kann einmal sagen: Die Tabaknachfrage sinkt. Klar, für weniger Zigaretten brauch ich auch weniger Tabak. Man kann aber auch der Meinung sein, daß die Konsumenten dann auf selbst gedrehte oder gesteckte Zigaretten ausweichen, daß der Schmuggel anzieht etc. 3 und deswegen soviel Tabak wie zuvor - nur halt für andere Produkte - benötigt wird. Keine dieser Antworten wäre falsch - es kommt mir nicht auf das Ergebnis an, sondern darauf, daß Sie sehen, wozu Sie Annahmen treffen müssen und daß Sie diese Annahmen richtig im Diagramm umsetzen. Wenn Sie dabei auf Ideen kommen, die ich nicht antizipiert habe, ist das völlig in Ordnung. 1 Allerdings kann man, wenn man sich frühere Erfahrungswerte ansieht, die Stärke (gemessen als Elastizität) eines Einflusses abschätzen und damit auch auf quantitative Prognosen kommen. Die sind aber immer noch nur ein grober Hinweis, denn erstens sind die Elastizitäten ja an unterschiedlichen Stellen einer Funktion andere und heute wird bei einem anderen Preis - an einer anderen Stelle der Kurve – gemessen als bei den vergangenen Beobachtungen und zweitens können die Zusammenhänge - z.B. die Neigungen der Konsumenten oder die Ausweichmöglichkeiten sich inzwischen geändert haben. 2 Wenn Sie das Konzept des Steuerkeils benutzen (vgl. Abb. 3.6), können Sie auf diese Annahme verzichten. 3 "Im vergangenen Jahr fiel etwa in Deutschland der Steuervorteil für selbst gesteckte Zigaretten. Die Konzerne versuchen nun, bei den preisbewussten Deutschen mit neuen Produkten zu punkten. So verkaufen sie seit Kurzem abgepackte Tabakstränge, die sich die Raucher selbst nach Wunsch zurechtschneiden können. Gleichzeitig tüfteln sie an rauchfreien Zigaretten oder Tabakbeutelchen, die man sich zwischen die Backen klemmen kann." (www.stern.de/wirtschaft/news/maerkte/tabakindustrie-wir-ziehen-weiter-583400.html) Einführung in die VWL 3 Der Vergleich von Gleichgewichten S. 41 Komparative Statik: Das Kochrezept 1) Bestimme das Ausgangsgleichgewicht. 2) Diskutiere die Änderung: Ist eine der beiden Kurven betroffen, oder sind es beide? 3) In welche Richtung(en) wird die Kurve (werden die Kurven) verschoben? 4) Verschiebe die Kurve. 5) Lies das neue Gleichgewicht ab und vergleiche es mit dem alten: dp* = p*neu - p*alt dx* = x*neu - x*alt Eine wichtige Einschränkung noch: Hier werden das Anfangsgleichgewicht (A) und das Endgleichgewicht (B) verglichen. Die Frage, wie man von A nach B kommt - und ob der Markt möglicherweise unterwegs vom Weg abkommen könnte - ist eine Frage der Dynamik die im Rahmen einer Einführung nicht behandelt werden kann: Erstens, weil sie reichlich kompliziert ist und zweitens, weil sie wieder mal nicht ganz eindeutig ist: Das Endgleichgewicht kann nämlich durchaus davon abhängen, welchen von unterschiedlichen möglichen Anpassungspfaden man eingeschlagen hat. 3.1.1 Verschiebung der Nachfragekurve Betrachten Sie den Markt für Laptops nach Einführung der Netbooks. Zunächst: Bestimme (in Abb. 3.1) das Ausgangsgleichgewicht (p0*, x0*) am Markt für Laptops ehe die Netbooks erfunden wurden. Abb. 3.1: Komparative Statik: Verschiebung der Nachfragekurve S. 42 3 Der Vergleich von Gleichgewichten Karl Betz Zweitens: diskutiere den isolierten Effekt der Netbooks. Achtung: Es geht um den Effekt der Netbooks alleine, es sind also alle anderen Einflüsse konstant zu halten (formal: Es ist unter der ceteris-paribus-Bedingung zu argumentieren) – also ist z.B. ausschließen z.B. daß die Computernachfrage insgesamt gestiegen ist, daß es einen Trend weg vom Desktop gibt, wenn in Firmen z.B. Büroorganisationen gewählt werden, bei denen die Mitarbeiter keinen festen Arbeitsplatz mehr haben, sondern sich mit ihrem Laptop dort hinsetzen, wo gerade Platz ist u.s.w. u.s.f.. All diese Einflüsse könnte man sich der Reihe nach ansehen, aber jetzt soll es erstmal um den isolierten Einfluß der Netbooks gehen. Die Frage lautet also: Was wäre passiert, wenn sich sonst nichts geändert hätte und nur die Netbooks neu auf den Markt gekommen wären? Welche Kurve ist betroffen? Sicherlich die Nachfragekurve. Drittens und viertens: In welche Richtung verschiebt sich die Kurve? Weil etliche Verbraucher das billigere Netbook einem Laptop vorgezogen haben, wird die Nachfrage zurück gegangen sein. Was heißt die Nachfrage ist zurück gegangen? Nun, alternativ: Entweder: Bei einem bestimmten Preis wird weniger gekauft als zuvor (schraffierter Pfeil) Oder: Für die gleiche Menge wird weniger geboten als zuvor (grauer Pfeil) Welche der beiden Varianten die geschicktere ist, hängt mitunter ein wenig von der Fragestellung ab. Nehmen Sie z.B. an, es wird gefragt: Was passiert, wenn die Bevölkerung sich verdoppelt? Dann ist es plausibel anzunehmen, daß die Nachfrage sich verdoppelt und nicht nur die Richtung, sondern auch das Ausmaß der Verschiebung ist dann bekannt. Übrigens ist es gut möglich, daß die Kurve sich im vorliegenden Fall gedreht hat: Daß Netbooks billiger geworden sind, ist ja vor allem ein Argument für Menschen, die nicht so viel Knete haben und von daher von vorne herein weniger für Laptops zahlen konnten. Die Kurve würde sich nach dieser Überlegung bei niedrigeren ps weiter von der ursprünglichen x 0NE entfernt haben als bei höheren.4 Fünftens: Vergleiche Anfangs- und Endgleichgewicht: Die abgesetzte Menge an Laptops wird fallen (von x0* auf x1*) und der Preis wird ebenfalls fallen (von p0* auf p1*). Übrigens könnten einige von Ihnen auf die Idee kommen zu sagen: In die Produktion von Netbooks gehen zum Teil die gleichen Komponenten ein, wie in die von Laptops. Daher steigt der Preis von Laptopkomponenten, die Herstellung verteuert sich und die Angebotskurve verschiebt sich ebenfalls (nach oben). Die Überlegung wäre mit der Frage nicht intendiert gewesen. Aber sie wäre natürlich nicht falsch und eine völlig zulässige Antwort. Die Frage, was geschieht, wenn beide Kurven sich verschieben, vertage ich hier aber auf den Abschnitt 3.1.3. Denken in Modellen: Mitunter liest man in Klausuren: Weil die Nachfrage sinkt, sinkt der Preis. Das aber regt die Nachfrage wieder an und deswegen ändert sich nichts an der Menge. Was verbal so plausibel klingt, enttarnt sich als Denkfehler, wenn man sauber im Modell denkt: Der Preis ist ja nur gesunken, weil die abgesetzte Menge gesunken ist. Der niedrigere Preis dämpft (bei einer endlich elastischen Angebotskurve) einen Teil des Mengeneffekts der gesunkenen Nachfrage. Er kann diesen Effekt (außer bei einer vollständig unelastischen Angebotsfunktion) aber nicht völlig kompensieren - sonst wären Sie ja wieder bei der alten Menge und für die, sagt die Angebotskurve, müßte auch der alte Preis bezahlt werden. Und das gibt die nun niedrigere Nachfrage nicht her. 4 Ich wollte zuerst schreiben: Teurere Laptops sind High End Geräte, deren Funktionen von Netbooks nicht übernommen werden können (Counterstrike und so). Da hätte ich aber Blödsinn geredet: High End Laptops haben andere Eigenschaften als einfache. Ich hätte also von unterschiedlichen, inhomogenen Gütern geredet, und die wären durch unterschiedliche Märkte abzubilden gewesen. Einführung in die VWL 3 Der Vergleich von Gleichgewichten S. 43 Bleiben Sie also, wenn Sie argumentieren, im Modell und lassen Sie sich nicht von verbalen Kurzschlüssen hereinlegen. Denn genau das ist die Funktion von mathematischen oder graphischen Modellen: zu überprüfen, ob, gegeben meine Annahmen, denn auch wirklich das Ergebnis herauskommt, das ich glaube, daß herauskommen sollte. Natürlich: Falls dann etwas anderes herauskommt, dann kann das (wenn Sie richtig gerechnet haben) an zwei Faktoren liegen: Sie können sich im Ergebnis geirrt haben, oder Ihre Ausgangsannahmen können falsch gewesen sein. 3.1.2 Verschiebung der Angebotskurve Angenommen, es verändere sich etwas, das das Angebot betrifft. Den Verlauf der Angebotskurve diskutiert erst das folgende Kapitel. Ich bleibe daher vorerst bei der informellen Annahme, die Angebotskurve reflektiere irgendwie die Kosten der Produktion eines Gutes. Beim Beispiel Laptops könnte das z.B. eine neue Technik sein, die es erlaubt, Prozessoren mit einer niedrigeren Ausschußrate herzustellen, so daß die Kosten der Prozessoren und daher die Kosten der Produktion von Laptops sinken. Abb. 3.2: Verschiebung der Angebotskurve Also: • Betroffen sind die Kosten der Herstellung (des Angebots). Folglich verschiebt sich die Angebotskurve. • Die Kosten sind gesunken - folglich verschiebt sich die Angebotskurve nach unten (ich kann die gleiche Menge bei einem niedrigeren Preis anbieten; grauer Pfeil) oder nach außen (bei dem gleichen Preis will ich jetzt mehr herstellen, schraffierter Pfeil). • Auf die Nachfrage wirkt der Effekt nicht, die Nachfragekurve bleibt also liegen, wo sie liegt. S. 44 • 3 Der Vergleich von Gleichgewichten Karl Betz Im Vergleich von Anfangs- und Endgleichgewicht wird der Preis von Laptops fallen (von p0* auf p1*) und die abgesetzte Menge wird steigen (von x0* auf x1*). Fallstudie: Waldbrände in Rußland Am Weizenmarkt greift die Angst um sich Wegen Dürre und Waldbränden stoppt Russland die Getreideausfuhr. Damit steigt die Angst vor einer Weizenknappheit weiter. Die Preise schießen in die Höhe. Welchen Anteil Spekulanten daran haben und wie knapp das Getreide wirklich ist. HB FRANKFURT. Der Markt für Weizen gerät außer Kontrolle. Dürre und die verheerendsten Waldbrände seit 40 Jahren drohen einen großen Teil der russischen Ernte zu vernichten. Auf die Katastrophe hat die Regierung in Moskau nun mit einem Verbot von Getreideausfuhren reagiert. Ministerpräsident Wladimir Putin kündigte gestern den vorübergehenden Exportstopp an. An den Rohstoffmärkten fachte das die ohnehin grassierende Angst vor einer Weizenknappheit weiter an. Der Preis für das Getreide stieg rasant. Der europäische November-Kontrakt legte um bis zu neun Prozent auf 227,50 Euro je Tonne zu. Seit Anfang Juli hat sich die Tonne Weizen damit um 50 Prozent verteuert. Preisaufschläge sind "zu 70 Prozent Spekulation" Experten führen die Explosion des Weizenpreises aber nicht allein auf die drohende Verknappung des Angebots zurück. Die Aufschläge seien "zu 70 Prozent der Spekulation großer Fonds geschuldet", sagte Klaus Josef Lutz, Chef des größten europäischen Agrar- und Baustoffhändlers Baywa. "Keiner weiß genau, wie sich die Getreidepreise entwickeln." Einen Versorgungsengpass sieht Lutz aber derzeit nicht. In den vergangenen Wochen hatten heftige Preisausschläge auch bei anderen Nahrungsmittelrohstoffen wie Kakao für erhitzte Diskussionen darüber gesorgt, inwieweit Hedge-Fonds und Banken mit ihren Investitionen die Märkte destabilisieren. (Quelle: Handelsblatt 6.8. 2010. Kompletter Artikel: link) 3.1.3 Simultane Verschiebung beider Kurven Es sind aber auch Schocks denkbar, die beide Kurven betreffen. Denken Sie z.B. an Zuwanderung: Durch Zuwanderung steigt gleichzeitig die Nachfrage nach Lebensmitteln (denn auch Zuwanderer müssen essen) und das Angebot (denn auch Zuwanderer können produzieren). In der Grafik ist, der besseren Übersichtlichkeit halber, das Ausgangsgleichgewicht in grau dargestellt. Zuerst sei der Effekt auf die Nachfrage betrachtet: Die Nachfrage steigt (die Nachfragekurve verschiebt sich nach oben / außen, oder Nordosten). Eine höhere Nachfrage, isoliert betrachtet, bedeutet höhere Preise und eine höhere Menge (graue Pfeile). Das läßt sich ablesen, indem man Punkt A, den Schnittpunkt der neuen (schwarzen) Nachfragekurve mit der alten (grauen) Angebotskurve betrachtet. Gleichzeitig aber steigt das Angebot (die Angebotskurve Einführung in die VWL 3 Der Vergleich von Gleichgewichten S. 45 verschiebt sich nach unten / außen, nach Südosten.): Ein höheres Angebot isoliert betrachtet bedeutet eine höhere Menge, aber niedrigere Preise (schraffierte Pfeile). Dies sieht man am Vergleich von Punkt A und Punkt B, dem neuen Gleichgewicht, also dem Schnittpunkt von neuer Nachfrage- und neuer Angebotskurve. Abb.3.3 Verschiebung beider Kurven Damit ist zwar jeder Effekt für sich betrachtet eindeutig. Der Gesamteffekt, die Summe der beiden Einflüsse, ist aber nicht mehr so klar: Für die Mengenänderung ist der Effekt immer noch eindeutig: Beide Wirkungen lassen die Menge steigen. Aber ob der Preis steigt, sinkt, oder gleich bleibt, hängt davon ab, wie stark die einzelnen Verschiebungen sind (und wie elastisch die ursprünglichen Kurven sind). Ohne nähere Informationen hierzu (z.B. in Form von Elastizitäten) läßt sich über die Entwicklung des Preises nichts aussagen. 3.2 Komparative Statik: Steuern Nehmen Sie an, der Staat erhebe eine Steuer auf Wasser. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wird die Steuer von Anbieter entrichtet oder vom Nachfrager. Was aber wichtiger ist als die Frage, wer die Steuer abführt (Zahllast), ist die Frage, wer sie letzten Endes trägt (Traglast). Nehmen Sie an, die Steuer wird vom Anbieter abgeführt, dieser kann sie aber erfolgreich auf seinen Preis aufschlagen (überwälzen). Dann würde die Steuer zwar vom Produzenten gezahlt. Getragen würde sie aber von Nachfrager, der jetzt mehr für das Produkt zahlen müßte. Die Frage der Steuerinzidenz (also die Frage, wer die Steuerlast letztlich trägt) ist also offensichtlich noch nicht entschieden, wenn festgelegt ist, wer die Steuer ans Finanzamt abzuführen hat. Um diese Frage nach der Steuerinzidenz zu beantworten, läßt sich wieder das Instrument der komparativen Statik einsetzen. Zunächst sei angenommen, die Steuer sei vom Nachfrager zu tragen und es handele sich um eine S. 46 3 Der Vergleich von Gleichgewichten Karl Betz Mengensteuer. Neben dem Wasserautomaten steht also ein Finanzbeamter und an den müssen Sie, für jede Flasche, die Sie gezogen haben, 20 Cent zu zahlen. Die Nachfragekurve besagt: Für die xte Flasche Wasser werden maximal p Cent gezahlt werden. An wen sie dieses Geld zahlen, ist den Nachfragern schnurz piep egal. Die xte Flasche ist ihnen nicht mehr wert, wenn sie das Geld an den Staat abführen müssen, als wenn sie es an Evonik blechen. Sind pro Flasche 20 Cent Steuern zu zahlen und ist den Nachfragern die 10te Flasche einen Euro wert, dann werden diese nach Einführung der Steuer eben nur noch bereit sein, 80 Cent in den Automaten zu stecken (an den Verkäufer zu entrichten). Andernfalls ziehen sie eben nur noch acht oder neun Flaschen. Die Einführung einer Steuer verschiebt also die Nachfragekurve nach unten, wobei gilt; Neue Zahlungsbereitschaft = Alte Zahlungsbereitschaft – Steuerbetrag [pro Stück]. Ob sich die Kurve parallel (um den Steuerbetrag) verschiebt, oder ob sie sich dreht, hängt davon ab, ob es sich um eine Mengensteuer oder um eine Wertsteuer handelt. Eine Mengensteuer (20 Cent pro Flasche) erzeugt eine Parallelverschiebung: Ich muß ja für jede Flasche 20 Cent abdrücken, egal, wie teuer sie ist und diese 20 Cent gehen von meiner Zahlungsbereitschaft gegenüber Evonik ab. Bei einer Wertsteuer (sage 19% des Verkaufspreises) dreht sich die Kurve: Der Steuerbetrag ist ja geringer, wenn der Preis niedriger ist. Insbesondere ist die Steuer bei einem Preis von Null ebenfalls Null, der alte Schnittpunkt mit der x-Achse bleibt also von der Steuer unberührt. In diesem Falle wäre die neue Nachfragekurve zu konstruieren über: Neue Zahlungsbereitschaft = Alte Zahlungsbereitschaft · (1 – Steuersatz [%]) Weil man den Effekt, der hier vorgeführt werden soll, bei einer Mengensteuer leichter zeichnen kann als bei einer Wertsteuer, soll im folgenden weiter eine Mengensteuer, also 20 Cent/Flasche, unterstellt werden. Abb.3.4 -Mengensteuer, die der Käufer zahlt Gut. Zunächst wird also angenommen, der Nachfrager müsse die Steuer zahlen (wie dies z.B. bei der Kfz-Steuer der Fall ist.) Es sind jetzt zwei Preise zu unterscheiden: Das, was die Sache den Nachfrager insgesamt kostet (also Steuer plus dem, was er dem Anbieter zahlt) und das, was der Einführung in die VWL 3 Der Vergleich von Gleichgewichten S. 47 Anbieter bekommt. Ich nenne die Knete, die die Nachfragerin insgesamt abdrücken muß, mal p K (K für Käufer) und das was davon beim Verkäufer ankommt pV. Dann beschreibt Abb. 3.4 die Konsequenzen der Steuer. Durch die Steuer verschiebt sich die Nachfragekurve – und zwar um genau den Betrag der Mengensteuer, also 20 c, nach unten. Entsprechend geht die Menge zurück (von x 0 auf x1) und dieser Mengenrückgang bewirkt, daß man sich auf der Angebotskurve nach unten bewegt: Wenn das Angebot nicht unendlich elastisch ist, wird eine geringere Menge ja auch zu niedrigeren Preisen angeboten. Im Ergebnis steigt pK durch die Steuer – aber eben nicht um den vollen Steuerbetrag, sondern um - im Beispiel – rund 11 c. Die restlichen 9 c werden zwar auch von Käufer abgeführt – getragen aber werden Sie vom Verkäufer, der jetzt, auf Grund der geringeren Nachfrage, nur noch den niedrigeren Preis pV für seine Produkte erlöst. Was ändert sich nun am Ergebnis, wenn nicht der Nachfrager sondern der Anbieter die Steuer zahlen muß? Nun, zunächst ändert sich etwas an der Herleitung: Jetzt muß die Angebotsfunktion verschoben werden: Die Angebotskurve, so wurde oben gesagt, reflektiert die Kosten des Angebots, und diese sind gestiegen, da der Anbieter jetzt pro verkaufter Einheit zusätzlich die 20 c Steuer abdrücken muß. Die Angebotskurve verschiebt sich also (um exakt 20 c) nach oben. Dies ist im linken Diagramm von Abbildung 3.5 dargestellt. pK steigt, pV, das, was dem Anbieter nach der Steuer bleibt, sinkt. Also im Prinzip das gleiche Ergebnis, das man auch bekommt, wenn man die Steuer vom Käufer zahlen läßt (nur daß die Steuererhebung so billiger wird – stellen Sie sich mal vor, neben jeden Zigarettenautomaten müßte noch ein Finanzbeamter stehen). Aber die Antwort läßt sich noch genauer geben und deswegen ist rechts daneben die Grafik 3.4 nochmal wiedergegeben: Die Menge sinkt in beiden Fällen um genau den gleichen Betrag – und daher sind auch die neuen pK und pV in beiden Fällen die gleichen: Es ist völlig egal, wer die Steuer zahlt – wer die Steuer letztlich trägt, hängt einzig und allein davon ab, wie elastisch Angebots- und Nachfragekurve sind (vgl. hierzu die Übungsfrage 6). Abb. 3.5 Steuerinzidenz bei unterschiedlicher Steuererhebung Man kann es sich deswegen auch einfach machen und, anstatt lange Kurven zu verschieben, einfach den Steuerbetrag wie einen Keil zwischen Angebots- und Nachfragekurve einpassen und das Ergebnis einfach ablesen (Abb. 3.6). S. 48 3 Der Vergleich von Gleichgewichten Karl Betz Heißt das, daß man mit einer Steuer grundsätzlich immer beide Parteien trifft? Nun, nicht unbedingt. Steuern können in zwei Fällen nicht überwälzt werden: a) Wenn sie nicht mengenabhängig sind. Eine Überwälzung der Steuerlast gelingt im Beispiel ja deswegen, weil die nachgefragte bzw. die angebotene Menge als Reaktion auf die Einführung der Steuer verändert werden kann. Bei einer Kopfsteuer (oder der Kopfpauschale bei der Krankenversicherung) ist eine solche Reaktion nicht möglich – Sie werden sich ja nicht enthaupten lassen , um der Steuer zu entgehen. b) Wenn es einen Weg gibt, nur diejenigen Nachfrager zu besteuern, deren Zahlungsbereitschaft über dem bisherigen Gleichgewichtspreis liegt – oder nur die Anbieter, die auch zu einem niedrigeren als dem alten Gleichgewichtspreis anbieten würden. Gelingt einem dies, dann geht die Nachfrage (das Angebot) zwar zurück, aber nur bei Preisen, die über dem aktuellen Gleichgewichtspreis liegen. Die Nachfragekurve (bzw. die Angebotskurve) dreht sich dann im Gleichgewichtspunkt, das Gleichgewicht selbst aber bleibt unberührt. Abb. 3.6: Steuerkeil Ein Beispiel hierfür ist die Minenabgabe, die derzeit (Stand: August 2010) in Australien eingeführt werden soll.5 (Oder sind Förderabgaben bei Erdölfeldern.) Nicht alle Erzadern liegen gleich tief und / oder bei nicht allen ist der Erzgehalt gleich hoch. Entsprechend sind, weil sie unterschiedliche Förderkosten haben, Minen auch unterschiedlich profitabel. Wenn auf Grund hoher Nachfrage (z.B. aus China) auch Minen betrieben werden müssen, bei denen der Abbau teurer ist, dann muß der Preis so weit anziehen, daß es lohnt, auch weniger ergiebige Vorkommen abzubauen. Damit steigt der Preis auf ein Niveau, das weit über dem liegt, zu dem die ertragreichen Minen anbieten könnten und diese erzielen hohe Extragewinne. In der Ökonomie wird ein solcher Gewinn, der nicht wegkonkurriert werden kann, auf Rente genannt (hier: Bergwerksrente). 5 Auf Grund erfolgreicher Lobbyarbeit der Bergwerksunternehmen wurde der Vorschlag allerdings bereits stark verwässert. Einführung in die VWL 3 Der Vergleich von Gleichgewichten S. 49 Die Idee der australischen Regierung war es nun, die Gewinne der Bergwerke zu besteuern, wenn deren Profit höher war, als er es bei einer normalen Kapitalverzinsung gewesen wäre. Sprich (in der ursprünglichen Fassung): Profite bis 8% des Eigenkapitals bleiben unversteuert und auf die darüber hinausgehenden ist ein hoher Steuersatz abzuführen. Angenommen, die 8% reflektieren die tatsächlichen Kosten der Kapitalbeschaffung (der Satz kommt mir etwas zu niedrig vor, aber es geht ja nur ums Prinzip) dann wird die Mine, die zu hohen Kosten produziert (die Grenzmine so zu sagen), von der Steuer nicht getroffen und Steuern zahlen müssen nur die Minen, deren Angebot weiter unten auf der Angebotskurve angesiedelt ist. Das Marktergebnis würde nicht beeinflußt, es würden lediglich Extragewinne (windfall profits) von den Minenbesitzern zu den Steuerzahlern hin umverteilt. Ein Beispiel dafür, wie man versuchen könnte, nur die oberen Abschnitte der Nachfragefunktion mit einer Steuer zu belasten, finden Sie unter den Fragen im Anschluß an dieses Kapitel. 3.3 Komparative Statik: Marktversagen bei externen Effekten Die Nachfragekurve reflektiert die Grenzzahlungsbereitschaften der Verbraucher. In Ihre Zahlungsbereitschaften gehen aber nur die Vorteile ein, die der Konsum einer Ware für Sie hat. Beim Konsum können aber auch Wirkungen auf andere Menschen entstehen, die Sie in Ihre Rechnung nicht mit einbeziehen. Derlei Externalitäten können positiv oder negativ sein. Ein Beispiel für eine negative Konsum-Externalität ist das Passivrauchen: In Ihre Nachfragefunktion nach Zigaretten geht nicht die Rauchbelästigung für andere Personen ein. Eine positive Externalität ist z.B. der Besuch eines Schachkurses. Der Vorteil für Sie: Sie können anschließend besser spielen. Aber auch alle anderen Spieler haben einen Vorteil: Diese haben jetzt einen weiteren (oder: besseren) möglichen Spielpartner. Ihre Zahlungsbereitschaft für den Kurs reflektiert aber nur den Nutzen, den Sie sich von dem Kurs erwarten, nicht auch den Vorteil aller übrigen Spieler. Abb. 3.7: Negative Produktionsexternalität S. 50 3 Der Vergleich von Gleichgewichten Karl Betz Die Angebotskurve wiederum reflektiert die Kosten, die die Produktion einer Ware bei der Herstellerin verursacht. Aber die Tatsache, daß sie diesen Produktionsprozeß durchführt, kann darüber hinaus bei unbeteiligten Dritten Vorteile (positive Produktions-Externalität) oder Nachteile (negativer externer Effekt) bewirken: Positive Produktions-Externalität: Bienenvölker produzieren Honig. Und nur dieser ist für den Imker wichtig, wenn er überlegt, wie viele Bienenstämme er hält. Aber sie bestäuben auch Pflanzen. Für den Obstbauern steigt daher der Ertrag, wenn in der Nähe seiner Wiese Bienen gehalten werden. Negative Produktions-Externalität: Von globaler Erwärmung haben Sie ja schon gehört. Daß ein Kohlekraftwerk negative Externalitäten hervorruft, brauche ich daher wohl nicht lange zu erläutern. Abb. 3.7 illustriert dies am Beispiel einer negativen Produktions-Externalität. Bei der Herstellung von Benzin6 fallen Abgase an und auch bei der Förderung des Rohstoffs Öl soll es schon zu dem ein oder anderen negativen Externen Effekt gekommen sein. Diese Kosten werden vom Anbieter nicht getragen (sondern von den Anwohnern). Entsprechend sind die gesellschaftlichen Kosten höher als die privaten und die gesellschaftliche Angebotskurve, xgesAT, die beide Kostengruppen berücksichtigt, würde höher verlaufen als die nur private x privAT. Entsprechend müßte, würden auch die Externalitäten berücksichtigt, die Gleichgewichtsmenge (x G) niedriger sein und der Gleichgewichtspreis (pG) wäre höher. Entscheidend bei externen Effekten ist dabei nicht, daß sie bei Anderen anfallen. Entscheidend ist vielmehr, daß die Wirkung bei Anderen nicht in das Kalkül der Verursacher eingeht, weil / wenn die Verursacher die Betroffenen nicht dafür entschädigen müssen (negative externe Effekte) bzw. von diesen nicht dafür entlohnt werden (positive externe Effekte). Soweit eine solche Entlohnung am Markt ausgehandelt werden kann, berücksichtigen sie den Effekt in ihrer Entscheidung und er wäre internalisiert. Ein Beispiel für eine solche Internalisierung liefert Kalifornien: Die dortigen Verbände der Obstplantagenbesitzer zahlen Imkern eine Prämie, wenn diese während der Obstblüte mit ihren Bienenstämmen nach Kalifornien kommen. Im allgemeinen sind bei Externalitäten aber entweder zu viele Parteien involviert oder der Zusammenhang ist zu komplex, als daß eine solche spontane Internalisierung über den Markt zu Stande kommen könnte. Spätestens dann ist ein Staatseingriff sinnvoll. Dabei kommen zwei Typen von Maßnahmen in Betracht. a) Steuern / Subventionen: Es wurde gezeigt, daß eine Steuer die Nachfragekurve nach unten bzw. die Angebotskurve nach oben verschiebt. Bei negativen Externalitäten könnte man also eine Steuer einsetzen, um die private Angebots- bzw. Nachfragekurve in Richtung auf die gesellschaftliche zu verschieben. Bei positiven Effekten wäre eine Verschiebung in die andere Richtung erforderlich. Nun ja, wenn eine Steuer eine Kurve nach oben verschiebt, dann wird eine Subvention (also: eine negative Steuer) sie wohl ... genau: nach unten verschieben. b) Vorgabe einer Menge. Wenn ich weiß, daß der Markt, unter Berücksichtigung der negativen Externalitäten, zu viel von einer Sache bereit stellt, dann kann ich einfach die Menge beschränken: Emissionszertifikate oder Lizenzen tuen genau dies: In dem der CO2 Ausstoß begrenzt wird – und in dem diese Emissionsrechte handelbar gemacht werden – erhalten Emissionen einen Preis, der so lange steigt, bis die Produktion so teuer geworden ist, daß nur noch die gesellschaftlich gewünschte Menge des Gutes hergestellt wird. 6 Frage: Beim Verbrauch, sprich: beim Verbrennen, von Benzin entstehen natürlich auch negative externe Effekte. Wie würden Sie dies analysieren? Einführung in die VWL 3 Der Vergleich von Gleichgewichten 3.4 gehandelt: Mit Zitronen Asymmetrien Marktversagen S. 51 bei Informations- Bisher wurde unausgesprochen unterstellt, daß Anbieter und Nachfrager vollständig informiert sind. Wenn Sie überlegen, was Sie für eine Flasche Wasser wohl maximal bezahlen würden, müssen Sie eine Idee davon haben, wie sie wohl schmeckt: Ob sie gekühlt oder warm ist, mit oder ohne Kohlensäure und auch da gibt es dann immer noch deutliche Unterschiede. John Akerlof ist in einem Aufsatz7 der Frage nachgegangen, was es für Konsequenzen haben kann, wenn das nicht der Fall ist und hat hier den Gebrauchtwagenmarkt als Beispiel genommen. Nehmen Sie an, ein potentieller Käufer weiß zwar, daß es von einem bestimmten Gebrauchtwagentyp 20 % Montagswagen (also Karren, die ständig kaputt gehen, in den USA lemmons genannt) gibt. Er kann aber nicht sagen, ob ein konkreter Wagen, der ihm angeboten wird, ein Montagswagen ist oder nicht. Er hat folgende Zahlungsbereitschaft: Einwandfreier Wagen: Zitrone: 1000 € 200 € Der Einfachheit halber unterstelle ich mal, er sei nicht risikoavers. Dann ist der bereit, für einen Wagen dessen Erwartungswert zu zahlen. Da der Wagen, dessen Kauf er gerade erwägt, mit zwanzig prozentiger Wahrscheinlichkeit nur 200 € wert ist (Zitrone) und mit achtzigprozentiger Wahrscheinlichkeit 1000 € wird er maximal 840 € bieten. Zahlungsbereitschaft: Σ (Wahrscheinlichkeit · Wertschätzung) = 0,2 · 200 + 0,8 · 1000 = 840 € Das Problem ist nun: Der potentielle Verkäufer kennt ja die Qualität seines Wagens. Der Besitzer einer Zitrone wird 840 € für ein gutes Geschäft halten und verkaufen. Von den Besitzern der guten Wagen werden aber etliche 840 € für ein zu niedriges Gebot halten und deswegen ihr Angebot vom Markt nehmen. Damit sinkt aber die Wahrscheinlichkeit, einen guten Wagen zu erwischen. Weil der Käufer weiß, daß der Anbieter so denkt, muß er auch diese Reaktion in sein Kalkül einbeziehen – und damit geht sein Angebot weiter zurück und der Anteil der Zitronen steigt weiter. Dieser Prozeß ist erst dann sicher beendet, wenn der gebotene Preis auf 200 € gefallen ist und nur noch die Zitronen angeboten werden. Informationsasymmetrien können also einen Markt (hier den für gute Gebrauchtwagen) zum Erliegen bringen. 3.5 Bubbles und Deflationen Bei der komparativ statischen Analyse wurde nicht gefragt, wie man vom Ausgangs- zum Endgleichgewicht kommt. Ein Beispiel dafür, daß dieses Vorgehen eine ganze Menge an stillschweigenden Prämissen erfordert, sind Bubbles. Vermögensobjekte halten Sie ja in der Regel nicht wegen deren persönlichem Nutzen – Gemälde alter Meister nicht, weil sie so viel hübscher sind als Kopien – sondern weil Sie auf steigende Preise und damit auf Vermögensgewinne hoffen. Nehmen Sie nun an, auf Grund irgendeines Effektes steigt die Nachfrage an einem Markt – z.B. mögen als Reaktion auf eine Krise die Zinssätze durch die Notenbank gesenkt werden, die Hypothekenzinsen mögen deswegen sinken, die Nachfrage nach Grundstücken deswegen anziehen 7 Akerlof, John. The Market for 'Lemons': Quality Uncertainty and the Market Mechanism. In: The Quarterly Journal of Economics. Band 84, Nr. 3, August 1970, S. 488–500. S. 52 3 Der Vergleich von Gleichgewichten Karl Betz und nun steigen die Grundstückspreise. Soweit so gut, das ist die bereits bekannte komparative Statik. Was aber, wenn die steigenden Preise nun Erwartungen weiter steigender Preise generieren? Dann steigt die nun Nachfrage erneut, weil die erwarteten Preise gestiegen (und dadurch Gewinnerwartungen entstanden) sind. Und das ganze Spiel geht von vorne los. Steigende Preise können so zu einer Marktdynamik führen, durch die sich der Wert eines Anlageobjekts (eines Assets) immer weiter von seinem „fundamentalen Wert“ entfernt – bis bei irgendeinem Preisniveau die Nachfrage nicht mehr – oder langsamer – weiter steigt. Das ist der Punkt, an dem die Blase zu platzen beginnt: Die langsameren oder ausbleibenden Wertsteigerungen lassen die Gewinnerwartungen einbrechen, die Nachfrage bricht ein und der Preis sackt in sich zusammen. Ein Beispiel unter vielen für solche Bubbles liefert die Preisgeschichte des Rhodiummarktes, die in Abb. 8 wiedergegeben ist. Man sieht, daß es hier mehrfach zu solchen Preisexplosionen gekommen ist (Anfang der 90er, Ende der 90er, Ende der 00er) und daß der Preis dann regelmäßig wieder auf sein Ausgangsniveau zurück krachte. Abb. 3.8: historische Rhodiumpreise Quelle: Kitcom Einführung in die VWL 3 Der Vergleich von Gleichgewichten S. 53 Wenn man das weiß, warum kann es dann sein, daß bubbles überhaupt vorkommen? Wenn man weiß, daß Blasen schließlich platzen werden, dann wäre es doch eine gute Idee, in einem bubble leer zu verkaufen (sprich das Asset heute zu einem Liefertermin in der Zukunft zu verkaufen, ohne daß man es bereits hat – und sich dann nach dem Platzen des bubble billig mit dem Zeug einzudecken, um seine Verpflichtung zu erfüllen). Nun, mit dieser Strategie läuft man in zwei Probleme: Erstens: Oben wurde so schön gesagt: Der Kurs entfernt sich von seinem fundamentalen Wert. Aber wenn Sie mitten in einem bubble stecken, werden Sie Schwierigkeiten haben zu entscheiden, ob sich der Preis gerade von fundamentalen Wert entfernt – oder ob der fundamentale Wert sich gerade ändert. Beispiel Grundstückspreis bubble: Ein vernünftiges Maß für den fundamentalen Wert einer Immobilie sind die Mieteinnahmen, die man mit der Immobilie erzielen kann. Nur: Der Gegenwartswert eines Zahlungsstroms (hier: der Mieten) sind die abgezinsten erwarteten Erträge. Und da stellt sich die Frage: Abgezinst mit welchem Zinssatz? Ab- und Aufdiskontieren Nehmen Sie an, nach Abzug aller Reparaturkosten (und einer Entschädigung dafür, daß Sie ein Haus schwieriger zu Geld machen können als eine Bankeinlage) erbringe eine Immobilie jährliche Mieteinnahmen von 10.000 €. Gleichzeitig erwarten Sie (sicher), daß Sie für eine Bankeinlage 4% Realzinsen pro Jahr bekommen. Kaufen Sie die Immobilie oder bringen Sie Ihr Geld zur Bank? Die Antwort ist: Es kommt darauf an – darauf nämlich, welchen Realzinssatz die Bankeinlage erbringt und welchen die Immobilie. Um die Rechnung so einfach wie möglich zu halten, unterstelle ich mal, das Haus halte ewig. Bei ewiger Laufzeit vereinfacht sich die Formel zur Berechnung eines Vermögenswertes zu: Vermögenswert (V) = jährliche Einzahlungen / Zinssatz. Hier also auf Wert der Immobilie = (Mieteinnahmen/Jahr)/(Zinssatz/Jahr) Die Mieteinnahmen seien als bekannt unterstellt, sie sind 10.000. Bei einem Zinssatz von 10% wäre das Haus mithin 100.000 Wert (=10.000/0,1), bei einem Zinssatz von 5% aber 200.000 €. Wenn das Haus jetzt 200.000 kostet, dann werden Sie es bei einem Zinssatz von (etwas weniger als 5%) einer Bankeinlage vorziehen, weil Sie so einen Höhere Rendite haben als bei der Bank. Und bei einem Zinssatz von 10% werden sie die Bankeinlage vorziehen, weil die für Sie Jahr für Jahr mehr abwirft als das Haus. Ein Zahlungsstrom in der Zukunft ist in der Gegenwart also umso weniger wert, je höher der Zinssatz ist, mit dem man ihn abdiskontiert. Dieser Sachverhalt spielt zum Beispiel in der Diskussion um die Vermeidung von CO2 Emissionen eine große Rolle. Denn selbst wenn man sich darüber einig wäre, welche Schäden die globale Erwärmung in der Zukunft anrichten wird, lohnt es sich doch viel weniger, heute etwas dagegen zu tun, wenn man die erwarteten Schäden mit einem höheren Zinssatz abdiskontiert. Viele Analysten vertraten die These, daß die neuen Finanzinstrumente - wie credit default swaps (also Kreditausfallversicherungen) oder das Bündeln von Hypotheken in asset backed securites (so daß man seine Eier nicht alle in einen Korb legt, weil, wenn ein oder zwei Hypotheken ausfallen, die übrigen immer noch Zinsen abwerfen) - das Risiko gemindert hätten und daher ein niedrigeres S. 54 3 Der Vergleich von Gleichgewichten Karl Betz gleichgewichtiges Zinsniveau rechtfertigten. Auch das von den Makroökonomen verkündete Ende der Wirtschaftskrisen auf Grund einer besseren Wirtschaftspolitik („great moderation“) unterstützte diese Ansicht. Bei einem niedrigeren Zinsniveau und damit bei einem niedrigeren Diskontierungsfaktor rechtfertigen aber die gleichen erwarteten Mieteinnahmen höhere Immobilienpreise. In jedem bubble werden sich daher Experten finden, die elaborierte Theorien produzieren, warum die neuen höheren Preise vollständig gerechtfertigt sind. Noch 2005 etwa erklärte der IWF in einem country report, das Niveau der Grundstückspreise in den USA sei ganz in Ordnung. Das zweite Problem ist, daß Sie, selbst wenn Sie sich sicher sind, in einem bubble zu stecken, sich nicht sicher sein können, wann er platzt.8 Nehmen Sie an, wir schreiben Anfang 2006. Sie sind sich sicher, daß im Rhodium-Markt ein bubble vorliegt und verkaufen daher Rhodium leer auf Termin Anfang 2007. Das machen Sie einmal, danach sind Sie gefeuert (oder pleite, wenn Sie auf eigene Rechnung spekuliert haben.) Oder nehmen Sie an, ein Vermögensobjekt habe derzeit einen Kurs von 100. Sie glauben, dieser Preis sei überhöht und Sie seien in einem bubble. Sie können nicht wissen wann er platzt, wissen aber, daß bubbles ganz schön lange laufen können: Sie erwarten daher, daß die Blase mit einer Wahrscheinlichkeit von 5% im Folgemonat platzt und erwarten ferner, daß der Preis in diesem Fall auf 50 fällt. Zugleich steigen die Preise zur Zeit mit einer Rate von 10% pro Monat. Dann ist Ihre Erwartung für den den Profit, den Sie mit einer Investition in dieses Asset machen können: E[Gewinn] = 0,95 · (10) + 0,05 · (- 50) = 9,50 – 2,50 = 7 oder 7% pro Monat (= 125% pro Jahr). Keine unattraktive Investitionsidee, den bubble zu reiten, wenn Sie sich, sage, zu 5% pro Jahr am Markt refinanzieren können. ... Testen Sie sich doch mal selbst, wie sicher Sie bubbles von gerechtfertigten Preissteigerungen unterscheiden können. Ist die aktuelle Goldpreisentwicklung ein bubble? Einerseits hören Sie Argumente, daß die Niedrigzinspolitik der Notenbanken und die steigende Staatsverschuldung eine Inflation auslösen werden. Und Gold wird als Inflationsschutz empfohlen. 9 Andererseits ist in nächster Zeit die Inflationsgefahr gering, weil die Unternehmen unausgelastete Kapazitäten haben und daher kaum die Preise werden anheben können. Dies spiegelt sich darin wider, daß die inflationsindexierte Bundesanleihe nur eine geringe Inflationsrate eingepreist hat: "Vergleicht man die Rendite der bis 2016 laufenden Bundesanleihen miteinander, so ergibt sich für den 2016 fälligen Linker eine Inflationserwartung von etwa 1,5 Prozent." (Stand: August 2010; FAZ). Die vielleicht noch intelligenteste Erklärung gab der Economist:: Weil die Anleger sich nicht sicher sind, ob eine Inflation oder eine Deflation kommt, fragen sie beides nach (Wertpapiere als Deflationsschutz und Gold als Inflationsschutz). 8 Der Economist z.B. hat seit dem Platzen der dot.com Blase Anfang der 00er auf den housing bubble in den USA hingewiesen. 9 Wenn auch manchmal mit etwas seltsamen Argumenten: "Gold hat seine Kaufkraft in der Geschichte immer erhalten. So kostete Anfang der 20er Jahre eine Unze Gold rund 20 Dollar. Dafür bekam man damals einen guten Herrenanzug. Heute bekommen sie für eine Unze Gold immer noch einen guten Herrenanzug, aber für 20 Dollar bekommen sie vielleicht gerade einmal das Einstecktuch dazu." (Martin Mack, unter Handelsblatt.com)*) Was dieser Anlageberater elegant verschweigt, ist, daß die Alternative zu Gold als Anlageobjekt ja nicht Bargeld, sondern verzinsliche Wertpapiere sind. Wenn Gold aber seine Kaufkraft sein Anfang der 20er laut seiner Aussage gerade mal bewahrt hat (immer noch ein Herrenanzug), dann ist das gar nicht so attraktiv: Hätten Sie Ihr Vermögen damals in den USA statt in Gold in Wertpapiere gesteckt, dann hätte sich seine Kaufkraft im gleichen Zeitraum knapp verdoppelt (kurzfristige Staatsanleihen) gut verfünffacht (Staatsanleihen mit 10jähriger Laufzeit) bzw. mehr als verhundertfacht (Aktien). (Vgl. Martin Ehret, Studienbuch Finanzmarkttheorie, Abb. 3.2). Ok, jetzt können Sie natürlich fragen: Was soll ich mit 100 Herrenanzügen? ... *) Unter diesem link finden Sie auch die übrigen hier zitierten Expertenmeinungen sowie weitere Einschätzungen. Einführung in die VWL 3 Der Vergleich von Gleichgewichten S. 55 Abb. 3.9 Goldbubbles Quelle: Wikipedia Wie immer gibt es auch Analysten, die den aktuellen Preis für fundamental gerechtfertigt halten: "Gold ist bei 1200 bis 1500 Dollar in etwa fair bewertet und eine Versicherung gegen viele Negativszenarien. Es gehört damit in jedes Depot." (Max Otte (Der Crash kommt) in: Handelsblatt, siehe oben). Daß Gold jedenfalls immer mal wieder einen bubble mitmacht, können Sie der obigen Grafik entnehmen. Und es gibt auch Analysen, die von einer Blase sprechen - aber: Wenn Sie z.B. die Einschätzung von Jeffrey Nichols, geschäftsführender Direktor von American Precious Metals Advisors teilen (ebenfalls der Handelsblatt link): "Bevor die Blase platzt, kann der Goldpreis durchaus noch auf 2000 Dollar oder 3000 Dollar klettern.", Was machen Sie, wenn Sie diese Einschätzung teilen?? Kaufen Sie und nehmen die 100% Gewinn noch mit, ehe Sie aussteigen (und heizen den Preisanstieg vorläufig weiter mit an) oder bleiben Sie draußen und lassen sich die Gewinnchance entgehen? Die Entwicklung des Goldpreises ist übrigens auch ein gutes Beispiel für trau, schau wem. Wenn Sie sich die historischen Goldpreise von www.Goldmünzen.de holen, startet die Reihe im Jahr 2000. Die Daten sind nicht falsch. Es wurden halt nur die alten Bubble-Episoden abgeschnitten und der Chart startet zu einem Zeitpunkt, ab dem der Goldpreis nur eine Richtung kennt: Nach oben. Sie sollten also generell, wenn Sie Informationen im Internet holen, erstens versuchen, seriöse Quellen zu finden (Wissenschaftler, Forschungsinstitute) und Sie sollten darüber hinaus auch unterschiedliche Meinungen einholen, weil diese Quellen auch nicht immer richtig liegen (vgl. die Einschätzung des IMF zu den Grundstückspreisen) oder nicht unbedingt interesselose Forschung betreiben, wenn sie im Aufsichtsrat einer Lebensversicherung sitzen (wie Raffelhüschen, der immer wieder als Rentenexperte im Fernsehen auftritt) Beraterverträge von Firmen haben (wie Rürup, S. 56 3 Der Vergleich von Gleichgewichten Karl Betz zeitweise Chefökonom von AWD) oder ihr Institut von Interessengruppen der Wirtschaft finanziert wird (z.B. IW Köln, Stiftung Soziale Marktwirtschaft und Unterinstitute). Ein von den Gewerkschaften finanziertes Institut gibt es übrigens auch (IMK). Das Gegenbild zu diesem Beispiel der bubbles liefert die Deflation. Hier führen fallende Preise zur Erwartung weiter fallender Preise – und auch dieser Prozeß ist selbst verstärkend: Wenn die Nachfrager fallende Preise erwarten, werden sie Nachfrage zeitlich aufschieben. damit aber geht die Nachfrage zurück und deswegen fallen die Preise weiter – was wiederum die Nachfrage zurück gehen läßt. Der Unterschied ist nur, daß hier nicht von der erwarteten Preisänderung für eine einzelne Ware sondern von der erwarteten Richtung der Veränderung aller Preise die Rede ist.. Ich komme auf dieses Problem im Makro-Teil noch zurück. Sie sehen: Die Annahme, daß alle Kurven liegen bleiben wo sie sind, während sich die Preise ändern und der Markt sein neues Gleichgewicht erreicht, ist nicht so ganz unproblematisch. Fragen zum dritten Kapitel Verständnisfragen 1) Was vergleicht komparativ-statische Analyse? 2) Was verstehen Sie unter der ceteris-paribus-Bedingung? 3) Warum macht es Sinn, in Modellen zu denken? 4) Welche Kurve ist betroffen, wenn sich die Herstellungskosten ändern? 5) Was ist der Unterschied zwischen Zahllast und Traglast einer Steuer? 6) Was sind externe Effekte? 7) Was spricht dagegen, Externalitäten zu beseitigen, in dem man einfach Rechte vergibt und die Privaten die Marktlösung selber aushandeln läßt? 8) Wie bestimmt man den Wert eines Zahlungsversprechens in der Zukunft? 9) Sind Marktpreise immer „richtig“? 10) Wieso können Preisblasen entstehen? Einführung in die VWL 3 Der Vergleich von Gleichgewichten S. 57 Anwendungen 1) Bitte diskutieren Sie die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf den Markt für Heizdecken. Argumentieren Sie nur grafisch. 2) Wie Sie vielleicht wissen, wird Wodka aus Kartoffeln gebrannt. Und wie Sie vielleicht auch wissen, ist Wodka ein beliebtes Erfrischungsgetränk in Russland. Nehmen Sie nun bitte an, eine Abstinenzkampagne führt zu einem Einbruch der Nachfrage nach alkoholischen Getränken. Bitte diskutieren Sie grafisch: (a) Welche direkten Auswirkungen hat dies für den Wodka-Markt. (b) Welche Auswirkungen hat dies für den Markt für Kartoffeln? (c) Wie wirkt dies auf den Markt für Wodka zurück? (d) Nur verbal: Überlegen Sie, welche weiteren Märkte davon betroffen sein könnten. Geben Sie zwei oder drei Beispiele. 3) Am Markt für Zipfelmützen seien Angebot und Nachfrage beschrieben mit xAT = 8 · p – 4 xNE = 16 – 2 · p (a) Bitte bestimmen Sie das Marktgleichgewicht graphisch und algebraisch. (b) Der Schneewittchen zieht bei den sieben Zwergen ein. Diese wollen nun möglichst elegant aussehen und beschließen, sich neu einzukleiden, koste es, was es wolle ... (ba) Welche Kurve ist (warum) betroffen? (bb) Bestimmen Sie das neue Gleichgewicht grafisch. (bc) Kriegen Sie das auch algebraisch hin? Hinweis: „Nein“ mag eine zutreffende Antwort sein. Sie bringt Ihnen aber keine Punkte. 4) Auf dem Kleinwagen-Markt sei die Nachfragekurve AutoNE = 25.000 - 0,5 · p und die Angebotskurve sei AutoAT = - 15.000 + 1,5 · p Um die Nachfrage zu stimulieren, beschließt die Regierung für ein Jahr eine Prämie von 1000 € pro gekauftem Wagen. Bitte bestimmen Sie grafisch und algebraisch: Wie verändern sich der Absatz und der Preis? Bitte diskutieren Sie verbal: Was geschieht wohl im nächsten Jahr? Was geschieht auf dem Gebrauchtwagenmarkt? S. 58 3 Der Vergleich von Gleichgewichten Karl Betz 5) Die Angebots- und die Nachfragekurve auf dem Markt für Benzin sind: BNE = 1000 - 0,1 · p BAT = 0,2 · p - 200 (a) Bitte bestimmen Sie (grafisch und algebraisch) Gleichgewichtspreis und -menge. (b) Die Regierung will, um den CO2-Ausstoß zu senken, den Benzinverbrauch um 10% reduzieren. (ba) Wie hoch müßte die Steuer pro Einheit sein, um dieses Ziel zu erreichen? (bb) Würde es einen Unterschied machen, ob die Anbieter oder die Nachfrager besteuert werden? (c) Angenommen die Regierung gäbe, statt den Benzinverbrauch zu besteuern, handelbare Zertifikate (hier: Bezugsscheine, die zum Kauf von Benzin berechtigen) aus. (ca) Wie viele Zertifikate müßte sie ausgeben? (cb) Wie teuer wäre ein Zertifikat? 6) Zeichnen Sie zwei Diagramme. In dem einen nehmen Sie bitte eine sehr unelastische Nachfragekurve an, in dem zweiten eine sehr unelastische Angebotskurve. Zeichnen Sie jetzt an beiden Märkten einen Steuerkeil ein. (a) Diskutieren Sie: Wer trägt in den beiden Fällen die überwiegende Steuerlast? (b) Können Sie das Ergebnis verallgemeinern? 7) Betrachten Sie den Markt für Pizza. Angenommen nun Sie erheben eine Steuer in Höhe von t, die aber nur für die erste Pizza zu entrichten ist, die Sie im Monat essen. Was könnte dies für das Marktgleichgewicht bedeuten? 8) Bildung hat, neben Ihrem privaten Vorteil (höheres Einkommen, evtl. auch: Interesse am Fach) auch einen Nutzen für die Gesellschaft. a) Können Sie einige dieser gesellschaftlichen Effekte aufzählen? b) Was heißt dies für die Menge an Bildung, die vom Markt bereitgestellt würde, wenn es keine staatlichen Subventionen (Kostenloser Zugang zu Schulen und Hochschulen; Bafög) gäbe? c) Wie wirken Studiengebühren auf die nachgefragte Menge an Bildung? Bitte argumentieren Sie zu den Fragen b) und c) graphisch. Exkurs: Anchoring Auch bei Preisänderungen zeigt sich wieder, daß die Annahme vollständiger Information in der Praxis nicht als erfüllt vorausgesetzt werden kann. So hat die Bundesregierung, in Absprache mit der Tabakindustrie, die Einführung der Tabaksteuer in mehreren Stufen beschlossen. Der Grund ist die Erwartung, daß die Nachfrage nach Tabakwaren weniger stark einbricht, wenn die Preisanhebung schrittweise erfolgt, als wenn sie auf Einführung in die VWL 3 Der Vergleich von Gleichgewichten S. 59 einen Schlag eingeführt wird. Selbstverständlich widersprechen sich die Motivationen der Bundesregierung: – Anhebung der Steuer aus gesundheitspolitischen Gründen (= Es soll weniger geraucht werden). – Schrittweise Anhebung: wahlweise aus Gründen des Steueraufkommens oder der Beschäftigung in der Zigaretten Industrie (= es soll möglichst nicht weniger geraucht werden). Aber nicht nur die Argumentation der Bundesregierung, auch einige Annahmen des Marktmodells werden hier fragwürdig: Die Nachfrage hängt nämlich qua Annahme nur vom laufenden Preis ab, nicht auch von früheren Preisen oder der Preisänderung. Praktisch kennen die Menschen aber nicht alle Preise, sondern sie orientieren sich an Vergleichsgrößen. Der bisherige Preis von Zigaretten ist so eine Größe: Mit der Zeit gewöhnt man sich an ihn und nimmt dann eine weitere Veränderung nur als Preiserhöhung von 10% gegenüber dem alten Preis wahr (und nicht als eine Erhöhung um 50% gegenüber dem Preis vor 4 Jahren). Das heißt aber, daß der „gewohnte“ Preis ein Lageparameter der Nachfragekurve sein muß – während wir unterstellen, daß die Menschen unabhängig von den bisherigen Preisen einschätzen können müßten, was ihnen die nächste Kippe wert ist. In der Verhaltensökonomie (behavioral economics) ist dieser Sachverhalt gut belegt. Dan Ariely10 berichtet beispielsweise von einem Experiment, in dem die Probanden zunächst den Auftrag erhielten, die letzten beiden Ziffern ihrer Sozialversicherungsnummer auf dem Antwortbogen notieren. Danach wurde eine Flasche französischen Rotweins angepriesen und jeder Teilnehmer sollte aufschreiben, was er bereit wäre, für diese Flasche auszugeben. Die Zahlungsbereitschaft der Probanden mit den höchsten Endziffern war deutlich höher: Die Teilnehmer mit den 20% höchsten Endziffern waren im Durchschnitt bereit 216 bis 346% mehr zu zahlen als die Teilnehmer mit den 20% niedrigsten Endziffern. Sie Teilnehmer hatten durch das Aufschreiben der Sozialversicherungsnummer größere Zahlen im Hinterkopf und dies beeinflußte ihre Gebote. So funktioniert auch so manche Talkrunde: Wenn ein Diskussionsteilnehmer etwa behauptet, der Ausstieg aus der Kernenergie werde 132 Mrd. € kosten (krumme Zahlen beeindrucken mehr – da muß sich jemand richtig gut auskennen, wenn sie die genauen Werte kennt) dann dreht sich die folgende Diskussion oft nur noch darum, ob die Kosten höher oder niedriger sind. Die - möglicherweise völlig aus der Luft gegriffene – ursprüngliche Größenordnung wird aber nicht mehr diskutiert. Sie dient allen weiteren Überlegungen als Ankerpunkt. (Daher der Ausdruck anchoring). Um gleich noch ein anderes Ergebnis der Verhaltensökonomie nachzuschieben. Annahmegemäß dürfte Ihre Nachfrage nur reflektieren, was Ihnen ein Gut wert ist. Nutzeninterdependenzen – also Fälle, in denen der Konsum anderer Menschen ihre Nachfrage beeinflußt – sind per Annahme ausgeschlossen. Praktisch gibt es diese aber sehr wohl. Ein Beispiel sind Statusgüter. In ökonometrischen Untersuchungen wurde gezeigt, daß die Nachfrage nach Neuwagen in den Vierteln anstieg, in denen in der Nachbarschaft jemand in der Lotterie gewonnen hatte. 10 Ariely, Dan. Predictabliy Irrational. Harper collins. London 2009. Kapitel 2. Einführung in die VWL 4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion S. 61 4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion Lernziele: Gewinn als Erlös minus Kosten ==> Gewinnmaximum bei Grenzerlös gleich Grenzkosten Vollständige Konkurrenz ==> Preisnehmer-Annahme ==> Grenzerlös = Preis Die Produktionsfunktion als Verhältnis von Inputs und Outputs Skalenerträge: Was geschieht, wenn alle Faktoren vermehrt werden? Produktionsfunktion und Kostenfunktion Grenz- und Durchschnittskosten Grenzkostenfunktion und Angebotsfunktion Die langfristige Angebotsfunktion ist elastischer als die kurzfristige. Partielle Produktionsfunktion: (partielle Ableitung der Produktionsfunktion) Was geschieht, wenn nur ein Faktor vermehrt wird? Null Gewinn Bedingung im Gleichgewicht: Extragewinne werden weg konkurriert. Faktoren werden mit ihrem Wertgrenzprodukt entlohnt Bisher habe ich einfach unterstellt, daß die Angebotsfunktion irgendwie die Kosten widerspiegelt. Lassen Sie mich das mal etwas sauberer machen. Die VWL unterstellt für die Unternehmen, daß diese das Ziel haben, ihren Gewinn zu maximieren. Nun, der Gewinn ist gleich: Gewinn = Erlös – Kosten Maximieren Unternehmen ihren Gewinn, dann muß die erste Ableitung der Gewinnfunktion Null werden. Also: G' = E' – K' =! 0 Das sagt jetzt noch nicht so schrecklich viel, denn es ist ja noch nicht klar: "Die erste Ableitung in Bezug auf was?" Diese Frage ist aber schon durch eine weitere Annahme entschieden, durch die Annahme vollständiger Konkurrenz. Bei vollständiger Konkurrenz, so war oben herausgestellt worden, sind alle Akteure Preisnehmer und Mengenanpasser. Die Unternehmen müssen also die Menge x, die sie herstellen, so wählen, daß sie ihren Gewinn maximieren. Dabei ist der erste Aspekt, die Ableitung der Erlösfunktion, schnell abgefrühstückt: Der Erlös (der Umsatz) ist Preis mal Menge. Da (wenn) die Unternehmen Preisnehmer sind, erwarten sie nicht, über ihr Angebot den Preis beeinflussen zu können. Also ist die erste Ableitung der Erlösfunktion nach der Menge x einfach gleich p: E= p⋅ x dE =p dx Was etwas Zeit in Anspruch nehmen wird, sind die Kosten. Kosten entstehen, weil ich für die Produktion von Outputs, für die Güter, die ich herstellen will, Inputs, auch Produktionsfaktoren genannt, benötige. Ich werde im folgenden unterstellen, daß es nur zwei Inputarten gibt: Arbeit und produzierte S. 62 4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion Karl Betz Produktionsinputs: Kapital. Im nächsten Kapitel werde ich darauf eingehen, wie man die produzierten Produktionsinputs noch weiter in unterschiedliche Waren auffächern kann und im Kapitel zur Wachstumstheorie werden noch kurz weitere Inputarten diskutiert werden. Im wesentlichen beschränkt das Skript sich aber der Einfachheit halber auf die genannten beiden Gruppen von Inputs: Kapital und Arbeit. Dabei hängen die Kosten von zwei Einflußfaktoren ab: Den Mengen an Inputgütern, die ich einsetze und deren Preisen. Letztere ist bereits erschlagen: Die Unternehmen sind Preisnehmer, die Inputpreise sind also für das einzelne Unternehmen vorgegeben. Gesamtwirtschaftlich bestimmen sie sich natürlich über die (Faktor)Märkte und diese werden im übernächsten Kapitel auch behandet werden. Für das einzelne Unternehmen sind sie jedoch bei vollständiger Konkurrenz nicht beeinflußbar. Das Unternehmen hat daher nur zwei Einflußmöglichkeiten auf seine Herstellungskosten: - Es kann seine Outputmenge x variieren und - Es muß die Inputfaktoren in dem Einsatzverhältnis einsetzen, in dem es diese Outputmenge am günstigsten herstellen kann. Zunächst zum Verhältnis von Outputmenge zu Kosten. 4.1 Die Produktionsfunktion Die Produktionsfunktion beschreibt das Verhältnis von Inputs und Outputs. Also: Output = PF(Inputmengen) oder hier: Output = PF (Arbeit, Kapital) Dabei beschreibt die Produktionsfunktion selbst die effizienten Produktionsmöglichkeiten. Ich kann mit einer gegebenen Menge an Faktoren immer auch weniger als das maximal mögliche produzieren, möglich ist also die gesamte Fläche zwischen x-Achse und der Kurve der Produktionsfunktion. Es sei unterstellt, das Unternehmen habe die, bei den aktuellen Preisen von Arbeit und Kaptialgütern, optimale Kombination von Inputfaktoren gefunden (Inputbündel), um die Outputmenge x0 herzustellen. Wie, darum gehe ich gleich anschließend ein. Dabei heißt optimal natürlich: die kostengünstigste, denn die Unternehmerin will ja ihren Gewinn maximieren. Weil der Erlös aber mit p · x0 vorgegeben ist, steigt der Gewinn weiter, so lange ich die Kosten senken kann. Im Gewinnmaximum für die Menge x0 müssen also die Kosten (für diese Menge) minimal sein. Aus der Gewinnmaximierungsannahme folgt also, daß die Unternehmen stets im Kostenminimum operieren. Interessant sind daher • Erstens nur die Punkte auf der Produktionsfunktion (denn sonst verwende ich einen Teil der Inputs ja nicht und das wäre heraus geschmissenes Geld mithin eine Minderung des Gewinns) und • Zweitens nur das Verhältnis von Inputmengen, mit dem ich bei den gegeben Inputpreisen meinen Output am billigsten herstellen kann.1 Die Produktionsfunktion beschreibt also das Verhältnis von Inputs und Outputs: Wie viel Produkte x kann ich erzeugen, wenn ich λ dieser - später noch genauer zu bestimmenden Inputbündel einsetze? 1 Erinnern Sie sich aber bitte daran, daß von homogenen Gütern die Rede ist. Es geht also um einen Output von gegebener Qualität, nicht um Kosteneinsparungen zu Lasten der Qualität. Einführung in die VWL 4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion S. 63 Hier gibt es, wie im nachstehenden Diagramm (Abb. 4.1) illustriert, drei Möglichkeiten. Wenn die Menge aller Inputs im gleichen Verhältnis verdoppelt (ver-λ-facht) wird, dann kann einer der folgenden Fälle auftreten. (a) Die Menge an Outputs kann sich ebenfalls verdoppeln. Das Verhältnis von Inputs zu Outputs bleibt unverändert. Mithin verdoppelt sich die Outputmenge ebenfalls, wenn alle Inputs verdoppelt werden. Das wären konstante Skalenerträge (konstant, weil das Verhältnis konstant bleibt.) (durchgezogene Kurve) (b) Der Output wächst langsamer als die Inputmengen. Wenn man alle Inputs verdoppelt, erhält man z.B. nur das 1,5 fache an Output. Das wären sinkende Skalenerträge. (gestrichelte Kurve) (c) Der Output wächst schneller als die Inputmengen - eine Verdopplung aller Inputmengen führt z.B. zu einer Vervierfachung aller Outputmengen. Das wäre ein Beispiel für steigende Skalenerträge.(gepunktete Kurve) Abb. 4.1: Skalenerträge 100 90 80 70 Output 60 50 40 30 20 10 0 0 2 4 6 8 10 12 14 16 λ konstant steigend fallend 4.2 Produktionsfunktion, Kostenfunktion und Angebotsfunktion (Lange Frist) Die mit der Produktion verbundenen Kosten müssen nun natürlich im Zusammenhang mit der Produktionsfunktion stehen: Meine Kosten sind ja die mit ihren Preisen bewerteten Inputmengen. Wenn ich von den Inputmengen herkomme, dann sagt mir die Produktionsfunktion, welche Menge an Produkt ich mit λ Inputbündeln erzeugen kann. Lese ich die Funktion aber in umgekehrter Richtung (formal: bilde ich die Umkehrfunktion), dann sagt mit der Zusammenhang, wie viele Inputbündel ich brauche, um x Einheiten Output zu bekommen. Die Umkehrfunktion der Produktionsfunktion, multipliziert mit den Preisen der Inputs, gibt mir also die Kostenfunktion. S. 64 4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion Karl Betz Die Grenzkosten sind dabei die erste Ableitung der Kostenfunktion nach x – was kostet es, noch ein weiteres Stück herzustellen? und die Durchschnittskosten sind alle Kosten umgelegt auf die produzierte Menge. Es ist also der Stückgewinn = preis minus Durchschnittskosten. Und der Gesamtgewinn wird maximal, wenn gilt: Preis gleich Grenzkosten. Es bedeuteten dann steigende Skalenerträge, daß die Kosten langsamer steigen als der Output. Damit sinken sowohl die Grenz- als auch die Durchschnittskosten (auch Stückkosten genannt: K/x). Bei konstanten Skalenerträgen sind Grenz- und Durchschnittskosten konstant und gleich groß. Das erste Stück herzustellen, kostet ja genau so viel, wie jedes weitere, das ich herstelle. Wenn ich n Stück herstelle, sind die Kosten also gleich n mal den (immer gleichen) Grenzkosten pro Stück. Und damit sind die Durchschnittskosten gleich den Grenzkosten: (n · GK)/n = GK. Und bei sinkenden Skalenerträgen steigen Grenz- und Durchschnittskosten, weil die Kosten schneller steigen als der Output. Von diesen drei Varianten ist (für die lange Frist) eigentlich nur der Fall der konstanten Skalenerträge (bzw. Grenzkosten) von Interesse: Zum einen ist er plausibel: Warum sollte, wenn ich ein identisches zweites Werk neben das erste stelle, dieses weniger herstellen als das erste? Zum anderen ist er der einzig sinnvolle: Steigende Skalenerträge sind zwar denkbar. Aber dann würden die Stückkosten umso niedriger sein, je mehr ich herstelle. Am billigsten anbieten könnte dann doch eine Firma, die den Markt alleine beliefert. Das ist zwar denkbar, wäre aber nicht unter vollkommene Konkurrenz zu behandeln, sondern in der Monopoltheorie. Eine solcher Fall wird als "natürliches Monopol" bezeichnet - natürlich, weil der Marktprozeß selbst, wenn man ihn gewähren läßt, ein Monopol hervorbringt. Monopoltheorie kriege ich in diesem Kurs aber nicht unter, daher muß ich diesen Fall übergehen. Sinkende Skalenerträge werfen ein anderes Problem auf: Meine Stückkosten sinken, wenn ich weniger herstelle. Also könnte ich immer meinen Gewinn erhöhen, in dem ich einen Betrieb in zwei halb so große aufteile, denn die produzieren dann ja zu niedrigeren Stückkosten. Zu Ende gedacht bedeutet das, daß bei sinkenden Skalenerträgen die optimale Firmengröße Null wäre - auch kein Ergebnis, das man wirklich gerne haben möchte. Konstante Grenzkosten sind also zumindest für die lange Frist zwar plausibel und sie werden in weiten Teilen des Skripts auch unterstellt werden. Der Zusammenhang zwischen Kostenfunktion, Grenzkostenfunktion und Angebotsfunktion läßt sich aber bei steigenden Grenzkosten (also sinkenden Skalenerträgen) leichter erläutern. Es seien daher erst mal steigende Grenzkosten unterstellt. Was sagt die Grenzkostenfunktion? Wenn ich x Einheiten herstelle, dann habe ich Grenzkosten in Höhe von GK(x). Bei der Grenzkostenfunktion starte ich also bei der Menge der Einheiten, die ich produziere und stelle fest, was mich die letzte zusätzlich produzierte Einheit kostet. Das ist der durchgezogene Pfeil in Abb. 5: x → GK. Nun denken Sie nochmal an den Anfang dieses Kapitels zurück: Das Unternehmen ist, qua vollständige Konkurrenz, Mengenanpasser. Es fragt also nicht: "Was kostet es mich, x Einheiten herzustellen?" sondern "Welche Menge x soll ich herstellen, um den maximalen Gewinn zu erzielen?". Einführung in die VWL 4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion S. 65 Abb. 4.2: Kostenfunktion und Grenzkostenfunktion bei sinkenden Skalenerträgen 12 K(x), GK(x) 10 8 6 4 2 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Output x K(x) GK(x) Und die Gewinnmaximierungsbedingung beantwortet diese Frage: Stelle die Menge her, bei der Deine Grenzkosten gerade dem Preis entsprechen, dann hast Du den maximalen Gewinn. Ein den Gewinn maximierendes Unternehmen wird also die Menge anbieten, bei der seine Grenzkosten gerade gleich dem Preis sind. Das bedeutet aber, daß die Grenzkostenfunktion, umgekehrt gelesen (p = GK → x) die Mengen angibt, die eine Unternehmerin in Abhängigkeit vom Marktpreis anbieten wird. Oder formal: Die Angebotsfunktion eines Unternehmens ist die Umkehrfunktion seiner Grenzkostenfunktion - und die Marktangebotsfunktion ist halt wieder einfach die Summe aller individuellen Angebotsfunktionen, Abb. 4.3: Grenzkostenfunktion und Angebotsfunktion Im Beispiel stellt das Unternehmen also fest, daß seine Grenzkosten bei 38 Cent liegen, wenn es S. 66 4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion Karl Betz 5 Einheiten herstellt - und es maximiert seinen Gewinn bei einem Marktpreis von 50 Cent, wenn es 7 Einheiten anbietet. Um das nochmal in Erinnerung zu rufen: Bei konstanten Skalenerträgen wird langfristig die Grenzkosten- und daher die Angebotskurve unendlich preiselastisch verlaufen – zu einem bestimmten Preis wird beliebig viel angeboten. Das Angebot bestimmt dann den Gleichgewichtspreis und man muß diesen Preis nur noch in die Nachfragefunktion einsetzen, um auch die Gleichgewichtsmenge zu erhalten. Nur bei sinkenden Skalenerträgen haben liegt eine ansteigend verlaufende Angebotskurve vor. (Abb. 4.4) Abb. 4.4 Angebotskurven bei sinkenden und konstanten Skalenerträgen Moment mal: Wenn die Angebotsfunktion unendlich preiselastisch ist, dann heißt das doch, daß ich überall die gleichen Grenzkosten habe. Jedes einzelne Stück herzustellen, kostet mich also gleich viel. Wenn ich jetzt zu meinen Grenzkosten = p anbiete, dann kriege ich doch über den Preis gerade mal meine Kosten wieder raus – wo ist denn der Gewinn geblieben? Nun, einerseits haben Sie mit dem Einwand recht und andererseits auch wieder nicht: Andererseits: Es geht hier um ökonomische, nicht um buchhalterische Kosten - mithin sind die Opportunitätskosten in die Kosten eingerechnet – der Lohn, den der Unternehmer andernfalls am Arbeitsmarkt erzielen könnte, wenn er eine abhängige Beschäftigung aufnähme, statt seine Zeit für die Führung seines Unternehmens einzusetzen, die Pacht die er andernfalls für sein Grundstück bekommen könnte und die Verzinsung, die er andernfalls am Markt für das von ihm bereitgestellte Eingenkapital bekommen könnte – das alles ist im Kostenbegriff, wie er hier verwendet wird, einbegriffen. Ihren Normalgewinn erzielt die Unternehmerin hier also durchaus. Einerseits: Aber mehr eben auch nicht. Stellen Sie sich vor, in einer Branche lassen sich (ohne Risiko, Unsicherheitsprämien wären in den Opportunitätskosten ja enthalten) 12% Gewinn machen, einen Kredit kann man aber am Markt für 10% bekommen. Was machen Sie? Nun ja, dies ist eine Einführung in die VWL 4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion S. 67 Arbitragemöglichkeit: Sie können zu 10% leihen und damit 12% verdienen - Sie werden also einen Kredit aufnehmen und in der Branche ein Unternehmen aufmachen. Und das werden auch jede Menge anderer machen. Damit steigt aber das Angebot und der Preis fällt. Also: Sie können bei vollständigem Wettbewerb (buchhalterische) Gewinne machen. Den marktüblichen Gewinn übersteigende Gewinne, also die Opportunitätskosten übersteigende Gewinne, fallen aber nur so lange an, wie nicht im langfristigen Kostenminimum produziert wird. Sie fallen daher nur kurzfristig an, werden aber immer wieder weg konkurriert. Diese kurzfristigen Gewinnmöglichkeiten andererseits sind gerade das Motiv, das den Wettbewerb antreibt: Neue Produkte oder Produktionsverfahren werfen Extra-Gewinne ab, so lange sie noch nicht von allen eingesetzt werden. Allerdings führt gerade dieser Gewinn dazu, daß sie imitiert werden – und das läßt die Extragewinne wieder verschwinden. 4.3 (Partielle) Produktionsfunktion und Kostenfunktion (Kurze Frist) Langfristig kann ein Unternehmen alle eingesetzten Faktormengen variieren - zusätzliche Maschinen kaufen, weitere Beschäftigte einstellen, die Werkshalle erweitern etc. Damit sind langfristig alle Kosten variierbar, es gibt nur variable, Output abhängige Kosten, keine fixen Kosten, die unabhängig davon anfallen, wie viel hergestellt wird: Schließlich kann man langfristig ja den Betrieb dicht machen und dann sind die Kosten bei einer Produktion von Null ebenfalls Null. Damit werden langfristig die Faktoren immer in dem Verhältnis eingesetzt werden, in dem zu den niedrigsten Stückkosten produziert werden kann, in der sogenannten Minimalkosten-Kombination. Kurzfristig wird dies aber in aller Regel nicht möglich sein: Es dauert, bis die neue Maschine geliefert wird, Sie haben Suchzeiten, bis Sie neue Mitarbeiter gefunden haben, die Zinsen für den Kredit, der die letzte Investition finanziert hat laufen weiter, egal ob die Maschine läuft oder nicht und den Mietvertrag können Sie auch nicht von jetzt auf gleich kündigen. Kurzfristig setzen Sie also evtl. nicht die optimale / kostengünstigste Inputkombination ein, wenn Sie ihre Produktion erhöhen oder absenken. Nun lassen sich die Produktionsfunktionen in zwei große Gruppen einteilen: Solche, in denen die Inputfaktoren in einem festen Verhältnis stehen und solche, bei denen ich (evtl. in Grenzen) einige Faktoren durch andere ersetzen kann. Der erste Typ nennt sich limitational (der knappste Faktor ist die Grenze für meinen produzierbaren Output; Gutenbergs Stückliste, für diejenigen unter Ihnen, die das aus BWL kennen): Wenn Sie 20 Räder, 5 Lenker und 7 Ketten haben, können Sie maximal 5 Fahrräder herstellen. Sie können nicht einfach einen Lenker oder eine Kette durch ein drittes Rad ersetzen. Der zweite Typ nennt sich (evtl. begrenzt) substitutional. Das kennen Sie vielleicht vom Autofahren: Wenn Sie mit Bleifuß fahren, verbrauchen Sie mehr Benzin. Sie können also, in dem Sie langsamer fahren, Benzin durch Kapital- und Arbeitseinsatz ersetzen: Für die gleiche Fahrleistung benötigt ein Fuhrunternehmen mehr Kapital (mehr Wagen) und mehr Arbeit (mehr Fahrer), wenn langsamer gefahren und so der Benzinverbrauch reduziert wird. Produzieren Sie mit einer limitationalen Produktionsfunktion, können Sie kurzfristig weiter nichts tun: Senken Sie ihren Output, liegt halt ein Teil der Faktoren ungenutzt rum und kostet vor sich hin. Im Falle einer substitutionalen Produktionsfunktion hingegen können Sie den Einsatz von einem oder mehreren Faktoren variieren. z.B. Überstunden machen lassen, bis die neue Maschine geliefert wurde und Sie wieder mit dem kostenminimalen Faktoreinsatzverhältnis produzieren können. Der Unterschied zwischen kurzer und langer Frist besteht nun in der Annahme, daß in der langen S. 68 4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion Karl Betz Frist alle, in der kurzen Frist aber nur ein Teil der Inputfaktoren variiert werden kann. Dies ist keine inhaltliche Aussage, sondern eine bloße Definition. Dauert der Bau eines zweiten Werkes 5 Jahre, dann sind eben 5 Jahre die lange Frist, dauert er ein Jahr, dann ist ein Jahr langfristig. Der einfachste und beliebteste Typ aller (beschränkt) substitutionalen Produktionsfunktionen ist die Cobb-Douglas Produktionsfunktion. Sie wurde Ende der zwanziger Jahre von den Ökonometrikern Paul Howard Douglas und Charles Wiggins Cobb für die Analyse der Entwicklung des Outputs der USA eingesetzt hat die allgemeine Form: Y = N · Kα · Aβ mit α, β > 0 N ist ein Umrechnungsfaktor, der, selbst wenn er eins sein sollte, nicht verzichtbar ist, denn rechts stehen ja Stunden (Arbeit) und Inputmengen und links steht die Outputmenge. Damit müssen die beiden Seiten der Gleichung durch die geeignete Dimensionierung von N auf die gleiche Dimension gebracht werden. Um die Funktion etwas genauer zu diskutieren.2 (a) Skalenerträge. Wenn man alle Inputs in der Funktion ver-λ-facht, dann lautet die Funktion: Y = N · (λ · Kα) · (λ · Aβ) Umstellen führt auf: Y = (λα · λβ) · N · Kα · Aβ = λα + β · N · Kα · Aβ Eine Ver-λ-fachung aller Inputs führt also dann und nur dann auf eine Ver-λ-fachung der Outputs, wenn λα + β = λ ist, oder wenn α + β = 1 sind. Allgemeiner, wenn ich mehr als zwei Inputs in der Produktionsfunktion stehen habe: Eine Cobb-Douglas Produktionsfunktion weist konstante Skalenerträge auf, wenn die Summe aller Exponenten gleich 1 ist, Sie weist steigende Skalenerträge auf, wenn diese Summe größer und sie weist sinkende auf, wenn die Summe kleiner eins ist. (b) Partielle Ableitung (kurzfristige Produktionsfunktion und kurzfristige Angebotsfunktion) Nehmen Sie nun an, die Produktionsfunktion weise zwar konstante Skalenerträge (α + β = 1) auf. Die Menge an Kapital sei aber kurzfristig gegeben, und um den Output zu erhöhen können Sie nun nur noch weitere Arbeit einsetzen. Was eine Erhöhung der Arbeit alleine für den Output bedeutet, sagt die partielle Ableitung der Produktionsfunktion nach A: β dY A =β⋅ N ⋅ K α ⋅ dA A Es sei N = 1, es sei α = β = 0,5 und der Kapitalbestand sei gegeben - einmal mit 2 und einmal mit 10 Einheiten Kapital. Dann gibt Tab. 4.1 den Zusammenhang zwischen Arbeitsinput und Outputmengen wieder. Also einerseits: Es liegen konstante Skalenerträge vor (α + β = 1): Verlambdafachen Sie alle Inputs, dann verlambdafacht sich auch die Outputmenge: Bei einer Einheit Arbeit und zwei Einheiten Kapital beträgt der Output 1,41. Bei fünf Einheiten Arbeit und 10 Einheiten Kapital beträgt er 7,07 (Rundungsfehler). Bei zwei Einheiten Arbeit und zwei Einheiten Kapital erhält man zwei Einheiten Output und bei 10 Einheiten Arbeit und 10 Einheiten Kapital erhält man 10 Einheiten Output. Andererseits aber wächst der Output immer langsamer, wenn Sie einen Faktor (hier Kapital) konstant halten und nur den anderen weiter vermehren. Das ist ja irgendwo auch klar: Wenn beide 2 Ich erwarte nicht, daß Sie die Rechnerei in der Klausur reproduzieren. Nur erscheint mir die Herleitung so letztlich leichter nachvollziehbar. Einführung in die VWL 4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion S. 69 Faktoren zum Produktionserfolg beitragen, dann wird die Produktion langsamer wachsen, wenn ich nur einen vermehre statt beide. Tab. 4.1: Arbeitsinput und Outputmenge Arbeit Kapitalbestand K=2 Output 1,41 2 2,45 2,83 3,16 3,46 3,74 4 4,24 4,47 4,69 4,9 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 K = 10 dx/dA 0,71 0,5 0,41 0,35 0,32 0,29 0,27 0,25 0,24 0,22 0,21 0,2 Output 3,16 4,47 5,48 6,32 7,07 7,75 8,37 8,94 9,49 10 10,49 10,95 dx/dA 1,58 1,12 0,91 0,79 0,71 0,65 0,6 0,56 0,53 0,5 0,48 0,46 Die partielle Produktionsfunktion liefert also (PF abgeleitet nach der Arbeit) die Grenzproduktivität der Arbeit (und abgeleitet nach dem Kapital ergibt sich die Grenzproduktivität des Kapitals). Abb. 4.5: Grenzproduktivität der Arbeit bei unterschiedlichem Kapitaleinsatz 1,8 1,6 1,4 Output 1,2 1 0,8 0,6 0,4 0,2 0 0 2 4 6 8 10 12 14 Arbeitseinheiten Abb. 4.5 übersetzt Tabelle 4.1 ins grafische und weist die Entwicklung der Grenzproduktivität der Arbeit für einen Kapitalbestand von 2 und 5 aus. S. 70 4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion Karl Betz Die Produktion weist also einmal Fixkosten auf (die Kapitalkosten) für die beiden bzw. die 10 Maschinen. Denn die Kapitalkosten für die beiden Maschinen müssen Sie tragen, ob Sie nun etwas herstellen oder nicht. Daher sind sie fix, hängen nicht von der produzierten Menge ab. Und sie weist variable Kosten, Kosten, die mit dem Output variieren, auf, nämlich die Lohnkosten für die zusätzlichen Arbeiter. An diesen variablen Kosten läßt sich etwas drehen, man kann die Produktion herunter fahren und so auf Umsatz verzichten, dafür aber Lohnkosten (und oder: Materialkosten) einsparen. Da der Lohnsatz für die Unternehmerin gegeben ist, und jede weitere Einheit Arbeit immer weniger zusätzlichen Output herstellt, steigen die variablen Kosten mit steigendem x – es liegen also trotz (langfristig) konstanter Skalenerträge kurzfristig steigende Grenzkosten vor. Die Angebotsfunktion steigt daher kurzfristig. Langfrist fallen hingegen keine Fixkosten an, denn man kann ja die Einsatzmengen aller Faktoren variieren – im Extremfall z.B. langfristig die Bude zu machen. Daher wird langfristig immer das gleiche (bei gegebenen Faktorpreisen günstigste) Faktoreinsatzverhältnis gewählt werden. Dann habe ich aber langfristig konstante Skalenerträge und daher verlaufen auch bei eienr substitutionalen Produktionsfunktion Grenzkostenkurve und Angebotskurve langfristig flach (unendlich elastisch). Fragen zum vierten Kapitel Verständnisfragen 1) Welche Bedingung ist für ein Gewinnmaximum erforderlich? 2) Warum ist die Grenzerlösfunktion gleich dem Preis? 3) Warum ist die Grenzkostenfunktion wichtig? 4) Was verstehen Sie unter Skalenerträgen? Bitte zeichnen Sie steigende, sinkende und konstante Skalenerträge in ein Diagramm ein. 5) Wie hängen Skalenerträge und Kosten zusammen? 6) Was hat die Angebotsfunktion mit der Grenzkostenfunktion zu tun? 7) Was geschieht mit der Angebotsfunktion, wenn die Kosten der Inputgüter sinken? Warum? 8) Was ist der Unterschied zwischen einer substitutionalen und einer limitationalen Produktionsfunktion? Einführung in die VWL 4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion S. 71 9) Wie unterschieden sich kurz- und langfristige Angebotsfunktion? Anwendungen 1) Sie haben ein Fuhrunternehmen und ihre Aufträge gehen zurück. Was können Sie tun (a) kurzfristig? (b) langfristig? (c) Vor dem Hintergrund dieser Antworten: Welche Kostenarten sind Fixkosten, welche variable Kosten? (d) Kann es langfristig Fixkosten geben? Warum? Oder warum nicht? 2) Warum sind sinkende Skalenerträge für die kurze Frist wahrscheinlicher als für die lange Frist? 3) Bitte erläutern Sie an Hand der Gewinnmaximierungsbedingung den Zusammenhang zwischen Kostenfunktion und Angebotsfunktion. Warum müssen Sie hierfür die Annahme vollständiger Konkurrenz unterstellen? 4) Drei Firmen arbeiten mit folgenden unterschiedlichen Kostenfunktionen: A: K(x) = 5 · x B: K(x) = 2 · x0,5 + 14 C: K(x) = 0,5 · x2 + 5 Sind die oben aufgeführten Kostenfunktionen langfristige oder kurzfristige Kostenfunktionen? (b) Bestimmen Sie die drei Grenzkostenfunktionen. (c) Welche der drei Firmen produziert bei steigenden, welche bei sinkenden und welche bei konstanten Skalenerträgen? (d) Können Sie für alle drei Fälle die Angebotsfunktion bestimmen? (e) Sind die Fixkosten für die Angebotsentscheidung relevant? 5) Wenn Unternehmen zu konstanten Skalenerträgen produzieren, dann erzielen sie unter der Preisnehmer Annahme (bei vollständiger Konkurrenz) langfristig nur einen Preis in Höhe ihrer (Grenz- = Stückkosten). Wo ist der Gewinn geblieben? 6) Wenn man bei vollständigem Wettbewerb nur seine Opportunitätskosten wieder raus kriegt - ist es dann nicht unfair, die Gewinne zu besteuern? (Bitte überlegen Sie anhand der komparativen Statik: Wer trägt wohl die Steuer?) S. 72 4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion Karl Betz Exkurs: Grenzproduktivität, Lohn und Arbeitsnachfrage Die Kurve der Grenzproduktivität der Arbeit wird Ihnen in vielen Lehrbüchern als Arbeitsnachfragekurve präsentiert - und auch in der praktischen wirtschaftspolitischen Diskussion spielt sie eine Rolle, wenn etwa behauptet wird, die Löhne in den neuen Bundesländern müßten niedriger sein als im Westen, weil dort die Produktivität niedriger sei. Dieses Argument startet mit einer richtigen Überlegung und zieht dann eine falsche Konsequenz. Zunächst zum richtigen Teil. Nehmen Sie an, Sie sind eine Unternehmerin, haben derzeit zwei Maschinen und bis weitere geliefert werden können, dauert es einige Monate. Wie viele Arbeiter werden Sie, wenn Sie Ihren Gewinn maximieren wollen, wohl einstellen? Nun ja, das was eine zusätzliche Arbeiterin Ihnen einbringt, ist deren Grenzprodukt. Sie werden also zusätzliche Arbeiterinnen einstellen, solange der Wert des von diesen erzeugten Grenzproduktes (p · dx/dA) höher ist, als als der Lohn (w), den Sie pro Arbeitseinheit zahlen müssen. Denn solange eine weitere Arbeiterin mehr Output herstellen kann als sie selbst kostet, steigt der Gewinn der Unternehmerin. Im Gewinnmaximum muß also gelten: Lohn w = Wertgrenzprodukt = (dx/dA) · p oder, wenn Sie in Gütern statt in Geld rechnen: Reallohn w/p = Grenzprodukt = (dx/dA) Der Geldlohnsatz (w) ist die Menge an Geld (€), die für eine Einheit Arbeit (z. B. eine Stunde) gezahlt wird. Der Reallohnsatz sagt, wie viele Güter man sich mit diesem Geld kaufen kann. Also der Lohnsatz in € geteilt durch den Preis der Güter (w/p). Abb. 4.6: Grenzproduktivität der Arbeit und Arbeitsnachfragefunktion Einführung in die VWL 4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion S. 73 Was hier gemacht wird, ist folgendes: Für einen gegebenen Kapitalbestand ist das Grenzprodukt der Arbeit von der Menge an eingesetzter Arbeit abhängig. Lese ich diesen Grenzproduktivitätsfunktion von A nach x, bekomme ich das Grenzprodukt der Arbeit. (Durchgezogene Pfeile: der achte Arbeiter läßt den Output um 0,25 Einheiten steigen.). Denke ich aber daran, daß die den Gewinn maximierende Unternehmerin so lange weiter einstellen wird, wie das Grenzprodukt der Arbeit unter dem Reallohnsatz liegt, und lese die Kurve in umgekehrter Richtung, bilde also die Umkehrfunktion, 3 dann sagt mir der Zusammenhang, daß die Unternehmerin zwei Arbeiter einstellen wird, wenn der Reallohnsatz 0,5 ist und 8 Arbeiter, wenn er 0,25 beträgt. Aus der Kurve der Grenzproduktivität, einem technisch bestimmten Zusammenhang, ist eine Arbeitsnachfragefunktion geworden. Was diese Interpretation aber elegant unterschlägt, ist, daß dieser Zusammenhang unter der Annahme eines konstanten Kapitalbestandes gewonnen wurde. Und mittel- bis langfristig kann ja auch investiert werden: Werden die bestellten Maschinen geliefert, kann die Unternehmerin dem achten Arbeiter einen Reallohnsatz von 0,56 und nicht nur von 0,25 zahlen (vgl. Tabelle). Erhöht sich also der Kapitalbestand, so verschiebt sich die Arbeitsnachfragekurve nach oben oder anders formuliert: So lange man den Kapitaleinsatz nicht kennt, kennt man auch die Arbeitsnachfragefunktion nicht. Damit wird sich das übernächste Kapitel beschäftigen. Hier läßt sich erstmal feststellen: Mit dem gleichen Recht, mit dem man sagen kann: "Im Osten Deutschlands sind die Löhne so niedrig, weil die Produktivität der Arbeit niedriger ist als im Westen." kann man sagen: "Im in den neuen Bundesländern sind die Löhne zu niedrig, ist die Arbeit zu billig. Deswegen wird zu wenig Kapital pro Arbeiter eingesetzt. Und in Folge dessen werden die Menschen weniger produktiv eingesetzt als im Westen." Einkommensverteilung Es lohnt sich, wenn ich schon mal bei der Produktionsfunktion bin, noch eine weitere Konsequenz herauszuarbeiten, auch wenn die erst im zweiten Teil des Skripts, Makroökonomie, richtig wichtig wird. Also: Oben wurde gezeigt, die Entlohnung der Faktoren richtet sich nach deren Wertgrenzprodukt, oder, wenn man den Einfachheit halber beide Seiten der Gleichung durch p teilt, nach deren Grenzprodukt. Ich schreibe die beiden partiellen Ableitungen mal ausführlich hin. Es ist das Grenzprodukt der Arbeit: dx –1 = ⋅N ⋅ A ⋅ K ⋅ A dA und das Grenzprodukt des Kapitals ist: dx = ⋅ N ⋅ A ⋅ K ⋅ K – 1 . dK Nun könnte einem auffallen, daß man den Ausdruck auch einfacher schreiben kann: 3 Sie bemerken das Muster: Volkswirtschaftslehre ist im wesentlichen Kurvenrecycling. S. 74 4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion Karl Betz N ⋅ A ⋅ K ist ja gerade die ursprüngliche Produktionsfunktion und damit gleich dem Output x. Die reale Entlohnung pro Faktor ist gleich dessen Wertgrenzprodukt - bei der Arbeit ist dies der Lohnsatz (also der Lohn pro Zeiteinheit), hier, weil in Gütern gerechnet wird, der Reallohnsatz w/p. Beim Kapital sind dies die Kosten pro Zeiteinheit, also die Kosten der Kapitalleihe - und das ist der Zins (bzw., in Gütern gerechnet, der Realzins r). Also: w dx ⋅x dx ⋅x = = und r = = p dA A dK K Nun ist die Lohnsumme gleich Reallohnsatz mal Beschäftigung und die Kapitalverzinsung ist gleich Realzins mal eingesetztem Kapitalbestand. Die gesamten Kosten des Unternehmens sind also gleich Kosten = Lohnkosten + Kapitalkosten = (w/p) · A + r·K + ⋅ x ⋅K K + α·x = = ⋅x ⋅A A β·x = (β + α) · x =x Der gesamte Output geht also für Lohn- und Kapitalkosten drauf. So weit war ich oben schon mal.4 Zugleich sieht man, warum die Annahme konstanter Skalenerträge naheliegend ist: Bei steigenden Skalenerträgen wäre die Summe der Exponenten größer eins. Das hieße aber, die Summe der Faktoreinkommen wäre höher als das gesamte Produkt. Bei sinkenden Skalenerträgen wäre die Summe der Faktoreinkommen niedriger als der Output und das widerspricht wiederum dem Ergebnis, daß im Gleichgewicht die Gewinne weg konkurriert werden. Daher sind nur konstante Skalenerträge mit einem Wettbewerbsgleichgewicht verträglich.5 Ferner. Was in Makro noch wichtig wird: Was für jedes einzelne Unternehmen gilt, muß auch für die Ökonomie als ganze gelten: Der Anteil der Löhne und der Gewinne am Volkseinkommen muß (bei vollständiger Konkurrenz) den Exponenten von Arbeit und Kapital in der Produktionsfunktion entsprechen. Nun ist zwar die Produktionsfunktion nicht bekannt. Aber die Einkommensverteilung, die Beschäftigung und (die Schätzung für) den Kapitalbestand findet man beim Statistischen Bundesamt – und darüber läßt sich dann die Produktionsfunktion schätzen. Erneut, eine letzte Warnung vor einem Trugschluß: Daß die Einkommensverteilung zwischen Kapital und Arbeit durch die Produktionsfunktion gegeben ist, heißt nicht, daß Gewerkschaften sinnlos sind, weil über die Einkommen durch die Technik entschieden wird. Denn auf das gleiche β, 4 Stehen mehr als zwei Faktoren in der Produktionsfunktion gilt das Ergebnis genauso: Der Anteil der Entlohnung der Faktoren am Produkt entspricht den Exponenten, die sie in der Funktion ausweisen. Eulers Ausschöpfungstheorem, erstmals in der Verteilungstheorie eingesetzt von Knut Wicksell Ende des 19. Jahrhunderts. 5 Joan Robinson. Euler's Theorem and the Problem of Distribution. In: Economic Journal, September, 1934 Einführung in die VWL 4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion S. 75 den gleichen Anteil der Löhne am Volkseinkommen, kann ich ja kommen, wenn ich niedrige Löhne habe und viel Arbeit einsetze oder wenn ich hohe Löhne habe und wenig Arbeit einsetze. Nur daß ich im ersten Fall dann wenig und im zweiten Fall viel Kapital einsetzen muß. Und nochmal: Das wäre dann und nur dann eine Arbeitsnachfragefunktion, wenn die Menge an Kapital gegeben wäre. Ist sie aber nicht. Jedenfalls nicht langfristig. Und noch ein Problem, das im nächsten Kapitel angegangen werden wird: Das Ergebnis scheint zu sagen, daß bei höheren Löhnen kapitalintensiver produziert wird und Arbeiterinnen durch Maschinen ersetzt werden. Das stimmt aber so auch nicht: Wenn es mehr als ein Inputgut gibt, kann ich K ja nur bestimmen, indem ich die mit ihren Preisen bewerteten Inputgüter addiere. (Oder wie wollen Sie sonst 50 kw/h Strom, 20 Liter Schmieröl, 3 Maschinen und eine Tonne Stahl zusammenzählen?) Die relativen Preise dieser Güter ändern sich aber, wenn sich der Lohnsatz ändert – und damit ändert sich K. Mehr dazu, wie gesagt, im nächsten Kapitel. S. 76 4 Produktionsfunktion und Kostenfunktion Karl Betz Einführung in die VWL 5 Produktionspreismodell und fpf S. 77 5 Produktionspreismodell und fpf Lernziele: Produktionspreismodell Produktionspreisgleichung Faktorpreisgrenze Technikänderungen und Verschiebung der fpf Wahl der Technik Umhüllende = Alle r; w/p Kombinationen, die der Stand des technischen Wissens erlaubt. Komparative Statik: Verschiebungen der fpf 5.1 Die Produktionspreisgleichung Ein Modell, das sehr viel übersichtlicher ist als eine Cobb-Douglas-Produktionsfuktion und trotzdem alle wichtigen Resultate herleiten läßt, ist das Produktions-Preis-Modell. Es hat die Einschränkung, daß es ein Modell des langfristigen Gleichgewichts ist. Behält man das aber im Kopf, führt es mit weniger Aufwand auf leichter zu interpretierende Resultate. Nehmen Sie an, eine Ware, sage Korn, werde mit Korn und Arbeit hergestellt. Normiert man den Output auf eine Einheit Korn (sprich: Teilt man alle Werte durch 15, wenn 15 Sack produziert werden) dann ist die Produktion beschrieben mit: k Einheiten Korn + a Einheiten Arbeit ergeben eine Einheit Korn.1 Wie man sich denken kann, wird die Ökonomie nicht lange überleben, wenn k nicht kleiner als eins ist, weil sonst mehr Korn ausgesät als geerntet würde und die Vorräte irgendwann erschöpft wären. Was uns aber, dies ist ja VWL, wirklich interessiert, sind nicht die Mengen-, sondern die Preise. Lassen Sie mich daher in die Produktionsgleichung noch die Preise einsetzen - dann ergibt sich das Produktions-Preis-Modell: Der Preis für Korn sei wie üblich p. (Beachten Sie aber, daß damit der Kornoutput (= Korn nach der Ernte) den gleichen Preis hat, wie der Korninput (= Korn bei der Aussaat). Auch dies verweist auf die lange Frist.) Da bei der Produktion eine Einheit Korn erzeugt wird, ist der Wert des Outputs gleich p. Arbeit bekommt den (Geld)lohnsatz w. Da a Einheiten Arbeit eingesetzt werden, sind, um eine Einheit Korn zu ernten, Geldlöhne in Höhe von a · w zu zahlen. und für Kapital muß man den Preis der Kapitalleihe zahlen, also den (Real-)Zins r und außerdem will der Verleiher vielleicht sein Kapital wieder zurück haben. Damit ist pro Einheit Korn als Kapitalgut 1 (die Tilgung) + r (der Zins) zu zahlen. k Einheiten Korn werden eingesetzt, und der 1 Dies ist nicht die Produktionsfunktion, deswegen habe ich da kein Gleichheitszeichen hingeschrieben. Die Produktionsfunktion wäre: Kornoutput = min {(1/k) · Korninput; (1/a) · Arbeitsinput} Das braucht uns aber in der Folge nicht weiter zu kümmern. S. 78 5 Produktionspreismodell und fpf Karl Betz Preis von Korn ist p. Also sind die Kapitalkosten gleich k · p · (1+r). Oft wird die Verzinsung des Kapitalvorschusses in der Produktion auch Profitrate genannt und dieser Konvention werde ich hier auch folgen. Da alles, was das Unternehmen an Umsatz erlöst, auch entweder als Kapital- oder als Lohneinkommen wieder ankommen muß, läßt sich die Beziehung jetzt als Gleichung, als Produktionspreisgleichung, schreiben: k · p · (1+r) + a · w = p Produktionspreisgleichung. Wat sacht mich dat nu? Nun: Es liegt eine Gleichung mit drei Unbekannten: p, w, r vor. Der Rest (k und a) ist durch die gewählte Technik bestimmt. Von diesen drei Unbekannten können läßt sich entweder eine eliminieren, wenn man die Gleichung durch p teilt - dann stehen da nur noch die relativen Preise, nicht mehr die Geldpreise. Und das macht ja Sinn, weil es ziemlich egal ist, ob man sein Einkommen in € oder in Cent (bzw. wie viele von uns älteren noch: in DM) mißt. Oder man gibt einfach das von den Gewerkschaften und Unternehmerverbänden ausgehandelte Niveau der Geldlöhne in die Gleichung und redet weiter über absolute Preise. Bleiben nur noch zwei Unbekannte: r und w/p. Kennen man eine dieser beiden Unbekannten, dann kennt man p. Einschub: Verallgemeinerung Was sich hier so trivial anhört, ist es in Wirklichkeit nicht. Wenn man es mit mehr als einer Ware und mehr als einem Produktionsverfahren zu tun hat, in das diese Ware direkt oder indirekt eingeht, dann habe ich eben so viele Gleichungen, wie ich Waren habe. (Beispiel: Ich brauche Maschinen und Kohle für die Eisenproduktion, Eisen für die Kohleproduktion und Kohle (Energie) und Eisen für die Maschinenproduktion.) Aus k, dem Inputkoeffizienten von Korn wird dann K, die Matrix aller Inputkoeffizienten. Aus a, dem Arbeitskoeffizienten in der Kornproduktion, wird dann a, der Vektor aller Arbeitskoeffizienten und aus dem Preis p wird p, der Vektor aller Preise. Unter bestimmten formalen Voraussetzungen (die Inverse von K muß existieren), erhält man: p = (I - K ·(1+r))-1 · a · w Was formal heißt, daß, wenn r oder w/p bekannt sind, alle Preise in der Ökonomie bestimmt sind, ohne daß das Wort Nachfrage je aufgetaucht wäre. Die Preise der Güter werden also allein durch die Produktionsbedingungen und die Einkommensverteilung (r bzw. w/p) festgelegt. Inhaltlich ist das nichts anderes als das was oben schon hergeleitet wurde: Ist das Angebot unendlich elastisch, bestimmt das Angebot den Preis und die Nachfrage die hergestellte Menge. Und bei konstanten Skalenerträgen ist das Angebot in der langen Frist eben unendlich elastisch. Das Produktionspreismodell hat den großen Vorteil, daß dadurch unterschiedliche Preistheorien: Klassik (Ricardo, Marx), Neoklassik (Walras, praktisch alle Lehrbücher) und Keynesianismus vergleichbar gemacht werden, weil man sie im gleichen Modell diskutieren kann. Es zeigt sich dann, daß der Unterschied nicht darin besteht, daß die einen Fehler machen, welche die späteren Theorien überwunden hätten, sondern darin, daß den drei Schulen unterschiedliche Theorien der Einkommensverteilung zu Grunde liegen. Im Rahmen dieses Skripts kann diesem Aspekt nicht weiter nachgegangen werden. Auf meiner Homepage finden Sie aber bei Interesse ein Papier, das hierauf eingeht. Einführung in die VWL 5 Produktionspreismodell und fpf S. 79 Was oben also so simpel aussieht, läßt sich zu einer ganz schön komplexen Theorie aufblasen. Erfreulicher Weise kommt man dann aber auch auf keine wesentlich anderen Ergebnisse als in diesem einfachen Beispiel, so daß ich mir die komplizierteren Varianten auch schenken kann. Praktische Relevanz: K, die Input-Output-Matrix, wurde von Leontieff entwickelt und im zweiten Weltkrieg für die Planung der amerikanischen Kriegsproduktion eingesetzt. (Frage: Um wie viel muß ich die Stahlproduktion erhöhen, wenn ich ein zusätzliches Schlachtschiff bauen will? Ich brauche ja nicht nur Stahl für das Schiff selbst, sondern auch für die Werkzeuge, mit denen ich das Schiff baue, für die Stahlerzeugung selbst und, und, und ...) Eine Input-Output-Matrix für die Bundesrepublik können Sie bei Interesse beim Statistischen Bundesamt herunterladen. 5.2 Die Faktorpreisgrenze (fpf) Dem Produktionspreismodell fehlt also eine Information (r oder w/p) um die Preise zu bestimmen. Wenn es aber auch diese Größen nicht bestimmen kann, so liefert es doch deren Zusammenhang, denn die Gleichung läßt sich nach r oder w/p auflösen: k · p · (1+r) + a · w = p :p ==> k · (1+r) + a · w/p = 1 Und damit läßt sich entweder der Reallohnsatz in Abhängigkeit von der Profitrate r bestimmen: w/p = (1/a) · [1 - k · (1+r)] oder die Profitrate r in Abhängigkeit vom Reallohnsatz: (1+r) = (1/k) · [1 - (a · w/p)] Die beiden Gleichungen beschreiben jeweils die Faktorpreisgrenze (fpf - factor price frontier): Sie sagen, welcher Reallohn maximal gezahlt werden kann, wenn eine bestimmte Profitrate vorgegeben wird, bzw. welche Höhe die Profitrate hat, wenn ein bestimmter Reallohnsatz vorgegeben wird. Dabei ist es aus zwei Gründen geschickt, nach (1+r) statt nach r aufzulösen. Der eine Grund ist inhaltlich: Niemand kann a priori sagen, daß r größer Null sein wird. Denken Sie an Dagobert Duck: Sein Geldspeicher sichert sein Geld vor den Panzerknackern. Die Aufbewahrung von Geld ist also eine Produktion, die sein Geld für ihn in die Zukunft transportiert. Aber sie kostet: Die Alarmanlagen, die Wachmannschaft (wenn er die periodisch auch immer wieder entläßt und - zu seinem Schaden - durch den unbezahlten Donald zu ersetzen versucht) ... Durch die Lagerhaltung hat er daher am nächsten Tag weniger Geld als vorher (oder: sein r ist kleiner als 0). Daß sein Geldbestand trotzdem wächst, liegt an anderen Aktivitäten, wie Schatzsuche und den Unternehmen, die ihm gehören. r kann also durchaus kleiner 0 sein. Kleiner als minus eins aber kann es nie werden, denn niemand würde in ein Projekt investieren, bei dem er erwartet, daß er nicht nur sein Vermögen verliert, sondern bei dem er am Ende auch noch zusätzliche Schulden hätte. (1+r) statt r in die Gleichung zu nehmen, erspart uns deswegen eine Fallunterscheidung. S. 80 5 Produktionspreismodell und fpf Karl Betz Der zweite Grund ist die Bequemlichkeit. Wie Sie gleich sehen werden, ist es so viel einfacher, die fpf zu zeichnen. Bei nur einem Produkt ist die Faktorpreisgrenze linear. Es genügen also zwei Punkte, um die Kurve zu bestimmen - und die lassen sich direkt ablesen. Nehmen Sie an, das Kapital bekommt gar nichts. Dann teilen die Arbeiter den Output unter sich auf und jeder Arbeiter bekommt (der Reallohnsatz für (1+r) = 0 ist) 1/a Einheiten Output: w/p = (1/a) · [1 - k · 0] = 1/a Und umgekehrt: Wenn die Arbeiter nichts und die Kapitalistinnen alles bekommen, dann ist w/p = 0 und deswegen ist (1+r) = 1/k: (1+r) = (1/k) · [1 - (a · 0)] = 1/k Nehmen Sie z.B. an, zur Herstellung einer Einheit Korn werden 0,5 Einheiten Korn und ein viertel Arbeiter gebraucht. Dann liegt der Schnittpunkt mit der Reallohnachse bei einem Reallohn von 4 Einheiten Korn pro Arbeitseinheit (1/0,25) und der Schnittpunkt mit der (1+r) Achse liegt bei 2 (wegen 1/0,5). Die maximale Profitrate r liegt also bei 1 oder bei 100%. Abb. 5.1 Faktorpreisgrenze (fpf) Die fpf erlaubt also entweder über den Reallohnsatz die Profitrate zu bestimmen, oder für eine gegebene Profitrate den Reallohnsatz: Kenne ich die eine Größe, dann kann ich die andere ablesen (Grafik) oder ausrechnen (Gleichung). Einführung in die VWL 5 Produktionspreismodell und fpf S. 81 Zweitens weist sie einen trade off aus: Höhere Reallohnsätze bedeuten eine niedrigere Profitrate und umgekehrt, denn die fpf verläuft fallend. „Wenn die Reallohnsätze höher sind, ist die Profitrate niedriger.“ Ok, das hätten Sie sich jetzt vielleicht auch ohne lange Herleitung denken können. Aber es ist doch nicht schlecht, wenn in VWL auch mal was raus kommt, das plausibel klingt. 5.3 Mehrere Techniken: fpf und Wahl der Technik Bisher hatte ich unterstellt, es gebe nur eine einzige Technik: Eine Einheit Korn kann mit k Einheiten Korn und a Einheiten Arbeit hergestellt werden. Was aber, wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, Korn zu produzieren - z.B. die beiden folgenden: Technik A: 0,2 · p · (1+r) + 2,5 · w = p Eine Einheit Korn kann mit 0,2 Einheiten Saatgut und 2,5 Einheiten Arbeit hergestellt werden. Technik B: 0,5 · p · (1+r) + 1 · w = p Eine Einheit Korn kann mit 0,5 Einheiten Korn und einer Einheit Arbeit hergestellt werden. Wegen des Tricks mit (1+r) zu rechnen, muß man gar nicht erst lange rumrechnen, sondern kann die fpfs der beiden unterschiedlichen Techniken einfach einzeichnen. Abb. 5.2 Mehrere Techniken S. 82 5 Produktionspreismodell und fpf Karl Betz Mit diesem Instrument können lassen sich nun zwei Fragen angehen: Erstens: Wie ist der Zusammenhang von Reallohnsatz und Profitrate, wenn es ganz viele unterschiedliche Techniken gibt? Und zweitens kann ich jetzt die Ankündigung aus Kapitel 3 einlösen und klären, welche Technik = welches Verhältnis der Inputfaktoren, ein den Gewinn maximierendes Unternehmen wählen wird. Zunächst zur ersten Frage. Offensichtlich stellt fpf B jetzt nur für hohe Reallohnsätze die Grenze für die realisierbare Profitrate dar. Fällt der Reallohnsatz auf ein Niveau unter ca. 0,28 erlaubt Technik A die höhere Profitrate. Dadurch, daß es jetzt mehrere Techniken gibt, hat sich die Menge der für die Gesellschaft realisierbaren Reallohnsatz-Profitraten-Kombinationen erhöht. Nicht mehr eine einzelne fpf, sondern die Umhüllende aller fpfs (also die Kurve, die man erhält, wenn man nur die am weitesten außen liegenden Abschnitte aller fpfs betrachtet) stellt die für die Ökonomie relevante Grenze der Beziehungen von Reallohnsatz und Profitrate dar. Diese Kurve wird dann natürlich nicht mehr linear sein. (Weil das aber nichts substantielles am Argument ändert, solange die Kurve nur monoton fällt, wird in späteren Kapiteln wieder mit einer einfachen linearen fpf gearbeitet werden.) Damit ist eigentlich auch der zweiten Punkt schon erschlagen: Im Punkt (r = 0,4 / w/p = 0,28) 2 liefern die beiden Techniken die gleiche Profitrate und den gleichen Reallohnsatz. Steigt der Reallohnsatz etwas über 0,28, dann liefert Technik B die höhere Profitrate und wird daher gewählt. Liegt die gleichgewichtige Profitrate einen Hauch über 40%, dann können bei Einsatz von Technik A die höheren Reallöhne gezahlt werden und daher wird diese gewählt.3 Der Punkt (0,4; 0,28) ist also der Punkt, an dem zwischen den beiden Techniken gewechselt (auf denglish: geswitcht) wird. In der Literatur heißt er deswegen auch Switch-Punkt. Und damit läßt sich auch die Frage nach dem optimalen Faktoreinsatzverhältnis beantworten: Jedes mögliche Faktoreinsatzverhältnis läßt sich durch eine eigene Produktionsfunktion beschreiben - und jede dieser Funktionen hat ihre eigene fpf. Trägt man diese ab und ist entweder w/p oder r bekannt, dann kann man ablesen, welche der Techniken gewählt würde (bzw., wenn man gerade in einem Switch-Punkt gelandet ist, welche Techniken gleich wählbar sind).4 Jetzt noch eine kleine Gemeinheit, denn ich bin Ihnen ja noch die Auflösung der Bemerkung vom Ende des letzten Kapitels schuldig. Bisher scheint an der Aussage, höhere Löhne führten auf die Wahl einer kapitalintensiveren Technik und Arbeit würde durch Maschinen ersetzt, wenn sie zu teuer würde, doch nichts falsch zu sein? Schließlich wechselt man ja von Technik A auf Technik B, wenn die Reallöhne zu sehr steigen. Nun, ich habe ja bereits darauf hingewiesen, daß die fpf nur dann sicher eine Gerade ist, wenn nur eine einzige Ware produziert wird. Ist dies nicht der Fall, können die fpfs auch verlaufen wie in Abbildung 5.3 illustriert. Bis zu einem Reallohnsatz von ungefähr 0,22 (und einer Profitrate von rund 300%) ist die 2 Ich habe die Werte einfach abgelesen. Hauen Sie mich also bitte nicht, falls die fünfte Nachkommastelle rechnerisch nicht ganz stimmt. Ach ja: Und in der Grafik wurde 1+r bestimmt. Um auf r zu kommen, muß man davon natürlich noch 1 abziehen. 3 Natürlich wird die Technik nicht gewählt, weil die Unternehmerinnen höhere Reallohnsätze zahlen wollen, sondern weil sie bei den gegebenen Reallohnsätzen höhere Gewinne machen möchten. Aber die so ermöglichten Extragewinne werden wieder weg konkurriert und dadurch steigen die Löhne. 4 Das ist natürlich praktisch nicht umsetzbar: Wenn mehr als eine Ware hergestellt wird, ändert sich die Produktionsfunktion (also die Matrix der Inputkoeffizienten und der Vektor der Arbeitsinputs) ja schon wenn man auch nur eine einzige Zeile auswechselt. Nehmen Sie an, es gebe drei Güter und zur Herstellung jeder dieser drei Waren gebe es 4 Verfahren. Dann hat man es schon mit 43 = 64 unterschiedlichen fpfs zu tun. Einführung in die VWL 5 Produktionspreismodell und fpf S. 83 gestrichelt eingezeichnete Technik A überlegen. Steigt nun der Reallohnsatz, liefert Technik B die höhere Profitrate und wird daher gewählt. Soweit nichts Neues. Technik B scheint also die kapitalintensivere Technik zu sein und bei steigenden Reallohnsätzen wird auf sie übergegangen. Das Problem ist nur: Steigt der Reallohnsatz weiter, hier über 0,85, dann wird auf einmal Technik A wieder die überlegene Wahl. 5.3: Reswitching Welche Technik ist denn nun kapitalintensiver, A oder B? Dieses Phänomen des Reswitching oder der Wiederkehr der Technik hat, wie schon vorne erwähnt, einen einfachen Grund. Kapital kann ich, wenn ich mehrere Inputs habe, nur messen, wenn ich diese mit ihren (relativen) Preisen bewerte. Diese relativen Preise ändern sich aber, wenn w/p sich ändert (und/oder eine andere Technik gewählt wird). Daher bekommt das gleiche physische Güterbündel einen anderen Kapitalwert, wenn es bei einer anderen Einkommensverteilung (bei einer anderen w/p-r-Kombination) hergestellt wird. Nehmen Sie z.B. an, Kapitalgüter werden besonders arbeitsintensiv hergestellt. Dann wird bei sehr hohen Lohnsätzen Kapitalgüter intensive Produktion schlicht zu teuer. Wenn Sie also mal wieder in der Zeitung lesen, durch hohe Löhne würden Arbeitsplätze weg rationalisiert, dann wissen Sie jetzt, daß man das so schlicht nicht allgemein sagen kann. Und die Ökonomen, die das dem Reporter erzählen, wissen das auch. (Die haben dieses Phänomen nämlich auch in ihren Lehrbüchern beschrieben.) Sie erzählen das dem Reporter aber trotzdem, weil es eine so schön einleuchtende Begründung für ihre Forderung nach Lohnzurückhaltung liefert. S. 84 5 Produktionspreismodell und fpf Karl Betz 5.4 Anwendungen: Komparative Statik mit der fpf Wie ich das Marktdiagramm benutzen kann, um die Auswirkungen bestimmter Einflüsse auf die Preise zu betrachten, so kann ich die fpf benutzen, um die Auswirkungen von exogenen Veränderungen auf die Einkommen und auf die Einkommensverteilung zu betrachten - mit einer kleinen Einschränkung: Eine Theorie der Einkommensverteilung können läßt sich erst entwickeln, und das ist erst der Fall, wenn eine Theorie der Faktoreinkommen vorliegt. - Die kommt aber erst im nächsten Kapitel - bzw. dort werden zwei unterschiedliche Theorien skizziert werden: die übliche neoklassische und eine keynesianische. Dort wird daher das Thema: Einkommensverteilung und fpf noch weiter zu verfolgen sein. Hier kann erst mal nur etwas über die Grenzen gesagt werden, innerhalb derer Löhne und Profitrate sich ändern müssen, wenn eine Entwicklung eintritt, welche die fpf verschiebt. Da die fpf eine bestimmte Technik beschreibt, wird Sie sich immer dann verschieben, wenn entweder ein neues Produktionsverfahren entwickelt wird, oder bisher benutzte Verfahren nicht mehr eingesetzt werden können. Abb. 5.4: Technischer Fortschritt im Produktionspreismodell Da der Output auf eins normiert ist, kann eine neue Technik der bisherigen nur überlegen sein, wenn sie pro Einheit Output entweder weniger Arbeitsinputs braucht - dann würde die fpf sich in Richtung der w/p-Achse nach oben drehen. Oder wenn sie weniger Kapitalgüter einsetzt - dann würde der Schnittpunkt mit der (1+r)-Achse nach außen wandern. Oder, wie im Beispiel, wenn Einführung in die VWL 5 Produktionspreismodell und fpf S. 85 beides gleichzeitig der Fall ist. Dann verschiebt sich die fpf (nicht notwendiger Weise: parallel) nach außen. Eine neue Technik, deren fpf durchgängig unterhalb (der Umhüllenden der fpfs) der bereits bekannten verläuft, würde nicht gewählt werden, denn sie würde ja niedrigere Faktoreinkommen als bisher implizieren. Nehmen Sie an, bei der alten Technik A war die Profitrate (abgelesen) 100% und der Reallohnsatz 0,4. Durch die neue Technik B werden jetzt weiter außen liegende ProfitratenReallohn-Kombinationen realisierbar. Da die alte Einkommensverteilung ja einen Grund hatte (wenn Ihnen unterschiedliche Theorien auch unterschiedliche Gründe nennen werden) ist nicht anzunehmen, daß in Folge des technischen Fortschritts die alte Profitrate oder der alte Reallohnsatz unterschritten werden wird. Die möglichen Konsequenzen der Entwicklung der neuen Technologie werden also von dem grauen eingezeichneten Dreieck beschrieben: Bleibt der Reallohnsatz konstant, kann die Profitrate auf bis zu 300% wachsen. Bleibt die Profitrate konstant, kann der Reallohnsatz auf 0,75 steigen. Oder es stellt sich irgend eine Kombination zwischen diesen Extremen ein. Technischer Fortschritt läßt also die Faktoreinkommen steigen. Ein zweites Beispiel: Umweltschutz. Nehmen Sie an, es wird, um die CO 2-Emissionen zu reduzieren, eine der staatlichen Maßnahmen ergriffen, die in Kapitel 3 andiskutiert wurden. Wie könnte man das in der fpf betrachten? Nun, wenn beim gleichen Output weniger CO 2 emittiert werden soll, dann brauche ich offensichtlich eine andere Technik als die bisher eingesetzte. Ich nenne die mal Technik B. Durch die staatlichen Maßnahmen alleine ändert sich aber das technische Wissen nicht.5 Was diese also nur können, ist, den Einsatz bekannter Technologien unattraktiver machen. Dies geht z.B. durch eine Steuer: Wenn ich einen Teil des Outputs (des Output Wertes) weg steuere, dann bleibt weniger für die Verteilung auf die Faktoreinkommen übrig und deswegen rutscht die fpf dieser Technik nach innen. Wenn nun die Umweltpolitik irgend einen Effekt hat, dann doch den, daß Technik B, die bisher gewählt worden war, nun durch eine andere (bekannte) Technik, ich nenne sie mal A, ersetzt wird. Wurde diese andere Technik aber bisher nicht eingesetzt, dann muß das bedeuten, daß die fpf von Technik B bisher, bei der alten Einkommensverteilung, oberhalb der jetzt zu wählenden Technik A verläuft. Der Effekt ist damit genau der umgekehrte wie bei technischem Fortschritt: Man bewegt sich von fpfB zu fpfA und daher müssen der Reallohnsatz und/oder die Profitrate sinken. Fragen zum fünften Kapitel Verständnisfragen 1) Was bedeutet es, die Produktionspreisgleichung zu normieren? 2) Was ist die Faktorpreisgrenze? 5 Was sich allerdings ändert, ist der technische Fortschritt. Wenn ich weiß, daß neue Technologien mit hohen Emissionen durch eine Steuer oder durch Zertifikate teuer gemacht werden, werden Forschungs- und Entwicklungsabteilungen Emissionseinsparungen ein höheres Gewicht beimessen und deswegen mehr Ressourcen für Forschungen in diese Richtung aufwenden. An dieser Überlegung können Sie auch ermessen, wie realistisch es ist, die Entwicklung emissionsärmerer Technologien als Argument dafür zu nehmen, auf Umweltsteuern zu verzichten. Ohne die Steuern wird da weniger entwickelt werden. S. 86 5 Produktionspreismodell und fpf Karl Betz 3) Was ist der Unterschied zwischen der Produktionspreisgleichung und der (Gleichung der) fpf? 4) Wie sieht die Angebotsfunktion bei konstanten Skalenerträgen aus? 5) Warum legt die Klassik einen Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit nahe? 6) Was ist der Unterschied zwischen Nominallohnsatz (= Geldlohnsatz) und Reallohnsatz? 7) Führt eine Geldlohnerhöhung zwingend auf einen höheren Reallohnsatz? Anwendungen 1) Man braucht 4 Kaninchen und 2 Einheiten Arbeit, um 10 Kaninchen zu produzieren. (a) Bitte stellen Sie die Produktionspreisgleichung auf. (b) Bitte bestimmen Sie die fpf graphisch und algebraisch. 2) Bitte bleiben Sie bei der gleichen Technik und diskutieren Sie graphisch und algebraisch: (a) Sie haben vielleicht einmal davon gehört, daß Marx (wie die gesamte Klassik) den Lohnsatz vorgibt (Wert der Ware Arbeitskraft). Bitte bestimmen Sie: Angenommen der Reallohnsatz ist 1 (Kaninchen). Wie hoch ist die Profitrate? Angenommen der Reallohnsatz ist 3 (Kaninchen)? Wie hoch ist die Profitrate? Warum könnte die klassische ökonomische Theorie auf die These von einem Klassengegensatz von Kapital und Arbeit geführt haben? (b) In der keynesianischen Theorie wird der Zinssatz vorgegeben und die Profitrate paßt sich an den Zinssatz an. Wie hoch ist der Reallohnsatz, wenn der (reale) Zinssatz 50% beträgt? Wie hoch ist er, wenn der Zinssatz 20% beträgt? 3) Immer noch die gleiche Technik: (a) Der Geldlohnsatz betrage 4€, der (reale) Zinssatz 25%. Wie verläuft die Angebotskurve? Wie hoch ist der Reallohnsatz? (b) Was geschieht, wenn die Geldlöhne um 10% steigen? (c) Was geschieht mit Preis und Reallohnsatz, wenn der Zinssatz sich verdoppelt? 4) Daniel Düsentrieb erfindet ein Verfahren, das es erlaubt, 8 Kaninchen mit 2 Kaninchen und 4 Einheiten Arbeit herzustellen. (a) Tragen Sie bitte beide Techniken im gleichen fpf-Diagramm ein. (b) Wann wird Daniels Technik eingesetzt? Wann die alte Technik? Einführung in die VWL 5 Produktionspreismodell und fpf S. 87 5) Nach einer weiteren Verbesserung können nun 5 Kaninchen mit einem Kaninchen und 0,5 Einheiten Arbeit hergestellt werden. Tragen Sie diese Technik zusammen mit der Technik aus Frage 1 in einem Diagramm ab. (a) Welchen Technik wird gewählt? (b) Was erwarten Sie für die Entwicklung der Profitrate und des Reallohnsatzes beim Übergang von der alten zur neuen Technik? (c) Angenommen, die Profitrate bleibt unverändert bei 25 % und der Geldlohnsatz bei 4 €. Wie verändert sich die Angebotskurve im Vergleich zu Frage (3)? 6) Wie könnten Sie die Wirkung von Steuern im fpf-Modell diskutieren? 7) Aus Gründen des Umweltschutzes sollen bestimmte Techniken verboten werden (oder so sehr verteuert, daß sie nicht mehr eingesetzt werden). (Aber verbieten ist formal einfacher.) (a) Wie bilden Sie dies im fpf-Diagramm ab? Wie wirkt die Maßnahme auf r, w/p und p? (b) Warum kann Umweltschutz Gesetzgebung trotzdem vernünftig sein? S. 88 5 Produktionspreismodell und fpf Karl Betz Einführung in die VWL 6 Faktormärkte S. 89 6 Faktormärkte Wie viele VWLer braucht man, um eine Glühbirne auszuwechseln? Antwort 1: Das hängt es von der Lohnrate ab. Antwort 2: Insgesamt wohl mindestens acht: Einen, der annimmt, es gäbe eine Leiter, einen, um die Glühbirne zu wechseln und mindestens sechs, um alles andere konstant zu halten. Antwort 3: Eigentlich aber auch keinen, denn eigentlich sollte die unsichtbare Hand des Marktes das Helligkeitsungleichgewicht beseitigen.1 Lernziele: Sparen und Investieren im Gleichgewicht Ein Kapitalangebot verlangt den Verzicht auf Gegenwartskonsum. Der Preis für ein Kapitalangebot ist der Realzinssatz. Realzinssatz und Nominalzinssatz Ein Kapitalangebot ist zugleich eine Arbeitsnachfrage. Arbeitsangebot verlangt den Verzicht auf Freizeit. Der Preis ist der Reallohnsatz. Reallohnsatz und Nominallohnsatz. Arbeitseinsatz erfordert Kapital. Freiwillige und unfreiwillige Arbeitslosigkeit. Die fpf als Bindeglied zwischen Kapital- und Arbeitsmarkt. Faktormärkte und Output Lassen Sie mich, bevor ich mich verirre, mal wieder das Kreislaufdiagramm zu Rate ziehen. Werden Investitionen (I) zugelassen, dann kommen nicht mehr alle neu produzierten Güter beim Haushaltssektor an. Die Konsumgüter gehen weiter an die Haushalte, aber die Investitionsgüter verbleiben im Unternehmenssektor. Nach wie vor fließt der gesamte in der Produktion entstandene Wert in Form von Lohn- und Gewinneinkommen an die Haushalte (denn es gilt ja immer noch: die Unternehmen gehören den Haushalten). Aber die Haushalte geben nicht mehr ihr gesamtes Einkommen aus, sie können einen Teil davon sparen. Diese Modifikation hat zwei Aspekte. Den ersten behandelt dieses Kapitel. Der zweite markiert den Bruch zwischen Keynes und der Neoklassik. Auf ihn gehe ich zu Beginn des Makroökonomie Teils, im nächsten Kapitel, ein. Daher zunächst zum ersten Aspekt: dem notwendigen Zusammenhang von S und I Die Haushalte sparen - und sie stellen diese Ersparnis - vermittelt über das Finanzsystem - dem Unternehmenssektor in Form von Eigenkapital (z.B. durch neue Aktien) oder Fremdkapital zur Verfügung. Ersparnis, also eine Änderung des Nettovermögens des Haushaltssektors, ist jedoch nur 1 http://iiso-web.fb7.uni-bremen.de/verschiedenes/witziges.html S. 90 6 Faktormärkte Karl Betz möglich, wenn die Unternehmen investieren. Denn nur Sachvermögen ist Reinvermögen: Forderungen und Verbindlichkeiten saldieren sich demgegenüber gegeneinander auf – und Geldvermögen ist immer eine Forderung (vgl. Kapitel 8: Geld). Die realisierte Ersparnis und die realisierten Investitionen müssen daher immer gleich sein – das sagt die Saldenmechanik.2 Und umgekehrt: Wenn die Unternehmen investieren, behalten sie einen Teil der neu erstellten Güter und Dienstleistungen im Unternehmenssektor. Dieser Teil der Produktion kann von den Haushalten nicht konsumiert werden, ihm muß also eine Reduktion des Konsums der Haushalte gegenüberstehen. Abb. 6.1: Erweitertes Kreislaufdiagramm: Sparen und Investieren Das Problem ist aber nun, daß die Spar- und Investitionsentscheidungen unabhängig voneinander getroffen werden. Über die Ersparnis entscheiden die Haushalte und über die Investitionen entscheiden die Unternehmen. Deswegen die beiden getrennten Kästchen in der Mitte der Grafik. Was aber stellt sicher, daß die beiden Kästen immer gleich groß sind? 3 Was bringt die Unternehmen dazu, ausgerechnet dann mehr investieren zu wollen, wenn die Haushalte weniger von ihnen kaufen wollen (denn wenn die Haushalte mehr sparen, geben sie ja weniger für den Kauf von Konsumgütern aus)? 2 Geldvermögen (eine Forderung) ist nur dann Reinvermögen, wenn Sie die Bilanz ausblenden, in der die Gegenbuchung (die Verbindlichkeit) erscheint. Fassen Sie die beiden Bilanzen zusammen (aggregieren Sie sie), dann rechnen sie sich gegeneinander auf, saldieren sich zu Null. Die Staatsschulden sind z.B. Reinvermögen (des Haushaltssektors), so lange man den Staat nicht im Modell hat. Ob das aber sehr klug ist, ist eine andere Frage: Letztlich zahlen die Haushalte die Zinsen an sich selbst (weil der Staat die Zinsen aus dem Steueraufkommen zahlt). Für die Volkswirtschaft (ohne Ausland) kürzt sich die Staatsverschuldung wieder heraus: Die Staatsbonds der Privaten sind gleich den Verbindlichkeiten des Staats, also ist das Nettogeldvermögen wieder Null. Die Volkswirtschaft als Ganzes kann dann höchstens noch Forderungen gegen das Ausland haben (Vermögen gleich Sachvermögen plus Nettoauslandsforderungen). Aber für die Weltwirtschaft als Ganzes kürzt sich das dann wieder raus. 3 Tatsächlich sind sie nicht immer gleich groß - Märkte können ja im Ungleichgewicht sein, Pläne können nicht aufgehen. Angenommen, die Haushalte wollen sparen und die Unternehmen investieren nicht. Dann mißlingt der Versuch der Haushalte, zu sparen. Einige Haushalte werden zwar Geldvermögen aufbauen, aber die Haushalte, denen die Unternehmen gehören, stellen dann fest, daß ihre Firmen Verlust gemacht haben. Das Vermögen ist dann nicht gestiegen, sondern wurde im Haushaltssektor nur umverteilt (vgl. Kapitel 8). Einführung in die VWL 6 Faktormärkte S. 91 Hierauf gibt es zwei radikal unterschiedliche Antworten. Die erste verfolge ich hier weiter: Die Koordination der Pläne besorgt der Preismechanismus (über den Realzinssatz). Die zweite kommt in den folgenden Kapiteln bei Keynes. Zu koordinieren ist nach der Grafik jedenfalls zweierlei: • Das Sparangebot der Haushalte und die Nachfrage der Unternehmen nach Kapitalgütern. Dies geschieht am Kapitalmarkt. • Das Arbeitsangebot der Haushalte und die Arbeitsnachfrage der Unternehmen. Dies besorgt der der Arbeitsmarkt. Irgendwie können diese beiden Märkte aber nicht unabhängig voneinander sein: Oben wurde gezeigt, daß die Unternehmen das die Kosten minimierende Faktoreinsatzverhältnis wählen. Sie entscheiden also über ihre Kapital- und Arbeitsnachfrage gleichzeitig. Kapital- und Arbeitsmarkt müssen folglich irgendwie gleichzeitig diskutiert werden. Den Zusammenhang zwischen den beiden Märkten bildet dann die Faktornachfrage der Unternehmen. Deswegen werde ich zunächst die beiden Angebotsfunktionen basteln und dann auf den Zusammenhang der Märkte eingehen. 6.1 Das Faktorangebot Wie das Kreislaufdiagramm ausweist, haben wir uns mit zwei Gruppen von Faktorangeboten herumzuschlagen: Dem Arbeits- und dem Sparangebot der Haushalte. Nehmen wir uns diese der Reihen nach zur Brust. 6.1.1 Das Kapitalangebot der Haushalte Nanu? Oben wurde doch gesagt, hier solle es um Sparen gehen? Tuts auch, indirekt: Einzelwirtschaftlich wie gesamtwirtschaftlich erhöht man sein Vermögen, in dem man weniger als sein Einkommen ausgibt (spart) und baut es ab, indem man mehr ausgibt als man einnimmt (entspart). Sparen ist also die Änderung des Vermögens in einer Periode, die Differenz zwischen laufenden Einnahmen und Ausgaben eines Haushaltes. Gebe ich weniger aus als ich einnehme, so spare ich, gebe ich mehr aus als ich einnehme, so entspare ich, baue ich Vermögen ab. Nun dürften Sie aus Erfahrung wissen, daß ein einzelner Haushalt durchaus entsparen kann – am Ende einer Periode weniger Vermögen haben kann als zu Beginn. Geht das auch für die Volkswirtschaft als ganze? Die Antwort lautet ausnahmsweise: Ja. Kapitalgüter verschleißen mit der Zeit – teils physisch (sie nutzen sich ab oder gehen kaputt), teils moralisch (sie veralten). Um dies zu berücksichtigen, setzt die Buchhaltung Abschreibungen an und dies tut die VWL auch – wenn auch nicht in der gleichen Höhe, weil die buchhalterischen Abschreibungen ja steuerlichen Überlegungen geschuldet sind. Abschreibungen fallen also mit der Produktion an, weil in der Produktion ein Teil der Produktionsmittel verbraucht wird. Die Gesellschaft muß daher Jahr für Jahr einen Teil der neu erzeugten Produkte als Ersatz für die verschlissenen Produktionsmittel abzweigen, um den Kapitalbestand – und damit den Sachvermögensbestand - aufrecht zu erhalten. Wie Sie Abb. 6.2 entnehmen können, sind etwa 15% der jährlich neu erzeugten Güter und Dienstleistungen (des BIP) erforderlich, um abgeschriebenes Sachvermögen zu ersetzen (hellgraue Linie). Die Nettoinvestitionen, also der jährliche Zuwachs an Sachvermögen, betragen etwas unter 5 % des BIP. (Schwarze Linie. Der gesamte Vermögenszuwachs ist höher, weil die BRD Exportüberschüsse aufweist und daher auch noch Forderungen gegen das Ausland aufbaut.) Die S. 92 6 Faktormärkte Karl Betz höheren Werte der Nettoinvestitionen zu Beginn der Neunziger sind Folge des Beitritts der DDR zum Bundesgebiet, der öffentliche Investitionen auslöste. Abb. 6.2: Höhe der Brutto- und Nettoinvestitionen als Anteil am BIP der BRD 30.00% 25.00% 20.00% 15.00% 10.00% 5.00% 0.00% 1990 1992 1994 1996 Brutto Inv 1998 2000 2002 Abschreibungen 2004 2006 2008 2010 Netto Inv. Quelle: SVR; Eigene Berechnungen Noch eine kleine Überschlagsrechnung, um die Dimensionen richtig in den Kopf zu kriegen: Das Sachvermögen in der BRD liegt bei rund 8 Billionen € (Statistisches Bundesamt, Vermögensrechnung), das BIP bei rund 2,5 Billionen. Das Sachvermögen ist also ungefähr 3,25 mal so hoch wie das BIP. Folglich bedeuten die Abschreibungen, daß etwas weniger als 5% des Sachvermögens jährlich aus den neu erstellten Gütern und Dienstleistungen ersetzt werden müssen und die Höhe der Nettoinvestitionen besagt, daß der Bestand mit etwa 1% bis 1,5% pro Jahr wächst. Nehmen Sie nun an, alle Haushalte wollen ihr gesamtes Lohn- und Gewinneinkommen verknuspern. Ferner unterstelle ich Gleichgewicht, d.h. die Unternehmen planen dementsprechend, nicht mehr zu investieren. Dann steigt die Nachfrage nach Konsumgütern – und deswegen deren Preise – und es fällt die Nachfrage nach Kapitalgütern auf Null. Entsprechend wird die Produktion von Kapitalgütern eingestellt und die bisher in dieser Produktion eingesetzten Ressourcen werden für die Produktion von Konsumgütern eingesetzt. Damit aber nimmt der Kapitalbestand Jahr für Jahr um die Abschreibungen ab. Anstatt von gewünschter Ersparnis zu sprechen (die größer oder kleiner als Null sein kann und deswegen wieder eine Fallunterscheidung verlangen würde), ist es deswegen geschickter, vom gewünschten Vermögen (V) zu sprechen um sich Fallunterscheidungen (positive und negative Ersparnis, Abschreibungen als Untergrenze für negative Ersparnis) zu ersparen. Einführung in die VWL 6 Faktormärkte S. 93 Kapitalumbewertung und -vernichtung: Der Wohnungsleerstand in den USA Wie Ihnen aus dem letzten Börsencrash4 noch in Erinnerung sein könnte, gibt es auch noch andere Möglichkeiten, sein Vermögen los zu werden - aber dabei ändert sich nicht notwendigerweise das gesamtwirtschaftliche Vermögen: Nach einem Absturz der Aktienkurse ist das Sachvermögen ja noch da. Es ändert sich nur die Bewertung des Vermögens. Und es gehört jetzt im Zweifelsfall jemand anderem: Vermögen wird umverteilt. Nehmen Sie an, Sie haben Ihr Haus mit einer variabel verzinslichen Hypothek gekauft und jetzt steigen, in Folge der Subprime Krise, die Hypothekenzinsen, weil die Banken das Risiko höher einschätzen. Sie können die Raten der Hypothek nicht mehr zahlen und werden gepfändet. Sie verlieren Ihr Haus - aber es ist ja nicht weg, es gehört jetzt nur jemand anderem (der Bank). Etwas anderes ist es allerdings, wenn, wie in Folge der Hauspreiskrise in den USA, massenhaft Häuser abgerissen werden müssen, nicht, weil sie baufällig wären, sondern weil leer stehende Häuser kosten und es keinen Markt gibt, um diese in absehbarer Zeit zu verkaufen. (Nun könnte man meinen, daß, wenn es gleichzeitig massenhaft Obdachlosigkeit und leer stehende Häuser gibt, die keiner will, man mit den Häusern auch noch etwas anderes anfangen können müßte, als sie abreißen - aber so funktioniert Marktwirtschaft nun mal nicht.) In diesem Fall wird in der Tat Sachvermögen vernichtet. So etwas sehen die Modelle der VWL nicht vor. Ihnen liegt die Vorstellung von Kapital als einer homogenen Paste, die aus einer Verwendung abgesaugt und in eine andere hinein gedrückt werden kann, zu Grunde. Praktisch bedeutet ein abrupter Strukturwandel in der Tat eine Vernichtung von Vermögenswerten, die diese Modelle jedoch nicht vorsehen. Da nach wie vor gilt, daß das Vermögen einer Volkswirtschaft gleich dem Sachvermögen ist und ich weiter annehme, daß nur Kapital Sachvermögen ist, ist dieser gewünschte Vermögensbestand der Haushalte gleich dem Kapital, das sie den Unternehmen zur Verfügung stellen wollen. Wovon hängt das geplante Vermögen ab? Zumindest vom Einkommen und vom (realen) Zinssatz. Einkommen: Eine positive geplante Ersparnis (S) liegt dann vor, wenn das geplante Vermögen am Ende der Periode höher ist, als das am Anfang der Periode. V1gepl = V0 + Sgepl Die Summe aus Lohn- und Gewinneinkommen sei Y (yield). Das Kreislaufdiagramm sagt nun, daß die Ersparnis gleich dem Teil meines Einkommens ist, den ich nicht für den Konsum (C consumption) ausgebe. Dann läßt sich die Gleichung auch umschreiben zu: V1gepl = V0 + Y1gepl - C1gepl Das (geplante) Einkommen spielt also sicherlich eine Rolle bei der Bestimmung des Vermögensangebots. Aber: Es ist der Lohn für mein Arbeitsangebot und das Zinseinkommen aus meinem Kapitalangebot, meinem Vermögen. Da ich immer noch in einem Modell des vollständigen Wettbewerbs bin, ist das Einkommen gegeben: Der Preismechanismus stellt sicher, daß ich immer 4 Ok, aus dem vorletzten (2008). Den Text hatte ich 2010 geschrieben ... S. 94 6 Faktormärkte Karl Betz Vollbeschäftigung habe. Also ist das Einkommen das Vollbeschäftigungseinkommen.5 (Wie Sie sich vielleicht denken können, werde ich diese Annahme in Zweifel ziehen, wenn ich zu Keynes komme.) Zinssatz: Wenn ich Vermögen halte, statt es auszugeben, wirft es ein Einkommen ab, den Zins. Der Vorteil von Sparen ist, daß mein Vermögen am Ende der Periode mehr geworden ist, daß ich mir davon mehr kaufen könnte, als heute. Wichtig ist dabei der letzte Teilsatz: Es interessiert nicht, um wie viel sich der Geldbetrag auf meinem Kontoauszug geändert hat, sondern es interessiert, wie viel ich mit diesem Vermögen kaufen könnte. Sprich: Entscheidend ist der reale, nicht der nominale Zinssatz: Wenn der (nominale) Zinssatz bei 5% liegt, dann werden Sie den für weniger attraktiv halten, wenn die Inflationsrate bei 20 % liegt, als wenn Sie konstante Preise erwarten. Im Ansatz von Keynes, auf den ich in den nächsten Anpassungsprozeß über Veränderungen des Einkommens. orientierten Modellen, denen dieses Kapitel noch folgt (weil unterstelle - vollständige Konkurrenz), ist das Einkommen Realzinssatz - besorgen die Anpassung. Kapiteln näher eingehe, läuft der In den neoklassischen, angebotsich immer noch reine Preisanpasser gegeben und die Preise - hier der Es wurden gerade zwei Begriffe gebraucht, die noch nicht definiert sind. Lassen Sie mich dies kurz nachtragen: Inflationsrate: Die Inflationsrate ist ein Maß dafür, wie stark die Preise im Zeitablauf steigen. Eine Inflationsrate von 100% (pro Jahr) bedeutet also, daß sich die Preise verdoppelt haben. Und damit können Sie sich für den gleichen Geldbetrag nur noch halb so viel kaufen, wie vor einem Jahr bzw. ist das gleiche Geldvermögen nur noch halb so viel wert. Allerdings läuft man hier in ein (unvermeidbares) Problem: Die Inflationsrate beschreibt die Veränderung des Preisniveaus und das Preisniveau ist ein Index: Es soll die Entwicklung von hunderttausenden von Einzelpreisen in einer einzigen Zahl ausdrücken. Das bedingt einen (unvermeidbaren) Informationsverlust. Stiegen alle Preise um den gleichen Prozentsatz, wäre das kein Problem. Praktisch aber fallen manche Preise (denken Sie an Rechenleistung), während andere steigen (denken Sie an Konzertkarten). Ob das ausgewiesene Preisniveau jetzt steigt oder fällt, hängt davon ab, welche Gewichtung Sie den einzelnen Gütern in Ihrem Index geben – und diese Gewichtung ist, egal wie aufwendig sie betrieben wird – letztlich willkürlich.6 Der Preisindex, der verfolgt, wie der Preis dieses Güterkorbes sich über die Jahre entwickelt hat, ist also nur ein grobes Maß für die Entwicklung des Geldwertes, aber besser kriegt man es nun mal nicht hin.7 5 Ich biete so viel Arbeit an, wie ich beim herrschenden Reallohnsatz möchte und ich biete so viel Kapitaldienste (Vermögen) an, wie ich beim herrschenden Realzinssatz (und meinem Anfangsvermögen) möchte. Man kann, wenn man das Produktionspreismodell benutzt, sogar noch einen Schritt weiter gehen: Das Modell liefert für jeden Realzinssatz zugleich den Reallohnsatz – und alle relativen Preise. Wenn ich also den realen Zinssatz kenne, weiß ich zugleich, wie hoch der Reallohnsatz ist – und daher weiß ich, wie viel ich arbeiten will. Nehmen Sie jetzt noch die Modellannahme, daß alle Haushalte Mengenanpasser sind, also davon ausgehen, so viel an Arbeit und Kapitaldiensten absetzen zu können, wie sie (bei den jeweiligen Preisen) wollen, dann wissen Sie, wie hoch das (geplante) Einkommen aus Löhnen und Kapitaldiensten bei jedem Zinssatz ist – und damit haben Sie alle Informationen, die Sie brauchen, um das (gewünschte) Vermögen zu bestimmen. 6 Der Preisindex für Lebenshaltung des statistischen Bundesamtes ist die Entwicklung des Preises des Güterkorbs eines durchschnittlichen Haushalts. Aber erstens ist auch der willkürlich – reden wir über den Güterkorb von diesem oder von letztem Jahr – und zweitens dürfte es keinen einzigen Haushalt in der BRD geben, der wirklich genau den durchschnittlichen Güterkorb kauft. (Wie es ja auch die 1,2-Kind-Familie nicht gibt.) 7 Muß ich genau genommen auch in diesem Abschnitt noch gar nicht: Alle Akteure kennen ja qua Modellannahme (vollständige Information) den gesamten Preisvektor und daher die Entwicklung aller Einzelpreise. Daher könnte jeder Haushalt sich selbst überlegen, was er für real hält. Einführung in die VWL 6 Faktormärkte S. 95 Nominalzinssatz / Realzinssatz: Den Nominalzinssatz kennen Sie: Das ist das, was ganz unten auf Ihrem Kontoauszug steht. Nehmen Sie an, der Nominalzinssatz sei 10% und Sie legen 100 € für ein Jahr an. In einem Jahr haben Sie dann 110 € auf dem Konto. Die Frage ist nur: Können Sie sich nächstes Jahr mit den 110 € mehr oder weniger kaufen als mit den 100 € heute? Die Antwort ist: Es kommt darauf an (wie sich die Preise entwickelt haben). Und die Antwort auf diese Frage gibt der Realzinssatz. Um die Sache einfach zu halten, unterstelle ich mal, Ihr Güterkorb bestehe aus einer Tafel Schokolade und, Fall 1, deren Preis sei konstant geblieben (der Preisindex ist also in diesem wie im nächsten Jahr der gleiche, sage 100) bzw. Fall 2: Der Preis ist um 20% gestiegen. Der Preisindex ist in diesem Jahr 100 und im nächsten 120 und die Tafel Schokolade kostet nächstes Jahr 1,20€. Im Fall 1 bekommen Sie dann für Kapital plus Zinsen in einem Jahr 110 Tafeln Schokolade und 110 Tafeln – 1 = 0,1 = 10 vH . Ihr Realzinssatz ist : 100 Tafeln Im Fall 2 bekommen Sie für die 110 € nur noch 91 (2/3) Tafeln. Ihr Realzinssatz ist also negativ: - 8(1/3)%. Bei niedrigen Inflationsraten und Zinssätzen kann man näherungsweise8 sagen: Realzinssatz = Nominalzinssatz minus Inflationsrate: r = i – π Also: Im Modell des vollständigen Wettbewerbs ist das (geplante) Einkommen gegeben. (Es ist gleich dem Einkommen bei Vollbeschäftigung.) Damit ist der reale Zinssatz die einzige Einflußgröße für die Höhe des gewünschten Vermögens. Damit ist schon mal die Preisachse des Diagramms geklärt - dort wird r stehen. Blöder Weise hilft diese Information aber nicht wirklich weiter, was die Angebotsfunktion für Vermögen (oder, als Änderungsgröße: die geplante Ersparnis) betrifft. Argument 1: Je höher der Realzins, desto mehr Konsum kann ich mir in der Zukunft leisten, wenn ich mich heute einschränke. Das klingt plausibel und würde heißen: Je höher der Zinssatz, desto mehr Vermögen möchte ich. Die Kurve verläuft steigend. Argument 2: Was aber, wenn Sie ein konkretes Sparziel haben? Als ich zur Schule ging, waren wir uns in der Klasse weitgehend einig: Wir arbeiten bis 40, dann haben wir genug Vermögen, um uns auf eine Südseeinsel zurück zu ziehen. Wenn Sie so ein Sparziel haben (oder für Ihre Rente sparen) dann können Sie umso früher (bei einem umso geringeren Vermögen) aufhören zu sparen, je höher der Zinssatz ist. Die Kurve würde fallend verlaufen. Praktisch wird einfach unterstellt, daß die Angebotskurve steigend verläuft, allgemein herleiten läßt es sich aber nicht. So. Hier könnte ich jetzt aufhören und die Vermögens- (Kapital-)angebotskurve zeichnen. Aber mit Hilfe des Produktionspreismodells läßt sich noch eine weitere Information heraus kitzeln: Wenn ich Kapital in der Produktion einsetzen will, brauche ich ja auch Arbeit. Wenn die Produktionspreisgleichung k · (1+r) + a · w/p = 1 lautet, dann brauche ich pro eingesetzter Einheit Kapital a/k Arbeiter. Kenne ich also den 8 Im Beispiel sind die Werte für i und π allerdings schon so hoch, daß man sich ein ganzes Stück von der Faustformel entfernt. Wer es gerne exakter haben möchte, den verweise ich auf Anhang 1 zu diesem Kapitel. S. 96 6 Faktormärkte Karl Betz gewünschten Vermögens- (=Kapital-)bestand, dann kenne ich zugleich den dafür erforderlichen Arbeitseinsatz – oder: die Arbeitsnachfrage bei diesem Realzinssatz. Diese muß sein: ANE = a/k(r) · K(r) Abb. 6.3: Realzinssatz, Kapitalangebot und Arbeitsnachfrage Und damit ist schon mal nicht nur das gewünschte Vermögen bestimmt, sondern auch gleich die dafür erforderliche Arbeit – also die Arbeitsnachfrage – in Abhängigkeit vom Realzinssatz.9 9 Nun ist zugegebener Maßen ANE (K(1+r)) mit ziemlicher Sicherheit keine Gerade – die Technikwahl hängt ja von r ab und damit verändert sich auch a/k und nicht nur K, wenn sich r ändert. Das ist aber deswegen mathematisch kein Problem, weil das r, für das ich K bestimme und das r, für das ich das jeweilige (a/k) bestimme, ja das gleiche ist. Die beiden Werte können also simultan berechnet werden: ANE = K(1+r) · (a/k)(1+r) Ein härterer Einwand ist, daß das oben angesprochene reswitching auch noch nicht vom Tisch ist: a/k könnte zeitweilig fallen, wenn r steigt und damit die Wirkung des höheren Kapitaleinsatzes auf die Arbeitsnachfrage zeitweilig dämpfen oder umkehren. Aber immerhin ist der eine Effekt – qua Annahme – eindeutig (K steigt mit Einführung in die VWL 6 Faktormärkte S. 97 Bei einem hohen Realzinssatz (r2) bieten die Haushalt viel Vermögen = viele Kapitaldienste an. Für viel Kapital (K2) braucht man aber auch viele Arbeitseinheiten: ANE2 = (a/k) · K2. Umgekehrt wird bei einem niedrigen Zinsniveau nur wenig Kapital angeboten, und daher auch nur wenig Arbeit gebraucht. Die Entscheidung der Haushalte, wie viel Vermögen sie halten wollen, liefert also nicht nur die Kapitalangebots- sondern zugleich auch die Arbeitsnachfragefunktion. Wobei die Arbeitsnachfragefunktion hier vom Realzinssatz (r) abhängt: Abb. 6.4: Arbeitsnachfrage und Zins 6.1.2 Das Arbeitsangebot der Haushalte (AAT) Das Arbeitsangebot der Haushalte läßt sich etwas kürzer abhandeln. Das ärgerliche an der Arbeit besteht darin, daß man mit seiner Zeit auch etwas vernünftiges anfangen könnte - oder, auf ökonomisch: Die Opportunitätskosten der Arbeit bestehen in der entgangenen Freizeit. Der Vorteil von Arbeit besteht darin, daß man ein Einkommen erzielt, den Lohn, und sich damit Konsumgüter leisten oder sein Vermögen erhöhen kann. Kriterium muß dabei wieder sein, was man sich von seinem Lohn kaufen kann. Wichtig ist also der Reallohnsatz, also Reallohn pro Zeiteinheit. Dieser steht auf der Preisachse. Auf der Mengenachse steht die angebotene Menge an Arbeitsleistung, gemessen in Stunden. Dabei hat man die Wahl, entweder für jede Art von Arbeit einen eigenen Markt auf zumachen, oder so zu tun, als seien alle Arbeitsangebote identisch, als hätten man es mit homogener Arbeit zu tun. Ich verfolge hier den zweiten Weg. Um es kurz zu machen: Auch hier wird unterstellt, daß die Arbeitsangebotskurve normal verläuft - obwohl man sich andere Verläufe durchaus vorstellen kann (vgl. Anhang 2). Wenn der steigendem r), während der andere zeitweilig in die eine und zeitweilig in die andere Richtung gehen kann. In der Tendenz sollte sich daher der eindeutige Effekt durchsetzen: Ein höheres r bedeutet einen höheren gewünschten Kapitalbestand und ein höherer Kapitalbestand eine höhere Arbeitsnachfrage. S. 98 6 Faktormärkte Karl Betz Grenznutzen von Freizeit abnimmt (Ja, das war Kapitel 1, Gossensche Gesetze, aber deswegen wurden sie vorne ja eingeführt: weil ich sie immer wieder brauche.), dann steigen meine Opportunitätskosten pro Zeiteinheit, je länger ich arbeite. Ich habe dann ja immer weniger Freizeit und je weniger ich habe, desto höher ist der Grenznutzen der letzten Einheit, auf die ich verzichten müßte, wenn ich eine Stunde länger arbeiten soll. Nach dieser Logik wird also nur dann mehr Arbeit angeboten werden, wenn höhere Reallohnsätze gezahlt werden. Abb. 6.5: Arbeitsangebot, freiwillige und unfreiwillige Arbeitslosigkeit In der Grafik sind zwei Geraden eingezeichnet. Zum einen das maximal mögliche Arbeitsvolumen (AMAX): Wie viel Arbeit würde geleistet, wenn die gesamte arbeitsfähige Bevölkerung so lange arbeiten würde, wie sie physisch könnte. Zum andern die Arbeitsangebotskurve selbst: Die Arbeitsangebotskurve gibt das Arbeitsangebot der Haushalte in Abhängigkeit vom Reallohnsatz wieder. Punkte rechts von der Arbeitsangebotskurve bedeuten, daß die Haushalte zwar länger arbeiten könnten, dies beim herrschenden Lohnsatz aber nicht wollen, weil ihnen ihre Freizeit mehr wert ist. Rechts von der Arbeitsangebotskurve herrscht also freiwillige Arbeitslosigkeit. Die Punkte auf der Arbeitsangebotskurve sind die Mengen an Arbeitsleistung, die die Haushalte gerne verkaufen möchten. Liegt die tatsächliche Beschäftigung also links der Kurve, so arbeiten sie weniger als sie gerne würden. Sie sind unfreiwillig arbeitslos oder unterbeschäftigt. (Um die späteren Grafiken nicht zu überfrachten, werde ich AMAX dort nicht weiter einzeichnen.) Freiwillige und unfreiwillige Arbeitslosigkeit Um den abstrakten Begriffen eine ungefähre Größenordnung zu geben: In der Bundesrepublik leben etwas über 82 Millionen Menschen. Davon sind rund 53 Einführung in die VWL 6 Faktormärkte S. 99 Millionen im arbeitsfähigen Alter (zwischen 15 und 65) (Statistisches Bundesamt). Angenommen, diese können maximal bis zu 50 Stunden pro Woche an 50 Wochen im Jahr arbeiten (Urlaub ist ja auch eine Wahl von Freizeit statt Arbeitseinkommen). Dann beträgt die maximale jährliche Arbeitsleistung (also das A MAX aus Abb. 6.5) 132 Mrd. Stunden. Die Beschäftigung lag demgegenüber bei rund 40 Millionen Menschen, die teils Vollzeit, teils Teilzeit gearbeitet haben. Das von diesen im Jahr 2009 geleistete Arbeitsvolumen, die Summe aller geleisteten Arbeitsstunden von abhängig Beschäftigten und Selbstständigen, betrug 56 Mrd. Stunden. (BA; Arbeitsmarktreport 2009, S. 14). Beschäftigt wird nach dieser Rechnung also nur gut 40 % des maximalen Arbeitspotentials. Wer nicht oder weniger als 50 h pro Woche arbeitet, tut dies entweder freiwillig - z.B. weil sie lieber weiter zur Schule geht oder studiert (aber Achtung: ihr Nebenjob, auch als SHK, ihr Ferienjob und ihr Praktikum sind im Arbeitsvolumen enthalten), weil er in Erziehungsurlaub ist oder mehr Freizeit will, als eine 50 h Woche ihm lassen würde. Oder sie ist unfreiwillig arbeitslos - entweder nur auf einer Teilzeitstelle, obwohl sie beim herrschenden Lohnsatz länger arbeiten möchte, oder eben überhaupt nicht beschäftigt. Das Problem an der Sache ist nun, daß Sie Menschen nicht in den Kopf sehen können: Wie viele dieser Stunden freiwillig nicht geleistet werden und wie viele der Stunden nicht geleistet werden, weil die Arbeitsanbieterinnen keinen Abnehmer finden, läßt sich nicht sicher sagen. Wer ein neoklassisches Arbeitsmarkt Modell, wie es in diesem Kapitel entwickelt wird, im Kopf hat, wird dazu tendieren, die Arbeitsangebotsfunktion relativ nahe an der realisierten Beschäftigung verlaufen zu lassen - und Zahlen sind geduldig, wie Sie ausführlicher im Kapitel 11 sehen werden, das etwas genauer auf Arbeitsmarkt und Beschäftigung eingeht. Liefert die Arbeitsnachfragefunktion noch etwas mehr an Informationen? Nun, es gilt das umgekehrte wie beim Kapitalangebot: Wenn man den Realzins kennt, kennt man das Kapitalangebot - und dieses mal a/k liefert die Arbeitsnachfrage. Und wenn man den Reallohnsatz kennt, kennen man das Arbeitsangebot - und dieses mal k/a liefert die Menge an Kapital, die erforderlich wäre, um diese Menge an Arbeit zu beschäftigen. Das Arbeitsangebot hat sein Spiegelbild also in einer Kapitalnachfragefunktion: Ist der Reallohnsatz hoch, wollen viele Menschen arbeiten - und um viele Arbeitseinheiten zu beschäftigen, benötige ich viel Kapital. Die Nachfrage nach Kapital steigt daher mit steigendem Reallohnsatz. 6.2 Gleichgewicht der Faktormärkte Klasse - jetzt hängt das Arbeitsangebot vom Reallohnsatz ab und die Arbeitsnachfrage vom Realzinssatz. Und das Kapitalangebot hängt vom Realzinssatz ab, während die Kapitalnachfrage vom Reallohnsatz abhängt. Wie soll man das je in ein Grafik bringen? Nun ja, man bräuchte halt etwas, das es erlaubt, den Reallohnsatz in einen zugehörigen Realzinssatz zu übersetzen und umgekehrt. Praktischer Weise wurde dieses Etwas gerade erst im letzten Kapitel gebastelt: Die Faktorpreisgrenze fpf. S. 100 6 Faktormärkte Karl Betz Die fpf beschreibt, wie dort gezeigt, einen Zusammenhang zwischen Reallohnsatz und Profitrate - kenne ich die eine Größe, dann folgt die andere. Nun sind aber die Kosten für Kapital nichts anderes als die Profitrate: Aus Sicht des Haushalts ist sein Gewinneinkommen der Realzins auf das von ihm zur Verfügung gestellte Kapital und aus Sicht des Unternehmens ist der Überschuß über die Lohnkosten, mit dem es die Kapitaldienste entlohnt, also seine Profitrate. Zugegeben: Die Profitrate auf Eigenkapital ist in der Regel höher als die auf Fremdkapital deswegen produziert Fremdkapital ja den Leverage-Effekt (und unter anderem: die Finanzkrisen), auf den im Geldkapitel (Kapitel 8) noch zu einzugehen sein wird. Aber dies liegt an einer Überlegung, die noch nicht im Modell ist: Eigenkapital dient als Sicherheit für Fremdkapital und die höhere Rendite kann als Entschädigung für diese Risikoübernahme interpretiert werden. Hier aber argumentiere ich nach wie vor unter der Annahme, daß alle Verträge auch erfüllt (und daher alle Kredite auch bedient) werden. Das Risiko eines Kreditausfalls besteht also - vorläufig annahmegemäß nicht. Würde diese Annahme fallen gelassen, müßte ich die gleichgewichtige Profitrate halt als Funktion des Realzinssatzes ausdrücken. Trotzdem wären die beiden Größen immer noch durcheinander bestimmt. Ok. Wenn also die fpf die Profitrate (= den Realzinssatz) in den Reallohnsatz übersetzt und umgekehrt, dann läßt sich die Nachfragekurve nach Arbeit leicht vom Realzinssatz zum Reallohnsatz hin übersetzen und die Nachfragekurve nach Kapital vom Reallohnsatz in den Realzinssatz. Das nachstehende Diagramm 6.6 konstruiert diesen Zusammenhang von Arbeits- und Kapitalmarkt. Beim Nachvollziehen der Grafik müssen Sie übrigens daran denken, daß alle Achsen vom Ursprung weg steigende Werte aufweisen. Kapitalangebot und Arbeitsnachfrage (konstruiert mit den durchgezogenen Pfeilen): Starten Sie zunächst bei einem hohen Realzinssatz. Ein hoher Realzinssatz bedeutet ein hohes Kapitalangebot (Kapitalmarktdiagramm, Erster Quadrant). Für ein hohes Kapitalangebot brauche ich aber viel Arbeit (Q II). Und ein hoher Realzinssatz bedeutet zugleich einen niedrigen Reallohnsatz (fpf; Q IV). Also bedeutet ein niedriger Reallohnsatz eine hohe Arbeitsnachfrage (Arbeitsmarktdiagramm; Q III). Start bei einem niedrigen Realzinssatz: Ein niedriger Realzinssatz bedeutet ein geringes Kapitalangebot (Q I). Folglich brauche ich wenig Arbeit (QII). Ein niedriger Realzinssatz bedeutet zugleich hohe Reallohnsätze (fpf; Q IV). Also bedeutet ein hoher Reallohnsatz eine geringe Arbeitsnachfrage (Q III). Da ich alle Funktionen als linear unterstellt habe, ergibt sich die (graue) Arbeitsnachfragefunktion durch die Verbindung der beiden Punkte. Nun zu Arbeitsangebot und Kapitalnachfrage (gepunktete Pfeile): Ein hoher Reallohnsatz bedeutet ein hohes Arbeitsangebot (Arbeitsmarkt; Q III). Also bräuchte ich viel Kapital (Q II). Zugleich bedeutet ein hoher Reallohnsatz aber eine niedrige Profitrate (fpf; Q IV). Also bedeutet eine niedrige Profitrate eine hohe Kapitalnachfrage (Kapitalmarkt; Q I). Ein niedriger Reallohnsatz bedeutet eine geringes Arbeitsangebot (Q III). Für einen geringen Arbeitseinsatz brauche ich aber wenig Kapital (Q II). Zugleich bedeutet ein niedriger Reallohnsatz eine hohe Profitrate (fpf; Q IV). Also geht ein hoher Realzinssatz mit einer geringen Kapitalnachfrage einher (Q I). Erneut: Verbindet man die beiden so konstruierten Punkte ergibt sich die Kapitalnachfragekurve. Einführung in die VWL 6 Faktormärkte S. 101 Abb. 6.6: Simultanes Gleichgewicht von Arbeits- und Kapitalmarkt Wie Sie sehen können, sind bei A*, (w/p)*, K* und r* beide Märkte, Arbeits- und Kapitalmarkt, gleichzeitig im Gleichgewicht. Das gleiche nochmal algebraisch statt graphisch. Gegeben seien: Eine Kapitalangebotsfunktion: KAT = 4 · (1+r) Eine Arbeitsangebotsfunktion: AAT = 10 · (w/p) Und eine Technik: 0,2 · (1+r) + 0,4 (w/p) = 1; also k = 0,2 und a = 0,4 Man kann jetzt entweder aus der Arbeitsangebotsfunktion eine Kapitalnachfragefunktion machen, oder umgekehrt aus der Kapitalangebotsfunktion eine Arbeitsnachfragefunktion. Ich entscheide mich hier mal für den zweiten Weg und berechne zuerst das Arbeitsmarktgleichgewicht. Das heißt, ich muß zuerst die Arbeitsnachfrage aus dem Kapitalangebot herleiten. S. 102 6 Faktormärkte Karl Betz Die Produktionsfunktion sagt mir, daß ich für 0,2 Einheiten Kapital 0,4 Einheiten Arbeit brauche (also doppelt so viel Arbeit wie Kapital einsetzen muß): ANE = (a/k) · KAT = 2 · 4 · (1+r) = 8 · (1+r) Jetzt muß das 1+r in der ANE durch w/p ersetzt werden. Die fpf liefert diesen Zusammenhang, also erstmal aus der Produktionspreisgleichung die fpf aufstellen: 0,2 · (1+r) = 1 - 0,4 (w/p) ==> (1+r) = 5 - 2 · (w/p) Jetzt dies für 1+r in der ANE einsetzen, dann ergibt sich die Arbeitsnachfrage in Abhängigkeit von Reallohnsatz: ANE = 8 · [5 - 2 · (w/p)] = 40 - 16 · (w/p) Die Arbeitsangebotsfunktion war ja vorgegeben, also läßt sich das Gleichgewicht errechnen wie bei jedem Marktgleichgewicht müssen beim Gleichgewichtslohnsatz Angebot und Nachfrage gleich sein. Also: Gleichgewichtsbedingung: A*: AAT != ANE 10 · (w/p)* = 40 - 16 (w/p)* (w/p)* = 40/26 Eingesetzt ergibt sich A* = 400/26 ≈ 15,38 K* ≈ 7,69 und 1 + r* ≈ 1,92 Und noch etwas kann man ablesen: Wenn 0,4 Arbeitseinheiten eine Einheit Output erzeugen, dann müssen 15,38 Arbeitseinheiten 38,46 Einheiten Output herstellen. Wie hoch ist r? Eine Überschlagsrechnung Im Text wird mit unrealistisch hohen Profitraten gerechnet. Wie hoch ist r wohl in der Praxis? Die Profitrate ist der Gewinn bezogen auf das eingesetzte Kapital. Für einen ersten groben Zugang könnte man also schätzen: Profitrate = Unternehmensgewinne / Kapitalbestand. Wie oben gesagt, liegt der Sachvermögensbestand (bewertet zu Wiederbeschaffungspreisen) in der BRD bei rund 8 Bio. Bereinigt um Abschreibungen (BIP - Abschreibungen = Nettonationaleinkommen) lag das Einkommen 2010 bei 2,18 Bio. und die Unternehmens- und Vermögenseinkommen lagen bei rund 640 Mrd. (destatis). Eine erste Schätzung könnte also lauten: r = 0,64/8 ≈ 8%. Allerdings muß man bei der Geschichte zweierlei bedenken: Erstens ist im Unternehmenseinkommen auch der Lohn für Unternehmertätigkeit enthalten. Der Sachverständigenrat für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung berechnet daher eine bereinigte Gewinnquote, für die er (kalkulatorische) Löhne für Unternehmer und mithelfende Familienangehörige von den Gewinnen abzieht. Er landet dann bei ungefähr einer halb so hohen Gewinnquote - was bedeuten würde, daß auch r nur halb so hoch wäre, also bei rund 4% läge. Andererseits ist im Sachvermögensbestand auch das Private Wohneigentum enthalten - und die (kalkulatorischen) Erträge aus selbst genutztem Wohnraum, liegen drastisch niedriger als die Einführung in die VWL 6 Faktormärkte S. 103 Unternehmensrenditen. Der Anteil von Wohnbauten liegt bei etwas über 50% des Kapitalbestandes. Zieht man diesen vom Schachvermögensbestand ab, um zum eigentlichen Kapitaleinsatz zu kommen, so steigt das geschätzte r wieder auf eine Größenordnung von 8 % bis 12 %. 6.3 Das BIP: die angebotsorientierte Sicht Und mit dieser Feststellung in ich beim Übergang zur Makroökonomie angelangt. Denn das Volkseinkommen, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) oder auch Y (yield) ist ja nichts anderes als der Output der Produktion. Sie erinnern sich noch an die Produktionsfunktion aus dem vorletzten Kapitel, die den Output als Funktion der Faktoreinsatzmengen beschreibt? Nun, das Arbeitsmarktgleichgewicht liefert die Faktoreinsatzmengen - und die Faktoreinsatzmengen eingesetzt in die Produktionsfunktion liefern den Output bzw. das BIP. Oben waren das 38,46 Einheiten. Abb. 6.7: Arbeitsmarktgleichgewicht und Volkseinkommen S. 104 6 Faktormärkte Karl Betz Graphisch läßt sich der Zusammenhang ganz einfach abbilden (Abb. 6.7): Das Arbeitsmarktgleichgewicht ergibt die Beschäftigung und diese eingesetzt in die Produktionsfunktion liefert das Einkommen. Das Gleichgewicht ist angebotsorientiert, denn über die Frage, ob die so hergestellten Güter auch verkauft werden können, müssen wir nicht weiter nachdenken: Das Kapitalmarktgleichgewicht stellt ja sicher, daß alles Einkommen, das nicht konsumiert werden soll, als Kapitalinput in der Produktion Verwendung findet. Alles was an Konsumnachfrage der Haushalte fehlt, wird also durch die Investitionsnachfrage der Unternehmen wett gemacht. Vielleicht noch ein kleiner formaler Hinweis: Zwar liefert das Arbeitsmarktgleichgewicht nur A*. Und die Produktionsfunktion ist doch darüber definiert, daß ich alle Faktoren variiere und nicht nur einen? Sprich: Auf der Abszisse der Produktionsfunktion stehen doch Inputbündel und nicht nur Arbeit? Schon richtig. Aber es wurde ja ein simultanes Arbeitsmarkt- und Kapitalmarktgleichgewicht abgeleitet, K und A wurden also gleichzeitig variiert. Liest man am Arbeitsmarkt also ein doppelt so hohes gleichgewichtiges A* ab, dann impliziert das simultane Arbeits- und Kapitalmarktgleichgewicht, daß zugleich K verdoppelt wurde - falls sich nicht nicht von A* 0 zu A*1 die eingesetzte Technik verändert hat. Der einzige Punkt, in dem der Einwand zutrifft, ist also, daß unterwegs die Technik gewechselt haben könnte, weil unterschiedliche A* ja mit unterschiedlichen r* zusammen gehören. Nun ja: Auch hier, wie schon im vorangegangenen Abschnitt, kann ich die Tatsache ausnutzen, daß sich die Technik, also a/k, in Abhängigkeit von r* bestimmt . Also auch hier gilt: Die Informationen, reichen völlig, um Y zu auszurechnen - nur die grafische Darstellung ist eine Vereinfachung, die darüber hinweg sieht, daß unterschiedlichen A* unterschiedliche Produktionsfunktionen zugeordnet sein könnten. Fragen zum sechsten Kapitel Verständnisfragen 1) Warum müssen Ersparnis und Investition für die Ökonomie als ganze immer gleich sein? 2) Der Zinssatz liege bei 4%, die Inflationsrate sei 8%. Wie hoch ist der Realzinssatz? 3) In der Produktion einer Einheit Output werden 0,2 Einheiten Kapital und 0,5 Einheiten Arbeit eingesetzt. Angenommen der Kapitaleinsatz ist 10. Wie viel Arbeit wird nachgefragt? 4) Wird bei einem hohen Realzinssatz viel oder wenig Arbeit nachgefragt? Diskutieren Sie die Frage verbal und graphisch. 5) Bedeutet ein hoher Realzinssatz einen hohen oder einen niedrigen Reallohnsatz? Warum? 6) Wird bei einem hohen Reallohnsatz viel oder wenig Arbeit angeboten? Einführung in die VWL 6 Faktormärkte S. 105 7) Wie verändert sich das Arbeitsangebot, wenn der Realzinssatz sich ändert? 8) Wie verändert sich das Kapitalangebot, wenn der Reallohnsatz sich ändert? 9) Eine Arbeit wird abgelehnt, weil man bei diesem niedrigen Lohn auch gleich Hartz IV beziehen kann. Ist die so entstehende Arbeitslosigkeit freiwillig oder unfreiwillig? Anwendungen Für alle Fragen (1) – (6) gilt: Gegeben sei eine Technik: 0,2 Kaninchen + 0,4 Arbeit ==> 1 K und ein Anfangsbestand von: xo = 20 Kaninchen 1) Bitte bestimmen Sie die Produktionspreisgleichung und die fpf. 2) Gegeben ist die folgende Kapitalangebotskurve: KAT = 0,2 · (1+r) · xo a) Wie hoch ist KAT bei einem (Real)zinssatz r von 100%? Wie hoch bei 200%? b) Wie hoch ist jeweils ba) der Reallohnsatz bb) der erforderliche Einsatz an Arbeit? 3) Das Arbeitsangebot laute: AAT = 20 · (w/p) Nehmen Sie an, der Reallohnsatz betrage 0,5 (a) Wie hoch ist AAT, (1+r)? Wie viel Kaninchen würden gebraucht? (b) Nehmen Sie an, der Reallohnsatz betrage 2 Wie hoch ist AAT, (1+r)? Wie viel Kaninchen würden gebraucht? 4) (a) Tragen Sie KAT in das Kapitalmarktdiagramm und ANE in das Arbeitsmarktdiagramm ein. Können Sie ANE algebraisch angeben? (b) Tragen Sie AAT in das Arbeitsmarkt- und KNE in das Kapitalmarktdiagramm ein. (c) Bestimmen Sie A*, r*, (w/p)* und K* grafisch und algebraisch. S. 106 6 Faktormärkte Karl Betz 5) (a) Bitte bestimmen Sie, wie hoch der Output mit dem in Frage 4 hergeleiteten Faktoreinsatz ist. (b) Bitte bestimmen Sie die (Real-)lohnsumme W und die Gewinnsumme Q. Hinweis: Die Summe von Löhnen und Gewinnen ist das BIP (Y). Dieses ist gleich dem produzierten Output 6) Der unter (5) bestimmte Output ist der neue Anfangsbestand in Periode 1 (x1). (a) Gehen Sie zurück zu Frage 2. Was heißt das für KAT? (b) Diskutieren Sie (nur graphisch): Wie werden sich in Periode 1 wohl: Reallohnsatz, Beschäftigung, (1+r) und Y entwickeln? Hinweis: Die Volkswirtschaft wächst, wenn der Output wächst. 7) These von Hans Werner Sinn: Durch die Globalisierung ist die Nachfrage nach unqualifizierter Arbeit gesunken. Stellen Sie dies im Arbeitsmarktdiagramm dar. Erklären Sie, was das für die Beschäftigung, den Reallohnsatz, die freiwillige und die unfreiwillige Arbeitslosigkeit bedeutet. Exkurs 6.1 Nominalzinssatz und Realzinssatz Sei die Inflationsrate – also der prozentualen Anstieg des Preisniveaus – π, der Nominalzinssatz i, der Realzinssatz r und das Anfangsvermögen V. Dann ist das Nominalvermögen im nächsten Jahr das Anfangsvermögen mal eins plus dem Nominalzinssatz: V · (1+ i). Was Sie sich dafür kaufen können, ist dieser Betrag geteilt durch das neue Preisniveau - oder durch 1 plus der Preissteigerungsrate / Inflationsrate π. 1 i ⋅ V gibt also an, was aus dem Anfangsvermögen nach einem Jahr real 1 geworden ist. Im Zähler steht das verzinste Geldvermögen in einem Jahr und im Nenner steht, wie viel weniger Güter als vor einem Jahr Sie für eine Geldeinheit bekommen. Folglich gibt der Ausdruck Ihnen den realen Wert Ihres Vermögens in einem Jahr an. Der Ausdruck: Der Realzinssatz fragt nun, um wie viel Prozent sich der reale Wert verändert hat. Oder anders: der reale Wert Ihres Vermögens in einem Jahr ist gleich dem Anfangsvermögen V mal eins plus dem Realzinssatz r. Also: V ⋅ 1 r = 1 r = 1 i ⋅ V oder, beide Seiten durch geteilt V 1 1 i 1 ausmultipliziert und nach i aufgelöst: i=r+π+r·π Dieser Ausdruck sagt mir: Wenn die Inflationsrate 10% ist, dann brauche ich einen Nominalzinssatz von 21%, um einen Realzinssatz von 10% zu realisieren. Bei hinreichend niedrigen Inflationsraten und Zinsen kann man den Produktterm vergessen (2% · Einführung in die VWL 6 Faktormärkte S. 107 2% sind 0,04%), so daß sich der Ausdruck zu i=r+π vereinfacht. Soll aber bestimmt werden, welchen Realzinssatz man bei gegebenem Nominalzinssatz und gegebener Inflationsrate erhält, so muß die Gleichung nach r und nicht nach i aufgelöst werden. Also: r = i - π - r · π oder r (1 + π) = i – π = r = i − 1 Bei niedrigen Inflationsraten kann man den Nenner wieder vergessen, so daß sich der Ausdruck zu r = i – π vereinfacht. Exkurs 6.2: Verlauf der Arbeitsangebotskurve: Backward bending labor supply curve und multiples Gleichgewicht Nehmen Sie an, der Lohnsatz liegt nahe Null. Dann kann man vom Arbeitseinkommen nicht leben - und wenn man sowieso verhungert, kann man das mit der Arbeit auch gleich ganz lassen. Bei einem sehr niedrigen Lohnsatz wird das Arbeitsangebot also wohl nahe Null liegen. Abb. 6.E2.1: Multiple Gleichgewichte am Arbeitsmarkt Lassen Sie nun die Löhne langsam steigen. Wird dann das Arbeitsangebot auch langsam steigen? Eher nicht: Bei niedrigen Löhnen müssen Sie sehr lange arbeiten, um von dem Einkommen leben zu können. Im Niedriglohnsektor herrschen daher, soweit es sich nicht um Teilzeitjobs handelt, sehr S. 108 6 Faktormärkte Karl Betz lange Arbeitszeiten vor. Klar: Die wenigsten können von Luft und Liebe leben. Daher ist Freizeit kein vollkommenes Substitut für Einkommen: Wenn ich wenig verdiene, muß ich lange arbeiten, um von dem Geld leben zu können, egal, ob ich dazu Lust habe oder nicht. Das heißt aber, daß man sich erst dann Freizeit leisten kann, wenn die Löhne auf einem bestimmten Niveau angekommen sind. Erst ab diesem Lohnniveau steigt also die Nachfrage nach Freizeit - das heißt aber im Umkehrschluß, daß ab diesem Lohnniveau das Arbeitsangebot nicht steigt, sondern erst mal zurück geht. Bei weiter steigenden Löhnen kann dann das Arbeitsangebot evtl. wieder steigen. Teils, weil die Löhne jetzt den Verzicht auf Freizeit überkompensieren, teils aber auch, weil es jetzt billiger wird, Tätigkeiten out zu sourcen, die Sie bisher selbst übernommen haben. Die Akademikerfamilie, die eine Tagesmutter bezahlt, weil diese weniger kostet, als die beiden auf ihren Stellen verdienen können, ist ein Beispiel dafür. Ein anderes Beispiel liefert folgende Überlegung: Nehmen Sie an, die Zubereitung ihres Mittagessens (inkl. Geschirrspülen) kostet Sie täglich eine Stunde und für die Zutaten geben Sie einsfuffzig aus.10 Annahme gemäß kochen Sie nicht gerne. Wenn Sie nun auf einen Stundenlohn von, sage, 20 € (netto) kommen, werden Sie sich überlegen, ob Sie nicht lieber die Stunde, die Sie ansonsten in der Küche gestanden hätten, an ihre Arbeit dranhängen und dafür beim Türken essen gehen. (Dies ist beiläufig wieder mal ein Beispiel für Vorteile der Arbeitsteilung: Das Lokal kann die Speisen mit weniger Aufwand zubereiten als Sie und daher machen Sie das, was Sie (relativ) besser können als Kochen.11) Das Problem ist nur, daß ein solches zunächst fallendes, dann steigendes und anschließend evtl. wieder fallendes Arbeitsangebot multiple Gleichgewichte implizieren kann, wenn es die Arbeitsnachfragekurve mehrfach schneidet - wie im Exkurs zu Kapitel 2 skizziert. Und damit kann es nicht nur sein, daß Gleichgewichte am Arbeitsmarkt bei unterschiedlichen Lohnhöhen realisierbar wären - ohne daß klar wäre, wer darüber entscheidet, welches dieser Gleichgewichte denn nun realisiert wird. Es kann darüber hinaus sein, daß ein Gleichgewicht gar nicht erreicht wird. Das Gleichgewicht bei (w/p0) kennen Sie vom Typ her. Es ist lokal stabil; stiegt der Lohn etwas über (w/p0), dann wird mehr Arbeit angeboten als nachgefragt und das Überschußangebot an Arbeit läßt die Löhne wieder in Richtung (w/p 0) fallen. Fällt der Lohn etwas, dann finden die Unternehmen nicht genügend Arbeitskräfte und müssen den Lohn wieder hoch bieten. Die andern beiden Gleichgewichte hingegen sind instabil: Steigt der Lohn etwas über (w/p2) so geht das Arbeitsangebot schneller zurück als die Arbeitsnachfrage. Die Löhne steigen weiter, bis (w/p0) erreicht wird. Fällt der Lohn etwas unter (w/p1) dann wird er weiter fallen, erneut bis (w/p0) erreicht ist. Richtig unangenehm wird es aber, wenn der Lohn unter (w/p2) fällt oder über (w/p1) steigt. Im ersten Fall entsteht ein Überschußangebot an Arbeit und der Lohn fällt immer weiter und gleichzeitig steigt auch das Überschußangebot immer weiter an, weil das Arbeitsangebot schneller steigt als die Arbeitsnachfrage. Im zweiten Fall entsteht eine Überschußnachfrage nach Arbeit und dadurch steigt der Lohn immer weiter, was wiederum die Überschußnachfrage weiter anheizt, weil das Angebot schneller zurück geht, als die Nachfrage. Ein neues Gleichgewicht wird nicht erreicht es sei denn man versteht unter einem Gleichgewicht auch eine Situation, in der niemand mehr arbeitet, weil die Löhne zu niedrig sind, bzw. niemand mehr eingestellt wird, weil die Löhne zu hoch sind. 10 Das ist ungefähr der Betrag, den der ehemalige Berliner Finanzsenator Sarrazin (Sie wissen schon: diese Antwort der SPD auf Le Pen, Koch und Haider) für ein Mittagessen vorsah, als er vorrechnete, daß man vom Hartz IV Regelsatz locker leben kann. 11 Mehr noch ist es allerdings ein Beispiel für ungleiche Einkommensverteilung: Das Lokal (oder die Tagesmutter) ist nur deswegen so billig, weil in diesen Sektoren Niedriglöhne gezahlt werden. Kann ich hier aber nicht thematisieren, weil ich nur eine Art von Arbeit und damit nur ein Lohnniveau im Modell habe. Einführung in die VWL 7 Einleitung: Makroökonomie S. 109 7 Mikro- und Makroökonomie Lernziele: Der Unterschied zwischen angebots- und nachfrageorientierter Theorie Der Unterschied zwischen Mikro- und Makroökonomie Drei Kreislaufidentitäten Aggregation / Partial- und Totalbetrachtung BIP, Preisniveau und Inflationsrate ex post und ex ante Betrachtung Notionale und effektive Pläne und die Möglichkeit unterschiedlicher Gleichgewichte 7.1 Angebotsorientierte und nachfrageorientierte Theorie: der Unterschied in den Sichtweisen Robinson hat u.a. zwei Probleme zu lösen: Er muß klären, in welchem Verhältnis er Fische fängt, Kokosnüsse erntet und seine Ziegen melkt. Und er muß klären, wie viel er insgesamt produziert. Die Antwort auf die erste Frage könnte sein, daß er einen halben Arbeitstag angelt, und je einen viertel Arbeitstag Ziegen hütet und auf Palmen klettert. Und die Antwort auf die zweite Frage besteht darin, wie viele Stunden sein Arbeitstag insgesamt haben soll, also wie viele Stunden seines Tages er arbeitet und wie lange er am Strand liegt und sich die Sonne auf den Bauch scheinen läßt. Es ist nun relativ wenig strittig, daß der Markt in der Entscheidung über die erste Frage einen brauchbaren Job macht (von externen Effekten und Informationsproblemen wie bubbles mal abgesehen): Wird von Suppenwürfeln mehr nachgefragt als angeboten, dann steigt deren Preis. Ihre Herstellung wird profitabler und daher werden Faktoren aus anderen Branchen abgezogen und für die Produktion von Suppenwürfeln eingesetzt. So wird das Angebot so lange ausgeweitet, bis man in der Suppenwürfelproduktion wieder die gleichen Gewinne macht wie in anderen Branchen auch und damit kommt die Reallokation der Faktoren zum Stillstand. Diese Logik ar, wenn auch etwas ausführlicher, Gegenstand der ersten sechs Kapitel. Der Unterschied zwischen der Neoklassik (angebotsorientierte Sicht) und Keynes (nachfrageorientierte Sicht) besteht in der Antwort auf die Frage, ob der Markt einen genau so guten Job macht, wenn es darum geht, zu klären wie viel insgesamt hergestellt werden, wie lange Robinson also pro Tag arbeiten soll. Die angebotsorientierte Sicht Die Antwort der Neoklassik ist: Ja, klar: Die Märkte bestimmen, wie viel von jeden Gut hergestellt werden soll und wenn ich das für alle Güter weiß, dann weiß ich auch wie viel insgesamt hergestellt wird. Im sechsten Kapitel wurde ja gezeigt, wie das (neoklassische) Arbeitsmarktmodell festlegt, wie die Arbeit und das Kapital, das die Haushalte zur Verfügung stellen, eingesetzt werden soll und daß es dabei sicherstellt, daß alles, was (bei den Gleichgewichtspreisen) eingesetzt werden soll, auch eingesetzt wird. Die Logik dort war: Der Arbeitsmarkt bestimmt die (Voll-)Beschäftigung und das, was bei Vollbeschäftigung hergestellt werden kann, ist das Volkseinkommen. S. 110 7 Einleitung: Makroökonomie Karl Betz Wenn man so denkt, dann ist man schon weitgehend fertig. Makroökonomie besteht dann nur darin, die Geschichte nochmal etwas einfacher zu erzählen, in dem man nicht von einzelnen Gütern spricht, sondern diese (wie in Abschnitt 6.3 gemacht) zum Volkseinkommen (dem BIP) zusammen faßt und noch auf einige Themen eingeht (Wachstum, Geld, Staat, Außenwirtschaft), die im Mikroteil - warum auch immer - nicht behandelt worden sind. Formal habe ich das ja eigentlich schon in Kapitel 6 gemacht: Kapital- und Arbeitsmarkt bestimmen den Faktoreinsatz- und das, was bei der Produktion an Output erstellt wird, ist das BIP.. Schematisch läßt sich das nochmal so darstellen: Abb. 7.1: Angebotsorientierte Theorie: Die Logik Arbeitsangebot Kapitalangebot Faktormärkte Produktionsfunktion Output (= Gütermarktangebot) Preisanpassungen Endnachfrage Das Arbeitsangebot und das Kapitalangebot bestimmen den Faktoreinsatz. Denn die Kapitalnachfrage ist ja nichts anderes als das Arbeitsangebot auf den Kapitalmarkt übersetzt. Und die Arbeitsnachfrage nichts anderes als das Kapitalangebot auf den Arbeitsmarkt übersetzt. Der Faktoreinsatz entspringt also alleine Angebotsentscheidungen. Das so produzierte Güter- und Dienstleistungsangebot wiederum findet immer eine Nachfrage in gleicher Höhe vor. Sie sehen, warum der Ansatz "angebotsorientiert" heißt. Das ist allerdings nicht ganz so willkürlich, wie es jetzt klingt, denn die Arbeiterinnen bieten ihre Arbeit an, weil sie von ihrem Lohn etwas kaufen wollen und die Kapitalisten bieten Ersparnis heute an, weil sie in Zukunft etwas von den Zinsen kaufen wollen. Insofern ist ein geplantes Angebot Einführung in die VWL 7 Einleitung: Makroökonomie S. 111 zugleich eine geplante Nachfrage. Nur eine Möglichkeit schließt diese Denkweise aus: Daß man Faktorleistungen anbietet, obwohl man von seinem Einkommen gar nichts kaufen will. Die nachfrageorientierte Sichtweise Hier setzt die Gegenposition von Keynes an, die nachfrageorientierte Theorie. Keynes würde darauf hinweisen, daß es einen entscheidenden Unterschied zwischen Robinson und einem kapitalistischen Unternehmen gibt: Robinson will die Kokosnüsse, die er herstellt, behalten - VW aber will seine Autos loswerden. In der Tradition von Keynes beschäftigt sich Makroökonomie mit der Frage, ob denn der Marktmechanismus auch sicherstellt, daß die gesamtwirtschaftliche Nachfrage hoch genug ist, um das gesamtwirtschaftliche Faktorangebot zu beschäftigen. Ob es also sichergestellt ist, daß ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht, so es denn erreicht wird, mit Vollbeschäftigung verbunden ist. Die keynesianische Story lautet deswegen: Die Nachfrage am Markt für Güter und Dienstleistungen entscheidet darüber, wie viel verkauft werden kann. Nur was die Unternehmen erwarten, verkaufen zu können, stellen sie auch her. Und sie stellen nur so viele Faktoren ein, wie sie brauchen, um diesen Output zu erzeugen. Die übrigen bleiben eben, freiwillig oder nicht, arbeitslos. Abb. 7.2: Nachfrageorientierte Theorie: Die Logik Endnachfrage Güterangebot Produktionsfunktion -1 ANE = Beschäftigung KNE = Kapazitätsauslastung Keynes liefert eine Theorie der Nachfrage. Und wenn die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen bestimmt ist, macht es für die Produzentinnen keinen Sinn, mehr als diese Mengen herzustellen, denn sie würden ihren Output ja nicht los und würden deswegen Verluste einfahren. S. 112 7 Einleitung: Makroökonomie Karl Betz Die Nachfrage bestimmt daher bei Keynes, wie viel hergestellt wird (also das BIP). Und damit wird die Produktionsfunktion jetzt einfach "in der anderen Richtung" gelesen: Es wird nicht mehr gefragt, "Wie viel kann ich mit x Arbeitern und z Maschinen herstellen" (Produktionsfunktion), sondern: "Wenn ich y Güter herstellen will, wie viele Maschinen und wie viele Arbeiterinnen muß ich dann kaufen bzw. einstellen?" (Beschäftigungsfunktion). Maschinen, die nicht gebraucht werden, werden einfach nicht hergestellt. Deswegen gibt es keine arbeitslosen Maschinen (außer bei plötzlichen Nachfrageeinbrüchen, das nennt sich dann unausgelastete Kapazitäten). Aber Menschen werden halt auch geboren, wenn sie nicht gebraucht werden. Daher ist es durchaus denkbar, daß es Arbeitslosigkeit gibt. Um das ganze auch im Arbeitsmarkt-Diagramm darzustellen, habe ich Ihnen die keynesianische Lösung in Rot in das neoklassische Arbeitsmarktdiagramm aus Kapitel 6, Abb. 6.7 eingetragen: Abb. 7.3: Keynesianischer Arbeitsmarkt Einführung in die VWL 7 Einleitung: Makroökonomie S. 113 Lassen Sie das einfach als Ausblick mal so stehen. Ausführlicher gehe ich in Kapitel 11 und 13 (Wirtschaftspolitik) darauf ein. Wie Sie aber schon sehen können, kommt Keynes dabei zu einem anderen Ergebnis als die Neoklassik: Wenn die Nachfrage am Gütermarkt zu gering ist, kann das Vollbeschäftigungsgleichgewicht nicht erreicht werden: Ein Gleichgewicht bei (unfreiwilliger) Arbeitslosigkeit ist möglich. Allerdings müssen zwei Punkte noch geklärt werden: Erstens: Der archimedische Punkt, um das neoklassische Modell auszuhebeln, besteht in der Antwort auf die Frage, wie die Menschen es eigentlich anstellen können, nicht nachzufragen. Denn wenn sie nur etwas falsches nachfragen, müßte sich das Problem doch eigentlich durch Preisanpassungen beheben lassen und wir wären wieder in der neoklassischen Welt. Es muß also für die Einkommensverwendung eine Alternative zur Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen geben - und diese Alternative ist Geld. Deswegen ist Geld der Gegenstand des nächsten Kapitels. Und zweitens muß die Nachfrage, die in der Grafik 7.3 einfach nur als Pfeil eingezeichnet ist noch hergeleitet werden. Darum kümmert sich Kapitel 9. Und so müssen wir hier als weiteres Thema noch die keynesianische Beschäftigungstheorie auf unsere to do Liste setzen, noch einmal zum Arbeitsmarkt zurück kehren, der mit Kapitel 6 doch eigentlich schon erschlagen war. Ein (fauler) Kompromiss: Die neoklassische Synthese Die neoklassische Synthese, die lange Zeit die herrschende Denkschule war, und die jetzt durch die Krise wieder an Zulauf gewonnen hat, schlägt hier einen (faulen) Kompromiss vor: Preisanpassungen dauern. Kurzfristig funktioniert also der Marktmechanismus nicht richtig und es gilt die Logik einer keynesianischen Welt. Langfristig aber führt der Preismechanismus wieder ins neoklassische Gleichgewicht. Je nach sozialem Gewissen weisen dann einige Vertreter darauf hin, daß das aber intolerabel lange dauern könne und daß der Staat daher in der Zwischenzeit etwas tun müsse. Neoklassische Synthese Sehr gut kommt diese Denkweise in einem Aufsatz des Economist zur Arbeitslosigkeit in den USA zum Ausdruck: Nach dem er die bisherige Entwicklung der Arbeitslosigkeit durchaus auf eine zu niedrige Nachfrage zurück geführt hatte, fährt der Aufsatz fort "The longer high levels of unemployment stretch on, the less they can be explained by weak demand." (Economist 7.8. 2010, S. 35) Ein Einbruch der Nachfrage kann also durchaus Arbeitslosigkeit erzeugen. Bleibt die Nachfrage danach aber niedrig, kann die Arbeitslosigkeit nicht mehr an ihr liegen. Hört sich unlogisch an - naja: Ist eben Folge des Glaubenssatzes: Wenn sich die Preise frei anpassen können, entsteht immer Vollbeschäftigung. Zusammen mit der Voraussetzung: Langfristig sind die Preise flexibel, folgt dann die Konsequenz: Wenn ich langfristig Arbeitslosigkeit habe, dann ist die entweder freiwillig (ich habe also keine) oder irgend wer (die bösen Gewerkschaften, der dumme Staat, der Mindestlöhne vorschreibt) verhindert die Preisanpassungen. Daß im gleichen institutionellen Setting, also bei den gleichen Gewerkschaften und der gleichen Gesetzgebung, zuvor eine höhere Beschäftigung möglich war, kann den überzeugten Neoklassiker da auch nicht irritieren. (Notfalls haben sich eben die Präferenzen geändert.) Damit keine Mißverständnisse aufkommen - ich habe nicht vor, Ihnen eine Meinung aufzuoktroyieren. Sie haben selbstverständlich (und: selbstverständlich auch in der Klausur) das Recht, die angebotsorientiere Sichtweise oder die neoklassische Synthese für überzeugender zu S. 114 7 Einleitung: Makroökonomie Karl Betz halten als die keynesianische Position. Was ich aber erreichen möchte, ist, daß Sie erstens beide Sichtweisen kennen und zweitens wissen, welche Annahmen Sie eigentlich treffen - und welche Konsequenzen Sie sich einhandeln - wenn Sie sich für die eine oder die andere Sicht entscheiden. Die Vorgehensweise dieses zweiten Teils wird also sein, zunächst zu erklären, wie Nachfrage zum Problem werden kann. Im Anschluß wird dann ein Modell entwickelt, das es erlaubt, die Bedingungen zu klären, unter denen die neoklassische Sicht gilt und die, unter denen die keynesianische Sicht gilt. Und dann ist bei den Fragen nach Wachstum, Beschäftigung, Staat, Wirtschaftspolitik und Außenwirtschaft (ok, die Themen werden wir kaum alle schaffen) jeweils zu fragen, auf welche Folgerungen sich ergeben, wenn man die keynesianische und auf welche, wenn man die neoklassische Variante unterstellt. Oder, um es nochmal anders zu formulieren: Welches Ergebnis sich ergibt, wenn man unterstellt, daß die Märkte immer auf Vollbeschäftigung führen und welches sich ergibt, wenn man diese Annahme nicht trifft. In diesem Kapitel sind jedoch zuvor noch einige methodische Fragen zu klären und Begriffe zu definieren. 7.2 Mikro- und Makro: Der Unterschied Der Unterschied zwischen Mikro- und Makroökonomie ist zunächst rein methodischer Natur: Makroökomie arbeitet mit Aggregaten - Zusammenfassungen vieler einzelner disparater Größen. Mikroökonomie kennt nicht nur so viele Märkte wie es Güter gibt - diese Güter, und daher diese Märkte, sind auch noch unterschieden nach unterschiedlichen Umweltzuständen, räumlicher und zeitlicher Verfügbarkeit. (Denken Sie an den Unterschied zwischen den beiden Märkten für Rettungsboote auf der Titanic und in Liverpool). Den Unterschied zwischen unterschiedlichen Zeitpunkten kennt die Makroökonomie auch noch, aber ansonsten gibt es gerade mal ein Gut, Y, den Output, der für Investitions- (I) und Konsumzwecke (C) nachgefragt werden kann. Daher ist ihr das Allokationsproblem (werden mehr Brühwürfel oder mehr Brüllwürfel (Lautsprecher) hergestellt) egal. Sprich: Sie unterstellt es als bereits gelöst. Während die Mikroökonomie einen Erstausstattungsvektor an Ressourcen (Bestand am Anfang der Periode) im Modell hat (das was am Anfang der Periode an Gütern da ist und die unterschiedlichen Arbeitsqualifikationen der Haushalte) hat die Makroökonomie eben Arbeit und Kapital. (Sie haben in den letzten beiden Kapiteln vielleicht bemerkt, daß ich da ziemlich herumgeeiert bin: Einerseits wollte ich die Sache übersichtlich halten, also im Prinzip in Makro darstellen, andererseits habe ich aber immer in Fußnoten und Einschüben versucht aufzuzeigen, wie sich das formal auch sauberer darstellen läßt.) Der Unterschied zwischen Mikro- und Makro ist also letztlich: Makro vereinfacht brutal (höflicher ausgedrückt eben: sie aggregiert). Ein zweiter Unterschied wird in diesem Skript nicht virulent: Mikro leitet eigentlich die Angebots- und Nachfragekurven aus den (bzw. richtiger: aus Annahmen über die) Präferenzen der Haushalte her. Habe ich nicht gemacht (nur kurz hin und wieder erwähnt). Makro vereinfacht auch hier: Entweder (ältere Modelle) werden Annahmen über Verhaltensweisen der Haushalte einfach unterstellt und nicht hergeleitet. Oder (neue) es wird unterstellt, daß alle Haushalte sich wie ein einziger repräsentativer Agent verhalten und aus den (anggenommenen) Präferenzen dieses Agenten wird dessen Angebots- und Nachfrageverhalten formal aufwändig hergeleitet. Wobei das allerdings nur Augenwischerei ist. In Wahrheit suchen die Vertreter dieses Modellansatzes erstmal nach den Präferenzfunktionen, die ihnen dann das Angebots- und Nachfrageverhalten generieren, das sie für ihre Modelle gerne hätten. (Eine instruktive Bemerkung von Hall ist beispielsweise, daß eine Hauptfrage der arbeitsmarktökonomischen Forschung der letzten Jahre darin bestanden habe, eine Präferenzfunktion der Arbeitsanbieter zu finden, die mit der gemessenen Entwicklung der Einführung in die VWL 7 Einleitung: Makroökonomie S. 115 Beschäftigung in den USA vereinbar sei.1) Und weil das dann letztlich bedeutet, das Gleiche zu machen wie in den älteren Modellen, nur komplizierter, bliebe ich hier bei der einfacheren Variante. Mit einer (wichtigen) Ausnahme: Man sollte im Hinterkopf behalten, daß Verhaltensweisen sich ändern können.2 In vielen Lehrbüchern finden Sie die Behauptung, Makroökonomie betrachte die Wirtschaft insgesamt (Totalmodell) und Mikroökonomie nur Ausschnitte (Partialmodell): einzelne Akteure, Märkte oder Branchen. Diese Unterscheidung ist falsch. Mikrototalmodelle, wie die Theorie des Allgemeinen Gleichgewichts, betrachten sehr wohl die gesamte Ökonomie. Der Punkt ist nur der, daß die Informationsanforderungen dann so hoch werden. (Der Ökonom müßte ja z.B. abermillionen Präferenzfunktionen kennen, die die Haushalte nicht mal selber kennen - oder könnten Sie Ihre Präferenzfunktion über alle Güter, alle Zeitpunkte und alle Umweltzustände anschreiben?) Die Antworten der Mikrototalmodelle können daher nur qualitativ sein: "Mal angenommen, es gäbe vollständige Information, es gebe keine Transaktionskosten und mal angenommen, die Präferenzen und die Produktionsfunktion gehorchen bestimmten formalen Eigenschaften, dann hat die Lösung folgende allgemeine Eigenschaften...". Das ist nun nicht so direkt die Antwort, die man gerne hätte, wenn man wissen will, ob die Staatsverschuldung der BRD (a) ein Problem ist (b) wie sie abgebaut werden könnte und (c) welche Folgen das hätte und (d) wann man am besten damit anfangen sollte. Um auf praktisch verwertbare Aussagen zu kommen, muß man daher vereinfachen und vereinfachen kann man erstens in dem man aggregiert - dies, so wurde oben gesagt, ist der Unterschied zwischen Mikro und Makro. In dem man nicht mehr von einzelnen Konsum- oder Nachfrageplänen, sondern von "der Konsumnachfrage in der BRD" spricht, redet man über etwas, was sich statistisch erheben läßt und für das man einen Wert (oder eine Zeitreihe) finden kann. Und für Werte kann man Zusammenhänge (Korrelationen) und Trends (Zeitreihen) berechnen und mit denen kann man Prognosen erstellen.3 Allerdings - und darauf komme ich in 7.4 nochmal zurück, beobachtet man da eben keine Pläne, keine geplante Nachfragen und Angebote, sondern man konstatiert ex post, was über den Marktprozeß herausgekommen ist. und zweitens, in dem man den Betrachtungsbereich einschränkt, nur einen Teil der Ökonomie betrachtet, wie ein Partialmodell dies tut. Und auch dabei macht man, wie bei der Aggregation, bewußt etwas falsch. Klar ist, daß eine Veränderung auf einem Markt auf andere (letztlich alle) Märkte ausstrahlt. Tabaksteuern betreffen nicht nur den Markt für Zigaretten, sondern auch den Tabakmarkt, und damit die Landpreise (weil die Nachfrage nach Flächen für den Tabakmarkt zurückgeht), den Markt für Tabakarbeiter und Maler (wenn die Kneipen nicht so verraucht sind, müssen sie seltener gestrichen werden) und dies wirkt wieder auf den Tabakmarkt zurück (die Maler haben weniger Geld für Zigaretten). eine Partialbetrachtung schneidet diese Zusammenhänge einfach ab und unterstellt, die Rückwirkungen auf den ursprünglich betrachteten Markt seien vernachlässigbar gering. Diese Unterstellung kann selbst dann falsch sein, wenn die Wirkungen auf die von dem betrachteten Markt ausgehen schwach sind: Wie die Chaostheorie zeigt, muß unter1 Robert E. Hall. By How Much Does GDP Rise If the Government Buys More Output? Mskr. 2009. S. 15 2 Das ist die Lehre aus der sogenannten Lucas-Kritik. Robert Lucas hatte die älteren keynesianischen Modelle zu Recht dafür kritisiert, daß diese unterstellten, die Politik könne versuchen, die Marktteilnehmer dauerhaft herein zu legen, ohne daß diese ihrer Verhaltensweisen änderten. Sie könne also z.B. die Unternehmen entlasten, indem sie durch eine etwas höhere Inflation die Realzinsen senke. In der Praxis aber, so Lucas, könnten die Marktteilnehmer eine solche Politik durchschauen und unwirksam machen - im Beispiel, indem sie die höhere Inflation antizipieren und gleich von vorneweg höhere Nominalzinsen fordern. 3 Die Theorie braucht man dann anschließend wieder, um zu erklären, warum die Prognose nicht eingetroffen ist. S. 116 7 Einleitung: Makroökonomie Karl Betz stellt werden daß die betrachteten Prozesse nicht überlinear sind (daß sich Wirkungen nicht aufschaukeln wie z.B. bei einer Rückkopplungsschleife oder einer Kettenreaktion.). Partialmodelle sind aber kein Kenneichen nur der Mikroökonomie. Auch in der Makroökonomie werden sie benutzt (z.B. im Modell der kleinen offenen Volkswirtschaft) und auch ich werde im übernächsten Kapitel mit einem Partialmodell starten, einer Volkswirtschaft, bei der Staat und Ausland (erstmal) weggelassen werden: Der geschlossenen Volkswirtschaft ohne Staat. 7.3 Aggregation Der zentrale Unterschied zwischen Mikro und Makro ist also, so wurde gerade gesagt, daß Makro mit Aggregaten arbeitet, mit der Zusammenfassung unterschiedlicher Einheiten unter einem Sammelbegriff. Einige dieser Aggregate wurden wurden bereits früher eingeführt, lassen Sie mich zwei wichtige trotzdem nochmal rekapitulieren. BIP Das BIP (Y), das Bruttoinlandsprodukt, ist die Summe der in einer Periode neu erstellten Güter und Dienstleistungen. Es kann für Konsum- (C) oder Investitionszwecke (I) verwendet werden. Ein Blick in das Kreislaufschema sagt, daß das dann die Güter sein müssen, die den Unternehmenssektor verlassen, entweder um von den Haushalten konsumiert oder von den Unternehmen als Investitionsgüter wieder angeeignet zu werden. Nicht zum BIP zählen im Umkehrschluß Güter, die innerhalb des Sektors zirkulieren, also Vorleistungen. Das ist auch klar: Zähle ich Vorleistungen mit, dann würde ich nicht nur das Auto, sondern auch die Reifen, den Motor, das Getriebe, die Zierleisten und die Windschutzscheibe addieren - und am Ende hätte ich das gleiche Auto zwei oder drei mal gezählt (denn auch in die Produktion der Vorleistungen gehen ja wieder Vorleistungen ein, in die Produktion von Zierleisten z.B. Aluminiumprofile und in deren Produktion Aluminium und Energie und, und, und.) Wie oben bereits erwähnt, komme ich vom Brutto- zum Nettoinlandsprodukt, wenn ich vom BIP noch die Abschreibungen abziehe, also den Teil des Outputs, der für den Ersatz von innerhalb des Jahres verschlissenen Anlagegütern benötigt wird. Die Wachstumsrate ist der prozentuale Zuwachs des (realen) BIP innerhalb einer Periode (meist eines Jahres). Bruttoinlands- und Bruttoinländerprodukt (BNP / Sozialprodukt) In manchen Fällen ist es wichtig, zwischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) (dem was im Inland hergestellt wurde) und Bruttoinländerprodukt (BNP) (dem was von Inländern hergestellt wurde) zu unterscheiden. Ein Beispiel: Das Pro-Kopf-BIP von Äquatorialguinea ist mehr als 10 mal so hoch wie das z.B. des Tschad. Trotzdem hat der Großteil der Bevölkerung, die überwiegend in der Landwirtschaft tätig ist, ein niedrigeres Pro-Kopf-Einkommen als im Tschad. How come? Äquatorialguinea hat Erdölquellen und diese gehören ausländischen Konzernen. (Elf-Aquitaine) Damit wird im Land Erdöl hergestellt und ist im BIP enthalten. Das Einkommen aber gehört den Betreibern der Quelle und landet daher zum überwiegenden Teil im Bruttoinländerprodukt von Frankreich (als Entlohnung von Kapitaldiensten) und nicht in dem von Äquatorialguinea. (Und das restliche Öleinkommen, das im Bruttoinländerprodukt gezählt wird, landet bei der herrschenden Elite, sprich hier: bei der Staatsklasse.) Zweites Beispiel: Länder mit einem hohen Auslandsvermögen also z.B. Erdöl produzierende Länder wie Norwegen, die einen Teil ihrer Erdöleinnahmen über Souvereign Wealth Funds im Ausland anlegen, beziehen Zinsen auf diese Forderungen. Diese Zinszahlungen werden im Einführung in die VWL 7 Einleitung: Makroökonomie S. 117 Ausland erwirtschaftet (zählen dort also zum BIP). Sie werden aber als Entgelt für Kapitaldienste an Norwegen gezahlt, zählen also in Norwegen zum Bruttoinländerprodukt. Daher haben Länder mit hohem Auslandsvermögen, wie Norwegen, die Schweiz, China oder Saudi Arabien ein höheres Bruttoinländer- als Bruttoinlandsprodukt. Das gilt auch für die BRD, macht aber hier, obwohl in absoluten Zahlen mit rund 40 Mrd. ganz erklecklich, prozentual nicht so viel aus (weniger als 2% des BIP), daß die Unterscheidung sehr wichtig wäre. In diesem Skript wird daher, wie in anderen Lehrbüchern üblich, Y mit dem BIP gleichgesetzt. Preisniveau / Inflation Güter und Dienstleistungen kann ich nur nur addieren, wenn ich sie mit ihren Preisen bewerte. Ihr Kassenzettel bei Aldi liefert Ihnen auch nur deswegen einen einzigen Wert (den Rechnungsbetrag), weil Ihre Einkäufe zunächst mit den Preisen multipliziert wurden, ehe die Beträge aufaddiert werden konnten. Deswegen steht auf Ihrem Kassenzettel ein einziger Wert, während Ihre Einkaufsliste aus einer Auflistung von Mengen besteht. Was mir also die Statistik liefert, ist das nominale BIP, das BIP gerechnet in laufenden Preisen. Mikro wäre das x · p, der Vektor aller neu erstellten Güter und Dienstleistungen mal dem Vektor aller Geldpreise oder eben Makro: P · Y, das nominale BIP, oder das BIP zu laufenden Preisen. Nur sagt das nicht viel: P · Y kann sich geändert haben, weil P gestiegen ist (weil es Inflation gab) oder weil Y gestiegen ist (weil mehr hergestellt wurde. die Ökonomie also gewachsen ist). (Ihre Rechnung bei ALDI kann höher sein, weil Sie mehr gekauft haben, oder weil die Güter teurer geworden sind.) Das Preisniveau P ist nun ein Index, der ausdrücken soll, wie sich die Preise entwickelt haben. Wenn P bekannt ist, und das nominale BIP (P · Y) vom statistischen Bundesamt erhoben wurde, läßt sich dann leicht das reale Sozialprodukt errechnen: Y = (P · Y) / P Da das Preisniveau ein Index ist, ist die Wahl der Basis willkürlich. Mann kann z.B. die Preise des Jahres 2000 gleich 100 setzen. Steigen dann die Preise um 2% jährlich, dann liegt das Preis niveau im Jahr 2001 bei 102 und im Jahr 2010 wäre es bei 121,9 angekommen. Wenn Sie in einer Statistik lesen, daß diese das BIP zu konstanten Preisen mit dem Basisjahr 2000 ausweist, dann bedeutet dies in diesem Beispiel, daß das nominale BIP des Jahres 2001 durch 102 und das des Jahres 2010 in der Tabelle durch 121,9 geteilt wurde. Das heißt dann aber auch daß Y für sich genommen nicht so richtig viel aussagt: Wenn Sie ein anderes Basisjahr P nehmen, bekommen Sie einen anderen Wert für Y - Das BIP der BRD im Jahr 2010 ist, in Preisen des Jahres 2005 gerechnet, sehr viel Höher, als wenn man z.B. 1980 als Basisjahr nimmt. Wirklich aussagekräftig sind die Werte eigentlich nur im Vergleich:Ist das BIP 2010, gemessen in Preisen von 2005, höher oder niedriger als das BIP von 2009 (ebenfalls gemessen in Preisen von 2005). Oder anders formuliert: Ist die Wirtschaft gewachsen? Die jährliche prozentuale Änderung des Preisniveaus wird als Inflationsrate (π) bezeichnet: Mit g als Symbol für eine Wachstumsrate, ist die Wachstumsrate des realen BIP gleich der Wachstumsrate des nominalen BIP minus dem Preisanstieg gY = gPY - π 4 4 Genau genommen wäre noch die Kreuzableitung zu berücksichtigen, aber bei vernünftigen Inflations- und Wachstumsraten ist die wieder vernachlässigbar klein. S. 118 7 Einleitung: Makroökonomie Karl Betz Da das Preisniveau ein Index ist, ist in seiner Bestimmung eine unvermeidbare Willkür involviert: Einige Beispiele: Die Auswahl des Güterkorbes bestimmt die Gewichtung der Preisänderungen. Aber den "richtigen" Güterkorb gibt es nicht. Selbst wenn Sie sagen: Dann nehme ich einfach alle Güter als Gewichtung (BSP-Deflator) bleiben immer noch die Fragen offen: - Die Güter von diesem oder die von letztem Jahr? (Das einzige, was Sie sagen können ist, daß Sie einen höheren Preisanstieg ausweisen werden, wenn Sie mit dem Güterkorb des letzten Jahres rechnen, als wenn Sie mit dem des laufenden Jahres rechnen. (Weil in der zweiten Variante Güter, die relativ billiger werden, relativ mehr gekauft werden und daher mit einem höheren Gewicht in den Güterkorb eingehen werden.)5) - Wie behandeln Sie den Preis von Gütern, die es im letzten Jahr noch gar nicht gab? - Wie den von Gütern, die in diesem Jahr nicht mehr hergestellt werden? Aber dies ist eine Konsequenz des Informationsverlustes, der mit der Indexbildung einhergeht und damit ein Preis, den man zahlen, will man nicht in einer unüberschaubaren Informationsflut ertrinken.6 (Andererseits öffnet er eine Tür für Manipulationen: Wähle ich einen Index, der die Inflation niedriger ansetzt als ein anderer, weise ich natürlich zugleich eine höhere Wachstumsrate aus.7) 7.4 ex post / ex ante; notionale und effektive Pläne Zunächst einmal ist zu unterscheiden zwischen einem geplanten (ex ante) und einem realisierten (ex post) Marktergebnis. Wenn Sie in die VGR des statistischen Bundesamtes für das Jahr 2009 sehen, werden Sie keine unverkauften Güter finden - und das obwohl die Nachfrage dieses Jahres doch, wie Sie überall lesen können, eingebrochen ist. Schummeln die? Nun, die Statistik fragt, was mit den produzierten Gütern geschehen ist - und irgendwo sind die Güter ja gelandet (oder Sie sind nicht entstanden und daher nicht gezählt worden: Es gibt keine unverkauften Haarschnitte, nur arbeitslose Friseusen.). Wegen zu geringer Nachfrage nicht erzeugt Güter werden nicht gezählt8 (wie auch) und Güter, die erzeugt wurden, sind eben entweder konsumiert worden (C) oder sie sind im Unternehmenssektor verbleiben - dann zählen sie aber als Investitionen (I), wenn auch evtl. als ungeplante Lagerinvestitionen. 5 Und wenn Sie sagen: "Dann nehme ich eben den Durchschnitt", wird die Sache auch nicht besser, denn der wurde ja in keinem der beiden Jahre hergestellt. 6 Um nochmal das ALDI Beispiel zu bemühen: Wenn Sie nur P kennen, dann ist das, als ob Sie mit der Notiz: Ich will 23,42 ausgeben, statt mit einer Einkaufsliste in den Laden gehen. 7 So läßt sich übrigens auch Geld sparen. Die entitlements in den USA (Renten, medicare, medicaid) sind indexiert, d.h. sie steigen mit der jährlichen Preissteigerungsrate (wie ja im Prinzip auch Hartz IV). Einer der Sparansätze ist nun, für die Indexierung einfach eine andere (niedrigere) Inflationskennziffer zu verwenden. Wie ja auch bei Hartz IV getrickst wurde und der Güterkorb für die Bedarfsberechnung einfach so lange geändert wurde (Stichworte: Alkohol, Tabak) bis die gewünschte Änderung des Bedarfssatzes herauskam. 8 Man versucht aber, diese zu schätzen: Die Outputlücke ist der Versuch, die Differenz zwischen dem, was bei normaler Auslastung des Bestandes an Produktionsfaktoren hätte erzeugt werden können und dem, was tatsächlich hergestellt wurde, zu schätzen. Allerdings ist auch dieses Konzept nicht ganz eindeutig: Zum einen müssen Sie "normale Auslastung" definieren und zum zweiten ist der Bestand an Produktionsfaktoren auch nur geschätzt. Erinnern Sie sich z.B. an die Frage, wie hoch die unfreiwillige Arbeitslosigkeit einzuschätzen ist (Kapitel 6). "Natürlich" geht man bei der Schätzung der Outputlücke dann von der Annahme aus, man habe im Durchschnitt der letzten Jahre Vollbeschäftigung gehabt (alle gemessene Arbeitslosigkeit sei also freiwillige Arbeitslosigkeit gewesen). Einführung in die VWL 7 Einleitung: Makroökonomie Es gilt also immer: (ex post) = tatsächliche Produktion = Y = S. 119 (ex post) tatsächlicher Konsum + tatsächliche Investitionen C + I Nur ist diese Gleichheit im Nachhinein (diese ex post Gleichheit) noch lange kein Gleichgewicht: Die tatsächliche Produktion kann niedriger gewesen sein als die geplante. Ein Gleichgewicht liegt nur dann vor, wenn für die gesamte Ökonomie gilt: (ex ante) geplante Produktion = = (ex ante) geplanter Konsum + geplante Investitionen Weicht das tatsächliche Ergebnis von den Plänen ab, werden die Akteure ihre Pläne ändern und Preise und Mengen werden sich in der Folge bewegen - idealer Weise so lange, bis ein Gleichgewicht in den Plänen, also ein ex ante Gleichgewicht, erreicht wurde. notional / effektiv Eingangs dieses Abschnitts wurde nun gesagt, nachfrageorientierte Theorie, also Keynes, kenne auch ein Gleichgewicht bei (unfreiwilliger) Arbeitslosigkeit. Wie kann das ein Gleichgewicht sein? Hier setzen doch einige (Arbeits-)Anbieterinnen die Mengen, die sie gerne los würden, nicht ab. Müssen jetzt nicht Preisanpassungen ablaufen? Die Antwort ist: Es kommt darauf an - nämlich darauf, welchen Typ von Plänen Sie unterstellen. Der neoklassische Haushalt oder die neoklassische Unternehmerin ist Preisnehmer und Mengenanpasser. Solche Pläne nennt man notionale Pläne. Eine Akteuse, die notionale Pläne macht, berücksichtigt Angebotsbeschränkungen nicht. Gehen Sie z.B. in einen Laden und möchten fünf Rollen Nähseide kaufen, dann ist es Ihnen als notionale Planerin schnurz piep egal, wenn es nur noch zwei gibt. Sie erhöhen einfach den Preis, den Sie bieten (und fragen evtl. eine Rolle weniger nach). Mengenrestriktionen (es sind nur zwei Rollen da) gehen nicht in ihr Kalkül ein. Irgendwann finden Sie dann auch ein Gleichgewicht wenn Sie nämlich den Preis so hoch geboten haben, daß Sie wirklich nur noch zwei wollen. Und das gleiche gilt für Anbieterinnen: Wenn Sie einen Ferienjob suchen und die Stellen sind alle schon besetzt, dann sagen Sie nicht: Mist, da wird nichts aus meinem Urlaub, sondern Sie reduzieren Ihre Lohnforderung und gehen bei den gleichen Firmen, die Ihnen gerade gesagt hatten, daß keine Stellen frei seien, wieder vorbei und fragen erneut nach Arbeit. Es sind aber auch Pläne vorstellbar, die Angebotsbeschränkungen ins Kalkül mit einbeziehen. Diese wurden von Clower vorgeschlagen und nennen sich effektive Pläne. Also, um in den Beispielen zu bleiben: Sie stellen fest, es sind nur noch zwei Rollen Garn am Lager. Sie ändern Ihren Plan: Dann kaufe ich eben nur zwei Rollen Garn. Formal hießt dies: Sie sind rationiert: Ihre Pläne unterliegen nicht nur einer Preis- (Sie müssen sich das Zeug leisten können), sondern auch noch einer Mengenbeschränkung: Mehr wird nicht angeboten. Entscheidend für Ihre Planung ist dann, welche der beiden Beschränkungen bindend ist. Ist es die Mengenbeschränkung, dann haben Sie zwar nur Geld für sechs Rollen, nehmen aber nur zwei. Ist es die Preisbeschränkung, dann sind zwar zwei Rollen da, Sie haben aber nur Geld für eine. Wenn Akteure, wie im ersten Teil des Skripts, Preisnehmer und Mengenanpasser sind, dann unterstelle ich, daß sie in ihren (notionalen) Plänen davon ausgehen, daß nur die Preisbeschränkung bindend ist. Im anderen Beispiel: Alle Arbeitsplätze sind weg. Also revidiere ich mein Arbeitsangebot auf Null: Wenn es keine Arbeit mehr gibt, dann hat es auch keinen Zweck, daß ich weiter suche. Ich S. 120 7 Einleitung: Makroökonomie Karl Betz will schon arbeiten (bin also unfreiwillig arbeitslos), sehe aber keine Chance, was zu finden. Das gleiche nochmal an einem Beispiel, bei dem geplantes Faktoreinkommen und geplante Güternachfrage gleichzeitig betroffen sind. Sie haben einen Kreta Urlaub für 900 € im Internet gesehen, und um Griechenland in seiner Schuldenkrise zu helfen, würden Sie da gerne hinfahren. Gleichzeitig haben Sie erfahren, daß Mc Donald's 6 € die Stunde für Aushilfskräfte bietet. Damit wollen Sie den Urlaub finanzieren. Gleichgewicht in notionalen Plänen:: Wert geplantes Angebot = Wert geplante Nachfrage 150 h · 6 € = Kreta Urlaub für 900 € Jetzt erfahren Sie z.B. - entweder Kreta ist schon ausgebucht (Ihre Nachfrage ist rationiert) - dann macht es keinen Zweck arbeiten zu gehen. - Oder Sie erfahren, daß alle Jobs schon weg sind. (Ihr Angebot ist rationiert.) Dann können Sie sich den Urlaub nicht mehr leisten. Also passen Sie ihre Pläne an, lassen das mit dem Urlaub und dem Arbeiten sein. In effektiven Plänen: Wert geplantes Angebot = Wert geplante Nachfrage 0h·6€ = Urlaub auf Omas Bauernhof für 0 € Arbeitslosigkeit ist also durchaus mit einem Gleichgewicht (in effektiven Plänen) vereinbar. Wenn keine Jobs mehr da sind, macht es auch keinen Sinn mehr, die Löhne herunter zu bieten. Und deswegen macht es keinen Sinn mehr, die Reise zu planen. Und umgekehrt: Wenn es keine Ferienplätze mehr gibt, dann macht es auch keinen Sinn mehr ein Arbeitsangebot zu planen. Beachten Sie, daß dabei die Rationierung des Angebots (der Nachfrage) auf einem Markt zur Rationierung der Nachfrage (des Angebots) auf einem oder mehreren anderen Märkten führt. Da Angebot und Nachfrage also gleichzeitig zurückgehen, entsteht gesamtwirtschaftlich eben kein Überschußangebot, das Preis- und Mengenänderungen bewirken könnte. Frank Hahn nennt ein solches Gleichgewicht in effektiven Plänen ein Erwartungsgleichgewicht (conjectural equilibrium). Um nochmal ein gesamtwirtschaftliches Beispiel nachzuschieben. Nehmen Sie eine Gesellschaft ohne Vermögen, in der aller Output nur mit Arbeit als einzigem Input erzeugt werden kann. Das neoklassische Gleichgewicht in notionalen Plänen ist hier sicherlich denkbar: Jeder arbeitet so lange wie erforderlich ist, um ein Einkommen zu erzielen, mit dem sie so viele Konsumgüter kaufen kann, wie sie (bei den Preisen) gerne möchte. Und weil alle planen, ihren Lohn auch auszugeben, kann der Output auch abgesetzt werden und Vollbeschäftigung ist möglich. Dies wäre auch in effektiven Plänen ein denkbares Gleichgewicht. Es sind aber auch unendlich viele andere Gleichgewichte in effektiven Plänen denkbar. Um das andere Extrembeispiel zu nehmen: Angenommen niemand produziert. Dann gibt es keine Arbeitsplätze, also macht es keinen Sinn, Arbeit anzubieten. Weil nun niemand ein Einkommen hat, ist die Güternachfrage Null. Und weil die Güternachfrage Null ist, macht es auch für niemanden Sinn, die Produktion aufzunehmen. Die Faktormärkte sind im Gleichgewicht: (Effektives) Angebot und (effektive) Nachfrage sind Einführung in die VWL 7 Einleitung: Makroökonomie S. 121 Null und das gleiche gilt für die Gütermärkte. Unfreiwillige Arbeitslosigkeit kann also durchaus mit einem Gleichgewicht verbunden sein: Ich würde zwar gerne etwas verdienen. Aber es gibt keine Arbeitsplätze. Also suche ich nicht. Fragen zum siebten Kapitel Verständnisfragen 1) Warum nennt sich Keynes' Ansatz wohl nachfrageorientiert? 2) Warum ist Aggregation immer falsch? Warum braucht man sie trotzdem? 3) Ist Mikroökonomie immer Partialbetrachtung? 4) Was ist der Unterschied zwischen notionalen und effektiven Plänen? 5) Was ist der Unterschied zwischen BIP und BNP 6) Was ist das Preisniveau? 7) Erläutern Sie die Konzepte "Wachstumsrate" und Inflationsrate. Was wird jeweils gemessen? Anwendungen 1) Nehmen Sie an, der Preis für Gitarren sei 1970 gegenüber 1969 von 100 auf 80 gefallen, der von Bässen von 100 auf 130 gestiegen. (Um das Beispiel einfach zu halten, seien die Preise für das übrige Equipment Null.). Bilden Sie nun den Preisindex für 1970 (mit P 1969 = 100) einmal für Deep Purple und einmal für Lynyard Skynyard und bestimmen Sie die beiden Inflationsraten. (Falls jemand das nicht wissen sollte: Purple haben einen Gitarristen (zu ihrer erfolgreichen Zeit meist Ritchie Blackmoore). Skynyard haben drei. Was lernt man an Ihrer Schule eigentlich im Musikunterricht?) Nehmen Sie nun eine Gruppe die ihr line up geändert hatte. 1969 hatte die Gruppe einen Gitarristen und 1970 hat sie drei (z.B. weil Gitarren ja jetzt billiger geworden sind.) Welcher Preisindex würde die Preisentwicklung für diese Band richtig wiedergeben? 2) Nehmen Sie an, ein Kreditnehmer und ein Kreditgeber sind sich über den für einen Kredit zu zahlenden Nominalzinssatz einig. Später stellt sich heraus, dass die Inflation höher ist, als es die S. 122 7 Einleitung: Makroökonomie Karl Betz beiden erwartet haben. a) Ist der Realzins höher oder niedriger als erwartet? b) Kommt es für den Kreditgeber zu einem Gewinn oder Verlust aufgrund der unerwartet hohen Inflation? Wie sieht es für den Kreditnehmer aus? c) In Deutschland war die Inflation im Laufe der 1970er Jahre weit höher als von den meisten Leuten zu Beginn des Jahrzehnts erwartet. Welche Folgen hatte dies für Hausbesitzer, die in den 1960ern Hypotheken zu festgesetzten Zinssätzen aufgenommen hatten und welche für die Banken, die das Geld verliehen hatten? 3) In einer fiktiven Volkswirtschaft existieren nur zwei Güter: Currywurst und Pommes. Im Jahr 2007 wurden 1.000 Portionen Currywurst zum Preis von 40 Cent verkauft und 800 Portionen Pommes für 60 Cent. Der Preis für Currywurst lag 2008 25 % höher als 2007 und die Zahl der Portionen ging um 10 % zurück; der Preis für Pommes fiel dagegen um 15 % die Anzahl der verkauften Portionen legte um 5 % zu. a) Berechnen Sie das nominelle BIP für 2007 und 2008. b) Berechnen Sie das reale BIP für 2008 mit 2007 als Basisjahr. c) Warum wäre eine Betrachtung der nominellen Veränderungen irreführend? 4) Betrachten Sie die folgenden Angaben zum deutschen BIP: Jahr Nominales BIP (in Mrd. €) 2008 2.481,2 2009 2.397,1 CPI (Basisjahr 2005) 106,6 107 a) Berechnen Sie die Wachstumsrate des Nominaleinkommens zwischen 2008 und 2009. (Hinweis: Die Wachstumsrate ist die prozentuale Änderung von einer Periode zur nächsten.) b) Berechnen Sie die Wachstumsrate des CPI zwischen 2008 und 2009. c) Wie hoch ist das Realeinkommen im Jahr 2008 ausgefallen, gemessen in Preisen von 2005? d) Wie hoch ist das Realeinkommen im Jahr 2009 ausgefallen, gemessen in Preisen von 2005? e) Berechnen Sie die Wachstumsrate des Realeinkommens zwischen 2008 und 2009. f) Welche Wachstumsrate war höher, die des nominalen oder die des realen Einkommens? Erklären Sie Ihr Ergebnis. (Ist das immer so?) 5) Erläutern Sie den Unterschied zwischen effektiven und notionalen Plänen am Beispiel Ihrer Urlaubsplanung. 6) Worin besteht der grundsätzliche Unterschied zwischen neoklassischer (angebotsorientierter) Sichtweise und keynesianischer (nachfrageorientierter) Sichtweise? Bitte antworten Sie verbal und graphisch. Einführung in die VWL 8 Geld und Banken S. 123 8 Geld und Banken Lernziele: Geldfunktionen Geldmengenaggregate Geldentstehung: Giralgeld und Zentralbankgeld EZB und ESZB Geldmarktzins und Refinanzierungssatz der Notenbanken. Geldmarktzins und Kreditvergabe der Banken. lender of last resort Banken und Vermögensmärkte leverage und Eigenkapitalrendite Bankenaufsicht Für und wider der Bankenrettung Banken als Finanzintermediäre Warum Geld den Verzicht auf Nachfrage erlaubt 8.1 Geldmenge Wenn ich Sie im Unterricht frage, was Geld sei, werden Sie das für keine besonders schwere Frage halten - Geld, das sind eben die Noten und Münzen, die Sie mit sich herumtragen. In der VWL definiert man Geld etwas anders (sonst wär's ja keine Wissenschaft, wenn jeder die Frage beantworten könnte): Geld ist das, was die Geldfunktionen erfüllt. Diese sind Recheneinheit (Preise werden in Geld ausgedrückt) Zahlungsmittel (mit Geld können Sie Güter kaufen) und Wertaufbewahrungsmittel (mit Geld können Sie sparen) Eine weitere, etwas seltener gebrauchte, geht auf Alfred Marshall (Credit and Commerce) zurück: Inhalt von Schuldverträgen (medium of deferred payments): In Geld werden Forderungen ausgedrückt und beglichen. Wenn man von diesen Funktionen her kommt, dann können die aber nicht nur von dem Geld in Ihrer Hosentasche sondern nahezu genauso gut von dem Geld auf Ihrem Konto (so die Bank denn nicht gerade pleite geht, daher u.a. das "nahezu") erfüllt werden. Aber nicht ganz so gut: Die Annahme von Schecks oder Karten kann man verweigern. (In meinem Kaufladen an der Ecke finden Sie z.B. die Einschränkung: „Kartenzahlung erst ab 5 € möglich“ und bei Karstadt steht an der Kasse ein Schild: „Zahlung mit EC-Karte bei Beträgen über 400 € nur gegen Vorlage des Personalausweises“.) In solchen Fällen müßten Sie evtl. erst zum nächsten Geldautomaten, um zahlen zu können. Also: Einlagen bei Banken funktionieren fast so gut wie Bargeld, aber nicht ganz so gut. S. 124 8 Geld und Banken Karl Betz Deswegen unterscheidet die VWL unterschiedliche Geldbegriffe nach ihrer Bargeldnähe (oder ihrem Liquiditätsgrad).1 Prominent sind vier Geldmengenaggregate, die hier kurz aufgezählt werden sollen, damit Sie wissen wovon die Rede ist, wenn Sie in einer Statistik darüber stolpern (auswendig lernen müssen Sie sie nicht, ich schlag die im Zweifelsfall selbst immer erst nach): Der erste Begriff ist die Zentralbankgeldmenge - das ist das Geld das die Zentralbank ausgegeben hat, die Summe aller Noten und Münzen. Weil ich bei der Zentralbank aber immer auch zahlen kann, in dem ich auf meine Guthaben bei ihr zurückgreife, zählt hierzu nicht nur das physische Geld, sondern es zählen auch die Einlagen (vor allem: der Banken) bei der Zentralbank dazu. Diese Geldmenge werde ich in Zukunft Z nennen (Zentralbankgeldmenge). Im Juni 2010 betrug sie rund2 1,4 Bio. € M0 ist der Bargeldumlauf, das Zentralbankgeld in Händen des Publikums also der Teil der Zentralbankgeldmenge, der außerhalb des Bankensystems umläuft. Zu M0 gehören die Scheine in Ihrer Hosentasche, nicht aber die Scheine im Geldautomaten. Warum das so komisch definiert wird, habe ich als Studi auch nie verstanden, es wird im folgenden Abschnitt aber klar werden. Lustiger Weise sind die übrigen Geldmengendefinitionen von Land zu Land unterschiedlich. Ich klaue hier einfach mal die Auflistung aus wiki (Zahlen aktualisiert / Quelle: Monatsberichte der EZB): M0 betrug im Juni 2010 in Euroland 785,6 Mrd. Euro Für M1 bis M3 definiert die Europäische Zentralbank: M1: M0 + Sichteinlagen der Nicht-Banken Jun. 2010: 4.662,6 Mrd. Euro M2: M1 plus Einlagen mit vereinbarter Laufzeit bis zu zwei Jahren und Einlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist bis zu drei Monaten; Jun. 2010: 8 293,5 Mrd. Euro M3: M2 plus Anteile an Geldmarktfonds, Repoverbindlichkeiten, Geldmarktpapieren und Bankschuldverschreibungen mit einer Laufzeit bis zu zwei Jahren. Jun. 2010: 9 423,2 Mrd. Euro Definitionen der Schweizer Nationalbank: M0: Notenbankgeldmenge; M1: Bargeldumlauf und Sichteinlagen; M2: M1 plus Spareinlagen in Schweizer Franken; M3: M2 plus Termineinlagen in Schweizer Franken. 1 Allerdings erfüllt Geld auch nicht immer alle Geldfunktionen: In dollarisierten Ökonomien, also in Ländern, in denen neben der Landeswährung auch in großem Umfang der Dollar oder der € umläuft, werden Sie oft Schwierigkeiten haben, mache Waren in der Landeswährung zu bekommen oder langfristige Verträge in der Landeswährung abzuschließen. Versuchen Sie beispielsweise mal, in Zimbawe mit Simbabwe-Dollar einkaufen zu gehen oder gar einen Mietvertrag abzuschließen ... 2 Die EZB weist Z nicht gesondert aus. Daher berechnet aus Bargeldumlauf plus Einlagen bei der EZB. Weil aber nur kurzfristige Einlagen zu Z zählen würden und ein Teil der Verbindlichkeiten nicht nach Fristen aufgegliedert ist, kann die Zahl um die ein- oder andere Milliarde daneben liegen. Einführung in die VWL 8 Geld und Banken S. 125 Die US-Zentralbank Fed definiert: M0: alle US-Dollar-Bar-Bestände in Banknoten und Münzen, M2: alle US-Dollar-Bar-Bestände in Banknoten und Münzen, plus die laufenden $Girokontenbestände plus alle $-Einlagenzertifikate (z. B. $-Staatsanleihen) und alle $-GeldmarktKontenbestände unter $100.000, M3: alle US-Dollar-Bar-Bestände in Banknoten und Münzen, plus die laufenden $Girokontenbestände plus alle $-Einlagenzertifikate (z. B. $-Staatsanleihen) und alle $-GeldmarktKontenbestände unter $100.000, plus alle größeren Guthaben über $100.000 u. a. die EurodollarReserven, größere übertragbare $-Wertpapierbestände, und die Dollar-Devisenbestände der meisten nichteuropäischen Länder. Diese Geldmenge wird von der Fed berechnet, aber seit 2006 nicht mehr veröffentlicht. Die Details sind also reichlich willkürlich, das Muster ist aber klar: Ein höheres M ist immer das niedrigere Geldmengenaggregat plus einige weitere Geldanlagen, an die man etwas schwerer rankommt. Die Geldmenge ist vor allem im Rahmen der Quantitätstheorie des Geldes wichtig. Diese geht davon aus, daß die Zentralbank (zusammen mit dem Bankensystem) die Geldmenge exogen vorgibt. Die Höhe dieser Geldmenge wiederum bestimmt, wie viel Güter die Haushalte nachfragen, denn ein Kauf ist ja ein Tausch von Geld gegen Güter. Eine hohe Geldmenge bedeutet dann eine hohe Nachfrage und eine hohe Nachfrage läßt die Preise steigen. (Denn, erinnern Sie sich: Die neoklassische Theorie hat ja immer Vollbeschäftigung – die Mengen können also nicht steigen.) Kurzfristig mag es daher zwar Abweichungen geben, aber langfristig führt eine Verdopplung der Geldmenge lediglich zu einer Verdopplung aller Preise. Die heutige Entwicklung der Geldmenge würde deswegen eine gute Prognose für die zukünftige Entwicklung der Inflationsrate geben. Quantitätstheorie des Geldes Eine höhere der Geldmenge bedeutet langfristig nur höhere Preise. BIP und Beschäftigung werden davon nicht beeinflußt. (Allerdings: Der Anpassungsprozeß von einem Preisniveau auf das andere (die Inflation) kann sehr wohl Auswirkungen haben.) Nun ist es zwar unstrittig daß man, bei der gleichen realen Gütermenge mehr Geld braucht, wenn die Preise höher sind. Ansonsten aber sind zwei Annahmen fragwürdig: Erstens: liegt keine Vollbeschäftigung vor, könnte eine höhere Geldmenge auch ein höheres reales BIP ermöglichen und Zweitens: Die Geldmenge ist schlicht und einfach nicht exogen vorgegeben. Und drittens: Von welcher Geldmenge ist eigentlich die Rede? Oben wurden ja schonmal vier Aggregate aufgelistet - und die entwickeln sich nicht notwendig einheitlich. Zu erstens kann man unterschiedlicher Meinung sein. Diese Frage verfolgen die späteren Kapitel weiter. Zu zweitens nicht. Dazu jetzt. S. 126 8 Geld und Banken Karl Betz 8.2 Wie Geld entsteht 8.2.1 Wie Z entsteht Ich beginne mit der Entstehung von Zentralbankgeld. Banken können Zentralbankgeld bekommen, in dem sie es sich von der Zentralbank leihen. Angenommen, die Banken wollen sich 100€ von der Notenbank leihen. 20 davon wollen sie in der Kasse halten, falls irgendwelche Kunden die Frechheit haben sollten, Einlagen abheben zu wollen und 80 € parken sie auf ihrem Girokonto bei der Notenbank. Dann sieht das in T-Konten3 so aus: Abb. 8.1: Entstehung von Zentralbankgeld ESZB 0 Bank 0 0 ESZB Ford. Bank 100 0 Bank 20 Noten 80 Einl. Bank Z Kasse 20 F EZB 80 100 Verb. EZB Also: Durch die Kreditaufnahme der Bank ist Zentralbankgeld in gleicher Höhe entstanden (rechte Seite des Kontos des ESZB bzw. linke Seite des Kontos der Bank). Das Nettovermögen ist Null geblieben: Aus Sicht der Bank: Sie hat jetzt 100 mehr an Geldvermögen – aber sie hat zugleich 100 mehr an Schulden. Aus Sicht der Notenbank: Sie hat jetzt 100 mehr an Forderungen gegen Banken – aber sie hat zugleich 100 mehr an Verbindlichkeiten – in Form von Einlagen der Banken und in Form von bedruckten Zetteln (Geldscheinen), die sie den Banken gegeben hat. Die Zentralbankgeldmenge ist also eine Verbindlichkeit der Zentralbank gegenüber dem Rest der Ökonomie – der hier nur aus der Bank besteht. EZB und ESZB Die Zentralbank von €land ist im strengen Wortsinn nicht, wie man dies umgangssprachlich benutzt, die EZB. Vielmehr wird der € vom Europäischen System der Zentralbanken emittiert. Diesem System gehören die (derzeit: 17) nationalen Zentralbanken aller Euroländer an (also die Bundesbank, die französische und luxemburgische Nationalbank u.s.w.) plus die EZB (mit Sitz in Frankfurt) an. Die Geldpolitik der Gruppe wird vom Rat der EZB beschlossen. Ihm gehören die sechs Mitglieder des Direktoriums der EZB sowie die Präsidenten der nationalen Zentralbanken der 17 Länder des Euroraums an. Jede dieser 18 Notenbanken hat ihre eigene Bilanz. Will man sich die Zentralbankgeldmenge ansehen, darf man daher nicht auf die Bilanz der EZB sehen, sondern man muß sich die aggregierte Bilanz des Eurosystems vornehmen. Durchgeführt wird die Geldpolitik von den nationalen Zentralbanken. Die Commerzbank holt sich bei Bedarf frisches Geld also nicht von der EZB, sondern von der Deutschen Bundesbank. Damit ist die Geldmenge nicht exogen vorgegeben: 3 In T-Konten verbucht man nur die Veränderung der Bilanzen durch den betrachteten Vorgang. Die untere Bilanz behauptet also nicht, die Zentralbankgeldmenge sei 100, sondern sie sagt nur, daß sie um 100 gestiegen ist. Einführung in die VWL 8 Geld und Banken S. 127 Erstens können die Banken Geld, das sie nicht brauchen, wieder an die Zentralbank zurück geben. Warum sie das tun sollten?: Naja: Sie müssen ja auf ihre Schulden bei der Notenbank Zinsen zahlen (den Refinanzierungssatz der Notenbank). Auf ihre Einlagen bei der Notenbank bekommen die Banken zwar auch Zinsen, aber weniger als sie auf ihre Verbindlichkeiten zahlen müssen. Dies können Sie in Abb. 8.1 überprüfen. Tab.: 8.1: Zinssätze der EZB In der Spalte Einlagefaszilität sehen Sie, daß die Einlagen der Banken beim ESZB derzeit mit 0,25% verzinst werden. Für ihre Kredite vom ESZB müssen die Banken aber 1%, bzw. wenn sie sich das Geld ganz kurzfristig liehen mußten, 1,75% Zinsen zahlen. Es lohnt also für eine Bank, wenn sie Geld, das sie gerade nicht braucht, wieder ans ESZB zurück gibt. (Was Sie in der Tabelle auch sehen, ist, daß die EZB, im Zuge der Krisenbekämpfung, alle Zinsen deutlich abgesenkt hat.) Umgekehrt kann eine Bank, wenn sie mehr Geld braucht, sich dieses von der nationalen Notenbank leihen. Zentralbankgeld entsteht also, wenn sich Banken bei der Notenbank verschulden und es wird vernichtet, wenn Banken ihre Schulden bei der Notenbank abbauen. Damit ist klar, daß die Zentralbankgeldmenge nicht einfach vorgegeben ist, sondern daß sie über S. 128 8 Geld und Banken Karl Betz einen Markt, den Geldmarkt, geschaffen und vernichtet wird. Der Preis an diesem Markt ist der Preis für die Geldleihe bei der Zentralbank (der Zinssatz, iZB) und die Menge ist die Zentralbankgeldmenge. An diesem Markt sind die Banken die Nachfrager: Sie besorgen sich zusätzliches Zentralbankgeld, wenn sie mehr Kredite vergeben oder mehr Reserven auf ihre Verbindlichkeiten halten wollen. (Bisher bestehen die Verbindlichkeiten der Banken nur aus den Einlagen der Kunden und Verbindlichkeiten gegenüber Notenbank.) Anbieter am Geldmarkt sind zwar auch andere Banken (die kurzfristig überschüssige Liquidität haben) und Nichtbanken (Geldmarktanlagen (z.B. Tagesgeld) und Geldmarktfonds), aber der entscheidende Anbieter ist die Notenbank, denn sie kann ihren Zinssatz immer durchsetzen, weil sie bestimmt, bei welchem Zinssatz zusätzliches Geld entsteht (wenn ich mir Geld für 3% bei der Zentralbank leihen kann, leihe ich es mit nicht für 5% bei jemand anders) und welcher Zins mindestens verlangt wird (wenn ich für mein Geld 2 % von der Notenbank bekomme, gebe ich es nicht jemand anderem zu 1%). Abb. 8.2: Geldmarkt Hinter der Nachfragekurve der Banken nach Zentralbankgeld steht dreierlei: Erstens die geplante Kreditvergabe der Banken (hierzu gleich mehr) Zweitens hebt das Publikum (die übrige Ökonomie) einen Teil des durch die Kreditvergabe entstehenden (Brutto-) Geldvermögens ab. Dadurch entsteht der Bargeldumlauf. Und diese Noten müssen die Banken sich von der Notenbank besorgen (= leihen). Drittens wollen die Banken selbst Reserven halten, weil sie ja ihrerseits Schulden haben. Daß der Zinssatz der Notenbank den Zinssatz am Geldmarkt bestimmt, können Sie Abb. 8.3 entnehmen, welche die Entwicklung der Zinsen am €-Geldmarkt von 2003 bis 2006 wiedergibt. Die Notenbank gibt den Rahmen vor, innerhalb dessen das Zinsniveau sich bewegen kann und alle Einführung in die VWL 8 Geld und Banken S. 129 Schwankungen am Geldmarkt zentrieren um den Hauptrefinanzierungssatz der Notenbank. Daß es überhaupt zu Abweichungen von diesem kommen kann, hat zwei Gründe: Erstens finden die Hauptrefinanzierungsgeschäfte (zu normalen Zeiten) nicht täglich sondern nur wöchentlich oder 14 täglich statt. Wer zwischendurch Geld braucht, kriegt dieses eben nur von anderen Anbietern oder, wenn's ganz dicke kommt, zum Spitzenrefinanzierungssatz bei der Notenbank. Und zweitens hat zwar das Bankensystem insgesamt, haben aber nicht alle kleineren Banken Zugang zu Notenbankkrediten – weil das Kosten verursacht. Kleinere Banken müssen sich also das Geld für ihr Geschäft bei anderen Banken leihen. Abb. 8.3 Zinskorridor geklaut bei Blanchard / Illing Was man in dieser Grafik mit einiger Überlegung auch erkennen kann, ist die Macht der Notenbank, die es ihr erlaubt, den Wert ihres Geldes zu verteidigen: Die Notenbank verleiht Zentralbankgeld und hat dafür Zinsen zu bekommen. Am Rückzahlungstermin hat die Notenbank also mehr Zentralbankgeld zurück zu bekommen, als Sie je ausgegeben hat. Es ist aber nur so viel Geld da, wie sie zuvor ausgegeben hat. Es folgt also: Die Notenbank hat mehr Geld zu bekommen, als überhaupt da ist – und nur sie kann diese Rückzahlung ermöglichen, in dem sie der Ökonomie das erforderliche zusätzliche Zentralbankgeld selbst zur Verfügung stellt – sei es als neuen Kredit, oder sei es, daß sie ihre Gewinne an den Staat abführt und dieser das Geld als Staatsausgaben in den Markt gibt. Daran würde sich dann selbst nichts ändern, wenn dieses Geld sofort wieder bei ihr angelegt würde, denn wie Sie der Grafik auch entnehmen können, ist der Habenzinssatz bei der Notenbank ja niedriger als der Sollzinssatz. 8.2.2. Wie M entsteht Wenn über M geredet wird, dann ist die Rede vom (Netto-)Geldvermögen der Nichtbanken. Hier wird also die Zentralbank und werden die Banken zu einem Sektor zusammen gefaßt und die Forderungen des Rests der Ökonomie, genannt Publikum, gegen diesen Sektor werden als Geld S. 130 8 Geld und Banken Karl Betz definiert. (Oder genauer: der Teil dieser Forderungen, der in der jeweiligen Geldmengendefinition enthalten ist.) Nicht in M enthalten sind also Kredite, die das Publikum einander gibt. Ihre 3Monats-Einlage bei der IKB gehört also zur Geldmenge. Die Siemensschuldverschreibung mit drei Monaten Restlaufzeit hingegen nicht – obwohl die Forderung gegen Siemens im Zweifelsfall sicherer ist, als die gegen die IKB. Also wie entsteht M? Naja, halt genauso so wie Z – in dem der Rest der Ökonomie, das Publikum – sich gegenüber den Banken verschuldet. Abb. 8.4 Entstehung von M ESZB + Banken Publikum 0 0 0 ESZB + Banken Ford. gegen Publikum 150 Publikum 20 Bargeldumlauf 80 Depositen sonst. Verbindl. gegen Publikum 50 0 M Bargeld Einlagen, die zu M zählen Ford., die nicht zu M zählen 20 80 150 Verbindlichkeiten gegen Banken 50 Die sonstigen Verbindlichkeiten der Banken, die oben aufgeführt wurden, können Bankobligationen, Verbindlichkeiten gegen Geldmarktfonds oder das Eigenkapital (als "Verbindlichkeit gegen sich selbst" sein). M entsteht also über das Kreditangebot der Banken und die Kreditnachfrage der übrigen Ökonomie. Dabei sind die Banken nicht, wie sie das üblicher weise in den Lehrbüchern lesen, durch das von der Notenbank bereit gestellte Zentralbankgeld beschränkt: Wenn sie als Folge ihrer Kreditvergabe mehr Zentralbankgeld brauchen, entweder weil das Publikum Einlagen abhebt oder weil die Banken selber mehr Reserven halten wollen oder müssen, dann leihen sie sich dieses Geld eben bei der Zentralbank. Für das Kreditangebot (und damit für die Bereitstellung von M) gibt es vielmehr drei andere Beschränkungen: Erstens die Refinanzierungskosten der Banken bei der Notenbank. Steigt der Notenbank Zinssatz, dann wird die Geldbeschaffung für die Banken teurer. Also wird die Kreditangebotskurve der Banken sich nach oben verschieben. Zweitens die Risikoeinschätzung der Banken: Halten die Banken die Kreditvergabe für riskanter, werden sie einen höheren Zinsaufschlag fordern: Das Kreditangebot sinkt, bzw. die Angebotskurve für Kredite verschiebt sich nach oben. Drittens die Kosten der Eigenkapitalbeschaffung: Banken müssen Eigenkapitalvorschriften einhalten. (Aus gutem Grund, siehe 8.2.3.) Im Prinzip ist diese Eigenkapitalanforderung als Prozentsatz der Bilanzsumme festgeschrieben.4 Wenn daher die Kreditvergabe ausgeweitet werden 4 „Im Prinzip“ erstens, weil nicht einfach alle Kredite zusammen gezählt werden, sondern diese zuvor nach Risiko gewichtet werden. (Wobei die Banken im Zweifelsfall selbst bestimmen können, welches Risikogewicht sie einsetzen wollen). Und „im Prinzip“ zweitens, weil alle möglichen Formen von Fremdkapital zum Eigenkapital gezählt werden dürfen. Daher können Banken einerseits eine Eigenkapitalquote von 6% oder 8% veröffentlichen und zugleich einen leverage von 40 haben, also 40 mal soviel an Krediten vergeben, wie sie an Eigenkapital haben. Mit Basel 3 soll dieser Wildwuchs etwas begrenzt werden, in dem neben den Eigenkapitalvorschriften eine Einführung in die VWL 8 Geld und Banken S. 131 soll, müßte evtl. zusätzliches Eigenkapital eingeworben werden - und auch das kostet (bzw. ist in einer Krise wie der letzten schlicht nicht möglich.) Die Bargeldmenge und die höheren Geldmengenaggregate entstehen also über den Kreditmarkt – und das ist nun die Verbindung zwischen Geld und Nachfrage: Kredite werden (unter anderem) aufgenommen, um Investitions- oder Konsumnachfrage zu finanzieren.5 Abb. 8.5: Kreditmarkt Um nur einige Aspekte kurz zu besprechen: Erstens: Der Kreditzinssatz wird über dem Notenbankzins liegen. Egal ob die Kreditangebotskurve der Banken flach ist oder, wie hier, ansteigt: In deren Angebotskalkül gehen weitere Kosten, die oben schon angesprochen wurden ein: Risiko, Reservehaltung und so weiter. Der Zinssatz der Notenbank ist daher ein Lageparameter der Kreditangebotsfunktion, aber nicht der einzige. Wenn die Notenbank ihren Refinanzierungssatz anhebt - und wenn sich sonst nichts tut – dann wird sich die Kreditangebotsfunktion nach oben verschieben. Da der Kreditzins nie unter dem Notenbankzinssatz liegen kann, hat die Notenbank immer die Möglichkeit, höhere Zinsen durchzusetzen – werden die Banken optimistischer und ihr geforderter Risikoaufschlag sinkt, dann muß sie den Refinanzierungssatz eben etwas stärker anheben als andernfalls. Das Umgekehrte gilt aber nicht: Da der Refinanzierungssatz nie unter Null fallen kann,6 kann es sein, daß zwar die Notenbank ihren Refinanzierungssatz auf Null senkt, die Risikoeinschätzung der Banken aber ansteigt und das maximale leverage ratio definiert werden soll – wogegen die Banken natürlich Sturm laufen. So wie es aussieht, mit Erfolg: Die leverage ratio, die jetzt vorgeschlagen wurde, ist 33 (Stand Anfang September 2010). 5 Oder Kassenhaltung. Das harmlose Beispiel ist das Geld in Ihrer Hosentasche. Die letzte Krise liefert hier wieder dramatischere Beispiele: Hier haben Firmen ihren Überziehungsrahmen bei ihrer Bank ausgeschöpft, um das Geld dann anderswo kurzfristig anzulegen. Der Grund: Sie mußten befürchten, daß die Bank, weil in Schwierigkeiten, ihnen in absehbarer Zeit die Kreditlinie kürzen könnte und wollten auf diesem Weg ihre Zahlungsfähigkeit sicherstellen. S. 132 8 Geld und Banken Karl Betz Zinsniveau deswegen steigt. In genau dieser Situation waren wir 2008. Allerdings nicht nur: Zugleich reduzierten die Verluste das Eigenkapital der Banken, so daß diese Schranke der Kreditvergabe bindend wurde. Daher griffen auch die staatlichen Kreditgarantien nicht, die die Risikoeinschätzung der Banken senken sollten. Die Banken nahmen die Geschenke (billigere Refinanzierung bei geringerem Risiko) zwar gerne an, konnten aber mangels Eigenkapital trotzdem nicht mehr Kredite vergeben.7 Im Ergebnis war die Zinsspanne der Banken und (waren daher deren Gewinne) höher, ohne daß dies die Krise gemildert hätte. Zweitens: Einlagen sind, zwar nicht für den Markt insgesamt, wohl aber für jede einzelne Bank, eine Alternative zur Refinanzierung bei der Zentralbank. Also setzt der Refinanzierungssatz der Notenbank eine Obergrenze für den Einlagenzinssatz8 und beeinflußt diesen: Ein höherer Notenbankzinssatz bedeutet einen höheren Einlagenzinssatz. Damit liegt eines einzigen Zinssatzes, der in Kapitel 6 besprochen wurde, jetzt schon ein ganzes Bündel an Zinssätzen, die zwar alle miteinander zusammenhängen, die aber unterschiedlich hoch sind. Diese Zinssätze lassen sich noch weiter ausdifferenzieren, wenn man bedenkt, daß es unterschiedlich riskante und unterschiedlich langfristige Anlagen gibt, wobei ein höheres Risiko immer und eine längere Laufzeit normalerweise höhere Zinssätze verlangt. Bei einer längeren Laufzeit ist das deswegen nicht so eindeutig, weil da noch Zinsänderungserwartungen wichtig sind. Nehmen Sie an, Sie sind in einer Phase mit sehr hohen Zinssätzen und Sie erwarten, daß die Zinsen in der Zukunft sinken werden. Dann sind langfristige Anlagen attraktiv, denn nach der Rückzahlung der kurzfristigen Anlage können Sie Ihr Geld ja erwartungsgemäß nur noch zu geringeren Zinsen anlegen. Daher wird man in so einer Situation langfristige Anlagen kurzfristigen vorziehen und daher werden auch niedriger verzinste langfristige attraktiv. Und, letzte Anmerkung: in Kapitel 6 - wurde ein Zusammenhang zwischen Zinssatz und Profitrate hergestellt. Da es nun mehrere Zinssätze im Modell gibt, stellt sich die Frage, welcher davon denn nun für die Bestimmung der Profitrate wichtig ist. Da helfen wieder mal die Opportunitätskosten weiter: Die Alternative zur Eigenfinanzierung ist die Fremdfinanzierung - und die kann über den Kreditmarkt erfolgen. Folglich muß der Kreditzinssatz, und hier der langfristige Zinssatz, die relevante Größe sein. Ach, einen hab ich noch: In makroökonomischen Modellen wird (qua Aggregation) nur mit einem Zinssatz gearbeitet - man kann das am besten mit dem "Zinsniveau" übersetzen. Das kann aber auch zu Fehlschlüssen führen: Nehmen Sie die Privatisierung der Bildung. Hier wird gerne argumentiert, daß der Gegenwartswert der Ausbildung die abdiskontierten zukünftigen Einkommenssteigerungen durch einen besseren Bildungsabschluß seien. Also sei es doch die beste 6 Nehmen Sie an, der Refinanzierungssatz ist -1%. Dann bekommt eine Bank, sie sich 100 € bei der Notenbank leiht, jährlich einen € von der EZB. Was macht dann eine Bank, die ihren Profit maximierenden will? Richtig: Sie leiht sich einfach unendlich viel und schließt das Geld in ihrem Tresor weg. Ihre Opportunitätskosten für eine Kreditvergabe sinken dadurch aber nicht: Das Risiko eines Vermögensverlustes ändert sich ja nicht und die Alternative zum Ausleihen bleibt das nicht-Ausleihen, das die Bank nichts kostet. Die negativen Zinsen kommen dann also bei den Banken an, aber nicht im Rest der Ökonomie. Man könnte den Banken das Geld dann auch gleich schenken – was in großem Umfang ja auch geschehen ist. 7 Barajas, Adolfo / Chami, Ralph / Cosimano, Thomas F. / Hakura, Dalia (2010) U.S. Bank Behavior in the Wake of the 2007-2009 Financial Crisis. IMF WP 10/131 8 Wie kommt es dann zu den Angeboten von Festgeldzinssätzen, die über dem Refinanzierungssatz liegen? Das sind (mal abgesehen von zeitlich und im Volumen begrenzten Lockvogelangeboten, wie die Postbank sie gerne einsetzt) meist Angebote ausländischer Banken ohne Zugang zu Notenbankkrediten. Weil Kredite an diese Banken als riskant eingeschätzt werden, bekommen sie am Geldmarkt - wenn überhaupt - nur mit einem Risikoaufschlag Kredit. Wer also heute zu 2,5% größere Beträge bei einer estländischen Bank anlegt, oder wer das vor der Krise bei einer isländischen Bank getan hat, sollte sich nicht beklagen, wenn das Risiko, für das der höhere Zinssatz entschädigt, dann auch tatsächlich mal eintritt. Einführung in die VWL 8 Geld und Banken S. 133 (weil: die Markt-)Lösung, wenn Ausbildung privat finanziert werde. Man könne seine Ausbildung, so lange sie sich lohne, dann ja über Kredit finanzieren. Abgesehen davon, daß an dem Argument alles mögliche falsch ist (Bildung erzielt externe Effekte, also wäre die private Nachfrage zu niedrig. Der Ausbildungserfolg ebenso wie die späteren Berufsaussichten sind für den Einzelnen unsicherer als für den gesellschaftlichen Durchschnitt, also ist das Risiko individuell betrachtet höher und daher wäre die Nachfrage nach Bildung zu niedrig) werden auch zwei Argumente übersehen, die mit dem Zinssatz zusammenhängen: (a) Wenn Sie Ihre Ausbildung aus Ihrem Vermögen (ok, aus dem Einkommen Ihrer Eltern) finanzieren können, sind Ihre Opportunitätskosten die Vermögens- hier die Einlagenzinssätze. Wenn Sie die Ausbildung über Kredit finanzieren, bestehen die Opportunitätskosten in den Kreditzinsen. Letztere sind aber höher als erstere. Folglich haben arme Haushalte einen höheren Diskontierungsfaktor. Also können sie nur weniger für Bildung zahlen. Also werden bestehende Einkommensungleichheiten zementiert. Und (b): Die günstigsten Kreditkonditionen hat der Staat. Also diskontiert er die Erträge aus zusätzlicher Bildung mit einem niedrigeren Zinssatz ab. Also fragt er mehr Bildung nach. Aus alle diesen Gründen führt eine öffentliche Finanzierung von Ausbildung auf ein im Durchschnitt höheres Bildungsniveau. 8.2.3 Zusammenfassung: Wie Geld entsteht Zentralbankgeld entsteht, indem Banken sich bei der Zentralbank verschulden.9 Buchgeld entsteht, indem das Publikum sich bei den Banken verschuldet. Bargeld entsteht, indem das Publikum Zentralbankgeld bei den Banken abhebt. Die Banken sind also die Nahtstelle zwischen Publikum und Notenbank und nehmen so die Schlüsselstellung bei der Geldversorgung der Ökonomie ein. Man kann an dieser Zusammenfassung die Ursache für einige blinde Stellen der ökonomischen Theorie sehen, die die letzte Krise, naja, zumindest: Zu einer Überraschung gemacht haben. (Ermöglicht haben, wäre ein Euphemismus: Krisen brauchen nicht die Hilfe der VWL, um auszubrechen. Auch wenn es so zugegebener Maßen leichter ging.) Erstens: In den Lehrbüchern werden Banken und Notenbank im Verhältnis zum Publikum wie ein Sektor behandelt. Damit wird ausgeblendeet, daß die Banken ein anderes Kalkül als die Notenbank haben. Es liegt dann nahe, so zu tun, als ob die Geld- und Kreditversorgung der Ökonomie immer der Logik der Notenbank folgt und so zu tun, als könne es keine Probleme in der Interaktion zwischen Banken und Notenbank geben. Die Banken werden so quasi zum passiv ausführenden Organ der Geldpolitik stilisiert. Zweitens: Geldvermögen, das nicht in den Bilanzen der Banken erscheint, wird nicht als Geldvermögen behandelt: Wenn Firmen sich z.B. gegenseitig höhere Kreditlinien bewilligen, steigt zwar das Kreditvolumen. Es steigt aber nicht das Geldvermögen. Wenn ich mein Geld statt bei einer Bank bei einem Hedgefonds anlege, bei dem ich diese Einlage kurzfristig abziehen kann, dann wird das nicht als M behandelt – obwohl es natürlich für die Haushalte Geldvermögen ist. Und wenn Banken, weil sie mit dem gleichen Eigenkapital mehr Geschäfte und daher höhere Gewinne machen 9 Zentralbankgeld entsteht auch, wenn die Zentralbank fremde Währungen ankauft. Aber erstens sind wir noch in der Theorie der geschlossenen Volkswirtschaft. Und zweitens: Raten Sie mal, wie die fremde Währung wohl in Umlauf gekommen ist. S. 134 8 Geld und Banken Karl Betz wollen, einen Teil ihrer Kredite aus ihrer Bilanz nehmen - sei es, indem sie diese verbriefen (zu einem Wertpapier verpacken und dieses verkaufen), sei es, in dem sie diese in conduits (Zweckgesellschaften die ihnen zwar gehören, aber keine Bank sind) auslagern, dann sieht man das auch nicht in M - obwohl es natürlich das Kreditvolumen betrifft. Too interconnected to fail Zugleich erkennt man, daß Banken systemwichtig sind: Ohne Banken funktioniert das Geldsystem nicht und damit funktionieren keine Zahlungen und keine Kreditvergabe mehr in der Ökonomie. In einer Krise muß also das Bankensystem um jeden Preis gerettet werden. Nicht weil es wichtiger wäre, die Jobs von Brokern zu erhalten als die von Opelanern, sondern weil man Autos notfalls importieren kann, Geldversorgung aber nicht. Und es gibt noch einen zweiten Grund, der Banken von Autobauern unterscheidet: Wenn Opel pleite geht, steigt der Absatz und steigen daher die Gewinne von Ford. Bei Banken sieht das anders aus. Wenn eine Bank Verluste macht, dann sinkt ihr Eigenkapital. Fällt das Eigenkapital, so fällt die die Eigenkapitalquote, also das Eigenkapital geteilt durch alle Aktiva in ihrer Bilanz. In dieser Situation wird sie, insbesondere, wenn viele andere Banken in einer ähnlichen Lage sind, gezwungen sein, einen Teil ihrer Aktiva zu verkaufen, um ihre Eigenkapitalquote zu erhöhen. (Durch den Verkauf steigt natürlich nicht das Eigenkapital. Aber die Bilanzsumme geht zurück und weil die Eigenkapitalquote gleich Eigenkapital/Bilanzsumme ist, steigt in der Folge die Eigenkapitalquote.) Das Problem an der Sache ist nur, daß im Zweifelsfall alle anderen Banken die gleichen oder ähnliche Wertpapiere in ihren Beständen haben. Wenn nun Bank A zu Notverkäufen gezwungen ist, und dadurch die Kurse sinken, sinken damit zugleich die Kurse der Wertpapiere von Bank B, C und D. Also nimmt auch deren Eigenkapital ab. Damit kann dann wiederum eine dieser anderen Banken ins Trudeln kommen und eine Lawine entsteht. Verschärfend kommt hinzu, daß, wenn Bank A ihre Kreditvergabe einschränkt, die Kunden dieser Bank schwerer an Geld kommen. Diese Bankkunden haben aber ihrerseits Lieferbeziehungen zu Kreditnehmern von Bank B, C und so weiter. Schränken sie jetzt, weil sie von Bank A keinen Kredit mehr bekommen, ihre Bestellungen bei ihren Lieferanten ein (oder zahlen sie ihre Rechnungen verspätet), können diese wiederum nicht mehr ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber Bank B, C und D nachkommen. Während es also VW besser geht, wenn Opel pleite geht, geht es der Deutschen Bank schlechter, wenn die Commerzbank pleite geht. Solange nur eine einzelne kleine Bank in Rede steht, hält das System das im Zweifelsfall aus. In den USA gehen Jahr für Jahr Provinzbanken pleite, ohne daß das System deswegen zusammenbräche. Sobald aber größere Banken, oder Banken, die besonders viele Verbindungen zu anderen Banken haben, in Schieflage geraten, droht ein Dominoeffekt, der die ganze Ökonomie in den Abgrund reißt. Dabei müssen die Banken im Prinzip nicht mal etwas falsch gemacht haben. Es genügt, wenn Einleger glauben, einige Banken hätten Verluste gemacht deswegen und beginnen, ihre Einlagen abzuziehen. Die einsetzende Bankpanik kann dann genau die Verluste auslösen, die den (ursprünglich unbegründeten) Verdacht der Einleger bestätigen. Das 19. Jahrhundert war daher in Großbritannien und den USA von periodisch wiederkehrenden Bankpaniken gekennzeichnet, die schließlich eine staatliche Stabilisierung des Bankensektors erforderlich machten. Hier sind zwei wichtige Maßnahmen zu nennen. Erstens übernahm die Zentralbank die Rolle des lenders of last resort. Banken konnten sich, gegen gute Sicherheiten, jederzeit Geld von der Notenbank holen, um Einleger auszuzahlen. Damit konnten die Wertpapierkurse nicht mehr beliebig tief abstürzen, weil man sie, statt sie zu verkaufen, bei der Einführung in die VWL 8 Geld und Banken S. 135 Notenbank verpfänden konnte. Und zweitens wurde, in der Folge der großen Depression, die Einlagensicherung eingerichtet, um den Bankkunden das Motiv für einen run zu nehmen. (Allerdings ist die Bedeutung von Einlagen für die Refinanzierung der Banken gesunken. Und so konnte in der letzten Krise der run dann eben über die Geldmarktfonds statt über Spareinlagen losgetreten werden.) Es mag Ihnen ironisch vorkommen, wenn ich das 2010 schreibe. Aber wenn Sie sich die Häufigkeit der Bankenkrisen vor und nach Einführung dieser Maßnahmen ansehen, dann sehen Sie, daß die Stabilisierung durchaus erfolgreich war. Abb. 8.6 Entwicklung der Reservehaltung britischer Banken Quelle: Alessandri, Piergiorgio / Haldane, Andrew G (2009) Banking on the State (S. 25) Nur hat sie ein Problem, den so genannten moral hazard: Wenn Sie eine Brandschutzversicherung abschließen, ist das finanzielle Risiko aus einem Brand für Sie niedriger. Also lohnt es sich weniger, in Brandschutzmaßnahmen zu investieren. Der Rauchmelder ist noch sinnvoll. Sie wollen ja nicht im Bett verbrennen. Die Sprenkleranlage ist es aber nicht mehr. Feuerversicherungen führen also dazu, daß Brände wahrscheinlicher werden. Die Versicherungsgesellschaften wehren sich dagegen erstens, indem sie im Versicherungsvertrag Auflagen einbauen und S. 136 8 Geld und Banken Karl Betz zweitens, indem sie einen Selbstbehalt vorsehen, also nur einen Teil des Schadens übernehmen. Wenn Banken Zugang zur Notenbank als lender of last resort haben, lohnt es sich nicht mehr (niedrig verzinste) Liquiditätsreserven zu halten. Und wenn die Bank davon ausgehen zu können, im Zweifelsfall auch gerettet zu werden, wenn Sie der Notenbank keine Notenbank fähigen Sicherheiten bieten kann (die ebenfalls weniger Zinsen abwerfen als andere Aktiva), dann wird sie auch davon weniger halten. (Abb. 8.6) Wenn der Staat in einer Bankenkrise den Banken immer zu Hilfe kam, dann wurde es für die Banken attraktiv, höhere Risiken einzugehen. In Sonderheit achteten die Kunden nicht mehr auf die Sicherheit einer Bank - denn ob sie ihre Einlagen von der staatlichen Einlagenversicherung oder von der Bank zurück bekamen, konnte ihnen ja egal sein. Das führte dazu, daß Banken immer weniger Eigenkapital vorhielten, bzw. mit einem immer höheren leverage arbeiteten (Abb. 8.7).10 Abb. 8.7 Eigenkapitalquoten US-amerikanischer und britischer Banken Quelle: Alessandri, Piergiorgio / Haldane, Andrew G (2009) Banking on the State (S. 24) Die notwendige Absicherung des Systems durch den Staat machte es für die einzelne Bank also attraktiver, riskantere und mit weniger Eigenkapital unterlegte Geschäfte einzugehen - und so das 10 Damit ist die Bagehot-Regel: Verleihe teuer gegen gute Sicherheiten auch nicht mehr anwendbar. Die Regle sollte einen bail out durch die Zentralbank unattraktiv, weil teuer machen und so dem moral hazard vorbeugen. Aber einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche fassen. Wenn die Banken kein Eigenkapital haben, aus dem die Verluste aus der teuren Leihe bei der Zentralbank getragen werden könnten, wird aus "verleihe teuer" ein: "sozialisiere die Verluste". Der "Selbstbehalt", den Versicherung zur Minderung des moral hazard einsetzen, kann schließlich nicht höher sein als das Vermögen - und damit, bei beschränkter Haftung - als das Eigenkapital der Bank Einführung in die VWL 8 Geld und Banken S. 137 System wieder zu destabilisieren. Für die Profite der Banken war das gut (vgl. Abb. 8.8.), für die Systemsicherheit aber ist es eher weniger erfreulich. Abb. 8.8: Entwicklung der Eigenkapitalrendite britischer Banken Quelle: Alessandri, Piergiorgio / Haldane, Andrew G (2009) Banking on the State (S. 25) Dies erforderte dann im Gegenzug staatliche Regulierung wie z.B. Bankenaufsicht und Mindestkapitalvorschriften. Es ist kein Zufall, daß die letzte Finanzkrise am Ende einer Periode der Deregulierung, des Abbaus staatlicher Regulierungen, steht. Manche Ökonomen argumentieren, das System sei erst in Folge der staatlichen Interventionen (wegen des oben beschriebenen moral hazards) instabil geworden. Dieses Argument ist falsch. Denn der moral hazard ja nur zur Folge, daß eine Bank weniger Vorsorge gegen ihr eigenes Risiko trifft. Ausgangspunkt für die staatliche Regulierung war aber das Systemrisiko, das von Bankenpleiten ausgeht - und das zu reduzieren hatten Banken nie einen marktmäßigen Anlaß - es betrifft ja nicht sie, sondern andere. (Es ist ein externer Effekt.) Die Risikopuffer einer Bank werden also ohne Regulierung immer zu niedrig sein. 8.3 Banken trennen Sparen und Investieren Vorteile von Finanzintermediation In den üblichen Makrolehrbüchern hören Sie zum Thema Banken in etwa folgende Argumente. Die Haushalte können zwar - über die Finanzmärkte - den Unternehmen Ersparnisse auch direkt zur Verfügung stellen. Und sie tun dies ja auch über den Ankauf von Unternehmensschuldverschrei- S. 138 8 Geld und Banken Karl Betz bungen. Dabei gibt es aber eine Reihe von Problemen. Bei einer direkten Kreditvergabe vom Haushalt an ein Unternehmen muß der Haushalt die Bonität des Kreditnehmers und die Stimmigkeit seines Businessplans abschätzen. Das Unternehmen hat aber typischer Weise mehr Informationen über seine Ertragschancen als ein potentieller Kreditgeber. Sonst könnte der Kreditgeber das Unternehmen ja auch gleich selbst aufmachen. Es liegt also - vor der Kreditvergabe - wieder mal asymmetrische Information vor. Nach der Kreditvergabe entsteht zusätzlich ein Zeitinkonsistenzproblem: Für den Kreditnehmer kann nach der Kreditvergabe ein anderer Pläne optimal werden als vorher. Nehmen Sie an, Sie nehmen mit dem Geschäftsplan, einen Kiosk aufzumachen, einen Kredit auf. Nach dem Sie den Kredit erhalten haben, haben Sie zwei Optionen: Sie können entweder tatsächlich den Kiosk aufmachen, oder Sie können das Geld in einer Lotterie einsetzen. Da Sie nicht mit eigenem, sondern mit fremdem Geld spielen, sind ihre Verlustchancen in der Lotterie Null - falls Sie nichts gewinnen, verliert der Kreditgeber, nicht Sie. Ihre Gewinnmöglichkeiten hingegen sind sehr hoch, denn den Gewinn können Sie - bis auf die Kreditzinsen - alleine einstreichen. Allgemein formuliert gibt es nach Zustandekommen des Kreditvertrages einen Anreiz, die Kreditsumme für riskantere (aber deswegen halt auch: gewinnträchtigere) Projekte einzusetzen, als bei der Kreditaufnahme angegeben. Durch beide Probleme entstehen Informations- und Überwachungskosten, die für eine einzelne Bank niedriger ausfallen als für viele einzelne Kreditnehmer. Dies erstens, weil der Prüfungsaufwand bei der Bank nur einmal anfällt, statt bei jedem einzelnen der Kreditgeber (economies of scale). Und zweitens, weil die Bank, da sie viele ähnliche Fälle bearbeitet, spezialisierte Abteilungen hat und weil sie z.B. als Konto führendes Institut die Zahlungsgeschichte der Kreditnehmerin kennt (economies of scope). Banken als Vermittler von Krediten (Finanzintermediäre) erleichtern also die Kreditvergabe von Haushalten an Unternehmen, weil sie die Informationskosten reduzieren. Daher ist der Börsengang für die meisten Unternehmen kostspieliger als ein Bankkredit, für ein kleines Unternehmen gar prohibitiv teuer.11 Weiter ermöglichen Banken eine Fristentransformation: Weil zu jedem Zeitpunkt nur ein kleiner Teil der Einlagen abgehoben wird, kann die Bank die Einlagen benutzen, um langfristige Kredite zu vergeben. Während das Geld also in Wahrheit langfristig angelegt ist, ist es aus Sicht der Einleger kurzfristig verfügbar. (Richtig, das war ein Grund für die Möglichkeit von runs.) Und schließlich ermöglichen Banken eine Losgrößentransformation, indem sie viele kleine Einlagen zu großen Krediten zusammenfassen. Finanzintermediation, S und I Diese Argumente sind alle richtig - nur übersehen die Lehrbücher hier eine Kleinigkeit: Sie gelten für die Kreditvergabe der Banken. Kredite finanzieren aber nicht notwendig Nachfrage: Sie können auch Verluste finanzieren. Nehmen Sie für einen Augenblick an, die Unternehmen haben produziert. Nun müssen sie aber feststellen, daß aus irgendwelchen Gründen die Nachfrage eingebrochen ist: Weder wollen die Haushalte Konsumgüter kaufen, noch wollen Unternehmen investieren. Die Nachfrage ist also Null und die Unternehmen können nichts von Ihrem Output verkaufen. Heißt das, daß jetzt, weil ja 11 Dies ist ein weiterer Grund, warum Bankenpleiten ein Problem sind: Wenn die Hausbank Ihres Unternehmens in Konkurs geht, können Sie nicht eben mal schnell den Kreditgeber wechseln: Die Informationen, die Ihre Hausbank über Ihr Unternehmen hatte, sind ja erst mal weg und die Informationskosten (sowie der zeitliche Vorlauf der Informationsbeschaffung) würden bei einer anderen Bank von neuem anfallen. Einführung in die VWL 8 Geld und Banken S. 139 niemand etwas kaufen will, auch kein Kredit nachgefragt wird? Keineswegs: Die Unternehmen sind, um produzieren zu können, Verpflichtungen eingegangen. Sie haben in der Vergangenheit Fremdkapital aufgenommen, also müssen sie Zinsen zahlen. Sie haben Arbeiterinnen beschäftigt, also müssen sie Löhne zahlen. Wie können sie dies ohne Umsatzerlöse? Nun ja: Entweder die Unternehmen gehen in Konkurs oder sie brauchen Kredite. Das Sparen der Haushalte führt hier also keineswegs dazu, daß die Zinsen sinken und daß so die Investitionsnachfrage der Unternehmen steigt. Denn das Sparen der Haushalte erzeugt selbst eine Kreditnachfrage der Unternehmen, weil es Verluste erzeugt. Und die Zinssätze werden in dieser Situation sicherlich nicht sinken - denn schließlich sinkt ja die Sicherheit der Kredite, weil die Lage der Unternehmen prekärer geworden ist. Sparen hat hier, weil ihm keine Investitionsnachfrage gegenüberstand, nicht zu zusätzlichem Vermögen (Kapitalgüter), sondern zu einer Vermögensumverteilung innerhalb des Haushaltssektors geführt. Aus Eigenkapital wurde Fremdkapital. Die Eigentümer der Unternehmen haben Vermögen eingebüßt, weil der Fremdkapitalanteil der Unternehmen gestiegen ist. Dieser Prozeß funktioniert übrigens nicht nur in die eine Richtung. Nehmen Sie jetzt zur Abwechslung an, die Unternehmen haben produziert, stellen nun aber fest, daß die Nachfrage (nach Konsum- und Investitionsgütern) viel höher ist, als sie erwartet haben. Sie könnten also mehr verkaufen als sie hergestellt haben - oder, anders formuliert: Die hohe Nachfrage läßt Preiserhöhungen zu. Die Güter können zu einem höheren Preis verkauft werden, als ursprünglich erwartet. Die ursprünglichen (Preis-)Erwartungen lagen aber der Kalkulation zu Grunde. Die Unternehmerinnen stellen jetzt also fest, daß die Erlöse höher sind als erwartet. Die Kosten (erneut: Löhne und Fremdkapitalzinsen) waren aber, jedenfalls zum Teil, vorher vertraglich fixiert. Die Unternehmen machen so also höhere Gewinne als geplant - und diese höheren Gewinne können (aus Sicht des Sektors insgesamt) die Investitionen finanzieren. Daß die (geplante) Ersparnis der Haushalte niedriger ist als das geplante Investitionsvolumen, verhindert hier also keineswegs Investitionen. Es führt lediglich dazu, daß die Investitionen durch Eigenkapital statt durch Fremdkapital finanziert werden. Die Eigentümerinnen der Unternehmen werden reicher, die übrigen Haushalte verlieren. Nicht nur garantiert (geplantes) Sparen nicht notwendig eine Investition. Es ist zum Investieren auch keine (geplante) Ersparnis erforderlich. Das geplante Sparen der Haushalte entscheidet also nicht darüber, ob die Investitionen der Unternehmen möglich sind oder nicht. Es entscheidet lediglich darüber, ein wie großer Anteil der Investitionen des Unternehmenssektors durch Gewinne und ein wie großer Anteil durch Fremdkapitalaufnahme finanziert wird. Der "Kapitalmarkt" aus Kapitel 6 ist also keineswegs mit dem Kreditmarkt identisch. Denn die Kapitalmarktgrafik unterstellt, daß Kapital nur zu Investitionszwecken nachgefragt wird, in der Kreditnachfragefunktion stecken aber außerdem Verluste. Für die Unternehmen ist aber der Zinssatz des Kreditmarktes und nicht de reines fiktiven Kapitalmarktes wichtig, den es in dieser Form nur in den Lehrbüchern gibt. Die Gleichheit von Investitions- und Sparplänen kann also nicht über den Zinssatz hergestellt werden. Auf dieses Ergebnis kam Keynes schon 1930 (Treatise on Money, dt. Vom Gelde). Die Frage ist nun: Wenn nicht über den Zinssatz, über was denn sonst? Diese Frage ging Keynes in der Allgemeinen Theorie an - und ich werde sie im nächsten Kapitel klären. Zuvor soll aber das Thema bubbles nochmal aufgenommen werden, denn mit dem Kreditmarkt ist ein zweiter wichtigen Auslösemechanismus für bubbles ins Spiel gekommen. S. 140 8 Geld und Banken Karl Betz 8.4 Bubbles, the sequel In Kapitel 3 wurde herausgearbeitet, daß bubbles entstehen können, wenn Preisänderungen Preisänderungserwartungen auslösen und steigende Preise so die Nachfragekurve immer weiter nach oben verschieben. Es gibt aber noch einen zweiten Einflußfaktor, den die VWL gerne ausblendet, weil sie in ihren Modellen vollständige Information und (deswegen) unbeschränkten Kreditzugang unterstellt:12 Um einen Kredit aufzunehmen, braucht man (bei unvollständiger oder asymmetrischer Information, also im "wirklichen Leben") Sicherheiten. In einem Bubble steigt nun der Wert der Sicherheiten. Nehmen Sie an, Sie können bei Aufnahme einer Hypothek Ihre Immobilie nur mit 80% des Wertes beleihen. Dann bedeutet die Verdopplung der Immobilienpreise im Zuge eines bubbles, daß Sie auf die gleiche Immobilie einen doppelt so hohen Kredit aufnehmen können. Die Nachfrage nach Immobilien steigt also nicht nur (wie in Kapitel 3 beschrieben), weil die vorangegangenen Preisanstiege Preisänderungserwartungen ausgelöst haben und so die Spekulation angeheizt wird. Sie steigt außerdem, weil der Wert der Sicherheiten steigt und damit der Kreditrahmen, den die Spekulanten bei ihrer Nachfrage einsetzen können gestiegen ist. Auch auf Seiten der Kreditgeber entsteht eine Dynamik, die zu einer Kreditausweitung führt. Ein höherer leverage führt, wie oben schon gezeigt zu einer höheren Eigenkapitalverzinsung. Nehmen Sie an, eine Bank kann zu 4% verleihen. (Der Einfachheit halber unterstelle ich mal, die Ausfallwahrscheinlichkeit sei vom Kreditzinssatz schon abgezogen.) Hat die Bank eine Eigenkapitalquote von 100%, so ist die Eigenkapitalrendite 4%. Kann die Bank sich zu 3% verschulden und beträgt die Eigenkapitalquote nur 10%, so liegt die Eigenkapitalrendite bereits bei 13%. Und hat sie einen leverage von 20, so liegt sie bei 22%. Allgemein (und etwas vereinfacht13): Eigenkapitalrendite = Gewinn Gewinn Bilanzsumme = ⋅ Eigenkapital Bilanzsumme Eigenkapital Nun wirkt ein leverage natürlich auch umgekehrt - je höher der leverage, desto stärker schlagen die Verluste aufs Eigenkapital durch. Aber das stimmt eben deswegen nicht, weil die Verluste nach unten begrenzt sind: Mehr als ihr Eigenkapital können die Aktionäre einer Bank nicht verlieren. Nehmen Sie eine, gar nicht so unübliche, Bank mit einem leverage von 40, also einer Eigenkapitalquote von 2,5%. Diese werfe eine Eigenkapitalrendite von 24% ab (Ackermanns Gewinnziel).14 Lohnt es sich in dieser Situation, ein Kreditausfallrisiko von 10% einzugehen, obwohl man an dem Kredit, so er bedient wird, nur eine Marge von 0,6% verdient? Die Antwort ist: Aber immer. Sie erwarten dann ja, daß Sie im Durchschnitt von 10 Jahren neun Jahre lang eine Eigenkapitalrendite von 24% erwirtschaften 15 und nur in einem zehnten Jahr eine von -100% (Ihr Eigenkapital ist weg.) Der Erwartungswert für die Eigenkapitalrendite ist also: 0,9 · 24 + 0,1 · (-100) = 11,6% 12 Das heißt nicht, Sie kriegen so viel Geld wie Sie gerne möchten, sondern so viel, wie Sie in Zukunft auch zurückzahlen können. Da Ihr zukünftiges Einkommen (oder wenigsten dessen Wahrscheinlichkeitsverteilung) aber bekannt ist (Annahme vollständiger Information), ist klar, wie viel das sein wird. Und da die Durchsetzbarkeit von Kontrakten unterstellt wird, ist auch sicher, nicht nur daß Sie den Schuldendienst leisten können, sondern auch daß Sie das (wenn auch: ungern) tun werden. 13 Sie müßten eigentlich noch noch den Einlagenzinssatz addieren. 14 Hört sich zu hoch an? Rechnen Sie mal nach: Bei einem leverage von 40 brauchen Sie dafür nur einen Gewinn von 25/40 ≈ 0,6% auf ihre Bilanzsumme. 15 EK-Rendite = 0,6% · (FK/EK) = 0,6% · 40 = 24% Einführung in die VWL 8 Geld und Banken S. 141 Lohnt sich die Sache bei einem leverage von 10 (also einer Eigenkapitalquote von 10%) immer noch? Der Erwartungswert für die Eigenkapitalrendite ist hier: 0,9 · 6 + 0,1 · (-100) = - 4,6 %. Eine niedrige Eigenkapitalquote erhöht somit die Risikobereitschaft. Eine höhere Risikobereitschaft führt zu einer höheren Kreditvergabe - und diese, siehe oben, erhöht wiederum den leverage. Ein Teufelskreis, wie Herr Kaiser sagen würde. Im Ergebnis steigt die die Kreditvergabe und das (Brutto-)Finanzvermögen schneller an als das Sachvermögen in der Ökonomie und schneller als das BIP. Der "leverage" der Gesamtwirtschaft steigt an. Abb. 8.9: Anteil der Finanzdienstleistungen am BIP der USA geklaut bei wiki Daß dies durchaus positive Auswirkungen auf die Profite der Banken hat, konnten sie in Abbildung 8.8 schon für Großbritannien sehen. Abb. 8.9 und 8.10 zeigen das gleiche noch einmal für die USA: der Anteil des Finanzsektors am BIP ist drastisch gestiegen und noch schneller ist der Anteil der Banken an den Gewinnen gestiegen. Wenn man sich den Zusammenhang von Risikobereitschaft, Eigenkapitalrendite und Leverage vor Augen führt, kann man auf den Verdacht kommen, daß es kein Zufall ist, daß die Bankgewinne ebenso vor der Weltwirtschaftskrise von 1929 ein historisches Hoch erreicht haben, wie vor der von 2007/08. S. 142 8 Geld und Banken Karl Betz Abb. 8.10: Anteil der Gewinne der Finanzindustrie an allen Gewinnen in den USA Quelle: John Bellamy Foster - The Financialization of Capital and the Crisis. In: The Monthly Review (April 2008) Schulden sind sicher Nun ist das Geldvermögen im Verhältnis zum BIP (und damit, wenn man ein halbwegs konstantes Verhältnis von Kapitaleinsatz zum Output unterstellt, das Verhältnis vom Bruttogeldvermögen zum Sachvermögen) gestiegen. Und in diesem Sinne ist der leverage der Ökonomie insgesamt gestiegen: Aber oben wurde doch gezeigt, daß das Nettogeldvermögen (in einer geschlossenen Volkswirtschaft) stets Null ist. Die Ökonomie ist doch bei sich selbst verschuldet. 16 Wie kann etwas, das Null ist, wie kann Nichts, zum Problem werden? Nun ja, das Problem ist, daß Schulden sicher sind, Forderungen aber nicht. Als Folge des housing bubbles wurden die Hauseigentümer in den USA reicher. Mit dem höheren Vermögen konnten sie eine höhere Verschuldung realisieren. Dieser zusätzliche Kredit konnte weitere Spekulation, also den Erwerb weiterer Immobilien finanzieren (und so den bubble weiter anheizen). „Then there's systemic or compound leverage, in which one opening bit of leverage becomes the tip of a vast inverted pyramid of debt. Suppose, for example, that a wealthy individual borrows $ 3 million from a bank, adds $1 million of his own equity and invests it into a 'fund of funds' that invests in other hedge funds. At this point he has a leverage of four to one. Then suppose this fund takes that $ 4 million and borrows another $ 12 million from another bank and sinks it into yet another hedge fund. Again, the leverage is still only four 4 to one, but the initial stake of $ 4 million 16 Zugegeben, die USA haben auch eine hohe Auslandsverschuldung, insofern ist ihr Nettogeldvermögen nicht Null sondern negativ. Aber 1929 waren die USA größter Gläubiger der Welt und das hat den Ausbruch der Finanzkrise an der New Yorker Börse auch nicht gestört. Daher läßt sich der Mechanismus schon gut diskutieren, ehe die Außenwirtschaft behandelt wurde. Zumal die Nettoauslandsverschuldung der USA nur auf rund 30% des BIP geschätzt wird. Einführung in die VWL 8 Geld und Banken S. 143 has grown to $ 16 million. Now imagine, that this hedge fund borrows another $ 48 million ...“ (Roubini,17 p. 83f) Oder aber den Konsum: Nehmen Sie an, Sie besitzen ein Haus, das eine Million wert ist. Sie gehen davon aus, daß das eine hinreichende Zusatzversorgung für Ihr Alter darstellt. Nun steigt der Wert Ihrer Immobilie auf 2 Millionen. Ok, einen Teil werden Sie als Vermögenserhöhung behalten wär nicht nötig gewesen, aber schaden kann's ja auch nix. Aber warum sollen Sie sich jetzt noch die Weltreise verkneifen, von der Sie schon so lange geträumt haben? Ein Teil dieser Vermögenserhöhung geht also in Ihren Konsum: Auf dem Rekordstand des bubbles, im vierten Quartal 2005, nahmen die amerikanischen Haushalte 250 Mrd. Dollar an zusätzlichen Hypotheken zu Konsumzwecken auf ihre Immobilien auf (Roubini, p. 18). Im Ergebnis erhöhte sich die Verschuldung der Sektoren: Zwischen 1981 und 2008 - stieg die Verschuldung der Haushalte von 48% auf 100% des BIP (bzw. von 65% des Nettoeinkommens auf 135%) - stieg die Verschuldung des Unternehmenssektors von 70% auf 190% des BIP darunter die des Finanzsektors von 22 auf 117% des BIP18 Damit war die Verschuldung des privaten Sektors von 123% (? müßten 118 sein, aber ich halte mich mal an die Quelle) auf 290% des BIP erhöht. Im gleichen Zeitraum stieg die Nettostaatsverschuldung von 25% auf 47 % und die Bruttostaatsverschuldung von 42%auf 70% des BIP Lassen Sie mich diese Überlegung nochmal Schritt für Schritt durchgehen. Nehmen Sie an, Sie haben eine Eigenkapitalquote von 25%. Das ist - im Durchschnitt der Ökonomie - zwar extrem hoch, aber Sie sind nun mal ein vorsichtiger Mensch. Damit ist Ihre Bilanz: Aktiva Tom Mustermann GmbH Immobilien 100 Passiva 25 Eigenkapital 75 Fremdkapital Nun verdoppeln sich die Immobilienpreise. Ihre neue Bilanz ist: Aktiva Tom Mustermann GmbH Immobilien 200 Passiva 125 Eigenkapital 75 Fremdkapital Jetzt haben Sie auf einmal viel mehr Eigenkapital, als Sie für nötig halten. Ihre Eigenkapitalquote liegt jetzt bei 62,5% . Also machen Sie irgend etwas anderes damit. Angenommen, Sie sind jeglicher Verschwendung abhold, benutzten also nichts für den Konsum, sondern erweitern Ihr Geschäft so lange, bis sie wieder auf der - von Ihnen für sicher gehaltenen - Eigenkapitalquote von 17 Roubini, Nouriel und Mihm, Stephen (2010) Crisis Economics: A Crash Course in the Future of Finance. Penguin. 18 Roubini (2010), S. 83; für die Staatsverschuldung: siehe IMF.org WEO Database S. 144 8 Geld und Banken Karl Betz 25% sind. Das wäre in folgender Situation der Fall (praktisch geht der bubble natürlich weiter und der Wert Ihrer Grundstücke steigt weiter, aber davon abstrahiere ich mal, um einen besseren Überblick zu behalten19): Aktiva Tom Mustermann GmbH Immobilien 500 Passiva 125 Eigenkapital 375 Fremdkapital So, und jetzt platzt der Bubble, die Immobilienpreise stürzen um 50% ab und erreichen wieder ihr Vorblasenniveau. Dann sind ist Ihre Bilanz angekommen bei: Aktiva Tom Mustermann GmbH Immobilien 250 Passiva -125 Eigenkapital 375 Fremdkapital Sie sind überschuldet und gehen in Konkurs. 20 Natürlich pflanzt sich das fort: nicht nur Sie sind im Konkurs, sondern auch die Gläubiger, von denen Sie sich die 375 Fremdkapital geliehen hatten, sehen von dem Geld nur noch 250 wieder. (Und das ist noch optimistisch, weil es unterstellt, daß die Immobilien zu den neuen Preisen überhaupt verkauft werden können. Praktisch müssen die Banken sie erst einmal vom Markt nehmen, um einen weiteren Preisverfall zu stoppen. 21 Selbst diese niedrigeren Vermögenswerte werden also erst mal illiquide, nicht zu realisieren, sein.) Wenn also, z.B. nach dem Platzen eines bubbles, Forderungsausfälle eintreten, dann bleiben die Schulden bei den Inhabern dieser Forderungen davon unberührt - und eine Firma oder ein Haushalt, der sich bisher für vermögend hielt, ist auf einmal zu einem Nettoschuldner geworden. Für Firmen kann das zu einem Aufgeben von Investitionsvorhaben (oder gar zur Pleite), für Haushalte zu einer Einschränkung der Konsumausgaben führen. Die Ökonomie als ganze ist zwar nicht ärmer geworden, aber jede einzelne Akteur schon. Die Folge ist ein Einbruch der Nachfrage der die Produktion abstürzen läßt. Too big to be saved Banken, jedenfalls System wichtige Banken, das wurde in 8.2.3 erläutert, kann man nicht einfach pleite gehen lassen. Das heißt aber, daß bei Forderungsfällen irgendwer für die Schulden der Banken gerade stehen muß. Und jetzt raten Sie mal, wer das ist. Richtig: Im Zweifelsfall Sie. So wird in den USA damit gerechnet, daß alleine die Abwicklung der (inzwischen staatlichen) Hypothekenfinanzierer Fanny Mae, Freddy Mac und Ginni Mae mit einer Billion Steuergeldern zu 19 Das zu berücksichtigen hieße ja nur, daß die Spirale, deren Anfang hier geschildert wird, sich immer weiter dreht und da das in die gleiche Richtung läuft, ändert es nichts am qualitativen Ergebnis. 20 Gehe direkt dorthin, Gehe nicht über LOS, ziehe nicht 4000$ ein. 21 Vielleicht wollen Sie sich an dieser Stelle nochmal die Handelsblattartikel zu Cleveland auf der website zu Kaptiel 6 anschauen? Naja, war ja nur ein Vorschlag. Einführung in die VWL 8 Geld und Banken S. 145 Buche schlagen wird. (Handelsblatt 17.8.2010) (Wohl gemerkt: Ich spreche hier nicht von Ausfallbürgschaften, sondern von den tatsächlichen Verlusten.) Mit der Rettung der HypoReal Estate wurden zwar nicht deren Aktionäre, wohl aber die Gläubiger der Bank, zum großen Teil andere Banken und Versicherungen, gerettet: Deren (ungesicherte) Forderungen im dreistelligen Milliardenumfang wurden durch staatliche Garantien gesichert. Die Gewinne z.B. der Deutschen Bank waren also nur möglich, weil die Rettung der Commerzbank und der HRE sie vor Verlusten auf ihre Kredite bewahrte.. Die Garantien für die HRE belaufen sich mittlerweile auf 142 Mrd. € (Tagesspiegel, 12.9.2010). Und die Beteiligung des Bundes an der Commerzbank (18 Mrd.) wurde bewußt zu einem überhöhten Kurs erworben, weil andernfalls der Versicherungskonzern Allianz ins Trudeln geraten wäre. Also, in Summe, auch die Finanzunternehmen, die in der Krise Gewinne erzielten, erzielten diese auf Grund der staatlichen bail outs der Probleminstitute. Aber, als ob diese Umverteilung vom Steuerzahler zu den Banken nicht schon ärgerlich genug wäre: Der leverage Effekt läßt die Summen, die für die Rettung der Banken einzusetzen sind, in Größenordnungen wachsen, die für ganze Volkswirtschaften untragbar werden können. Daß die Pleite der isländischen Banken das ganze Land in den Ruin gerissen hat, haben Sie sicherlich mitbekommen. Hier einige weitere Beispiele: Die Bilanzsumme der drei größten deutschen Banken ( Commerzbank, Deutsche Bank und LBBW) macht alleine bereits 130% des BIP der BRD aus. (Handelsblatt, 7.9.2010) Der bail out der First Irisch Bank kostete bisher 11,3% des BIP von Irland (Economist, 21.8.2010) - und es wird erwartet, daß die Abwicklung der Bank und die Stabilisierung des übrigen Bankensektors die irische Regierung insgesamt 90 Mrd. € kosten könnte. (Das wären dann mal locker etwas über 50% des BIP.) (Handelsblatt, 7.9.2010). Alleine 2010 läßt die Rettung des Bankensektors das irische Staatsdefizit auf 32 % des BIP explodieren (Handelsblatt 1./2. 10. 2010). Fragen zum achten Kapitel Verständnisfragen 1) Welche langfristigen Folgen hat eine 10%ige Erhöhung der Geldmenge gemäß der Quantitätstheorie des Geldes? 2) Warum ist Geldvermögen (gesamtwirtschaftlich) kein Reinvermögen. 3) Was verstehen Sie unter dem Begriff "Lender of last Resort"? 4) Wie setzt die Notenbank ihren "Leitzins" am Markt durch? 5) Was ist die "leverage ratio"? S. 146 8 Geld und Banken Karl Betz 6) Warum braucht man überhaupt Banken? 7) Finanzieren Kredite notwendig Investitionen? Anwendungen 1) Bitte buchen Sie die folgenden Vorgänge in T-Konten durch. a) Das Publikum nimmt einen Kredit in Höhe von 100 auf. b) Von den so entstandenen Einlagen hebt es 20 in bar ab. Die Banken wollen ferner eine Barreserve von 10% auf die Einlagen halten. 2) Das Publikum hat Depositen in Höhe von 500, der Bargeldumlauf beträgt 50 und die Banken halten Reserven von 5% auf ihre Einlagen. a) Buchen Sie die Ausgangssituation in T-Konten, vervollständigen Sie dabei die Angaben. b) Nehmen Sie nun an, das Publikum will, z.B. auf Grund von Gerüchten über die Bankenstabilität, Einlagen in Höhe von 100 abheben. Was wird geschehen, wenn ba) die Zentralbankgeldmenge unverändert bleibt (die Zentralbank kein neues Geld druckt)? bb) die Zentralbank ihrer Rolle als lender of last resort nachkommt? 3) Im Zuge der großen Rezession haben alle großen Notenbanken eine drastische Ausweitung der Zentralbankgeldmenge zugelassen. War das richtig oder falsch? Diskutieren Sie und illustrieren Sie Ihr Argument an Hand von T-Konten. 4) Wirkt die Abführung des Notenbankgewinns an den Staat inflationär? Bitte argumentieren Sie verbal und in T-Konten. 5) Wie kann die Notenbank das Kreditvolumen beeinflussen? 6) Können Sie dem Argument begegnen, wenn Ausbildung selbst bezahlt werden müsse, seien die Resultate besser, weil die Studierenden sich mehr anstrengen würden und schneller fertig werden wollten? Hinweis: Das Argument für eine Kredit finanzierte Bildung unterstellt, (a) daß Sie die Auswirkungen von Bildung auf Ihr zukünftiges Einkommen kennen und (b) daß Ihr Ziel darin besteht, den (auf die Gegenwart abdiskontierten) Wert Ihres zukünftigen Einkommens zu maximieren. Was unterstellt nun dieses Argument, wenn es Sinn machen soll? 7) Nehmen Sie an, eine Bank erziele einen Zinssatz von 4% auf ihre Ausleihungen und muß 3% auf ihre Einlagen zahlen. Sie hat ein Eigenkapital von 100 und Kredite von 1000 vergeben. Einführung in die VWL 8 Geld und Banken S. 147 a) Wie hoch ist die leverage ratio? b) Wie hoch ist die Rendite auf das Eigenkapital? c) Wie sähen die Werte bei einem Leverage von 20 aus? d) Bei welchem Leverage wäre die Eigenkapitalrendite wohl maximal? e) Warum braucht es, neben Lender of last Resort und Einlagenversicherung, wohl auch noch so etwas wie eine Bankenaufsicht? 8) Banken sind einerseits zu wichtig, als daß man sie pleite gehen lassen könnte. Andererseits sind viele aber mittlerweile zu groß, als daß der Staat sie noch retten könnte. Diskutieren Sie. 9) a) Die Haushalte wollen sparen, aber die Unternehmen nicht investieren. Was geschieht wohl? b) Die Unternehmen investieren, aber die Haushalte wollen nicht sparen. Was geschieht wohl? S. 148 8 Geld und Banken Karl Betz Einführung in die VWL 9 Nachfrage und Einkommen S. 149 9 Nachfrage und Einkommen Lernziele: Gütermarktgleichgewicht bei Nachfrage = Angebot Marginale Konsumneigung und marginale Sparneigung Konzept der autonomen Nachfrage Einkommen-Ausgaben-Modell Herleitung des Multiplikators Paradox of Thrift Investitions- und Staatsausgabenmultiplikator Unterschiedliche Wirkung von Steuern, Staatsausgaben und Transferzahlungen Haavelmo-Theorem Dämpfung des Multiplikators in einer offenen Volkswirtschaft Volkswirtschaftliche Saldenbeziehungen Lassen Sie mich das bisherige Argument kurz wiederholen: In einer Realtauschwirtschaft ist die aggregierte Nachfrage immer so hoch wie das Angebot. Gibt es in einer Ökonomie keinen Kredit (und daher kein Geld, denn Geld entsteht durch Kredit) dann wird die Nachfrage immer so hoch sein, wie das Einkommen. Das geht damit los, daß ich mein Einkommen schon in Form vom Gütern erhalte: Freitag bekommt von Robinson einen Teil der Getreideernte. Will ich konsumieren, tausche ich meine Lohngüter gegen andere Konsumgüter (Freitag tauscht Getreide gegen Fisch), oder konsumiere sie direkt (Freitag macht sich Popcorn). Will ich sparen, dann tausche ich meine Lohngüter gegen Güter zur Wertaufbewahrung. (Will Freitag sparen, dann tauscht er sein Getreide gegen Ketten mit Kaurimuscheln.1) Wollen die Menschen zu viel sparen, dann heißt das nur, daß von einigen Gütern mehr nachgefragt wird als von anderen: Die Preise von Wertaufbewahrungsmitteln steigen (dadurch werden mehr Kaurimuschel-Ketten produziert und weniger nachgefragt). Das heißt aber zugleich, der relative Preis von Fisch (und Getreide) sinkt. Dadurch werden weniger Konsumgüter hergestellt, weil man mit der Produktion von Getreide und Fisch jetzt weniger verdienen kann und es werden mehr nachgefragt, weil die Güter billiger geworden sind. Der Wert des aggregierten Angebots und der Wert der aggregierten Nachfrage (wie viel wird hergestellt und nachgefragt?) sind also immer im Gleichgewicht (Wertsumme des Angebots = 1 Ethnologisch stimmt das so auch nicht, denn Kaurimuscheln waren, wenn sie nicht als bloßer Schmuck (und dann nicht: als Mittel der Wertaufbewahrung) fungierten, Ausweis einer Verpflichtung zur Gegenleistung. Auch in frühen Gesellschaften fungierten sie daher schon als Ausweis eines Kredits (und durften daher auch nicht beliebig hergestellt werden). Im Text wird also nicht eine historische Entwicklung, sondern eine (neoklassische) Fabel referiert. S. 150 9 Nachfrage und Einkommen Karl Betz Wertsumme der Nachfrage); nur die Struktur von Angebot und Nachfrage (was genau soll hergestellt werden?) müssen durch den Markt, durch den Preismechanismus, ins Gleichgewicht gebracht werden. Geld und Kredit erlauben ein Auseinanderfallen von Angebot und Nachfrage. Natürlich kann es vorkommen sein, daß sich die Sparwünsche der Einen mit den zusätzlichen Ausgabenplänen der Anderen decken. Zufällig kann es durchaus sein, daß manche Haushalte sparen wollen und sich andere (Haushalte zu Konsumzwecken, Unternehmen zu Investitionszwecken) in genau diesem Umfang verschulden wollen. Aber das wäre eben zufällig, gilt nicht nicht zwangsläufig: Das geplante Sparen eines Haushalts ist ein Kreditangebot – und ein Kredit kann entweder Nachfrage oder Verluste finanzieren. Steht dem Kreditangebot eine geplante Kreditnachfrage gegenüber, gut. Das hatten wir eben. Aber das tückische ist, daß ein Kreditangebot über Sparen sich immer seine Kreditnachfrage schafft. Plant der Rest der Ökonomie nicht, Schulden aufzunehmen, dann entstehen durch das Sparen halt ungeplante Schulden, Verluste. Und weil mit diesem Kreditangebot durch die Haushalte simultan die Kreditnachfrage steigt (weil Verluste (qua Auszahlungsüberschüsse) finanziert werden müssen), kann der Zinssatz eben nicht der Preis sein, der Sparen und Investieren gleich groß macht. Das war in Kapitel 6 noch nicht der Fall: Weil unterstellt wurde, daß Kredite immer Investitionen finanzieren, konnte der Zinssatz Sparen (Kreditangebot) und Investieren (Kreditnachfrage) koordinieren. Aber sobald zugelassen wird, daß Kredite statt einer Investition auch Verluste finanzieren können, ist das nicht mehr der Fall. Zwar gilt immer noch, daß das Sparen einer Volkswirtschaft gleich dem Zuwachs an Sachvermögen ist (es gilt also ex post: S = I), aber das heißt nur, daß Sparpläne gesamtwirtschaftlich fehlschlagen müssen, wenn diesen keine Investitionspläne gegenüberstehen. Verstärkte Sparanstrengungen führen dann eben nicht zu einem höheren Nettovermögen, sondern zu Verlusten. Es wird nicht neues Vermögen gebildet, sondern bestehendes Vermögen umverteilt (z.B. von den Eigentümern der Unternehmen hin zu den Sparern). (Und umbewertet, aber das vernachlässige ich hier.) Wenn aber nicht der Zinssatz die Pläne koordiniert, welche Größe tut es dann? Das Postulat von Keynes war, daß dies statt dem Zinssatz das Einkommen besorgt. Ich werde in diesem Kapitel diese Idee in ein einfaches Modell gießen, das EinkommenAusgaben-Modell. Zunächst wird es dort der Übersichtlichkeit halber nach wie vor nur Haushalte und Unternehmen geben. In der Folge werde ich es dann um Staat und Ausland erweitern und im letzten Schritt hole ich (in Kapitel 10) den Einfluß des Zinssatzes auf die Nachfrage wieder zurück ins Modell. Dieser Schritt wird das IS-MP-Modell liefern, das es erlaubt, neoklassisches und keynesianisches Denken im gleichen Modell gegenüber zu stellen. 9.1 Das Einkommen-Ausgaben-Diagramm Das Einkommen-Ausgaben-Diagramm stellt einen Zusammenhang zwischen der (tatsächlichen, effektiven) Nachfrage am Markt für Güter und Dienstleistungen (Y NE) und dem (tatsächlichen, effektiven) Angebot (YAT) her. Auf keiner der beiden Achsen steht daher ein Preis, sondern beide Achsen sind Mengenachsen. Auf der Ordinate seht die Nachfrage und auf der Abszisse steht das Angebot. Da das gesamte produzierte Angebot den Haushalten gehört (erinnern Sie sich wieder Einführung in die VWL 9 Nachfrage und Einkommen S. 151 daran, daß ja die Unternehmen im Eigentum von Haushalten sind) ist das Einkommen der Volkswirtschaft immer gleich dem produzierten Output – also kann dieser neben YAT auf der Abszisse notiert werden, ohne daß man etwas falsch machen kann: Zwar kann die Nachfrage kleiner als das Angebot sein, aber nie kann das Einkommen ungleich dem Angebot sein. 9.1.1 Die Gleichgewichtsbedingung Ein Gleichgewicht besteht dann, wenn Nachfrage und Angebot gleich groß sind. Das ist genau entlang der Winkel halbierenden (oder der 45°-Kurve) der Fall. Die 45°-Kurve beschreibt also die Gleichgewichtsbedingung der Gesamtwirtschaft: Aggregiertes Angebot und aggregierte Nachfrage sind gleich groß – per Saldo können die Unternehmen problemlos alles verkaufen, was sie hergestellt haben. Nochmal: Das schließt nicht aus, daß von manchen Gütern zu viel und von anderen zu wenig hergestellt wurde. Aber wenn dies der Fall ist, ist eben das Schrumpfen der Schreibmaschinenindustrie2 zugleich der Boom in der PC-Industrie. Manche Unternehmen machen Gewinn, andere machen Verluste, aber der Unternehmenssektor insgesamt macht keine (ungeplanten) Gewinne. Ein solcher Punkt wäre z.B. Punkt A in Abb. 9.1, aber eben auch jeder andere Punkt auf der 45°Kurve. In Punkt A haben Nachfrage und Angebot den Wert 7. Gut. Punkt A wäre also ein Gleichgewicht. Was ist mit Punkten jenseits der 45°-Kurve? Darüber wurde in Kapitel 8.3 schon geredet: In Punkt B wurden 5 Einheiten produziert, verkauft werden könnten aber 9. Also haben die Unternehmen Kosten (für Zinsen und Löhne) in Höhe von 5 Einheiten, aber sie können Erlöse in Höhe von 9 realisieren. Ihre Gewinne fallen weit höher aus als geplant. (Sie können ihre Produkte teurer verkaufen als kalkuliert.) Abb. 9.1 Gütermarktdiagramm mit Gleichgewichtsbedingung 2 Bevor Sie fragen: Schreibmaschinen waren keyboards mit eingebautem Drucker. S. 152 9 Nachfrage und Einkommen Karl Betz In Punkt C liegt das produzierte Angebot bei 10, die Nachfrage aber beträgt nur 4 Einheiten. Also haben die Unternehmen Kosten (für Zinsen und Löhne) für die Herstellung von 10 Einheiten, aber nur Erlöse im Wert von 4. Egal, ob sie ihre Produkte jetzt wegwerfen (wie bei der Vernichtung von Ernteüberschüssen), auf Lager nehmen (dann entstehen zusätzliche Lagerhaltungskosten) oder billiger (also unter ihren kalkulierten Kosten) verkaufen: Sie machen Verluste. In Punkt B also regen unerwartete Gewinne zu einer Ausdehnung des Angebots an. In Punkt C hingegen führen unerwartete Verluste zu einer Einschränkung des (zukünftigen) Angebots. 3 Damit besteht für Punkte, die nicht auf der Gleichgewichtsgeraden liegen, eine Tendenz, mit der Zeit in Richtung Gleichgewicht (also: in Richtung 45°-Kurve) zu wandern. Zugegeben, daß Verluste zu einer Produktionseinschränkung führen, ist zwingender (weil ein Teil der Unternehmen schlicht pleite gehen wird), als daß unerwartete Gewinne zu einer Produktionsausweitung führen. Aber trotzdem ist es unplausibel anzunehmen, daß Unternehmen sich Jahr ein, Jahr aus einer unerwartet hohen Nachfrage gegenübersehen, ohne daß das eine oder andere mal auf die Idee kommt, die Gelegenheit zu ergreifen, um seinen Marktanteil auszuweiten. Sprich: Auf die Idee kommt, mehr zu produzieren. Sie sehen hier, daß das mikroökonomische Ergebnis, daß die Unternehmen (bei vollständiger Konkurrenz) im Gleichgewicht weder Gewinne noch Verluste machen, 4 makroökonomisch wieder auftaucht in der Bedingung, daß sich in der Ökonomie ein Gütermarktgleichgewicht einstellt. Gut. Es ist jetzt klar, daß ein Gleichgewicht besteht, wenn die Nachfrage gleich dem Angebot ist. Und der Unterschied zwischen Keynes und der Neoklassik besteht in der Annahme von Keynes, daß die (effektive) Nachfrage nicht automatisch so hoch ist, wie das (notionale) Angebot bei Vollbeschäftigung wäre. Was als nächstes kommen muß, ist eine Erklärung der Nachfrage. 9.1.2 Nachfrage und Gütermarktgleichgewicht Ich werde jetzt langsam eine Komponente der Nachfrage nach der anderen einführen. Zunächst wird nur Konsumnachfrage (C) zugelassen, dann erlaube ich Investitionen (I), Staatsnachfrage (G) und Steuern (T), um zum Schluß schon mal kurz nach der Auslandsnachfrage (Exporte (EX) und Importe (IM)) zu sehen.. Dabei werde ich bis zum Ende dieses Kapitels nur einen einzigen Einflußfaktor thematisieren: Die Nachfrage ist entweder (vorläufig) unerklärt, oder sie hängt vom laufenden Einkommen (Y, dem BIP) ab. Somit ist das Einkommen endogen, wird innerhalb des Modells erklärt, während andere Einflußfaktoren als exogen behandelt werden, also dem Modell von außen vorgegeben werden. 9.1.2.1 Konsumnachfrage In ausführlicheren Lehrbüchern finden Sie einen Überblick über unterschiedliche Konsumtheorien: absolute, relative und permanente Einkommenshypothese, habitat persistence Hypothese. Auf diese wird hier nicht eingegangen. Entscheidend ist hier nur, daß der Konsum – neben allen weiteren Einkommensfaktoren, die auch auf ihn wirken mögen – auch vom laufenden Einkommen abhängt.5 Damit ist die Konsumnachfrage als effektive Nachfrage modelliert - was immer sonst 3 In den meisten Lehrbüchern werden Sie lesen, daß die Angleichungen bei konstanten Preisen über Lagerbestandsänderungen erfolgen. Ich folge hier der Argumentation bei Keynes (Vom Gelde, (1930)), die schließlich in die Allgemeine Theorie des Geldes, des Zinses und der Beschäftigung mündete (Keynes (1936)). 4 Ja, ja. Kapitel 4 ist halt schon arg lang her. 5 Damit wird die Lebenseinkommenshypothese von Friedman verworfen. Diese unterstellt, daß der Konsum einzig Einführung in die VWL 9 Nachfrage und Einkommen S. 153 noch in den Nachfrageplan eingehen mag, jedenfalls geht auch das laufende Einkommen mit ein. In der einfachsten Fassung wird unterstellt, daß Haushalte einen bestimmten festen Sockelbetrag Co plus eine feste Quote (c) ihres laufenden Einkommens ausgeben wollen. Oder anders formuliert: Co ist der Teil der Nachfrage, der von anderen Einflußfaktoren als dem Einkommen abhängt und c · Y ist der vom Einkommen abhängige Teil der Konsumnachfrage. c wird auch marginale Konsumquote genannt: Wie viel von einem zusätzliche verdienten € gebe ich für Konsumnachfrage aus? Damit ist klar, daß der plausible Wertebereich für c zwischen Null und eins liegen sollte: Von einem zusätzlichen € kann ich entweder alles ausgeben (c = 1), nichts ausgeben (alles sparen: c = 0) oder einen Teil sparen und einen Teil ausgeben (0 < c < 1). Das heißt nicht, daß Sie nie Schulden machen. Z.B. kann Co durchaus größer sein als Ihr Einkommen. Aber es heißt, daß Sie weniger neue Schulden machen werden, wenn Ihr Einkommen steigt. Da der Konsum zunächst die einzige Nachfrage im Modell ist, liegen auch schon genug Informationen vor, um das Gleichgewichtseinkommen zu bestimmen. Gleichgewicht herrscht bei Y (= YAT) = YNE Die Nachfrage ist gleich der Konsumnachfrage YNE = C Und die Konsumnachfrage wird erklärt mit der Konsumfunktion: C = Co + c · Y Damit bestimmt sich das Gleichgewichtseinkommen, wenn man die Konsumfunktion in die Gleichgewichtsbedingung einsetzt und für das Gleichgewicht (Y = YNE) löst: YNE = Co + c · Y und Y = YNE ==> Y = Co + c · Y ==> Y - c · Y = Co ==> Y · (1 - c) = Co ==> Y= 1 ⋅ C0 1– c Der erste Term auf der rechten Seite ist der Multiplikator.6 Er bestimmt, um wie viel sich das Einkommen ändert, wenn sich die autonome Nachfrage, also der Teil der Nachfrage, der nicht vom Einkommen abhängt, um eine Einheit ändert. Der zweite Term ist die autonome Nachfrage. Damit ist die Grundform des Multiplikator Modells: Einkommen = Multiplikator · autonome Nachfrage Graphisch sieht das wie folgt aus: In Abb. 9.2 können Sie sehen, daß die Kurve der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zunächst vom Vermögen abhängt, das seinerseits der (abdiskontierte) erwarte Einkommensstrom der Zukunft ist. Wer entlassen wird, würde nach dieser Hypothese seinen Konsum überhaupt nicht einschränken, sondern einfach (auf Kredit) weiter wie bisher konsumieren, bis sie eine neue Stelle findet. Das laufende Einkommen hätte daher überhaupt keinen Einfluß auf die Nachfrage. 6 Da ich zu faul bin, immer den Formeleditor aufzurufen (und weil der Multiplikator auch mal ein etwas umfangreicherer Ausdruck sein kann), kürze ich ihn in der Folge gelegentlich auch mit μ ab. S. 154 9 Nachfrage und Einkommen Karl Betz oberhalb und dann unterhalb der 45°-Geraden verläuft. Wie in Teil 9.1.1 gezeigt, entstehen in diesem Bereich Extragewinne, die zu einer Ausweitung der Produktion anregen. Damit wandert man im Diagramm nach rechts und dabei baut sich die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage ab. Rechts des Schnittpunkts verläuft YNE unterhalb der 45°-Kurve. Hier, so wurde gesagt, werden die Unternehmen ihr Zeug nicht los, machen Verluste und schränken die Produktion ein. Frau wandert also wieder nach links, in Richtung auf den Gleichgewichtspunkt Y. Abb. 9.2 Einkommen-Ausgabenmodell, nur Konsumnachfrage Wichtig, um den Unterschied zum neoklassischen Modell zu verstehen, ist, daß das Gütermarktgleichgewicht hier alleine durch die Nachfrage bestimmt wird. Wie viele Menschen arbeiten wollen, spielt überhaupt keine Geige: Es wird so viel Arbeit nachgefragt, wie erforderlich ist, um Y Einheiten Output herzustellen und der Rest wird nicht gebraucht, ist unfreiwillig arbeitslos. 7 Ich werde in den folgenden Kapiteln noch ausführlicher darauf herumreiten, will aber an dieser Stelle schon mal unterstreichen, daß hiermit die prinzipielle Weichenstellung vorgenommen wurde: Wenn das Einkommen durch die effektive Nachfrage bestimmt wird, hat die Beschäftigung nichts mehr mit dem Arbeitsmarkt zu tun. 9.1.2.2 Sparen Da die Haushalte das Einkommen, das sie nicht ausgeben, sparen, ist die Ersparnis S gleich dem Einkommen minus der Konsumnachfrage. Es gilt: Die Summe aus marginaler Konsumneigung (c) und marginaler Sparneigung (s) muß 7 Natürlich darf das Arbeitsangebot nicht niedriger als die Arbeitsnachfrage sein. Andernfalls bieten die Unternehmen die Löhne hoch, die steigenden Lohnkosten bewirken steigende Preise und diese wiederum steigende Löhne. Im Falle einer solchen Lohn-Preis-Spirale muß die Geldpolitik zur Inflationsbekämpfung eingreifen. Hierzu im nächsten Kapitel. Einführung in die VWL 9 Nachfrage und Einkommen S. 155 gleich eins sein: c + s = 1. Das, was ich von einem zusätzlichen € Einkommen nicht ausgebe, spare ich. Der elementare Multiplikator [1/(1-c)] läßt sich daher auch einfacher schreiben, als (1/s). Damit ist die Ersparnis der Haushalte gleich der einkommensabhängigen Ersparnis minus dem, was sie unabhängig vom Einkommen ausgeben, dem autonomen Konsum, Co: S = s · Y - Co Da (ohne Investitionen, Staat und Ausland) das gleichgewichtige Einkommen gleich (1/s) · Co ist folgt: S = s · Y – Co und deswegen, weil gilt: Y = (1/s) · Co: S = s · (1/s) · Co - Co = 0 Klar: Wenn kein Sachvermögen gebildet wird, kann (gesamtwirtschaftlich) auch nicht gespart werden. Im Ungleichgewicht bedeutet dies: Wenn die Haushalte trotzdem versuchen zu sparen, machen die Unternehmen Verluste. Der geplanten Ersparnis eines Teils der Haushalte, stehen dann ungeplante Verluste gegenüber. Ein Teil der Haushalte spart, und ein anderer Teil, die Unternehmenseigentümer, hat Vermögensverluste, entspart also ungeplant. Was bedeutet es im Gleichgewicht? Nun, der Wunsch, mehr zu sparen, bedeutet entweder ein niedrigeres Co (das wäre eine Verschiebung der YNE-Kurve nach unten) und/oder eine höhere marginale Sparneigung s (= ein niedrigeres c). Nun ist c aber der Steigungsparameter der Y NEKurve. Ein Anstieg der marginalen Sparneigung läßt die Kurve also flacher werden. (Abb. 9.3) Abb. 9.3 Änderung der marginalen Konsum-/ bzw. Sparneigung Gestartet wird im Gleichgewicht in Punkt eins. Nun wollen die Haushalte mehr sparen. Die marginale Sparquote (s) steigt = die marginale Konsumquote (c) sinkt. Dadurch wird Y NE flacher. S. 156 9 Nachfrage und Einkommen Karl Betz Wenn die Unternehmen so viel produziert haben wie zuvor – weil die Haushalte ihnen nichts von ihren geänderten Absichten gesagt haben – landet man zunächst in Punkt zwei. Hier sind die Unternehmen in der Verlustzone. Daher schränken sie nunmehr ihr Angebot ein, bis die Ökonomie (bei Y1) wieder bei einem neuen Gleichgewicht angekommen ist (Punkt 3). Hier ist das Einkommen so weit gesunken, daß die Haushalte es sich nicht mehr leisten können, weiterhin zu sparen. (Oder, wenn Investitionen zugelassen weren: Es ist so weit gesunken, daß die Haushalte es sich nicht mehr leisten können, mehr sparen zu wollen, als die Unternehmen investieren wollen.)8 Damit schneidet die Nachfragekurve den Gleichgewichtslokus bereits früher - bei einem niedrigeren Einkommen: Da Y, das gleichgewichtige BIP, die Höhe annimmt, bei der die einkommensabhängige Ersparnis gleich den autonomen (nicht vom Einkommen abhängenden) Ausgaben ist, genügt jetzt ein geringeres Einkommen, um dieses Gleichgewicht zu erreichen. Als Folge ihrer gesteigerten Sparanstrengungen ist die Gesellschaft ärmer geworden. Dieses Ergebnis ist auch bekannt als paradox of thrift (Sparparadoxon.) Sparparadoxon: Wenn sich an der Bereitschaft zu Investitionen nichts ändert, wird eine Gesellschaft durch größere Sparanstrengungen ärmer. Bitte machen Sie sich klar, daß das Ergebnis nicht der Annahme geschuldet ist, daß bisher nur Konsumnachfrage zugelassen ist. Es ist völlig wurscht, ob an der Ordinate Co oder aut (für autonome Nachfrage) steht. Das Sparparadoxon folgt also aus der allgemeinen Form: Y = µ · aut 9.2 Erweiterung: Investitionen Die Erweiterungen des Modells in diesem Kapitel bestehen darin, entweder die autonome Nachfrage um weitere Komponenten zu ergänzen und/oder Einflüsse auf den Multiplikator zu untersuchen. Letzteres geschieht im Anhang1 zu dem Kapitel. Im Kern kann ich es mir in den folgenden Abschnitten leicht machen: Letztlich bedeutet das Zulassen von Investitions-, Staats- und Auslandsnachfrage ja nur, daß die autonome Nachfrage um weitere Komponenten ergänzt werden muß. Man muß also neben Co noch weitere Buchstaben mit dem Multiplikator mal nehmen. An der Steigung der Geraden hat sich nichts geändert. (Sie ist immer noch gleich dem Multiplikator, also hier wahlweise gleich (1/(1-c)) oder gleich (1/s)). Investitionen sind somit vorläufig - einfach eine weitere autonome Nachfrage - eine Verschiebung der YNE-Kurve nach oben (Abb. 9.4). Das Einkommen erhöht sich durch den Multiplikator so weit, daß es eine Höhe erreicht, bei der die Haushalte so viel Sparen wollen, wie die Unternehmen investieren wollen. 8 Der Versuch der Haushalte, z.B. in den USA, nach der Krise ihre Schulden abzubauen, drückt daher das Wachstum dort genau so, wie der Aufbau der Schulden zuvor das Wachstum angeheizt hatte. Im Vorgriff auf Kapitel 12: Dies wird dadurch abgefedert, daß durch das staatliche Haushaltsdefizit von über 10 % des BIP ein Teil der gesunkenen Haushaltsnachfrage durch Staatsnachfrage ersetzt wird. Die Haushalte entschulden sich so zwar (etwas. Vor allem entschuldete sich der Finanzsektor) und die Konjunktur bricht weniger ein, als andernfalls. Aber die Schulden verschwinden nicht. Sie werden jetzt zu Staatsschulden. (Und aus der Finanzkrise wird eine Staatsschuldenkrise.) Einführung in die VWL 9 Nachfrage und Einkommen S. 157 Abb. 9.4: Investitionsnachfrage Was Ihnen an der Abbildung auffallen könnte, ist, daß sich die Investitionsnachfrage um zwei Einheiten erhöht hat, das gleichgewichtige BIP hingegen um drei - die gesamte Nachfrage und daher das gesamte Einkommen ist also um mehr gestiegen als um die zusätzliche Investitionsnachfrage. Wieso das? 9.3 Der Multiplikatorprozeß Zunächst einmal formal: Das gleichgewichtige Einkommen ist, soviel ist bereits bekannt, gleich Multiplikator mal autonomer Nachfrage. Y = µ · aut Was ich gerade gemacht habe, ist, ich habe die Investitionen geändert: Zuerst wurden sie nicht betrachtet, jetzt habe ich sie im Modell zugelassen. Die autonome Nachfrage ist also (um d I) gestiegen. Und jetzt wird gefragt: "Was passiert mit dem Einkommen?". Das ist die Frage: "Wie ändert sich das Einkommen, wenn sich die autonome Nachfrage ändert?" Das heißt aber nichts anderes, als nach der ersten Ableitung der Multiplikatorgleichung zu fragen, nach d Y/(d aut). Da die autonome Nachfrage keinen Einfluß auf µ hat, ist die erste Ableitung der Gleichung einfach gleich µ: d Y = ↔ d Y = ⋅ d aut d aut Die Änderung des Einkommens ist also gleich dem Multiplikator mal der Änderung der S. 158 9 Nachfrage und Einkommen Karl Betz autonomen Nachfrage. Da µ = 1/s ist (bzw. = 1/(1-c)) und s zwischen 0 und 1 liegen sollte, 9 ist der Multiplikator größer als eins und das Einkommen verändert sich daher um mehr als den Betrag der autonomen Nachfrage. Nochmal anschaulicher. Angenommen, eine Brauerei bestellt eine neue Abfüllanlage mit einem Wert von 100. Erstrundeneffekt: d aut = 100 Um diese Abfüllanlage herzustellen, müssen von der Maschinenfabrik zusätzliche Arbeiter eingestellt werden und diese erzielen ein Einkommen von 100. (Ok, ein Teil des Einkommens geht in die Gewinne, aber ich nehme vorerst mal an, die Bezieher von Gewinneinkommen fragen genau so nach, wie die Arbeiterinnen.) Zweite Runde: Arbeiterinnen geben ihr Einkommen im wesentlichen für Bier aus. Sage, sie geben von jedem zusätzlichen €uro 80 c für Bier aus und sparen 20 Cent. ==> Die vom Einkommen abhängige Nachfrage steigt um 0,8 · 100 = 80, oder um c · d aut. Um dieses Bier herzustellen, müssen aber zusätzliche Brauereiarbeiterinnen eingestellt werden. Und deren Einkommen ist gleich der zusätzlichen Biernachfrage, also gleich 80. Daraus folgt für die Dritte Runde: Die neu eingestellten Brauereiarbeiterinnen geben von ihrem Einkommen 0,8 · 80 = 64 für zusätzliches Bier aus. Um diese zusätzliche Biernachfrage zu befriedigen, müssen jetzt aber weitere Arbeiter eingestellt werden, die nun ein Einkommen von 64 erzielen. .... Anstatt die Geschichte jetzt für den Rest des Buches weiter zu erzählen, will ich den Vorgang lieber formalisieren: Es ist der Gesamteffekt erste Runde + zweite Runde + dritte Runde +... + n-te Runde ... d aut + c · d aut + c · c · d aut +... + cn · d aut 100 + + 64 51,2 + 2 +.... oder =d aut · (1 + 80 c c ... + cn ·+ ...) Dieser Ausdruck ist aber die Gleichung einer unendlichen geometrischen Reihe und diese 1 konvergiert für 0 < c < 1 gegen , den Multiplikatorausdruck, der oben schon hergeleitet 1–c wurde. Damit ist der Investitionsmultiplikator: d Y = µ · d I = [1/(1-c)] · d I 9 Es gibt allerdings Ausnahmen: Der Unternehmer Max Grundig antwortete in den 50ern einmal in einem Interview auf die Frage, was er tun würde, wenn er eine Million im Lotto gewänne, mit: "Noch härter sparen." Hier würde s also über eins liegen. (Der Lottogewinn ist zwar kein Einkommen, sondern eine Vermögensänderung, aber auf die Million erhält man ja Zinseinkünfte.) (Diese Anekdote erzählte Prof. Riese gerne in seinen Vorlesungen. Ich zitiere aus dem Gedächtnis.) Einführung in die VWL 9 Nachfrage und Einkommen S. 159 Anmerkungen zum Multiplikator Zwei Punkte, die Sie im Kopf behalten sollten: Erstens: Die Multiplikatorwirkung braucht Zeit. Eine unendliche Reihe ist ziemlich lang. Es kann also durchaus sein, daß die Wirkungen einer zusätzlichen autonomen Nachfrage in diesem Jahr teilweise ins nächste Jahr fallen. Staatliche Konjunkturprogramme wirken daher nicht nur in dem Jahr, in dem die Ausgaben getätigt werden. Vielmehr wird durch die zeitliche Verzögerung die Wirkung im ersten Jahr schwächer und dafür wirkt das Programm auch ins Folgejahr hinein. Die gesamte Multiplikatorwirkung erfassen Sie also nur, wenn Sie die Effekte über einen längeren Zeitraum addieren. Zweitens: Der Multiplikator kann natürlich auch rückwärts ablaufen. Läßt man die Zeitverzögerung mal außen vor, unterstellt s = c = 0,5 und nimmt an, daß 2010 die Investitionen um 100 steigen, um 2011 wieder auf ihr Ausgangsniveau zu fallen. Was ist die Folge? 2010: d I = + 100 ==> d Y = (1/0,5) · 100 = + 200 Im Jahr 2010 steigt das Einkommen durch die zusätzliche autonome Investitionsnachfrage also um 200 Einheiten. 2011: Jetzt ist I wieder auf seinem Ausgangsniveau: d I ist also – 100. Denn 2011 wird um 100 weniger investiert als 2010. Also: d I = - 100 ==> d Y = (1/0,5) · (-100) = - 200 Die Investitionsnachfrage ist - gegenüber dem Vorjahr - um 100 zurückgegangen und deswegen ist das Einkommen um 200 gefallen. Und damit ist das Einkommen wieder auf dem Niveau von 2009. Dies ist der Grund dafür, warum Erholungen nach einer Krise zunächst recht schnell verlaufen: In der Krise bauen die Unternehmen ihre Lagerbestände ab und mit Auslaufen der Krise werden die Lagerbestände wieder auf das Vor-Krisen-Niveau aufgestockt. Im Beginn des Aufschwungs gehen, selbst wenn die Unternehmen ihre Produktionskapazitäten gar nicht gegenüber der Zeit vor der Krise erweitern wollen, von der Aufstockung der Läger expansive Impulse aus. Das wäre sogar dann der Fall, wenn die Unternehmen mit den neuen, niedrigeren Lagerbeständen zufrieden wären - denn zuvor haben sie die Läger ja abgebaut (d I < 0) und jetzt bestellen sie, um die neuen Bestände nicht noch weiter schrumpfen zu lassen, wieder so viel, wie vor der Krise (d I > 0). Damit wird u.a. erklärt, wieso der Aufschwung in den USA in ersten beiden Quartalen 2010 relativ stark war, während ihm in den Folgequartalen, als die Läger wieder aufgefüllt waren, die Puste ausging. 9.4 Staat Der Staat tätigt Staatsnachfrage (G) und erhebt Steuern, um diese zu finanzieren. Zusätzliche Staatsnachfrage ist einfach zusätzliche autonome Nachfrage, da unterstellt wird, daß die Staatsnachfrage nicht vom Einkommen abhängt. Der Staatsausgabenmultiplikator ist also einfach dY=µ·dG Insofern nichts Neues. Neu ist lediglich die Wirkung der Steuern, auf die im folgenden S. 160 9 Nachfrage und Einkommen Karl Betz einzugehen ist. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Steuern, die vom Einkommen abhängen - wie z.B. Einkommenssteuern oder auch Umsatzsteuern – und Steuern, die unabhängig vom Einkommen zu zahlen sind (z.B. sogenannte Kopfsteuern), wie dies z.B. (näherungsweise) beim Zuzahlungsbetrag für die Krankenversicherung der Fall ist. Da Kopfsteuern formal einfacher zu behandeln sind, unterstelle ich sie für den Hauptteil. Bei vom Einkommen abhängigen Steuern ändert sich der Multiplikator. Wer sich dafür interessiert, den verweise ich auf den Anhang 9.1 Ich komme in Kapitel 12 zur Wirtschaftspolitik ausführlicher auf die Wirkung der Staatsausgaben und Steuern auf den Wirtschaftsprozeß zurück. Hier soll zunächst nur skizziert werden, wie sie sich in das Einkommen-Ausgaben-Modell integrieren lassen. Der Staat erhebe einen festen, von Einkommen unabhängigen Steuerbetrag T von jedem Bürger. Damit modifiziert sich das Modell wie folgt: (1) Y = C + I + G Steuern bedeuten, daß Ihnen nur noch Ihr Einkommen nach Steuern für Konsumzwecke zur Verfügung steht. In diesem Fall ist noch zu beachten, daß die private Nachfrage nicht vom Brutto-, sondern nur vom Nettoeinkommen (synonym: vom verfügbaren Einkommen YVerf) abhängig sein kann. (2) C = Co + c · YVerf Das verfügbare Einkommen ist das Einkommen minus der Steuern: (3) YVerf = Y – T (3) in (2) ergibt: (4) C = Co + c · (Y – T) Und (4) eingesetzt in (1) liefert als neues Gleichgewicht: Y = [1/(1 – c)] · (Co + I + G – c · T) Damit sind die Multiplikatoren: Staatsausgabenmultiplikator: dY=µ·dG Steigt die Staatsnachfrage, so steigt das Volkseinkommen um die zusätzliche staatliche Nachfrage mal dem Multiplikator. Steuermultiplikator: d Y = µ · (– c) · d T Erhöht der Staat die Steuern, so geht die Nachfrage zurück, denn die Haushalte haben ja weniger Einkommen, aus dem sie nachfragen könnten. Allerdings geht es um weniger als Multiplikator mal Steuererhöhung zurück: Die Haushalte hätten ja nur einen Teil (c) dieses Einkommens zur Nachfrage verwandt. Letztlich, wenn man bedenkt, daß eine staatliche Transferzahlung (z.B. Rente, Steuergutschein) nichts anderes als eine Steuer mit negativem Vorzeichen ist (der Staat nimmt kein Geld ein, sondern er gibt welches weg), liefert dies, mit Tr für Transfers, auch gleich den Transfermultiplikator: d Y = µ · c · d Tr Auch Transferzahlungen lassen die Nachfrage und daher das Volkseinkommen steigen – aber wie Einführung in die VWL 9 Nachfrage und Einkommen S. 161 beim Steuer Multiplikator gilt: Weil die Haushalte einen Teil des Einkommens sparen, das sie vom Staat bekommen, ändert sich Y um weniger als bei direkter staatlicher Nachfrage. Es folgt also: Das Volkseinkommen fällt, wenn die Steuern erhöht werden. Es steigt, wenn der Staat mehr nachfragt, wenn er die Steuern senkt oder wenn er Transfereinkommen (Renten, BAFöG, Arbeitslosengeld ...) zahlt. Es steigt aber bei zusätzlichen Staatsausgaben stärker (µ · dG) als bei zusätzlichen Transferzahlungen (µ · c · dTr) oder bei Steuersenkungen (µ · c · (– dT) in gleicher Höhe. Steuerfinanzierte Staatsausgaben Interessant ist, daß der Steuermultiplikator einen anderen Wert als der Staatsausgabenmultiplikator hat. Gibt der Staat mehr aus, so steigt das Einkommen um d Y = µ · d G. Erhebt er mehr Steuern, so geht die Nachfrage zurück um: d Y = µ · (- c) · d T Warum das so ist, ist klar: Die Haushalte geben von jedem €, den sie mehr einnehmen c € mehr aus (und sparen den Rest). Sinkt ihr verfügbares Einkommen nun (weil der Staat Steuern erhebt) um einen €, schränken sie ihren Konsum nicht um einen € ein, sondern um weniger, um c € (und sie reduzieren ihr Sparen um s €). Angenommen nun, der Staat erhebt Steuern, um zusätzliche Staatsausgaben zu tätigen. Es wirken also zweierlei Einflüsse gleichzeitig auf Y ein: dY= µ·dG höhere Staatsnachfrage Y steigt + µ · (- c) · d T + höhere Steuern Y sinkt Dann ist der Gesamteffekt: d Y = µ · (d G + ( - c · d T)) Ist die Veränderung der Staatsausgaben gleich der Veränderung der Steuern (ist also dG = dT), benutzt also der Staat zusätzliche Steuern voll zur Tätigung zusätzlicher Staatsnachfrage dann läßt sich auch G für T (oder, wenn man das mehr mag, T für G) einsetzen und schreiben: d Y = µ · (d G - c · d G)) ==> d Y = µ · (1 - c ) · d G Dieser Effekt gilt (in einer geschlossenen Volkswirtschaft) immer: Das Volkseinkommen steigt um Multiplikator mal (1-c) mal den zusätzlichen steuerfinanzierten Staatsausgaben. Wie kommt es zu diesem Effekt? Der Staat nimmt den Haushalten Einkommen weg. Die Y NEKurve verschiebt sich in der Folge um c · dT nach unten. Und der Staat gibt das komplette Steueraufkommen aus - also verschiebt sich die Kurve um dG wieder nach oben. Der Effekt ist aber nicht Null: Die Haushalte hätten ja nur einen Teil des Geldes, das ihnen weg gesteuert worden wäre, zur Nachfrage verwandt. Der Staat gibt hingegen alles aus. Also ist die Verschiebung der Kurve nach oben durch die Staatsausgaben stärker als die Verschiebung nach unten durch die Steuern. So lange die Haushalte in ihrer Konsumnachfrage auf eine Steueränderung nicht anders reagieren, als auf eine gleich hohe Änderung des Bruttoeinkommens, muß der Effekt also insgesamt positiv sein. S. 162 9 Nachfrage und Einkommen Karl Betz Abb. 9.5: Die Wirkung steuerfinanzierter Staatsausgaben Wenn man es nur mit dem einfachen Multiplikator zu tun hat (µ = 1/(1-c)), läßt sich ferner auch genau sagen, um wie viel das Einkommen steigen wird: d Y= 1 dY ⋅1 – c ⋅ d G = d G → =1 1–c d G Das Einkommen steigt also genau um den Betrag der zusätzlichen steuerfinanzierten Staatsausgaben. Oder: Der Multiplikator für steuerfinanzierte Staatsausgaben ist eins. (HaavelmoTheorem) Das heißt im Kern: Zusätzliche staatliche Leistungen kosten die Ökonomie nichts, wenn sie über Steuern finanziert werden. Da drängen sich doch zwei Fragen auf: Erstens: Ist das nicht VoodooÖkonomie (Robert Barro): Zusätzliches Einkommen entsteht einfach so aus dem Nichts? Und zweitens: Wenn das so einfach ist, warum tun wir's dann nicht (in größerem Umfang)? Wenn zusätzliche Kindergärten und bessere Schulen nichts kosten, warum richten wir sie dann nicht einfach ein? Die Antwort auf Frage eins ist simpel: Wenn die Nachfrage die Produktion bestimmt und falls die Gesellschaft eigentlich mehr produzieren könnte (weil Produktionsinputs ungenutzt herumliegen, wie dies bei Arbeitslosigkeit der Fall ist) dann kostet zusätzlicher Output in der Tat die Gesellschaft als ganze nichts. Sie verzichtet nicht auf andere Güter, sondern lediglich auf Arbetislosigkeit. Die Antwort auf die Frage zwei beruht auf dem Unterschied zwischen einzel- und gesamtwirtschaftlicher Betrachtungsweise. Die Gesellschaft als ganze kostet der zusätzliche Output in der Tat nichts. Den einzelnen Steuerzahler aber schon: Durch die Steuern wird sein Einkommen ja umverteilt: Mein Nettoeinkommen sinkt und das Einkommen der bisher arbeitslosen Kindergärtnerin steigt. Es entstehen zwar zusätzliche öffentliche Leistungen (bessere Kinderbetreuung). Und diese machen das zusätzliche Einkommen aus. Aber das ist dem einzelnen Steuerzahler egal. Z.B. weil er keine Kinder hat, ihre Kinder bereits einen Kindergartenplatz haben oder aus dem Kindergartenalter schon raus sind. Oder weil er den gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang nicht Einführung in die VWL 9 Nachfrage und Einkommen S. 163 sieht und sich daher zwar über die zusätzlichen Kindergartenplätze freut, aber trotzdem weiter F.D.P. wählt.10 9.5 Ausland Ich werde das Ausland im Kapitel zur offenen Volkswirtschaft noch etwas sauberer behandeln. Für diesen Abschnitt belasse ich es mal bei der einfachen Feststellung: Das Ausland fragt Güter im Inland nach – Exporte. (EX) Und es liefert Güter ans Inland – Importe. (IM) Und die Differenz zwischen Exporten und Importen sind die Nettoexporte (NX).11 Exporte sind eine Nachfrage des Auslands im Inland. Bei Importen fließt umgekehrt inländische Nachfrage ins Ausland ab. Der Saldo der Leistungsbilanz, NX, sagt ihnen also, ob durch den Außenhandel die Nachfrage im Inland größer oder kleiner geworden ist. Ist NX größer Null, dann exportiert ein Land mehr als es importiert. Die Nachfrage im Inland ist also höher, als sie ohne Außenhandel wäre. Ist NX kleiner als 0, hat ein Land ein Leistungsbilanzdefizit, dann fließt per Saldo Nachfrage ins Ausland ab.12 Exporte sind abhängig von Einkommen im Ausland und dem realen Wechselkurs. Das Einkommen im Ausland ist für das Inland exogen – und der Wechselkurs kommt erst in Kapitel 13. Also kann ich die Exporte für die Zwecke dieses Kapitels erstmal als exogen vorgeben. Bei Importen ist das etwas anders – zwar hängen auch die vom realen effektiven Wechselkurs ab, der erst noch kommt. Aber sie hängen darüber hinaus auch vom Einkommen ab: Wenn Sie mehr verdienen, können Sie mehr kaufen – und ein Teil von dem, was Sie zusätzlich kaufen, werden eben auch Importgüter sein. Eigentlich müßten ich bei der Herleitung des Multiplikators jetzt wieder mal zwischen Kopf- und Einkommenssteuern unterscheiden. Aber ich mache es mir einfach und beschränke mich auf Kopfsteuern. Das, was hier zu zeigen ist, ist im Prinzip auch in der komplizierteren Variante nicht anders. (1) Y = C + I + G + EX – IM Die Nachfrage ist gleich der Konsumnachfrage, der Investitionsnachfrage, der Staatsnachfrage plus der Exportnachfrage minus den Importen. (2) C = Co + c · YVerf Die Bestimmungsgleichung für das verfügbare Einkommen ist schon bekannt: 10 Der Unterschied zur Marktlösung besteht darin, daß, wenn Sie für einen Kindergartenplatz bezahlen müssen, Sie den Eindruck haben, daß Sie für Ihre Leistung eine Gegenleistung bekommen. Da der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz aber nichts mit der Höhe Ihrer Steuerzahlung zu tun hat, ist dieser Zusammenhang in Ihrer Wahrnehmung zerschnitten. Hinzu kommt, daß öffentliche Kindergärten allen Einkommensschichten offen stehen müssen - das bedeutet aber, daß Eltern mit hohem Einkommen solche mit niedrigem Einkommen subventionieren müssen. Wie aus Kapitel 3 bekannt ist, produziert Bildung Externalitäten. Insofern ist das kein Nullsummenspiel und auch die besser verdienenden Haushalte profitieren noch von der verbesserten Betreuung der Kinder ärmerer Haushalte. Aber spätestens an dieser Stelle wird der Zusammenhang nicht mehr wahrgenommen. 11 Es ist am vernünftigsten, hier nicht auf den Handels-, sondern auf den Leistungsbilanzsaldo zu schauen. Aber das versichere ich an dieser Stelle mal wieder nur und vertröste Sie im übrigen auf Kapitel 13. 12 Allerdings kann es sein, daß der Außenhandel die Nachfrage anregt, in dem er auf Co oder c wirkt. Es ist z.B. denkbar, daß durch den Außenhandel die Produktvielfalt steigt und daher konsumieren gegenüber sparen attraktiver wird. In diesem Falle könnte durch internationalen Handel bei allen Handelspartnern die Nachfrage steigen. Diese Überlegung – die ich auch nicht aus der Literatur kenne – wird hier aber nicht weiter verfolgt. S. 164 9 Nachfrage und Einkommen Karl Betz (3) YVerf = Y – T Und damit ist die Gleichung für die Konsumnachfrage wieder (4) C = Co + c · [Y – T] Das was importiert wird, muß von der Nachfrage abgezogen werden, weil es Nachfrage ist, die ins Ausland abfließt.13 Also fehlt noch eine Bestimmungsgleichung für die Importnachfrage. Die Importnachfrage setzt sich zusammen aus den importierten Konsumgütern mC · C den importierten Investitionsgütern mI · I und dem Importanteil der Staatsnachfrage: mG · G wobei ich m mal mit jeweils mit einem Index versehe, weil die Importanteile ja unterschiedlich sein können: Bei einem Arbeitsbeschaffungsprogramm wird mG z.B. sehr klein sein, weil nur Inländer (registrierte Arbeitslose) eingestellt werden können und in einem Land mit sehr viel Maschinenbauindustrie wie der BRD dürfte mI niedriger als mC sein, während es in den Niederlanden umgekehrt sein dürfte. Es ist damit die Importnachfrage: IM = mC · C + mI · I + mG · G Mit der expliziten Konsumnachfrage aus (4) ergibt sich als Bestimmungsgleichung für die Importnachfrage: (5) IM = mC · [Co + c · (Y – T)] + mI · I + mG · G Mit (5) eingesetzt für IM und sowie (4) eingesetzt für C wird Gleichung (1) zu: Y = Co + c · (Y – T) + G + I + EX – {mC · [Co + c · (Y – T)] + mI · I + mG · G} Ausklammern und neu gruppieren führt schließlich auf (6) Y = [1/(1 – c · (1 - mC)] · [(1-mC) · Co + (1-mI) · I + (1-mG) · G - (1 - mC) · c · T + EX] Die autonome Nachfrage wirkt somit schwächer auf das BIP als zuvor. (a) Der Multiplikator sinkt. Dadurch, die marginale Konsumneigung im Nenner wird mit eins minus der Importneigung mC multipliziert (also mit einer Zahl kleiner eins). Damit ist der Ausdruck c · (1 - mC), kleiner als c. Der Nenner wird größer und dadurch sinkt der Wert des Multiplikators. (b) Der Multiplikand wird kleiner: Änderungen der autonomen Nachfrage müssen um den Importanteil korrigiert werden. Eine Erhöhung der autonomen Nachfrage (abgesehen von EX) geht daher mit einem geringeren Wert in die Bestimmung des Volkseinkommens ein. Der Multiplikator einer offenen Volkswirtschaft ist also kleiner als der einer geschlossenen. Allerdings kann man es sich für einen Sonderfall wieder einfacher machen: Der Multiplikator ist in einer offenen Volkswirtschaft ja deswegen kleiner, weil ein Teil des zusätzlichen Einkommens in die Importe geht. Bei den Nettoexporten sind die Importe aber bereits heraus gerechnet. Daher kann 13 Und importierte Vorleistungen oder Investitionsgüter? Naja, soweit die Vorleistungen in die Konsumgüterproduktion eingehen sind sie ja mit der Haushaltsnachfrage schon erfaßt. Bei importierten Investitionsgütern wären die Importe halt von der Investitionsnachfrage abzuziehen. Aber die Unterscheidung schenke ich mir. Einführung in die VWL 9 Nachfrage und Einkommen S. 165 man in diesem Sonderfall den Multiplikator der geschlossenen Volkswirtschaft verwenden: dY = [1/(1 – c)] · dNX. Eine Erhöhung der Nettoexporte verschiebt also die Y NE genau so nach oben, wie eine Erhöhung des autonomen Konsums, der Investitionen oder der Staatsnachfrage. 9.7 Saldenbeziehungen Was ist eigentlich mittlerweile, nach all den Erweiterungen, aus dem Kreislaufschema geworden? Da inzwischen mit Staat und Ausland zwei weitere Pole hinzugekommen sind, habe ich die Güter und Leistungsströme rausgeworfen, damit man überhaupt noch etwas sieht. Was übrig geblieben ist, sind die Geldflüsse und die Kredit- bzw. Finanzierungsbeziehungen. Die gestrichelten Linien stellen in der Grafik die Zahlungen dar: Pol Haushalte: Die Haushalte beziehen Lohn- und Gewinneinkommen. HH: Y = W + Q. Verteilungsgleichung (Die Haushalte beziehen zwar auch Zinseinkommen, wenn sie staatliche Wertpapiere halten. Und sie beziehen, falls ein Land Forderungen gegen das Ausland hat, Zinseinkommen aus dem Ausland. Um aber die Grafik nicht komplett zu zukleistern, lassen Sie mich die Zinszahlungen aus dem Ausland unter Exporte (von Kapitaldiensten ans Ausland) erfassen. Und die Verzinsung der Staatsschulden führt eben dazu, daß der Haushaltssektor per Saldo weniger an den Staat zu zahlen hat, weil den Steuerzahlungen der Haushalte an den Staat Zinszahlungen des Staates an die Haushalte gegenüber stehen. Ich berücksichtige das also mal einfach als niedrigeres T.14) Die Haushalte können dieses Einkommen benutzen, um entweder im Inland nachzufragen (C) zu im Ausland nachzufragen (IM), Steuern zu zahlen (T) oder Sparen: Y = C + S + T + IM Einkommensverfügung Und bei den Haushalten kann nur das Einkommen ankommen, das die Unternehmen aus ihren Verkäufen (an die Haushalte: C; an sich selbst: I, an das Ausland: EX, an den Staat: G) erlöst haben. Pol Unternehmen: Y = C + G + I + EX Nachfrage (= Einkommensverwendung) Die dünnen durchgezogenen Pfeile wiederum geben die Finanzierungsbeziehungen wieder: Das Sparen der Haushalte kann Investitionen, das Budgetdefizit oder aber die Verschuldung des Auslands finanzieren. Und jetzt kommt die Gemeinheit: Weil wir in einem Kreislaufsystem sind, muß das alles miteinander zusammenhängen. Es muß gelten (wenn Sie die Einkommensverfügungs- und -verwendungsgleichung gleichsetzen): Einkommensverfügung: C + S + T + IM = Y = C + G + I + EX Einkommensverwendung ==> S + T + IM = C + G + I + EX. oder: S = I + (G – T) + (EX – IM) 14 Falls das Semester eher fertig sein sollte als das Skript, sei hier schon mal angemerkt: Da die laufenden Zinszahlungen des Staates immer aus den laufenden Steuern erfolgen müssen, bedeutet Staatsverschuldung nicht, daß zukünftige Generationen für die heutigen Schulden bezahlen müssen, sondern sie bedeutet, daß ein Teil der zukünftigen Generation (die Steuerzahler) einem anderen Teil der zukünftigen Generation (den Erben der heutigen Staatsgläubiger) Geld zu geben hat. Die Generation als ganze betrachtet zahlt die Zinsen also an sich selbst. S. 166 9 Nachfrage und Einkommen Karl Betz Abb. 9.6: Kreislaufdiagramm einer offenen Volkswirtschaft mit Staat Also: Ersparnis der Haushalte gleich Investitionen + Budgetdefizit (Staatsausgaben minus Steuereinnahmen (G – T)) + Nettoexporte (Zunahme der Forderungen gegen das Ausland (EX – IM)). Ist ja auch irgendwie klar: S, das ist (mal abgesehen vom Eigenkapital, da halten Sie quasi Forderungen gegen sich selbst) der Zuwachs der Forderungen des Haushaltssektors. Forderungen sind aber immer Forderungen gegen irgend wen: Sie können keine Forderungen haben, wenn nicht irgend jemand anders Schulden (Verbindlichkeiten) hat. Und Ihre Forderungen können nicht wachsen, ohne daß bei jemand anderem die Schulden wachsen. Einführung in die VWL 9 Nachfrage und Einkommen S. 167 Aus der Sicht des Haushaltssektors kann dieser „irgend jemand anders“ aber nur entweder der Unternehmenssektor, der Staat oder das Ausland sein. Was passiert, wenn diese „irgend jemand Anderse“ keine Lust haben, neue Schulden aufzubauen, war Gegenstand des ganzen bisherigen Kapitels: Dann muß eben das Einkommen so stark sinken, daß den Haushalten die Lust am Sparen vergeht. Wenn das vermieden werden soll, dann hilft nur noch: 1. Entweder müssen die Investitionen steigen (bloß: warum sollten sie, wenn die Haushalte mehr sparen, also weniger nachfragen, wollen) 2. der Staat muß höhere Schulden machen oder 3. die Exportüberschüsse müssen steigen (das Ausland muß höhere Schulden machen). Das vertrackte an der derzeitigen weltwirtschaftlichen Lage ist nun, – Praktisch alle entwickelten Länder müßten ihre Staatsverschuldung senken (der Staat macht also schon mal keine Schulden), – Die Nettoexporte bieten keinen Ausweg (weil nicht alle Länder gleichzeitig mehr ex- als importieren können: Wo sollte das Zeug denn hin?) – Und in vielen Ländern (u.a. USA, Großbritannien) sind auch noch die Haushalte überschuldet, müßten also dringend sparen, um ihren Verschuldungsgrad zu reduzieren. Sicherlich: Es gibt einen Ausweg: Wenn die Investitionen anziehen, könnte man die Schulden schadensfrei im Unternehmenssektor unterbringen (als Fremdkapital, das zusätzliche Investitionen finanziert). Aber erneut: Wenn die Haushalte ihre Konsumnachfrage einschränken, weil sie sparen müssen. Wenn der Staat seine Nachfrage einschränken muß, weil er sein Defizit abbauen muß. Und wenn das Ausland per Saldo auch keine Lust hat, mehr zu kaufen als es an das Inland verkaufen kann – warum zum Teufel sollten dann die Investitionen anziehen? Bleiben drei Möglichkeiten: - Entweder muß ein niedriges Einkommen dem privaten Sektor die Lust zum Sparen austreiben. - oder die Schulden müssen auf andere Art vernichtet werden – und diese andere Art nennt sich Insolvenz. Beides keine besonders guten Aussichten fürs Wachstum ... oder schließlich: weginflationieren. Der Verschuldungsgrad ist: Schulden (gemessen in €) geteilt durch Einkommen (in €). Steigen die Preise, dann steigt das nominale Einkommen und daher sinken die Schulden in % des BIP. Allerdings sollte man sich hiervon nicht zu viel erhoffen: Steigt die Inflation, werden gleichzeitig die Zinsen steigen. Wird bei Schulden eine Refinanzierung fällig, muß diese dann zu höheren Zinssätzen erfolgen und damit ist der Effekt der Entschuldung durch Inflation wieder gestoppt. Da ein großer Teil der Schulden keine allzu lange Laufzeit hat (die Staatsverschuldung vieler Länder hat z.B. eine mittlere Laufzeit von vier Jahren) ist die Wirkung des Effekts begrenzt, wenn die Inflationsraten niedrig sind - und hohe Inflationsraten sind wieder ein Problem fürs Wachstum. Eine Möglichkeit gäbe es allerdings: Den in Abschnitt 9.4 beschriebenen Haavelmo Effekt: Steuererhöhungen, vorzugsweise auf hohe Einkommen (vgl. Exkurs 9.3) reduzieren das Defizit. und ihre dämpfende Wirkung auf die Nachfrage könnte abgeschwächt werden, in dem man einen Teil der Steuererhöhung für staatliche Nachfrage nutzt. Gegeben eine Grundhaltung der Wirtschaftspolitik. die Steuern eher senken als erhöhen will, ist es aber extrem unwahrscheinlich, daß dieser Weg eingeschlagen wird. S. 168 9 Nachfrage und Einkommen Karl Betz Fragen zum neunten Kapitel Verständnisfragen 1) Warum / durch welchen Prozeß / tendiert der Gütermarkt zum Gleichgewicht YAT = YNE? 2) Warum liegt die marginale Konsumquote zwischen Null und Eins? 3) Leiten Sie den einfachen Multiplikator her. 4) Wie läuft der Multiplikatorprozeß ab? 5) Kann es im keynesianischen Modell unfreiwillige Arbeitslosigkeit geben? 6) Was verstehen Sie unter dem Haavelmo-Effekt? 7) Welche Größe gleicht im keynesianischen Modell I und S aus? Welche im neoklassischen? 8) Ist das Gleichgewicht im keynesianischen Modell ein Gleichgewicht in effektiven oder in notionalen Plänen? Argumentieren Sie. Anwendungen 1) Warum kann in einer Tauschwirtschaft die (geplante) aggregierte Nachfrage nicht niedriger sein als das aggregierte Angebot? Warum ist das in einer Geldwirtschaft aber sehr wohl denkbar? Bitte argumentieren Sie verbal. 2) Erläutern Sie das Sparpardoxon verbal und graphisch. 3) In einer Ökonomie (geschlossene Volkswirtschaft ohne Staat) sei die marginale Konsumneigung 0,75, der autonome Konsum sei 60 und die Investitionen 40. a) Bitte leiten Sie den Multiplikator allgemein her. b) Wie hoch ist das Einkommen? c) Angenommen das Arbeitsangebot in dieser Ökonomie ist 30 und die Arbeitsproduktivität betrage 20. Wie hoch sind Beschäftigung und Arbeitslosigkeit? Einführung in die VWL 9 Nachfrage und Einkommen S. 169 4) Für die folgenden Teilaufgaben gelte: die Arbeitsproduktivität ist 10 und das Arbeitsangebot ist: AAT = 5 + 3 · (w/p) a) Die Ökonomie funktioniert neoklassisch und die (notionale) Arbeitsnachfragefunktion lautet ANE = 20 - 2 · (w/p). Wie hoch sind Reallohnsatz, Beschäftigung und BIP? Wie hoch ist die Lohnsumme W? Wie hoch sind die Gewinne Q? b) Die Ökonomie funktioniere keynesianisch. Die marginale Konsumneigung sei 0,8, der autonome Konsum sei 15 und die Investitionen sind 10. a) Wie hoch ist das BIP und die Beschäftigung? b) Welchen Reallohnsatz müssen die Unternehmen mindestens zahlen? Welchen können sie höchsten zahlen? Warum? c) Nehmen Sie an, der Gleichgewichtslohnsatz aus Teilfrage a) habe sich eingestellt. Wie hoch ist die unfreiwillige Arbeitslosigkeit? d) Was würde sich, im Vergleich zu Teilfrage c) ändern, wenn die Arbeiter bereit wären, ihre Reallöhne zu senken (und dies auch gelänge)? 5) Die Konsolidierung der Staatsverschuldung (der Abbau der jährlichen Neuverschuldung) seht nach der großen Rezession hoch auf der Agenda der meisten OECD Staaten. Vor dem Hintergrund eines nachfrageorientierten Modells: Würden Sie eher empfehlen, die Steuern zu erhöhen oder die Staatsausgaben abzubauen? Argumentieren Sie verbal und graphisch oder algebraisch. 6) Robert Reich argumentiert, daß die steigende Einkommensungleichheit in den USA nicht nur zur Krise geführt habe, sondern auch permanent die Wachstumsaussichten eintrübe. Können Sie dem Argument (aus keynesianischer Sicht) folgen? Argumentieren Sie verbal und graphisch oder algebraisch. 7) a) Angenommen die Investitionen sind gegeben und in einer Volkswirtschaft soll die Staatsverschuldung abgebaut werden und die Haushalte wollen ebenfalls ihre Verschuldung reduzieren. Wie kann das saldenmechanisch aufgehen? b) Derzeit stehen praktisch alle entwickelten Ökonomien vor der gleichen Aufgabe: Staaten und Haushalte müssen ihre Verschuldung abbauen. Kann das funktionieren? Exkurse zum neunten Kapitel Exkurs 9.1 Übersicht Multiplikatoren Hinweis: Für die Klausur müssen Sie nicht den ganzen Ramsch auswendig lernen. Es genügt. wenn Sie – den einfachen Multiplikator herleiten können und damit zeigen, daß Sie das Prinzip S. 170 9 Nachfrage und Einkommen Karl Betz verstanden haben. – und über den Zusammenhang Multiplikator mal autonome Nachfrage das Volkseinkommen (bzw., bei Änderungen der autonomen Nachfrage: die Änderung des Volkseinkommens) bestimmen können. Falls für eine Frage mal eine andere Formel notwendig sein sollte, würde sie in der Aufgabenstellung angegeben werden. Tab. 9.1: Übersicht Multiplikatoren Grundform: dY = Investitionsmultiplikator Multiplikator mal Multiplikand (= autonome Nachfrage(änderung)) 1/(1-c) oder (1/s) dI Staatsausgabenmultiplikator “ dG Steuermultiplikator “ - c · dT Transfermultiplikator “ c · dTr Außenhandelsmultiplikator “ d NX Einkommensabhängige Steuern 1/[1 – c · (1 -t)] wie oben offene Volkswirtschaft; Kopfsteuern 1/[1 – c · (1-mC)] (1-mC) dCo) + (1-mI) · dI + ... Ferner: dEX offene Volkswirtschaft: vom Einkommen abhängige Steuern 1/[1 – c · (1-mC) · (1 - t)] wie oben. Ferner: dNX Exkurs 9.2 Vom Einkommen abhängige Steuern Der Staat erhebe einen festen prozentualen Steuersatz (t = tax rate) vom Einkommen. t = 0,2 bedeutet, daß bei einem Einkommen von 2000 € eine Steuerzahlung von 400 € fällig ist. Damit ist das verfügbare Einkommen (das Nettoeinkommen) gleich dem Bruttoeinkommen mal (1 – t). Damit modifiziert sich das Modell wie folgt: (1) Y = C + I + G (2) C = Co + c · YVerf (3) YVerf = Y (1 – t) (3) in (2) ergibt: (4) C = Co + c · Y (1 – t) Und (4) eingesetzt in (1) liefert als neues Gleichgewicht: Y = {1/[(1 – c · (1 – t )]} · (Co + I + G) An der autonomen Nachfrage ändert sich nichts. Aber der der Multiplikator selbst ändert sich. Einführung in die VWL 9 Nachfrage und Einkommen S. 171 Da (1 – t) zwischen 0 und 1 liegt, ist c mal (1 – t) kleiner als als c. Der Nenner ist also größer als beim einfachen Multiplikator und damit ist der Wert des Multiplikators bei Steuern, die vom Einkommen abhängen, niedriger. Wenn man also die Staatsausgaben anhebt, steigt das Volkseinkommen bei Steuern, die vom Einkommen abhängen, um weniger, als bei Kopfsteuern. Sie brauchen deswegen aber nicht alles, was Sie sich in 9.4 gemerkt haben, wieder zu vergessen. Der Effekt liegt im Prinzip an folgendem: Wenn man jetzt die Staatsausgaben erhöht, steigen eben gleichzeitig die Steuereinnahmen – der Staat spart auf einmal (die zusätzlichen Steuereinnahmen) und daher führt die Staatsausgabenerhöhung zu einem geringeren Einkommenszuwachs aber auch zugleich zu einem geringeren Defizit. Um bei Einkommens abhängigen Steuern den gleichen Effekt auf Y zu erzielen, müssen Sie Ihre Staatsausgaben eben so erhöhen, daß das gleiche Defizit entsteht, wie dies bei Kopfsteuern der Fall wäre (also wenn das Steueraufkommen nicht steigen würde). Das heißt: Sie müssen die zusätzlich anfallenden Steuereinnahmen gleich wieder ausgeben. Tun Sie dies, dann neutralisieren Sie den dämpfenden Effekt gerade und Sie landen wieder beim gleichen Multiplikator wie in 9.4: d Y = [1/(1-c)] · d(G – T) Sprich: Man kann bei einkommensabhängigen Steuern locker mit den gleichen Multiplikatoren wie in 9.4 arbeiten; Man muß dann halt nur das komplette Defizit und nicht nur die Staatsnachfrage variieren. Exkurs 9.3 Einkommensverteilung, Multiplikator und BIP Änderungen der Konsumneigung (oder, was auf das Gleiche hinauskommt, der marginalen Sparneigung), so wurde in 9.1.2.1 gezeigt, verändert die Höhe des Multiplikators und daher, gegeben die einkommensunabhängige Nachfrage, das Volkseinkommen. Nehmen Sie an, die autonome Nachfrage betrage 100. Dann führt (beim elementaren Multiplikator) eine marginale Konsumneigung von 0,5 auf ein Einkommen von 200 und eine von 0,8 auf ein Einkommen von 500. Bei einer höheren marginalen Konsumneigung ist also ein höheres Volkseinkommen möglich. Gibt es Möglichkeiten, die marginale Konsumneigung zu beeinflussen? Nun, man könnte sagen: Eine haben Sie bereits kennen gelernt: den Haavelmo-Effekt. Der Staat gibt alles Steuereinkommen aus. Also hat er eine „marginale Konsumneigung“15 von 1. Die Steuern erhebt er bei den Haushalten mit einer marginalen Konsumneigung kleiner eins, Das Einkommen steigt, weil er mehr von diesem Geld ausgibt, als die Haushalte ausgegeben hätten. Eine höhere Staatsquote bedeutet also, daß die Ökonomie insgesamt eine höhere Quote ihres Einkommens verknuspert – also eine höhere Konsumneigung aufweist. Ein weiterer wichtiger Einflußfaktor, der Gegenstand dieses Anhangs sein soll, ist die Einkommensverteilung. Das Volkseinkommen ist die Summe aus Löhnen (W – Wages) und Gewinnen (Q – Quasirents). Y=W+Q Teilt man die beiden Seiten der Gleichung durch Y, so läßt sich die Einkommensverteilung auch beschreiben über die Anteile der Löhne und Gewinne am Volkseinkommen: 15 Bitte nehmen Sie das nur allegorísch. Es ist formal falsch, dem Staat oder, allgemeiner, einer Institution „Neigungen“ zu zu schreiben. Aber diese Einschränkung ändert nichts am Effekt. S. 172 Y = W + Q ==> 1 = 9 Nachfrage und Einkommen Karl Betz Q W Y Y Ich schreibe jetzt mal die Nachfragen der Bezieher von Gewinn- und Lohneinkommen getrennt an. wobei die Indices Q und W daran erinnern sollen, um wen es gerade geht: CQ = C0,Q + cQ · (Q/Y) · Y CW = C0,W + cW · (W/Y) · Y = C0,W + cW · [1 - (Q/Y)] · Y Der letzte Term bedarf vielleicht noch der Erläuterung: Die Gewinneinkommensbezieher fragen aus ihrem Einkommen nach – also aus dem Gewinneinkommen Q. Das aber ist gleich dem Volkseinkommen mal dem Anteil der Gewinne an Y ( Q = (Q/Y) ·Y). Das Gleiche gilt für die Lohneinkommen. Weil die beiden Anteile sich zu eins ergänzen, kann man statt W/Y auch schreiben: 1 – Q/Y. Faßt man die beiden Gleichungen nun wieder zur gesamten Konsumnachfrage zusammen, so erhält man: C = C0,Q + C0,W + {cQ · (Q/Y) + cW · [1 - (Q/Y)]} · Y Verglichen mit der einfachen Konsumnachfragegleichung ergeben die ersten beiden Summanden den autonomen Konsum und der Klammerausdruck liefert die gesamtwirtschaftliche marginale Konsumneigung. Es ist also: c = cQ · (Q/Y) + cW · [1 – (Q/Y)]] Die marginale Konsumneigung in der Ökonomie wird damit umso näher an der marginalen Konsumneigung der Gewinneinkommensbezieher liegen, je höher der Anteil der Gewinne am Volkseinkommen ist – und sie wird umso näher an der der Lohneinkommensbezieher liegen, je niedriger der Anteil der Gewinne am Volkseinkommen ist. Nehmen Sie nun an, die marginale Konsumneigung aus niedrigen Einkommen sei höher als die aus hohen Einkommen. Und Gewinneinkommen gehen in aller Regel an die Bezieher hoher Einkommen, wie Sie leicht verifizieren können, wenn Sie sich einmal den Anteil der reichen Haushalte am Aktien- und sonstigen Finanzvermögen ansehen. (Ich gebe Ihnen die Anteile für die USA, weil ich die gerade bei der Hand habe. Die für die BRD ist in der Tendenz auch nicht anders.) Aus diesen Überlegungen folgt, daß die marginale Konsumquote der Ökonomie umso höher ist, je höher der Anteil der Löhne am Volkseinkommen ist. Eine gleichmäßigere Einkommensverteilung erlaubt also eine höhere Nachfrage und daher ein höheres Volkseinkommen. Einführung in die VWL 9 Nachfrage und Einkommen S. 173 Vermögensverteilung in den USA : Quelle: Wealth, Income, and Power. By G. William Domhoff Wie Sie der Grafik entnehmen können, gehörten im Jahr 2007 dem reichsten Prozent der Einwohner der USA 62% aller Aktien und 61% aller Finanzanlagen. Zum Ausgleich hatten dafür die 90% ärmsten Einwohner 73% der Schulden. Exkurs 9.4: Y oder d Y? Praktisch hat die keynesianische Theorie nur als Konjunkturtheorie überlebt: Der Multiplikator beschreibt, was bei einem plötzlichen Einbruch der Nachfrage passiert. Mittel- bis langfristig bringen flexible Preise das aber wieder in Ordnung und dann ist man zurück im (neoklassischen Vollbeschäftigungs-) Gleichgewicht. Machen Sie sich aber bitte klar, daß das Modell selbst eine solche Interpretation nicht nahe legt: Es liefert über Y = µ · aut ebenso das Volkseinkommen, wie es über S. 174 9 Nachfrage und Einkommen Karl Betz dY = µ · d aut Änderungen auf Grund von Nachfrageschocks beschreiben kann.16 Tatsächlich ist zumindest bei Keynes selbst die Interpretation als Konjunkturmodell gründlich daneben. Wie oben gezeigt, liegen bei Keynes Abweichungen vom Gleichgewicht gerade nicht auf der 45°-Geraden. Konjunkturphänomene spielen sich bei ihm (in „Vom Gelde“) links oder rechts vom Gleichgewichtslokus ab. Und der Preismechanismus, der neoklassisch zurück zur Vollbeschäftigung führt, der Ausgleich von Investitions- und Sparplänen über den Zinssatz, wird von Keynes gerade bestritten. Im nächsten Kapitel werde ich ein Modell vorstellen, das es erlaubt, beide Ansätze – Keynes und die Neoklassik – im gleichen formalen Rahmen zu diskutieren. Welche der beiden Varianten Sie für plausibler halten ist Ihnen überlassen - ich vergebe keine Gesinnungsnoten. Allerdings müssen Sie, wenn Sie argumentieren, schon konsistent im gleichen Modell bleiben: Unterstellen, die Ökonomie wachse nach der Logik der neoklassischen Theorie und gleichzeitig unterstellen, wir hätten seit Jahrzehnten unfreiwillige Arbeitslosigkeit geht logisch nicht zusammen. 16 Einverstanden: Die lineare Konsumfunktion kann natürlich nur als lineare Approximation einer komplizierteren Funktion verstanden werden, die daher nur in einem engen Bereich um das beobachtete Einkommensniveau zutreffen wird. Aber das war bei den Nachfrage- und Angebotskurven im Mikroteil auch nicht anders und hat da auch niemanden gestört. Jau, wenn große Einkommensänderungen betrachtet werden, wird c = c(Y) statt einer konstanten marginalen Konsumquote unterstellt werden müssen. Na und? Einführung in die VWL 10 IS-MP S. 175 10 Das IS-MP-Modell Lernziele: Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals Auch der Zinssatz beeinflußt die Nachfrage: Die IS-Kurve Multiplikator und Verschiebung der IS-Kurve Geldpolitik und MP-Kurve: Taylor-Regel; NAIRU-Gleichgewicht IS-MP-Gleichgewicht: Simultane Bestimmung von Zinssatz und Einkommen. Komparative Statik im IS-MP-Modell Neoklassische Schließung: Geldpolitik kann Vollbeschäftigungszinssatz setzen. Probleme der neoklassischen Schließung: Liquiditätsfalle und Nachfragemangel Keynesianische Schließung: Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung Bisher war die Nachfrage als nur vom Einkommen abhängig modelliert worden. Mit dem ISMP-Modell wird ein zweiter Einflußfaktor zugelassen: Nicht nur das Einkommen sondern auch der Zinssatz wirkt auf die Nachfrage. Eigentlich kannten ist dieser Einfluß auf die Nachfrage schon in Kapitel 6 thematisiert worden: Die Bereitschaft zu sparen war dort vom Zinssatz abhängig. Aber eben einzig vom Zinssatz, weil dort das Einkommen (auf Grund der Vollbeschäftigungsannahme: das Vollbeschäftigungseinkommen) schon fest stand, bevor die Sparentscheidung getroffen wurde. Das Neue an Keynes war, daß auch das Einkommen auf die Nachfrage (und daher: auf das Sparen) wirkte und daß das Einkommen dadurch endogen bestimmt wurde. Wichtig hieran ist, daß auch das Einkommen variabel ist, nicht etwa, daß nur das Einkommen variabel ist. Weil dies der neue Effekt war, war es sinnvoll, sich in Kapitel 9 erstmal auf diesen zu konzentrieren. In diesem Kapitel wird nun der Zinssatz als Einflußfaktor auf die Nachfrage wieder in das Modell zurück geholt. Dies geschieht in Abschnitt 10.1. Allerdings muß dann erklärt werden, wie sich der Zinssatz eigentlich bestimmt. Das tut Abschnitt 10.2 mit der MP-Kurve. Da die Geldpolitik eine entscheidende Einflußgröße für das Zinsniveau ist (MP steht für monetary policy), wird sie bereits in diesem Abschnitt (und nicht erst im Kapitel zur Wirtschaftspolitik) zu diskutieren sein. In Abschnitt 10.3 geht es dann darum, wie im IS-MP-Modell der gleichgewichtige Zinssatz und das gleichgewichtige Einkommen gleichzeitig bestimmt werden. In fast allen anderen Lehrbüchern werden Sie an dieser Stelle ein anderes Modell finden, das ISLM-Modell. Dieses hat mit dem IS-MP-Modell (wie die Namen schon sagen) die IS-Kurve, also die zinselastische Nachfrage, gemein. Es arbeitet aber mit einer exogen vorgegebenen Geldmenge. Und wie in Kapitel 8 gezeigt wurde, ist die Geldmenge keineswegs exogen sondern endogen. Daher wird hier dem Vorschlag von Romer (Romer 2000; Romer 1999 (2006)) gefolgt, den Zinssatz zu bestimmen und die Geldmenge sich endogen anpassen zu lassen. Damit wird das herrschende ASAD-Modell, das z.B. bei Mankiw den Kern der Makroökonomie ausmacht, obsolet. Ein weiterer Vorteil des IS-MP-Modells gegenüber IS-LM besteht darin, daß sowohl die Geldpolitik (MP-Kurve) als auch die IS-Kurve den realen Zinssatz als Argument haben. Im IS-LM- S. 176 10 IS-MP Karl Betz Modell ist demgegenüber für die IS-Kurve der reale und für die LM-Kurve der nominale Zinssatz wichtig, so da das Modell eigentlich nur unter der Zusatzannahme funktioniert, daß die Inflationsrate Null ist. Das Modell hat aber noch einen weiteren Vorteil - und den sieht Romer nicht: Es erlaubt den Vergleich zwischen einer keynesianischen und einer neoklassischen Schließung. Gegen Ende des Kapitels werden Sie sehen, daß dieses Modell, je nach dem, welche Annahmen Sie über die Zinsbestimmung treffen, es erlaubt, sowohl ein (neoklassisches) Vollbeschäftigungsgleichgewicht als auch ein keynesianisches Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung zu diskutieren. Als Wasserscheide zwischen den Theorien wird die Antwort auf die Frage identifiziert werden, ob es in der Macht der Zentralbank steht, immer den Zinssatz durchzusetzen, der zu Vollbeschäftigung führt. Dabei wird eine kleine Erweiterung des Romer-Modells im Exkurs zeigen, daß die neoklassische Lösung nur einen Sonderfall darstellt - sie ist nur dann möglich, wenn die Akteure auch das komplette Einkommen bei Vollbeschäftigung zur Nachfrage verwenden wollen. Andernfalls hat das Modell entweder überhaupt kein Gleichgewicht. Oder das Zinsniveau (die Lage der MP-Kurve) muß anderweitig - z.B. über die Vermögensmärkte - bestimmt werden, so daß man in einem Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung landet. 10.1 Zinselastische Nachfrage: Die IS-Kurve Die übliche Motivation für eine zinselastische Nachfragekurve argumentiert mit der Kurve der „Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals“. Das Argument läuft wie folgt: Zu jedem Zeitpunkt gibt es Unternehmen, die eine Reihe von möglichen Investitionsprojekten in der Schublade haben. Wie Sie aus Investition und Finanzierung wissen, kann ich, wenn ich erwarteten zukünftigen Erträge (K t) und die gegenwärtigen Kosten der Projekte (K0) kenne, deren internen Zinssatz (oder: deren erwartete Ertragsrate) bestimmen. Angenommen, von einem Projekt werde erwartet, daß es einen einmaligen Erlös von 1200 in zwei Jahren (Kt) liefern wird und es durchzuführen koste heute 1000 (K 0). Dann ist die erwartete Ertragsrate (rE) des Projekts: K0 = (Kt) / (1 + rE)2 <==> (1+rE)2 = Kt/K0 <==> rE = 2 Kt –1 Ko Für die Werte aus dem Beispiel wäre die erwartete Ertragsrate: rE ≈ 9,54% Ich lasse mal für einen Augenblick Unsicherheit außer acht (oder unterstelle, daß ein Abschlag dafür in die angesetzten Rückflüsse einkalkuliert war). Dann bedeutet dieses Ergebnis, daß das Projekt bei Refinanzierungskosten von 9% durchgeführt würde, bei Refinanzierungskosten von 10 % hingegen nicht.1 In einer Volkswirtschaft wird es nun eine ganze Reihe von solchen Schubladen-Projekten geben, von denen jedes einen anderen internen Zinsfuß aufweist. Läßt man jetzt den Marktzinssatz in Gedanken sinken, dann wird ein Projekt nach dem anderen rentabel und durchgeführt werden. Mit abnehmendem Marktzinssatz wird also das Investitionsvolumen ansteigen, weil immer mehr Projekte rentabel werden und in Angriff genommen werden. Ich unterstelle mal, daß die erwarteten 1 Diese Sichtweise ist noch etwas zu simplizistisch, um für eine Prognose zu taugen: Es kommt hier auch auf die Erwartungen zur Zinsentwicklung an. Wenn Sie erwarten, daß die Kreditzinsen weiter sinken, sind auch 9% kein attraktives Angebot. Sinkende Zinssätze könnten daher (im Unterschied zu niedrigen Zinssätzen), durchaus zum Aufschieben von Investitionsnachfrage führen, wenn sie die Erwartung noch weiter sinkender Zinssätze hervorrufen. Einführung in die VWL 10 IS-MP S. 177 Zinssätze der Projekte und das zugehörige Investitionsvolumen in der nachfolgenden Kurve (der „Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals“) abgetragen seien: Abb. 10.1: Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals Nach den Erwartungen, die dieser Kurve zu Grunde liegen, wären bei einem Zinssatz von 10% Investitionsprojekte mit einem Volumen von rund 600 profitabel, bei einem Zinssatz von 5% werden weitere Projekte (mit einem Volumen von 300) attraktiv, so daß nun Projekte mit einem Volumen von rund 900 realisiert werden können. Bei einem niedrigeren Zinsniveau ist damit die (Investitions-)Nachfrage höher als bei einem höheren.2 Setzen Sie diese Überlegung nun in Diagramm 10.2 ein: Das obere Diagramm in Abbildung 10.2 ist das aus Kapitel 9 bekannte Einkommen-Ausgaben2 Es mag sein, daß die Investitionen langfristig gar nicht so stark auf den Zinssatz reagieren – das mag eher konjunkturell relevant sein als daß es langfristig wichtig ist: Vorziehen oder Aufschieben von Investitionsnachfrage. Denn wenn man erwartet, nicht mehr verkaufen zu können, wird man zu keinem (positiven) Zinssatz mehr investieren. Und, wie in Kapitel 5 gezeigt: Ein höherer Zinssatz würde in gesamtwirtschaftlicher Betrachtung zu niedrigeren Reallohnsätzen führen. Damit werden die (erwarteten) Ertragsraten der Investitionsprojekte endogen und können nicht einfach so exogen vorgegeben werden. Aber erstens zählen Wohnungsbauinvestitionen in der VGR ebenfalls zur Investitionsnachfrage – und privater Wohnungsbau ist bei gegebenem Einkommen bestimmt zinsabhängig – und zweitens erledigt eine zinselastische Konsumnachfrage den Job genau so gut. Eine solche unter stellt z.B. die neoklassische Sparfunktion und in Anhang 9.3 zum letzten Kapitel wurde gezeigt, daß sich ein Effekt in die gleiche Richtung auf die marginale Konsumquote einstellen sollte, wenn man ein dauerhaft niedrigeres Zinsniveau erreicht (weil dann die Lohnquote und daher die marginale Konsumquote steigen sollte). Obwohl die Begründung einer zinselastischen Nachfrage über die Investitionsnachfrage daher Einwänden ausgesetzt sein kann, schadet es nicht, bei der üblichen Darstellung der Lehrbücher zu bleiben und im Hinterkopf zu behalten, daß sich die (positive) Zinselastizität der Nachfrage notfalls auch anders begründen läßt. S. 178 10 IS-MP Karl Betz Modell. Hier ist das Niveau der autonomen Nachfrage3 nun unterschiedlich: für einen Zinssatz von 10% beläuft sie sich auf (Co + G + NX) + 600 und für einen Zinssatz von 5% auf (Co + G + NX) + 900. (Im Diagramm habe ich (Co + G + NX) = 0 unterstellt, damit der Platz nicht zu eng wird.) Abb. 10.2: Die Herleitung der IS-Kurve Das bedeutet, daß man es im Einkommen-Ausgaben-Modell mit zwei unterschiedlichen Nachfragekurve zu tun hat: Eine Änderung des Zinssatzes verschiebt die Kurve und daher führen unterschiedliche Zinssätze auf unterschiedliche gleichgewichtige Einkommensniveaus: Beträgt der 3 Zur Sicherheit sei nochmal daran erinnert: „autonom“ heißt nicht exogen, unerklärt, sondern nur: nicht vom Einkommen abhängige Nachfrage. Der Teil der Nachfrage, der durch den Zinssatz – und nicht durch das Einkommen – erklärt wird, gehört daher zur autonomen Nachfrage. Einführung in die VWL 10 IS-MP S. 179 Zinssatz 10%, so stellt sich das niedrigere, beträgt er 5%, so stellt sich das höhere Einkommen ein. Wenn der Zinssatz von 10% auf 5% fällt, dann steigen die Investitionen um 300, also steigt Y um Multiplikator mal 300. Im unteren Diagramm wird der Zusammenhang zwischen Einkommen und Zinssatz explizit gemacht: Bei einem Zinssatz von 10% beträgt das Einkommen Y 10, und bei einem Zinssatz von 5% beträgt es Y5. Die Kurve, die sich ergibt, wenn man alle denkbaren gleichgewichtigen ZinsEinkommens-Kombinationen abträgt, nennt sich IS-Kurve. Es ist die Kurve aller Gütermarktgleichgewichte bei unterschiedlichen Zinssätzen. Und sie heißt IS-Kurve, weil in diesen Gütermarktgleichgewichten eben Investitionen (I) und Sparen (S) gleich groß sind. (Machen Sie sich klar: Daß das so ist, ist sichergestellt, weil hinter ihr ja ein GütermarktGleichgewicht steht, weil der Gütermarkt im Schnittpunkt von 45°-Kurve und Nachfragekurve ist. Das heißt aber: Es gilt: S = I (+NX, im Falle der offenen Volkswirtschaft.)) Beachten Sie bitte, daß die IS-Kurve aus den Werten des Einkommen-Ausgaben-Modells abgeleitet wurde. Alles über das Einkommen-Ausgaben-Modell gesagte bleibt daher erhalten. In Sonderheit ändert sich auch nichts an den Multiplikatoren. Die einzige Änderung gegenüber Kapitel 9 besteht darin, daß diese jetzt nicht mehr direkt das Einkommen liefern, sondern nur die Lage (bzw. die Verschiebung) der IS-Kurve bestimmen. Algebraisch habe ich, um die IS-Kurve zu erhalten, nicht mehr gemacht, als das EinkommenAusgaben-Modell um eine zinselastische Investitionsnachfrage ergänzt: Bisheriges Einkommen-Ausgaben-Modell (bei Kopfsteuern und exogenen Nettoexporten) : (1) Y = C + I + G + NX (2) C = Co + c · YVerf (3) YVerf = Y – T (4) G = Go (5) NX = NXo Was jetzt hinzu kommt, ist, daß die Annahme exogener Investitionen durch eine zinsabhängige Investitionsnachfrage ersetzt wird: (6) I = Io – b · r Die Investitionen hängen also ab von einem unerklärten Teil (in dem könnten z.B. Ersatzinvestitionen stecken oder die erwartete Absatzentwicklung) und dem Realzinssatz - wobei ein höherer Realzinssatz eine geringere Investitionsnachfrage hervorruft. Um alles wieder zusammen zu wurschteln: (3) in (2) ergibt: (7) C = Co + c · (Y - T) Und wenn man in Gleichung (1) Gleichung (7) für C einsetzt, Gleichung (6) für I sowie (4) und (5) für G und NX einsetzt, erhält man: (8) Y = Co + c · (Y – T) + Go + Io – b · r + NXo Aufgelöst nach Y und ein wenig umsortiert folgt die Gleichung der IS-Kurve: (9) IS: Y = [1/(1 – c )] · [(Co + I + Go - c · T + NX) – b·r] Multiplikator mal [exogene autonome Nachfrage plus zinsabhängige Nachfrage] Wie schon bemerkt, ist nicht zwingend allein die Investitionsnachfrage zinsabhängig – wenn Sie S. 180 10 IS-MP Karl Betz sich daran erinnern, wie viele Firmen in der letzten Krise mit günstigen Finanzierungsbedingungen geworben haben (Autowerbung, 0%-Finanzierung bei Metro ...), dann sollte man vermuten, daß sie auch die Konsumnachfrage für zinsabhängig gehalten haben. Aber warum noch einen weiteren Buchstaben in die IS-Kurve einführen, wenn der Effekt schon über die zinsabhängige Investitionsnachfrage eingefangen ist? (Klar, bei empirischen Prognosen müßte man sich das schon ansehen, aber hier kenne ich die Parameter und die Funktionen ja eh nicht und Analyse ist nur qualitativ.) Die Konstante (Io) ist zunächst einfach mal wieder der Tatsache geschuldet, daß ich, um die Sache einfach zu halten, mit linearen Funktionen arbeite. Die Auswirkung einer Zinsänderung auf das Einkommen ist folglich: dY/dr = Multiplikator · (- b) <==> d Y = Multiplikator · (- b) · dr Andererseits könnte man Io und Co aber auch inhaltliche Interpretationen geben: Co könnte als Konsumklima interpretiert werden - Sie haben vielleicht schon mal vom "Konsumklimaindex" gehört, der die Ausgabenbereitschaft der Konsumenten mißt? In Co könnte man seine Änderung thematisieren. Io könnte als Investitionsbereitschaft (bei Joan Robinson und Kaldor: "animal spirits") interpretiert werden: Ein höheres Vertrauen in die zukünftige Konjunkturentwicklung (und damit die zukünftigen Absatzchancen für die eigenen Produkte) erhöht die Bereitschaft zur Investition. Dadurch verschiebt sich die Kurve der Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals. (Es gibt zwar keinen Investitionsklimaindex, aber einen Index der Auftragseingänge oder z.B. den Ifo-Geschäftsklimaindex) Eine Veränderung einer der beiden oder beider Größen würde dann im Modell durch eine Verschiebung der IS-Kurve widergespiegelt - nach links, wenn die Bereitschaft gesunken ist, nach rechts, wenn sie gestiegen ist. 10.2 Geld, Banken und Zinsen: Die MP-Kurve Was jetzt fehlt, ist eine weitere Kurve, die irgendwie eine Zusammenhang zwischen Zinssätzen und Einkommen liefert – und wie Sie sich denken können: Es wäre gut, wenn die Kurve nicht gerade fallend verläuft. Um einen ersten Eindruck zu bekommen, folge ich hier mal dem einfachsten Vorschlag von Romer. Später arbeite ich dann die Komplikationen ab, die sich dabei ergeben und diskutiere die Einflußfaktoren auf Lage und Verlauf der Kurve etwas ausführlicher. 10.2.1 Die Grundidee In Kapitel 8 haben Sie gelernt, daß Geld durch Kredit entsteht. Da die Banken sich bei der Notenbank refinanzieren können, ist der Refinanzierungszinssatz (der Leitzins) der Notenbank (rZB) identisch mit den marginalen Refinanzierungskosten der Banken. Diesen Zins muß ein Kredit also schon mal auf jeden Fall abwerfen, damit die Banken den Kredit vergeben. Abgesehen davon haben die Banken aber auch noch Kosten der Kreditvergabe (z.B. Kreditwürdigkeitsprüfung), sie tragen ein Kreditausfallrisiko und sie tragen ein Zinsänderungsrisiko: Der Großteil der Refinanzierung bei der Notenbank erfolgt kurzfristig (für ein bis zwei Wochen) und Investitionen müssen langfristig refinanziert werden. Wenn die Bank einen Kredit für 5 Jahre vergeben hat und der Notenbankzinssatz nach einem halben Jahr von 1% auf 5% ansteigt, weil sich inzwischen die Konjunktur wieder stabilisiert hat, sähe die Bank ziemlich alt aus, Einführung in die VWL 10 IS-MP S. 181 wenn sie den Investitionskredit zu 1% vergeben hätte. Ich nehme für den einfachsten Fall mal an, die Banken schlügen eine konstante Marge (z) auf den Zinssatz der Notenbank auf, wenn sie einen Kredit vergeben. Dann ist das Zinsniveau: r = rZB + z und die Notenbank kann, über die Veränderung ihres Leitzinssatzes, das Zinsniveau festlegen. Deswegen MP-Kurve: von der Geldpolitik (Monetary-Policy) festgelegter Zinssatz. Bringt man diese Idee mit dem IS-Modell zusammen, dann hat man die Grundidee: In dem sie das Zinsniveau festlegt, bestimmt die Geldpolitik die Höhe des Volkseinkommens. Abb. 10.3: IS-MP: Der einfachste Fall Zugegeben, der * bei r* ist reichlich geprahlt. Bisher habe ich den (realen) Zinssatz ja einfach nur exogen vorgegeben, statt die MP-Kurve herzuleiten. Und ob r ZB ein realer oder ein nominaler Zinssatz ist, muß auch erst noch geklärt werden. (z hingegen stellt kein Problem dar: falls r ZB ein realer Zinssatz ist, wurde die Inflationsrate ja schon dort abgezogen.) Über die damit verbundenen Fragen mache ich mich gleich her. Aber lassen Sie mich erst mal festhalten: Gegeben die MPKurve sind das gleichgewichtige Zinsniveau und das gleichgewichtige Volkseinkommen bestimmt. S. 182 10 IS-MP Karl Betz 10.2.2 Lage und Verlauf der MP-Kurve Ich bleibe hier erst einmal bei der Motivation, die Romer selbst gibt. In späteren Abschnitten wird auf diese Aspekte aber noch etwas einzugehen sein. Wie sich in empirischen Untersuchungen gezeigt hat, läßt sich die Zinspolitik der Notenbank über zwei Einflußfaktoren beschreiben: Die Notenbank erhöht den Refinanzierungssatz, wenn die Inflationsrate höher als ihre Zielinflationsrate (πT) ist (mit T für target) und sie senkt ihn, wenn sie darunter liegt. Und die Zentralbank erhöht ihren Zinssatz wenn die Volkswirtschaft zu überhitzen droht (wenn also das Einkommen über ihrem Zielwert liegt) und sie senkt ihn, wenn die Nachfrage einbricht (wenn also das Einkommen unter ihrem Zielwert (YT) liegt).4 Damit läßt sich, und diese Vermutung haben empirische Studien belegt, die Zinspolitik der Notenbanken beschreiben mit: rZB = rZB* + α · (Y - YT) + β · (πT - π) die sogenannte Taylor-Regel, benannt nach dem Ökonomen, der sie zuerst vorschlug. 5 Wie man sieht, können sich nationale Notenbanken z.B. darin unterscheiden, wie stark sie auf Abweichungen vom BIP- und vom Inflationsziel reagieren oder welche Zielvorgaben sie haben (die EZB z.B. definiert Preisniveaustabilität als ein π von unter, aber nahe bei 2%). π steht nicht auf einer der Achsen des r-Y-Diagramms. Eine Veränderung von (πT - π) muß daher als eine Verschiebung der MP-Kurve abgebildet werden: Steigt die laufende (oder: erwartete: Notenbanken benutzen Prognose-Modelle zur Formulierung ihrer Politik) Inflationsrate so verschiebt sich MP nach oben. Fällt sie, so verschiebt MP sich nach unten. Gegeben das Inflationsziel ist π also ein Lageparameter der MP-Kurve. Y steht auf der Abszisse. Also handelt es sich bei α um einen Steigungsparameter. Auf ein zu niedriges Y reagiert die Notenbank mit niedrigeren, auf ein zu hohes mit höheren Zinssätzen. Realer oder nominaler Notenbankzinssatz? Kurzfristig setzt die Notenbank natürlich einen nominalen Leitzinssatz. In den Beschlüssen des ESZB-Rats wird ein Leitzins von z.B. 1,5% festgesetzt. Nicht ein Leitzinssatz von Inflationsrate plus 1,5%. Langfristig muß die Notenbank aber, wenn die Inflation zu hoch ist, den Zinssatz weiter anheben, so daß die Politik sich letztlich eben doch am Realzinssatz ausrichten muß. Die MP-Kurve läßt sich daher formulieren als: MP: r = rZB + z = rZB* + α · (Y - YT) + β · (πT - π) + z Wie Sie noch sehen werden, ist z nicht ganz unwichtig, denn der Risikoaufschlag der Banken kann variieren. Da das aber hier noch nicht thematisiert werden kann, lasse ich den, um die Gleichung zu vereinfachen, erstmal weg. Es bleibt dann: MP: r = rZB* + α · (Y - YT) + β · (πT - π) 4 YT ist natürlich das Vollbeschäftigungseinkommen. Y - Y T wird daher auch als Outputlücke (outputgap) bezeichnet: Wie stark weicht die gegenwärtige Produktion von der Produktion ab, die bei Vollbeschäftigung möglich wäre. Oder wie groß ist die Lücke (der Abstand zwischen laufendem Einkommen und Vollbeschäftigungseinkommen). diese Lücke kann positiv oder negativ sein. In der Hochkonjunktur (hatte es in der BRD schon länger nicht mehr, aber in China gibt es sowas noch) fahren die Unternehmen Sonderschichten und überschreiten ihre normale Kapazitätsauslastung. Die hohe Nachfrage erlaubt steigende Preise. Umgekehrt wird in der Krise weniger hergestellt als eigentlich geplant und die Outputlücke übt einen Druck auf die Preisentwicklung aus. 5 Aus Gründen, die im weiteren Verlauf noch deutlich werden, steht in der Taylor-Regel statt Y oft auch die Arbeitslosenquote. Einführung in die VWL 10 IS-MP S. 183 Das Dilemma der Geldpolitik im Jahr 2011 Wie Sie im Jahr 2011 immer wieder den Zeitungen entnehmen können, stehen die Notenbank derzeit vor einem Problem: Einerseits ist das Wachstum in den meisten OECD-Ländern schwach, also müßten die Zinsen eigentlich weiter gesenkt werden. (Und der Finanzsektor immer noch angeschlagen, so daß die Banken keine höheren Zinssätze vertragen. aber das ist ein Politikfehler, weil die Regierungen, vor allem in Kontinentaleuropa, eine Rekapitalisierung der Banken vermeiden wollen. Denn dies würde in vielen Fällen entweder eine Verstaatlichung bedeuten, die ideologisch abgelehnt wird, oder man müßte den Bankeigentümern das Geld direkt schenken - was bei den Wählern nicht so richtige Begeisterungstürme auslösen dürfte.) Andererseits aber liegt die Inflationsrate (über steigende Rohstoffpreise) deutlich über der Zielinflationsrate, so daß der Notenbankzinssatz eigentlich erhöht werden müßte. Hier liegt also eine Situation vor, in der die Geldpolitik alleine nicht mehr weiter kommt. Abb. 10.4: Verlauf der MP-Kurve gemäß der Taylor-Regel In Abbildung 10.4 sind 2 MP-Kurven abgetragen, welche unterschiedlichen Inflationsraten entsprechen. Beide weisen eine positive Steigung auf. Die höhere MP-Kurve entspricht einer stärkeren Abweichung von der Zielinflationsrate der Notenbank (π2 > π ≥ πT) , auf die diese mit S. 184 10 IS-MP Karl Betz einem höheren Realzinssatz reagiert. Die explizite Berücksichtigung der Zinsmarge der Banken (z) schenke ich mir hier und in der Folge, um die Grafiken nicht zu überfrachten. 10.3 Das IS-MP-Gleichgewicht Nun geht ein höheres Volkseinkommen mit einem höheren Kreditvolumen einher: Um mehr zu produzieren, müssen die Unternehmen mehr Kapitalgüter einsetzen und mehr Arbeit beschäftigen. Daher benötigen sie mehr Finanzmittel, um Investitionen und Lohnzahlungen zu finanzieren. Eine Ausweitung des Kreditvolumens kann aber (bei einem gegebenen Bestand an anderen Anlageformen) nur dann ohne Inflationsgefahr gelingen, wenn die Notenbank etwas höhere Zinsen durchsetzt. Damit ist zu erwarten, daß die MP-Kurve leicht ansteigend verläuft. Also z.B.: Der Zins ist rZB + dem Zinsaufschlag der Banken: r = rZB + z Für den Rest dieses Skripts werde ich die MP-Kurve etwas weiter vereinfachen: π ist ja sowieso nur Lageparameter, also kann man den von der Inflationsrate abhängigen Teil der Taylor-Regel auch weglassen. (Sie müssen nur daran denken, daß die MP-Kurve sich verschiebt, wenn die Inflationsrate sich ändert.) Das gleiche gilt für den Risikoaufschlag der Banken. Der ist zweifellos sehr wichtig und wird gerade in Finanzkrisen zum treibenden Einfluß. Aber das sauber zu behandeln, geht über den Rahmen dieses Skripts hinaus. Auch hier: Sie müssen daran denken, daß die MP-Kurve sich verschieben wird, wenn die Banken ihren Risikoaufschlag erhöhen - und daran, daß er eine untere Grenze für die Kurve bildet, denn unter Null kann der Nominalzinssatz der Notenbank nicht fallen und daher kann r nicht unter z minus Inflationsrate fallen, egal, wie stark die Konjunktur auch einbricht. Wie oben gezeigt, muß die Zentralbank bei steigendem Kreditvolumen für einen steigenden Zins sorgen, also steigt r für ein steigendes Y: Zusammengezogen ergibt sich so als vereinfachte Gleichung der MP-Kurve: MP: r = r0 + β · Y wobei der Wert der Konstanten wieder den Einfluß der hier nicht thematisierten Faktoren, z, r*, π und π widerspiegelt. Normalerweise wird die MP-Kurve nicht linear verlaufen: Ab einem bestimmten Outputgap wird die Notenbank ihren Zinssatz auf Null fahren. Vom Ursprung bis zu diesem Y wird die MP-Kurve flach (unendlich elastisch) verlaufen und erst ab diesem Punkt wird sie ansteigen. Für die algebraische Lösung bleibe ich aber der Einfachheit halber bei einer linearen Spezifikation, während ich, wenn das Modell nur graphisch diskutiert wird, die Kurve so einzeichnen werde, wie sie nach dieser Vorüberlegung plausibel ist. T Damit bestimmt sich das Gleichgewicht des IS-MP-Modells graphisch als Schnittpunkt von IS und MP Kurve. Das Modell bestimmt also simultan den Realzinssatz sowie das Einkommen, wie in Abbildung 10.5 illustriert. . Ein wichtiger Unterschied zum neoklassischen Modell ist aber, daß hier das Einkommen, das sich im Gleichgewicht einstellt, nicht zwingend das Vollbeschäftigungseinkommen sein muß. Zwar wird YT, das Einkommensniveau, das die Notenbank für normal hält, in der neoklassischen Variante des MP-Modells das Vollbeschäftigungseinkommen sein. Es wird aber nur mit einer einigen der im Prinzip unendlich vielen möglichen MP-Kurven erreicht werden. Um dieses Einkommen zu erreichen muß die Notenbank versuchen, die MP-Kurve so lange zu verschieben (im Beispiel: Sie muß r0 so lange variieren) bis die IS-Kurve bei YT (im Vollbeschäftigungspunkt) geschnitten wird. Einführung in die VWL 10 IS-MP S. 185 Abb. 10.5: IS-MP-Gleichgewicht In Abbildung 5 sehen Sie, daß mit der IS- und der MP Kurve das Gleichgewichtseinkommen und der gleichgewichtige Realzinssatz bestimmt sind. Y* liegt hier aber unterhalb von YT. Es liegt also eine Outputlücke (Y - YT < 0) vor, es wird weniger als das Vollbeschäftigungseinkommen hergestellt. Um YT zu erreichen, müßte die Notenbank versuchen, die MP-Kurve zu verschieben (und die gestrichelte Kurve zu erreichen), Sie müßte also r0 ändern. In dem in der Graphik angedeuteten Fall geht das wohl auch, es ist ja noch Luft nach unten. Es sei hier aber nochmal darauf hingewiesen, daß auch der Zinsaufschlag der Banken in r steckt. Der Kreditzinssatz kann also durch die Notenbank nicht beliebig weit abgesenkt werden. Algebraisch wird das Gleichgewicht über das Gleichsetzen von der Gleichungen von IS und MPKurve bestimmt. Beispiel: Nehmen Sie an, eine Ökonomie weise eine autonome Konsumnachfrage von 50, eine marginale Konsumneigung von 0,5 und autonome Investitionen von 80 auf. Wenn der Zinssatz um einen Prozentpunkt steigt, mögen die Investitionen um das 200fache dessen zurückgehen. Der Staat tätigt Staatsausgaben von 30 und erhebe Kopfsteuern in gleicher Höhe. Die Nettoexporte seien exogen und gleich Null. Die Geldpolitik hält einen Realzinssatz von mindestens 2% für erforderlich (r 0). Sie reagiert außerdem auf das Einkommen, in dem sie den Zinssatz für jede Einheit von Y um 0,01 Prozentpunkte erhöht (β = 0,01). Damit ist die MP Kurve schon gegeben: S. 186 10 IS-MP Karl Betz MP: r = 2% + 0,01% · Y Die IS-Kurve muß man erst noch herleiten: Y = C + I + G + NX C = 50 + 0,5 · (YVerf) YVerf = Y - T G = T = 30 I = 80 - 200 · r NX = 0 Also: IS: Y = (1/0,5) · [50 + 30 + 80 - 15 - 200 · r] Und, für das Gleichgewicht: IS = MP Am einfachsten ist es, zunächst r in der IS-Kurve über die MP-Gleichung auszudrücken: Y* = (1/0,5) · [50 + 30 + 80 - 15 - 200 · (2%+ 0,01% · Y)] Y * = 2 · [50 + 30 + 80 - 15 - 4 - 2 · Y)] = 282 - 0,04 Y Y* · (1 + 0,04) = 282 = Y* = 271,5 Eingesetzt in die Gleichung der MP-Kurve liefert das Gleichgewichtseinkommen den Gleichgewichtszinssatz: r* = 2% + 0,01% · 271,5 = 4,715 % 10.4 Komparative Statik im IS-MP-Modell Der Unterschied zwischen dem Einkommen-Ausgaben-Modell des letzten Kapitels und dem ISMP-Modell besteht nun im wesentlichen darin, daß eine Erhöhung der autonomen Nachfrage zwar die IS-Kurve nach wie vor um Multiplikator mal autonome Nachfrage nach rechts verschiebt. Aber dieser Effekt wird von der Zinspolitik gedämpft: Weil die Notenbank eine Einkommenserhöhung nur zu steigenden Zinssätzen zulassen kann, geht zugleich die zinsabhängige Nachfrage zurück. (Dieser Rückgang muß aber schwächer sein als der ursprüngliche Multiplikatoreffekt, denn der Zins muß ja nur steigen, wenn und insofern das Einkommen ansteigt.) Grundsätzlich gibt es zwei Fälle zu unterscheiden. Verschiebung IS Die IS-Kurve verschiebt sich, wenn sich die autonome Nachfrage ändert. Nehmen sie z.B. an die Finanzkrise löst einen Einbruch in der Investitionsbereitschaft aus. Ein solcher Vorgang würde im Modell durch niedrigere autonome Investitionen abgebildet. In diesem Fall verschiebt sich die ISKurve (um Multiplikator mal dI) nach innen. Die Zinsen sinken und das BIP geht (um etwas weniger als µ · dI) zurück (weil die sinkenden Zinsen den Effekt des Nachfragerückgangs dämpfen). Abbildung 10.6. Einführung in die VWL 10 IS-MP S. 187 Der gleiche Effekt träte ein, wenn sich andere autonome Ausgaben änderten - die IS-Kurve verschiebt sich nach innen, wenn sie fallen und nach außen, wenn sie steigen. Z.B. könnte der Staat versuchen, den Nachfrage-Effekt der gesunkenen Investitionen auszugleichen, in dem er die staatliche Nachfrage erhöht. d G würde die IS-Kurve dann wieder nach rechts verschieben. Abb. 10.6. Verschiebung der IS-Kurve Eine solche Rechtsverschiebung erhöht die Zinsen (und Y). Dies wiederum dämpft die Investitionsnachfrage. Dieser Effekt wird crowding-out genannt: Die höhere staatliche Nachfrage geht (zum Teil) zu Lasten der Investitionsnachfrage. Verschiebung MP Anfang der 80er reagierte der damalige Notenbankpräsident der USA, Paul Volkerts, auf steigende Inflationsraten mit einer drastischen Anhebung der Federal Funds Rate, des Leitzinssatzes der FED. In Abbildung 10.7 sehen Sie die Federal Funds Rate, die Inflationsrate in den USA und als Näherung für den Realzinssatz. (So ganz stimmt das nicht, weil erstens die Federal Funds Rate ein Zins für sehr kurzfristige Kredite (Übernachtgeld) und die Inflationsrate eine jährliche Rate ist und zweitens das eigentlich entscheidende die erwartete Inflationsrate wäre. Aber die Richtung des Arguments stimmt schon.) S. 188 10 IS-MP Karl Betz Abb. 10.7 Inflationsrate und Geldpolitik in den USA Volkerts Recession 20 15 10 5 0 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 -5 i π r Daten: FED, OECD; Eigene Berechnungen Abb. 10.8: Volkerts Recession: Verschiebung MP Die graue Linie gibt die jährlichen Inflationsraten in den USA wieder. Die gestrichelte Linie ist der Leitzinssatz der FED. Sie sehen, daß die FED bis etwa 1980 mit ihrem Nominalzins der Inflationsrate (graue Kurve) folgte - und so den Realzinssatz (schwarze Kurve) am Geldmarkt ziemlich konstant bei nahe Null hielt. Anfang der 80iger hob Volkerts den Nominalzinssatz dann drastisch - und stärker als den Inflationsanstieg - anhob. Im Ergebnis stieg der Realzinssatz und dies Einführung in die VWL 10 IS-MP S. 189 erzwang einen Rückgang der Inflationsrate. Und des BIP. Deswegen heißt diese Periode auch Volkerts Recession, weil die Geldpolitik hier die (bis dahin) schwerste Rezession seit dem zweiten Weltkrieg einleitete, um die Inflation in den Griff zu bekommen. Im IS-MP-Diagramm bedeutet Volkerts' Maßnahme eine Verschiebung der MP-Kurve nach oben (der Realzinssatz steigt für mehrere Jahre von Null auf 5%) und daher, bei gegebener IS-Kurve, 10.5 IS-MP und Arbeitsmarkt: Zwei Schließungen Wie schon eingangs erwähnt, besteht der Charme des IS-MP-Modells darin, daß es sowohl eine neoklassische (angebotsorientierte) als eine keynesianische (nachfrageorientierte) Lösung zuläßt. Der Unterschied der beiden Schließungen besteht einfach in der Antwort auf die Frage, auf welchen Märkten der Zinssatz bestimmt wird. Beide Varianten sollen im folgenden skizziert werden. Dabei starte ich mit der üblichen, neoklassischen Lösung. Die keynesianische Lösung skizziere ich im Hauptteil nur kurz. Der Exkurs geht ausführlicher auf die Argumente gegen die angebotsorientierte Lösung ein und stellt ausführlicher einen keynesianischen Gegenvorschlag dar. Dies geschieht deswegen im Exkurs, weil diese Abschnitte nur Diskussionsbeiträge von mir sind und sie daher nicht prüfungsrelevant sein können. Zuvor aber muß das Diagramm etwas erweitert werden, um den Arbeitsmarkt einzubeziehen. Den Zusammenhang zwischen Y und A bildet wieder die die Produktionsfunktion (oder die Beschäftigungsfunktion, je nach dem in welche Richtung Sie das Diagramm lesen). Das führt auf ein Diagramm mit drei Graphen: IS-MP (r und Y), Beschäftigungsfunktion (Y und A) und Arbeitsmarkt ((w/P) und A. Um diese in eine Grafik zu bringen, muß man einen Teil der Diagramme spiegeln: Die Produktionsfunktion an der Abszisse und das Arbeitsmarkt Diagramm an Abszisse und Ordinate. Weil das ein wenig ungewohnt ist, hier zuerst die Idee im Überblick: Abb. 10.9: Schema Totalmodell S. 190 10 IS-MP Karl Betz Da die Achsen gespiegelt wurden, steigen jetzt alle Werte vom Ursprung aus an: A wird also, wenn man im Diagramm nach unten geht größer, nicht etwa negativ. Und w/P steigt ebenfalls, wenn Sie sich von Ursprung entfernen. Entsprechend dürfen alle Größen nur positive Werte annehmen können. Für w/P, A und Y ist das auch klar (was soll eine negative Arbeiterin sein?) nur bei r könnte es Schwierigkeiten geben, weil, wie Sie in Abb. 10.7 sehen, der Realzins durchaus auch einmal negativ werden kann. Deshalb (und weil ich das für den Exkurs eh brauche) habe ich die Skalierung der Zinsachse geändert und schreibe jetzt 1+r statt r. Kleiner als Null kann 1+r wieder nicht werden, weil das bedeuteten würde, daß die Bank von ihrem Kredit nicht nur nichts wieder sieht, sondern einem Kreditnehmer noch etwas dafür bezahlen muß, damit er das Geld überhaupt mit nimmt. Die neue Darstellung der Beschäftigungsfunktion sollte Ihnen keine großen Schwierigkeiten bereiten. Aber das der Arbeitsmarkt jetzt zweifach gespiegelt ist, ist es erfahrungsgemäß etwas schwer, den Überblick zu behalten. Daher stelle ich in Abb. 10.10 die beiden Darstellungen nochmal nebeneinander. Um die Orientierung zu erleichtern, trage ich hier und im folgenden die Arbeitsangebotsfunktion in Rot und die (neoklassische) Arbeitsnachfragefunktion in Grün ab. Abb. 10.10 Schema Arbeitsmarkt 10.5.1 IS-MP: Die angebotsorientierte Variante Wie Sie in Diagramm 10.11 erkennen können, bestimmt der Arbeitsmarkt wieder die gleichgewichtige Beschäftigung und damit den Vollbeschäftigungsoutput, also Y*. Die Notenbank kann nun die Geldpolitik wählen, bei der sich der Realzinssatz einstellt, der den Vollbeschäftigungsoutput auch zuläßt. Sie wählt also eine MP-Kurve, die durch Y* läuft. Ihr Y T ist also der Vollbeschäftigungsoutput. Wie oben schon besprochen, ergibt sich die positive Steigung der Kurve dabei, weil sie auf eine Überhitzung (Y > YT) mit einer Zinserhöhung und auf einen Konjunktureinbruch mit einer Zinssenkung reagiert. Einführung in die VWL 10 IS-MP S. 191 Abb. 10.11 Angebotsorientiertes IS-MP-Gleichgewicht Aber wird die Notenbank dies auch tun? Lassen Sie mich, um diese Frage zu klären, mal überprüfen, was geschieht, wenn Sie es nicht tut. Im folgenden Diagramm wählt die Notenbank einmal eine (für Vollbeschäftigung zu hohe) MPKurve (MP1) und einmal eine zu niedrig gelegene (MP2). Technisch würde man davon sprechen, daß sie im ersten Fall eine restriktive und im zweiten Falle eine expansive Geldpolitik betreibt. Betrachten Sie nun zwei unterschiedliche Geldpolitiken, ausgedrückt durch MP 1 und MP2 (Abb. 10.12). Bei MP1 liegt das Y* des IS-MP-Gleichgewichts unter dem Vollbeschäftigungseinkommen. Daher entsteht Arbeitslosigkeit (ÜA = Überschußangebot (an Arbeit)). Diese Arbeitslosigkeit übt nun Druck auf die Löhne aus. Aber am wirklichen Arbeitsmarkt werden keine Reallohnsätze festgelegt, sondern Geldlöhne. Die Höhe des Reallohnsatzes ist erst bestimmt, wenn auch das Preisniveau bekannt ist. Was also geschehen wird ist, daß die Geldlöhne fallen. Fallende Geldöhne S. 192 10 IS-MP Karl Betz aber bedeuteten sinkende (nominale) Lohnstückkosten. Daher werden die Unternehmen billiger anbieten (zumal die (nominale) Nachfrage auch weiter zurückgeht, wenn die Nominallöhne sinken). Abb. 10.12 Zinspolitik der Notenbank und Arbeitsmarkt Unterhalb des Vollbeschäftigungseinkommens entsteht also ein Druck auf Geldlöhne und Preise und es bildet sich eine Deflationsspirale heraus: Fallende Geldlöhne führen zu fallenden Preisen, dadurch steigen die Reallöhne wieder, was wiederum weiter fallende Geldlohnsätze ermöglicht. Dieser Deflationsprozeß würde sich mit der Zeit sogar noch beschleunigen, wenn die fallender Preise zur Erwartung auch in der Zukunft weiter fallender Preise führt, denn dann könnten die Arbeiter ihre Geldlohnforderungen noch stärker absenken. OK. Liegt also MP zu hoch, dann entsteht Deflation. Die Abweichung der Inflationsrate von der Zielinflation ist aber ein Lageparameter der MP-Kurve. Die Notenbank wird also die MP-Kurve absenken. Wie sieht es umgekehrt aus, bei MP2? Hier führt der niedrige Zinssatz zu einer Nachfrage, die höher ist als der Vollbeschäftigungsoutput. Die Unternehmen wollen mehr Beschäftigte einstellen, finden aber zum gleichgewichtigen Reallohnsatz keine weiteren Arbeitsanbieterinnen. Folglich versuchen sie sich gegenseitig Beschäftigte abzuwerben. Und sie müssen, um das zu tun höhere Löhne bieten. Aber erneut ist der Lohnsatz, von dem hier nur die Rede sein kann, der Nominallohnsatz. Durch das steigende Niveau der Geldlöhne steigen nun bei den Unternehmen die Einführung in die VWL 10 IS-MP S. 193 Lohnstückkosten. Diese höheren Kosten geben sie in den Preisen weiter - und sie können das ja auch tun, gegeben die hohe Nachfrage. Steigende Geldlöhne führen aber zu steigenden Presien und damit ist der Reallohnsatz wieder da, wo er vorher war und die nächste Runde der Lohn-PreisLohn-Spirale wird losgetreten. Und wie im Falle der Deflation: Wenn die steigenden Preise erstmal zu Inflationserwartungen führt, beschleunigt sich der Prozeß und die Inflationsrate steigt immer weiter. Liegt also MP zu niedrig, dann entsteht (sich beschleunigende) die Inflation und die Notenbank wird gezwungen, MP anzuheben. Beides können Sie in Abbildung 10.7 sehr schön sehen: durch den niedrigen Realzinssatz in den 70ern beschleunigte sich der Preisanstieg (der lokale Gipfel Mitte der 70er ist der Ölpreiserhöhung durch die OPEC geschuldet), bis die Notenbank schließlich unter Volkerts die (reale) Federal Funds Rate drastisch anhob. Die nun entstehende Arbeitslosigkeit bremste erstens den Inflationsprozeß direkt und zweitens führten die sinkenden Inflationsraten zu sinkenden Inflationserwartungen. Die FED konnte in der Folge wieder auf ein niedrigeres Realzinsniveau zurückgehen - wenn auch nicht auf die leicht negativen Raten der 70er, Der Realzinssatz schwankte in der Folge mit leicht abnehmendem Trend um rund 2,5% und bei diesem Niveau bleib die Inflationsrate im Angestrebten Zielkorridor von 2 bis 3%. Erst nach dem Platzen des Internet Bubble und nach 9/11 senkte die FED ihr Zinsniveau wieder ab (und den Finanzmärkten beim Zusammenkehren der Scherben zu helfen). Die Notenbank muß daher den Zinssatz setzen, bei dem weder Lohndeflation noch Lohninflation entsteht. Das ist dann aber die Situation, bei der auf dem Arbeitsmarkt weder ein Angebots- noch ein Nachfrageüberschuß herrscht - und das ist im Marktdiagramm nichts anders als der Vollbeschäftigungspunkt. In der Literatur wird dieses Beschäftigungsniveau auch NRU (Natural Rate of Unemployment) NAIRU (Non-Accelerating-Inflation-Rate of Unemployment) genannt, also die Arbeitslosenquote, bei der die Inflation sich nicht beschleunigt, oder NAWRU (Non-Accelerating-Wageinflation-Rate of Unemployment), die Arbeitslosenquote, bei der die Lohninflation sich nicht beschleunigt genannt. Wie Sie dem Modell aber entnehmen können ist dies nichts anderes als der Vollbeschäftigungspunkt. Mal abgesehen von kleineren Friktionen kann es hier nur noch freiwillige Arbeitslosigkeit geben. Pointiert könnte man sagen: Im neoklassischen (angebotsorientierten) Modell bestimmt sich der Zins auf dem Arbeitsmarkt. Diese Logik reflektiert auch eine zweite oft gebrauchte Variante der Taylor-Regel, in der nicht die Outputlücke, sondern die Arbeitslosenquote in der Reaktionsfunktion der Notenbank steht: MP: r = rZB* + α · (Y - YT) + β · (u* - u) Hier würde die Notenbank den Zinssatz senken, wenn die Arbeitslosenquote über der von ihr angestrebten liegt und ihn erhöhen, wenn die Arbeitslosigkeit dieses Niveau unterschreitet. Abb. 10.11 verdeutlicht, daß diese Zielarbeitslosigkeit im Prinzip Vollbeschäftigung sein muß. Beiläufig erklärt das Modell auch ein anderes Postulat aus der Literatur: Es ist eigentlich gar nicht notwendig, daß die Notenbank überhaupt auf den Output oder die Beschäftigung schaut. Wenn sie nur auf die Entwicklung der Inflationsrate schaut, verschiebt sie die MP-Kurve automatisch in den Vollbeschäftigungspunkt. Aber natürlich ist eine Beachtung auch des Outputs oder der Beschäftigung einer reinen Orientierung an der Inflationsrate schon überlegen, weil so schneller auf Schocks reagiert werden kann und man nicht erst wartet, bis sie sich in Inflations- oder Deflationsspiralen übersetzt haben, die zu brechen dann teuer werden oder sehr schwierig sein kann. S. 194 10 IS-MP Karl Betz Und noch eine letzte Erkenntnis sollten Sie mitnehmen: Preisstabilität kann die Notenbank nicht umsonst herstellen: Inflationsbekämpfung bedeutet immer ein bewußtes Erzeugen höherer Arbeitslosigkeit durch die Geldpolitik, um die Dynamik des Lohnanstiegs zu stoppen: Die Geldpolitik erhöht die Realzinsen. Dadurch bricht die Nachfrage ein. Dies läßt Arbeitslosigkeit entstehen und diese wiederum dämpft die Lohnentwicklung. 10.5.2 Die nachfrageorientierte Schließung Die nachfrageorientierte Variante postuliert, daß das Vollbeschäftigungsgleichgewicht nicht erreicht wird. Im Kontext dieses Modells muß das bedeuten, daß die Notenbank die MP-Kurve nicht erreicht, die Vollbeschäftigung herstellt. Hierfür kann es mehrere Begründungen geben: Erstens kann die Notenbank einfach einen falschen Zinssatz setzen und so an der Arbeitslosigkeit "schuld" sein. Diese Begründung hört man gar nicht so selten in postkeynesianischen Kreisen. Zweitens kann es ein, daß die Notenbank mit ihren Möglichkeiten am Ende der Fahnenstange angekommen ist - unter Null kann der (nominale) Notenbankzinssatz eben nicht sinken. Weil in dieser Situation in der Regel auch keine Inflation besteht, bestimmt die Zinsmarge der Banken die Untergrenze des realen Kreditzinssatzes (also der MP-Kurve) - und der kann einfach zu hoch sein. Darüber hinaus sind noch zwei methodische Einwände möglich: Drittens: Ein (notionales) Gleichgewicht mag gar nicht existieren und Viertens: Die Notenbank darf sich nicht am Arbeitsmarkt, sondern muß sich an den Vermögensmärkten orientieren. Da diese beiden Einwände aber nicht von der Literatur abgedeckt sind, verweise ich deren Diskussion in den Exkurs zu diesem Kapitel und beschränke mich im hier auf die Diskussion von Fall zwei - der als Liquiditätsfalle bekannt ist. Liquiditätsfalle In der Liquiditätsfalle ist das Instrumentarium der Zentralbank erschöpft: Sie kann den Marktzinssatz nicht weit genug absenken denn schließlich kann der (nominale) Leitzinssatz nicht unter Null fallen und für die Nachfrage ist der höhere Kreditzinssatz und nicht der Leitzinssatz der Notenbank entscheidend. In einer Krise senkt nun zwar die Notenbank den Leitzinssatz, gleichzeitig aber a) steigt der Risikoaufschlag der Banken und b) sinkt der langfristige Zinssatz um weniger als der Leitzinssatz - denn die Verleiher können ja damit rechnen, daß nach der Krise der Leitzinssatz wieder steigen wird. Für die Banken macht das die Refinanzierung in der Zukunft teurer und für private Anleger würden in der Zukunft höhere Zinsen Kursverluste bedeuten. (Denn steigende Zinsen bedeuten fallende Kurse.) Daraus folgt eine Asymmetrie der Geldpolitik: Zwar kann die Notenbank den Realzinssatz immer erhöhen; sie kann ihn aber im Zweifelsfall nicht senken. Liquiditätsfalle: Zwei Beispiele Der Fall Japans Die japanische Notenbank hat ihren Leitzinssatz seit Mitte der 90er Jahre auf Null gesetzt. Ein Nominalzinssatz unter 0 bewirkt nichts mehr - denn dann könnten sich die Banken ja einfach Geld von der Notenbank leihen, es sofort wieder bei ihr anlegen und sich so ein risikoloses Einführung in die VWL 10 IS-MP S. 195 Zinseinkommen sichern. Ausleihen würden sie es deswegen noch lange nicht. Da der für das Einkommen entscheidende Realzinssatz aber Nominalzins minus Inflationsrate ist, und in Japan bei einem Leitzinssatz von Null in etlichen Jahren Deflation herrschte, blieb der Realzinssatz positiv. Im Ergebnis erlebt Japan seit Beginn der neunziger eine Stagnationsphase von mehr als einem Jahrzehnt (Japans "verlorenes Jahrzehnt") - die erst Mitte der Nuller zu Ende ging - nur damit das Elend dann mit dem Einsetzen der weltweiten Finanzkrise dann wieder von vorne losging. Der Fall der USA Ein Sinken des Leitzinssatzes reicht evtl. nicht, um die Kreditzinssätze zu senken. Dies können Sie am Beispiel der letzten Krise sehr gut sehen: Mit Ausbruch der Krise stieg der Risikoaufschlag für riskante Unternehmensanleihen relativ zu den als sicher eingestuften Staatsanleihen. Dieser Anstieg des Risikoaufschlags war jedenfalls zwischen Mitte 2008 und Ende 2009 - höher, als der Rückgang der Zinssätze der Staatsanleihen. Obwohl die FED mit Ausbruch der Krise ihren Leitzinssatz auf praktisch Null reduzierte, blieben die Zinssätze am Bondmarkt hoch - und liegen auch Ende 2010 noch über dem Niveau vor der Krise. Obwohl also die FED einen (nominalen) Zinssatz von 0,2% (Federal Funds Rate) am Markt durchsetzt, bleibt der Realzinssatz am Kreditmarkt über dem Vor-Krisen-Niveau. Es ist der Geldpolitik somit unter Umständen nicht möglich, die MP-Kurve weit genug abzusenken, um den Vollbeschäftigungspunkt zu erreichen. Abb. 10.13: Zinsspreads in den USA Quelle: Economist 23. 10. 2010 Hinzu kommt in beiden Fällen ein weiterer Einfluß: Da die Banken in der Krise Verluste eingefahren hatten, kamen sie in Konflikt mit den Eigenkapitalanforderungen. Nun kann man in einer Krise kein neues Eigenkapital beschaffen - und damit kann die Eigenkapitalquote nur erhöht werden, in dem man seine Kreditvergabe einschränkt. Die Banken fuhren ihre S. 196 10 IS-MP Karl Betz Kreditvergabe daher auch unabhängig vom Leitzinssatz zurück.6 Gleichgewicht bei Arbeitslosigkeit Wenn man diese Idee im IS-MP-Diagramm abträgt, dann kommt man zu einem Diagramm ähnlich Abbildung 10.14. Abb. 10.14 Keynesianisches IS-MP-Gleichgewicht Die MP-Kurve schneidet IS bei einen Einkommen, das unter dem Vollbeschäftigungseinkommen liegt. Die Unternehmerinnen wiederum stellen nicht mehr Arbeit ein, als sie benötigen, um diesen 6 Kreditrestriktion können Sie nicht unbedingt an höheren Zinssätzen sehen. Wie Stiglitz und Weiss herausgearbeitet haben, kann es für Banken Sinn machen, ihre Kreditvergabe einzuschränken, ohne ihre Zinsen zu erhöhen. Der Grund: Wenn die Banken die Zinsen herauf setzen, scheiden die Kreditnachfrager als erste aus, die den Kredit am wenigsten dringend benötigen - das aber waren die besten Risiken. Je höher der Zinssatz, desto schlechter ist die daher Rückzahlungsfähigkeit der verbleibenden Kreditnachfrager. Diese adverse Selektion macht es für Banken unter Umständen attraktiv, ihr Kreditangebot bei gegebenen Zinssätzen zu beschränken und so einen Pool von Kreditnachfragern zu haben, die im Durchschnitt ein geringeres Ausfallrisiko aufweisen. Einführung in die VWL 10 IS-MP S. 197 Output herzustellen. Es wird also nicht mehr als A* Arbeit eingestellt - und wer dann bei dem herrschenden Reallohnsatz keine Arbeit findet, ist eben unfreiwillig arbeitslos. Das keynesianische Arbeitsmarktdiagramm sieht also etwas anders aus als das neoklassische und weil es ungewohnt ist, stelle ich es in Abbildung 10.16 nochmal in der gewohnten Form dar. An der Arbeitsangebotsfunktion ändert sich nichts – warum auch? Das geplante Arbeitsangebot entspringt der Wahl zwischen Freizeit und Einkommen und an den Präferenzen der Haushalte hat sich nichts geändert. Der entscheidende Unterschied findet sich bei der Arbeitsnachfragekurve. Bisher reflektierte die Arbeitsnachfragekurve der Unternehmen deren notionale Arbeitsnachfrage: Wie viel Lohn kann ich maximal zahlen, wenn ich - r % an Kapitalzinsen zahlen muß und - ich alles was ich produziere auch verkaufen kann. Der erste Teil der Überlegung bleibt natürlich erhalten – auch bei Keynes wollen die Unternehmer nicht mehr Faktorentgelte zahlen, als sie an Verkaufserlösen wieder reinkriegen, sie wollen also auch dann keinen Verlust machen, wenn sie alles verkaufen könnten, was sie herstellen können. Abb. 10.15: Keynesianischer Arbeitsmarkt Aber der zweite Teil ändert sich, denn mit dem Übergang zu Keynes werden ja notionale durch S. 198 10 IS-MP Karl Betz effektive Pläne ersetzt. Die damit hat das Kalkül der Unternehmerin zwei Restriktionen: Erstens: Ich will meine Produkte nicht zu höheren Kosten als dem Marktpreis herstellen. Dieses Kalkül ist mit dem neoklassischen identisch. Und deswegen ist die neoklassische Arbeitsnachfragefunktion in Diagramm 10.15 auch noch (hellgrüne, gepunktete Kurve) abgetragen. Aber sie bildet nur noch eine Restriktion der Arbeitsnachfrage ab: Die Unternehmen wollen keine Verluste machen. Hinzu kommt eine zweite Restriktion durch die effektive Nachfrage: Die Unternehmen wollen nicht mehr herstellen, als sie erwarten, zu die Kosten deckenden Preisen auch verkaufen zu können. Und sie stellen nicht mehr Leute ein, als sie brauchen, um diesen diese Output herzustellen. Diese zweite Restriktion ist gestrichelt dargestellt: gegeben die Arbeitsproduktivität λ und die erwartete Nachfrage Y* wird maximal (Y*/λ) Arbeit nachgefragt. Damit hat die keynesianische Arbeitsnachfragefunktion (schwarze Kurve) zwei Abschnitte: Der erste (obere) deckt sich mit der in Schaubild 10.16 punktiert abgetragenen neoklassischen Arbeitsnachfragefunktion. Der zweite, untere aber reflektiert die Mengenrestriktion am Gütermarkt: Mehr (als Y*) kann (zu Kosten deckenden Preisen) nicht abgesetzt werden. Daher brauche ich auch nicht mehr als (Y*/λ) Arbeit (mit λ als Arbeitsproduktivität Y/A). Die jeweils weiter innen verlaufende Restriktion ist bindend: Sind die Löhne zu hoch, muß ich weniger anbieten, weil ich sonst meine Kapitalkosten nicht zahlen kann (neoklassischer Abschnitt) und sind die Absatzerwartungen niedriger als der Vollbeschäftigungsoutput, brauche ich weniger Beschäftigte (keynesianischer Abschnitt). Die (geknickte) keynesianische Arbeitsnachfragefunktion, die sich anhand dieser Überlegungen ergibt, habe ich der besseren Übersichtlichkeit halber neben den beiden Teilfunktionen abgetragen. Wie Sie der Abbildung auch entnehmen können, ist hier zwar die Beschäftigung (über Y/λ), nicht aber der Reallohnsatz bestimmt. Die Unternehmen könnten maximal w/P max zahlen – sonst machen sie Verlust – und sie müssen mindestens w/Pmin zahlen, sonst kriegen sie nicht genug Leute. Welcher Reallohnsatz sich letztlich innerhalb dieser Grenzen einstellt, bleibt unerklärt. (Vergleichen Sie aber bitte bei Interesse den Exkurs, in dem auch ein gleichgewichtiger Reallohnsatz bei Unterbeschäftigung hergeleitet wird) Warum können nun nicht einfach, wie in der neoklassischen Variante, die Löhne sinken? Nun ja, können könnten Sie schon, nur helfen würde das nix: Wie oben schon bemerkt kann man am Arbeitsmarkt nur Geldlöhne aushandeln - und fallende Geldlohnsätze bewirken fallende Preise. Diese Dynamik würde das Problem aber nur verschärfen: durch die Deflation (die fallenden Preise) steigend die Realzinssätze nur weiter und die MP-Kurve verschiebt sich nach oben, statt nach unten. Die Beschäftigung fällt statt zu steigen. Dies wurde erfolgreich in der Großen Depression getestet: Zwar fielen die Geldlöhne angesichts steigender Arbeitslosenzahlen, aber die Preise fielen noch schneller (weil die Unternehmen nicht nur sinkende nominale Lohnkosten hatten, sondern überdies auch noch ein Überschußangebot am Gütermarkt bestand, das dazu zwang, mit Verlust zu verkaufen) und eine Deflation ist schwerer zu bekämpfen als eine Inflation: Denn erhöhen kann die Notenbank den Zins zwar immer, aber nach unten gibt es eben das Problem mit der unteren Schranke eines Nominalzinssatzes von Null. Aus genau diesem Grund war die größte Sorge der Notenbanken in der großen Rezession auch die Deflationsgefahr. Ein wesentliches Motiv der unkonventionellen Geldpolitik, des quantitative easing, war es, Inflationserwartungen zu erzeugen. Denn es hatte sich in der Ökonomie bereits erste Deflationserwartungen gebildet - was sich z.B. am Zinsunterschied für normale und für an der Inflation indexierte Wertpapiere ablesen ließ. An der Inflation indexierte Papiere bieten neben dem nominalen Zinssatz auf den Nennwert des Wertpapiers noch einen Ausgleich für die Preissteigerungsrate, sie bieten also einen realen Zinssatz (wenn die Regierung da über die Einführung in die VWL 10 IS-MP S. 199 Berechnung der Inflationsrate auch noch etwas tricksen kann). Bei normalen Preissteigerungserwartungen müßte dieser Ausgleich den Anlegern etwas wert sein. Bei gleichem Zins auf den Nennwert ist daher der Kurs der indexierten Papiere höher. Nach der Lehmanns-Pleite drehte sich diese Relation jedoch um: Die Anleger erwarteten offensichtlich sinkende und nicht steigende Preise. Daß die Geldlöhne also nach unten starr sind - daß Gewerkschaften sich gegen Lohnsenkungen wehren - ist deswegen keine Funktionsstörung des Arbeitsmarktes, sondern gerade ein notwendiger Stabilisierungsfaktor in einer Geldwirtschaft. (Allerdings kann der für die Nettoexporte auch ganz schön lästig werden. Aber dazu im Kapitel zur Außenwirtschaft.) Fragen zum zehnten Kapitel Verständnisfragen 1) Angenommen die Notenbank erhöht die Zinsen. Wie wirkt das auf die IS-Kurve? 2) Wie muß die Notenbank nach der Taylor-Regel reagieren, wenn (a) die Inflationsrate steigt? (b) das Einkommen einbricht? 3) Warum steigt Y im IS-MP-Modell um weniger als d aut mal Multiplikator? 4) Warum führt eine zu expansive Geldpolitik (angebotsorientiert) zu Inflation? 5) Was verstehen Sie unter der NAIRU-Arbeitslosenrate? 6) Welche MP-Kurve muß die Geldpolitik letztlich (angebotsorientiert) wählen? 7) Kennt das keynesianische Gleichgewicht unfreiwillige Arbeitslosigkeit? Bitte begründen Sie. Anwendungen 1) In einer geschlossenen Volkswirtschaft ohne Staat (G = 0, T = 0, NX = 0) sei die autonome Konsumnachfrage gleich 100, die marginale Konsumneigung sei 0,75 und die Investitionsnachfrage sei beschrieben mit I = 50 - 80 · r. Bitte stellen Sie die Gleichung der IS-Kurve auf und tragen Sie diese in ein r-Y-Diagramm ein. 2) Nehmen Sie nun an, in der unter 1) beschriebenen Volkswirtschaft werden Staatsausgaben in Höhe von 50 getätigt und es werden (Kopf-)Steuern in gleicher Höhe erhoben. Bitte erläutern Sie verbal, graphisch und algebraisch: um wie viel verschiebt sich die IS-Kurve? S. 200 10 IS-MP Karl Betz 3) Wie würde sich eine Änderung der marginalen Konsumneigung auf die IS-Kurve auswirken? 4) In einer Volkswirtschaft betrage der Gewinnaufschlag der Banken 4%-Punkte, und die Notenbank setze ihren Zinssatz nach der Regel: rZB = 3% + 0,02 · (Y - YT) + 2 · (πT - π) Das Inflationsziel der Notenbank liege bei 2% und das Outputziel bei 2000. Die gegenwärtige Inflationsrate betrage 4% und das tatsächliche Einkommen liegt bei 1900. a) Bitte berechnen Sie den Zinssatz, den die Notenbank wahrscheinlich vorgeben wird. b) Bitte zeichnen Sie die MP-Kurve in ein r-Y-Diagramm ein. 5) In Großbritannien ist die derzeitige Position, daß die Notenbank einen niedrigeren Zinssatz zulassen kann, weil die Regierung das Budget über eine Senkung der Staatsausgaben konsolidieren will. Bitte stellen Sie das Argument im IS-MP-Diagramm dar. 6) In den 70er Jahren versuchte die SPD geführte Regierung, die Arbeitslosigkeit über staatliche Konjunkturprogramme abzubauen. Gleichzeitig versuchte die Bundesbank, die Inflation über hohe Zinssätze zu bekämpfen. Bitte stellen Sie dies im IS-MP-Diagramm dar. 7) Stellen Sie keynesianische unfreiwillige Arbeitslosigkeit im IS-MP-Diagramm graphisch dar und erläutern Sie. 8) Suchen Sie im Internet (sinnvoller Weise auf webseiten der Gewerkschaften) nach Begründungen für die Lohnforderungen der Gewerkschaften. Spielt die (erwartete) Inflationsrate eine Rolle? Exkurs zum 10. Kapitel: Neoklassisches vs. keynesianisches Gleichgewicht Nun darf man das Argument der Liquiditätsfalle auch nicht überbewerten. Es zieht sicherlich in schweren Krisen. Aber normalerweise liegt der Leitzinssatz der Zentralbanken ja deutlich über Null Prozent. Die Notenbanken hätten zu normalen Zeiten also durchaus Spielraum, diesen weiter abzusenken, wenn sie dies für die Erreichung von Vollbeschäftigung für erforderlich hielten. Aus diese Grund ist dieses Argument auch noch mit der neoklassischen Synthese vereinbar: Die Liquiditätsfalle ist ein Phänomen der Krise, normalerweise funktioniert die Ökonomie neoklassisch. Das zweite Argument ist methodischer und damit grundsätzlicher Natur und hat zwei Teilaspekte: Ersten weist Abbildung 1.8 zwar die Möglichkeit eines Gleichgewichts bei Vollbeschäftigung aus - aber gilt dies eigentlich für jede beliebige IS-Kurve? Falls nicht würde man bestreiten, daß das neoklassische Gleichgewicht in jedem Falle existiert. Und zweitens kann man der Auffassung sein, daß der gleichgewichtige Zinssatz sich am Vermögensmarkt und nicht am Arbeitsmarkt bestimmt. In diesem Falle wäre die Notenbank nicht in Einführung in die VWL 10 IS-MP S. 201 der Lage, die MP-Kurve mit Blick auf die Vollbeschäftigung festzulegen. Dieser Idee wird im zweiten Teil des Exkurses nachgegangen. Zunächst aber muß ich das Diagramm noch ein wenig erweitern, um mein Argument machen zu können. In dem bisherigen drei-Quadranten-Schema ist ja eigentlich noch Platz: Der Quadraten links oben ist bisher ungenutzt - und er weist die Achsen (w/P) und (1+r) auf. Den Zusammenhang zwischen diesen beiden Größen hat nun Kapitel 5 schon herausgearbeitet: Die Faktorpreisgrenze, auf der ich dann in der Folge immer wieder herumgeritten bin. Abb. 10.E.1: fpf im IS-MP-Modell Abbildung 10.E.1 liefert gegenüber dem angebotsorientierten Gleichgewicht aus Abb. 10.11 wenig neues: Der Arbeitsmarkt liefert den gleichgewichtigen Reallohnsatz und die MP-Kurve muß die IS-Kurve an der Stelle schneiden, an der ersten das Vollbeschäftigungseinkommen erzielt wird und an der sich zweitens die Profitrate einstellt, die, gegeben die Technik und daher die fpf, mit dem Reallohnsatz bei Vollbeschäftigung - (w/P)* - kompatibel ist. S. 202 10 IS-MP Karl Betz Exkurs 10.1: Das neoklassische Gleichgewicht: Ein Sonderfall Allerdings ergibt sich so ein kleines Problem: Nichts in der Herleitung der IS-Kurve aus dem Einkommen-Ausgaben-Modell garantiert, daß die IS-Kurve auch durch diesen Punkt verlaufen wird. Oberhalb von IS0 kann die IS-Kurve zwar schlecht verlaufen. Denn das würde heißen, daß die Akteure planen, bei Vollbeschäftigung mehr nachzufragen als sie anbieten - daß sie also planen, bei Vollbeschäftigung mehr auszugeben als sie einnehmen, daß die Volkswirtschaft insgesamt mehr Güter verbraucht, als sie herstellt und so ihre Budgetrestriktion verletzt. Das beißt sich mit der Annahme, daß Güter nur durch Kauf und Verkauf (oder durch Tausch) übertragen werden können. Wenn ich plane, etwas zu kaufen, muß ich auch planen, es zu bezahlen.7 Abb. 10.E.2: "Falscher" Verlauf der IS-Kurve Die Haushalte können also zwar nicht planen, dauerhaft mehr auszugeben als sie einnehmen – die IS-Kurve kann also nicht oberhalb von (r*, Y*) verlaufen. Aber sie können eben planen, nicht alles auszugeben, was sie verdienen. Keynesianische Ökonomie bedeutet, daß die Möglichkeit 7 Die Menschen würden in diesem Fall planen, Schulden zu machen und diese nie zurück zu zahlen. Einführung in die VWL 10 IS-MP S. 203 zugelassen wird, daß die Nachfrage bei Vollbeschäftigung nicht ausreicht, um alle bei dieser Beschäftigung produzierten Güter und Dienstleistungen auch abzusetzen. Ist der autonome Konsum, sind die autonomen Investitionen oder ist die marginale Konsumneigung oder die Zinselastizität der Investitionen niedriger als in IS0 unterstellt, dann verläuft die IS-Kurve unterhalb von IS0. Übersetzt in das IS-MP-Modell läuft dies auf die Frage hinaus: Was passiert eigentlich, wenn die IS-Kurve nicht durch den Punkt (r*, Y*) verläuft? Dieser Fall ist in Abb. 10.E.2 dargestellt. Hier ist die IS-Kurve, die ein angebotsorientiertes Gleichgewicht erlauben würde (IS 0), dünn eingetragen, während eine IS-Kurve, IS1, bei die Akteure planen, bei Vollbeschäftigung weniger als ihr gesamtes Einkommen nachzufragen unterhalb abgetragen wurde. Bei dieser IS-Kurve kann die Zentralbank offensichtlich keinen "richtigen" Realzinssatz setzen. Orientiert sie sich an dem Reallohnsatz, der bei Vollbeschäftigung herrschen würde, dann startet sie bei (w/P)*, geht zur fpf und legt die MP-Kurve so, daß diese die IS-Kurve bei dem entsprechenden Realzinssatz schneidet. Nur ist bei diesem Realzinssatz die Nachfrage nicht ausreichend, um den Vollbeschäftigungsoutput auch abzusetzen - und daher landet man im Punkt 1 der keynesianischen Arbeitsnachfragefunktion mit entsprechender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit. Diese Überlegung ist mit den durchgezogenen Pfeilen dargestellt. Orientiert sich die Notenbank statt dessen am Vollbeschäftigungseinkommen und wählt eine MPKurve, bei der die Nachfrage Vollbeschäftigung erlauben würde (gestrichelte Kurve), dann landet sie schließlich in Punkt 2: Die Profitrate, die sich so einstellt, schöpft, zusammen mit dem Reallohnsatz des Gleichgewichts das Einkommen nicht aus, das der Faktorpreisgrenze entsprechen würde. Bei (w/P)* machen die Unternehmen daher Gewinne, die über ihre Kapitalkosten hinausgehen. Dies reizt weitere Unternehmen zum Markteintritt an - mit dem Ergebnis, daß nun wieder mehr hergestellt wird, als verkauft werden kann. Es erweist sich also, daß das neoklassische Gleichgewicht einen Sonderfall beschreibt. Es ist dann und nur dann richtig, wenn Haushalte und Unternehmen notionale Pläne bilden und wenn sie dabei planen, zumindest bei Vollbeschäftigung im Aggregat genau so viel auszugeben, wie sie einnehmen. Im allgemeinen Fall kann jedenfalls die Geldpolitik alleine das Vollbeschäftigungsgleichgewicht nicht herstellen und hat eigentlich nur die Wahl einen Zinssatz zu wählen, der gemessen am Vollbeschäftigungsziel, irgendwo zwischen zwei falschen Alternativen liegt. Dies macht die These vieler Postkeynesianer verständlich, daß die Ökonomie gar kein Gleichgewicht aufweise. Und es bestätigt die Forderung der Postkeynesianer nach höherer staatlicher Nachfrage. Denn mit einer Veränderung von G könnte die IS 1-Kurve ja in Richtung IS0 verschoben werden. Allerdings ist hier gleich Wasser in den Wein zu gießen: Weil es sich nicht um nur eine vorübergehend, konjunkturell bedingt zu niedrige Nachfrage handelt, müßten diese zusätzlichen Staatsausgaben nachhaltig finanziert werden. Das aber heißt, man müßte über den Haavelmo-Effekt reden, über steuerfinanzierte Staatsausgaben. Und höhere Steuern stoßen wieder irgendwann an eine Akzeptanzschwelle. Es ist aber noch eine weitere Schließung des Modells möglich, die wieder auf ein Gleichgewicht führt: eine monetär-keynesianische Schließung. Exkurs 10.2: Eine monetär-keynesianische Schließung Die zweite Möglichkeit, das neoklassische Gleichgewicht zu kritisieren, besteht darin, zu postulieren, daß die Geldpolitik sich gar nicht an Arbeitsmarkt und Vollbeschäftigung orientieren S. 204 10 IS-MP Karl Betz kann, sondern daß sie gezwungen ist, sich mit ihrer Zinspolitik am Gleichgewicht der Kredit und Vermögensmärkte zu auszurichten. Formal würde das bedeuten, daß die MP-Kurve dem IS-MPModell von einem weiteren Markt - den Kredit- und Vermögensmärkten - vorgeben würde. Diese Variante will ich nun noch kurz skizzieren. Hierbei ist im ersten Schritt zu klären, wie der gleichgewichtige Realzinssatz auf den Vermögensmärkten bestimmt werden kann und in einem zweiten Schritt ist dieser dann ins IS-MP-Modell zu integrieren. Exkurs 10.2.1 Vermögensmarkt und Zinssatz Das Ziel der Zentralbank ist die Verteidigung des Geldwertes. Dabei definiert z.B. die EZB Geldwertstabilität als eine „Preissteigerungsrate unter, aber nahe bei 2%“. Inflation läßt sich in erster Näherung begreifen als die Folge eines Überschußangebotes von Geldvermögen. Haben Sie mehr Geld als Sie halten wollen, versuchen Sie, es auszugeben. Wie schon in Kapitel 1 festgestellt, ist das einzelwirtschaftlich kein Problem. Gesamtwirtschaftlich besteht die Schwierigkeit aber darin, daß das Geld, das Sie ausgeben, anschließend jemand anders hat. Und wenn insgesamt zu viel Geld in Umlauf ist, will die es auch nicht behalten. Gesamtwirtschaftlich gibt es, auch das wiederhole ich hier nur, letztlich nur zwei Möglichkeiten, Geld los zu werden: Geld, das die ökonomischen Akteure nicht wollen, können sie nur entweder entwerten – das wäre Inflation – oder vernichten. Und Geld vernichten bedeutet: Es an die Notenbank zurück geben. Will die Notenbank eine Inflation vermeiden, muß sie daher dafür sorgen, daß zusätzliches Geldvermögen entweder gar nicht erst entsteht oder aber, daß die Akteure in der Ökonomie es halten wollen. Der reale Zinssatz der Notenbank beeinflußt nun beide Marktseiten gleichzeitig: • Das Angebot an Geldvermögen, also das Volumen an Bargeld und Forderungen, das durch die Kreditvergabe entsteht • und die Bereitschaft, Geldvermögen zu halten, also die Nachfrage nach Geldvermögen, Geldvermögensangebot: Bei hohen Realzinsen ist die Kreditnachfrage niedrig: Ein (reales) hohes Zinsniveau bedeutet ein niedriges (reales) Kreditvolumen. Geldvermögen aber entsteht durch die Kreditvergabe. Folglich entsteht ein niedriges Angebot an (realem) Geldvermögen. Erhöht nun Notenbank ihren Refinanzierungssatz, so steigen die Refinanzierungskosten und daher (bei gegebenem z) die Marktzinsen. Also muß gelten: Das Angebot an realem Geldvermögen ist eine fallende Funktion im Zinssatz der Notenbank. Geldvermögensnachfrage: Die Gegenbuchung zu Verbindlichkeiten sind Forderungen. Sowohl Forderungen wie Verbindlichkeiten können unterschiedliche Fristigkeiten aufweisen. Stellen Sie sich nun eine Ökonomie vor, in der es keine Banken oder anderen Finanzintermediäre gibt, und in der die Unternehmen sich direkt bei den Haushalten verschulden, um Kapital und Umlaufvermögen zu finanzieren: Die Unternehmen haben hier Verbindlichkeiten und die Haushalte Forderungen mit unterschiedlicher Fristigkeit. Da Geld nur über die Verschuldung bei der Notenbank in Umlauf kommen kann, stehen dem Geldumlauf in der folgenden Übersicht (Abb. 10.E.3: Geldvermögen und Verbindlichkeiten in einer einfachen Ökonomie) Forderungen der Notenbank (gegen die Unternehmen) gegenüber. (Die Notenbankbilanz habe ich nicht eingetragen.) Als Abkürzungen benutze ich: V für Verbindlichkeiten und F für Forderungen. Insbesondere sind V ZB Verbindlichkeiten gegenüber der Zentralbank. In diesem einfachen Kontext muß das Geldvermögen der Haushalte die gleiche Fristenstruktur Einführung in die VWL 10 IS-MP S. 205 aufweisen, wie die Verbindlichkeiten des Unternehmenssektors, denn es geht ja um die gleichen Titel, bei denen die Haushalte eben die Gläubiger und die Unternehmen die Schuldner sind. Was Sie der Abbildung aber bereits entnehmen können, ist, daß die gleiche Geldmenge mit einem ganz unterschiedlichen Kreditvolumen (und damit mit einer unterschiedlichen Höhe des Geldvermögens) zusammengehen kann: Sind die Haushalte eher daran interessiert, Bargeld zu halten, muß der Anteil der Geldmenge (M0) steigen und die Unternehmen müßten sich, wenn sie ein gegebenes Finanzierungsvolumen benötigen, verstärkt bei der Notenbank refinanzieren. Wollen die Haushalte ihr Vermögen eher kurzfristig halten, müssen die Unternehmen (neben den Verbindlichkeiten bei der Notenbank) mehr kurzfristige Kredite beim Haushaltssektor aufnehmen. Und soweit schließlich die Haushalte bereit sind, sich langfristig zu engagieren, können die Unternehmen ihren Finanzierungsbedarf über die Ausgabe von Bonds (und Aktien) decken.8 Abb. 10.E.3 Geldvermögen und Verbindlichkeiten in einer einfachen Ökonomie In diesem einfachsten Fall würden die Unternehmen sich bei der Zentralbank verschulden, um an Geld zu kommen, zum Beispiel, um ihre Löhne zu zahlen. Darüber hinausgehendes Fremdkapital können sie nur erhalten, wenn sie entweder Kredite bei den Haushalten aufnehmen oder an diese Schuldverschreibungen (Bonds) verkaufen. Der wichtige Punkt ist nun: Der Finanzierung des Unternehmenssektors – also dem Kreditvolumen – steht Geldvermögen des Haushaltssektors (Bargeld, verbriefte und unverbriefte Forderungen) in gleicher Höhe gegenüber. Also müssen die Haushalte das Geldvermögen, das durch die Kreditvergabe entsteht, auch halten wollen. 8 Allerdings ist der Trick bei der Sache, daß Bonds zwar langfristige Anlagen sind. Der einzelne Haushalt aber kann sie, weil sie handelbar sind, durchaus nur für einen Teil der Laufzeit halten und dann am Wertpapiermarkt verkaufen. Nur trägt er dann neben dem Risiko, daß das Unternehmen pleite gehen könnte, auch noch ein Kursänderungsrisiko: Die Kurse von Bonds können gerade dann im Keller sein, wenn sie dringend verkaufen muß. S. 206 10 IS-MP Karl Betz Setzt die Notenbank nun einen niedrigen Zinssatz, dann a) Entsteht viel Notenbankgeld und b) Bieten die Unternehmen nur niedrige Zinsen für Kredite und Bonds. Also wird die Haltung von Geldvermögen für die Haushalte unattraktiv. Das wiederum heißt, daß die Haushalte sich andere Vermögensanlageformen als Geldvermögen suchen könnten – und dies kann einen Inflationsprozeß anstoßen. Für die erste Intuition möge folgende Überlegung genügen. Angenommen, die Notenbank setzt ihren Zinssatz unter dem Gleichgewichtszinssatz an. Dann kommt über die Kreditaufnahme der Unternehmen mehr Geld in Umlauf, als die Haushalte halten wollen. Also versuchen diese, ihr Vermögen in anderen Anlageformen anzulegen. Sie bieten so die Preise z.B. von Rohstoffen hoch. Das Problem ist nun, daß es dabei nicht bei einem einmaligen Anstieg des Preisniveaus bleibt: Weil die Preise der Inputs (Rohstoffe, aber auch: mit diesen Rohstoffen produzierte andere Inputgüter) gestiegen sind, brauchen die Unternehmen ein höheres nominales Kreditvolumen, um die gleichen realen Investitionen tätigen zu können. Die Geldmenge steigt in der zweiten Runde also weiter und es entsteht ein Inflationsprozeß, ein Prozeß Periode für Periode weiter steigender Preise. Der würde zwar wahrscheinlich irgendwann auslaufen – wenn genug weitere Rohstoffe produziert worden sind. Aber die Preise können nicht beliebig steigen, ohne daß irgendwann auch die Geldlöhne reagieren. Und das stößt dann die Preis-Lohn-Preis-Spirale an, die von sich aus eben nicht ausläuft. Abb. 10.E.4: Geldvermögensangebot und -nachfrage und Notenbankzinssatz Einführung in die VWL 10 IS-MP S. 207 Bei hohen Zinsen hingegen ist es für die Haushalte interessanter, Geldvermögen zu halten: Geldvermögen, das sind ja nicht nur die Noten und Münzen in Ihrer Tasche. Das sind auch verzinsliche Einlagen bei Banken, staatliche Wertpapiere, Unternehmensbonds etc. (vgl. Abb. 10.4). 9 Und wenn die Refinanzierung bei der Notenbank teurer ist, sind die Unternehmen auch bereit, den Haushalten höhere Zinsen für Kredite und Bonds zu bieten. Um ein höheres Kreditvolumen im Haushaltssektor unterzubringen, sind also höhere Zinssätze erforderlich oder anders formuliert: Die Nachfrage nach Geldvermögen steigt mit steigendem Realzinssatz. Da zugleich, wie bereits gezeigt, das Kreditvolumen – und daher das Angebot an Geldvermögen – mit steigendem Zinssatz fällt, bestimmt der Vermögensmarkt den gleichgewichtigen Zinssatz. Ein letzter Punkt bleibt noch zu klären – der Leitzins, den die Notenbank festlegt, ist doch ein nominaler Zinssatz – zur Zeit z.B. 1%. Wieso steht dann ein realer Zinssatz im Diagramm? Die Frage beantwortet sich, wenn man sich die Vermögensanlage Alternativen der Haushalte (oder auch das Kalkül der Unternehmen bei der Kreditaufnahme) ansieht. Ein Zinssatz von 10% ist hoch, wenn Sie konstante Preise erwarten. Erwarten Sie aber eine Preissteigerungsrate von 100%, dann werden Sie zu 10% so viele Kredite aufnehmen wie sie nur irgend können – Sie brauchen ja dann gar nicht zu produzieren, sondern können das Geld einfach in Grundstücken oder Rohstoffen anlegen. Nach einem Jahr tilgen Sie den Kredit dann, in dem Sie die Hälfte (na gut, 55%, die Zinsen müssen Sie ja auch noch zahlen) der Rohstoffe / Grundstücke verkaufen und Sie haben einen satten Gewinn von 45% der Kreditsumme gemacht. Relevant für Ihr Kalkül muß also neben dem nominalen Zinssatz auch die (erwartete) Inflationsrate sein und damit ist der Zinssatz, der das Marktgleichgewicht herstellen kann r = Nominalzinssatz – (erwarteter) Inflationsrate = Realzinssatz10 Die Antwort also so formulieren: Um den Geldwert zu stabilisieren, muß die Notenbank ein Realzinsniveau durchsetzen, bei dem die Haushalte das durch die Kreditvergabe entstehende Geldvermögen auch halten wollen.11 Exkurs 10.2.2 Zurück zu IS-MP Die Vermögensmärkte geben also den gleichgewichtigen Refinanzierungsatz der Notenbank vor und dieser, zusammen mit der Zinsmarge der Banken, bestimmt den Gleichgewichtigen Realzinssatz und so die Lage der MP-Kurve. Damit wird ein totales Gleichgewicht im IS-MP-Modell wieder thematisierbar - allerdings 9 In Kapitel 8 erscheint nur ein Teil dieses Geldvermögens in den Geldmengen-Aggregaten M 0 – M3, weil erstens Geldvermögen dort nach der Fristigkeit klassifiziert wird und die Laufzeit von Unternehmensbonds zu lang ist, als daß diese dort erfaßt werden könnten und weil zweitens das Geldvermögen des Publikums erfaßt wird – Forderungen des Publikums untereinander (direkte Forderungen von Haushalten an Unternehmen) saldieren sich dann raus. Ein je größerer Teil des Kreditvolumens z.B. über Unternehmensanleihen abgewickelt wird, desto weniger davon wird in M3 ausgewiesen. Daher gibt es mittlerweile (wieder) die Position, daß es für die Entwicklung des Geldwertes wichtiger wäre, auf das Kreditvolumen zu achten als auf die Geldmenge. 10 Wie oben schon erwähnt: Das ist die vereinfachte Näherungsformel, die bei niedrigen Inflationsraten gilt. 11 Allerdings beinhaltet diese Formulierung noch eine Ambiguität: Was ist (in einer offenen Volkswirtschaft) eigentlich der Geldwert? Das (reziproke) Preisniveau oder der Wechselkurs? Und wenn es der Wechselkurs ist – der gegenüber welcher Währung? Meines Erachtens ist die Antwort auf diese Frage: „Es kommt darauf an.“ Ist ein Land in hohem Ausmaß in Fremdwährung verschuldet, so ist dies bestimmt der Wechselkurs: Wenn die Währung eines solchen Landes abwertet, löst das nämlich eine Pleitewelle aus. Rede ich umgekehrt von einem Gläubigerland, so dürfte das Preisniveau wichtiger sein – obwohl ein Gläubigerland wie die Schweiz sich auch überlegen könnte, daß durch eine Aufwertung ja der Wert seiner Forderungen steigt und es sich so reicher machen kann, ohne mehr produzieren zu müssen. S. 208 10 IS-MP Karl Betz diesmal eben, abgesehen vom neoklassischen Sonderfall, ein keynesianisches Gleichgewicht bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit: Der Gleichgewichtsoutput liegt im Schnittpunkt von IS- und MPKurve und über die Beschäftigungsfunktion bestimmt sich die effektive Nachfrage. Der Unterschied zur nachfrageorientierten Schließung in Kapitel 10.5.2 besteht hier zum ersten darin, daß der für Vollbeschäftigung zu hohe Zinssatz nicht mehr als Politikfehler vorgegeben werden muß, sondern daß er als Ausfluß einer richtigen Geldpolitik - einer Geldpolitik, die eben das Vermögensmarktgleichgewicht exekutiert - hergeleitet wurde. Abb. 10.E.5 Ein geldkeynesianisches totales Gleichgewicht Und noch ein weiterer Unterschied stellt sich ein: Der Reallohnsatz liegt nicht mehr irgendwo zwischen einem Mindest- und einem Höchstsatz, wie noch in 10.5.2, sondern er ist eindeutig bestimmt als der Reallohnsatz auf den die Faktorpreisgrenze führt, gegeben dieses Niveau der Realzinsen. Unfreiwillige Arbeitslosigkeit ist dann einfach die Differenz zwischen dem Arbeitsangebot bei diesem Reallohnsatz und der effektiven Arbeitsnachfrage. Wie oben schon bemerkt: Zwar würden auch Menschen für weniger als diesen Reallohnsatz arbeiten wollen, aber am Arbeitsmarkt bestimmt werden können eben nur Geldlohnsätze. In Folge der Arbeitslosigkeit sinkende Löhne würden daher nur das Preisniveau senken ohne die Reallohnsätze niedriger werden zu lassen. Eine letzte Anmerkung noch zu z. An diesem Punkt könnte man die Krisentheorie von Hyman Minski in das Modell einbauen: Eine längere Phase ruhigerer Konjunkturentwicklung senkt die Risikoeinschätzung der Banken und daher den geforderten Aufschlag z. Dadurch verschiebt sich die MP-Kurve nach unten. (Gedämpft wird das allerdings dadurch, daß sich gleichzeitig die Kurve des Geldvermögensangebots nach außen verschiebt - bei den gleichen Refinanzierungskosten wird jetzt ja mehr Kredit angeboten, entsteht also mehr Geldvermögen - und die Notenbank deswegen r ZB Einführung in die VWL 10 IS-MP S. 209 anheben muß.) Die Volkswirtschaft kommt in einen Kreditboom (mit dem auch bubbles einhergehen, die den boom weiter verstärken). Allerdings ist das Risiko eines Kreditausfalls objektiv nicht verschwunden, es wird nur als geringer eingeschätzt. In Wahrheit ist es sogar gestiegen: Weil jetzt das Kreditvolumen schneller wächst als das BIP, steigt der Verschuldungsgrad der Volkswirtschaft. Und wenn die Schulden schneller wachsen als das Einkommen, steigt die Wahrscheinlichkeit von Pleiten. Irgendwann führt diese höhere Wahrscheinlichkeit von Pleiten zu Zahlungsausfällen - und damit steigt bei den Banken die geforderte Marge, was das Kreditvolumen schrumpfen läßt, die Zahl der Pleiten weiter erhöht und die geforderte Marge weiter in die Höhe treibt. Im IS-MP-Modell schnellt damit die MP-Kurve in die Höhe, und Produktion und Beschäftigung brechen ein. (Hier weiter zu lesen und die Reallöhne über die fpf zu bestimmen würde keinen Sinn machen: Die Unternehmen verdienen in der Krise ihre Kapitalkosten ja gerade nicht-) Viele Ökonomen sind der Ansicht, daß genau dieser Ablauf die Logik der großen Rezession wiedergibt. S. 210 10 IS-MP Karl Betz Einführung in die VWL 11 Wachstum und Konjunktur S. 211 11 Wachstum und Konjunktur Lernziele: Wachstumstheorie untersucht den Trend der Einkommensentwicklung. Produktionsfunktion und Produktionsfaktoren Konjunkturtheorie untersucht Abweichungen von diesem Trend. Angebotsorientierte Wachstumstheorie: Einflußfaktoren auf die Arbeitsproduktivität. Nachfrageorientierte Wachstumstheorie: Beschäftigung Konjunktur: Schwankungen der Nachfrage Hysterese Pfadabhängigkeit der Einkommensentwicklung Der zentrale Gegenstand sowohl der Konjunktur- als auch der Wachstumstheorie ist die Entwicklung des Volkseinkommens, des BIP. Das Kernthema ist die Wachstumsrate: Um wie viel Prozent wächst das reale BIP pro Jahr. Dabei bezeichnet Wachstum den längerfristigen Trend in der Einkommensentwicklung, während die Konjunktur Abweichungen von diesem Trend bezeichnet. In der angebotsorientierten Theorie bestimmt die Entwicklung der Produktionsmöglichkeiten die langfristige Entwicklung des Einkommens. Daher steht in ihrem Zentrum die Produktionsfunktion. Die Nachfrage erklärt (allenfalls) die Konjunktur, die Schwankungen um diesen Trend. Nachfrageorientiert bestimmt die Entwicklung der Nachfrage hingegen sowohl lang- als kurzfristig die Einkommensentwicklung. Die Produktionsfunktion hingegen erklärt nur die Arbeitsproduktivität: Faktoren die nicht gebraucht werden, werden entweder einfach nicht hergestellt (Kapital) oder sie werden in der Produktion nicht eingesetzt (Arbeitslosigkeit) und stehen daher auch nicht in der Produktionsfunktion. Während Konjunktur- und Wachstumstheorie (dieses Kapitel) die Entwicklung des Einkommens zu erklären suchen, versucht die Theorie der Konjunktur- und Wachstumspolitik Möglichkeiten für die Wirtschaftspolitik aufzuzeigen, wie diese Entwicklung sich beeinflussen läßt. Grundsätzlich gibt es hier zwei Positionen: Die eine, die bis zur großen Rezession überwiegend vorherrschte (und mit dem Namen Milton Friedman verbunden ist), geht davon aus, daß die kurzfristigen Abweichungen den Trend nicht beeinflussen. Daß die Konjunkturentwicklung also zwar um den langfristigen Wachstumstrend schwankt, der Trend aber von diesen Schwankungen unberührt bleibt. Die andere geht davon aus, daß der Trend sehr wohl beeinflußt wird. Ich komme auf diese Differenz in Abschnitt 11.4 zurück. 11.1 Zur Abgrenzung von Wachstum und Konjunktur Bevor ich in die Theorie einsteige, will ich kurz die Phänomene illustrieren, die diese erklären soll. Zunächst daher ein Blick auf die Entwicklung des Realeinkommens in Deutschland seit 1949. S. 212 10 Wachstum und Konjunktur Karl Betz Das Realeinkommen hat sich seit 1949 mehr als versiebenfacht (BIP in Preisen von 2000: 1949: 293 Mrd; im Jahr 2008: 2270 Mrd €. In laufenden Preisen betrug das BIP 2008 2,491 Mrd.). Wie schon in Kapitel 7 gesagt: Um von nominalen BIP (dem BIP zu laufenden Preisen) zum realen BIP zu kommen, muß man deflationieren, also im Prinzip das Preisniveau von 1949 gleich 100% setzen, den Preisindex für alle Folgejahre berechnen und dann das nominale BIP durch den Preisindex des jeweiligen Jahres teilen. Und wie ebenfalls schon gesagt, stecken in dieser Preisbereinigung eine ganze Menge Unschärfen, die umso größer werden, je länger der zeitraum ist, den man betrachtet. An der Tendenz, die die obige Zeitreihe der Entwicklung des BIP beschreibt, wird dieser Sachverhalt nichts ändern. Aber es macht keinen Sinn, die letzten Nachkommastellen zu ernst zu nehmen. Ein Störfaktor ist übrigens aus den Zahlen bereits heraus gerechnet: Die Änderungen des Gebietsstandes - also die Eingliederung zuerst des Saarlandes, dann West-Berlins und schließlich der DDR. Allerdings hat auch dies wieder einen Preis: Die Zahlen der DDR-Statistik, die jetzt notwendig in diesem Aggregat enthalten sind, wurden früher in der Bundesrepublik als geschönt kritisiert. Abb. 11.1: Reales BIP in Deutschland 1950 - 2009 2500 2000 1500 1000 500 0 1949 1959 1969 1979 1989 1999 2009 Quellen: Maddison; SVR 2008; Statistisches Bundesamt (2009); 2009 = geschätzt; Zwei weitere Informationen können Sie der Grafik noch entnehmen. Erstens: Normaler Weise ist das BIP Jahr für Jahr gewachsen. Nur in den Jahren 1975, 1982, 1990, 1993 und 2003 gab es einen leichten Rückgang, jeweils um rund ein halbes Prozent. 1990 ist der Einbruch zwar stärker (knapp 3%), aber hier liegt ein Sondereffekt vor: Während die Wirtschaft im Osten zusammenbrach, verzeichneten die Westländer einen Einheitsboom. Es kommt hier also der Strukturbruch im Beitrittsgebiet, nicht aber die Wachstumsdynamik zum Tragen. Und schließlich sehen Sie, daß der letzte Wirtschaftseinbruch drastisch aus dem bisherigen Wachstumsverlauf herausspringt. Das BIP ist 2009 um ca. 5% geschrumpft1 und auf den Stand von vor drei Jahren zurück geworfen worden. 1 Die Statistiken werden noch mehrere Jahre lang nachträglich revidiert, weil einem Teil der Angaben zunächst Schätzungen zu Grunde liegen. Eine Revision der Daten ist kann bis zu vier Jahre lang erfolgen. Daher werden die Einführung in die VWL 11 Wachstum und Konjunktur S. 213 Ein in der Nachkriegsgeschichte der BRD einmaliger Einbruch. Die Wachstumsrate (g - growth rate) mißt die Veränderung einer Größe in Prozent pro Zeiteinheit. Die Wachstumsrate des BIP im Jahr 2009 ist also z.B: gY = [(BIP2009 - BIP2008)/BIP2008] * 100 Eine zweite Information können Sie vielleicht erst auf den zweiten Blick sehen: Die Wachstumsraten sind mit der Zeit zurück gegangen: Eine kontinuierliche Wachstumsrate wäre durch einen exponentiellen Verlauf, also eine immer steiler werdende Kurve, gekennzeichnet. Der Verlauf für Deutschland ist eher linear, also müssen die Zuwachsraten mit der Zeit gesunken sein. Lassen Sie mich aber, bevor ich diese Frage etwas weiter verfolge, noch kurz eine weitere Korrektur vornehmen. Die Wachstumsrate des BIP alleine ist ja noch wenig aussagekräftig: Wenn die Bevölkerung ebenso schnell wächst wie das Einkommen, ändert sich am Einkommen der Menschen überhaupt nichts. Für viele Fragen wird daher nicht das BIP, sondern die Entwicklung des Einkommens pro Einwohner, das Pro-Kopf-Einkommen, die angemessene Maßzahl sein. Abb. 11.2: Wachstumsraten des BIP in Deutschland 1951 - 2009 12.00% 10.00% 8.00% 6.00% 4.00% 2.00% 2008 2005 2002 1999 1996 1993 1990 1987 1984 1981 1978 1975 1972 1969 1966 1963 1960 1957 1954 -2.00% 1951 0.00% -4.00% -6.00% Bis 1991: alte BRD; ab 1992 Deutschland gesamt. Quellen: Bis 1970: Bundesbank; 1971 - 2007 SVR (2008); 2008: destatis; 2009: Prognosen. Eigene Berechnungen Das Pro-Kopf-Einkommen (PKE oder PCI - per capita income) ist das BIP geteilt durch die Anzahl der Einwohner. Damit beeinflussen zwei Faktoren die Entwicklung des PKE: endgültigen Daten für 2009 erst im Jahre 2013 vorliegen. (Statistisches Bundesamt: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen Revisionsbedarf des Bruttoinlandsprodukts) S. 214 10 Wachstum und Konjunktur Karl Betz Durch das Wirtschaftswachstum (gY) steigt es und durch das Bevölkerungswachstum (gB) fällt es, weil das Einkommen auf mehr Köpfe verteilt wird. Das Wachstum des PKE ist daher: gPKE = gY - gB Um auf den gleichen Anstieg des PKE zu führen, muß gY daher in einem Land mit hohem Bevölkerungszuwachs höher sein als z.B. in der BRD mit ihrer in der Zukunft schrumpfenden Bevölkerung. Das relativiert z.B. den Unterschied in den Wachstumsraten der BRD und der USA mit ihrer wachsenden Bevölkerung. Da die Bevölkerung der Bundesrepublik bisher gewachsen ist, hat sich das PKE langsamer entwickelt als das BIP. Es ist seit 1950 auf rund das 5-fache gestiegen (Maddison). Um auf die Schwankungen des Wachstums zurück zu kommen: Zwar sieht der Trend relativ gleichmäßig aus, aber wenn frau genauer hinsieht, weist er doch Zacken, kleine Ausschläge, Abweichungen von der Trendentwicklung auf. Diese bezeichnen die Konjunkturzyklen. In Abbildung 11.2, die statt des BIP selbst dessen Wachstumsraten ausweist, werden diese Ausschläge deutlicher sichtbar: Traditionell ist der Gegenstand der Wachstumstheorie die Erklärung des Trends, also der durchschnittlichen Wachstumsrate, während Gegenstand der Konjunkturtheorie die Erklärung der Abweichungen von diesem Trend also das auf und ab der Wachstumsraten ist. Es liegt dabei nahe, zu erklären, daß die Wachstumsdynamik wichtiger als die Konjunktur sei. Denn was ist entscheidender: Wachstumsschwankungen von einigen Prozent innerhalb eines Konjunkturzyklus oder die Verfünffachung des Pro-Kopf-Einkommens innerhalb von 60 Jahren? Allerdings, und darauf wird noch zurück zu kommen sein, unterstellt diese Position, daß vom Konjunkturverlauf kein Einfluß auf die Wachstumsraten ausgeht. Im folgenden soll zunächst die Wachstumstheorie, also die Erklärung des Trends und danach die Konjunkturtheorie, also die Erklärung der Schwankungen, betrachtet werden. 11.2 Wachstumstheorie 11.2.1 Der definitorische Rahmen Um seine Gedanken zu sortieren, ist es mitunter ganz hilfreich, mit Identitäten zu starten, also Beziehungen, die immer und unabhängig von der Theorie erfüllt sein müssen. Ich fange hier mal an mit der Feststellung, daß Y, das BIP, der reale Output gleich Y ist. Y=Y Diese Beziehung sollte auch dann nicht falsch werden, wenn man eine Seite der Gleichung mit 1 mal nimmt - und 1 kann z.B. als A/A geschrieben werden: Y = Y · (A/A) Dieser Ausdruck läßt sich umformen zu: Y = (Y/A) · A Und auf einmal sagt die Sache etwas aus: Das BIP ist gleich dem Arbeitseinsatz mal dem Output pro Arbeitseinheit - der (durchschnittlichen) Arbeitsproduktivität. Ich nenne die mal λ: Einführung in die VWL 11 Wachstum und Konjunktur S. 215 Y= λ·A Diese Beziehung läßt folgende Lesarten zu: YAT = λ · A* angebotsorientiert: Wenn ich die Beschäftigung kenne (Sie erinnern sich: Der Arbeitsmarkt führt zu Vollbeschäftigung), dann bestimmt die Arbeitsproduktivität das Einkommen. ANE = Y*/λ nachfrageorientiert: Wenn ich die Nachfrage kenne, gibt die Arbeitsproduktivität mir die Beschäftigung. (Und die Arbeitslosigkeit ist dann AAT - ANE.) Dies sind die Diagramme 6.10 und 10.8 in Kurzfassung: Mal (angebotsorientiert) geht's vom Arbeitsmarktgleichgewicht (A*) über die Produktionsfunktion zum Output. Mal (nachfrageorientiert) geht's vom Gütermarktgleichgewicht (Y*) über die Produktionsfunktion (bzw. die Beschäftigungsfunktion, aber das ist ja nur die Umkehrfunktion der Produktionsfunktion, also die Produktionsfunktion in der anderen Richtung gelesen) zur Beschäftigungsfunktion. (Zumindest) kurzfristig funktioniert auch noch eine dritte Lesart: λ = Y/A Das ist das, was in der BRD in der letzten Krise geschehen ist: Die Unternehmen haben - dank der Ausweitung der Regelungen für Kurzarbeitergeld - die Beschäftigung nicht im gleichen Umfang abgebaut, wie die Nachfrage eingebrochen ist - nicht zuletzt, weil sie (wie sich herausstellte: zu Recht) hofften, daß die Exportnachfrage schnell wieder anziehen würde und dann Gewehr bei Fuß stehen wollten und sofort ihre Produktion wieder anspringen lassen wollten. A ist also weniger stark eingebrochen als Y und als Reflex ist die durchschnittliche Produktivität eingebrochen. In den USA praktizierten die Firmen das Gegenteil: Sie bauten die Belegschaften stärker ab als ihren Output (die steigende Arbeitslosigkeit war ja ein gutes Mittel, eine höhere Produktivität zu erzwingen) und entsprechend ist die Produktivität in den USA in der Krise gestiegen. Tatsächlich gibt es auch eine langfristige Verbindung, aber auf diese (Verdoorns Gesetz) komme ich im Abschnitt zur keynesianischen Wachstumstheorie zurück. Wenn man den Ausdruck in Wachstumsraten übersetzt und nach der Zeit ableitet, dann werden aus Produkten Summen (und aus Exponenten multiplikative Faktoren).2 Es ist dann also, wieder mit g für die Wachstumsrate, also die prozentuale Änderung pro Zeiteinheit: gY = gA + gλ angebotsorientiert: gY = gA + gλ Die Wachstumsrate des BIP ist gleich der Wachstumsrate der Beschäftigung plus der Zuwachsrate der Arbeitsproduktivität (oder auch: dem technischen Fortschritt). nachfrageorientiert: gA = gY - gλ Wachstumsrate des BIP minus Wachstumsrate des technischen Fortschritts (der Arbeitsproduktivität) gleich Veränderung der Beschäftigung in Prozent. Wenn man also behauptet, durch technischen Fortschritt steige der Wohlstand (das Einkommen pro Kopf), dann denkt man angebotsorientiert: Weil sich A nicht ändert, ist die Wachstumsrate gleich der Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität. Die oft geäußerte Befürchtung, der Gesellschaft könne die Arbeit ausgehen (technischer Fortschritt vernichte Arbeitsplätze), muß implizit unterstellen, daß das BIP langsamer wächst als die Produktivität - die Idee funktioniert also, wenn überhaupt, höchstens nachfrageorientiert. Mit den beiden Lesarten von Y = λ · A sind die beiden Wachstumstheorien im Prinzip auch schon abgehandelt. Alles was noch bleibt, ist ein wenig mehr ins Detail zu gehen. 2 Das Spielchen kennen Sie schon. Ich hatte den Trick auch schon beim Realzinssatz (r = i - π) und bei der Wachstumsrate des BIP (gY = gPY - π) ausgenutzt. Scheinbar lohnt es sich, sich das Schema zu merken. S. 216 10 Wachstum und Konjunktur Karl Betz 11.2.2 Nochmal zur Produktionsfunktion Der Output (das BIP) einer Ökonomie kann nicht dauerhaft schneller wachsen als ihre Produktionsmöglichkeiten. Wenn Sie an Kapitel 4, die Produktionsfunktion, zurück denken, dann werden die Produktionsmöglichkeiten einer Volkswirtschaft beschrieben über - ihre Ausstattung mit Produktionsfaktoren (Produktionsinputs) und - die konkrete Produktionsfunktion, die die Technik beschreibt und damit festlegt, wie viel Output diese Produktionsfaktoren erzeugen können. In Kapitel 4 hatte ich, wie auch die ältere Wachstumstheorie, nur zwei Produktionsinputs betrachtet: Arbeit und Kapital. Die neuere Wachstumstheorie ist hier etwas ausführlicher. Hier ist Y = τ · PF(A, K, H, NR) Der Output hängt (positiv) ab von τ - dem technischen Wissen, also dem Wissen über Produktionsverfahren. Technischer Fortschritt läßt sich als Verbesserung des technischen Wissens abbilden und ermöglicht mit der gleichen Menge an Inputs mehr Output herzustellen. In dem Produktionspreismodell von Kapitel 5 würde sich z.B. eine Steigerung von τ einstellen, wenn Daniel Düsentrieb ein neues Verfahren entdeckt, bei dem die gleiche Menge an Kaninchen mit weniger Kaninchen und/oder Arbeit hergestellt werden kann. Und er hängt ab von der Menge an verfügbaren Inputfaktoren A - der Menge der eingesetzten Arbeit, gemessen in Stunden. H - dem Humankapital, also dem Qualifikationsniveau der eingesetzten Arbeiterinnen. Dies läßt sich über die Ausbildung ("Investitionen in Humankapital") beeinflussen. K - dem Kapitalbestand NR - dem Bestand an natürlichen Ressourcen (Boden, Rohstoffe, Umweltbedingungen ... ) Dabei bedarf der Unterschied zwischen H und A noch der Erklärung: Während A mißt, wie viele Arbeitsstunden eingesetzt werden, mißt H, wie qualifiziert diese Arbeit ist, sprich wie viel von dem technischen Wissen τ sich die Arbeiterinnen angeeignet haben. A mißt also quasi, wie viele Studierende an der FH Kurse besuchen, τ mißt das in den Büchern der Bibliothek aufgezeichnete Wissen und H mißt, wie viel von diesem Wissen die Studierenden sich angeeignet haben. Wird unterstellt, daß die Produktionsfuktion linearhomogen ist, so kann man die Arbeit in der Funktion auch ausklammern: (Y/A) = τ · PF[(A/A), (K/A), (H/A), (NR/A)] ==> λ = (Y/A) = τ · PF[1, (K/A), (H/A), (NR/A)] Die Arbeitsproduktivität, also der Output pro Arbeitseinheit, hängt also positiv ab vom technischen Wissen, der durchschnittlichen Qualifikation, also der Ausstattung mit Humankapital, dem Kapitaleinsatz pro Arbeitseinheit und der Ausstattung mit natürlichen Ressourcen pro Arbeitseinheit. Sie kann daher erhöht werden, wenn der Kapitaleinsatz pro Arbeitseinheit wächst, wenn die Ausbildung verbessert wird (also die Humankapitalausstattung pro Arbeitseinheit steigt), oder, weniger naheliegend, wenn sich die Ausstattung mit natürlichen Ressourcen ändert. (Allerdings bedeuten zunehmende Umweltbelastung und Bevölkerungswachstum, daß die Ausstattung mit NR pro Arbeitseinheit zurückgeht. Oder andersherum: Höhere Umweltstandards bedeuten, daß weniger natürliche Ressourcen in der Produktion verbraucht werden dürfen (z.B. weniger CO2 emittiert werden darf). Dieser Effekt ist dann wieder nicht so uninteressant.) Und Einführung in die VWL 11 Wachstum und Konjunktur S. 217 schließlich kann sich, durch Wissenschaft und Forschung, der Bestand an technischem Wissen erhöhen. Arbeitsproduktivität und pro-Kopf-Einkommen. Manchmal erzählen Ihnen die Lehrbücher, diese Faktoren würden zu einem wachsenden proKopf-Einkommen (und nicht nur zu steigender Arbeitsproduktivität) führen. Das stimmt allerdings nur dann, wenn das Verhältnis von Beschäftigung zu gesamter Bevölkerung als konstant unterstellt wird. (Was die Autoren auch tun. Sie sagen es Ihnen nur nicht.) Wenn aber a) der Anteil der arbeitsfähigen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung sich ändert (Stichwort: demographischer Wandel) und/oder wenn b) die Arbeitslosigkeit steigt (also der Anteil der Beschäftigten an der arbeitsfähigen Bevölkerung sinkt) dann muß man erstmal genauer hinsehen (z.B. nach der Entwicklung der Nachfrage fragen), wenn man wissen will, ob Änderungen von λ in der Summe wirklich auf ein höheres Pro-KopfEinkommen hinauslaufen oder nur auf eine geringere Beschäftigung. K/A und Produktionspreismodell In Kapitel 5 wurde ja gesagt, (a) daß, wenn die Profitrate bekannt ist, auch die Wahl der Technik, und mithin K/A, festliegt (b) und daß, auf Grund des Problems der Wiederkehr der Technik, auch nicht gesagt werden kann, daß ein niedrigerer Zinssatz mit einem höheren Kapitaleinsatz verbunden sei. Wird dieser Zusammenhang hier obsolet? Nicht unbedingt. Eine reichere Ökonomie weist ja auch eine bessere Infrastruktur auf - und eine bessere Infrastruktur eröffnet neue Produktionsmöglichkeiten. Denken Sie z.B. an die Einschränkung, die Sie bei der Technikwahl haben, wenn Sie keine - oder keine zuverlässige - Stromversorgung haben, wie dies in vielen Entwicklungsländern der Fall ist. Erfaßt man die Infrastrukturinvestitionen mit unter K, dann eröffnet eine bessere Ausstattung mit Infrastruktur neue Produktionsmöglichkeiten und schaltet damit quasi eine neue Technik im Diagramm der Faktorpreisgrenze frei. Geht man nun davon aus, daß die Infrastrukturprojekte, die den höchsten Grenzertrag liefern zuerst gebaut werden,3 dann kommt man auf das Ergebnis, daß eine weitere Erhöhung von K, gegeben τ, A, H und NR, abnehmende Erträge liefert. Wachstumsdynamik, und das ist auch das Ergebnis der neoklassischen Wachstumstheorie, kann dann nicht über die Kapitalvermehrung alleine erklärt werden. 11.2.3 Angebotsorientierte Wachstumstheorie Bei Harrod und Domar geschah Wachstum über Kapitalakkumulation: In dem der Kapitalbestand stieg, stieg zu gleich die Beschäftigung und damit der Output. Am Kapitaleinsatz pro Arbeiter und 3 Ok, wie der Streit um Stuttgart 21 gezeigt hat, ist das für die deutsche Verkehrspolitik nicht so sicher. S. 218 10 Wachstum und Konjunktur Karl Betz damit an der Arbeitsproduktivität änderte sich - jedenfalls innerhalb des Modell endogen - nichts. Wachstum bedeutete einfach eine Erhöhung aller Produktionsinputs: Eine Erhöhung der Beschäftigung war möglich, weil man entweder (Harrod) Arbeitslosigkeit unterstellte, oder weil (Lewis) Wachstum das Wachstum eines modernen Sektors war, der unterbeschäftigte Arbeit aus den traditionellen Sektoren (Landwirtschaft) absorbieren konnte.4 Letzterer Ansatz war vor allem in der Entwicklungstheorie und in Modernisierungstheorien (Rostow) sehr prominent. Trotz der Annahme von Arbeitslosigkeit ist der Ansatz insofern angebotsorientiert, als er unterstellte, daß durch Ersparnis Kapital gebildet wird, dieses zusätzliche Kapital eine höhere Produktion in der Zukunft erlaubt und es kein Problem gibt, diese zusätzliche Produktion auch abzusetzen. Also, mit 0 und 1 als Zeitindices für heute und morgen: S0 ==> I0 ==> K1 ==> YAT1 ==> YNE1. Die Ersparnis heute wird heute zu Investitionen und die heutigen Investitionen werden in der Zukunft kapazitätswirksam. Dadurch kann im nächsten Jahr mehr hergestellt werden und deswegen steigt das Volkseinkommen im nächsten Jahr. In allen neueren angebotsorientierten Ansätzen ist nun Vollbeschäftigung unterstellt. Das heißt mehr oder weniger,5 daß A* gegeben ist. Der technische Fortschritt und das Humankapital wurden in den älteren Wachstumsmodellen nicht thematisiert. NR lasse ich mal weg, weil es eh nicht zu beeinflussen ist. Dann landet man beim Solow-Wachstums-Modell: Y = τ · PF(A, K) Da A vorgegeben ist (Vollbeschäftigung6) (Solow spricht vorsichtiger von einer konstanten Beschäftigungsquote - aber warum sollte diese konstant sein, wenn nicht weil Arbeitslosigkeit ausgeschlossen wurde?) und der technische Fortschritt als exogen unterstellt wird, kann Y nur noch über eine Erhöhung von K wachsen. Denken Sie jetzt wieder zurück an Kapitel 4 und Sie können zweierlei sehen. a) Durch das steigende K steigt die Arbeitsproduktivität - damit wächst einmal das Volkseinkommen. Zugleich steigen aber auch die Lohnsätze, weil das Grenzprodukt der Arbeit ja vom Kapitaleinsatz pro Arbeiter abhängt - oder, schlichter formuliert: weil eine höhere Produktivität höhere Löhne erlaubt. b) Wenn die Produktionsfunktion konstante Skalenerträge aufweist - wenn also die Verdopplung aller Inputs zu einer Verdopplung des Outputs führt - dann muß eine partielle Faktorvariation (nur K wird erhöht, A bleibt fix) sinkende Grenzerträge aufweisen. Je weiter der Kapitalstock wächst, desto niedriger ist der Grenzertrag - zusätzliche Investitionen lohnen sich also immer weniger - bis man an den Punkt kommt, an dem sie sich nicht mehr lohnen. Dauerhaftes Wachstum kann daher im Solow-Modell nur Modell exogen erklärt werden: 4 Genau genommen haben wir es auch hier mit Arbeitslosigkeit zu tun - wenn man die Arbeitslosen auch nicht sieht: Die Landbevölkerung erzielt ein niedrigeres Einkommen und würde gerne in die Industrie wechseln, findet dort aber keine Arbeitsplätze. Auf Grund der Arbeitslosigkeit in den Städten bleibt sie auf dem Land (Harris/Todaro), wo die Versorgung innerhalb der Familie funktionell an die Stelle der Arbeitslosenversicherung tritt. 5 In Wahrheit heißt es das nicht ganz - in Kapitel 6 bedeutet ja eine wachsende Erstausstattung steigende Löhne und steigende Löhne erlauben ein höheres Vollbeschäftigungsgleichgewicht. Den gleichen Effekt hätte auch eine steigende Arbeitsproduktivität durch technischen Fortschritt. Aber in den Solow-Wachstums-Modellen ist A als gegeben unterstellt und so ist das Argument einfacher darzustellen. 6 Solow spricht vorsichtiger von einer konstanten Beschäftigungsquote - aber warum sollte diese konstant sein, wenn nicht weil Arbeitslosigkeit ausgeschlossen wurde. Einführung in die VWL 11 Wachstum und Konjunktur S. 219 Es wächst entweder die Bevölkerung, und damit A, oder es wächst die Produktivität und damit τ. Neue Wachstumstheorie Die neue, endogene Wachstumstheorie ist im Prinzip ein erweitertes Solow-Modell, das zu erklären sucht, wie sich die Produktivität entwickelt, statt deren Entwicklung als gegeben zu unterstellen. Hier gibt es zwei (sich ergänzende) Stränge. Die Humankapitaltheorie (Lucas) erklärt die Entwicklung des Humankapitals: Nehmen Sie an, ein unqualifizierter Arbeiter kann mit einem Hammer arbeiten, während ein qualifizierter Arbeiter mit zwei Hämmern gleichzeitig hämmern kann (jetzt fragen Sie mich aber bitte nicht, wer die Nägel hält). Dann wirkt eine Steigerung des Humankapitals im Kern ganz genauso auf das BIP Wachstum, wie eine Steigerung von A (bei Solow): Die gleiche Anzahl Menschen kann jetzt doppelt so viele Kapitalgüter einsetzen. Eine Ökonomie mit höher qualifizierter Bevölkerung kann daher einen höheren Kapitalstock und ein höheres Pro-Kopf-Einkommen erreichen. Die Akkumulation von Humankapital nun läßt sich endogen erklären: Höhere Produktivität, also höheres H, erlaubt höhere Löhne. Eine höhere Produktivität läßt sich durch eine längere Ausbildung erreichen. Das Problem allerdings ist, daß eine längere Ausbildung auch kostet. Damit landet man in einem Maximierungsproblem: Ohne Ausbildung erreicht frau einen niedrigen Stundenlohnsatz. Durch die Ausbildung steigt der (erwartete) Stundenlohn. Gegen zu rechnen sind allerdings die direkten Kosten der Ausbildung und die indirekten Kosten: Für die Zeit der Ausbildung entgeht Ihnen ja Lohn. Im Extrem: Wenn Sie studieren, bis Sie 67 sind, sind sie zwar evtl. qualifiziert wie Hund, gehen aber sofort danach in (Sozial-)Rente, sodaß Ihr erwartetes Einkommen null ist. Der erwartete Vorteil einer Ausbildung steigt also mit der Ausbildungsdauer zunächst an und wird dann ab einer bestimmten Ausbildungsdauer wieder abnehmen. Dies ist nicht nur einzelsondern auch gesamtwirtschaftlich so: In der Zeit, in der das Humankapital gebildet wird, wird nicht gearbeitet. Eine hohe Humankapitalbildung erhöht also H, senkt aber zugleich A. Endogener technischer Fortschritt. Modelle im Anschluß an Romer versuchen, die Entwicklung technischen Wissens endogen zu erklären. Direkt z.B. darüber, daß die Möglichkeit, Patente zu erlangen, Forschung anregen, weil es sich finanziell lohnt in F+E zu investieren. Technischer Fortschritt weist aber zugleich (Wissens-)externalitäten auf, so daß ein hoher Bestand an technischem Wissen (gemessen z.B. durch die Zahl der Patente) seinerseits weiteren technischen Fortschritt erleichtert. Schließlich gibt es eine Reihe von Versuchen, Wachstum mit institutionellen Rahmenbedingungen zu erklären (Korruption, Rechtssicherheit etc.). Wachstumsprognosen Langfristige Wachstumsprognosen liefert nur die angebotsorientierte Theorie. Das kann man sehr kompliziert machen, aber im Kern laufen diese Prognosen alle darauf hinaus, den bisherigen Trend der Entwicklung der Arbeitsproduktivität fortzuschreiben und sich die Bevölkerungsentwicklung (die geschätzte zukünftige demographische Entwicklung) vom statistischen Bundesamt zu holen. Da die meisten Menschen, die in zwanzig Jahren arbeiten können, alle heute schon geboren sind, kann man die arbeitsfähige Bevölkerung in zwanzig Jahren recht genau voraus schätzen. (OK, man braucht noch Annahmen über Zu- und Abwanderung.) Dann unterstellt man entweder noch, daß der gleiche Prozentsatz der arbeitsfähigen Bevölkerung wie heute auch beschäftigt ist (und bedenkt, daß die Lebensarbeitszeit zunimmt. Erhöhung des Renteneintrittsalters.). Nehmen Sie an, die geschätzte Arbeitsbevölkerung in der BRD sei in 20 S. 220 10 Wachstum und Konjunktur Karl Betz Jahren nur noch 90% der heutigen und schreiben Sie das bisherige Wachstum der Arbeitsproduktivität von, sage 1,5% fort, dann kommen Sie auf die Prognose, daß das BIP in 20 Jahren rund 20% höher sein wird als heute: gY = gA + 20% = (-)10% + gλ 30% (Das mal wieder mal nur die Näherung. Genau gerechnet: Bei einem jährlichen Zuwachs von 1,5% wächst die Arbeitsproduktivität in 20 Jahren um 34,69% und das BIP daher um 21,2%, aber Sie sehen, daß die Faustformel bei nicht zu hohen Zahlen ganz gut funktioniert.) Eine nachfrageorientierte Langfristprognose wäre hingegen Scharlatanerie - ich kann Ihnen nicht sagen, wie hoch die marginale Konsumneigung in 20 Jahren ist. 11.2.4 Nachfrageorientierte Wachstumstheorie Machen Sie sich zunächst klar, daß die im angebotsorientieren Abschnitt diskutierte Produktionsfunktion nur die Arbeitsproduktivität (Y/A) bestimmt, nicht aber den Output (Y). Stehe A* für Vollbeschäftigung und u für die Arbeitslosenquote (U/A*), dann ist Y: A* (1-u) (Y/A) = (1-u) · τ · PF[1, (K/A), (H/A), (NR/A)] Für u größer Null wäre Wachstum also möglich, indem die Beschäftigung erhöht wird – eine Möglichkeit, welche die neoklassischen Wachstums-Modelle ausschließen, in dem sie unterstellen, daß der Marktprozeß immer auf Vollbeschäftigung führt. Beschäftigung wird im allgemeinen nur im Rahmen von Konjunkturtheorie untersucht. Damit wird in der Wachstumstheorie seit Solow üblicherweise Vollbeschäftigung unterstellt. Eine Ausnahme bilden aber Kalecki, Kaldor und Robinson, die eine keynesianische Wachstumstheorie versuchen. Bei diesen Ansätzen führen positive Absatzerwartungen in der Zukunft zu Investitionen heute. Und diese Investitionsnachfrage generiert die Ersparnis, welche sie finanziert: Entweder in dem sie (über den Multiplikator) das Einkommen und daher, bei gegebener Sparneigung, die geplante (ex ante) Ersparnis erhöht und/oder, in dem sie (als Überschußnachfrage) die Gewinne erzeugt, die die Investitionen finanzieren (ungeplante, ex post Ersparnis) E[YNE1] ==> I0 (==> Y0) ==> S0 ==> K1 ==> YAT1 . Die erwartete Nachfrage von morgen führt also zu Investitionen heute. Investitionen heute führen (als autonome Nachfrage, über den Multiplikator) zu zusätzlicher Nachfrage heute und daher zu einer höheren Beschäftigung (und einem höheren Einkommen) heute. Wenn diese steigende Nachfrage nun zur Erwartung in Zukunft weiter steigender Nachfrage führt, regt sie in der Zukunft weitere Investitionen an und ermöglicht so einen Wachstumsprozeß. Technischer Fortschritt wird hier zumindest zum Teil endogen erklärt: Wachstum erzeugt technischen Fortschritt (Verdoorns Gesetz). Teils, weil eine höhere Investitionsquote bedeutet, daß der Maschinenpark im Durchschnitt jünger ist (und damit mehr von der neuesten Technik in ihm inkorporiert ist (Vintage-Modelle)), teils weil von den Herstellern von Kapitalgütern Forschungsund Entwicklungsinvestitionen als rentabler eingeschätzt werden, wenn sie erwarten mehr von den neu entwickelten Maschinen verkaufen zu können. Das Problem des Ansatzes besteht aber darin, daß die Absatz- bzw. Gewinnerwartungen, ("animal spirits") die den ganzen Prozeß anstoßen, letztlich unerklärt bleiben Einführung in die VWL 11 Wachstum und Konjunktur S. 221 Nachfrage- vs. angebotsorientierte Wachstumstheorie: Beschäftigung und Produktionsmöglichkeiten Der Punkt ist, daß die angebotsorientierte Wachstumstheorie nur erklärt, wie viel bei Vollbeschäftigung hergestellt werden könnte. Und um wie viel der Output in der Zukunft wachsen könnte, wenn Jahr für Jahr Vollbeschäftigung herrschen würde. Erst durch die Zusatzannahme, daß der Markt auch immer für Vollbeschäftigung sorgt, wird die neoklassische Wachstumstheorie damit außer einer Theorie des Vollbeschäftigungsoutputs zu einer Theorie des BIP-Wachstums. Sie können sich das an der Produktionsfunktion klar machen: Die neoklassische Wachstumstheorie thematisiert λ und damit den maximal möglichen Output. Die keynesianischen Wachstumstheorie verweist nun aber darauf, daß erstmal geklärt werden müßte, ob dieser maximal mögliche Output überhaupt verkauft werden kann. Ist das nicht der Fall, würde weniger produziert als eigentlich möglich. Erstens beschränkt also die Nachfrage die Ausnutzung der Produktionsmöglichkeiten. Hierzu komme ich im Abschnitt Konjunktur. Zweitens aber bedeutet eine geringere Nachfrage auch, daß in der Folgeperiode ein geringerer Faktorbestand vorhanden ist: Ein Einbruch der Investitionen heute bedeutet einen geringeren Kapitalbestand morgen. Länger andauernde Arbeitslosigkeit bedeutet Dequalifizierung und kann ferner dazu führen, daß Arbeitsanbieter sich entmutigt vom Arbeitsmarkt zurück ziehen. Der erste Effekt senkt H und der zweite Effekt reduziert A. Ferner bedeuten Krisen Gewinneinbrüche und Pleiten. Pleiten aber vernichten Kapital und Gewinneinbrüche können dazu führen, daß auf Grund von Finanzierungsengpässen F+E Ausgaben reduziert werden. 11.3 Konjunktur Der Begriff Konjunktur beschreibt die Abweichung des Wachstums in einem ''Jahr vom langfristigen Trend. Im allgemeinen wird der Konjunkturzyklus in eine Abfolge von Aufschwung (mit ansteigendem Einkommen) und Abschwung (mit abnehmendem Einkommen) wobei sich diese Phasen noch feiner unterteilen lassen in Aufschwung (die Wachstumsraten nehmen zu), Boom (nicht: Boon) (das Einkommen nimmt weiter zu, aber mit abnehmender Zuwachsrate), Rezession (das Einkommen sinkt) und Depression (der Rückgang des Einkommens klingt aus). Technisch wird von einer Rezession (vom National Bureau of Economic Research) dann gesprochen, wenn das Einkommen in zwei Quartalen in Folge sinkt. Im wesentlichen sind sich angebots- und nachfrageorientierte Theorie darin einig, daß der Konjunkturzyklus sich durch mehr oder minder regelmäßige Abweichungen der Nachfrage vom langfristigen Trend ergibt7 - der Unterschied, das wurde oben schon herausgestellt, besteht eben in 7 Eine Ausnahme bildet die Real Business Cycle Theorie des extremen Teils der angebotsorientierten Ökonomen. Diese postuliert, daß die Ökonomie sich immer im Vollbeschäftigungsgleichgewicht befindet, daß dieses selbst aber schwanken kann: Durch technologische Innovationen wächst der Output, die Arbeitsproduktivität und der Lohnsatz. Die Arbeitsanbieter können also, bei technischen Innovationen, in der Zukunft höhere Löhne erwarten. Der seinen Nutzen maximierende Arbeitsanbieter wird sich nun überlegen, daß in der Zukunft die Löhne höher sein werden. Dann ist es geschickt, seine Freizeit vorzuziehen und seine Arbeit erst wieder anzubieten, wenn die Löhne gestiegen sind. Deswegen schwankt die Beschäftigung - nicht weil unfreiwillige Arbeitslosigkeit entstanden wäre, sondern weil die Arbeiterinnen ihr Arbeitsangebot senken und ihren Urlaub vorziehen. Eine Theorie, die die S. 222 10 Wachstum und Konjunktur Karl Betz der Frage, was diesen langfristigen Trend bestimmt - die Entwicklung der Angebotsbedingungen (angebotsorientierte Theorie) oder die Trendentwicklung der Nachfrage (nachfrageorientierte Theorie). Da aber der Konjunkturprozeß über die Nachfrage erklärt wird, wurde seine formale Behandlung schon in den Kapitel 9 und 10 erledigt. Es handelt sich einfach um Schwankungen der Nachfrage, die sich, über den Multiplikatorprozeß, in Schwankungen des Einkommens übersetzen. Abb. 11.3: Konjunkturzyklus Die Illustration klaue ich einfach mal aus Wagner weil ich sie auch nicht sauberer hinkriege. Was einzig noch zu klären wäre ist, (a) wieso der Absturz gebremst wird - warum also die Volkswirtschaft nicht immer weiter schrumpft, wenn sie einmal in die Krise geraten ist, und wieso der Aufschwung schließlich ausläuft und wieder in einen Abschwung mündet. (b) wieso diese Schwankungen periodisch immer wieder auftreten. Zu beiden Fragestellungen gibt es eine Vielzahl von Antworten - Schmölders (Konjunkturtheorie) hat z.B. schon in den 50ern über 100 Konjunkturtheorien gezählt. Eine mögliche Antwort auf (a) habe ich vorn schon einmal erwähnt: Auf einen Nachfrageeinbruch reagieren die Unternehmen zunächst mit einem Abbau ihrer Läger. Irgendwann sind die aber einmal leer und damit nehmen die Bestellungen wieder zu. Damit erholt sich die Nachfrage etwas und dies regt zum Aufstocken der Läger an. Irgendwann sind die aber voll und ... Was (b) betrifft, so geht diese Frage über den Stoff einer Einführung hinaus. Um aber die Weltwirtschaftskrise damit erklären will, daß sich viele Arbeiter in den dreißiger Jahren ein paar Jahre unbezahlten Urlaub genommen haben, ist aber, mit Verlaub, nicht ernst zu nehmen, egal wie formal elegant sie formuliert wird. Einführung in die VWL 11 Wachstum und Konjunktur S. 223 Richtung der Antwort anzudeuten: Formal muß man eine Ökonomie so modellieren, daß Veränderungen in früheren Perioden in die heutige Nachfrage einfließen. Nehmen sie z.B. an, Sie entschließen sich erst dann in eine teurere Wohnung umzuziehen, wenn Ihr Einkommen schon seit einiger Zeit höher ist (oder wenn bei der neuen Stelle die Probezeit abgelaufen ist). Dann fließen Einkommensänderungen früherer Perioden in Ihre heutige Nachfrage ein, Ereignisse in der Vergangenheit wirken in der Gegenwart fort. Die Ökonomie "erinnert" sich dann an frühere Schocks und diese wirken in der Zukunft weiter. Abb. 11.4: Konjunkturzyklus in der BRD Konjunkturzyklus in der BRD (Abweichung von Trendwachstum in %-Punkten ) 0.06 0.04 0.02 0 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 -0.02 -0.04 -0.06 -0.08 Datenquellen: Penn World Tables, SVR, WEO. Eigene Berechnungen. Anderseits sollte man das mit den Zyklen auch nicht zu wörtlich nehmen. Ich habe in Abb. 11.4 die Abweichungen der Wachstumsraten in der BRD von ihrem siebenjährigen Durchschnitt abgetragen, wobei ich den 7-jährigen Durchschnitt mal als grobe Approximation des Trends nehme. Was einem hier auffällt, ist erstens: Die grobe Idee stimmt schon, es wechseln sich Auf- und Abschwünge ab. So richtig stetig sind die Schwankungen aber nicht wirklich: Erstens sind die Amplituden nicht alle gleich lang und zweitens sind die Ausschläge unterschiedlich stark. Insbesondere von Mitte der 90er bis Mitte der 00er konnte man den Eindruck haben, daß die Ausschläge stark gedämpft waren. Die Ökonomen feierten dies als "Ende des Konjunkturzyklus", als "Great Moderation". Endlich hatte die Wirtschaftspolitik gelernt, wie man Konjunkturausschläge vermeiden konnte: durch eine kluge Geldpolitik und einen weitgehenden Verzicht auf staatliche Eingriffe und Fiskalpolitik. Was dann kam, wissen Sie .... 11.4 Hysterese oder: Hat die Konjunktur einen Einfluß auf das Wachstum? Wenn der Zyklus wirklich so verläuft, wie in Abb. 11.3 dann sind die Wirtschaftsschwankungen zwar unangenehm für die Betroffenen - z.B. weil die Arbeiterinnen in manchen Jahren weniger arbeiten als geplant und in anderen ungeplante Überstunden machen müssen. S. 224 10 Wachstum und Konjunktur Karl Betz Aber wirklich dramatisch sind sie in diesem Fall für die Volkswirtschaft nicht, denn das, was durch das unterschiedliche Wachstum in der Krise an Output verloren geht, wird ja durch das überdurchschnittliche Wachstum im Boom wieder aufgeholt. Es gäbe also wenig Grund für eine wirtschaftspolitische Intervention zur Krisenbekämpfung. Ja, diese könnte , in den Augen angebotsorientierter Ökonomen, sogar schädlich sein, wenn sie z.B. die Preisflexibilität aushöhlt (Arbeitslosengeld verringert die Bereitschaft der entlassenen Arbeiterinnen, Lohnsenkungen hinzunehmen) oder Ressourcen in falschen Verwendungen bindet (die Subventionierung der Kohleindustrie im Ruhrgebiet verhindert die Entlassung von Kumpels und die Softwareindustrie findet deswegen nicht genügend Systementwickler). Aber man kann auch den Verdacht haben, daß krisenhafte Einbrüche nicht immer weiser aufgeholt werden: Nachfrageorientiert z.B. weil der Einbruch des Einkommens in einer Krise vorsichtiger bei der zukünftigen Investitions- und Konsumnachfrage macht. Aber auch angebotsorientiert ist das nicht so ganz klar. Um diese Möglichkeit zu illustrieren, gehe ich nochmal zurück zur angebotsorientierten Wachstumstheorie. Y = τ · PF(A, K, H, NR) heißt ja: das Einkommen heute hängt u.a. ab vom Kapitalbestand, dem Bestand an Humankapital und der Beschäftigung heute. Kapitalbestand: Der Kapitalbestand heute wird bestimmt durch den Kapitalbestand gestern plus die Investitionen gestern. Angebotsorientiert sind aber die Investitionen gestern die Ersparnis von gestern - und die hängt von Einkommen von gestern ab. Durch die Krise war aber das Einkommen gestern niedriger als andernfalls: die Investitionen waren niedriger. Ferner wurde durch die Krise Kapital vernichtet (Konkurse). Also ist in Folge einer Krise der Kapitalstock heute niedriger als er andernfalls wäre. Humankapital: Menschen, die in einer Krise entlassen werden, verlieren mit der Zeit ihre Qualifikationen - oder ihre Qualifikationen veralten durch technischen Fortschritt. Daher senkt eine Krise - insbesondere eine länger anhaltende, die die Langzeitarbeitslosigkeit erhöht, den Bestand an Humankapital. Beschäftigung: In einer Krise, in Sonderheit in einer länger anhaltenden Krise, ziehen sich Menschen aus dem Arbeitsmarkt zurück weil sie keine Chance auf einen Job mehr für sich sehen. Das bisschen Abbau an Arbeitslosenquote, das die USA 2010/11 sah (knapp einen Prozentpunkt) war nicht einem Aufbau der Beschäftigung geschuldet - der konnte gerade mal knapp den Bevölkerungszuwachs kompensieren - sondern der Tatsache, daß sich Menschen entmutigt aus dem Erwerbsleben zurück zogen. Im neoklassischen Arbeitsmarktdiagramm bedeuten diese Effekte zusammengenommen, daß sowohl das Arbeitsangebot (Rückzug aus dem Arbeitsmarkt) als auch die Arbeitsnachfrage (geringerer Kapitalbestand) niedriger ist, als diese ohne die Krise gewesen wären. Aus all diesen Gründen ist der Outpuot im Jahr nach der Krise niedriger, als er es ohne die Krise gewesen wäre. Dieser geringere Output bestimmt aber die Investitionen heute (erneut: angebotsorientiert: weil das Einkommen die Ersparnis beeinflußt) - und damit das Einkommen morgen. So kann die Einkommensentwicklung zu einer Funktion ihrer eigenen früheren Entwicklung werden - auf Fachchinesisch: die Einkommensentwicklung wird pfadabhängig oder auch hysteretisch. Abbildung 11.5. faßt die denkbaren Zusammenhänge von Konjunktur und Wachstum erstmal schematisch zusammen. Dabei gibt die blaue Gerade den Wachstumstrend an und die rote Kurve die Einführung in die VWL 11 Wachstum und Konjunktur S. 225 tatsächliche BIP-Entwicklung im Konjunkturprozeß. Machen Sie sich zur Interpretation der Grafiken klar, daß der Verlust an BIP durch eine Krise oder der Gewinn durch eine Hochkonjunktur gleich der Fläche zwischen der roten und der blauen Kurve ist. Abb. 11.5: Konjunktur und Trendentwicklung Variante A ist die oben beschriebene: Der Output liegt im Konjunkturzyklus mal über, mal unter dem Trend. Was in der Krise verloren wird, wird in der Konjunktur wieder zurückgewonnen, so daß Konjunkturausschläge auf die Dauer das Einkommen nicht senken. Sie könnten also höchsten dann ein Problem darstellen, wenn die Akteure risikoavers sind und daher die mit Einkommensschwankungen verbundene Unsicherheit als nachteilig empfinden. Variante B ist eine Variante, die Brad de Long postuliert hat: Zwar kehrt die Einkommensentwicklung immer wieder zum Trend zurück. Sie erreicht ihn aber nur in der Hochkonjunktur. Wachstumseinbrüche führen daher immer wieder zu Einkommenseinbrüchen und diese werden nicht durch den darauf folgenden Aufschwung wieder aufgeholt. Die oben skizzierte Möglichkeit der Hysterese stellt Variante C dar. Durch eine Krise (zumindest: durch eine schwere Krise) bricht das Einkommen ein. Zwar wird die Trendwachstumsrate schließlich wieder erreicht - aber dieses Wachstum startet jetzt bei einem niedrigeren Niveau als dies ohne Krise der Fall gewesen wäre. Die Lücke zwischen möglicher und tatsächlicher Entwicklung schließt sich nicht, der Einkommensverlust durch die Krise ist dauerhaft. Einkommensentwicklung nach der Great Recession In den beiden nachstehenden Graphen ist die reale Einkommensentwicklung in der Bundesrepublik und in den USA abgetragen. Die blaue Linie schreibt die durchschnittliche Wachstumsrate von 2000 - 2006 fort, während die orange Kurve die tatsächliche BIPEntwicklung beschreibt (die Krise begann in den USA 2007, in der BRD zeitverzögert erst 2008, daher schneiden sich die Kurven in der Grafik für die BRD). Die Daten stammen von der WEO Database des IMF - wobei die Daten für die Jahre ab 2011 Schätzwerte sind. Damit sind die Grafiken (in dieser Auflage des Skripts) noch dem Einwand ausgesetzt, daß der Großteil der Daten nur die Erwartung des IMF reflektiert, daß die Krise länger andauernde Konsequenzen für den Output haben werde. Dem kann man aber entgegenhalten, daß sich die Prognosen des IMF für 2011 derzeit (September 2011) bereits als zu optimistisch erwiesen haben und die Schätzungen für 2012 ebenfalls nach unten revidiert werden. Wie man sieht scheint in beiden Fällen Szenario c) das plausiblere: Zwar kehrt die Ökonomie S. 226 10 Wachstum und Konjunktur Karl Betz zur Trendwachstumsrate zurück, nicht aber zur alten Trendgerade (b) und schon gar nicht wird der Outputverlust der Krise aufgeholt (a): Der Outputverlust ist dauerhaft. Abb. 11.6 Trend und Konjunktur: BRD / USA und Japan Es ist zwar richtig, wenn Sie in der Zeitung lesen, die Bundesrepublik habe mittlerweile den Outputeinbruch durch die Krise wieder aufgeholt. Aber das heißt nur, daß das Einkommen Ende 2011 wieder auf dem Niveau von 2008 angekommen ist. Drei Jahre durchschnittlichen Wachstums seit 2008 statt einer Krise hätten bedeutet, daß der Output heute 4,5% höher wäre ... Besonders dramatisch ist die lange Depression Japans seit Anfang der 90er (untere Grafik). Hinter dem Output, der sich durch die Fortschreibung der 5%igen Wachstumsraten der 80er und frühen 90er ergeben hätte, ist das Einkommen um rund 50% zurückgeblieben. Selbst wenn man konzidiert, daß der Wachstumstrend sich sowieso abgeflacht hätte (alternde Bevölkerung, ) bleibt das Ergebnis dramatisch: Die beiden unteren Kurven gehen davon aus, daß das mögliche Trendwachstum 1993 auf 3% bzw. 2% eingebrochen wäre (3% wären in Japan damals als Krise interpretiert worden.) Selbst dann bleibt es bei einem drastischen Outputverlust durch die lange Stagnation. Einführung in die VWL 11 Wachstum und Konjunktur S. 227 Eine Position, die eher auf Variante (b) hinausläuft, vertritt z.B. Mark Thoma:8 "... historically we’ve always recovered from recessions. Eventually. But as you can also see from the Great Depression, recovery has not always been immediate ...I am confident that we’ll return to trend this time as well, the question is how long it will take us to get there." Und als Beleg für seine Position legt er eine lange Zeitreihe vor, die zeigen soll, daß der USOutput auch nach der großen Depression von 1929 wieder zur Trendlinie zurückgekehrt ist (Abb. 11.7). Allerdings irritiert ein wenig, daß der Trend sich hier - ohne nähere Erklärung - unterwegs ändert: Im logarithmischen Maßstab würde eine konstante Wachstumsrate als Gerade abgebildet. Daher habe ich in seinen Originalgraphen noch (gestrichelt) eine Trendgerade hineingelegt, welche die Wachstumsrate der Anfangsjahre fort zeichnet. Abb. 11.7: Rückkehr zum Trend? Im Vergleich wird deutlich, daß der Trend in Thomas Schaubild in den 20ern abflacht. (Und dies sowohl im Vergleich zum Trend von 1870 bis 1900 als auch zum Trend der Nachkriegsjahre, wenn die Gerade durch den Zeitabschnitt von 1950 bis 1970 oder von 1950 bis heute legen würde.) Was hier offensichtlich gemacht wurde, ist, den Trend - z.B. mit einem HP-Filter - aus der tatsächlichen Entwicklung des BIP herauszurechnen. Wenn man das so macht, kehrt aber nicht der Output zum 8 http://moneywatch.bnet.com/economic-news/blog/maximum-utility/does-this-ease-your-worries-us-gdp-from-18702008/1332/ S. 228 10 Wachstum und Konjunktur Karl Betz Trend zurück, sondern der Trend zum Output. Das wäre dann jedoch nicht (b) sondern (c). Fragen zum elften Kapitel Verständnisfragen 1) Wie kann man eine Wachstumsprognose erstellen? 2) Viele Entwicklungsländer haben ein höheres Bevölkerungswachstum als z.B. die BRD. Warum müssen sie auch höhere Wachstumsraten haben? 3) Welche Rolle spielen Humankapital und technischer Fortschritt in der angebotsorientierten Wachstumstheorie? Was bewirken sie nachfrageorientiert? 4) Wie ist eine Rezession definiert? 5) Warum sollte man etwas gegen Konjunktureinbrüche tun? 6) Kann die Arbeitslosigkeit zurück gehen, obwohl die Beschäftigung gar nicht steigt? Anwendungen 1) Die Bevölkerung wachse mit einer Rate von 2%, die Arbeitsproduktivität wachse jährlich um 3%. a) Angenommen die Beschäftigung bleibt konstant - um wie viel wächst das pro-KopfEinkommen? b) Angenommen, die Beschäftigung wächst mit der gleichen Rate wie die Bevölkerung. Um wie viel wächst das pro-Kopf-Einkommen? c) Das Arbeitsangebot wachse mit der gleiche Rate wie die Bevölkerung, die Nachfrage steige aber nur um 1%. Um wie viel wächst das pro-Kopf-Einkommen? Um wie viele Prozentpunkte steigt die Arbeitslosenquote? 2) Warum sind langfristige Wachstumsprognosen angebotsorientiert leichter zu erstellen als nachfrageorientiert? Einführung in die VWL 11 Wachstum und Konjunktur S. 229 3) In der nachstehenden Tabelle ist die Entwicklung des BIP der Bundesrepublik für einige Quartale angegeben (Quelle: destatis: VGR-Revision 2011): Bitte beantworten Sie folgende Fragen a) In welchen Quartalen war die BRD in einer Rezession? b) Wurde der Outputverlust durch die Rezession wieder aufgeholt? c) Wenn Sie sich das Diagramm des Konjunkturzyklus ansehen - wo befand sich die BRD im zweiten Quartal 2011? d) Angenommen, die Konjunktur verläuft so, wie das Schaubild (Abb. 11.3) es idealtypisch unterstellt. Was erwarten Sie für die nächste Zeit? Tabelle 10.1 BIP-Entwicklung (2006-2011; Quartalszahlen, indexiert) Jahr Quartal 2006 1 .Vj 2.Vj 3.Vj 4.Vj 2007 1 .Vj 2.Vj 3.Vj 4.Vj 2008 1 .Vj 2.Vj 3.Vj 4.Vj 2009 1 .Vj 2.Vj 3.Vj 4.Vj 201 0 1 .Vj 2.Vj 3.Vj 4.Vj 201 1 1 .Vj 2.Vj BIP saison- und kalenderbereinigt 2005=100 1 01 .76 1 03.30 1 04.29 1 05.56 1 06.25 1 06.87 1 07.80 1 08.07 1 09.23 1 08.81 1 08.38 1 06.03 1 01 .78 1 02.1 0 1 02.93 1 03.68 1 04.21 1 06.24 1 07.08 1 07.59 1 09.04 1 09.1 7 S. 230 10 Wachstum und Konjunktur Karl Betz 4) Viele Staaten bauen derzeit ihre Budgetdefizite ab. Welche Wirkungen könnte dies auf die Konjunktur haben? 5) Kann die Konjunkturentwicklung das Wachstum beeinflussen? Einführung in die VWL 12 Antworten auf die Anwendungsfragen S. 231 12 Antworten auf die Anwendungsfragen Dieser Abschnitt gibt nur Lösungshinweise, denn ansonsten besteht die Gefahr, daß die Lösungen nur zur Kenntnis genommen werden, statt daß Sie die Aufgaben selbst bearbeiten. Kapitel 1 1) Sie müssen die Nutzeneinschätzung (60 €) und die Opportunitätskosten vergleichen. (a) Opportunitätskosten = 85 € - nicht fahren. (b) (c) Opportunitätskosten = 55 € - fahren. (Hinweis: Wichtig ist der Nettonutzen aus dem Job, also Lohn minus Ekel.) 2) 1050 3) Andernfalls ließen sich die Gewinne ja (durch Kostensenkungen) weiter steigern. 4) Überlegen Sie: Wird wegen der längeren Öffnungszeiten wohl mehr gekauft? Beim einzelnen Laden? In der Volkswirtschaft insgesamt? Was geschieht mit den Kosten? 5) (d) Geld 10 8 6 6 4 4 2 2 2 - - - Bier - 1 2 - 3 2 4 2 - 5 3 1 Korn - - - 1 - 1 - 1 2 - 1 2 S. 232 x Antworten auf die Anwendungsfragen Karl Betz 6) 3 Geisterbahn, 1 Riesenrad, 3 Achterbahn Hinweis: Sie müssen ausrechnen, wie viel Nutzen ein weiterer € stiftet. Achtung: Die Attraktionen kosten nicht alle gleich viel. Regeln: Wahl zwischen Alternativen, Opportunitätskosten, Wahl der Alternative, die man für die beste hält, Marginalkalkül 7) Opportunitätskosten: Selbst wenn Sie zum Mittagessen eingeladen wurden: Sie können in dieser Zeit nichts anderes tun. Bspl: Ihre Freundin lädt Sie ins Kino ein. (Natürlich zeitgleich zum WMEndspiel ...) 8) Zunächst mal könnte er eine von den anderen Ratsmitgliedern abweichende Theorie haben und daher zu anderen Diagnosen und Empfehlungen kommen. Nicht selten sind bei abweichenden Meinungen unterschiedliche Interessen im Spiel - so sind einige Sachverständige zu Rentenfragen Auftragnehmer der Versicherungsindustrie und viele Institute werden von Interessengruppen bezahlt (abgesehen von Böckler / IMK (Gewerkschaften) praktisch alle von der Industrie: Das IW Köln wird vom Bundesverband der Industrie finanziert, die Stiftung Neue Soziale Marktwirtschaft gehört zum Bertelsmann Konzern, andere leben von Aufträgen aus der Industrie ...). Aber das heißt nicht unbedingt, daß die betreffenden Ökonomen lügen: Die Auftraggeber sorgen halt dafür, daß die Ökonomen eingestellt werden, deren Position ihnen paßt. Kapitel 2 Allgemeiner Hinweis zu den Dimensionen. Man kann entweder mit "realistischen" Zahlen rechnen, oder man wählt die Dimensionen einfach so, daß man mit kleinen Werten rechnen kann. Beispiel: x = 50 Millionen Streichhölzer. 1) a) 20. b) Die Produktivität ist gestiegen, aber die Beschäftigung gefallen. Wenn sich die Einkommensverteilung nicht geändert hat, liegen die Löhne jetzt bei 120 und und die Gewinne bei 30. 2) p* = 3; x* = 1 3) Streichhölzer: Unendlich elastisch (jedenfalls: sehr flach). Grundstücke: vollständig unelastisch. (Arbeits-) Angebotsfunktion für SHK-Tätigkeiten an der FH? elastisch. Die Angebotsfunktionen der Studienbücher? Unendlich elastisch. Die Angebotsfunktion für das Skript zu diesem Kurs? Unendlich elastisch bei einem Preis von Null. Allgemeiner Hinweis: Wenn Sie einen andren Verlauf annehmen, ist das völlig in Ordnung, so lange Sie diesen plausibel begründen. 4) Ja. CO2 entsteht durch den Verbrauch von Benzin. Sie müssen sich also die Nachfragekurve ansehen. Wenn sich außer dem Preis nichts ändert, bewegen Sie sich auf der Kurve. Einführung in die VWL 12 Antworten auf die Anwendungsfragen S. 233 5) a) p* = 0,4; Milch* = 1,9 b) ÜAT = 2,5 - 1,5 = 1 c) Es entsteht ein Druck auf die Preise. Entweder bildet sich ein Schwarzmarkt oder die Bauern müssen einen Teil der Milch weg kippen. d) Der Staat muß die Milch zu 1 · 0,5 € aufkaufen (und vernichten). e) Überlegen Sie selbst. Kapitel 3 1) Der Preis und die Menge sinken. 2) (a) Verschiebung der NE. Preis und Menge sinken. (b) Verschiebung der NE nach Kartoffeln. Preis und Menge sinken. (c) Die Rohstoffe für die Wodka Herstellung werden billiger. Das Angebot an Wodka steigt. Der Preis sinkt weiter, die Menge steigt wieder etwas. (d) Orangensaft, Tomatensaft, Tomaten, Gewächshäuser, Glasproduktion ... 3) (a) x* = 12; p* = 2 (b) p* = 2,7; x* = 17,6 Hinweis: Hintergrundinformation: Zwerge tragen Zipfelmützen (Quelle: Schneewittchen). Und sie sind geizig: Normalweise würden sie keine neuen Klamotten nachfragen (Quelle: Tolkien, Der kleine Hobbit). Sie sehen also: Als Ökonom reicht es nicht, zu rechnen. Sie müssen sich mit -ihrem Untersuchungsgegenstand schon auskennen. Die 7 Zwerge fragen – egal zu welchem Preis – zusammen 7 Mützen nach. Diese 7 müssen Sie bei der NE addieren. Eigentlich müßten Sie die NE bei 7 nach oben abknicken lassen, denn egal wie hoch der Preis auch ist, 7 werden immer verkauft. Die Funktionen laufen aber so, daß der Schnittpunkt weiter im elastischen Bereich der NE liegt. 4) (a) p* = 20.000; x* = 15.000 (b) p* = 20250; x* = 15375. Von den 1000€ finanzieren 250 € höhere Preise. Den Nachfragern bleibt von der Subvention ein Vorteil in Höhe von 750 €. (c) Neuwagen: Ein Teil der Nachfrage wird vorgezogen werden – im Folgejahr ist die Nachfrage geringer als ohne Subvention. Am Gebrauchtwagenmarkt bricht die Nachfrage im Jahr der Subvention ein. (Im Fall der ´Verschrottungsprämie bricht dort außerdem für längere Zeit das Angebot ein.) 5) (a) p* = 4000; x* = 600 (b) Die neue Menge ist gegeben. Sie müssen also die Differenz zwischen Nachfrage- und Angebotspreis bei dieser Menge bestimmen: t = 900. (bb) Nein. (c) 540 Zertifikate. Marktpreis: 900. S. 234 x Antworten auf die Anwendungsfragen Karl Betz 6) Sie müssen im Hinterkopf haben, daß eine elastischere Kurve eine geringere Steigung hat (flacher verläuft). Und Sie sollen daran denken, daß der Vergleich im Ausgangsgleichgewicht startet. Die neue Kurve muß also durch den ursprünglichen Gleichgewichtspunkt verlaufen. Sie sollten dann auf das Ergebnis kommen, daß die unelastischere Marktseite den größeren Anteil der Steuerlast trägt. (a) Im ersten Fall die Nachfrager, im zweiten die Anbieter. (b) Die unelastischere Marktseite wird von der Steuer stärker getroffen. 7) Der Schlüssel zur Antwort besteht in der Überlegung, daß Ihre Zahlungsbereitschaft für die erste Pizza höher ist als für die zweite, dritte und so weiter. Da die Steuer nur auf die erste Pizza gezahlt werden muß, geht sie in die Überlegung, ob ich auch noch eine zweite will nicht mehr ein. Daher wird die Nachfragekurve in der Nähe des alten Gleichgewichtspunktes nicht berührt sein und am Marktergebnis ändert sich nichts. 8) Die Kurve des gesellschaftlichen Nutzens verläuft oberhalb der privaten NE. Folglich würde vom Markt weniger Bildung bereitgestellt, als gesellschaftlich wünschenswert. Studiengebühren erhöhen die Kosten der Bildung und senken daher die bereitgestellte Menge. 9) Der Wert des Papiers ist nach einer Woche: mit 95 % iger Wahrscheinlichkeit 106 und mit 5% Wahrscheinlichkeit Null. Damit ist der Erwartungswert: 100,7 und sie erwarten eine Verzinsung von 0,7% pro Woche. Das sind rund 44% pro Jahr. Durch die Steuer sinkt der erwartete Wert in einer Woche auf 99,7. Kapitel 4 3) G' = E' – K' = 0 ==> K'(x) = p. Die Angebotsfunktion ist die Gewinnmaximierungsbedingung aufgelöst nach x. (Also die Umkehrfunktion der Grenzkostenfunktion). Bei unvollständiger Konkurrenz hinge auch der Preis von der Menge ab. Wegen p = p(x) würde die Erlösfunktion zu E = p(x) · x und damit verändert sich die Gewinnmaximierungsbedingung zu: p – x · (dp/dx) = K'(x) 4) A: GK = 5 konstante SE Langfristig p=5 B: GK = 1/(√x) steigende SE Kurzfristig nein, (natürliches) Monopol C: GK = x Fallende SE x=p Kurzfristig Fixkosten sind irrelevant – fallen beim Ableiten raus. 5) Der steckt in den (Opportunitäts-)Kosten 6) Einführung in die VWL 12 Antworten auf die Anwendungsfragen S. 235 Überlegen Sie mal: Fallen langfristig überhaupt (Rein-)Gewinne an? Und wenn nur die Opportunitätskosten in der Angebotskurve stecken: Was wir wohl passieren, wenn man versucht, darauf eine Steuer zu erheben? Wer trägt also wohl die Steuer? Kapitel 5 1) Denken Sie ans Normieren. Die fpf kriegen Sie, in dem Sie die Pp-Gleichung durch p teilen und umformen. 2) a) w/p = 1 ==> r = 1 (100%); w/p = 3 ==> r = 0 b) r = 0,5 ==> w/p = 2; r = 0,2 ==> w/p = 2,6 3) a) XAT: p = 1,6; w/p = 2,5 b) p = 1,76; w/p = 2,5 c) p = 2; w/p = 2 4) Die neue Technik ist ab einem (1+r) > 2 (= für einen Reallohnsatz unter 1) überlegen. 5) (a) Die neue Technik ist durchgängig überlegen. (b) Es sind drei Ergebnisse möglich: Entweder steigt nur r oder es steigt nur w/p oder es steigt beides. Den möglichen Bereich finden Sie, in dem Sie von der alten Verteilung waagrecht und senkrecht das Lot auf die neue fpf fällen. (c) xAT: p ≈ 0,53 6) Ziehen Sie einfach die Steuern vom Output ab und berechnen Sie die fpf neu. Sie verschiebt sich nach innen. 7) a) Eine Verbot macht nur Sinn, wenn die Technik auch eingesetzt wird. Eingesetzt wird sie nur, wenn ihre fpf auf der Umhüllenden liegt und sie beim aktuellen (1+r) überlegen ist. Durch das Verbot rückt die Umhüllende nach innen und folglich sinken r und /oder w/p. b) Gleiche Antwort wie in Kapitel 3. Kapitel 6 Verständnisfragen 2) 4%; 3) 25 S. 236 x Antworten auf die Anwendungsfragen Karl Betz Anwendungen Für Fragen dieses Typs gilt: Sie haben AAT und KAT. Da AAT vom Reallohn abhängt und KAT vom Realzinssatz, müssen Sie die beiden Größen ineinander überführen können.. Sie brauchen deswegen erst einmal die Faktorpreisgrenze. 1) Hier ist die Produktionspreisgleichung: 0,2 · p · (1+r) + 0,4 · w = p Die fpf erhalten Sie, in dem Sie die beiden Seiten der Produktionspreisgleichung durch p teilen und nach (1+r) oder nach (w/p) auflösen. (1 + r) = 5 · [1 - 0,4 · (w/p)] = 5 - 2 ·(w/p) bzw. (w/p) = 2,5 · [1 - 0,2 · (1 + r)] = 2,5 - 0,5 ·(1 + r) Jetzt kommt es darauf an, ob Sie das Kapitalmarkt- oder das Arbeitsmarktgleichgewicht ausrechnen sollen. Sollen sie das Kapitalmarktgleichgewicht bestimmen, müssen Sie aus der A AT die KNE bestimmen. Wollen Sie das Arbeitsmarktgleichgewicht, müssen Sie aus der KAT eine ANE machen. 2) Mache aus der KAT eine ANE: r = 100 ==> KAT = 8; ANE = 16; w/p = 1,5 r = 200 ==> KAT = 16; ANE = 32; w/p = 1 Allgemein: ANE = 2 · KAT = 2 ·[0,2 · (1 + r) · 20] = 4 · (1+r) = 4 · [5 - 2 ·(w/p)] = 20 - 4 · (w/p) 3) Mache aus der AAT eine KNE: (w/p) = 0,5 ==> AAT = 10; KNE = 5; (1+r) = 4 {oder 400%; r = 3 (300%)} (w/p) = 1 ==> AAT = 20; KNE = 10; (1+r) = 3 Allgemein: KNE = 0,5 · AAT = 10 · (w/p) = 10 · [2,5 - 0,5 ·(1 + r)] = 25 - 5 · (1+r) Jetzt müssen Sie halt die Marktgleichgewichte ausrechnen. Das können Sie schon seit Kapitel 2. Nur ist am Arbeitsmarkt die Menge jetzt halt A und der Preis (w/p) und am Kapitalmarkt ist die Menge K und der Preis (1+r). 4) A* = 100/6; w/p* = 5/6; K* = 50/6; (1+r)* = 20/6 5) Y = x1 = 250/6; W = 500/36; Q = 1000/36 6) 250/6 > 20; ==> Y ist gewachsen: In der neuen Periode ist der Anfangsbestand höher. Daher wird das Kapitalangebot (und daher die Arbeitsnachfrage) höher sein. Der Reallohnsatz, die Beschäftigung und Y werden steigen, (1+r) wird sinken. Einführung in die VWL 12 Antworten auf die Anwendungsfragen S. 237 7) Die Beschäftigung und der Reallohnsatz sinken. Die freiwillige Arbeitslosigkeit steigt an, die unfreiwillige Arbeitslosigkeit ist nach wie vor Null. Kapitel 7 1) a) PDP: 105; PLS = 92,5; πDP = 5%; πLS = -7,5% b) Keiner der beiden. 2) Bei Bedarf sehen Sie bitte nochmal in Kapitel 6.1.1 nach. 3) a) 88000; 87840; b) 85131 c) vgl. Abschnitt 7.3 4) a) gPY = -3,39%; b) π = 0,38%; c) 2317,58 d) 2240,28 e) gY = -3,75% f) Überlegen Sie: Was wäre, wenn die Preise gefallen wären (π < 0)? 5) Schauen Sie sich bei Bedarf nochmal Abschnitt 7.4 an. 6) Vgl. Abschnitt 7.1 Kapitel 8 1) mit D für Depositen, Kr für Kredit, V für Verbindlichkeiten und Res für Reserven: a) Bank 100 Kr b) Zentralbank 28 KrBank 20 Bargeld 8 D Bank 100 D Bank 8 Res 28 VZB 100 KrPub 80 D Publikum 100 D 100 V Publikum 20 Bargeld 100 Vbank 80 D 2) a) Zentralbank 72,5 KrBank 50 Bargeld 22,5 D Bank Bank 22,5 Res 500 KrP 72,5 VZB 450 D Publikum 50 Bar 500 V 450 D ba) Das geht hier schlicht nicht: soviel Zentralbankgeld ist ja nicht da: Das System bricht zusammen. Soll weniger abgehoben werden, müßten die Banken ihre Kredite reduzieren. Damit würden zugleich die Depositen sinken. Und damit würden Reserven frei, die als Bargeld ans Publikum gegeben werden können. S. 238 bb) x Antworten auf die Anwendungsfragen Zentralbank 167,5 KrBank 150 Bargeld 17,5 D Bank Bank 17,5 Res 167,5 VZB 500 KrPub 350 D Karl Betz Publikum 150 Bar 500 V 350 D 3) Hinweis für die Diskussion: Lender of last Resort: Die Nachfrage des Publikums nach Zentralbankgeld (und der Banken nach Reservehaltung) war gestiegen. Durch diese Ausweitung von Z stieg M nicht an. 4) Im ersten Schritt gibt die Notenbank Z an den Staat. - Der Staat gibt es aus, es landet bei den Banken. - Die Banken müssen es (Zins auf die Notenbankkredite) wieder an die Notenbank zurückgeben. - Weder Z noch M sind durch den Vorgang gewachsen. (Voraussetzung ist natürlich, daß es sich um Gewinne und nicht um Bestandsumbewertungen (Gold, Devisen) handelt. Daher werden letztere im ESZB auch nicht ausgeschüttet, sondern in den Ausgleichsposten aus Neubewertungen eingestellt.) 5) vgl. 8.2.2 6) vgl. Ende 8.2.2 7) a) 10; b) 10%; c) 20%; d) ∞; e) Sollte klar geworden sein. 8) vgl. 8.2.3 9) vgl. 8.3 Kapitel 9 1) Vgl. die Einleitung zu Kapitel 9 2) Vgl. 9.1.2.2 3) a) Vgl. Skript. b) 400 c) Beschäftigung: 20; Arbeitslosigkeit 10 4) a) A* = 14; (w/P)* = 42; Y* = 140; w = 42; Q = 98 Einführung in die VWL 12 Antworten auf die Anwendungsfragen S. 239 b) (w/P)min = 2,5 (einsetzen von A* in AAT); (w/P)max = 3,75 (einsetzen von A* in ANE). Unter 2,5 bekommen die Unternehmen nicht genug Arbeitskräfte, über 3,75 würden Sie Verluste machen. c) 1,5 d) An der Beschäftigung würde sich nichts ändern. Nur die Gewinne würden steigen. 5) Die Steuern. Falls Sie was anderes haben, schlagen Sie nochmal in 9.4 nach. 6) Falls Sie Schwierigkeiten haben, schlagen Sie bitte nochmal in 9.1.2.2 und im Exkurs 9.3 nach. 7) a) NX muß steigen. b) Nicht vor der Erfindung des WARP-Antriebs. Kapitel 10 1) IS: Y = [1/(1-c)] · (Co + Io - b · i) = 4 · (150 - 80 · r) = 600 - 320 · r 2) Um 50 Einheiten nach außen. 3) Hinweis: Die IS-Kurve in 1) ist eine Gerade. Wenn sie also nicht auf die Antwort kommen, dann rechnen Sie in 1) die y-Werte für zwei unterschiedliche Realzinssätze aus - sage 0,05 und 0,1 - und zeichnen Sie die Kurve in ein Diagramm. Wiederholen Sie dies einmal für einen kleineren und einmal für einen größeren Wert von c. Die Antwort können Sie dann im Diagramm ablesen. 4) a) rZB = 4% +3% + 0,02% · (Y - YT) + 2 · (πT - π) =einsetzen=> rZB = 4% + 3% + 0,02% · (-100) + 2 · (2%) = 9% b) einfach noch für ein weiteres Y berechnen und die Kurve durch die beiden Punkte legen. 5) Die Senkung des Budgetdefizits verschiebt die IS-Kurve nach links. Deswegen landet man auf der gleichen MP-Kurve bei einem niedrigeren Zinssatz. 6) Formal: Die Bundesbank verschob die MP Kurve nach oben und die Regierung die IS-Kurve nach rechts. Die Regierung wollte die Arbeitslosigkeit bekämpfen und die Bundesbank wollte sie erzeugen, um die Inflation zu bekämpfen. Die Bundesbank hat gewonnen. 7) Vgl. 10.4.2 8) Arbeitsauftrag. Keine Musterlösung. S. 240 x Antworten auf die Anwendungsfragen Karl Betz Kapitel 11 1) a) 1%; b) 3%; c) -1% und 1 Prozent Punkt. 2) Vgl. Abschnitt 11.2.3 3) a) 2008.II bis 2009.I; b) vgl.11.4 c) Boom, Ende des Aufschwungs; d) Beginnender Abschwung 4) G sinkt (oder T steigt). Staatliche Nachfrage geht zurück: Wachstum wird gedämpft. 5) vgl. 11.4