Politikorange

Transcription

Politikorange
politik orange
guerre war
*
krieg
BO NHa
wojna
Berlin, Frühjahr 2005
kein kampfblatt
»8. Mai«
»Antisemistismus«
»Fruchtbombe«
»Folter«
Warum eigentlich kein Feiertag?
Seite 6
Alarmierende Umfragen.
Seite 26
Die neue Sprache des Krieges.
Seite 27
Das Leid der vergessenen Opfer.
Seite 34
02
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editorials
politik orange
Jeder von uns erklärt in höchstens 100 Wörtern: Was ist Krieg?
Nur das Gegenteil vom Frieden oder auch in Friedenszeiten existent?
Charlott
When being confronted with the word
„war“ a lot comes to one‘s mind. It
seems that war became a everyday
word: On television there is the war
between two soccer clubs fighting to
be the champion. Former wife and
husband getting divorced fight a war.
Not the cruelity of real suffering but
the so seen cruelity of our everyday life is connected to this word
nowadays. But there is a change
of attitude: The Iraq war brought
something to the minds of our generation. Being confronted with a „real“
war even if not directly gives back
the ...
Lisa
Nastya
In der Welt toben nicht nur Kriege, die mit Waffengewalt ausgetragen werden. Es tobt auch nicht nur ein
Krieg der Konzerne um billige Arbeitskräfte, ein Krieg
zwischen reichen und armen Ländern. Es findet auch
ein Krieg der Geschlechter statt.
In China und Indien fehlen schon jetzt Millionen von
Frauen, weil sie vor ihrer Geburt getötet wurden. In
Afrika werden Kinder an ihren Genitalien verstümmelt,
damit sie sexuellen Versuchungen besser widerstehen
können. In Deutschland werden Frauem ermordet,
weil sie die Ehre ihrer Familien beschmutzt haben.
Dieser Krieg kennt keine Völker-, Religions- oder
Klassenschranken.
War has a big impact for all people.
Many people suffered that time, there
were lots of rapes, killings, tortures.
The world seems divided into two
parts, normal human feelings were
forgotten and forbidden. Adults killed
children, men scoffed at the women.
People became wild, forgot laws and
human actions in their desire to win
the war.
The division into strange and own
was so strong, that even Russians who
were in the camps of Germans for
some time and then came back to their
motherland were considered as betrayers and were killed. They were not
from from „Russian team“ anymore.
Cruelty and disorders were averywhere. People became mad for a time
... longtime... and it‘s really great
that now it‘s finished and people can
friendly deal with each other, create
mutual projects and communicate.
Andreas
Krieg ist für sich eines der schrecklichsten Vorstellung überhaupt. Bei Krieg muss ich als erstes an die Freiheit
denken, die in diesem Moment begraben wurde.Der Krieg war schon immer vorhanden und hat sich entwickelt
oder neue Facetten angenommen. Jedoch was immer gleich geblieben ist, sind die Opfer. Die Menschen, die
ihre Familien aufgeben mussten oder deren Wahl nur noch darin bestand: sterben oder sterben lassen.
Für mich bleibt immer nur das Unverständnis für die Leute, die den Krieg als Lösungsmittel wählen.
Meistens sind es aber die Personen, die ihre Freiheit nicht opfern müssen. Nur Frieden kann die Freiheit ...
Alice
Joshua
Krieg ist grausam, aber manchmal
notwendig. Hätten frühere Generationen nicht ihr Leben riskiert um für
die Freiheit des Menschen zu kämpfen, wie würde unsere Welt heute
aussehen?
In welcher Welt wäre ich aufgewachsen?
Vermutlich nicht in einer solch freien
und liberalen Welt wie heute.
Ich bin stolz auf jeden, der für die
Ideale, wie sie in der französischen
Revolution (Freiheit, Gleichheit,
Brüderlichkeit) benannt wurden,
gekämpft hat.
Wären diese Ideale die oberste
Maxime aller Menschen, gäbe es
keine Kriege mehr.
Doch so kann und muss der Krieg
immer das allerletzte Mittel der
Diplomatie sein und bleiben.
War is a concept, an idea, that has been existing in humans mind for thousands of years. Therefore it
is almost impossible to stop it even though everybody agress on the fact that war shouldn‘t exist. Is war
useful? Does war have a purpose?
It is difficult to determine it at the moment when it is happening.
In fact, it is always difficult to judge a war. People are still fighting on the purpose of Napoleonian wars.
Does everything on earth have to have a purpose? Because if it doesn‘t we can go on fighting each
other judging them on ... (their race or the colour of their skin).
Armand
War is irrational. It‘s probably impossible to find a moment in history where we
can‘t find two groups fighting each other. War is probably the common trait of all
cultures, all periodes. War is one of the symptomes of human history. It is as old as
the homo sapiens. But there is one thing probably as old, the discourse that said
that war is bad because it‘s killing innocent people. So we have to get off to the
consensual definition and ask us why we are usually going to war and HOW?
Caspar
Krieg ist...Scheiße.
Sveta
There lived a small drop of water. She like to play in the sun. But then there came rough soldiers. They were so thirsty
that decided to drink the whole river where our drop of water lived. They drank, drank, drank ... Nearly all his friends found their death in stomachs of soldiers. But our drop vanished and became the part of the clouds that don‘t have anything in common with the earth and which just look upon the people and
everything beneath and laugh ... During the war plenty of people give their lives for freedom and happyness of the rest, for peace and love ...
krieg*
vorworte | 03
*
100
KRIEG
WÖRTER
Steffi
Krieg ist der Vater aller Dinge. So hat einst der große griechische Philosoph Heraklit gesprochen.
Krieg meint hier Widersprüchlichkeit und Widersprüchlichkeit einen ewigen Zustand, der allen Dingen innewohnt.
Dieses abstrakte Verständnis von Krieg ist von dem heutigen weit entfernt. Wenn Heraklit jenem Widerspruch schöpferische Eigenschaften zuspricht, der neues
entstehen lässt, so kommen einem heute beim Begriff Krieg aussschließlich negative Gedanken in den Sinn. In den heutigen Köpfen der Menschen verkörpert
Krieg Vertreibung, Verwüstung, Hunger und Not.
Krieg ist die militärische Auseinandersetzung zweier oder meherer Parteien, die grundsätzlich negative Auswirkungen zeigt und somit keinerlei positive Funktionen hat. Heraklit würde heute also kaum mehr Gehör finden.
Julia
Lidia
Krieg bedeutet für mich das
Aufeinandertreffen von Opfern
und Macht. Die einen, die
Macht ausnutzen, um andere
zu unterdrücken. Oft ohne
direkten Grund.
Krieg ist ein weitläufiger Begriff.
Es geht um Verletzungen,
Traumata, die Bereitschaft von
jungen Menschen zu kämpfen für etwas, das sie oft nicht
verstehen.
Meist habe ich das Gefühl, das
alles gelenkt wird. Ich verstehe
nichts und die Menschen, die
den Krieg direkt miterleben
auch nicht.
Krieg wird verherrlicht, als
Mittel zur Durchsetzung von
Demokratie oder Menschenrechten. Top down - von oben
aus kann man das leicht sagen.
Oft glauben die Menschen das
auch zumindest so lange bis
sie das Ausmaß und die Folgen
sehen. Dann begreifen sie, nur
dann ist es zu spät.
THE WAR: The tragedy, sufferings, terror,
mean of politics. The conflict of antagonistic
parties with no winner, on the one hand,
but also the act of defence and imposion of
repercussions, on the other.
Modern wars, horror and terror of civilians;
broken lives, healths, minds, hearts. Political
arenas of showing the power; surpressed
nations, manslaughter, rapes, humilitation,
disgrace, violence. Iraq, Dafur, Sudan, the
Balkan, Korea, Kashmir, the Cold War, conflicts, conflicts, conflicts ...
The Third World War - battle of economie
power and an increasing gap between
so called „developed“ and „developing“
countries. Helplessness of the International Comunity. My helpnessness. The great
stupidity.
Holger
Krieg ist ein komisches Wort, dabei sagt es schon alles: jemand
will etwas kriegen, ein Spielzeug, Geld, Macht, vielleicht auch
ein Land oder gar Kontinente. Deshalb ist auch im Nicht-Krieg
Krieg eine ständige Bedrohung, weil die, die etwas kriegen
wollen, in der Regel keine Grenzen kennen.
Karolina
The first thought when I hear „world war“ is my family and
all family stories connected with that topic which is very hard
and difficult.
The second one is about situation in the world at the
moment, in Iraq and Afrika. Sometimes it looks as nothing
has changed during 60 years after the second world war
finished. So many people suffer and are powerless or defenceless. In my opinion it is very important to have your own
opinion for all this things an the most important is to share it
with others in order to find solution or just make people more
conscious of this proplem.
Ewa
War is a concept, an idea, that has been existing in humans mind for thousands of years. Therefore it is almost
impossible to stop it even though everybody agress on the fact that war shouldn‘t exist. Is war useful? Does war
have a purpose?
It is difficult to determine it at the moment when it is happening.
In fact, it is always difficult to judge a war. People are still fighting on the purpose of Napoleonian wars. Does everything on earth have to have a purpose? Because if it doesn‘t we can go on fighting each other judging them on ...
(their race or the colour of their skin).
Mare
Konfrontation mit Existenzängsten, Hilflosigkeit, Agressivität, Verlust, Rücksichtslosigkeit.
Konfrontation mit den Schattenseiten der Menschen.
Gibt es böse Menschen? Hat man das Recht Menschen zu bewerten? Soll man wegrennen? Flüchten? Wen kann man mitnehmen?
Fängt man an, an Gott zu glauben? Hat der Krieg ein Ende oder
wird es für immer so sein?
Kann man die Erlebnisse vergessen?
Mobilisierung aller Kräfte. Durchhaltevermögen. Es gibt für alles
einen Grund. Warum hat der Mensch Schwächen?
Wir lieben unsere Familien. Für jeden Tag an dem es regnet, wird
einem anderen die Sonne scheinen. Nie wieder Krieg!
Die Hoffnung stirbt als Letztes.
Wir haben überlebt.
Diese Sonderausgabe von ‚Politikorange’ ist ein internationales
Experiment. krieg* sucht die friedliche Auseinandersetzung mit
dem Zweiten Weltkrieg und Krieg über den 60. Jahrestag der
Befreiung Deutschlands von Nazidiktatur und Krieg hinaus. Die
Autoren stammen aus der Generation, die dafür Sorge trägt, dass
auch die nächsten 60 Jahre (welt)kriegsfrei bleiben – nach außen
und innen. Junge JournalistInnen aus Ländern, denen das Deutsche Reich einst den Krieg erklärte, beteiligten sich an dem Projekt
und trafen sich im April 2005 zu einem Workshop der Jugendpresse Deutschland im Berliner WannseeFORUM, um aus dem
bedrückenden Blick zurück Denkanstöße für Frieden mit Köpfchen
zu schmieden. Maßgeblich unterstützt hat uns dabei die Bundeszentrale für politische Bildung, übrigens ohne sich in unsere inhaltliche Arbeit einzumischen. Dafür Respekt!
Und allen schlaflos Beteiligten 1000 Dank!! Peace! Holger
04
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politik orange
zeitzeichen
HITLER fascinated
has always
me
Die schwierige Begegnung mit einem Inder, der wie viele seiner Landsleute Hitler für einen großen Mann der Geschichte hält. Von Jochen Markett
D
ieser Satz war ein Schock. Vor allem, weil
er für mich so unerwartet kam. Es war
bis dahin ein völlig unbeschwert-netter Abend in
einem Dortmunder Café. Wir hatten uns zu zweit
verabredet, ich und Raj, ein Austauschstudent
aus Süd-Indien. Raj ist seit Herbst in Deutsch-
> > Hakenkreuze anno
2005:
Gesehen in Berlin-Pankow
land, und ich habe ihn in meinem Gospelchor
kennengelernt, wo er eines Tages auftauchte.
Ich mochte ihn gleich, dank seiner Herzlichkeit
und seiner Art, jedes Lied lauter als alle anderen
mitzusingen. Als wir uns in dem Café trafen,
erzählte er mir auf Englisch von seiner Familie,
von Hochzeiten in Indien und vom Erwachsenwerden. Irgendwann fragte ich ihn unbedarft,
wieso er sich eigentlich ausgerechnet Deutschland
ausgesucht habe als Ort für sein Auslandsstudium. Er sagte zunächst etwas von guten Studienbedingungen. Und dann zögerte er plötzlich – er
wisse, dass es in Deutschland schwierig sei, das zu
sagen, aber: „Hitler has always fascinated me“.
Raj muss meine Irritation direkt in meinem
Gesicht abgelesen haben. Denn er setzte sofort
an, zu erklären, sprach von einem „großen Patrioten“ und einem überzeugten Mann – er, Raj,
habe auch schon „Mein Kampf“ gelesen. Auf
meine Nachfrage sagte er, ja, er wisse von den
Millionen Opfern der Hitler-Diktatur. Für seine
Argumentation schien das jedoch
nur ein unliebsames Gegenargument zu sein. Ich war betroffen, aber nicht sprachlos.
Ruhig und sachlich erzählte
ich ihm von einem Interview mit dem HitlerBiograph Ian Kershaw,
das ich vor einiger Zeit
gelesen hatte. Kershaw
wurde zum Schluss
gefragt, ob es irgendetwas Gutes gebe, das
man über Hitler sagen
könne. Seine Antwort
lautete: Nein, es gibt
nichts Gutes!
Raj nickte – und dann
wechselte er das Thema.
Wir schnitten es an dem
Abend auch nur noch
einmal kurz an.
Als wir uns zwei Tage später
bei einer Party wiedertrafen,
merkte ich schnell, dass er sich mit unserer Diskussion auseinandergesetzt hatte – jedoch nicht
so, wie ich es gehofft hatte. Raj sagte, er habe mit
indischen Freunden gesprochen, und ich kenne
doch sicherlich „the treaty of Versailles“, den
Versailler Vertrag. Der habe die Deutschen ja
damals geknechtet, und Hitlers Ziel sei es gewesen, ihn zu revidieren. Für Raj offensichtlich eine
große Leistung.
Belehren statt ehren?
Seine Haltung lässt mich seitdem nicht mehr
los. Ich schätze Raj sehr – und gerade das macht
es so schmerzhaft. Ich habe Artikel gefunden, die
mir zumindest etwas Aufschluss gegeben haben.
Die FAZ hat vor 2 Jahren einen Bericht gebracht
zum Thema „Warum Hitler bis heute in Indien
verehrt wird“. An einer Elite-Uni (!) in Neu-Delhi
hatten 6 von 10 Studenten auf die Frage, wen sie
am meisten bewundern, mit „Hitler“ geantwortet. Der Autor führt das nicht auf einen offenen
Antisemitismus zurück, denn das jüdische Volk
sei in Indien immer sehr ehrenwert behandelt
worden. Vielmehr spiele es eine Rolle, dass
Hitler die Kolonialmacht England angegriffen
und Indien somit indirekt zur Unabhängigkeit
verholfen habe. Außerdem habe die HitlerVerehrung einen psychologischen Grund: den
Mangel an nationaler Selbstachtung. Die indische
Gesellschaft sei immer noch stark hierarchisch
aufgebaut. Die Menschen suchten deshalb nach
„Gurus“, auch nach Machtmenschen, die dem
Volke jene Selbstachtung wiedergeben, welche
sie durch Armut, ständige soziale Konflikte und
durch die Bevormundung des Auslandes verlieren. Gandhi eignet sich dafür offenbar nicht. Der
friedliche Verfechter der Menschenrechte kommt
in einigen indischen Schulbüchern schlecht weg.
Was bedeutet diese Hitler-Faszination für
uns Deutsche? Ich glaube: Verantwortung. Wir
können es bedauern, wenn wir im Ausland einem
falschen oder nicht vorhandenen Geschichtsverständnis begegnen. Es wird uns genauso
passieren, dass wir in fremden Ländern als Nazis
beschimpft werden, wie dass wir als Botschafter
des Helden Hitler gefeiert werden. Wir sind dann
gefordert aufzuklären und über das zu berichten, was wir – hoffentlich – ausreichend über
den Nationalsozialismus gelernt und erfahren
haben. Ich glaube, ein sensibler Umgang ist dabei
wichtig. Ich möchte Raj gegenüber nicht arrogant
auftreten und sagen: „Jetzt nimm den Holocaust
endlich zur Kenntnis und ändere deine Meinung!“ Genauso wenig möchte ich mich von ihm
abwenden und nichts mehr mit ihm zu tun haben.
Ich habe mir stattdessen vorgenommen, mit ihm
die NS-Gedenkstätte „Steinwache“ in Dortmund
zu besuchen. Ich hoffe, er ist offen für die Kraft
der Dokumentation.
Worum geht es?
Der zweite Weltkrieg war der größte und blutigste Konflikt in der bisherigen
Geschichte der Menschheit. Er begann in Asien mit Ausbruch des Zweiten
Japanisch-Chinesischen Kriegs am 7. Juni 1937 und in Europa mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1.September 1939. Die so genannten Achsenmächte
Deutschland, Japan und Italien starteten Eroberungsfeldzüge gegen viele Nationen. In Verlauf des zweiten Weltkriegs befanden sich mehr als 50 Staaten mit
Deutschland im Kriegszustand. Hitlers Strategen planten nicht nur territoriale
Zugewinne, ihnen ging es auch um die Vertreibung und Versklawung der slawischen Völker zugunsten neuen „Lebensraums“ für die angebliche deutsche
„Herrenrasse“, und um die seit 1942 generalstabsmäßig umgesetzte Vernichtung
der europäischen Juden. Ein Völkermord, der keine Grenzen kannte. In aussichtsloser Lage beging Adolf Hitler am 30. April 1945 Selbstmord in Berlin, am 7. Mai
kapitulierte die deutsche Wehrmacht in Reims vor den Westmächten, am 8. Mai in
Berlin-Karlshorst vor der Sowjetunion. Dort wird der 9. Mai als Tag des Friedens
in Europa gefeiert. Japan gab erst im September 1945 auf.
Hatte der Erste Weltkrieg 1914-1917 etwa 10 Millionen Menschen das Leben gekostet, waren es im Zweiten Weltkrieg ungefähr 60 Millionen! Eine kaum vorstellbare
Zahl. Allein in der Sowjetunion kamen durch die deutschen Angreifer mehr als 25
Millionen Menschen ums Leben, russische Quellen gehen sogar von 40 Millionen
Opfern aus. In Polen wurden mindestens 6 Millionen Menschen durch die Deutschen ermordet, in Jugoslawien 1,7 Millionen, in Frankreich 810.000 und England
rund 400.000 Bürger. In Deutschland selbst verloren etwa 7 Millionen Menschen
infolge des Nazi-Größenwahns ihr Leben, sei es durch Verfolgung, Deportation,
Bomben oder als Angreifer im Kampfeinsatz.
Habt Ihr eigentlich eure Großeltern schon einmal gefragt, was sie im Krieg
gemacht haben, fragte uns Lidia aus Warschau gleich beim ersten Redaktionstreffen. Nicht viele hatten das getan, mussten wir verschämt eingestehen - wohl auch
aus Scheu unserer Verwandten über das Gestern offen zu reden.
H.K.
krieg*
zeitzeichen
Caucases
FROM the
to
Berlin
Von Babin Vladimir, 12 years.
Aus einem russischen Aufsatzwettbewerb.
O
nce when I came to my granny’s place,
she was watching a TV-programme
about the war & I asked her to tell me about
herself, about how she went to battle & how
she managed to survive untill the end of the
war. This is how she started her recollections
about those distant war days.
“I was a student of the teacher‘s training college. During the holidays I stayed with my mum
in the city of Nalchick. The war was getting
closer & seemed to prepare to occupy our city.
I went to the front of my own free will in
August of the 2nd. I served as a nurse. We were
fighting for Grozny. Our regiment was staying
at the right bank of Terek & at the opposite
side there was the enemy. Wounded men began
to arrive. They were lying in the trenches & the
medical centre was in a small earth-house. It
was only possible to evacuate people at night &
it took one’s breath away because of the roads
in the Caucases.
Later we were transferred to Ossetiya, to
the city of Ordzhonikidze. The medical centre
was situated in an outskirt of Beslan, in a large
farm. Hard fightings took place here. Those
who were wounded were taken to the former
cow-stalls. They stayed there until being taken
to the hospital. I won’t ever forget one of those
days when during one day 8 guys were brought
to our centre, my coevals. All of them were
heavy wounded. It was very hard to look at the
young soldiers who were suffering from pain.
All of them died by the evening... We had to
work without having a rest for several days.
Fortunately the Germans didn’t manage to win
this battle for the city.
After the liberalization of the Ukraine we
reached Poland. Not far from the city of
Lyublin we decided to halt. There came a voice
about the “camp of death” near the city – Majdanek. We were taken to the camp. Reaching
the camp we saw a strange field: violet cabbage
grew on it. I was shoked by it’s colour – I’ve
never seen anything like this before.
From the gates up to the end of the camp
there was a ditch full of corpses – they were
shot down here. Gas chamber was constructed
in the same way as a shower-bath. People were
told that they were to be taken to get a shower.
They were even given coat-hangers. Then they
we taken to the other room, very dark, with a
small hole in the ceiling. Through this hole the
fascists let in the gas. When we saw the cabbage
field again we understood why we were so
shoked by it. Now we knew that it had grown
on blood & ashes.
Little by little we reached Berlin - den of the
enemy. On the Reichstag there is my signature
as well: “From the Caucases to Berlin. Tanya
Mihajlets”.
W
|
05
so familiar because of its House of a teacher and
buildings of the stalinist epoch.
Russians are welcome to Berlin. I’ve learned
that after the fall of the Berlin wall everyone in
Germany wanted to forget about the period of
Soviet occupation. Nobody wanted to study our
language, to visit our country. All the people were
too happy because after the collapse of the USSR
they felt themselves free. But now this interest to
Russia comes back. It’s a new fashion – t-shirts
with Russian symbols. I’ve founded out that
people became very interested when they learned
that I’m from
Russia.
Russian people
have also forgotten about the war
and everything
that happened
after it. And we
do not relate to
Germans as our
former enemies.
No! Plenty of
people are fond
Feindbilder, Kriege und Mauern haben uns viel zu lange gestrennt. Komisch, dass
of German
literature and
wir gerade schon wieder neue bauen. Durch Visastempel. By Svetlana Sorokina
phylosophy,
language and culture. Goethe and Schiller are still
the past. These live together and, mixing, make
popular, Nietzsche is no longer the ideologyst
a great country. Nobody cares in Berlin who you
of fascism but one of the greatest thinkers of
are and what your appearance is. So many people
the 19th century. Besides we have a great
speak English that there is no problem for a foreigner to find the
cooperation and business relations
between our countries.
right road.
Berlin is a good
But still there is one thing
place to have a rest.
I cannot understand – this
visa affair. Both RusUsually capitals are
too noisy. But in
sians and Germans
Berlin you can
have great problems
go to the last
and face unusual
metro station
unfriendliness at
the embassy while
and just
enjoy walkapplying a visa.
ing. It’s
Why? I don’t
know and actuso quiet
there, as
ally don’t care
if Russians
nobody
or Germans
is around
started it. But
you. For
Russians
it seems so
it’s nice
silly today,
to come
when the
to Berlin
main direc– so many
tion of the
development
places
remind
is globalization
our
and intensicountry. It’s
fication of
because part
international
of the history
contacts. It’s
of our two
so silly in a
century when
countries became
> > 60
everyone has
common. GerJahre alte
mans still conserve
the right to
russische
Inschriften:
some pieces of that
move freely.
Svetlana Sorokina im
period. I was very pleased
Is this a new
Deutschen Bundestag
to learn for example that
iron curtain?
Germans do not rub the grafitti of
Bosses do not read teens’ newspapers
Russian soldiers off the walls of their Parliaand I cannot hope that this article can change
something. But I’m sure that people must influment. I was proud of our heroes standing at the
monument to a Russian soldier. East-Berlin seems ence their government. Let’s try to do it?
ar is a strange thing. Those people who
fight against each other – do they have
any cause to fight? On the contrary, they have so
much in common: they had to leave their families,
they do not want anything but to live in their
native town safely and in peace, to bring up their
children... They could be good friends. But it so
happened that now they are enemies. They have
to hate each other. Who makes them do it? Yet
war isn’t the only one strange thing in the world.
Germany is a wonderful country. Such a mixture of cultures nowadays and great traditions in
VISA
&
true
enemies FRIENDS
06
|
grundsatzfrage
ist der
Warum
kein
8. Mai FEIERTAG ?
Ein Kommentar von Joshua Kleinsorge
„I
m Westen nichts Neues“ ist der Titel des
1929 erschienen Werkes von Erich Maria
Remarque über die Erlebnisse einiger Soldaten
während des 1. Weltkrieges. Das Buch wurde in
der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland verboten, da es indirekt Anklage gegen die
Elterngeneration des 1. Weltkrieges erhebt. Nun
könnte man meinen,
dass eine Aufarbeitung
der Geschehnisse
und ein Gedenken
an die Gräueltaten
des Zweiten. Weltkrieges nach 60 Jahren
in Deutschland eine
Selbstverständlichkeit
sei. Von wegen. Im
Westen unserer Republik scheint dies nicht
angekommen zu sein.
In viele Städten NRWs
verspürt man offensichtlich kein Bedürfnis, den Opfern des 2.
Weltkrieges zu gedenken und die Jugendlichen zu ermahnen nie
wieder einen solchen
menschenverachtenden Krieg zu zulassen,
wie es sich Remarque
mit seinem Buch zur
Aufgabe machte. Fragt
man bei den Großstädten an Rhein und
Ruhr nach, ob sie eine
Gedenkveranstaltung
mit Bezug zum 8. Mai
geplant haben, stößt man teils peinlich berührt,
teils unverstanden auf Ablehnung. Die Medien
seien schließlicj voll davon.
51 Prozent der Jugendlichen wissen nichts
mit dem Begriff Holocaust anzufangen
Lediglich Städte – Recklinghausen, Düsseldorf
und Köln - die mit einem Widererstarken rechter
Parteien wie der NPD oder den Republikanern
zu kämpfen haben, sind da gewissenhafter. Sie
veranstalten Gesprächsrunden mit Jugendlichen
aus ihren Partnerstädten, gedenken öffentlich der
Millionen Toten des Krieges und unterstützen
bürgerliche Initiativen gegen rechte Gewalt. Sie
haben offensichtlich verstanden, dass die Jugend
trotz des schulischen Geschichtsunterrichts nicht
viel weiß von ihrer Geschichte. Nur ein Gedenken und das vor Augen führen der schrecklichsten Ereignisse der deutschen Geschichte können
hier aufklären. So wissen nach einer Umfrage, die
jüngst der Historiker Guido Knopp benannte,
51% der deutschen Jugendlichen nichts mit dem
Begriff „Holocaust“ anzufangen. Wird es nicht
den Stimmenfängern und Vasallen der NPD
leicht gemacht, neue Gleichgesinnte zu finden
und zu formen? Sie müssen ja nicht einmal mehr
den Holocaust leugnen, wenn Teile der Jugendlichen nichts mit diesem Begriff verbinden. Das
Schmierblatt der NPD, die „Deutsche Stimme“,
wurde jüngst mit Bezug zur Landtagswahl in
NRW am 22. März an alle Haushalte verteilt.
Sie werben hier mit ganz alltäglichen und kaum
rechts anmutenden Themen. „Weg mit Hartz IV,
Bildung ist unsere Zukunft und Familienbetriebe
statt Global Players.“ Forderungen, die nicht nur
von der NPD erhoben werden und die Partei auf > > Befreiung war es
den ersten Blick im Lichte einer ganz „normalen“ allemal!
Graffitti aus Berlin.
Partei stehen lassen. Dass sie als direkte Nachfolgepartei der NSDAP die gleiche Ideologie
vertreten, wissen viele nicht.
Spätestens hier sind die Parteien gefordert
Ist es nicht an der Zeit, den „Tag der Befreiung“, wie der 8. Mai vor 20 Jahren vom Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker genannt
wurde, zu feiern? Als Tag des Erinnerns und
der Mahnung, damit nie wieder in Deutschland
und anderswo in der Welt ein solch brutales und
verachtendes Regime die Menschen terrorisieren
kann. Sollte nicht der 8. Mai der gesetzlich höchste Feiertag in Deutschland sein? Tragen nicht
die bürgerlichen Parteien, die schließlich auch die
Stadtparlamente regieren, eine Verantwortung für
das Gedenken? Schließlich heißt es im Artikel
21 Absatz 2 des Grundgesetzes: „Die Parteien
wirken bei der politischen Willensbildung des
Volkes mit.“ Hier kann ich nur sagen Auftrag
verfehlt.
Der Aufschrei aus dem bürgerlichen Lager
wird wieder groß sein, sollten NPD und Republikaner am 22. Mai in NRW große Stimmengewinne verbuchen können. Mich würde es nicht
wundern, denn „im Westen nichts neues“!
A
politik orange
doll’s
LIFE
Anastasia Manzova, 13, Zheleznogorsk town
I
like to look at old pictures, they can tell us
about lots of things. Once, turning over the
yellowed pages of an album of my grandmother’s
photos, I saw a very thin girl with huge eyes
looking up at me. She was clasping a doll to her
bosom. It became interesting to me. Who was
this girl in the picture; whose doll was it? And
then my grandmother told me this story.
It was in war time. Our troops conducted heavy
attacks and moved forward. Once, a soldier,
Ivan, walking on the street of a liberated town
stumbled against a doll on the trash covered
road. The doll said: „Ma-ma-ma…“. And at this
moment the soldiers with automatics, who are
accustomed to seeing blood and corpses, felt dull
pain. They almost had lost their humanity. What
had become of the owner of this doll? Had she
managed to escape the bombs? Was she killed
and now under the ruins and trash on the roads
where the soldiers were going, roads leading to
a new peaceful life? This doll saved the soldier
from death. If there were no doll on this road,
the soldier would not have noticed the mine
under it. The doll laid on the mine, her little
fragile body covering the awful discovery. The
soldier carefully took the doll, which was covered
with trash. He clasped it to his bosom under his
coat as if he wanted to warm her. «It will be a
gift for Lusya, my daughter», he thought. Since
then he carried this doll with him in his sack with
military things until the moment he was wounded
by a heavy bomb fragment and was not able to
move. In the hospital Tanusha, a funny nurse,
made a white dress from gauze for the doll. A
young soldier laid in a bed near Ivan. His wound
healed. „Where you will go now?“ - Ivan asked
him. „I will carry food to Leningrad“ - the soldier
answered. Ivan understood that it was his chance
to deliver his gift to his small daughter.
This doll passed a long way on the road of life
to Leningrad. It was very dangerous on the ice of
Ladozhskoe lake, the Germans always bombed
the columns of vehicles. However, the drivers
have never stopped. One of them fell asleep as
he drove. He didn`t notice how the ice started to
crack. All the people who were in the car jumped
out taking the most expensive things they had
with them. And the young soldier took the doll.
Completing all the difficulties of the dangerous
trip the doll, still beautiful and well-dressed, was
delivered to Lusya`s house. It was a miracle! No
one around Lusya had a doll more beautiful. It
had huge blue eyes, long black lashes, gold silky
hair and the dress of a bride. Lusya didn`t leave
the doll even for one minute. Playing with the doll
Lusya forgot everything, including the war.
And then the hard times came. With nothing to
eat, Lusya fainted many times due to starvation.
It was Sunday. Mother put Lusya on the sled,
gave her the doll, her father`s gift, and they went
to exchange the doll for potatoes. It was a pity
for Lusya to give up the doll, but the hunger was
stronger than the wish for the doll. Perhaps, it
was a doll which saved all the family.
„Ah! It was such a beautiful doll! It was really
a pity to give it up!“ - grandmother sighed. And
at this moment I understood that the girl holding
the doll in the picture was my grandmother.
WAR
People! While your hearts still beat. Remember about the price of happiness!
Please, remember! An Interview with his own Grandfather by Piotr Matonin
H
ow does love of the Motherland start?
This feeling appears in childhood. To
love the Motherland means to live one life with
it: be happy in holiday with it and suffer with
it when it suffers. There were first days of the
Second World War. The year 1941. The whole
country was involved in the war: young and old
men and women, children. Everybody helped the
country as he/she could.
Alexandr R. Matonin, my grandfather, was 8
years old when the war began. I was always interested in how the children of my age lived at that
time. And I asked him to tell me about it.
Grandfather, how did you know that the war
began?
We lived in the village called Beletsk, Ermakovskij region, there were no radio, television, post.
The courier from the nearest village rode to us.
Information for people to gather near the collective farm bureau was given. And so the inhabitants of our village knew that the Germans had
attacked us. Russians experienced many troubles
during this period. There was no family in Russia
the war didn`t concern. My father served in the
army at that time. He would stay in to fight. It
is hard to find a
family in Russia
which didn`t
lose a father or
son, mother or
daughter. My
father was killed
in 1942 defending
the Ukraine.
Children worked from sunset until sunrise.
They were my classmates: Viktor Alexandrov,
Vasilij Shmakov, brothers Volodya and Sasha
Kuchinskije, Masha Garbuzova, Anya Chuvashova and many others. Gathered potatoes
were cut into circles, dried in the oven and then
sent to soldiers at the front. In the evenings, after
work, women knitted warm socks and mittens,
and placed them in parcels.
How did children of my age live in the years of
war?
I had to do all the housework since I was the
oldest in the family. In the winter I carried straw
on the sledge from the fields to feed our cow;
chopped firewood and there were times when I
had to take pieces the fence to heat the house;
carried the buckets filled with water from the
river. We had to hunger, wear patched up clothes;
put straw in the valenki patching the holes to protect our feet from the frost. When the sun started
to heat we would run to the slope to dig licorice.
It is sweet as a candy. Or we went to gather and
then eat damsons, wild onion and garlic; we even
ate goose-foot. There was no meat, the product
so necessary for a growing kid`s organism, so we
By Oksana Ukrainskaya, 12 years, Naberezhnye Chelny
DISASTER
CHILDREN
of
kriegskinder | 07
The BEGINNING of the
krieg*
Who worked in
the fields if all the
men went to fight
for Russia`s liberty?
Men went to
war and women
and children
worked in the
fields. It was difficult for us. We,
little children,
lifted potatoes,
weeded huge fields
with our hands,
harrowed with the
use of bulls. And nobody cried or complained.
Everybody understood that it was needed for the
victory.
People tried to win not only fighting at the battlefield, but also on the home front. How did you,
teenagers, try to help the red army win?
There was the 4-years school for young pupils
in our village. All pupils worked as much as
adults. The new school year didn`t start while all
the fields were not cleaned, potatoes were not
lifted and the fodder was not prepared.
Beletsk village. Primary school. Year 1945.
caught gophers, boiled them in a can in the oven.
And it seemed that we couldn`t find a dish better
than that. We ate the eggs of magpies, crows,
thrushs. We dreamed of eating enough bread and
sugar for our organism.
The war ended and our country got liberty in
1945. The Soviet people won because of their
courage, strength of mind, hardiness, nobleness
and wish for it to remain their motherland for
the peaceful life of future generations. And the
victory was gained not only due to the merits of
soldiers on the front, but also to the little children
and women, who suffered most of all in this war.
> > Krieg - ein Kinderspiel?
Kleiner Junge 1942 in
Neuruppin.
T
hat day I got up very early, everything was
as usual, but I was troubled by something.
I walked through our small house: here is mum’s
bed-bench, mum is sleeping there and father’s
bench is deserted: he is not home, he works all
night.
I washed myself with cold water, got dressed,
turned on the radio set, lent an ear to it and froze.
An announcer spoke in a loud voice & with great
agitation: “The war has begun!” I couldn’t even
budge. Because of the announcer’s loud voice
mum began to spill. Not understanding what has
happened she said: “Fedya, reduce the sound.“
No reaction from me. Then mum without any
suspection raised her head from the pillow &
looked at me with a question in her eyes.
“Listen” – I whispered and pointed at the radio
set. Mum lent an ear. The annoncer was speaking at the time: “... without any notification the
Germans attacked our great Motherland...” Mum
turned pale, her eyes looked somewhere in the
distance. “Mum, dear mummy“ – and I rushed
into her arms.
She came into her senses. Jumped off the bed,
throwed upon herself a dressing gown & rushed
to the door, opened it wide and began to peer
into the distance. I know, she was looking for dad
with her eyes. Suddenly mum opened wide the
gate & put her arms round dad.
„Petya! War, war! What should we do then!“
Mum cried, dad took her home, sat her on the
bench and sat in front of her. Suddenly the door
opened. I was frightened, closed up my eyes tight.
Silence. I wonder who has come? I half-opened
my eyes and saw... a russian soldier.
“The war has started!“ – he said. I descerned
the soldier. It was a young sergeant, tall, broadshouldered with a noble face.
“Dress yourself quickly and go out.“ Mum
dressed herself very quickly: she threw a headscarf upon her shoulders. The soldier waited for
us in the yard. He led us somewhere. Nobody
stayed sleeping in our village, there wasn’t any
noise. Everyone was gloomy: nobody greeted
each other, nobody laughed. The war has begun!
I had fear: I couldn’t even imagine what would
happen to me and my family. We entered a large
building. There were many people there. Everyone was crying, nobody talked. The soldier took
my father downstaires. My mum and I stayed
above the entrance. The doors opened again and
again, more and more people were entering. It
became too tight and stuffy in the hall. Suddenly a
voice came. A military man was speaking:
“Comrades, the war has begun! Let’s stay
together“ – this way we can win.
The soldier went away, but dad was also away.
In half an hour dad returned. He put mum into
his arms, whispered her something and said
loudly: “Comrades, now we will be put into the
cars & taken to the safe place. Outdoors, everybody!“
Mum and I sat into the car, on the way she told
me that dad was taken to the war. I had a lump in
my throat, but I controlled myself & didn’t cry.
Finally we reached a village. Mum & I were settled in the izba with one room...
We live here not very well, but the time passed
& we get used to it. Father died. Mum cried for
long. Now our life gets right but I’ll never forget
the first day of the war.
08
|
erinnerungen
you can SEE
Pageson which LIFE
politik orange
The Germans didn`t touch me. Before leaving
the room the tallest of them kissed me. And I
sat being afraid to sigh. Soon this tallest German
came back. The awful thought came to me. „He
came for me“. But he came nearer to the table,
took the cake and went out. I never saw these
Germans again. Nadezhda Petrovna became
silent. I turned over one more page.
Noch leben Zeitzeugen, die berichten können, welche oft grausamen Geschichten hinter Fotos und Mahnmälern
Fireworks of life
stecken. By Evgenij Chepkin
Her mother was buried. Nadya didn`t cry, she
could hardly understand what was happening.
Galya, her neighbor, whom Nadya liked so much,
took Nadya into her house. Galya was a woman
of middle age at that time and had no children
of her own, that is why Nadya was her only happiness. She paid her lots of attention, that is why
Nadya recovered from the shock in a short time.
Days passed quickly. Despite the troubles in the
country, the small Glazov town was quiet. People
were creating plans for the future. So two years
passed. And the year 1945 came. For Nadya this
year was special one: this year she was 10 years
old. It was her first jubilee. She started to prepare
for this year beforehand, especially because Galya
promised her a special celebration. We will celebrate your 10 y.o. birthday in such a special way,
that the whole country will never forget it!
Who could know at that time that her words
would become true. On the 8-th of May Germany announced its capitulation, and on the 9-th
Russia had the great holiday – the victory celebration! Everybody went into the streets that day.
Everybody congratulated each other on victory
day. Now people can sigh easily! Now they can
think about the future. This photo became the
last one in the album: the group of happy people,
throwing back their heads looking at the black
night sky with many lights!
I
t is very difficult to remember the tragedies
experienced in the years of war. Especially
difficult when it is necessary to force a person
to remember them. The topic which I had to
discuss with Nadezhda Petrovna Alekseeva, war
veteran, involuntarily gave me shivers. She had
to remember about her tragic childhood and I
had to listen and write down her story, without
showing emotion. But it turned out differently.
When I posed my first question, the reply which
> > Aus Leben und
Familie fortgerissen:
Denkmal in Berlin-Mitte,
das an die Deportation der
HJuden erinnert.
I got was a significant smile. Nadezhda placed a
huge blue and silver photoalbum on the table and
said: I will tell nothing. All my childhood is in this
album and when you see it you can tell me about
my life for yourself.
I carefully opened the family relic and started
to turn the pages dusted by time. Black and white
photos, pictures, made by a kid`s hand, extracts
from newspapers are constantly fitted on them.
Here a girl with an out-stretched hand is standing,
here a woman is reading the newspaper and here
a horse is walking on a field scorched by an artillery shell… I understand that imagination starts
to work very quickly, my eyes really don`t see the
room where we are sitting, but are looking at the
horse on the burnt field, woman with the newspaper and the child with the out-stretched hand.
And... – the woman breaks the silence. – I can
see by your eyes that you understood everything.
Turn over the pages of the photoalbum and tell
me about my life! Don`t be afraid to be mistaken,
I will correct you if you make a mistake. I again
open the first page and start the long story.
Grief is always near you
The birth of a daughter in the family of
Alekseevi was the great gift. On 9 May 1935 the
lovely child was born. To say that the parents
were very happy means nothing. They were
delighted. They both were around 40 y.o., that is
why they without hesitation named her Nadya
(hope), because since the wedding they hoped to
have children. But nobody knew at that time that
the life of Nadya would be so difficult!
The war started. Father was taken to the front,
and was killed in 4 months. Nadya will never
forget that white list of paper with info about
father`s death. Father was killed, and it meant
that now Nadya had only her mother alive. And
Nadya decided for
sure that she will
gift her warmth
to her other;
mother had to feel
herself not lonely
and sad. And
the mother that
time decided to
devote her life to
her daughter and
to do everything
possible for
Nadya feel herself
happy.
But happiness
is impossible
when everybody
suffers. That day,
9 May 1942, little
Nadya remembered for the
whole of her future life. She had waited for her
birthday since winter, she was to be 7 that year.
Her mother earned money and bought Nadya a
cake with roses of different colors on it. It was a
very beautiful one! It was the best gift she could
dream! The girl was so happy that she was running around the room, kissing and thanking her
mother.
The Germans came exactly at that moment
when both were hugging each other. Why they
came into their house neither Nadya nor her
mother could understand. Nadya had nothing
expensive in her house to be stolen, except maybe
the beautiful cake on the table. Nobody knows
why, but the Germans bound Nadya`s mother
and took her away. Nadya has never seen her
again since that moment… Nadezhda Petrovna
sighed heavily and dried her tears.
Mother was in the room for a long time. She
suffered for a long time and then they killed her.
There were 4 of them. All of then were very
strong men, and my mother was a thin, fragile
woman. They raped her with cruelty. I remember
very well the words of my mother when she told
them: „Let my daughter go to the kitchen, let her
not to see this“. But the Germans didn`t hear
her, they just laughed…And then they shot her.
Before their guns she had just told them „Don`t
touch my daughter!“. Those were her last words.
People must live! MUST!
I closed the album and sat in the silence for
some minutes. I was thinking about all what was
said today. And what came next? – the question
was posed suddenly. Then life became usual for
all of us – Nadya answered, as if she knew what
I meant, – study at the university, job, wedding,
children... It is not so important for this story. It
is not so important. Everybody can achieve it.
I silently agreed with the words of this woman,
who could not be changed by the years and
am surprised at her heroism. Nadezhda Petrovna could survive despite all the troubles. As a
sprout, growing on the hard soil, she shot up
and survived, leaving behind all the offences and
emotional shocks. The war injured her soul, but
didn`t kill her.
On 9 May 2005 Russia will celebrate 60 years
since the victory day. And Nadezhda Petrovna will celebrate 70 years from the day of her
birthday. She will never forget the day when her
mother was killed. She will cry remembering it
and it will be frightful for her. But she will again
take herself in her hands, start to smile and be
happy that she is as alive as she was in childhood.
The person who understands that PEOPLE
HAVE TO LIVE, HAVE TO deserves the greatest respect.
When you will raise your glasses to your
Motherland remember this woman, who lives in
Glazov town. Think about her, be delighted with
her firmness and wish her good health in your
thoughts!
krieg*
gemeinsam
SCHORNSTEIN
„Der
stand MIR
|
09
bevor“
Ralf Fischer ist 26, Ernst Bellasch 81. Beide trafen sich im April 2005 auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen. Fischer half, dort als Student die Gedenkfeier zum 60. Jahrestag der Befreiung des KZs vorzubereiten. Er interviewte Bellash, der als
Zeitzeuge aus Belarus kam. Nur durch Glück hat der Weissrusse seine Leidenszeit in deutschen Lagern überlebt.
D
ichtes Gedränge auf dem Gelände des
ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen in Oranienburg. Einige hundert Überlebende aus Russland, Frankreich, der Ukraine,
Israel, Holland, Polen, Dänemark und anderen
Ländern sind zum 60. Jahrestag der Befreiung des
KZ durch sowjetische und polnische Soldaten
angereist.
Die meisten noch lebenden ehemaligen
Häftlinge sind schon 80 bis 90 Jahre alt. Oder
noch älter. Doch trotz des Alters beeindruckt
ihr Willen, sich dem Ort des Grauens zu stellen.
Ernst Bellash aus Belarus, mit seinem Lächeln
und seiner charmanten Art des Erzählens, ist
einer von ihnen. Statt eines Namens steht eine
vierstellige KZ-Nummer auf seinem Schild. Die
Nummer ersetzt einen Namen. Kaum fassbar
für Menschen, die nach 1945 geboren wurden.
Ziffern statt Buchstaben, um Menschen zu unterscheiden, „8268“ statt Ernst Bellash.
Als er im Dezember 1925 in der Sowjetunion
geboren wurde, war er der Sohn eines Revolutionshelden. Eines großen Helden, wie er sagt.
Sein Vater kämpfte während des Bürgerkriegs auf
Seiten der Bolschewiki. Fünf Jahre nach seiner
Geburt zog er gemeinsam mit seinem Vater aus
der belorussischen Heimat nach Leningrad. Sein
Vater studierte an der Akademie, der zwei Jahre
ältere Bruder und er kamen in die Schule.
zur Arbeit auf ein Schloss geschickt. Gefesselt
mussten sie wenig später nach Groß Rosen. Dort
rasierte man ihnen einen Streifen auf den Kopf.
Als Erkennungszeichen. Nach einigen Wochen
bekam Bellash ein Augenleiden. Es wurde so
schlimm, dass er eine Augenbinde tragen musste
und arbeitsunfähig wurde. Das war im Frühling
1944.
holten sich junge, kräftige Männer und Frauen
als Sklaven per Zug ins Reich. Wieder arbeitete
er auf einem Landgut. Diesmal in der Nähe von
Greifswald und gemeinsam mit Franzosen und
Polen. Im Herbst wurde er nach einem Reitunfall
in den Westen des Nazi-Reichs nach Reith bei
Krefeld beordert. Die Zwangsarbeiter säuberten
nach den Bombenangriffen der Alliierten Straßen
und schichteten die noch nutzbaren Ziegelsteine
aufeinander. In Krefeld schloss er sich einem
Antifa-Zirkel an und bereitete gemeinsam mit
anderen Gefangenen seinen Ausbruch vor. Nach
dem ersten Versuch kehrten sie wieder in die
Unterkünfte zurück. Doch beim zweiten waren
sie zu viert erfolgreich. Es gelang ihnen, über die
Kanalisation die Stadt zu verlassen und bis zur
Weichsel zu fliehen.
Der Glaube an den Kommunismus sowie ihre
patriotischen Gefühle ließen die jungen Männer
diese waghalsige Flucht wagen. Fast wäre sie
gelungen. Doch hungrig, müde und schmutzig
griff sie Kriminalpolizei an der Weichsel auf. Von
dort kamen sie in ein Nazi-Lager. Weil die Ver-
Arbeitsunfähigkeit bedeutete Abtransport. Die
Richtung entschied der Lagerleiter. Der „Schornstein stand mir bevor“, sagte Bellash wortkarg zu
dieser Situation. Warum es das Konzentrationslager Sachsenhausen wurde, kann er sich auch
nicht erklären. Auch nicht, wieso er nach einem
Monat weiter musste, nach Rechlin, den Flughafen ausbauen.
Die Qualen waren unbeschreiblich. Als unser
Gespräch auf die Zeit nach der Zwangsarbeit in
Rechlin kam, in der Bellash im KZ Dora arbeiten musste und später sogar noch in das KZ
Bergen-Belsen verschleppt wurde, brach er das
höre keine Ergebnisse brachten, lieferte man die
Flüchtlinge in das Gestapo-Gefängnis in Poznan
ein. Weil auch dort alle vier Männer, trotz Folter,
nicht verrieten, dass sie eigentlich entflohene
Zwangsarbeiter waren, wurden sie zusammen
Gespräch ab. Die Herzlichkeit mit der er erzählte,
bekam einen radikalen Bruch, die ahnen lässt, wie
entsetzlich diese Zeit gewesen sein muss. Bellash
sagte zum Abschied sehr leise: „Vielleicht erzähle
ich es ein anderes Mal. Heute nicht mehr.“
Von Sachsenhausen nach Bergen-Belsen
1935 verlor er seinen Vater, sein Vorbild
Ernst Bellash verlor 1935 seinen Vater, sein
Vorbild. Während seine beiden anderen Brüder
auf das Internat gingen, zog Ernst Bellash zu
seiner Großmutter nach Belarus zurück. Mit ihr
ging er nach Ostpolen, als dieser Landesteil unter
sowjetische Herrschaft kam. Hier war die Großmutter geboren worden. Zwei Jahre lang lebte
er im Dorf Loknovic bis die Deutschen 1941
einrückten. Mit 15 Jahren musste er untertauchen
und sich verstecken.
1942 wurde er zum Arbeitsdienst herangezogen. Auf einem Gut half er dem Buchhalter beim
Auszahlen der Löhne. Seinen Job nutzte er auch,
um antifaschistische Zeitungen, Papiere und
wichtige Informationen weiterzuleiten. Doch eine
Lehrerin verriet ihn an die Polizei. Nur knapp
sagte er dazu: „Mein Glück war es, dass die einheimische Polizei mich verhaftete. Sonst wäre ich
wahrscheinlich sofort erschossen worden.“
Als Zwangsarbeiter rekrutiert
Aus dem Knast wurde er im März 1943 wieder
für den Arbeitsdienst rekrutiert. Die Nazis
> > Im Erschießungsstand:
Helfer mit Überlebendem in
Sachsenhausen
10
|
zeitzeugnisse
politik orange
The Warsaw Rising took place in 1944. There was a huge celebration last year in Poland, dedicated to this event and its 60th anniversary.
Moreover, the citizens of Warsaw opened a museum, which shows the atmosphere of those days in a very exceptional way. There are many
volunteers who take part in organizing all of the projects connected with this place. Ewa Zuk had a chance to have a conversation with one
of them – Alicja Wlodarczyk, a student of psychology.
The students in Warsaw have lots of possibilities
as far as voluntary work is concerned. Why did you
choose the Museum of the Warsaw Rising?
It happened accidentally. My financial situation doesn’t force me to start a paid work. I was
searching for something, which could help my
self-development. I just saw the advertisment in
the magazine. Then I decided to try. While having
an interview, I said honestly that I had never been
interested in the Warsaw Rising and I didn’t have
any knowledge. Nevertheless, I was accepted.
The
emotional way. They tell me their own stories and
cry. Sometimes they don’t even want to get in
because they’re so excited. There are also many
school trips, young pupils.
I wonder if the young people also feel excited as
far as the Rising is concerned. Can you observe any
youngsters’ emotional reactions?
I can. Young people write their notes in the
guests’ book very often. They also collect the
brochures. There are some small papers on the
fashionable
Do the young people show their interest and ask
you questions when you stand next to the exposition?
They really do. They ask many questions.
Actually, the matter of the Rising is something
unknown to them. Besides, because of the 60th
anniversary and the celebration, the matter of
the Rising became something, let’s say, fashionable. It is presented in the media all the time.
The youngsters don’t know much so they want
to get some information. They are usually well
disposed to have a conversation. Moreover, the attitude
of the Warsaw citizens is
exceptional.
RISING
You mean the young
citizens?
Yes, but not only. People
from Warsaw seem to be
proud that they live in a city,
which has such an impressive history. Although,
usually everyone claims that
the Polish capital is quite
ugly. Probably the city would
have been beautiful if not
so many buildings had been
destroyed.
How do the foreigners experience visiting the museum?
They are also really interested. We have the brochures
in English, German and
French. The foreign visitors
sign the guests’ book very
frequently also. The museum
usually seems to them to be
very impressive. Most of
them are really delighted.
How does the interactivity
influence the expositions?
Maybe the voluntary work is a chance for you to
get some information about this happening…
Sure it is. Now I feel like if I were even an
expert. It’s not just a matter of the historical
knowledge but also psychology. Working in the
museum is a possibility to get know something
about human’s behavior in the extreme conditions. There are many foreign visitors, so I can
also improve my spoken English.
What are your duties?
It depends. Sometimes I hand out the tickets
or help in the cloakroom. But I also stand next to
the exposition and inform the visitors.
How old are the people who come to the museum
mostly?
There are people in every age. Also youngsters.
The older visitors treat the expositions in a very
walls, which imitate the pages from the calendar.
They describe every single day of the Rising, all
of the most important happenings. The museum
is interactive and it really comes up to the young
people’s interests. There are some artificial
telephones on the ground floor. The visitors can
hear in the receiver the relations of the people
who lived through the Rising. There is also a
special “room of the young insurgent” for children, where they can draw something or build the
barricade. Generally, I must admit, that children’s
interest is really impressive to me.
How about the teenagers and students?
It is more difficult as far as the teenagers are
concerned. Sometimes they are not disciplined.
Even though, it seems to me, that the expositions in the museum make an impact on almost
everyone.
The atmosphere of the
Rising is perfectly recreated. I am especially
fascinated by the sounds. You can here the shots,
explosions, even the heart beat.
As a volunteer you know much more about the
Rising. It’s even quite difficult to imagine how different and more difficult was our grandparents’ youth
than ours is. Does working in the museum have an
impact on you and make you think of this?
Of course it does. Sometimes I wonder if I
would have been able to sacrifice my life. It is a
really exceptional matter. The museum shows the
impact of the Rising on the civil population, not
just the army. I find it very interesting because
of the psychological aspect. We can get know
something not only about the military actions but
also about the real human tragedies. It happened
to the normal people, similar to us. Even though
it took place sixty years ago.
krieg*
reflektionene
A
s an American, living in Leipzig in East Germany
has given me a lot of insight into war. As young
child, that grown up in America I was fascinated by war
especially our civil war with the strange looking ironclads to the tanks of WWI and the fighters and bombers
of WWII. The Germans had cool weapons, but ours
ultimately were better. My brother and I had toy soldiers
and created huge battles which lasted for days. It was
kind of like playing dungeons and dragons but with
plastic German soldiers pitted against Americans in a
permanently losing battle between good and evil. American vs. Germans. We, the Americans, were always the
good guys, fighting for freedom and democracy while
the Germans were evil.
While playing in the forest with the neighborhood
kids, we would pretend to look for burned-out German
Tiger tanks. In Connecticut, no battles had taken place
anywhere near there during WWII. Why were we so
fascinated by war? There are many reasons, but at seven
years of age, who would be able to explain? For an
American, one of the reasons is we were taught that:
Hitler was bad. He killed six million Jews and we had
to stop him. Combine that with being isolated as well
as growing up with influences like the John Wayne and
James Coburn glorified war movies made in the forties,
fifties and sixties like „ Guns of Navarone“, „The Longest Day“ or „The Great Escape“ and of course a lot of
satire movies. All these were conveniently shown on TV
on Saturday afternoon after the cartoons. We were not
able to get a real sense of war from our armchairs and
so our imaginations went wild.
A major shock came to me when I spoke with a friend
of my father’s back in 1977 who was so angry that
America had gotten involved in Vietnam and that 60,000
American soldiers had gotten killed for no reason, did
I stop and think why. This was a hot topic and I was
afraid to bring it up when he was around. Then, movies
were released like the “Deer Hunter” and “Apocalypse
Now” which changed the way Americans saw Vietnam.
We suddenly saw what our soldiers had to go through.
In a way I think we are all divided when it comes to war.
The innocent side who wants to get into the fight and
prove himself and the rational side that says, I couldn‘t
VoiceOF
displays his souvenir, a ceremonial dagger taken off a
dead German officer with the characteristic “Swastika”
on his wall in the TV room. His brothers Dickie and Alfi
were in the Army Air Force and flew the legendary B-17
“Flying Fortress” over Germany. We listened eagerly to
stories of bullets piercing the skin of the airplane and
chunks missing from wings and how they still managed
to make it back. We glorified it, and they were heroes.
When I got older, I thought less and less of war.
Life got in the way. There were no “wars“ to be concerned about - well, if we do not mention the cold
war or the covert ones America was fighting in South
America and the Middle East. Suddendly September
11, 2001 came and all of a sudden we found ourselves
in an “artificial” war with a propaganda machine so
well oiled that it ironed out
the fake reason for the war
- weapons of mass destruction, freedom, democracy.
The simple rhetoric of
saying your „either with
us or against“ us polarized
America and the world. Like
in Nazi Germany, it became
dangerous to speak out
against it. America said that
it would learn from this war
in Vietnam. It did. Instead
of letting the media in to do
their reporting, the U.S Government decided to step in
and dictate what the public
should see. Sanitized images
glorifying an unpopular war
at least made it tolerable - a
“necessary evil” for the good
of „democracy“. The propaganda machine increased the
level of patriotism by constantly showing images of the
attacks on the Trade Center followed by the American
flag.
It is also repeated over and over again that these
soldiers are fighting and dying for “our” freedom; for
democracy. Basically the propaganda techniques, which
kill another human being. That changes in a life and
death situation. There is no more thought, just reactions
and instincts. War is extreme. It brings out the most
extreme characteristics in a person.
My family was not affected directly by the Vietnam
War. My father was too old and my uncles never got
chosen in the „lottery“. In contrast, most of the older
generation in my family had something to do with
WWII. My uncle Joe George, a highly decorated veteran,
fought in the Pacific and was badly wounded. He never
talked about his experience. My other uncle, Paul, was a
tank commander in Germany at the end of the war and
led a light tank division through the south of Germany.
Even though he was under orders not to associate with
the enemy, he did so and tried to help them as much as
he could. He was like a diplomat, learning more about
the country which he was supposed to be occupying and
the people as well as giving them a chance to see that
we were not there simply to destroy. He still proudly
accompany every war are so simple, even a child could
see behind it. But without propaganda, there wouldn’t
be any support, or fanaticism, which is required in order
drive it. Fear is the first thing which needs to be created.
Herman Goering in 1946 put it quite poignantly to
Gustave Gilbert, a German-speaking intelligence officer
and psychologist who was given free access to all the
prisoners held at the Nuremberg jail: “Naturally the
common people don‘t want war; neither in Russia, nor
in America, nor in Germany. That is understood. But
after all, it is the leaders of the country who determine
policy, and it is always a simple matter to drag the people
along, whether it is a democracy, or a fascist dictatorship, or a parliament, or a communist dictatorship. Voice
or no voice, the people can always be brought to the
bidding of the leaders. That is easy. All you have to do
is to tell them they are being attacked, and denounce the
pacifists for lack of patriotism and exposing the country
to danger. It works the same in any country.”
11
When a country goes to war one must ask himself
these questions: What are the reasons for going to war?
Who‘s going to profit from it, and who is going to be
doing the fighting? The answer is almost always nowadays: money/power, the rich, the poor/uneducated.
Idealism and religion is now just a facade to special
interests especially that of the weapons industry in
the Western World. Don‘t get me wrong, religion and
idealism still play a role, but more in the way as a tool to
manipulate people to do what the people in power want
as in this present „War on Terror“ where the Christians
are fighting „Radical Islam“.
Walking around Leipzig, or Dessau, or Berlin, one
still sees the aftermath of the political short-sightedness of post WWII. As a result several generations had
to continue to needlessly suffer. Stories are being told,
now that the people who went through these horrors
are aging and letting go of old memories and that the
younger generations are looking for answers to their
questions. On my recent visit to Schwedt/Oder, I went
to the local museum where they had a small exhibition of the town during WWII. It was basically a last
resort, a buffer between the ever retreating Wehrmacht and the Soviet Army. The
place was bombed and mortared by the
Soviets till most of the city was rubble.
In the exhibition was story after story of
the individuals who survived the ordeal as
well as pictures and personal possessions.
These people who had lost everything
now had the difficult task after the war
of rebuilding. At this exhibition were a
father and his three little children. He had
done what any normal father would have done. Pointed
out aspects of the exhibition which were interesting and
important to him. The children, having long reached the
end of the attention span, decided that playing war was
more fun than reading about it, so they all ran off and
played shootout between the other exhibitions. Boys will
be boys.
I see a lot of myself in my son, and I see how he too
likes to play war games. Here, however the context is
very different. I grew up in America which was „the
good-guy“ he is growing up in Germany, which perpetrated many of the atrocities in the 20th century. It
doesn‘t feel like a game anymore. How do I explain to
him the consequences, the history? His mother is totally
against him playing with such toys, but then I think: let
him. Boys will be boys. He will realize when he‘s older
what it all means, as long as he is well brought up. I just
hope that in his lifetime he will not have to trade in his
plastic gun for a real one.
Amerika
Propagandakriege haben Zukunft. Von Raymond Romanos (Leipzig/Ohio).
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12
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politik orange
erinnerungen
„I
n wie viel Not hat nicht der gnädige Gott
seine Flügel über mich gebreitet!“ So
beschreibt der 97-jährige Pastor Josef Löcker sein
Leben, in dem er die dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte miterlebt hat und oftmals wie
durch ein Wunder dem Tod entronnen ist. Wenn
er heute in seiner kleinen Wohnung direkt neben
der Kirche des 4.500 Einwohner zählenden Ortes
Altenhundem im Sauerland über die NS-Zeit
spricht, so kommt ihm oft erschaudernd und
kopfschüttelnd der Satz über die Lippen; „Wie
Wie KÖNNEN
die deutsch-englische Front verlegt wurde, wo es
vergelichsweise „ritterlich“ zuging im Vergleich
zu dem, was noch folgen sollte. Wurde ein Pilot
abgeschossen, so gab man dies der Gegenseite
telefonisch durch und die Opfer wurden, auch
von Löcker selbst, feierlich begraben. In einer
kleinen Geschichte, von denen Löcker tausende
erzählen könnte, kommt diese „Ritterlichkeit“
zum Ausdruck. „Wir haben einen hochrangigen
Piloten der Royal Air Force abgeschossen und
in Gefangenschaft genommen, der nur noch
sich SOWAS
ANTUN ?
MENSCHEN
Erinnerungen eines 94 jährigen Militärpfarrers aus dem Sauerland, der erst die Naziverfolgung und dann als
Soldat mit russischer Hilfe Krieg und Kriegsgefangenschaft überlebte. Von Joshua Kleinsorge
„Wie können sich Menschen so etwas nur antun!“
Mit knapp 30 Jahren sollte der Sauerländer
Anfang 1938 im Hohen Dom zu Paderborn
zum Priester geweiht werden, doch so weit
kam es vorerst nicht. Wegen einer Wallfahrt mit
ausschließlich jugendlichen Teilnehmern zur sauerländischen Wallfahrtskirche Kohlhagen wurde
er am 10. Januar 1938 im Priesterseminar in
ein Bein hatte. Dies haben wir den Engländern
telefonisch durchgegeben und die haben dann
aus der Luft eine Prothese für den Gefangenen
abgeworfen.“
Als Löckers Division dann jedoch nach
Russland verlegt wurde, änderte sich das Bild
von einem „ritterlichen“ Krieg. Seine Division
wurde zur Frontleitstelle Krakau beordert mit
Nachdem am 19. November 1942 die Rote
Armee zur großen Gegenoffensive ausholte und
am 2. Februar schließlich Stalingrad gefallen
war, hieß es für die deutschen Truppen an der
russischen Südfront: „Stalingrad ist gefallen, rette
sich wer kann.“ Löcker flüchtete mit den anderen
Soldaten über das zugefrorene Asowsche Meer,
das von den Russen beschossen wurde und in
dem viele Soldaten im kalten Wasser ertranken,
zurück zur Krim, wo eine neue Front aufgebaut
war. Dann fiel auch diese und es begann die
Flucht vor der Roten Armee nach Siebenbürgen.
Als Löcker mit anderen Soldaten durch den Pruth
schwamm – den Grenzfluß zwischen Rumänien
und Moldawien - wurde er von den russischen
Soldaten aufgegriffen und gefangen genommen,
die Offiziere der SS wurden erschossen. Nach
einem kilometerlangen „Todesmarsch“ zum
Bahnhof ohne Nahrung und Trinkwasser, bei
dem jeder, der entkräftet war und nicht mehr
laufen konnte, erschossen wurde, wurden Löcker
und andere Soldaten in einen verdrahteten
Viehwaggon gesperrt und zur Wolga transportiert. Noch heute verfolgen Löcker im Traum die
Bilder der Waggons in denen er wochenlang ohne
Licht, ohne Toilette, mit sterbenden jungen Männern ausharren musste, in der Ungewissheit, was
noch folgen könnte. Nach einem Jahr Kriegsgefangenschaft in einem alten Frauenkloster wurde
er erneut über die Strecke der Transsibirischen
Eisenbahn nach Nowosibirsk gebracht, wo sie
nach einem weiteren Todesmarsch im Wald den
Befehl erhielten Baracken zu bauen. „800 Mann
mussten sich eine Baracke teilen - ohne Toilette.
Wir schliefen dort in dreilagigen Pritschen übereinander und jeder hatte nur 50 Zentimeter Platz.
Wenn einer gestorben war, und das kam häufig
vor, dann wurde er einfach von der Pritsche
gestoßen.“
Den Tod dicht vor Augen
> > Schusswunden unter
Denkmalschutz:
Konserviert an der evangelischen Sophienkirche in
Berlin.
Paderborn verhaftet. Acht Monate wurde Pastor
Josef Löcker von den Nazis inhaftiert - zuerst in
der Dortmunder „Steinwache“, wo neben Löcker
noch 108 weitere Geistliche einsaßen, dann in
Düsseldorf und später im Kölner „Klingelpütz“.
Kurz vor Weihnachten 1938 konnte er dann endlich die Priesterweihe empfangen und arbeitete
noch bis zu seiner Einberufung zum Militärdienst
für einige Monate als Vikar im Sauer- und Siegerland. Es folgte die Einberufung, eine Sanitätsausbildung in Kassel und später ein Kriegspfarrerlehrgang in Berlin bis er zum Port de Calais an
einem Marschbefehl nach Dnjepropetrowsk,
um wie von Hitler gefordert von Süden nach
Russland und Stalingrad vorzurücken. „Wir
wurden anfangs von Menschen am Straßenrand
wie Befreier empfangen und sie brachten sogar
ihre Kinder zu uns um sie taufen zu lassen. Ich
selbst habe viele russische Kinder getauft“. Doch
die SS, die das Oberkommando hatte, ermordete
wahllos viele Russen und knechtete sie schlimmer als es zuvor die Stalinisten taten und aus der
erhofften Befreiung wurde eine noch grausamere
und tyrannischere Besatzung.
Die vielen Leichen konnten nicht beerdigt
werden, da der Boden in Sibirien fast das ganze
Jahr über gefroren ist. Unzählige Leichen mussten den Winter über draußen unter dem Schnee
verscharrt werden; sobald der Boden getaut war,
wurden sie in Massengräbern bestattet. Löcker
selbst fürchtete schon das schlimmste, als er von
Hunger und Durchfall geschwächt in die Sterbebaracke des Lagers kam. Nachdem er bereits
seine Sterbegebete gesprochen hatte, kam eine
russische Ärztin an sein Bett und teilte ihm auf
Russisch mit, dass es bald mit ihm zu Ende gehe.
Löcker hatte aber auf dem Vormarsch ein wenig
Russisch gelernt und er antwortete ihr in ihrer
Sprache, dass er noch nicht sterben wolle. Sie
zeigte Mitgefühl mit mit dem jungen Priester
- er bekam Medikamente und überlebte. Doch
das Martyrium der Kriegsgefangenschaft dauerte
weiter an. Insgesamt sechs Jahre lebte er mit 800
Männern in einer von 12 Baracken des Gefangenenlager. Ca. 10.000 Gefangene lebten dort, am
Körper von Läusen und Wanzen übersät – sie
erhielten lediglich heißes Wasser und gerade das
Nötigste zu essen - immerhin. Nach 6 Jahren in
Gefangenschaft wurde Löcker schließlich zusammen mit 46 anderen Divisionspfarrern aus der
russischen Gefangenschaft entlassen. Er kehrte
zu seiner Familie zurück, die über 6 Jahre kein
Lebenszeichen von ihm erhalten hatte und arbeitete zu Hause weiter als Gemeindepfarrer. Noch
heute mit 94 Jahren steht Pfarrer Löcker bei
der samstäglichen Messfeier mit am Altar seiner
Heimatkirche und dankt Gott dafür, dass er diese
grauenvolle Zeit überlebt hat und die Kraft für
einen Neuanfang geschenkt bekam.
krieg*
on his
GERMAN
GERMANY
zeitzeugen
|
13
WAY to
Being born in Berlin, Jew Stefan Doernberg in 1941-1945 as a Russian soldier fought against Nazism which dominated in Germany. Now
he lives in Germany and tries to save peace in Europe. Von Nastya Ivanova
W
hen he was an 11 year old boy, Nazis
ejected his family from Germany. His
parents were Jews. That was the time when
many German Jews suffered from those who
considered themselves as true Aryans and
thought that people of all other nations can`t
live in Germany. So, Stefan Doernberg started a
new stage of life in the Soviet Union. Being the
son of the political emigrant, he was oriented
to the humanistic idea of socialism. The USSR
was the only state where you could see this idea
in real everyday life. That was the new world
for German boy. And he probably liked it. But
he liked his native country – Germany – more.
And he wanted to come back to his Motherland.
That is why on the 22 June 1941 Stefan Doernberg decided to be a volunteer of the Red Army.
His aim was clear – to punish his offenders and
to make Germany the country of freedom for
everybody who was born in it.
Stefan Doernberg came back to Germany after
10 years. He returned to his native country as a
soldier of Soviet Army. There were not many
Germans who fought against fascism. But all
of them felt themselves as soldiers who had to
contribute to the liberation of the European
people from fascism. Stefan Doernberg was one
of those soldiers.
Here there is only one fact of his biography.
On 2 May 1945 Waidling, the German general,
signed the order of cessation. Groups of Soviet
and German officers were standing together
on Potsdam square, listening to his order. The
adjutant of General Waidling read the order in
German and then Stefan Doernberg read the
same document in Russian. “That was my last
day of the II World War”, Stefan Doernberg said
later.
In 1945 Stefan Doernberg stayed in the East
Part of Berlin to work for the Soviet military
administration. He always wanted to come back
to his native country. And that was his chance.
But he wanted to see Germany as a unified
state. People say that you have to learn history
if you wish to understand the current reality. So,
Stefan Doernberg entered and in 1951 finished
the History Department (Faculty) of Moscow
State University. Then he worked as a journalist,
graduated as a historian. Since 1959 he live in
Berlin, since 1962 work as a director of German
Institute of History.
During all his life Stefan Doernberg tried
to look at events around him, and he always
wanted to understand march of history. His
remembrances, observations, thoughts are
assembled into a book. The first title of this
book is “German on his way to Germany”. It is
the honest story of a person who has been the
witness, the participant and the observer of history at the same time. The book was published in
Berlin in 2004 under the name “Fronteinsatz”.
I live in Russia. And probably I should not
see the author and this book. But fortunately we
have met in Berlin. Stefan Doernberg has given
the presentation of his bok. It was an interesting
story. I recommend you to read his book.
für NICHTERLEBTE
VERANTWORTUNG
Eine Betrachtung von Friederike Ludewig
A
m 7. Mai ist es genau 60 Jahre her, dass
der zweite Weltkrieg in Reims beendet
wurde, einen Tag später offiziell in Berlin. Ohne
Zweifel ein denkwürdiger Tag. Obwohl es für den
Großteil der Deutschen die Erinnerung an etwas
ist, dass sie gar nicht selber erlebt haben. Denn
sie werden erinnert, schon von klein auf.
In der 5. Klasse behandelten wir das Buch
„Damals war es Friedrich“ von Hans Peter
Richter im Unterricht. Ein Buch, das die problematische Freundschaft zwischen einem Judenjungen und einem Deutschen vor und während des
zweiten Weltkrieges beschreibt. Mit zehn Jahren
verstanden wir natürlich nicht ganz, was zur
NS-Zeit in Deutschland vor sich ging, dennoch
berührte uns das, was wir da lasen. Unser Interesse war geweckt. Aber nicht, weil die Geschichte
in „unserem“ Land spielte, sondern weil wir uns
darüber wunderten, wie es möglich war, dass so
viel Ungerechtes passieren konnte. Das war das
erste von vielen Malen, dass der Nationalsozialismus im Klassenzimmer besprochen wurde.
Anderswo möglicherweise sogar noch mehr Zum
Beispiel in Großbritannien. Als Deutsche, die
später in England zur Schule ging und heute dort
studiert, bekommt man einen Blick dafür. „Nazi
Germany“ spielt eine wichtige Rolle. Besonders
das Fernsehen dokumentiert die Vergangenheit
immer wieder und stets sind die Einschaltquoten
hoch. Ich bin jedes Mal erstaunt, wie groß das
Wissen vieler Engländer über diesen Abschnitt
europäischer Geschichte ist.
Vergangenheit
Doch will man die Konversation über Deutschlands Geschichte und Kultur fortführen, werden
die Gesprächsthemen dünn. Fragt man den
Engländer nach Goethe, Fehlanzeige. Ebenso
bei Brecht, einem der größten
deutschen Antikriegsautoren („Das
große Karthago führte drei Kriege.
Nach dem ersten war es noch
mächtig. Nach dem zweiten war es
noch bewohnbar. Nach dem dritten
war es nicht mehr aufzufinden“).
Deutschen, peinlich sein müsste. Natürlich ist sie
ein Teil von mir, denn seit Jahren beschäftige ich
mich damit. Aber ich trage keine Verantwortung
dafür, sondern für Gegenwart und Zukunft.
Steht Deutschland nur für
Krieg?
Dies zu erleben, stimmt traurig,
weil ich dann das Gefühl bekomme,
Deutschlands Geschichte steht für
Diktatur und Massenmord. Einigen
meiner Mitstudenten ist es sogar
unangenehm, fast peinlich, mich
auf den zweiten Weltkrieg anzusprechen. So, als würden sie mich,
die Deutsche, damit beleidigen.
Das macht mich sauer. Denn die
Geschehnisse von damals haben
doch nichts mit meiner kleinen persönlichen
Vergangenheit zu tun, jedenfalls nicht viel mehr,
als sie mit der kleinen persönlichen Vergangenheit eines englischen Studenten zu tun haben.
Wie könnten sie mich da beleidigen? Es ist doch
Vergangenheit. Vergangenheit, über die wir
reden müssen, aber keine, die mir persönlich, der
Dafür, dass das Thema in Erinnerung bleibt und > > Stolperstein:
Erinnerung an
wir weiterhin daraus lernen, damit sich so ein
ermordete Juden.
Schrecken nicht wiederholt. Aber diese Verantwortung trägt auch ein Engländer. Die Gräuel des
Nationalsozialismus stehen für etwas, aus dem
wir alle lernen können. Wir alle tragen die gleiche
Verantwortung, es ist unser aller Vergangenheit.
14
|
politik orange
propaganda
W
> > Unkaputtbarer
Betonbelastungskörper:
In Berlin Schöneberg
wollten die Nazis
testen, wieviel Gewicht
der Märkische Sand
aushält um nach dem
Krieg einen gigantischen Triumphbogen
zu errichten.
erbung gehört zu einer Großstadt wie
Butter auf `s Brot. Auf allen erdenklichen Wegen werden uns alle möglichen Produkte
mit Hilfe von Werbung schmackhaft gemacht.
Und wenn wir noch kein WC Parfüm haben dann
wissen die Werbemacher warum wir eins brauchen. Und es wirkt. Von der Werbeunterbrechung
im Fernsehen bis zur Textnachricht aufs Handy
werden wir zu Opfern ihrer Werbestrategien.
Werbung. Die Hippen und die Stilen machen die
Werbung, vom Trendforscher bis Programmierer.
Ein ganzer Wirtschaftszweig, in dem Millionen
von Euro fließen, ist darauf spezialisiert Werbung zu produzieren, die auf ihre potenziellen
Käufer ausgerichtet ist. Ob ein Produkt sich gut
verkaufen lässt, hängt dann meistens nicht mehr
von der Qualität des Produktes ab, sondern mehr
und mehr von der Qualität der Werbung. Darum
investiert Bitburger gern mal 500 000 Euro und
Müllermilch 1,5 Milli in ihre Werbekampagnen
und der glückliche „super Kreative“ der den Auftrag an Land gezogen hat, hat auf der nächsten
Party die jungen Mädchen aufm Schoß zu sitzen.
Die Macht der Bilder ist nicht erst seit den
letzten Jahren bekannt und die Manipulation der
Menschen durch das Massenmedium Film ist
auch nicht gestern vom Himmel gefallen. Schon
Adolf Hitler und seine Gefolgschaft nutzten
den Film zur Manipulation, Propaganda und
Unerhaltung der Bevölkerung vor und während
des Krieges. Es war wichtig die Bevölkerung zu
motivieren und Bilder zu suggerieren, die die
politischen Taten objektiv rechtfertigten und die
eine Volksgemeinschaft zeigten die hinter dem
„Führer“ steht.
Film als Mittel zum Erziehungszweck
Goebbels, der am 13.März 1933 zum Minister
für Volksaufklärung und Propaganda berufen
wurde, war ein richtiger Film- und Kunstliebhaber und überzeugt davon, dass der Film „gerade
im Kriege seine erzieherische Wirkung“ ausbauen
müsse. Und er schaffte es die Menschen davon
zu überzeugen, dass der Film momentan eine
geistigen Krise durchlebe und dass die jüdischen
Filmschaffenden schuld daran seien. Er meinte
sie seien den Anforderungen nicht gewachsen.
Dieser Vorwand war einer der Gründe zur
Diskriminierung und Ausgrenzung jüdischer
Filmschaffender. Der Vorstand der Ufa begann
dann auch bereits am 29.März mit „Rücksicht
auf nationalen Umwälzungen in Deutschland“
Verträge von jüdischen Mitarbeitern zu kündigen und sie sozusagen in den Ruhestand zu
schicken. Da wunder man sich doch, warum
diese Filmpolitik Goebbels nicht auf eine breite
Ablehnung der Filmkünstler gestoßen ist. Aber
Psychologieprofessor Harald Welzer sagt heute
in einem Interview, dass „die Diskriminierung
der Juden so normal war, dass es dafür kaum
Unrechtsbewusstsein gab“, ähnlich wie wir
heute ein Halteschildverbot auch nicht als etwas
besonderes im Gedächtnis behalten. Aber Gott
sei Dank wissen wir, dass es auch Menschen gab,
die das Herz am richtigen Platz hatten und sich
gegen die Diskriminierung von andern Menschen
eingesetzt haben.
Für Diskriminierung von Juden fehlte
Unrechtsbewusstsein
Allerdings muss man eingestehen, dass die
Nazis auch nach dem „Reichtagsbrand“ und dem
darauf in Kraft tretenden Ermächtigungsgesetz
am 23.März 1933, zur Behebung der Not von
Volk und Reich, die Zügel in den Händen hielten.
Denn das bedeutete das Reichsgesetzte von der
Reichsregierung beschlossen werden konnten
ohne den Reichstag und den Reichsrat zu berücksichtigen. Die uneingeschränkte Macht lag nun in
den Händen, des von der Bevölkerung gewählten
Mannes, Adolf Hitler. „Und wenn Adolf Hitler
meint, dass die Juden ins KZ gehörten, dann
gehörten sie da auch hin.“ Diesen Satz soll Leni
Rifenstahl während einer Filmproduktion gesagt
haben. Leni Riefenstahl war eine berühmte Regisseurin und Darstellerin im Dritten Reich. Für
einen Film unter ihrer Leitung hatte sie jüdische
Protagonisten für die Dauer der Aufnahmen aus
einem Konzentrationslager geholt und danach
wieder zurückbringen lassen.
Die völkisch-rassistische „Säuberung“ nicht
nur in der Filmbranche, wurde im April 1933
gesetzliche eingeführt. Der „Arierparagraph“
verbot jegliche Beschäftigung von „Nichtariern“
im öffentlichem Dienst. Für die meisten jüdischen Familien bedeutete das eine Beraubung der
Existentgrundlage. Der einzige Ausweg war aus
Deutschland zu fliehen. Mehr als 1500 Filmschaffende gingen ins Exil. Naheliegen waren
die Länder England, Frankreich oder Österreich.
Aber die Menschen konnten sich nicht alle eine
neue Existent aufbauen, weil sie mit Sprachbarrieren konfrontiert waren und zum Beispiel in
Frankreich ein deutscher Akzent nicht akzeptiert
wurde. In Österreich wurden die antisemitischen
Vorgaben Deutschlands übernommen. Einerseits
bevorzugt die Länder nur reiche Einwanderer
oder welche die wirtschaftlich profitabel waren.
Andererseits probierten sich die Länder mehr
und mehr von den Mengen an Migranten zu
schützen, auch um die Interessen und Arbeitsplätze der Einheimischen zu bewahren. In
Amerika musste man einen „Affidavit“ erwerben,
durch den sich ein amerikanischer Staatsbürger
bereiterklärte für den Unterhalt eines Einwanderers aufzukommen. Vielen gelang es sich nicht
vor den Verfolgungen zu retten und sie wurden
in Vernichtungslagern ermordet, darunter waren
Filmschaffende wie Kurt Gerron, Otto Wallburg
und Paul Morgen. Auch jegliche Art von Kritik
wurde schlimmstenfalls mit dem Tod bestraft.
Es gibt im Leben Situationen in denen man sich
entscheiden muss, Tot oder Leben. Entweder
man tritt für seinen Glauben und seine Werte ein
und riskiert damit die Isolation, Verachtung oder
den Tod oder akzeptiert seine Umwelt und passt
sich an. Die Folge ist, dass man Ungerechtigkeit
akzeptiert und ich finde sich damit auch schuldig
macht. Aber wir selber wissen aus eigener Erfahrung, das man sich hilflos fühlen kann.
Das Ziel der vollständigen Kontrolle der Filmproduktion und damit der Filminhalte wurde über
mehrere Instutitionen verwirklicht. Im Juli 1933
wurde die Reichsfilmkammer (RFK) geschaffen,
ihre Mitgliedschaft war die rechtliche Vorrausset-
krieg*
Die
kriegstheater | 15
wirkt!
ILLUSION
Noch heute zeigen deutsche Filme aus der Nazizeit subtile rassistische Propaganda. Nicht
alle sind im Giftschrank gelandet. Von Mare Sevening
zung für jegliche Tätigkeit im Filmbereich. Die
Mitgliedschaft konnte aber mit der Begründung,
„dass der Antragsteller die für das Filmgewerbe
erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitze“ verwehrt werden. Mit dieser “Zuverlässigkeitsklausel“ konnten alle politischen Gegner und alle die
den rassistischen oder nationalen Vorstellungen
der Nazis nicht entsprachen ausgegrenzt werden.
Selbst ein der Regisseur Helbert Selpin, der den
antienglischen Propagandafilm “Titanic“ gedreht
hatte, wurde wegen einzelner wehrmachskritischer Äußerungen verhaftet. Er ist unter bis
heute ungeklärten umständen in seiner Zelle
gestorben.
In dem Streifen “Titanic“, wurden die englischen Passagiere als Gauner, Spekulanten und
Diebe hingestellt und der - jüdische - Kapitän
des Schiffes riskiert ohne Rücksicht auf das
Schicksal der Titanic das Leben aller, nur des
Rekordes willen. Die einzige Lichtgestalt in dem
Film ist ein deutscher Offizier, der sein Leben
aufs Spiel setzt um einen kleinen Jungen zu
retten. So und ähnlich wie in diesem Film wurde
der Bevölkerung die benötigten Feindbilder
subtil vermittel.
Subtil vermittelte Rassenlehre
Im selben Monat in dem die RFK errichtet
wurde, wurde auch die Filmkreditbank gegründet. Die Bank gab Filmen finanzielle Unterstützung, die künstlerisch und staatspolitisch als
wertvoll galten. Dadurch das Filmeproduzenten
diese bestimmten Prädikate erwerben konnten,
die ihren Film als „wertvoll“ für das deutsche
Volk auszeichneten und damit Steuererlasse und
finanzielle Spritzen bekamen, gab es so eine art
Selbstzensur der Künstler. Die Künstler richteten
sich nach den wirtschaftlich „profitablen“ Erfordernissen ihrer Kunst.
Die meisten Filme waren so konzepiert, dass
sie die politischen Maßnahmen der Nazis rechtfertigten. Noch bis zum Kriegsbeginn achtete
man darauf das die Filme exporttauglich waren,
aber mit dem Überfall auf Polen am 1.September
1939 begann der Zweite Weltkrieg in Europa und
damit änderten sich auch die Anforderungen an
den Film. Antipolnische und antirussische Filme
wurden gezeigt. In den Filmen wurde nicht nur
das “Führerprinzip“ und die “Rassenlehre“ subtil
vermittelt, bis beides als etwas normales verstanden wurde, sonder auch die “Euthanasie“, das ist
die Ermordung von behinderten Menschen, die
man von ihren Leiden “erlösen“ musste.
Die Filmproduktion im NS-Staat nutzte die
geschickte Kombination von Unterhaltung und
Propaganda, um sich der Mobilisierung der
Massen und der politischer Meinungsbildung zu
bedienen. Etwa neunzig Prozent der produzierten Filme gehörten dem Genre Unterhaltung
an. Denn Unterhaltungsfilme galten als das
wirkungsvollste Mittel effektiv Propaganda zu
transportieren, weil das Publikum gerade hier
keine politischen Inhalte vermutete.
Das Dritte Reich hat uns ca. 1000 Spielfilme
hinterlassen, aber die meisten sind heute als
“Vorbehaltsfilme“ gekennzeichnet, d.h. sie gelten
heute immer noch als gefährlich und dürfen
daher nicht öffentlich gezeigt werden.
Ich denke, das ist auch nicht nötig. Wir haben
heutzutage noch genug Filmmaterial allein im
Fernsehen, mit dem wir uns kritisch auseinandersetzen sollen und mal darüber philosophieren könnten welche Werte uns heute vermittelt
werden und welche Werte für uns wichtig sind.
Wenn man
weiß, was
die Menschen vor 60
Jahren getan
haben, dann
kann man
schon sehr
sehr traurig
werden. Man
denkt, dass
diesen Menschen sehr
> > Peinlicher Werbestandort:
viel Liebe
Gelände vom einstigen Führerbunker
gefehlt haben
muss, dass der
Mensch doch nicht wirklich so sein kann.
Man denkt, dass so viele Menschen der Realität nicht in Gesicht geguckt haben, aber warum?
Es können doch nicht schlechtere Menschen
gewesen sein, als heute leben, aber offensichtlich
verführbarere. Oder? Man bekommt Angst.
Angst vor dem Unwillen des Menschen, sich mit
seinem eigenem Schatten auseinanderzusetzen.
Aber es ist so wichtig Licht und Schatten zu
sehen, es gibt doch auch den Tag und die Nacht.
Was die Menschen später über unsere Zeit
schreiben werden? Wenn sie notieren werden,
dass wir es gut gemacht haben, wäre das toll.
Aber das liegt an uns.
THEATER
MIT
dem
BUNDESPRÄSIDENTEN
Interview mit einem Schüler der Sophie Scholl Schule
D
ie Geschichtskurse der Berliner Sophie Scholl
Schule genossen im Frühjahr ein Privileg. Sie durften gemeinsam mit Bundespräsident Köhler die Neu-Verfilmung von Sophie-Scholl im Kino anschauen und danach
mit ihm und dem Filmteam darüber diskutieren. Fragen an
den 17-jährigen Caspar Rehner, der mit im Kino war.
Wie war das im Kino mit dem Bundespräsidenten?
Auf jeden Fall leiser, als ohne ihn. Und wir mussten
sogar unsere Handies abgeben, obwohl ich ihn damit fotografieren wollte.
Was kam denn bei der Debatte mit ihm heraus?
Na mitgenommen haben wir alle das Erstaunen von
Herrn Köhler, dass er feststellte, dass er am gleichen Tag
zur Welt kam, an dem Sophie Scholl hingerichtet wurde.
Und, dass er nicht meint, dass Studiengebühren gegen
die Grundrechte verstoßen. Auch danach wurde er gefragt.
Ein Schüler soll ihn sogar geduzt haben?
Ja, gleich zu Beginn einer aus der 13. Daraufhin meinte
der Regisseur: Sag doch gleich Horst zu ihm.
Was wolltet Ihr denn wissen?
Ob die Bundesregierung Widerstandgruppen in diktatorisch regierten Staaten unterstützt. Da hat er nicht so direkt
drauf geantwortet, aber darauf hingewiesen, dass laut
Grundgesetz wir Bürger sogar ein verbrieftes Recht auf
Widerstand besitzen, als Lehre aus dem Dritten Reich.
Was denkst Du über den Film?
Gut gemacht und ziemlich traurig am Ende.
Was lehrt Dich das selber?
Na man denkt automatisch nach: wie
viel Mut hättest Du in einer vergleichbaren Situation, selbst noch vor Gericht dem
Richter ins Gesicht zu sagen: „Da wo wir
jetzt stehen, werden Sie bald stehen“.
Was habt Ihr Horst Köhler noch alles
gefragt?
So viel ging gar nicht, seine Zeit war
leider begrenzt. Aber unsere Schule hat
ihn zum Besuch eingeladen. Rund um
den 8. Mai feiert zum Thema Krieg und
Frieden ein passendes Musical bei uns
Premiere: Lysistrate (Die Heeresauflöserin) des Österreichers Heinz Unger. Unsere MusicalAG
führt es auf.
Beschäftigt Dich eigentlich noch etwas aus dem Film?
Derjenige, der Sophie Scholl verhört begreift ja selber,
dass er Unrecht tut, denn er zweifelt auch an Hitlers
System. Dennoch traut er sich nicht aus seiner Haut heraus
Widerstand zu leisten oder zumindest zu unterstützen.
Diese Angepasstheit und zugleich Feigheit beschäftigt mich
sehr – das, was man Mitläufertum nennt.
Zum Schluss: Habt ihr eigentlich Neonazis an Eurer Schule?
Ich denke nein. Wenn man rechtsaußen steht, geht man
nicht freiwillig auf eine Schule, die Sophie Scholl heißt.
16
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rassismus ist keine kunst
Ich
MÜSSTE mal
politik orange
GEÖLT werden ...
In Berlin wird seit 1984 wieder und wieder ein Theaterstück aufgeführt, in 14 Folgen unterteilt, jeweils rund um einen der Täter gestrickt, die bei den Nürnberger Prozessen verurteilt wurden. Grob gestrickt. Genial ist leider nur der Titel: „Ich bin’s nicht, Adolf Hitler ist es gewesen“. Von Julia Hinz
D
ie Täter sollen gezeigt werden, aus einer
deutschen Sicht. Regisseur und Hauptdarsteller Hermann van Harten meint, wir Deutschen hätten ein Recht auf eine rein deutsche
Sicht. Ohne die Opfer des Holocaust zu zeigen,
sollten wir Zeugen eines Stückes, basierend auf
Originalzitaten, werden, das Motive und Hintergründe der obersten Männer des Dritten Reiches
aufdeckt. Aufführungsort: die Theatermanufaktur
in Berlin-Charlottenburg, eingerichtet nur für
dieses Stück.
Mimik, Gestik und Sprache des Generalgouverneurs von Restpolen und Rechtsanwalt von
Hitler, Dr. Hans Frank,
werden uns in überzeugender Weise dargestellt,
wobei uns Herr van
Harten zu Beginn der
Vorstellung anbot, mehr
Informationen zu liefern
als Kunst zu zeigen.
Soweit, so gut. Bis wir zu der Stelle mit Dr.
Hans Bloch, Adolf Hitler und dessen Mutter
kommen. Dr. Hans Bloch, Hitlers Arzt – gleichzeitig Jude. Hermann van Harten zeigt den
Leidensweg dieses Judens von der Deportation
und Aussortierung im KZ-Lager bis hin zur
Vergasung.
Tränendrüse? Deutsche Sicht? Der Täter soll
dargestellt werden?
Das Publikum bleibt recht emotionslos. Die
Wirkung bleibt aus, die er doch jetzt hatte erzielen wollen. So RICHTIG geschockt, so will er
uns haben. Wir sollen dieses Theaterstück ewig
– „Wer oder was war der?“
– „Kennt ihr die Stadt?“
– „Wer hat die Juden im
Baltikum umgebracht?“
– „Wann wurde Kroatien
das erste Mal erwähnt?“
Er stellt uns Fragen,
neben seiner Rolle. Fragen,
die für mich keinen Sinn
ergaben. Fragen, die vielleicht eine geringe Bevölkerungsschicht beantworten können. Fragen, die
Jugendliche von 20 Jahren,
zum Teil nicht deutschsprachig, erst recht nicht beantworten können.
Van Harten zeigt Dr. Hans Frank bei den
Nürnberger Prozessen, der noch nach der deutschen Niederlage die Verehrung Hitlers fortführte und doch die Angst vor dem Tod durch
den Strang seine restlichen Gedanken überschatten ließ.
– Ein Porträt eines Mannes, der Polen auf dem
Gewissen hatte.
– Ein Porträt eines Mannes, der jedoch jegliche
Schuld von sich wies.
im Gedächtnis behalten.
Und um den Spieß doch noch umzudrehen:
Die alles entscheidende Frage: „Ist es richtig, dass
die Juden jetzt die USA anklagen wollen, weil
sie hätten Auschwitz verhindern können?“ Statt
einfach die Klappe zu halten, muss ich natürlich meinen Senf dazu geben und antworte: „In
Anbetracht dessen, dass Bush auch in die Diktatur Irak unter dem Vorzeichen der Demokratie
einmarschiert ist: ja, die USA hätten vielleicht
Auschwitz verhindern können.“
Hätte ich doch lieber die Klappe gehalten,
denn was jetzt kommt, hätte ich mir auf einen
Dienstag Abend, kurz vor Mitternacht auch echt
sparen können.
„Du bist ja so typisch deutsch, so dumm und
antisemitisch. Es ging doch nur um Öl, DU
müsstest mal geölt werden!!!“ Jetzt hat er, was er
will. Ich bin geschockt und ich nehme doch an,
dass auch die restlichen Zuschauer nicht ganz
unberührt von dieser Ansage blieben. Auf jeden
Fall werden wir alle mehr über das Thema nachdenken und zweifeln und hinterfragen.
Nur stellt sich die Frage: Sind nicht eigentlich
wir genau die, die schon vor
dem Stück geläutert waren
und uns eh schon sehr intensiv mit den Themen Nationalsozialismus, Holocaust,
Drittes Reich und Zweiter
Weltkrieg auseinander setzen?
Sind nicht genau wir die, die
dafür stehen, dass das Vergessen nicht eintreten darf ?
Eben wir, die eine politikorange zum Thema „60 Jahre
Kriegsende“ schreiben?
Und wenn man das alles
als Theater, Provokation etc.
abstempeln möchte, läuft für
mich doch eine Sache gehörig
gegen den Strich.
Auf seine Frage, wie die
Welt in 30 Jahren aussehen
würde, wissen wir – mal
wieder – keine Antwort. Aber
er hat sie natürlich in der Hinterhand: Muslimisch. Leider kann das weder als
Theater, noch als Provokation abgetan werden,
denn die Angst vor dem Islam und vor Muslimen
in Deutschland bestärkt er in einem privaten
Gespräch nach dem Theaterstück erneut. Und
beweist: er spielt das nicht nur, er steht dahinter.
Was hat das noch mit Aufarbeitung zu tun,
wenn es gleich in eine neue rassistische Richtung
geht?
GAR NICHTS!
Krieg und Frieden im Internet
http://www.zwischen-krieg-und-frieden.de – alle Veranstaltungen zum Thema 60
http://www.smb.spk-berlin.de – Staatliche Museen Berlin mit der Sammlung
http://www.zeitgeschichte-online.de – bundesweiter Überblick über Events und
http://www.tagfuerdemokratie.de – Berlins offizielle Website zum 8.Mai 2005 mit
http://www.bpb.de – Website der Bundeszentrale für politische Bildung
www.dhm.de – Homepage des Deutschen Historischen Museums mit Sonderaus-
http://www2.gtz.de/crisisprevention/deutsch/links.htm – Linkliste der GTZ mit
allen Institutionen, die sich um das Gegenteil von Krieg bemühen, Frieden.
www.museum-karlshorst.de – der Ort der deutschen Kapitulationsunterzeichnung
Rezepte gegen Rechtsextremismus.
Jahre Kriegsende
Medien nicht nur zum Thema Krieg
stellung zum Kriegsende.
Europäischer Kulturen, die sich bis Januar 2006 mit der Stunde Null beschäftigt.
Unterschriftenaktion.
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de – Nachrichten, Hintergründe und gewaltfreie
krieg*
kurze geschichte | 17
Er hing an seinem Leben, er hing an seiner Zeit - kurzum - er hing an der Unsterblichkeit... Eine Kurzgeschichte von Holger Kulick
D
er alte Mann hatte zeitseineslebens nur
ein Ziel: unvergänglich zu sein. Das
Rezept dafür war sein Fotoapparat, als Garant für
das Einfrieren von sonst schnell vergänglichen
Momenten. So bannte er alle seine Lebensstationen auf Zelluloid, von seinem 18. Lebensjahr an,
jedes Frühstück, jeden Ausflug, jede Busfahrt,
jeden Einkauf, eine jede Liebelei. Wo immer er
war, selbst in der Badewanne machte es pünktlich
jede Stunde einmal „klick“. Sogar nachts, weil er
ohnehin ein unruhiger Schläfer war. So ein Foto,
das war für ihn ein gesicherter Sekundenbruchteil
Ewigkeit. So knipste er täglich 24 Alltags-Protokollbilder, 168 in der Woche, über 8700 im Jahr
- jährlich verbrauchte er dafür 243 Filme. Jetzt, im
Jahr 2005, stand sein 80. Geburtstag bevor und
der 15.000 Film satnd bevor.
Fotografen sind Mörder hatte er sich einmal
gesagt, sie ermorden Vergänglichkeit. Also
knipste er Fotos, Fotos, Fotos, Fotos, und ließ
tatsächlich keine Phase seines Lebens aus.
Aber: Entwickeln tat er seine Filme nie.
So stapelten sich inzwischen mehr als 14.900
Filmdöschen ungeöffnet in seiner Wohnung und
ein gutes Dutzend Sicherheitsschlösser an seiner
Tür sollte verhindern, dass irgend ein Dieb seinen
Dosenvorrat Zeit im Bild stiehlt.
Jedes dieser Döschen war beschriftet und das
reichte ihm: Ostern I968, als ihm Studenten ein
Fenster einwarfen. Oder beim Kinobesuch am
10. Juni 1979, noch einmal frisch verliebt in eine
28jährige und natürlich der Einkaufswagenstau
bei Edeka nach dem Mauerfall, fotografiert am
10.November 1989 morgens um 9. Er wusste
sofort, welche Bilder dies waren und spulte die
Filme seiner Erinnerung auswendig im Kopf
wieder ab.
In seinen Sessel zurückgelehnt griff er stets
wahllos eine Filmdose aus seinen Regalen, drehte
sie vor Augen, las die Beschreibung und freute
sich mit seinem fotografischen Gedächtnis alle
Bilder auf der Rolle gleich im Kopf zu haben.
Dann träumt er sofort von alten Zeiten.
Einen Stapel allerdings ließ er stets unbeachtet liegen. Es war der aus seiner Anfangszeit als
Fotograf, als er 18 war, im Krieg. Zu sehr eingebrannt hatte sich das erste Bild, das er schoss,
als er seine Kamera einweihte, die ein Geschenk
seines Vaters war. Er hatte sie mitgenommen an
die Front um seinen ersten Schuss zu dokumentieren, seinen ersten Treffer mit einem Schuss.
Seitdem schoss er jede Stunde ein weiteres Bild.
Bis jetzt.
Seine Bilder nicht zu entwickeln hatte auch
mit einem Trauma zu tun. Zwei existentielle
Grundfragen bewegten
ihn. Erstens: was passiert,
wenn ein Foto mit seiner
Erinnerung nicht übereinstimmt und eine ganz
andere Realität zeigt, als
die, welche sich im Kopf
entwickelt und festgesetzt hat? Zweitens: jeder
Laborprozess barg ein
unkalkulierbares Risiko: die Entwicklung könnte
schief gehen und einen Teil seines Lebens auslöschen, die Unsterblichkeit töten - Unverkraftbar
wäre so etwas für ihn. Außerdem: Fotos machten
ihm Angst, weil sie die ganze Wahrheit zeigen.
Selbst sein Passbild konnte er nie ertragen, weil er
so hässlich darauf war, trotz 10 oder 11 Fotoversuchen im Automaten beim letzten Mal. Wer will
schließlich schon so sein, wie ein Foto ihn zeigt?
Aber nun kam unwiederbringlich die Zeit, in
der er merkte, allmählich zum alten Knochen,
zum alten Sack zu werden, wie die jungen Hüpfer
aus seiner Nachbarsfamilie zu lästern pflegten,
ein Zeitsack - ja so bezeichnete er Lebewesen.
Zeit seines Lebens ist der Mensch nur von
einer Zeithülle umgeben, seiner Haut. Je mehr
Sekunden vom Leben diese Haut
einsammelt, um so praller wird
sie, aber dann wird sie dünner und
löchriger, also faltiger und schIapp
- eben wie ein Zeitsack, den jeder
Mensch mit seiner Lebenserfahrung füllt..
Aber nun war er neunundsiebzig. Und von Jahr zu Jahr war
seine Unruhe gewachsen, wie die
Lagerzeit die Farben seiner Filme
verändert, sprich die Farben seiner
Zeit. Wie etwa sah Ostern1968
inzwischen wirklich aus? Wäre
es nicht an der Zeit, all das noch
einmal real mit anderen Augen zu
sehen?
Und so brütete er schlaflos über
den wichtigsten Moment in seinem
Lehm: Entwickeln oder nicht und
sich trauen, sein wahres Leben vor
Augen zu führen.
Noch einige Wochen zögerte er,
dann überwand er sich. Er kaufte
literweise Entwickler und verschwand in seinem Fotolabor, das
seit Jahren schon verstaubte. Er
nahm wahllos die Filme Nummer
320-332, entwickelte sie - und
erschrak. Er nahm die Filme 917
bis 926 - und erschrak. Er nahm
Film Nummer 3760 und erschrak.
Über Film Nummer 8017 ebenfalls und genauso Nummer 10.000.
In Panik schob er zahlreiche Filmrollen in eine Kiste, brachte sie per
Taxi zum Fachlabor und wartete
unruhig bis sie dort entwickelt waren. Doch auch
hier wurde ihm nur das eine vor Augen geführt:
alle Fotos warm schwarz mit keiner Spur von
Leben. Seine Vision von Unsterblichkeit zerplatzte wie sein Lebenstraum. Sein Fotoapparat
hatte offensichtlich nie funktioniert.
Er schlich sich nach Hause, blieb für Stunden
oder Tage mit starrem Blick regslos in seinem
net jenes Bild, das sich sowieso unauslöschbar
eingebrannt hatte in seinem Kopf, wegen dem er
all die anderen fast 15.000 Filme voll geschossen
hatte, nämlich nur um auf andere Gedanken, auf
andere Bilder zu kommen in seinem Kopf.
Er begriff, dass ihm jetzt nur noch eine
Möglichkeit blieb. Er riss alle restlichen Filme
aus ihren Dosen. Dann griff er seine Kamera,
drückte den Selbstauslöser und bemerkte
nebenbei, wie mit einem letzten Lächeln, dass
Vom Mann
der so an
seinem
Leben
hing
der es war, der die Optik verklemmte, und zwar
ab seinem zweiten Bild im Krieg, als er stolz
über seiner ersten Leiche posierte. Gelungen war
folglich nur jenes Bild Nummer eins, dem über
14.900 weitere folgen sollten, nur um dieses allererste vergessen zu machen: wie mit hilflos fragendem Blick sein erstes Opfer vor der Erschießung
fragte: Warum?
UNSTERBLICH
Sessel sitzen, bis er sich überwand auch Film eins
auszuprobieren, ob auch dieser ohne Inhalt war.
Als er sah, wie sich das Negativ im Entwicklerbad veränderte, taumelte er rückwärts aus seinem
Labor. Nur sein allererstes Bild erste, nur dieser
erste Treffer war etwas geworden. Ausgerech-
Sekunden später baumelte sein Kopf in Schlaufen seiner Filme gewickelt, an den Bildern, die
sein Leben ausmachen sollten.
So hing er an seinem Leben, hing an seiner
Zeit, hing und endete in einer Schleife Unsterblichkeit.
18
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politik orange
göttliches
IS NO
„There
PEACE
WITHOUT
By Karolina Gajewska
A
pril 8th, in the evening. The day of the
funeral of the Pope. Thousands of
people gather in the center of Warsaw, Krakow
and all over Poland. Although they do not know
each other they experience this moment together.
Compared with Poland, other countries, churches
of other religions behave the same. Why do such
a huge number of people feel this moment so
much?
It is possible to write how great John Paul II
was but in my opinion we all know about it. On
the other hand what is more interesting, also for
me as a future psychologist, is the phenomenon
of the authority who Karol Wojtyla was. A great
charisma and a sense of humor characterize John
Paul II. Crowds of young people followed him,
thanks to him people opened up for other cultures and religions. They learned how to forgive
and understand which way to follow. In the hardship of capitalism, wars, national and religious
conflicts and poverty the Pope was a person who
gave people hope and faith in better times. He
Anzeige:
LOVE“
was an authority, who the most of us needed.
On the other hand we saw John Paul II suffering,
which allowed us to identify our problems and
sympathize with the Pope.
In my opinion the phenomenon of John Paul
II meant that it was the person in whom many
people could find
their own spiritual
guide. All of us
have a necessity
of finding moral
values to follow
throughout all our
lives. Sometimes
people direct at
their faith but on
the other hand
they need to have
universal principles. The Pope,
who was the head
of the Catholic
Church had sympathy for followers of other
religions, which proves to be the message of his
preaching beyond any divisions. On the day of
death and funeral of John Paul II not only did
catholics unite but also Muslims, Jews, Buddhists,
atheists and others. In these days associated with
new prospects and technological progress for one
thing and poverty for another, the memory of
tolerance and love for others is very important.
It is worth remembering not only in situations
which are difficult and determine other people’s
lives but also in every day life. And try to keep
this in mind regardless of your faith, nationality
and your authority. Because…”there is no peace
without love” – John Paul II.
weltliches
krieg*
„WER ist denn POLITIK ?“
|
19
DIE
Im Interview mit ‚politikorange‘ veretidigt Bundestagspräsident Wolfgang Thierse das deutsch-polnische Verhältnis und analysiert, warum junge Neonazis
ungebrochen Zulauf haben. Rechtsextremes Denken stamme aus der Mitte der Gesellschaft.
Herr Thierse: 60 Jahre nach Kriegsende- müssen
Deutschlands Nachbarländer die Furcht haben, dass
sich Nazideutschland einmal wiederholt?
Nein. Warum sind Sie besorgt?
Auch 60 Jahre nach dem Untergang des 3.
Reiches grassiert Rechtsextremismus in Deutschland
stark. Hat die Politik etwas übersehen oder versagt?
Moment mal. Zunächst einmal ist nicht jemand
anders am Rechtsextremismus schuld, als derjenige der rechtsextremistisch wählt. Zweitens:
Was soll das heißen: Wer ist denn „die Politik“?
Gegen Rechtsextremismus vorzugehen, ist doch
keine Sache nur für die da oben, für „die Politik,
die Justiz, die Polizei“. Nein, es ist eine Sache der
Bürger! Möglichst vieler demokratischer, anständiger Bürger.
Aber doch auch der gesellschaftlich tragenden
Kräfte, der Parteien?
Natürlich sollen die Parteien dabei mithelfen.
Politiker haben sogar die Schuldigkeit und die
Pflicht, Initiativen, Jugendprojekte und Leute
zu unterstützen, die sich für unsere Demokratie
engagieren. Sie können ihnen helfen, Aufmerksamkeit zu gewinnen und auch ein bisschen
finanziell. Praktisch gibt es aber vor Ort manchmal Grenzen, wo wir als Parteien überfordert
sind. Schauen Sie, meine Partei, hat in Sachsen
nur so viel Mitglieder wie in ganz Dortmund,
wir sind dort schlicht zu wenige. Die NPD nutzt
das mit geschulten Kadern clever aus, organisiert
Stadtteilfeste und andere Zusammenkünfte mit
sozialem Anstrich, um auf Schleichwegen ihren
Einfluss auszudehnen.
Hören sie auch mal auf den Akzent der sächsischen NPD-Abgeordneten: sächsisch ist der
nicht. Die profitieren von den Auswirkungen der
dramatischen Umbrüche, die nach dem Mauerfall im Osten geschehen sind. Viele Menschen
fühlen ihr Leben entwertet. Angesichts der hohen
Arbeitslosigkeit gibt es dort ein besonders großes
Ausmaß sozialer, ideologischer und ideell-moralischer Verunsicherung und Verängstigung. Und
verängstigte Menschen sind immer empfänglich
für die schlichten Botschaften der Vereinfacher,
die allzu gerne auch menschenfeindliche Vorurteile instrumentalisieren. Bis hin zur unsäglichen
antisemitischen Parole, der Jude sei Schuld oder
der Ausländer.
Warum ist die NPD gerade in Sachsen so stark?
Die NPD hat sich gezielt Sachsen als eine Zielregion ihrer Arbeit ausgesucht, weil dort zu lange
Zeit eine Landesregierung nicht wahrhaben und
reagieren wollte, auf das, was sich im rechtsextremen Spektrum tat. Vorbeugende Jugendarbeit
wurde nicht gefördert. Das rächt sich jetzt.
Ist denn dort der Bürgergeist so mau?
Das ärgert mich auch. Nicht wenige sitzen
hinter dem Ofen, jammern und gucken fern
oder sagen sich: vielleicht haben sie ja Recht, die
Rechten. Ich habe das schon vor ein paar Jahren
gesagt, dass Rechtsextremismus kein parteipolitisches Randphänomen ist, sondern aus der
Geburtsstadt. Dort haben wir auch darüber
diskutiert, als ich an der Universität einen Vortrag
hielt. Meine politischen Gesprächspartner haben
mir gesagt, das dt-polnische Verhältnis ist besser
als viele Äußerungen mancher Politiker in Warschau behaupten. Wörtlich hieß es sogar: Die da
in Warschau verderben unser gutes Verhältnis, das
wir zum deutschen Nachbarn haben, sei es in der
Zusammenarbeit von Universitäten oder beim
Kulturaustausch. Ich halte es also für grundfalsch, wenn bestimmte Fragen und Konflikte
übertrieben und zu Grundsatzkonflikten aufgebauscht werden, also aus einer Mücke ein Elefant
gemacht wird.
Aber auf der deutschen Seite sagt doch Frau
Steinbach immer wieder...
....Moment, das ist für mich nicht nachvollziehbar, dass für die Polen Erika Steinbach
gelegentlich die wichtigste deutsche Politikerin
ist. Dabei ist Frau Steinbach eine Abgeordnete,
die in Deutschland fast keiner kennt! Nur weil
sie etwas über Gebietsansprüche gesagt hat oder
sich ein ‚Club Preußischer Treuhand’ plötzlich
wichtig tut, heißt das nicht, dass er wichtiger
ist, als das deutsche Parlament. Das nenne ich
sogar eine Absurdität, wenn ich weiß, dass es in
Warschau Politiker gibt, die antideutsche Ängste
parteipolitisch ausnutzen wollen um Wahlerfolge
zu erzielen. Da sage ich: das deutsch-polnische
Verhältnis ist so kostbar, dass man das tunlichst
Ist es nicht peinlich für Deutschland, dass 60
Jahre nach Untergang des Nazi-Deutschlands
Neonazis sogar wieder in Landesparlamente wie in
Sachsen oder Brandenburg eingezogen sind?
Ich bitte Sie, auch hier zu relativieren.
Rechtsextremismus ist kein reines ostdeutsches
Problem, Republikaner und DVU haben in den
letzten Jahren auch in westdeutschen Landesparlamenten Wahlerfolge erzielt. Überdies gibt es
in anderen europäischen Ländern noch sehr viel
populärere rechtsextremistische Parteien. Das ist
ein Stück gesamteuropäischer Gegenwart. Ich will
aber damit nichts beschönigen, denn Sie haben
natürlich Recht: Gerade in unserem Land sollte
der Anspruch ein besonderer sein, zu zeigen, dass
wir aus unserer eigenen Geschichten gelernt zu
haben, die so fatal für andere Völker in Europa
war. Insofern ärgern mich die Erfolge der Rechtsextremisten natürlich auch.
Wo liegen denn die Ursachen, dass gerade in
ostdeutschen Kleinstädten immer wieder Neonazis
aufmarschieren?
Man darf nicht vergessen: viele Hintermänner
dieser Bewegung kommen zu einem großen Teil
gar nicht von dort, sondern aus dem Westen,
zum Beispiel aus Hamburg oder Süddeutschland.
Mitte der Gesellschaft kommt. Daraufhin haben
mich sächsische Politiker als Nestbeschmutzer
beschimpft.
In Polen ist überraschend eine neue Diskussion
entbrannt. Sind noch immer Reparationen nötig
um Deutschlands Kriegsschuld je wieder gut zu
machen? Und in Deutschland werden immer neue
Ansprüche der Vertriebenen laut.
Ich war vor Kurzem erst in Breslau, meiner
unterlassen soll. Ich habe extra Ende vorigen
Jahres eine Begegnung von Politikern des Bundestags und des polnischen Sejms arrangiert,
um solche öffentlichen Irritationen miteinander
auszuräumen. Wer nicht kam, waren die Vertreter der rechten polnischen Parteien! Es wäre
beunruhigend, wenn solche Parteien aufgrund
solcher Kampagnen Wahlen gewinnen würden,
dann würde gewiss eine schwere Belastung der
deutsch-polnischen Beziehungen drohen.
> > Erika Steinbach vertrit nicht den Bundestag:
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse im Interview
mit politikorange.
20
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*Giwi Margwelaschwili ist ein Berliner Opfer des Kalten Krieges. Er wurde 1927 als Sohn georgischer Emigranten in Berlin geboren
und wuchs dort deutschsprachig auf. 1946 erfolgte die Verhaftung und Verschleppung Giwis und seines Vaters durch den sowjetischen Geheimdienst in Bunkerhaft und in das als Internierungslager weitergenutzte KZ Sachsenhausen. Nach eineinhalb Jahren
überführte man Giwi zwangsweise nach Tblissi, wo er Germanistik und Philosophie studierte. Erst nach dem Mauerfall konnte er nach
Berlin zurück. Der Text stammt aus seinem Buch „Der ungeworfenen Handschuh“, der 1992 bei Rütten & Loening in Berlin erschien.
politik orange
Zwei
T’s GEGEN ein O
O wird andauernd von aufdringlichen T’s beschattet. Die wollen’s in ihre Mitte nehmen und abführen. Solange O lebt,
schleichen sich zwei T’s von beiden Seiten auf das arme, runde Ding los. Um O nicht vorzeitig zu erschrecken, bleiben
die T’s auch oft in der Ferne stehen. Da beruhigt sich O und denkt, es seien nur Kreuze über fremden Buchstabengräbern. Das ist aber eine Täuschung, und sooft sich O umsieht, hat es die zwei auf den Fersen.
Manchmal möchte O wütend kehrtmachen gegen seine Verfolger und sich wie ein Lasso über die elenden
Stecknadelhälse werfen und dann im Würgegriff sich darum zuziehen. Aber so geht es leider nicht. O
kann nur vorwärts kugeln, solange es da ist.
Die zwei T’s (die das natürlich wissen) rücken O mit der Zeit immer näher auf den runden
Leib und werden immer frecher. Bald flankieren sie O und halten, vorerst immer noch in einem
kleinen, respektvollen Abstand, mit ihm Schritt. „Wir drei“, sagen sie dabei schmeichelnd zu O,
„ergeben doch zusammen einen Sinn. Bist Du nicht müde, immer nur ganz allein für dich völlig
bedeutungslos zu kullern?“ – „Nein!“ schreit O und möchte davonlaufen. Aber es rollt kaum noch.
„Na komm mal!“ sagen die T’s dann in einem Moment, als O schon wankt und umsinken
möchte. „Wir halten dich fest. Siehst du? So!“ – „Oh!“.
Giwi Margwelaschwili*
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21
22
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politik orange
denk mal
Komplementärer
KONTRAST
R
unter vom Bürgersteig! schreit mir einer
hinterher, als ich mit dem Fahrrad von
den Linden zum Potsdamer Platz fahre. Hinter
dem Brandenburger Tor muss ich die Straßenseite
wechseln. Linker Hand stehen keine Zäune mehr,
es taucht auf, was ab Mai 2005 als unübersehbare
Narbe im Stadtbild Deutschlands zentrales Holocaust-Mahnmal sein wird.
Knapp zweitausendsiebenhundert Stelen
stehen in langen Reihen, passend zum Himmel
in stählernem Grau. Tonnenschwer sehen sie
aus, unbeweglich, und irgendwie auch, als seien
sie schon immer dort gewesen, und bei diesem
ersten Anblick durchzuckt mich ein Schreck ohne
Gedanke. Das Stelenfeld sieht hart aus, und kalt,
und unberührbar. Ein berechtigter Vorwurf in
Betonform und für die Ewigkeit. Lange Reihen,
die einmal durchschritten werden sollen. Ich bin
peinlich - im Sinne von schmerzhaft - berührt.
Und grübele: Was passiert, wenn das Mahnmal
eröffnet wird? Wie lange wird es dauern, bis der
erste Block besprüht ist, an der ersten Stele ein
Hakenkreuz prangt? Es wird dann gelten, mit
einer anderen Art der Peinlichkeit umzugehen.
V
or 60 Jahren am 27.Januar befreiten die
Truppen der Roten Armee Auschwitz. In
der fast 5-jährigen Bestehenszeit des Konzentrationslagers wurden mindestens 1.300.000 Menschen dorthin deportiert. Etwa 900.000 wurden
dirket nach ihrer Ankunft in den Gaskammern
ermordet oder erschossen, ungefähr 200.000 weitere Häftlinge wurden später in die Gaskammern
geschickt oder starben an Unterernährung und
Krankheiten.
Am 17. Januar 1945 begann die Endphase der
Evakuierung von Auschwitz. Ca. 58.000 Häftlinge
wurden Richtung Westen geschickt. Jeder Vierte
sollte diese „Todesmärsche“ nicht überleben.
Als die sowjetischen Truppen am 27. Januar
Auschwitz erreichten, fanden sie nur noch etwa
7000 Überlebende vor.
Um diesen Tag gebührend in der Schule zu
gedenken, obwohl er in den Ferien lag, hatte eine
kleine Schülergruppe sich die Mühe gemacht und
jede Tafel mit einem Spruch wie z.B. „Wer ein
Von Valerie Kittlitz
Ein Besuch bei meinem Onkel, der Psychoanalytiker ist, und wie ich glaube, ein sehr guter.
Plötzlich finde ich mich ausgestreckt auf seinem
Sofa wieder, er sitzt am Fenster in einem Sessel:
Ich erzähle vom Stelenfeld. Und von meiner
Sorge um die Sprayer, die früher oder später
kommen werden. Über die Peinlichkeit. Mein
Onkel sagt auf seine bedächtige Art: „Das empfinde ich ganz anders. Es wird doch erst dann
vollständig sein“ , und er steht auf und geht in
die Küche. Was für eine Aussage! Ich denke lange
nach, über diesen Satz aus dem Munde eines Psychoanalytikers, der seinen Beruf so ernst nimmt,
dass die Analyse der Psyche in den meisten Überlegungen seinerseits, mir scheint gleich worüber,
eine wesentliche Rolle spielt. Und ich stelle fest,
dass ich ihm zustimmen muss.
Es wird viel geredet über die Vergangenheit,
über eine Zeit, die meine Mutter schon nur noch
im Kleinkindalter erlebte. Gerade von ihren
Kindern und deren Altersgenossen. Von meiner
Generation. Wir sammeln Wissen und Zahlen,
Fakten und Vorwürfe, die wir gegen unsere
Großeltern, Eltern und gegen uns selbst richten.
Menschenleben rettet, rettet die Menscheit. 27.
Januar 1945“ versehen. Diese sollten dann am
ersten Schultag den Lehrern als Anregung dienen
mit ihren Schülern ins Gespräch zu kommen.
Um Mißverständnissen vorzubeugen hingen dazu
auch noch im Schulhaus bunte Zettel mit der
Überschrift „Was ist heute los an dieser Schule?“.
Über das Ziel hinausgeschossen war wohl das
Schild am Schultor: „Arbeit macht frei“. Da für
viele der Zusammenhang nicht klar war, wurde
dieser Spruch eher für das Machwerk einiger fraglicher Spaßbolde gehalten, als das einer Gruppe,
die zum Erinnern aufrufen wollte.
Auch war vielen Lehrern nicht klar, von wem
und aus welchem Grund ihre Tafeln beschrieben
waren. Einige wischten den Spruch vorsichthalber
gleich ab, bevor überhaupt ein Schüler ihn hatte
sehen können. Sicher ist sicher. Es hätte ja was
böses sein können. Andere betrachteten die Tafel,
stellten fest, dass das wohl von vor den Ferien
sein muss, wo sie gerade nicht im Raum gewesen
Wir versuchen, Verantwortung zu tragen, uns zu
informieren, und nachzudenken, was geschah.
Die Vergangenheit ist wichtig, sie ist das Exempel
für das, was nicht geschehen darf. Das Mahnmal
schafft es, dieses Bewusstsein auf einer emotionalen Ebene zu wecken. Es erinnert an Fakten
und holt Geschehenes in die Gegenwart. Ein
ambivalentes Werk, eindrucksvoll und ästhetisch,
aber dabei dermaßen erschreckend in seiner
Bedeutung, dass es Gedanken für kurze Zeit zu
lähmen vermag.
Das wird erst recht dann der Fall sein, wenn
Sprühfarbe schandfleckenartig an den Steinen
klebt. Wenn das Mahnmal Sinnbild für das ist,
was einst geschah, dann wird die Sprühfarbe
das Detail sein, das darauf hinweist, was einer
der Gründe für das Geschehen war. In dieser
essentiellen Funktion könnte die Farbe insofern
die Komplettierung sein. Nicht wegwischen, erst
recht nicht im vorhinein- erst hingucken! Auf
die Zahlen und Fakten. Und vor allem auch auf
das, was Auslöser ist. (Etwas, dass uns die uns
Radfahrer vom Bürgersteig verschimpfen lässt?)
Es gilt genau hinzugucken, auf das Gestern, das
Heute, die Form und den Inhalt, ohne Angst.
waren und klappten die Tafel mit einem gleichgültigen Schulterzucken auf. Es ist doch sehr
schade, dass nur wenige Lehrer die ihnen gebotene Chance nutzten und mit ihren Klassen und
Kursen eine Diskusion begann, denn oft wurde
Arbeit MACHTFREI
Tumult am Schultor. Von Charlott Ebert
dort klar, dass trotz des Geschichtsunterrichts bei
vielen ein Nachholbedarf an Fakten zu diesem
Thema herrscht.
Aktionen dieser Art sind durch und durch
wünschenswert und ich hoffe, dass beim nächsten
Mal mehr Lehrer die ihnen gebotene Hand ergreifen und mitziehen!
denk mit
krieg*
In der öffentlichen Berichterstattung wird immer
vom Kriegsende gesprochen, und nicht vom Tag der
Befreiung. Warum fällt das so schwer?
Das sind eigentlich Kämpfe, die vor 20 Jahren
ausgetragen worden sind. Aber sicherlich, es
fällt vielen schwer, sich als Befreite zu fühlen
und insbesondere von der Roten Armee befreit.
Mir hat selbst jemand gesagt: „Wissen Sie, bei
der Vorstellung dass die Rote Armee uns befreit
haben soll, dreht sich mir alles um.“ Von den
Amerikanern wurde man lieber befreit. Aber ich
glaube, das spielt in der Gedenkkultur keine zentrale Rolle mehr, solange man sich darüber einig
ist, dass da nicht eine Katastrophe passiert ist,
als Deutschland den Krieg verloren hat, sondern
dass man erleichtert war, als der Krieg beendet
wurde. Und da man sich dann in gemeinsamer
Anstrengung zur Demokratiegründung begeben
hat, sehe ich dieses Problem, wie man das nennt,
nicht mehr als so gravierend an.
Der Bund hat erst in den neunziger Jahren ein
Gedenkstättenkonzept erstellt, Warum so spät?
Schulklassen müssen in die Gedenkstätten, das
ist klar, das ist notwendig. Aber wozu? Um ein
Stück nationalsozialistischer Realität lernend zu
erfahren – nicht um zu guten Menschen herangebildet zu werden, das kann die Gedenkstätte
nicht leisten, und das ist der große, fundamentale
Irrtum, von dem man jetzt wohl so langsam
Abstand nimmt. Allenfalls kann durch einen
Gedenkstättenbesuch der Grundstein gelegt
werden, auf dem sich anderes Wissen aufbaut.
Diese moralische Komponente, die lehne ich
ganz strikt ab. Ich halte es für ein großes Unrecht,
15- oder 17-jährige in die Gedenkstätte zu
schicken, damit sie ein schlechtes Gewissen und
ungute Gefühle kriegen, oder am Ende noch eingeredet kriegen sollen, sie hätten irgendwie eine
Mitschuld oder moralische Mitverantwortung.
Und innovative pädagogische Angebote,wie
Erlebnispädagogik drei Tage vor Ort?
Um eine dreitägige Pädagogik in der Gedenkstätte zu machen, brauche ich schon besonders
motivierte Menschen. Ich kann nicht mit Haupt-
|
23
müssen nicht die Welt erklären. Sie müssen nicht
erklären, wie der Nationalsozialismus über die
Leute gekommen ist.
Bundeskanzler Schröder war das letzte Jahr
das erste Mal zu den D-day Feierlichkeiten in die
Normandie eingeladen, und da haben doch einige
Veteranenverbände protestiert. In diesem Jahr wird
Schröder in Moskau bei den Feierlichkeiten am 8.
Mai dabei sein. Denken Sie, dass da ähnliche Reaktionen aufkommen werden?
Das sind staatliche Zeremonien, das hat mit
alltäglicher Gedenkkultur nichts zu tun.
Das ist auch der internationalen Courtoisie geschuldet, genauso wie man einen Kranz
niederlegt. Aber ich halte es für ein Zeichen von
Vernunft und Größe, dass man nicht sagt: „Das
waren die ehemaligen Feinde, da gehen wir nicht
hin.“ Dass der deutsche Kanzler dort erscheint,
macht deutlich, dass wir ein Stück unserer
Lektion gelernt haben. Wir ziehen uns nicht
wieder in den nationalen Schmollwinkel à la „Wir
die Besiegten, ihr die Sieger“, zurück, sondern
Ich denke, man sollte sich vor allem
darüber freuen, dass diese stiefmütterlich
behandelten Gedenkstätten jetzt in die
Förderung des Bundes eingebettet sind
und nicht darüber klagen, dass es solange
gedauert hat.
Außerdem brauchen die Gedenkstätten nicht nur staatliche Zuwendung,
ob vom Land, oder vom Bund. Sie
brauchen auch engagierte Bürger, das
ist eigentlich das A und O der Gedenkkultur. Mit dem Restaurieren und
Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin, über ideale Gedenkkultur. „Sie brauchen
Denkmal setzen ist es nicht getan. Und
dazu engagierte Bürger“. Von Llsa Badun
es darf nicht so sein, wie es an vielen
Orten lange Zeit war, dass die Honoraerinnern uns gemeinsam. Deshalb ist auch das
tioren am Ort nichts davon wissen wollten, oder
schülern drei Tage nach Ravensbrück gehen.
deutsch-russische Museum in Karlshorst eine
dass der Bürgermeister das klein redet und sagt:
Auch ein Seminar, das ist immer eine ganz
gute Sache. Ich glaube nur, dass es von der Bevöl„Das war ja gar kein KZ bei uns, sondern nur ein kleine Auswahl, das ist die erlesene Schar der
Arbeitslager, oder so etwas.“
besonders Motivierten, der besonders Intellikerung zu wenig angenommen wird.
genten, der besonders Betroffenen. Das kann
nicht das Vorbild sein, das ist dann immer das
Wie fügt sich das zentrale Holocaust-Mahnmal in
Wenn Veteranenverbände, seien es französische,
Zusatzangebot. Das Hauptproblem ist doch aber, russische, deutsche, diese Leistung einfach nicht
das Gedenkstättenkonzept ein?
wie der Realschullehrer mit dem Problem zurecht schaffen können...
Ich hatte zuerst die Sorge, dass die Errichtung
kommt, dass er 30 mäßig interessierten Schülern
dieses Denkmals das Ende für die GedenkstätSie können es nicht schaffen, weil sie Veteein gewisses Grundwissen vermittelt.
ten draußen im Land sein könnte. Dass dann
ranenverbände sind. Sie müssen die Schlachten
Flossenbürg endgültig zugescharrt wird und dass
noch mal schlagen und müssen davon sprechen,
Dachau oder Neuengamme verfallen, wie das
wie sie gelitten haben, aber sie sind nicht fähig,
Ist diesem Verdruss, den Jugendliche bei poli> > In der Berliner Dauviele auch sehr gern wollen, und wie das auch
über die Gräben hinwegzuschreiten, und das darf erausstellung „Topogratischen Fragestellungen empfinden, überhaupt
fie des Terrors“
bei Lokalpolitikern nach dem Motto „Schwamm
man von ihnen auch nicht verlangen.
beizukommen?
drüber“, beliebt war. Aber es ist nicht so gekomIch glaube, die Frage „Wie interesmen, im Gegenteil, das Denkmal wirkt als Portal
siere ich einen jungen Menschen?“,
und hat die Förderung für die Gedenkstätten
ist ein Grundproblem seit Jahren.
draußen im Lande wesentlich mit angestoßen.
Wenn der Lehrende, egal ob das ein
Deswegen bin ich ganz zufrieden und denke, dass Zeitzeuge oder ein Gedenkstättensich das Berliner Monument als abstraktes Erinmitarbeiter ist, am Anfang gleich
rüberbringen kann, warum es wichtig
nerungszeichen sehr gut mit den Gedenkstätten
ist, darüber Bescheid zu wissen, und
im Land ergänzt.
wenn er jede unzulässige Attitüde
von Moral und Betroffenheitszwang
In Gedenkstätten, sollen vor allem Jugendliche
für Demokratie sensibilisiert werden. Trotzdem sehen weglässt, dann hat er schon viel Terrain gewonnen. Ich habe in meiner
wir, dass gerade junge Leute dem RechtsextremisLaufbahn viele ehemalige KZ-Häftmus wieder nachlaufen.
linge erlebt und bin mit manchen
Völlig falsches Konzept, völlig falsche Idee,
befreundet. Die Überzeugenden
jetzt Toleranz- und Demokratieerziehung über
waren immer diejenigen, die auf
Gedenkstätten zu machen. Wenn ein Richter
einen auffällig gewordenen rechtslastigen Knaben die Leute zugingen, ihnen ins Auge
dazu verurteilt, Gedenkstätten zu besuchen, dann geschaut haben, und gesagt haben:
„Ich war hier und will euch das ohne
wird da hinterher nicht ein frommer Demokrat
weitere Umschweife erläutern.“ Sie
herauskommen.
DENKMAL setzen
„Mit dem
ist es nicht
getan“
24
|
gemauerte feindbilder
DARF ICH, oder
darf ich nicht ?
Ein Kommentar von Katrin Hünemörder
A
ls Deutsche tue ich mich schwer mit
Kritik an Israel. Wie leicht lässt sich
Israelkritik mit Antisemitismus verwechseln.
Die Kritik an Israel ist eine Gewissensfrage.
Da baut die Regierung dieses Landes eine
Mauer um die Westbank herum, mitten
durch Jerusalem. Hunderte Kilometer
Stacheldrahtzaun, in der Stadt Betonblöcke.
Begründung: Sicherheitsmaßnahmen vor
Terroristen. Die Menschen hinter der Mauer
sind so gut wie abgeschnitten von der
Wasserversorgung, dem Gesundheitssystem,
dem sozialen Leben. Noch ist sie nicht fertig
gebaut, noch können Scharen von Kindern
morgens
hindurch
schlüpfen, um
zur Schule
zu gehen,
noch können
Schwangere
ihren Arzt
aufsuchen.
Den Arzt, die
Schule – auf
der anderen
Seite.
Ich kann
nicht umhin,
das abscheulich zu finden.
Ich frage
mich, warum
fünfzig Jahre
in dieser Welt
zwei Mauern
ertragen.
Sharon wird die Mauer fertig bauen.
Vielleicht in diesem Sommer. Er wird ein
paar Siedler im Gazastreifen abziehen, um
sie in der Westbank anzusiedeln. Glauben
die Palästinenser. Sie könnten sogar Recht
haben. Nur darf ich das kritisieren, als
Deutsche?
Im Dritten Reich versuchten Deutsche,
die Juden auszurotten. Sechzig Jahre später
verlangt diese Erfahrung von mir, jegliche
Art von Menschenrechtsverletzung zu kritisieren. Egal wo.
Ich bin in einem von Mauern umgebenen
Land aufgewachsen. Es fällt mir schwer zu
akzeptieren, dass eine Mauer heute wieder
dazu dient, Menschen aus- beziehungsweise
einzusperren. Was, außer neuem Hass und
Widerstand, soll das bewirken?
Kritik an solcher Politik ist gerechtfertigt,
sie verlangt eine Position. Nur darf diese
Kritik nicht dazu benutzt werden, subtil
antisemitische Aussagen damit zu verbinden.
Nicht DIE Juden bauen die Mauer, viele
sind dagegen. Es ist die politische Entscheidung der Regierung eines Staates, die eine
Auseinandersetzung verlangt, egal, ob er sich
jüdisch, islamisch oder demokratisch nennt.
politik orange
Suche SICH SELBST
NACH
Das Projekt „Missing Identity“ hilft Menschen, die im Krieg ihren Namen verloren.
Von Katrin Hünemörder
Eva Flörsheim ist Jüdin, in Schweden geboren
und in Norwegen aufgewachsen. Mit 18 ging sie
zum ersten Mal für drei Monate in einen Kibbutz
nach Israel. Seitdem lässt sie dieses Land nicht
mehr los. Trotz des Widerstandes ihrer Eltern
machte sie sich während ihres Studiums auf
ins heilige Land, um dort zu leben. Heute lebt
sie in einem Kibbutz nahe Nazareth mit ihrem
Mann, ihrem Sohn und ungefähr 400 weiteren
Mitgliedern. Vor dreizehn Jahren begann sie sich
für Menschen zu interessieren, die nicht genau
wissen, wer sie sind. www.jewishgen.org/missingidentity
S
ie hatte nur
kurz etwas im
städtischen Krankenhaus zu tun, als
Eva Flörsheim vor
einigen Jahren dort
zufällig auf eine
Nachbarin trifft. Am
Ende des Krankenhausganges treffen
sich die beiden am
Kaffeeautomaten.
Sie kommen kurz ins
Gespräch, und etwas
unvermittelt sagt
Marysia Hilferding,
sie wüsste nicht, wer
sie sei. Eva horcht
auf, versuchte sie
doch gerade in ihrer
Freizeit, den Familienstammbaum ihres
Mannes zu rekonstruieren. Rein aus Interesse.
Die beiden setzen sich, es ist der Beginn einer
intensiven Freundschaft zwischen den Frauen.
Für Eva Flörsheim ist es auch der Beginn einer
neuen Lebensaufgabe.
Die Waise Marysia Hilferding erreicht 1948
Israel und lebt in einem Waisenheim. Wie sie
dorthin gelangte und wer ihre Eltern waren, das
wusste sie nicht. Dass sie aus Polen stamme, hatte
man ihr im Waisenhaus gesagt, doch mehr Informationen besaß niemand.
Eva und Marysia arbeiten fast ununterbrochen
in Archiven von Yad Vashem, der HolocaustGedenkstätte in Jerusalem. Irgendwo finden sie
alte Photos und den Mädchennamen der Mutter.
Nach und nach rekonstruieren sie Marysias
Leben.
Nelly Weinrath und Norbert Hilferding trafen
sich und heirateten in Lviv, Polen (heute Ukraine).
Ihre Tochter Marysia wurde wahrscheinlich im
Sommer 1942 geboren. Norbert und weitere
Familienmitglieder wurden wahrscheinlich im
August 1942 während einer Säuberungsaktion
getötet. Nelly entkam mit ihrer Tochter und
flüchtete nach Zakopane. Mit gefälschten Papieren und unter den Namen Janina Dombrowska
(geb. 1917) und Tochter Irina. Nelly arbeitete
auf dem Schwarzmarkt mit einem Mann namens
Edward und musste mit dem Zug durch ganz
Polen fahren. Die Tochter blieb bei Elzbieta
Roman.
Nelly wurde wahrscheinlich im September 1943
verhaftet. Elzbieta Roman, die Angst vor der
Gestapo hatte, brachte die einjährige Marysia/
Irina zu Apolonia Trybus und ihrer Familie, wo
sie bis 1947 blieb. Eine Koordinierungsorganisation holte Marysia im März 1947 zu sich und
brachte sie im März 1948 nach Israel.
Eva steht an der Straße der Gerechten in Yad
Vashem, und erzählt die Geschichte von Marysia.
Der Name der Trybus Familie ist auf einer der
Gedenktafeln zu finden, als Erinnerung daran,
dass sie jüdischen Menschen während des Krieges
geholfen hat. Zu vielen dieser Namen kann Eva
Geschichten erzählen, in einigen Fällen kennt sie
die Kinder der Familien, viele hat sie im Zuge
ihrer Recherchen für „Missing Identity“ besucht.
Achtzig Profile befinden sich auf der Website von
Menschen, die keine Ahnung haben, wo sie herkommen oder Teile ihres Lebens nicht rekonstruieren können. Namenslisten aus der Gedenkstätte
zum Holocaust, Yad Vashem, sind auf der Seite
veröffentlicht.
Eva ist einmal pro Woche in den Archiven, hat
Zugang zu allen Dokumenten, auch von anderen
Gedenkstätten. Mittlerweile erhält sie Anfragen
aus der ganzen Welt und wird um Hilfe gebeten.
Viele Menschen, besonders in Amerika und ganz
Europa, suchen nach Details ihrer Persönlichkeit.
Oft müssen sie enttäuscht werden. Tausende
Dokumente aus dem Krieg, Listen und Akten,
wurden kurz vor der Kapitulation der Deutschen vernichtet. Namen wurden ausgelöscht, als
hätten die Menschen dazu nie existiert. Doch
manchmal hat man Glück, erzählt Eva, und ihre
Augen leuchten dabei. Es gibt vielleicht entfernte
Verwandte, oder Kinder derjenigen, die einen
gerettet haben. Das sind die schönsten Momente,
wenn man diese Nachricht überbringen kann.
Selbst ein gefundenes Grab ist ein Erfolg.
Marysia ist im November 2001 an Krebs
gestorben. Sie hat lange gekämpft. Durch ihre
Recherchen zusammen mit Eva konnte sie die
jüngste Schwester ihres Vaters ausfindig machen,
die 1946 nach Brasilien ausgewandert war. Die
Tante und
ihre Söhne
kamen 2001
nach Israel
und Marysia
traf ihre
Familie.
Kurz darauf
erlag sie dem
Krebs. Die
Ärzte waren
beeindruckt,
wie lange
Marysia ihm
widerstanden hatte.
krieg*
bröckelnde feindbilder
ANGST
Angst
ZU
|
bekommen
„Wir sind keine Nutten, die die Beine breit machen und die Klappe halten...“ Katrin Hünemörder im Interview mit Khalefa Eisa
K
halefa Eisa ist 21 Jahre alt und arabischer
Israeli. Geboren wurde er in Nazareth,
wo er einmal pro Woche eine Jugendsendung
im arabischen Radiosender A-Shams moderiert.
Jetzt wohnt er in Tel Aviv. Khalefa hat sich der
Rapmusik verschrieben und singt über sein
Volk, seine Probleme, über seine Bedürfnisse
und seinen Wunsch nach Frieden. Musik ist sein
Leben, er ist überzeugt, mal ein großer Rapper zu
werden. Sein Geld verdient er in einer Werbeagentur, in der er für Design zuständig ist.
die gleiche Story in tausend Varianten. Über
die Probleme und die Schwierigkeiten hier.
Wir müssen darüber reden. Für viele hier ist es
schwer darüber zu reden, was momentan im
Nahen Osten passiert. Vieles macht mich nervös.
Manchmal versuchen wir einfach, zu vergessen,
was um uns herum passiert.
Hast du Angst, dass dir was passiert?
Ich glaube, dass die ganzen Geschichten im
Fernsehen über Selbstmordattentate und Bomben
uns nicht wirklich helfen.
Khalefa, warum hast du angefangen, Rapmusik
zu machen?
Ich hatte was zu sagen, und Musik ist eine
Form, in der das gut möglich ist. Ich hoffe, dass
ich mit meiner Musik viele Leute anspreche,
besonders auch die Alten. Ich will, dass sie mich
verstehen. Wir singen arabisch, kein Englisch. Es
ist meine Musik und mein Inhalt, nichts Amerikanisches, was viele denken.
In Deutschland sind viele junge Leute von Politik
gelangweilt. Glaubst du, die Jugendlichen in Israel
sind aktiver?
Klar gibt es Leute, die in Ruhe gelassen werden
wollen. Aber ich bin einer derjenigen, die sagen,
dass ich mein Leben leben will, dass ich entscheiden will. Es gibt eine Menge Jugendlicher, die so
drauf sind. Viele sagen, dass sie zumindest versuchen wollen, etwas zu verändern. Viele hier haben
etwas auf dem Herzen, aber nicht alle sprechen
es aus. Es ist so wie überall anders auf der Welt.
Wir leben in Israel. Wir können nicht nicht
darüber diskutieren. An jeder Straßenecke gibt`s
Ich hatte eine Freundin, die zur Armee gegangen ist. Wir waren noch eine Weile befreundet,
aber irgendwann war sie nicht mehr dieselbe.
Ich weiß nicht, was passiert ist. Die Soldaten, die
palästinensischen Kindern oder Müttern oder
Vätern etwas tun, dass sind in meinen Augen
keine Menschen. Diese Menschen sollten mich nicht bitten, ihre Freunde zu
sein. Sie sind keine Menschen, sondern
Tiere für mich. Und das einzige Tier,
das ich mag, ist mein Hund Shakir.
Sie sollten als allererstes wissen, dass
wir Israelis sind. Aber wir sind auch
Palästinenser. Wir leben in einer Situation, die einzigartig ist auf der Welt.
Für die arabische Welt sind wir Israelis,
deswegen mögen sie uns nicht besonders. Für die israelischen Juden sind wir
Ich habe Angst, Angst zu bekommen.
(er denkt nach, guckt betrübt)
Hör zu, ich habe heute keine
Angst. Ich habe keine Angst vor
den nächsten Tagen als ein Araber
hier in Israel. Wenn ich anfange,
Angst zu haben, dann ist das, als wenn ich tot
bin. Ich bin sicher, dass sich die Situation zwischen Israel und Palästina verschlechtern wird.
Das weiß ich. Ich habe Angst um mein Volk,
um meine Freunde, meine Eltern. Aber ich als
Person, um mich mache ich mir keine Sorgen.
Hast du jüdische Freunde?
Habt ihr im Freundeskreis viele Diskussionen über
die politische Situation in Israel?
Hast du Freunde, die in der Armee waren?
Was würdest du gerne den Deutschen
über dein Land und dein Volk erzählen,
was sollten sie wissen?
Worüber singst du?
Als 21-jähriger hat man eine Menge Probleme.
Probleme mit Frauen… du weißt schon. (grinst)
Und die arabischen Leute hier haben ein Problem. Ich habe ein Problem mit den Arabern und
den Juden dieses Landes, die nichts verändern
wollen. Die nichts Neues versuchen, um ihr
Problem zu lösen. Als Rapper habe ich viel dazu
zu sagen, was Israel in den besetzten Gebieten
tut. Es gibt viele Juden in Israel, die sich wie die
Nummer eins aufführen, und ich, weil ich Araber
bin, soll mich nur als die Nummer zwei fühlen.
Nur weil ich Araber bin, mögen mich viele nicht.
Damit habe ich ein Problem. Das hat mich motiviert, einen Stift in die Hand zu nehmen und zu
schreiben. Wir alle sollten wissen, dass wir zwar
mit einer bestimmten Religion geboren sind, aber
dass wir trotzdem alle Menschen sind. So sollten
wir uns auch behandeln. Darüber schreibe ich.
Aber ich kenne auch viele nette Juden. Ich will
nicht verallgemeinern, darauf achte ich in meiner
Musik.
sogar etwas dagegen unternimmt, dann ist das
in Ordnung. Er oder sie hat mir nichts getan, ich
habe keinen Grund, nicht mit ihnen befreundet
zu sein.
Klar, viele.
Das, was die Armee in den besetzten Gebieten
macht, das ist nicht okay. Aber wenn ich merke,
dass ein Jude darin nicht involviert ist oder
Palästinenser, deshalb behandeln sie uns so. Wir > > Israel:
Ein Land, zwei Welten
stehen voll dazwischen.
Alle sollten wissen, dass wir nicht die Huren
sind, die ihre Beine breit machen und die Klappe
halten. Wir haben etwas zu sagen und das tun wir.
Die meisten jedenfalls.
Ich möchte gerne alle Präsidenten dieser Welt
bitten, uns zu helfen. Damit wir sicher leben
können.Ich bin sicher, dass das für palästinensische Kinder eines Tages möglich sein wird, aber
wenn jemand diesen Prozess beschleunigen kann,
dann bitte ich ihn darum.
25
26
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politik orange
unvergangene vergangenheit
Alarmsignal aus Bielefeld:
Antisemitismus
BOOMT
60 Jahre nach Kriegsende sollte man denken, dass in Deutschland Antisemitismus überwunden ist. Von wegen. Neueste Untersuchungen zeigen: er tritt immer
stärker zutage. So belegt eine Studie der Uni Bielefeld : Nur 11 Prozent der Bundesbürger sind frei von Antisemitismus. Antisemitismus ist tief in der Mitte der
Gesellschaft verwurzelt, bei Männern noch mehr, als bei Frauen. Was tun? Nur symbolisch Reden zu halten, hilft nicht weiter. Von Holger Kulick
S
eit 2002 wird am Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der
Uni Bielefeld eine bundesweite Erhebung durchgeführt. Thema: Wie ausgeprägt ist Menschenfeindlichkeit in Deutschland? Ein inhaltlicher
Schwerpunkt der Forschergruppe unter Prof.
Wilhelm Heitmeyer war im Jahr 2004 Antisemitismus - Judenfeindlichkeit. Repräsentativ
wurden 3000 Telefoninterviews geführt, die nun
ausgewertet sind - mit beunruhigendem Resultat.
Denn eine weit verbreitete Durchmischung tief
sitzender Klischees und Vorurteile, aber auch von
Verdrängungsmechanismen wird dabei deutlich.
„Wenn man es ganz eng definiert, sind
nur 11 Prozent der Bundesdeutschen
Bevölkerung frei von jeglichem Antisemitismus“, bilanziert Dr. Andreas Zick, der
gemeinsam mit Dr. Beate Küpper an der
Uni Bielefeld die Analysen zum Antisemitismus durchgeführt hat.
Für das Forscherteam manifestiert sich
antisemitisches Denken in zwei Kategorien. Zum einen sind dies traditionellen
Sichtweisen. Dazu zählt das Forscherteam
den alten Mythos, dass Juden zu viel Einfluss haben (in Deutschland sehen das 21,5
Prozent der Befragten so) und der Schuldvorwurf in Form der Unterstellung, Juden
seien durch ihr Verhalten an ihrer Verfolgung mitschuldig. Aussagen zum traditionellen Antisemitismus stimmen immerhin
17,4 Prozent der repräsentativ befragten
Deutschen zu.
und sogar 44,4 Prozent: „Bei der Politik, die
Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man
etwas gegen Juden hat.“
Im Durchschnitt 57 Prozent der deutschen
Befragten üben außerdem NS-vergleichende
Israelkritik. Sie sagen, Israel führe einen „Vernichtungskrieg“ gegen die Palästinenser und das,
was der Staat Israel heute mit den Palästinensern
mache, sei „im Prinzip auch nichts anderes als
das, was die Nazis im Dritten Reich mit den
Juden gemacht haben“. Reine, des Antisemitismus unverdächtige Kritik an Israel ist rar.
Prinzipiell stimmen eher Ältere, Männer und
Kontinuierlich Zeichen setzen“
Zwei Drittel für Schlussstrich
Zum zweiten Bereich, dem „transformierten Antisemitismus“, wie Zick und
Küpper Antisemitismus im neuen Gewand
bezeichnen, gehört das Vorurteil, dass viele
Juden aus der Vergangenheit des Dritten
Reiches heute Vorteile ziehen würden.
Diese Auffassung teilen knapp über 45
Prozent der Befragten. Auch der verbreitete Ruf nach einem Schlussstrich über
die Aufarbeitung der Judenverfolgung im
Dritten Reich gehört dazu.
So sind es fast zwei Drittel aller Deutschen leid, immer wieder von Verbrechen der
Deutschen an den Juden zu hören oder ärgern
sich darüber, dass den Deutschen auch heute
noch die Verbrechen der Nazideutschen an
den Juden vorgehalten werden. 65 Prozent der
Deutschen denken im Sinne dieser Schlussstrichmentalität.
Auch in Äußerungen über Israel wird dieser
transformierte Antisemitismus deutlich. Denn
mehrheitlich wird israelische Politik mit jüdischer
Politik gleichgesetzt. So erklären und 31,7 Prozent der Befragten, „durch die israelische Politik
werden mir die Juden immer unsympathischer“
Jahren deutliche Steigerungsraten in antisemitischen Grundhaltungen ergeben – „Vor allem die
Rekrutierung der Mitte ist größer geworden“,
sagt Zick. Dies habe auch damit zu tun, dass sich
in den Jahren 2002/2003 zwei Bundestagsabgeordnete quasi als Tabubrecher betätigten, Jürgen
W. Möllemann (FDP), der Israelkritik deutlich
im Unterton mit Judenkritik verband und Martin
Hohmann (CDU), der Schlagzeilen machte, als
er dafür plädierte, die deutsche Kollektivschuld
infrage zu stellen. Beide Politiker erhielten für
ihre Vorstöße keinen geringen öffentlichen
Rückhalt.
> > Berliner Centrum Judaicum:
Ständiger Polizeisicht nich nur vor Neonazis.
niedriger Gebildete den antisemitischen Sichtweisen zu. Auffällige Unterschiede zwischen
Osten und Westen gibt es nicht. Außerdem wird
deutlich: Zwar wächst Antisemitismus mit einer
politisch rechten Haltung an – jedoch ist auch die
politische Mitte davon nicht frei. Fast 89 Prozent
derjenigen, die sich selber politisch „genau in der
Mitte“ einordnen, stimmen einer oder mehreren
Facetten des Antisemitismus zu. Nur 11 Prozent
der Befragten tun das nicht.
Für Dr. Andreas Zick sind die Ergebnisse
„alarmierend“, zumal sich im Vergleich zu
Untersuchungen aus den frühern neunziger
„Ein Teil der Deutschen will sich
einfach nicht der Geschichte stellen, auch
60 Jahre nach Kriegsende nicht“, urteilt
Andreas Zick. Schuldabwehr erfolge
zu solchen Gelegenheiten auch wie ein
„gemeinschaftliches Reaktionsmuster“.
Das werde besonders deutlich, wenn zu
Gedenktagen, wie dem 8. Mai, Politiker
demonstrative Zeichen gegen Antisemitismus und Rassismus setzen wollen. Doch
solche Zeichen nur singulär zu setzen,
wirke kaum oder nur kontraproduktiv,
weil dies zunächst nur propagandistische
Gegenwehr mobilisiere. „Deshalb müssen
solche Zeichen kontinuierlich gesetzt
werden“, fordert Zick, „damit die soziale
Norm der Ächtung des Antisemitismus
gefestigt und antisemitische Propaganda
besser entlarvt werden kann“. Ebenfalls
sei wichtig, „sensibler und deutlicher die
aktuelle Vermischung von Israelkritik und
Antisemitismus zu kritisieren“.
Besonders in der jüngeren Generation
sei allerdings sichtbar, wie durch die Arbeit
von Bildungsträgern und anderen Initiativgruppen eine positive Entwicklung weg
von gängigen Klischees und Feindbildern
einsetze, sagt Zick. Deshalb sei die derzeit
gängige Streichung von Fördermitteln für
viele solcher Initiativen „fatal“.
Weitere Ergebnisse zum Antisemitismus sind
auch nachzulesen in einem Beitrag von Arie
Heyder, Julia Iser und Peter Schmidt in „Deutsche Zustände, Folge 3, Frankfurt a. Main:
edition suhrkamp, 2005 (hrsg. von Wilhelm Heitmeyer). Die deutsche Homepage des Instituts in
Bielefeld: http://www.uni-bielefeld.de/ikg
die englische Homepage:
http://www.uni-bielefeld.de/ikg/eng/index.htm
Diese Veröffentlichung erfolgte mit freundlicher Genehmigung der Amadeu Antonio Stiftung
und von: www.mut-gegen-rechte-gewalt.de.
krieg*
|
Ob in der Sportübertragung oder im Jogurt. Haben wir auch in der Sprache den Krieg hinter uns? Von Andreas Weiland
N
ach der bedingungslosen Kapitulation
der Nationalsozialisten hat sich vieles in
Deutschland sofort geändert. In den Nürnberger
Prozessen wurden die Kriegsverbrecher verurteilt
und die Bevölkerung zwischen den Ruinen ihrer
Städte wollten die Demokratie.
Heute gibt es Jogurt, der „Fruchtbombe“
heißt und der letzte Sommerurlaub ist für viele
„bombig“ gewesen. Natürlich ist die erste Intention, wenn man im Supermarkt steht, nicht, dass
dieser Jogurt den Krieg anpreist. Auch bei der
Diashow des Nachbarn wird nicht sofort beim
bombigen Wetter an Luftangriffe gedacht. Diese
Wörter haben einfach eine verstärkende Wirkung,
die im Bewusstsein der Menschen geweckt wird.
Die Dynamik von „LTI“
Jedoch haben dieses auch die Nationalsozialisten für ihre Propaganda gewusst und so gab
es schon bald die „Sprache des Dritten Reich“,
wie sie der verfolgte Schriftsteller Victor Klemperer mit „Lingua Tertiae Imperii“ kurz „LTI“
beschrieb. Neben dem Kriegsvokabular, welche
sich in Wörtern wie „Blitzkrieg“ oder der „totale
Krieg“ wiederfindet, gab es auch eine neue Bewegung in der Wortwahl. Als bald wurde jegliches
Vorankommen zum „Sturm“. Diese neue Dynamik sollte das System der Diktatur widerspiegeln,
wie rasch sich doch Diktatur entwickelt. Schon
bald gab es den „Sturmtrupp“, den „Volkssturm“
und das Kriegsblatt, den „Stürmer“.
In heutigen Zeiten haben sich die Wogen dieses
Sturmes geglättet und man spricht höchstens
noch von stürmischen Zeiten, aber eigentlich
gibt es meistens nur noch einen „eisigen Wind“.
Im Fernsehen kann man heute aber öfters noch
auf eine Berichterstattung stoßen, die nicht ganz
von der Kriegsberichterstattung zu unterscheiden ist. Besonders beim Fußball wird öfters über
die „Flanken angegriffen“, Schüsse werden zu
„Granaten“ und Gerd Müller war der „Bomber
der Nation“. Dem Sportjournalisten soll dort
keine Mutwilligkeit unterstellt werden, wenn der
Spieler im Zweikampf „Freund und Vaterland“
vergisst. Denn des Deutschen liebstes Kind wird
halt nicht emotionslos gespielt oder kommentiert,
da kann es halt schon mal zu einer „Schlacht im
Strafraum“ kommen.
In manchen Fällen kann man leider nicht mit
Emotionen entschuldigen, wenn ein paar Wörter
fallen, die nicht im Vokabular von heute mehr
auftauchen sollten. Als ein jüdisches Paar am
4. Januar 2000 in Cottbus zur Polizei ging, weil
ihre Tür eingetreten wurde, und ihnen der Tod
angedroht wurde, bekamen sie das Angebot in
„Schutzhaft“ genommen zu werden. Dieses Wort
wurde von den Nationalsozialisten erfunden, um
eine Legitimation für die Verhaftung von unschuldigen Juden zu haben. Dadurch, dass dieses Wort
vor fünf Jahren auch noch aus dem Mund von
einem Staatsdiener kam, ist es schwer zu glauben,
dass die LTI nicht überlebt hat. In den sechziger
Jahren gab es eine Diskussion, um die political
correctness der Sprache, dass die Zigeuner nun
Sinti und Roma heißen und aus dem Itakker
wieder ein Italiener wurde. Vielleicht ging bei
dieser Diskussion aber ein kleiner Lehrauftrag
nicht in Erfüllung, so dass die Wörter hinterfragt
werden müssen und nicht einfach hingenommen
werden sollen. Es ist klar, dass der Schwarze kein
Bimbo mehr ist, aber wie sieht es mit dem Wort
Blutvergiftung aus? Heute ist es klar, dass dieser
Begriff im medizinischen Bereich gebraucht wird.
Jedoch im Dritten Reich wurde damit die Verfallserscheinung von Völkern und Rassen beschrieben.
Besonders die Auffassung von verschiedenen
Eigenschaften würde heute nicht mehr in deren
Bedeutung benutzt werden „Intellekt“ wurde eine
Bezeichnung für Menschen, die subversiv, kritischen und destruktiven Menschen. Der Jude und
Kommunist gehörten dadurch zum Intellekt und
waren damit nicht gut für die Gemeinschaft. Auf
der anderen Seite wurde der „Hass“ positiv, wenn
es der „heldische Hass der nordischen Rasse“ war.
Sprache als Nährboden für Neonazis
Die Sprache der Nationalsozialisten war eine
besonders gefährliche Sprache, weil sie durch das
Reduzieren auf Grundlegendes jeden erreichte.
Der Pathos in den Wörtern zog die Hörer in ihren
Bann und auch die Tatsachen wurden durch neue
Wörter, wie der Schutzhaft, belanglos für den
Hörer. Denn eine Schutzhaft oder die Niederlage
wurde einfach zum Rückzug. Die Gefahr heute
besteht darin, wenn wir mit unserer Sprache
weiterhin leichtfertig umgehen und somit den
Nährboden für Neo-Nationalsozialisten offen
halten. So könnte es ja auch sein, dass nach 60
Jahren Kriegsende mal über das Heft „Landser“
nachgedacht wird, welches ja auch nicht unbedingt
in einer Buchhandlung stehen sollte.
Victor Klemperer hat in LTI fast alles zu Analyse der Sprache der Nationalsozialisten zusammengetragen. Das sollte einfach nicht vergessen
werden.
27
28
|
die erben der nazis
F
rüher waren Rechtsextreme leicht zu
identifizieren. Kahl geschoren, Springerstiefel, Bomberjacken, dumpf grölend. Für
das entsprechende Geld hätten sie auch für die
andere Seite zugeschlagen. Seit ein paar Jahren
allerdings schleicht sich das braune Gift subtiler
und intelligenter in die Köpfe der Menschen. Die
Strategen der Rechten sind nicht mehr leicht zu
identifizieren, es sind Familienväter, respektierte
Persönlichkeiten. Die Konzepte, um ihr Gedankengut zu verbreiten, zielen besonders auf junge
oder sozial schwächere Menschen. In „national
befreite Zonen“ übernehmen die Rechten soziale
Einrichtungen – sie bauen Jugendclubs auf,
tragen der Oma das Gemüse nach Hause. Sie
bilden Meinungsführer, beispielsweise Schülervertreter und Schülerzeitungsmacher aus.
Immer an der Grenze des Erlaubten.
Die neuen Rechten wissen, was sie sagen
dürfen und was nicht. Christian Worch, einer der
Köpfe der deutschen Neonaziszene, antwortete
auf die Frage, ob wirklich sechs Millionen in KZs
ermordet wurden, damit, dass es zurzeit gesetzliche Beschränkungen in Deutschland gäbe, die ihn
daran hinderten, die Antwort zu geben, die er für
die richtige hielte.
Dass rechtsextreme Parteien immer mal wieder
in unsere Parlamente geraten, ist nur die Spitze
In der MITTE
angekommen
Eine Betrachtung von Katrin Hünemörder
des Eisberges einer neuen rechtsextremen Kultur
in Deutschland. Immerhin gibt es im öffentlichen
Raum die Möglichkeit, sich ihnen entgegenzustellen, sich mit ihnen auseinander zu setzen, oder
einfach zu gehen. Aber auch in den Parlamenten
sind sie klüger geworden und schaffen es, die
Aufmerksamkeit der Presse auf sich zu lenken.
Eine Aufmerksamkeit, die ihnen nicht zukommen
sollte.
Für problematischer als die zwölf Abgeordneten im sächsischen Landtag halte ich allerdings
die latente Zustimmung in der Bevölkerung zu
rechtsextremem Gedankengut. Ideen wie denen
der national befreiten Zonen muss mit demokratischen Mitteln begegnet werden. Alle paar Jahre
ein Programm gegen Rechts seitens der Bundesregierung aufzulegen, reicht halt nicht. Die
Mitarbeit muss vor Ort erfolgen. Maßnahmen
sind beispielsweise die Förderung von Beteiligungsprojekten, freiwilliger Arbeit, Sport- und
Kunstangeboten.
Leider scheint das Problem immer nur vor
und nach Wahlen für die Politik zu existieren.
In Sachsen ging es schief, und plötzlich stand
Rechtsextremismus wieder auf der Agenda. In
Kiel allerdings trösteten sich die Roten und die
Grünen mit dem Gedanken, dass es „wenigstens“
die Rechten nicht geschafft haben. – Thema
erledigt.
Rechtsextremismus findet nicht mehr nur in
Organisationen oder Parteien statt. Es ist ein
Parasit, der sich im Gehirn festbeißt und sehr
hartnäckig ist. Nur durch gemeinsame Anstrengungen von Politik und Zivilgesellschaft kann der
Parasit beseitigt werden.
Bei uns ist
NUR der
politik orange
Kaffee
Über die Not und den Einfallsreichtum deutscher Kleinstädte im
Umgang mit Neonaziaufmärschen und brauner Strukturen.
B
islang war
Pößneck ein
beschauliches Städtchen und rühmt sich
gerne, „Stadt der ersten
Thüringer Landesgartenschau“ zu sein. Das
war im Jahr 2000. Mittlerweile macht Pößneck
andere Schlagzeilen.
Anfang April feierten
bis zu 1800 Neonazis
eine Einweihungsparty
für einen neuen rechten
Treffpunkt in der
Stadt, im ehrwürdigen
Schützenhaus, das bereits Ende 2003 von eine
dubiosen englische Stiftung ersteigert worden
war: Die Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation in London, zu deren Hintermännern der
Hamburger Rechtsextremist Jürgen Rieger zählt.
Das Nazievent hatte Folgen. Zur Gedenkfeier
des Landkreises am 8. Mai 2005 waren polnische
Ehrengäste eingeladen. Doch die sagten prompt
ab. Zum Trotz hat der Kreistag seine Gedenkveranstaltung nun in eine Schule verlegt, direkt
gegenüber vom rechten Schützenhaus. Um zu
signalisieren: haut ab!
Vorbildliches aus Verden
Vorgemacht, wie das effektiv geht, hat das
unlängst die niedersächsische 30.000-Seelenstadt
Verden. Im nahe gelegenen Dörverden hat der
Rechts-Statege Rieger im Juni 2004 ebenfalls
über besagte Tietjen-Stiftung ein großes Gehöft
erworben und zum Neonazitreffpunkt ausgebaut. Die Gegend gilt laut Verfassungsschutz
als Zielregion der Rechtsextremisten. Doch als
die NPD Anfang Februar einen Aufmarsch in
Verden ankündigte, machte der dortige Bürgermeister mobil: Mehr als 120 Vereine, alle
Kirchen und Institutionen der Stadt wurden
gebeten, gemeinsam ein Fest der Demokratie in
der gesamten Innenstadt zu gestalten. Die wurde
auf diese Weise für die Extremisten blockiert.
Gewitztes Schild an einem Stand: „Bei uns ist nur
der Kaffee braun“. Vergeblich klagte die NPD
Von Holger Kulick
BRAUN
dagegen, denn eine Kommune habe kein Recht
gegen eine nicht verbotene Partei eine Veranstaltung zu planen. Denkste, konterte der Bürgermeister. „Ich habe einen Eid auf die Verfassung
geschworen und die schützen wir hier vor einer
politischen Strömung, nämlich vor demokratiefeindlichem Rechtsextremismus“.
Hilflosigkeit in Dessau
So einfallsreich sind nicht viele Kommunen.
Beispiel Dessau in Sachsen-Anhalt.
Dort war Mitte März die NPD aufmarschiert,
um ausgerechnet in der Stadt, in der Zyklon B
zur Vergasung der Juden hergestellt wurde, an
deutsche Bombenopfer zu erinnern. Für einen
ungestörten Verlauf des Naziumzugs machte
sich der parteilose Bürgermeister Dessaus stark,
nachdem ein gerichtliches Verbot gescheitert war.
Statt mit lautem Gegenprotest sollten die Nazis
mit Nichtachtung gestraft werden, der Bürgermeister selbst suchte das Weite. Doch aus dem
Ignorieren der Nazis wurde Ignoranz gegenüber
dem Gesamtproblem. Sogar der öffentliche
Nahverkehr wurde an jenem Sonnabend eingestellt und die Stadt weiträumig abgesperrt, so dass
der Nazinachwuchs stolz bis zum Ehrenfriedhof
Dessaus marschieren konnte. Selbst als ein junger
Hamburger Rechtsaußen namens Alexander H.
allen Gegnern der Demonstration wünschte, dass
sie einmal so „gegrillt werden im Feuersturm“,
wie einst die Dessauer Bombenopfer, schritt die
Polizei nicht ein. Dies sei „keine Aufforderung zu
Gewalt, sondern liege noch im Ermessensspielraum freier Meinungsäußerung“.
Landauf, landab haben in den vergangenen
Wochen braune Kameradschaften, Gruppen des
so genannten „Nationalen Widerstands“ und der
NPD-Jugendorganisation JN solche Aufmärsche
veranstaltet und Kommunen gereizt.
Welch Geistes Kind sie sind, machen ihre
Selbstbeschreibungen deutlich.
Die „Jungen Nationaldemokraten“ definieren sich als erklärte Gegner des „herrschenden
Systems“. Auf ihrer „Heimseite“ im Internet
beschreiben sie sich als „politische Soldaten“ im
Sinne einer „Vorhut...eines Deutschlands, welches
ein auf der Solidargemeinschaft der deutschen
Stämme begründetes neues Reich sein wird.“
Ihr Ziel sei es, „so viele Widerstandszellen wie
möglich zu bilden“, und das als „als eine weltanschaulich-geschlossene Jugendbewegung neuen
Typs mit revolutionärer Ausrichtung und strenger
innerorganisatorischer Disziplin, deren Aktivisten
hohe Einsatz- und Opferbereitschaft abverlangt
wird.“
Gewieft hatten die jungen Nationaldemokraten schon im vergangenen November eine
Demonstration am 8. Mai in Berlin angemeldet
„Gegen den Schuldkult“. Ausgerechnet am
Brandenburger Tor. Die Stadt hatte verschlafen,
das historisch so sensible Terrain rechtzeitig „zu
besetzen“. Stattdessen kam arg verspätet und mit
krieg*
viel finanziellem Aufwand der Auftrag an eine
Agentur zustande, rund um das Brandenburger
Tor zwei Tage der Demokratie zu organisieren.
Überzeugend mag das Resultat sein, aber der
Anlauf war es nicht.
Langfristiges Denken in Wunsiedel
Viel geschickter und langfristiger will in
Zukunft die bayrische Gemeinde Wunsiedel
vorgehen. Alljährlich rund um den 17.August
feiern dort Neonazis mit einem Aufmarsch den
Geburtstag des dort beerdigten Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess.
Diesmal soll am 20. August auch in Wunsie-
del ein Tag der Demokratie gefeiert werden. Zu
diesem Zweck sind Veranstaltungsanmeldungen
aus der ganzen Bundesrepublik extra erwünscht
- sogar jetzt schon 15 Jahre im Voraus. Auch
jeder Bürger der Stadt - so lautet ein Vorschlag
auf www.wunsiedel-ist-bunt.de - soll vor seiner
Haustür eine Veranstaltung anmelden, um die
Bewegungsfreiheit der Nazis Richtung Null zu
reduzieren. Das Kalkül der Kommune: wenn die
Gegenaktionen der Bürger im Mittelpunkt der
Berichterstattung stehen, verlieren die Nazis die
Lust, für ihren Marsch durch Wunsiedel zu mobilisieren. Wunsiedels zweiter CSU-Bürgermeister
Matthias Popp weiß inzwischen schon rund 500
Bürger hinter sich, die das örtliche Bündnis gegen
Rechtsextremismus tragen. „Das ist sensationell
viel“. Gleichwohl sieht er Tendenzen, die ihm
Sorge machen: Denn vor Ort wächst auch der
Zulauf zur Neonazibewegung: „Da
machen inzwischen
junge Leute aus
angesehenen Familien mit, denen das
niemand zugetraut
hätte“, beobachtet
er. „Nahezu jede
Gemeinde hier,
jede Schule hat ein
solches Rechtsextremismus-Problem, aber hat
Angst, darüber zu
reden. Genau damit
fördern wir erst
den Erfolg dieser
Leute!“
die erben der nazis | 29
Brothers Keepers schützen Ducherow
Davon können derzeit die Brothers Keepers
ein Lied singen. Die multikulturelle deutsche
Band ist eine Partnerschaft mit einer Schule im
mecklenburgischen Ducherow eingegangen, die
jetzt mangels ausreichender Schülerzahl geschlossen werden soll. Als sie jüngst zur Sympathiekundgebung nach Ducherow reisten und mit
Schülern das Ausmaß rechter Durchdringung
diskutierten, machten die aus ihren bedrückenden
Erfahrungen keinen Hehl. Eltern und Lokalpolitiker wollten allerdings nichts davon wissen.
Längst sind hier Neonazis in die Strukturen von
Freiwilligen Feuerwehren, Sozialverbänden
und Schülervertretungen vorgedrungen
und verteilen regelmäßig selbstgedruckte
Zeitungen, die prall
sind mit nur oberflächlich harmlos
scheinender Deutschtümelei. „Für uns
ist eine artgerechte
völkische Kultur die
Grundlage zur Erhaltung und Gesundung
unseres Volkes“ heißt
es beispielsweise im
Selbstverständnis des
Ueckermünder Kulturkreises, der sich rühmt, oft
überfallartig im braven Volkstanzkostüm mal ein
Dorfest, eine goldene Hochzeit oder ein Erntedankfest zu besuchen, um nach „einer kurzen
knalligen Rede Taten sprechen zu lassen“.
„Die sind dabei, zielgerichtet Netzwerke auszubauen, indem sie „wie mit trojanischen Pferden
in neue Strukturen vordringen, um sich vorzubereiten auf ihren Tag X“, resümiert Günther
Hoffmann vom Netzwerk Vorpommern des
Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB). Diesen Tag
X beschreiben die Anhänger des Heimatbunds
schon mal mit Gedichten in ihrer Zeitung, in
denen sie sich als „der deutschen Zukunft Saat“
betrachten : „Wir schreiten gegen die Masse der
Zeit/ Und stehen mit Opfer und Tat bereit/....
Wir werden trotzen und schreiten zur Tat/Auch
wenn der Tod auf uns warten mag“.
Chronik der Gewalt
April 2005
Babenhausen:
Jüdischer Friedhof geschändet
Pankow:
Musiker im Probenraum von Neonazis überfallen
Pasewalk:
Mit Schraubenzieher auf Punk eingestochen
München:
Schüler stirbt nach Attacke eines 19-jährigen
März 2005
Ostermontag in Dortmund:
Punk von Neonazis erstochen
Arnstadt:
Serie von Angriffen auf Linke
Potsdam:
Erneuter Anschlag auf türkischen Imbiss
Berlin:
Hakenkreuze auf Denkmal für Sowjetsoldaten
Paderborn:
Minigolfanlage beschmiert und beschädigt
Zepernick:
Wiederholter Brandanschlag auf ausländischen Imbiss
Essen:
Brandanschlag auf Asylberwerberheim
Zittau:
Marokkanische Studenten verprügelt
Magdeburg:
Afrikaner mit Bierflasche angegriffen
Februar 2005
Berlin-Schöneweide:
Mann von Neonazis in die Spree geschubst
Wolfsburg:
Rassisten prügeln wehrlosen 16-jährigen
Beeskow:
Radler mit Baseballschlägern verprügelt
Chemnitz:
Nigerianischer Ex-Fußballprofi beschimpft und tätlich
angegriffen
Greifswald:
Ausländernfeindliche Attacke auf Studentenwohnheim
Januar 2005
Cottbus:
Schwarze Studenten vor Disco zusammengeschlagen
Schwedt:
Übergriff auf zwei Asylbewerber
Berlin:
Indonesier in der Bahn mit Reizgas attackiert
Mannheim:
Drei Kameruner Studenten in Bahn angegriffen
...
Fortlaufend mehr unter:
www.opferperspektive.de
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de
30
|
politik orange
rechtsaußen
„K
ampf um die Straße – Kampf um die
Köpfe – Kampf um die Parlamente!“
lautet das Kredo der „Neuen Rechten“ in
Deutschland, die sich zu Beginn und in der Mitte
der 90er Jahre in Deutschland formiert hat und
inzwischen einen Strategiewechsel vollzieht. Die
Rechtsaußen wollen sich lossagen von stumpfen
Glatzen die antisemitische Parolen grölen und
stattdessen einen „progressiven Nationalismus“
in Deutschland prägen und gesellschaftliche
Strukturen unterwandern. Ein Mitbegründer
dieser „Neuen Rechten“ in Deutschland war Jan
Zobel. Der ehemalige Neo-Nazi, Mitglied der
NPD zwischen 1993 und 1997 und Landesvorsitzende der JN (der Jugendorganisation der
NPD) gewährt in seinem gerade erschienenen
Buch „Volk am Rand – NPD: Personen, Politik
und Perspektiven der Antidemokraten“ einige
Einblicke sowohl in sein privates Leben als auch
in die Organisation der NPD und ihrer internationalen Verflechtung, für die er vom damaligen
Bundesvorsitzenden der JN, Holger Apfel, sogar
beauftragt worden war.
Aus der Linken in die Rechte
> > Rechtsaußen
in Dessau
Zobel kam mit 14 Jahren als Kind deutscher
Auswanderer aus Südafrika zurück nach Deutschland und zog nach Hamburg. Er suchte nach
gesellschaftlichem Anschluss, war pronational
und prangerte die Missstände in Deutschland
an. Er fand sich aber in der „Linken“, die für ihn
Mainstream war, nicht aufgehoben und knüpfte
Kontakte zur NPD. Was folgte war ein rasanter
Aufstieg innerhalb der rechten Szene.
Sein Buch enthält wenig Neues. Es ist geprägt
von Beschreibungen über den Kurs der NPD in
der Zeit, in der Zobel selbst aktiv war, und von
machtpolitischen Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Akteuren innerhalb der Parteiführung. In der Kurzbeschreibung des Buches
heißt es: „Sein Einstieg in die rechte Szene war
exemplarisch“- doch eher aus damaliger Sicht.
Heute werden, wie Zobel im persönlichen
Gespräch selbst sagt, Jugendliche oft mit rechter
Musik geködert. Die Neonazis treten auf wie der
liebe nette Nachbarsjunge. Sie helfen alten Menschen beim Besorgen der Einkäufe, organisieren
Kinderfeste und Jugendveranstaltungen.
Dennoch verdient es das Buch gelesen zu
weZobel sagt sich los von diesen reaktionären
Strömungen, denkt zwar weiterhin „deutschnational“ und „patriotistisch“, leugnet aber nicht den
Holocaust.
„Liberale Nationalisten“
bewogen Zobel und Thorsten Lemmert unter
anderem zum Ausstieg aus der Neonazi - Szene.
Ursachensuche in Sachsen
Neben seinem persönlichen Lebensweg versucht Zobel in seinem Buch allgemein Gründe
und Ursachen für den Zulauf zur NPD zu
finden. Er beschreibt an seinem eigenen Lebensbeispiel wie leicht es ist, Geschichte zu verdrehen
und wie wenig die Gesellschaft und Politik in
Wahrheit dagegen unternimmt. So sei es nach
Zobel auch nicht verwunderlich, warum die NPD
sich gerade Sachsen ausgesucht habe. Der ehemalige Ministerpräsident Sachsens Kurt Biedenkopf habe das Widererstarken der Rechten stets
verharmlost und Bewegungen wie „Tolerantes
Sachsen“, das aus Bundesmitteln, Stiftungen und
Kommunen unterstützt wurde, mit den finanziellen Mitteln der Landesregierung nicht gefördert.
Wie Zobel vermutet aus Scheu vor der Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte,
Zobel, Chefredakteur einiger rechtsradikaler Zeitschriften u.a. der EuK („Einheit und
Kampf“), kritisierte mehrfach die Glorifizierung
der Nazigrößen wie Rudolf Heß, der wie andere
von den Neonazis als „Märtyrer“ verehrt wird. Er
gab die Hefte ohne Absprache mit Holger Apfel
in den Druck und trat 1997 aus der NPD aus.
Er begann eine Ausbildung als Verlagskaufmann und wurde zweiter Geschäftsführer der
Rechtsrock
GmbH in
Düsseldorf
von Thorsten
Lemmer. Er
verdiente
Geld mit dem
Herausgeben
des rechtsradikalen
Der Ex-NPD und JN-Funktionär Jan Zobel schreibt kein sensationelles, aber
Musikmagazins RockNord, ein lesenswertes Buch. Von Joshua Kleinsorge und Steffi Nürnberger
der dazugeda Biedenkopfs Schwiegervater Dr. Fritz Karl
hörigen Musik von „Störkraft“ und anderen
Ries in seiner Firma „Flügel & Polter“ jüdische
faschistischen Musikgruppen. Soweit konnte
Zwangsarbeiter beschäftigt hatte. Das Kapital der
also von Ausstieg noch keine Rede sein, nur ein
Firma wurde vor Kriegsende jedoch schnell im
Umstieg. Einen weiteren Schritt aus der rechtsAusland in Sicherheit gebracht.Dies machte es
radikalen Szene schaffte Zobel dann 2001 durch
für die NPD leicht in einem Bundesland, das eine
ein Aussteigerprojekt von Regisseur Christoph
Auseinandersetzung mit der eigenen VerganSchlingensief am Züricher Schauspielhaus.
Schlingensieg inszenierte Shakespeares „Hamlet“
genheit und somit auch der „Neuen Rechten“
mit Neo-Nazis - die kritische Auseinandersetzung scheute, Fuß zu fassen.
UMSTEIGER
krieg*
rechtsaussen | 31
Sieht so etwa ein Nazi aus? Oder ein einstiger Nazi? Da ich in dem Buch von Jan Zobel “Volk am Rand - Personen, Politik, Perspektiven
der Antidemokraten“ über ein paar kritische Stellen gestolpert bin, die in meinen Augen noch rechte Tendenzen vermuten ließen, war ich
unserem Gesprächsgegenüber sehr kritisch eingestellt. Aber nicht nur seine gemütliche Erscheinung, auch sein offener Umgang mit unseren
Fragen, überrraschte dann doch. Kann man ihm vertrauen? Oder ist er nur ein Nazi neuen Typs, den er selbst beschreibt?
Warum haben Sie überhaupt das Buch geschrieben?
Weil es mir um eine öffentliche Distanzierung
ging. Obwohl ich bereits 2001 für mich mit der
Szene abgeschlossen hatte und dies in einem
Theaterstück mit Christoph Schlingensief auch
deutlich machte, genügte mir zum einen die
künstlerische Aufarbeitung meiner Vergangenheit
nicht und zum anderen standen noch Fragen
offen, die es zu klären gab. Ein bisschen sehe ich
mein Buch als eine Wiedergutmachung für meine
“braune Scheiße”.
Tote Hosen und trugen Che Guevara T-Shirts. Ich
aber suchte die Rebellion, die ich schließlich nur
rechts suchen konnte. Meine politische Positionierung war also vielmehr eine Ablehnung des
Linken als eine Befürwortung des Rechten.
Wie kam es zu einer Distanzierung von der NPD
und der rechten Szene?
Anlass war die Öffnung der NPD. Während
die NPD anfangs sowohl jeglichen Hitler-Kult
ablehnte als auch Skinheads in den 90ern noch
verpönte, sollte sich dies nun ändern. Da ich
schon immer
gegen eine
Öffnung der
Partei war,
führte dieser
Wandel der
NPD dazu,
dass meine
Überzeugung
bröckelte
und ich die
gesamte Ideologie schwer
anzweifelte.
Als ich Kontakt zum Eulenspiegelverlag aufge- Nicht die Öffnung allein bewirkte meine immer
kritischer werdende Haltung, dazu kam meine
nommen hatte und mein Vorhaben geschildert,
altersbedingte Reife und mein persönlicher Freierhielt ich sofort positive Resonanz und man
sagte mir nur: “Schreib mal”. Was ursprünglich
geist, der mich von Anfang an zu einem kritischen
eine Biographie werden sollte, entwickelte sich
Parteimitglied gemacht hatte. Den Holocaust habe
schließlich zu einem Sachbuch mit biographischen ich zum Beispiel nie angezweifelt, während mir
Zügen. Hierbei möchte ich aber betonen, dass
die Debatten über Patriotismus und Nationalstolz
mein Buch kein Aussteigerbuch ist und ich kein
durchaus ein inhaltliches Anliegen waren, vor
Berufsaussteiger bin, da ich weiterhin meiner
allem, weil sich andere Parteien an dieses Thema
gewohnten Arbeit nachgehe und höchstens einen kaum heranwagen.
kleinen Nebenverdienst verbuchen kann. Viel
Zu Zweifeln veranlasste mich auch der Zwiewichtiger ist mir, dass ich junge Leute mit meinem spalt zwischen meinem multikulturellen Lebensstil
Buch erreiche, wobei ich mich sowohl an bereits
und der rechten, ausländerfeindlichen Ideologie.
aktive Neonazis als auch an “normale” JugendliIch hatte ausländische Freunde, genoss ausländiche wende. Neben meiner Buchveröffentlichung
sches Essen und lebte auch sonst nicht ausdrückhalte ich Lesungen an Schulen und hoffe, dass
lich deutsch. Meine innerliche Distanz vollzog
man mir auch deshalb Gehör schenkt, weil ich
sich bereits 1997, öffentlich machte ich meinen
selbst in der Szene war und weiß, wovon ich rede. Ausstieg allerdings erst 2001.
Leider sind Aussteiger oft unglaubwürdig, weil sie
ihren Ausstieg nur deshalb öffentlich machen, um
Warum haben Sie erst so spät darauf aufmerkbei rechtlichen Konsequenzen milder davon zu
sam?
kommen.
Weil mein ganzes Berufs- und Sozialleben mit
meiner politischen Vergangenheit zusammen hing.
Wie kam es zu ihrem Einstieg in die rechte Szene? Während meiner Arbeit bei Nord-Rock etwa habe
ich Musik vertrieben, über deren Hörer ich nur
Da muss ich weit zurück gehen in meine
lachen konnte. Da ich jedoch aufgrund meiner
südafrikanische Heimat. Ich bin in einem rassiStellung als zeitweiliger Chefredakteur sehr gut bei
stischen Staat aufgewachsen und die Apartheid
diesem Job verdiente, sah ich lange keinen Anlass
gehörte zu meinem Alltag. Als ich im Alter von
für eine Beendigung dieses Geschäfts. Ebenso
14 Jahren mit meinen Eltern nach Hamburg
verhielt es sich mit meinem sozialen Umfeld, das
zog und sich meine Vorstellung vom paradiesiich mittlerweile um mich geschart hatte. Viele
schen Deutschland nicht bewahrheitete, war ich
meiner Freunde kamen aus dem rechten Lager
erst einmal schwer enttäuscht. In der deutschen
Schule, an die ich fortan ging, waren mehr als die und weiterer Kontakt zu diesen Leuten war nach
Hälfte Ausländer und weder die Schüler noch die einem Bruch mit der Szene völlig aussichtslos. Da
ich den Schritt hinaus aus der Szene, hinein in die
Lehrer gefielen mir. Letztere waren links, meine
Mitte der Gesellschaft dann doch wagte, bin ich
Klassenkameraden waren links, der Zeitgeist war
heute dort angekommen, wo ich mich vor Jahren
links. Die Jugendlichen um mich herum hörten
ODER
Aussteiger?
laut ausgelacht hätte. Mein heutiges Leben mit
Frau und Kind macht mich sehr glücklich und ich
bin froh, den Ausstieg geschafft zu haben.
Wie oder wo sehen Sie die Zukunft der NPD?
Ein großes Problem ist, dass die NPD Mainstream wird. In vielen Dörfern ist Rechtsradikalismus Alltagskultur und es gibt keinen Widerstand
von den dort lebenden Bürgern. Die meisten
sind froh, wenn ihre Gemeinde nicht ständig
von Autonomen, Linksradikalen oder der Polizei
belagert wird. Sie wollen einfach nur ihre Ruhe.
Dass manche Dörfer sich zu richtigen braunen
Nestern entwickelt haben, ist zum großen Teil der
Mitgliederwerbung der NPD geschuldet, die vor
allem auf die Jugend dort abzielt. An Jugendliche,
die Bier trinkend vor dem Supermarkt herumlungern, werden kostenlose CDs verteilt und in
regelmäßigen Abständen veranstaltet die NPD
Kinderfeste und andere Aktivitäten für möglichen
Parteiennachwuchs. Gefährlich ist auch, dass die
NPD mit Vorschlägen wie der Einführung von
getrennten Schulklassen auf breite Resonanz
stößt. Sie besetzt Probleme, die die etablierten
Parteien nicht anpacken.
Was kann der Staat tun?
Ein Beisspiel, Thema Arbeitslosigkeit: Der Statt
muss dem Volk sagen, dass im Kapitalismus, der
ja unser System trägt, Vollbeschäftigung nicht
möglich ist. Er muss es deshalb deutlich sagen,
weil sonst die NPD mit ihren einfachen Lösungen
für komplexe Probleme kommt und viele Menschen damit beeindruckt. Die Parteien sollen nicht
in Wahlperioden denken und weniger machtpolitisch handeln, weil sie sonst die Plattform für
rechtsradikale Agitatoren schaffen.
> > Zobel-Buchtitel in
der Berliner edition-ost
32
|
sterben, dass es auch noch gibt
politik orange
to the Sudanese
Innocent child
With a halo of gun powder
Lead for bread
Underfed
Stares
Eyes dead
At rider on steed
Janjaweed
Innocent child
Ash-white mouth
A Million thoughts but
Can‘t understand
Why Mother lies still
Belly bloated
Flies all around her
Sing solemn hymn
Underscored by
The neighbouring din
Innocent child
Smells burning meat
But no food to eat
Feels cold
Despite the heat
Of burning-house fires
Through mosquito-net shirt
Watches
Hands on penis
As young boy approaches
In royal military regalia
Bearing an AK sceptre
Bejewelled in cartridge belts
Innocent child
Stares down the shaft of a barrell
Crack! And for a second
All turns white
by Zwe Simela from Zimbabwe
(student of International University Bremen)
krieg*
„FRIEDEN
alternativen | 33
ist DIE
SENSATION“
Was tun, wenn nach einem Krieg endlich Frieden herrscht, die auslösenden Spannungen aber weiter bestehen? Wie können Dialoge Wunden wieder heilen?
Patentrezepte gibt es nicht, aber beispielgebende Friedensstifter. Ein Münchener Friedensprojekt stellt sie vor. Von Holger Kulick
E
in Schild mit rot durchgestrichener Pistole
markiert: Halt! Ab hier dürfen keine
Waffen mehr sprechen! Ab hier herrscht Friede.
Das Schild markiert die entmilitarisierte Zone
rund um das Benediktinerkloster Haiga Maria
Zion von Abt Benedikt Lindemann, - mitten
auf dem Grenzstrich zwischen Israelis und
Palästinensern gelegen. Das Kloster bei Jerusalem nutzt seine Lage als eine weltweit einmalige
Friedenswerkstatt. Hier proben junge Israelis und
Palästinenser mit ihren Familien friedliches Miteinander und können am See Genezareth sogar
ein gemeinsames Sommerferiencamp besuchen.
Das Foto ist Teil einer Wanderausstellung mit
weltweit aufgenommenen Friedensbildern, die
im Auftrag des Müchener Journalisten Michael
Gleich gesammelt wurden - unterstützt von der
GTZ und dem Auswärtigen Amt. „Peace counts“
heißt das Projekt, dessen publizistischer Ansatz
lautet: „Frieden, nicht Krieg ist die eigentliche Sensation“. Portraitiert werden lokale und
regionale Friedensstifter, „deren Eifer anstecken
soll“, hofft Michael Gleich. Im Oktober erscheint
ein Buch über seine Friedens-Forschungen.
Die ausgestellten Bilder sprechen Bände.Zwei
Blauhelmsoldaten, die mit rosa Zuckerwatte für
Kinder an der Grenze Zyperns patroullieren, ein
brasilianischer Polizist, der in den Favelas von Sao
Paulo inzwischen 17.000 Schusswaffen eingesammelt hat, oder der ehemalige irische Terrorist Joe
Doherty, der nach 22 Jahren Gefängnisstrafe für
seine brutalen Einsätze im Dienste der IRA zum
Jugendarbeiter geläutert ist, und nun Friedensarbeit mit Jugendlichen betreibt. Er wird vor einem
Fassadenwandbild portraitiert, das er übermalen
ließ. Als Motiv ersetzen nun Kinder, die auf
den Trümmern des Gestern spielen, heroisch
bewaffnete Kämpfer von einst. „Die Zeit der
Helden ist vorbei“, sagt Doherty, obwohl er von
ebenjenen „Helden“ bis heute für seinen Wechsel
ins Friedenslager angefeindet wird.
Wie versöhnen?
Die Wanderausstellung wurde jüngst zum Auftakt einer Konferenz von GTZ und FriedrichEbert-Stiftung in Berlin eröffnet. Das ehrgeizige
Tagungs-Thema: „Von Vergangenheitsbewältigung zu einer gemeinsamen Zukunft - Herausforderungen von Versöhnung“. Es diskutierten Experten aus Ländern wie Kambodscha,
Südafrika, Ruanda, Peru, Ost-Timor, El Salvador
und Bosnien-Herzegowina, die lange Zeit unter
Bürgerkriegen oder massiven Menschenrechtsverstößen durch Regierungen litten. Ziel war
es, allgemeingültige Rezepte zu entwickeln, wie
innergesellschaftliche Aussöhnung zwischen
Tätern und Opfern so betrieben werden kann,
dass ein friedlicher Neuanfang möglich ist, ohne
dass Aufklärung und Wahrheit auf der Strecke
bleiben.
„Truth, Justice and Healing“
Drei Grundbausteine für Versöhnung zählen
die Experten: „Die Formel heißt Truth, Justice
and Healing“- Wahrheit, Gerechtigkeit und
Aussöhnung. Denn Wiederaufbau ohne den
schmerzlichen Blick zurück - truth, ohne die
Auseinandersetzung
mit dem begangenen Unrecht
- justice - und
ohne Maßnahmen
zur gesellschaftlichen Aussöhnung
- healing, bleibe
unvollkommen.
Dies erfordere in
der Regel aber eine
besondere Leistung
der Opfer gegenüber den Tätern,
die ausgesprochen
mühsam sei. Die
Bedingungen für
Aussöhnung seien
zudem in jedem
Land sehr spezifisch, daher sei das
Arbeitsfeld, zivilen
Frieden zu schaffen,
„überwiegend von
Grautönen, aber nicht schwarz-weiß geprägt“.
40 bis 50 Kriege weltweit
40 bis 50 Kriege toben derzeit weltweit, oft
außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung.
Klassische kriegerische Auseinandersetzungen
sind dies in der Regel aber nicht, sondern zu
mehr als 90 Prozent innerstaatliche Konflikte,
die nur langwierig lösbar und noch schwieriger
zu heilen sind. Spanien beispielsweise brauchte
nach dem Zusammenbruch des Franco-Regimes
30 Jahre Anlaufzeit, um die gesellschaftlichen
Bedingungen zu schaffen, jetzt erst mit einer
nachdrücklichen Aufarbeitung zu beginnen,
schilderte Professor Fernando Marino Menéndez,
Vorsitzender des UNO-Komitees gegen Folter.
„Wir waren damals arm und hatten eine Priorität
- wie können wir Bürgerkrieg vermeiden?“. Erst
jetzt, nachdem der Aufbau der Zivilgesellschaft
gelungen sei, werde in Spanien breit über die
Einsetzung einer Kommission zur Aufarbeitung
der Franco-Diktatur diskutiert, solange habe die
Gesellschaft gebraucht, dafür zu reifen.
Schneller gelang es in Ost-Timor nach dem
Unabhängigkeitskämpfen zwischen 1975 und
1999, die zu rund 200.000 Opfern und 500.000
Flüchtlingen führten. Dort steht nach nunmehr
drei Jahren Arbeit die Veröffentlichung eines
Abschlussberichts der „Comission for Reception,
Truth and Reconciliation“ zur Aufarbeitung des
Suharto-Regimes bevor, ein Bericht der zwar
schnell angepackt werden konnte, aber voraussichtlich zu unbefriedigenden Ergebnissen führt,
schilderte Ben Larke als ehemaliger Berater des
Gremiums. Denn es sei „schwer, Aufarbeitung
ohne die Verantwortlichen zu betreiben“, die sich
weitgehend nach Indonesien abgesetzt hätte.
Besonders schwer habe es Aufarbeitung, wenn
gesellschaftliche Gleichgültigkeit zu groß sei,
wie in Peru, wo es „zwischen 1980 und 2000
kein Gedächtnis“ gegeben habe und „ein Teil
der Identität verloren ging“, schilderte Salomon
Lerner Febres, der ehemalige Vorsitzende der
„Truth and Reconciliation Comission“ Perus.
Um diesen gesellschaftlichen Gedächtnisverlust entgegenzuwirken, wurden bis Ende 2003
insgesamt 95 Bände historischer Aufarbeitung
zu Papier gebracht, vor allem um geschehene
Massaker aufzuklären. Von 1980 bis 1997 wurde
Peru durch die Guerillakämpfe der Bewegung
‚Leuchtender Pfad‘ erschüttert, 1992 bis 2000 litt
es unter der Diktatur Präsident Fujimoris. Etwa
70.000 Menschen verloren im Lauf dieser Zeit
gewaltsam ihr Leben oder verschwanden, 600.000
mussten umsiedeln. 40 Prozent der Opfer haben
Polizei und Militär zu verantworten, 54 Prozent
die Bewegung „Leuchtender Pfad“, sie verweigert
sich aber hartnäckig dem so wichtigen, friedensstiftenden Dialog.
> > Brasilien, Rio de
Janeiro:
Polizist Rubeval Franca im
Polizeidepot mit 17.000
beschlagnahmten Waffen.
34
|
kriegsfolgen
in den
Krieg
politik orange
MENSCHEN
Wie definieren Sie Folter? Werden hier nur Kriegsopfer behandelt oder auch Opfer familiärer Folter,
das heißt familiärer Gewalt?
Folter ist in der Antifolterkonvention durch die
UNO definiert, 2002 erfolgte eine Erneuerung,
die von den meisten Staaten jedoch noch nicht
ratifiziert ist.
Wir behandeln hier jedoch keine familiäre
Gewalt, sondern Gewaltfolgen nach Krieg, Inhaftierung, Verfolgung und aber auch Menschen,
die aufgrund der Folter, die sie erlebt haben, ein
solch hohes Aggressionspotenzial haben, dass sie
wenn sie hier leben in den Familien eben auch
aggressiv sind.
Welches Ziel soll mit der Folter im Krieg erreicht
Was geschieht mit Kriegsopfern nach dem Krieg? Die meisten werden vergessen. Nur wenigen
wird geholfen. Ein bedrückendes Interview mit Dr. Franz Janßen, dem Leiter des Berliner
Behandlungszentrums für Folteropfer (BZFO) Berlin. Von Julia Hinz und Andreas Weiland
Verfassung der Opfer erstellt werden, das heißt
welche objektiven körperlichen Spuren nach der
äußeren Anwendung von Gewalt zu erkennen
sind. Viertens ist eine psychische Diagnostik notwendig, um zu erkennen
und zu erfassen,
wie stark die posttraumatischen
Zustände sind,
die Schlaflosigkeit, Angstzustände,
Depressionen,
Suizidgefahr
und auch die
Angst vor
Flash-Backs
– der
Erinnerung an
d a s
Erlebnis
– beinhaltet.
Die
werden?
Folter wird in etwa 30% der Staaten regelmäßig eingesetzt. Staaten, die also diese Sondereinheiten haben, besitzen auch die sogenannten Foltererschulen, in denen
das Foltern erlernt wird. Das
Ziel des Folterns ist dabei
1. Erkenntnisgewinn, der
schon im Mittelalter zur
Folter geführt hat, da man
längst schon festgestellt hat,
dass man alles aus dem Gefolterten herauskriegt, nur nicht
die Wahrheit.
2. Da wo ethnische und
religiöse Gruppen gefoltert
werden, wird dies zur Erniedrigung,
Vertreibung und damit zur sogenannten
„ethnischen Säuberung“ verwandt.
notwendig, in der die Patienten vergessen sollen,
was sie erlebt haben. Dies können sie meist nur
durch das noch einmalige starke Erinnern an die
schmerzhaften Erlebnisse. Zusätzlich ist es notwendig, in diesen Zeiten sehr schwer, zu versuchen, dass diese Menschen an ihre Berufe und an
ihre damalige Beschäftigung anknüpfen und eine
neue Tätigkeit ausüben.
Stellen Sie sich vor, wenn Sie morgens aufwachen und aus dem Fenster schauen und nichts
sehen. Allein das treibt Sie in den Wahnsinn. Sie
haben aber vorher Verantwortung gehabt im
familiären, kulturellen, sozialen oder politischen
Bereich. Es geht meist nur um kleine Tätigkeiten,
die Möglichkeit zum Beispiel, dass ein Physikprofessor an einem Forschungsprojekt teilnimmt
oder Ähnliches.
Apropos Rechtsstatus. Sie sprachen vorhin von
Menschen, die nach Deutschland kommen,
häufig auf illegalem Wege und hier nicht
einmal anerkannt sind. Wie gelangen
diese Flüchtlinge zu Ihrem Zentrum?
Die Flüchtlinge kommen irgendwie nach Deutschland, keiner kann
mehr richtig nachvollziehen, wie.
Meist landen Sie in Frankfurt am Main
und kommen dann nach Berlin, wo sie
in Lagern oder Heimen für Flüchtlinge
/ Asylbewerber gesteckt werden. Dort
spricht sich unsere, so wie andere
Adressen herum.
Sind die Behandlungen für die Patienten kostenpflichtig bzw. wie finanziert sich das Behandlungszentrum für
Welche Behandlung bekommen die Kriegsopfer in diesem Zentrum?
Die Menschen, die zu uns kommen, sind aus
ihren Heimatländern geflohen und wenn die hier
ankommen, haben sie noch nicht mal irgendeinen Rechtsstatus. Wenn man Glück hat, haben
sie irgendwelche Papiere aus ihrem Heimatland,
doch auch dies ist nicht selbstverständlich. Die
Kurden aus Syrien beispielsweise erhalten von
ihrem Land keine Pässe. Wenn die hier ankommen, müssen wir als Erstes dafür sorgen, dass
sie auch mithilfe von Rechtsanwälten einen
Aufenthaltsstatus bekommen. Das ist meist eine
langwierige und schwierige Prozedur. Das ist die
erste Aufgabe, die sich meist durch die gesamte
Behandlung zieht. Das Zweite ist die sozialarbeiterische Aufgabe. Wenn die Opfer nach Deutschland kommen, haben sie meist alles verloren,
das heißt, sie sind mausearm. Es geht also um
das Besorgen von Wohnungen, raus aus diesen
Lagern, Heimen. Und da fehlt dann eigentlich
alles – Kühlschränke, Öfen, etc. Also die typischen sozialarbeiterischen Sachen, die getan
werden müssen. Eine weitere Aufgabe ist, dafür
zu sorgen, dass die Leute Geld kriegen, nach den
Maßgaben des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Drittens muss ein Bericht über die physische
Folteropfer?
Erinnerung an die Erfahrungen, die diese
Menschen gemacht haben, sind immer auch
körperlich, denn die Schmerzsensoren haben ein
Gedächtnis. Wenn die Opfer starken Schmerzen
während der Folter ausgesetzt waren, so fühlen
sie genau die gleichen Schmerzen noch einmal,
wenn sie sich zurückerinnern.
Die Behandlung selbst erfolgt zum einen durch
Medikamente, die man auch aus der Psychiatrie kennt wie zum Beispiel Antidepressiva.
Das andere ist die Sozio-Therapie, das heißt
Gruppentherapie. Gerade die Frauen, aber auch
generell alle Personen aus dem mediterranen
Bereich, die in unser Zentrum kommen, fühlen
Scham und sogar Schuld, wenn sie an ihre Folter
zurückdenken. Wir haben hier zum Beispiel eine
Gruppe bestehend aus Frauen aus Tschetschenien, die sich mithilfe dieser Therapie reintegrieren können. Dann ist eine Einzel-Psychotherapie
Die Kosten, die hier anfallen, können wir uns
nicht wiederholen von der Caritas, da die Patienten nicht krankenversichert sind. Auch nicht
von der AOK, weil die Flüchtlinge nicht unter
das Sozialleistungsgesetz fallen. Wir können hier
und da bei der Jugendhilfe oder bei staatlichen
Institutionen Geld für einzelne Behandlungen
bekommen, jedoch sind das nur rund 20%. 80%
der Kosten werden aus Spenden finanziert.
In den letzten Monaten sind ja bei der Bundeswehr einige Skandale bezüglich Folter bekannt
geworden. Was geht in den Köpfen dieser Folterer vor, die nicht mehr aus den oben genannten
Motiven handeln? Kann man hier nur noch von
Sadismus ausgehen?
Das Phänomen ist schwer zu beurteilen. Wir
haben solche Soldaten auch nicht in Behandlung, aber es ist eine Zeit, in der an vielen Stellen
das absolute Folterverbot aufgehoben wird. Da
haben wir Guantanamo, Abu-Ghreib, der Skandal
um Jakob von Metzler und die Rechtsdiskussion,
die den Artikel 1 des GG „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ in Frage stellen. Dabei
wird der Begriff Würde in Kern und Peripherie
geteilt, was dazu führt, dass die Würde nicht
krieg*
mehr allgemein unantastbar, sondern nur noch
für einige Menschen unantastbar ist. Das führt
dazu, dass man Folter alle Türe und Tore öffnet
und damit rechtlich absichert, dass Folter angedroht und durchgeführt werden kann zum Ziel
der Erkenntnisgewinnung.
Wenn wir die Würde des Menschen nicht
wahren und schützen wollen, hätten wir die
Demokratie nicht erfinden müssen.
Die Bundeswehr betreffend kann ich nur
sagen, dass die Bundeswehr an sich ein geschlossenes System ist, in der offensichtlich Abhängigkeiten benutzt werden, um sadistische Gefühle
auszuleben. Dabei können die Folterer den
Unterschied zwischen Würde und Unwürde
nicht mehr machen, die Grenzen verschwimmen.
Selbst die Betroffenen haben oft anfangs gar
nicht gemerkt, was ihnen angetan wurde und
sind nur durch andere Betroffene aufmerksam
geworden und haben hinterfragt, was ihnen Tag
für Tag widerfahren ist. Des weiteren wurden sie
auch nicht gefragt, ob diese Methoden bei ihnen
angewandt werden dürfen, obwohl sie ja das
Recht zur Verweigerung haben.
Ist es nicht gerade auch in diesem Zusammenhang traurig, dass die notwendige Sensibilisierung
der Bevölkerung und der Medien noch nicht stattgefunden hat? Immerhin waren jede dieser Skandale
höchstens eine Woche in den Medien, danach
wurden sie in den Hintergrund geschoben und so
gut wie jeder hatte alles vergessen...
In der allgemeinen Schnelllebigkeit ist das
eben untergegangen, wohin gegen ein Tod eines
Papstes Wochen füllt...
So was will die Bevölkerung einfach nicht
hören. Es ist so brutal, was sich Menschen da
antun, zum Beispiel auch was damals in den StasiGefängnissen passiert ist.
Haben Sie auch Patienten, die in Stasi-Gefängnissen gesessen haben?
Ja, wir haben eine Gruppe, in der ehemalige
Stasi-Häftlinge versuchen, die Erlebnisse und
Erfahrungen, die sie in der Zeit gemacht haben,
zu verarbeiten.
Wenn die Diskussion um die Würde des Menschen und Folter im Allgemeinen geführt wird,
sehen Sie da eine Gefahr eines weiteren Zerfalls von
demokratischen Werten?
Ja, auf jeden Fall. Man hat Demokratie doch
genau deswegen erfunden. Jeder Mensch besitzt
Grundrechte und hat die Möglichkeit, diese auch
einzuklagen.
Wie kommen Sie persönlich damit zurecht, wenn
ich fragen darf?
Also erstens muss man sagen, dass ich freiwillig
hier bin. Ich mache diese Arbeit aus freien Stükken, sonst wäre ich nicht hier. Ansonsten Liebe,
Freunde, gutes Essen, Sport, eben alles, was Sie
auch brauchen, um abschalten zu können.
Wir haben uns nur diese Woche mit der Frage
beschäftigt, als wir in einem Theater waren. Der
Hauptdarsteller hat seit 20 Jahren Stücke über
den Nationalsozialismus gespielt. Da stellt sich die
Frage, ob man nicht irgendwann einen Knacks wegbekommt, weil man sich den ganzen Tag mit dem
Elend der Menschen beschäftigt ...
Man muss trennen können, das ist klar. Wenn
kriegsopfer | 35
du hier raus gehst, vergisst du, so gut es geht,
alles, was hier drin passiert ist. Es kommt mitunter auch vor, dass einen bestimmte Geschichten
bis in die Träume hinein verfolgen, aber es ist
mein Beruf, hier das Private von zu trennen.
Sie sollten da auch nicht zu intensiv und zu
lange darüber nachdenken. Mitunter werden Folterungen auch vom Vatikan unterstützt und was
in Gefängnissen in den USA geschieht ist auch
gegen die Folterkonvention.
Woher stammen die Opfer Ihres Behandlungszentrums?
Zum einen aus Deutschland, die Opfer der
Folterungen in Stasi-Gefängnissen. Weiterhin
aus Südosteuropa, aus Gebieten des ehemaligen
Jugoslawien, speziell Kosovo, aus Tschetschenien, Russland, Weißrussland und der Ukraine,
Türkei, Iran, Irak, Syrien, in denen besonders
Kurden verfolgt und erniedrigt werden, sowie
Zentralafrika, aus dem meist Kindersoldaten
kommen, gelegentlich Vietnam, Nordkorea und
auch China.
Wie gehen Sie in diesem Zentrum mit Kindern
um? Besonders mit Kindersoldaten ist die Situation
doch noch schärfer als normalerweise, oder?
Also mich persönlich rühren die Kindersoldaten immer am Meisten.
Um mal
ein Beispiel
zu bringen.
Ich selbst
behandle
einen
jungen
Mann,
der ist so
zwischen
17 und 18
Jahre alt,
man kann
das ja bei
Flüchtlingen
nie genau
sagen. Er
ist mit vier
Jahren wach
geworden
inmitten
der Leichen
seiner Familie. Man hat
sein Dorf damals angegriffen, alle umgebracht
und ihn schlichtweg vergessen. Er ist dann
dort rausgekrabbelt und hat, wie die wenigsten,
überlebt. Mit acht Jahren ist er dann im typischen
Rekrutierungsalter, zum Kindersoldat gemacht
worden. Er wurde zur Tötungsmaschine, wobei
es ja nicht reicht, einfach zu töten, sondern da
werden Arme abgeschnitten, das Herz herausgerissen etc. Nebenbei wurden ihm enthemmende
Substanzen zugeführt, um die letzten Hemmschwellen abzubauen. Zusätzlich kommt bei den
Kindersoldatinnen hinzu, dass diese permanent
sexualisierte Gewalt erleben.
Irgendwann sind die Kinder zu alt oder geraten
eben durch Zufall an einen Entwicklungshelfer
und werden nach Europa geschafft.
Wenn die Kinder oder junge Erwachsene hier
nach Deutschland kommen, sind sie schwerst
gestört: Sie haben keine Familie mehr, sie hatten
keine Kindheit, sie haben nur als Tötungsmaschine funktioniert, haben keinerlei Ausbildung,
das heißt sie können schießen, aber nichts
anderes.
Das ist eben Krieg pur in den Menschen, auch
wenn sie hier in der Tür stehen. Das sieht man,
die Menschen sind total gebrochen. Selbst wer
nichts von Krieg versteht, braucht nur einmal in
die Augen dieser Kinder zu gucken und versteht alles. Wenn man in ihre Augen guckt, dann
können sie dich zwar sehen, sie haben Augenlicht, aber da ist nichts, sie sind tot.
Wie lange dauert durchschnittlich eine solche
Behandlung?
2 Jahre ungefähr mindestens. Bis dahin sind
die Erinnerungen an die Erfahrungen fast
ausgelöscht, die Person hat einen Rechtsstatus in
Deutschland, hat einen Ausbildungsplatz, geht
vielleicht schon eine Beziehung ein und bildet
einen Freundeskreis.
Behandeln Sie nur die Opfer von Folterungen
oder kooperieren Sie auch mit anderen Organisationen, um gegen Folter anzukämpfen?
Wir behandeln und haben durch die mittelbare
Zeugenschaft die Pflicht, etwas dagegen zu unternehmen. Wir kooperieren mit Amnesty International, Human Rights Watch, dem Bundesbe-
auftragten für Entwicklungshilfe und Anderen,
publizieren selbst und organisieren beispielsweise
Vortragsreihen.
Wie viele Menschen behandeln Sie durchschnittlich?
Im Jahr behandeln wir rund 500 Patienten.
Einige kürzer, einige nur, um ein physisches und
psychisches Gutachten zu erstellen.
Noch eine letzte Frage: Ist es nicht ein Kampf
gegen Windmühlen, wenn man selbst versucht,
Folter zu verbieten und dagegen zu agieren und
gleichzeitig eine Bundesrepublik Deutschland das
Waffenembargo gegen China aufhebt?
Ja, es ist schon absurd und verrückt.
Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Mehr unter: www.bzfo.de
36
|
politik orange
fast vergessen
E
inen Krieg zu führen ist nie einfach und
ohne Verluste ist solch ein Konflikt auch
nicht zu überwinden. Kann es etwas schrecklicheres geben, als den blutigen Kampf zwischen
zwei Gruppen von Menschen?
Vielleicht ja: Was ist, wenn man den
Feind nicht sieht? Er überall lauert?
Man nicht einfach kapitulieren, keine
Friedensverhandlungen führen kann?
Teilen Afrikas gilt: Es gibt keine Waisen, hier
greift die Großfamilie. Doch was passiert, wenn
diese Großfamilien schrumpfen? Wenn es halbe
Familien hinwegrafft?
Die eine Seite: The lost
generation
Im Subsahara-Afrika leben etwa
600.000 AIDS-Waisen, einige selbst
HIV+, andere von der Ansteckung
verschont. Die Eltern früh an der
unheilbaren Krankheit gestorben;
somit scheint eine ganze Elterngeneration verloren zu sein. Großeltern, oft
schon alterskrank und auf Hilfe angewiesen, sehen sie sich mit einer neuen Situation
konfrontiert. Sind sie eigentlich in dem Alter, wo
sich ihre Kinder um sie kümmern sollten, müssen
sie noch einmal zu Höchstformen auflaufen und
sich um ihre Kindeskinder sorgen.
Ein fiktives Beispiel: Mamhlope hat ihr 70.
Lebensjahr erreicht. Sie hat zwei Kinder geboren.
Beide hatten Familie und haben ihr einen Teil
des Einkommens zukommen lassen um ihr das
Leben zu erleichtern. Nachdem beide Kinder
Die andere Seite: Es war
einmal...
Trotz dieser Ausmaße, aus denen man doch
auf eine Auseinandersetzung mit der Gefahr
hoffen sollte, scheint ein Ende der Epidemie weit
entfernt. Im Jahr 2004 infizierten sich im Subsahara-Afrika allein ungefähr 3,1 Millionen Menschen. Ein Großteil der Bevölkerung ist betroffen, fast jeder hatte mindestens einen auf AIDS
zurückführbaren Todesfall in der Familie oder
kennt wenigstens eine Person die an AIDS starb,
doch trotzdem ist und bleibt diese Krankheit ein
Tabuthema.
Angesprochen
auf den Tod
einer Person,
wird man
nur in den
seltensten
Fällen AIDS
als Antwort
bekommen,
eher genannt
Es gibt Kriege, die immer aussichtloser werden, weil niemand hilft. Zum Beipspiel der gegen
werden da
Malaria und
HIV/AIDS. Afrika wird damit sträflich alleine gelassen. Auch von uns. Von Charlott Ebert
Tuberkuan den Folgen der HIV-Infektion gestorben
lose. AIDS bekommen nur schlechte Personen,
sind, fällt für Mamhlope nicht nur die finanzielle
unreine und gottlose. Personen, mit denen man
Unterstützung weg, sondern es kommt auch
nichts zu tun haben möchte.
eine enorme Belastung auf sie zu. Ihre sieben
Auch der Umgang in der medialen und poliEnkelkinder heißt es zu versorgen. In Afrika
tischen Öffentlichkeit mit dem Thema oft so
konträr, dass man als Bürger wahrscheinlich das
bedeutet das meistens neben den anfallenden
heraussucht, wo dran man gerne glauben würde.
Nahrungsmitteln, auch Schulgebühren und
So lernt in der Republik Südafrika zwar jeder
Schuluniformen. Die Enkelkinder sind in einem
Teufelskreis gefangen. Ihre schulische Ausbildung Schüler, wie man sich mit HIV infiziert, doch
propagiert gleichzeitig die Gesundheitsministerin
werden sie nicht abschließen können, die daraus
Manto Tshabalala-Msimang, dass eine Diät besteresultierende Armut mündet oft in Kriminalihend aus Knoblauch, Zwiebeln, Olivenöl und der
tät und Prostitution. Letzteres birgt wieder die
afrikanischen Kartoffel AIDS-Kranken helfen
Gefahr einer HIV-Infektion, denn mit Sex ohne
würde und zweifelt Präsident Thabo Mbeki
Kondom lässt sich locker das doppelte einnehden Zusammenhang zwischen HIV und AIDS
men. Einige der 7 Enkelkinder werden vielleicht
an. Hier muss man als Mediziner verzweifeln,
gar nicht soweit kommen, sie wurden schon
herrscht trotz der von vielen angenommen christwährend der Schwangerschaft von ihren positiven Müttern angesteckt. Oder sie werden später
lichen Religion auch weiterhin ein starker Glaube
außerhalb der Prostitution angesteckt. Besonders
an Geister, Hexen und Heiler. Unsummen
Mädchen laufen dieser Gefahr, den weit verbreiwerden an Wunderheiler, sogenannte Sangomas,
tet ist in Afrika der Glaube, dass der Sex mit einer bezahlt, die damit werben AIDS zu heilen.
Dies ist für viele die scheinbar letzte Lösung,
Jungfrau von AIDS heilen könnte. In Folge der
den die lebensverlängernden Medikament kann
verbreiteten Ansteckung werde die Opfer dieser
sich in Afrika kaum jemand leisten, aufgrund
Gewalttaten immer jünger.
der hohen Zahl von Erkrankten können HilfsDoch nicht nur Großeltern müssen unerwartet die Elterngeneration ausfüllen, auch Tanten,
organisation sich nur mit einem Bruchteil der
Großtanten und Schwestern, denn in vielen
Betroffenen befassen und die antiretroviralen
Krieg
Medizin scheint in einigen Ländern auch zum
Spielball der Politik geworden zu sein. So werden
in Zimbabwe gerade einmal 3% derer, die sofort
einen Zugriff auf diese Medikament bräuchten, versorgt. Denn dieses Land gilt
dank Präsident Mugabe als undemokratisch und Anti-West gerichtet, so
fokussieren Weltbank, UN und Bushs
AIDS-Initiative sich lieber auf andere
Länder. Doch solange sich nichts in der
Einstellung von Politikern und dann
übergreifend auch der Bevölkerung
tut, wird Afrika wohl weiter kämpfen müssen. Einen fast auswegslosen
Krieg, der dem schwarzen Kontinent
schon eine Generation stahl...
UNSICHTBAREN
gegen den
FEIND
Morgens halb zehn in Deutschland.
Auf der einen Seite des Kontinentes sterben
einige hundert Leute an AIDS und auf der anderen brüht man sich erst einmal Kaffee. Deckt den
Frühstückstisch. Führt den Hund Gassi. Holt die
Zeitung herein. Die News über tödliche Krankheiten wie SARS und BSE haben einen abgehärtet, die Angst ihnen gegenüber ist geringer
geworden und morgens halb zehn in Deutschland
denkt wohl kaum jemand ernsthaft an diese
andere immer noch nicht heilbare Krankheit:
AIDS, außer vielleicht den 44.000 HIV-Infizierten
2003 stieg erstmals nach 1997 die Zahl der Infizierten wieder an. Eine neue Sorglosigkeit zieht
ihre Kreise. Die Mich-wird-es-schon-nicht-erwischen-Einstellung ist weit verbreitet. Nur jeder
dritte Deutsche hält AIDS für eine gefährliche
Krankheit. Obwohl oder vielleicht weil man fast
täglich mit Safer- Sex- Kampagnen konfrontiert
wird, nimmt man diese kaum noch wahr. Auch
hilft die Pharmaindustrie in ihrer Werbung dabei,
das Bild von HIV und AIDS zu verzerren. „Die
Zukunft erleben, die Gegenwart vereinfachen.“
Man könnte meinen man spreche nicht mehr von
einer tödlichen Krankheit sondern von einem
überwindbaren Stadium.
Zwar würde in der westlichen Welt niemand
behaupten, dass HIV und AIDS in keiner Verbindung stehen, die afrikanische Kartoffel wird hier
nie als Heilmittel eben jener Krankheit bezeichnet
werden und man versucht Aufklärung in jeder
Sachlage zu gewähren, aber trotzdem ranken sich
auch hier die Mythen um das Thema.
Lange glaubte man, dass AIDS nur eine Krankheit der Schwulen wäre, doch sind 20% der Neuinfizierten weiblich. Die Seuche verbreitet sich
auch unter Heterosexuellen immer stärker und
obwohl sich diese meistens beim Geschlechtsverkehr mit Drogenabhängigen oder Sexualpartnern
aus stark betroffenen Ländern infizieren, ist die
Gefahr nicht zu unterschätzen.
AIDS ist nach ihrem (medialen) Höhepunkt
in den 80iger Jahren zu einer vergessenen Sorge
geworden. Man liest die Zahlen der Toten in den
Entwicklungsländern und sieht ein Problem der
3.Welt. Mit unserer Sorglosigkeit sind wir zu einer
guten Angriffsfläche geworden.
Was ist, wenn man den Feind nicht sieht? Er
überall lauert? Man nicht einfach kapitulieren,
keine Friedensverhandlungen führen kann?
Dann steht man einer der gefährlichsten
Krankheiten der Jetzt-Zeit gegenüber.
krieg*
in eigener sache | 37
impressum
politikorange – frisch, fruchtig, selbstgepresst
[email protected]
politikorange ist ein Netzwerk zur
Demokratieoffensive. Der Vorsatz: informieren, motivieren und
aktivieren. Etwa 20 junge Medienmacher verwirklichten im März
2002 die Idee einer unabhängigen
Zeitung, die seitdem mit wechselnden Schwerpunktthemen und
wechselnden Partnern erscheint und
von jungen Redakteuren aus ganz
Deutschland gestaltet wird. Von
Jugendlichen für Jugendliche. Der
Aufruf dazu erfolgt in der Regel im
Internet unter www.jugendpresse.de
und www.politikorange.de.
> Wer ist politikorange?
Du bist politikorange! Du und viele
andere engagierte junge Menschen,
die am Medienmachen interessiert
sind und mitbestimmen wollen.
Bisher sind die Jugendpresse
Deutschland, die Servicestelle
Jugendbeteiligung, das Hausaufgabenheft „Häfft“ und die BundesschülerInnenvertretung dabei. Aber
schon viele andere Initiativen und
Anzeige:
Verbände haben Interesse bekundet, sich in den Dienst der Idee von
politikorange zu stellen. Und wenn
du mitmachen willst, egal ob als
Einzelperson oder als Initiative, bist
du herzlich willkommen.
> Was ist politikorange?
> politikorange.de - ist eine
unabhängige Plattform für politikinteressierte, junge Menschen, mit
Datenbanken über interessante Projekte und Organisationen, sie gibt
Hilfen bei der Projektorganisation,
und veranstaltet Diskussionsforen
zu verschiedenen Themen.
> politikorange gibt es auch als
Magazinbeilage in der Berliner
Tageszeitung taz - mit Artikeln aus
Politik, Lifestyle, Szene, Medien und
vielen wichtigen Infos zu Beteiligungsmöglichkeiten. Ihr seid dabei:
Als Redakteure, Layouter oder
Fotografen.
> politikorange - die Zeitung. Bei
Veranstaltungen entsteht innerhalbweniger Tage eine Zeitung, die die
Veranstaltung kommentiert und
begleitet. Noch vor Ort erhalten die
Teilnehmer das fertige Produkt. So
zum Beispiel haltet Ihr gerade die
Zeitung krieg* in Händen, die sich
mit zahlreichen Aspekten von Krieg
und Frieden beschäftigt.
Unter www.politikorange.de und
Veranstaltungen erfahrt ihr, wo die
nächste politikorange gemacht
wird. Dort könnt ihr euch auch als
Redakteure anmelden.
> politikorange - die Veranstaltungen. Veranstaltungen, die von
Jugendlichen selbst organisiert und
konzipiert sind, sollen nicht länger
nebeneinander stattfinden, sondern
in einen Zusammenhang gestellt
werden. politikorange hat einen
politischen Anspruch, will Jugendlichen die Möglichkeit geben, sich
eine Meinung zu bilden und diese
natürlich frei zu äußern.
Wenn du diese Ideen spannend
findest und Lust hast, dich mit einzuklinken, melde dich einfach bei
[email protected]. Ums
mitmachen gehts. Alle Ideen sind
willkommen. Bis bald.
krieg* – sucht die friedliche Auseinandersetzung mit
dem Thema Zweiter Weltkrieg und Krieg - über den 60.
Jahrestag der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus hinaus. krieg* wurde im April 2005 von jungen
JournalistInnen aus Polen, Russland, Frankreich, England,
USA und Deutschland in Berlin produziert. Das politikorange Magazin entstand mit finanzieller Unterstützung
der Bundeszentrale für politische Bildung, aber inhaltlich
unabhängig von ihr. Namens-Beiträge spiegeln nicht
unbedingt die Meinung der Redaktion oder bpb wieder.
Herausgeber und Redaktion:
politikorange - Netzwerk Demokratieoffensive
c/o Jugendpresse Deutschland e.V.
Grolmanstraße 52, 10623 Berlin
Tel. (030) 450 865 50, Fax (030) 450 865 59
www.jugendpresse.de, [email protected]
Chefredaktion (V.i.S.d.P):
Holger Kulick ([email protected])
CvD und Sonderkorrespondentin aus Israel:
Katrin Hünemörder ([email protected])
Organisation:
Alexandra Wrann (jp), Ronald Hirschfeld (bpb)
Redaktionsteam dieser Ausgabe:
Lisa Badun, Peter Rickerby, Karoline Gajewska, Sveta
Sorokina, Ewa Zuk, Lidia Puka, Joshua Kleinsorge, Julia
Kolbert, Charlott Ebert, Mare Sevenig, Nastya Ivanova,
Andreas Weiland, Julia Hinz, Valerie Kittlitz, Frank
Ambühl, Alice Arslanagic, Caspar Rehner, Jochen Markett,
Armand Gosme, Friederike Ludewig, Ralf Fischer, Christian
Beilborn, Steffi Nürnberger, Raymond Romanos
Gestaltung: Jona Hölderle ([email protected])
Fotos: Holger, Joshua, Kaddi, Leif, Lidia, Björn sowie Paul
Hahn (peace counts) und Karol Grygoruk.
Weitere Fotos von www.photocase.de.
Druck: Gruner + Jahr Berliner Zeitungsdruck GmbH
Auflage: 20.000 Exemplare
38
|
politik orange
nachworte
FRIEDEN
Charlott
When thinking of peace, I see in front of me the
highest an geratest aim to reach. It is not only a
goal but the way itself too. Peace is nothing like
the Garden of Eden for you always have to have
work to make its existance possible an stable.
When thinking of peace, immediatly things come
to my mind which destroy the peace: political
conflicts, famine and blindness.
Sometimes we say that somebody felt asleep
peace - fully and will now rest in peace. We
should hope that there will be peace on earth
before it is dead, destroyed by your our hands.
Steffi
Frieden. Ein grosses Wort. Wenn ich an Frieden denke, dann denke ich zugleich an Krieg.
Frieden also als Gegenstück zum Krieg.
Wie ich mit dem Krieg ausschliesslich Negatives verbinde, so assoziiere ich mit Frieden nur
positive Dinge. Schon die Farbsymbolik stellt den Kontrast heraus. Weiß gegen blutrot. Blau
gegen schwarz. Auch in symbolischen Gesten stecken Bilder des Friedens. Im Frieden schütteln sich Staatsmänner die Hände. Im Frieden sitzt der Weiße neben dem Schwarzen in der
Kirche. Frieden schafft also Völkerverständigung. Da der realexistierende Zustand aber ein
anderer ist, wäre es wohl angebrachter zu sagen: Der Friede sollte ... Im Frieden sollten ...
Alice
Andreas
Es ist so ein schönes Wort - Frieden. Jedoch habe ich keine
Ahnung, was das bedeutet. Nicole wollte „ein bisschen Frieden“ & Familie Bush überall Frieden mit Waffen.
Am meisten tun mir die Leute leid, die das Wort Frieden im
Äther hören müssen, wenn gerade Bomben auf ihr Dorf niederregnen & dies alles zu ihrem Besten sein soll.
Frieden ist für mich das Gefühl, was ich habe, wenn ich morgens aufstehe & keine Angst um mein Leben haben muss.
Leider kann da nicht jeder Mensch von sich behaupten.
John Lennon sagte es am Besten: „give peace a chance“.
Für alle ....
Julia
„Frieden ist, wenn alle gleich sind“, sagen Kettcar, eine Band aus
Hamburg. Doch wahrscheinlich ist selbst dann Frieden eine Utopie ein Zustand, der NIE eintreten wird. Haben Menschen die Intelligenz,
zusammen zu arbeiten? Haben Menschen die Intelligenz gegen
Armut, Aids und Ungerechtigkeit zu kämpfen und nicht mit?
Frieden heißt:
Nicht gleich losschreien, wenn ein Problem auftaucht.
Nicht gleich schlagen, wenn ein Problem auftaucht.
Nicht gleich losbomben, wenn ein Problem auftaucht.
Nicht gleich abknallen, wenn ein Problem auftaucht.
Der Wille zum Frieden fehlt. Frieden ist nicht selbstverständlich, kein
Zustand, an dem jeder arbeitet.
Weltveränderung, Gehirnwäsche, Bürgerkrieg, USA, Russland, Nachrichten; Gefängnis. Erreichbar?
You learn the importance of
things only when you loose them.
Therefore without war there can‘t
be peace neither.
You can‘t explain peace to a soldier who has seen his friends die
in front of him. Neither can you
speak of peace to a child that is
still crying for his dead parents.
But peace is like a ray of sun an
gray world. When is spreads over
the heads of those who have
survived it is like a sudden sign
for life. Peace is fragile and it
requires so many lives to be given
that I wonder ....
Sveta
Peace is not just a word in the opposite
to war. It has much deeper meaning. It
seems so that it‘s something very easy,
something extremely common. It seems
that we are born with it and we don‘t
need anything to confirm it. Like water.
Or sun. But why then it is necessary to
fight for it? Why are there people who
prefer war? Why should we always
prove that peace is the necassary condition for love and happiness? In Russian
„peace“ is also the word for „world“.
This means that a happy world should
be always together with peace.
Nastya
What is peace? The question is very interesting and
the topic is very meanigful. Peace ia the absence
of wars, fights an killings,
absence of huge quarrels
people don‘t want to regulate in a peaceful way. Peace
is when people have one
mutual whish to solve the
problems discussing them
is a wise way without using
fists, guns, nives etc. Peace
is when people respect each
other and respect processions and „men-processions“ of other people, other
nations. Can people live in
such way? Can all people be
wise and respectful in their
attitude to the others without
awild wish to have more
territories, more weathes,
more expensive and beautiful things? Good questions. I
think it‘s impossible. Though
it‘s good at least to try to
obey the rules, to try to be
happy with what you have,
to try to be kind to people
who are around you and ...
to try to be humanlike.
krieg*
nachworte | 39
Jeder von uns hat in 100 Wörtern alles erklärt. Obwohl es noch einfacher
wäre: Frieden ist das Gegenteil von Krieg. Oder nur die Zeit zwischen zwei
Kriegen?
Ewa
Julia
I remember when I saw the
musical „Hair“, directed by
Milosh Forman, for the first
title. Then I was around eleven
years old. I was captivated and
fascinated by the atmosphere
of the American seventies. I
thought we missed some joy and
spontaniety.
Peace is the only thing which
gives me the felling of savety.
Without it we cannot solve the
problem of hunger, humilitation
an hatred.
Peace should be our aim and we
cannot forget about it‘s means.
The tolerance appears to me
as one of the most important of
them.
How to seek the key to this?
Lass mich in Frieden!
Lass mich in Ruhe!
Frieden ist Ruhe, Ruhe ist Frieden.
Wie sehr genieße ich es, Sonntag morgens auszuschlafen, den Tag
ganz ruhig beginnen zu lassen.
ich höre meinen Atem und meinen Herzschlag. Über nichts muss ich
mir Sorgen machen, friedlich in den lauen Tag erwachen.
Habe ich ein schlechtes Gewissen wenn ich so vor mich hinträume?
Ganz selten ....
Ab und zu schleicht sich in der Gedanke in meinen Kopf, dass im
gleichen Momemt anderswo auf der Welt der Lärm des Hasses brüllt.
Und obwohl er so laut schreit, kann ich ihn kaum hören. Zu gut ist
mein Bett gepolstert.
Lass mich doch in Ruhe Gedanke an den Lärm, zum Schlafen braucht
man Stille.
Doch zu spät, jetzt bin ich wach.
Nun muss ich nur noch aufstehen.
Mare
Lidia
Caspar
Frieden folgt nach einem Krieg.
Frieden ist Wünderschon. Frieden ist die Blüte einer Blume.
Frieden ist das Gefühl von Zuversicht.
Frieden ist Zukunftsperspektive.
Frieden respektiert alles Leben.
Frieden ist Zusammengehörigkeit, Ausgeglichenheit,
respekt, Gerechtigkeit, Liebe, Freiheit, Demut, Gleichheit.
Frieden ist das Gegenteil von Angst und Hass.
Ohne Frieden würde es sich nicht lohnen zu leben.
In Friedenszeiten schöpft man Kraft.
Frieden schließt einen Vertrag mit seinen Feinden.
Frieden benutzt keine Waffen.
Oder muss man Frieden doch vetreidigen?
Freiden benötigt die Bereitwilligkeit aller.
Frieden ist solange wertvoll, wie man den Krieg noch nicht
vergessen hat.
Krieg und Frieden sind die Spiegelbilder unserer Herzen.
Meiner Meinung nach gibt es zwei Arten von Frieden.
Einmal den politischen Frieden welcher durch die Abwesenheit von Krieg definiert wird. Allerdings gibt es auch
in Ländern wo dieser Friede herrscht, z.B. unter Diktaturen, Menschen die nicht in Frieden leben können. Damit
wirklich alle Menschen in Frieden leben können ist also
auch eine Art persönlicher Frieden notwendig, welcher
größtenteils darauf basiert, dass jeder in seinem denken
und Handeln frei ist, jedoch durch sein Handeln niemand anderen in seiner Freiheit einschränkt. Man kann
also sagen, dass Frieden nur dann möglich ist, wenn
sich alle Menschen gegenseitig achten und respektieren.
ein projekt von:
Peace is the state of perfect
harmony and safety; lach of
danger, uneasiness, violence.
An idyllic dream, great wish
of nations and societies that,
somehow, cannot be obtained.
Peace is a necessay condition to
express the opinion, emotion,
creativity of every individual.
Teh basis for the creation of teh
beauty and arts, the basis for
humanity and incarnation of the
human rhights.
Peace is the state of mind and
philosophy of living. Do not
harm an always respect the
others, forgive, be tolerant,
help. An inward sparkle of a
goodwill that may change your
life and the lifes of the others.
„Imagine all the people ... „
Peace is very unpopular, not
attractive, too demanding,
hence, neglecleted media
subject
Peace is my wish.
Armand
We have to make a distinction between peace and pacifism.
Peace is a concept, pacifism is an attitude.
Pacifism is a good way to wont be the ennemy, but it is also a good way to
say „yes“ to anybody.Peace doesn‘t exist, cannot exist, because a soldier
must find an ennemy, if he can‘t find one, he can make a putsch or maybe
organize a revolution. The soldier don‘t want to make peace, the soldier is
always a man (or almost a woman). Solution: a world led by women.
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politik orange
kriegsende
1944 / 1945
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
krieg
mai
Ernst Jandl (1925 - 2000)