Daten Traci Lords - Gundolf S. Freyermuth

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Daten Traci Lords - Gundolf S. Freyermuth
1992
Reprint
KA!BUMM ...
Keine Engel mehr in Los Angeles.
Die Stadt eine Hölle, und diese Frau
Feuer und Flamme: Traci Lords.
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Von Gundolf S. Freyermuth
vol. 2009.11
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KA!BUMM ... Porträt Traci Lords
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Inhalt
Daten Traci Lords............................................................3
KA!BUMM.......................................................................5
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Daten Traci Lords (geb. Nora Kunzma)
Geburtsdaten: ca. 1969 in Steubenville, Ohio
Wohnsitz: Los Angeles
Familie
Mutter Journalistin, Vater abwesend. Eine ältere, zwei jüngere Schwestern.
Ausbildung
Seit dem fünfzehnten Lebensjahr Praxis als Porno-Darstellerin, seit dem achtzehnten Lebensjahr an der
Lee-Strasberg-Schauspielschule in Los Angeles
Top-3-Filmrollen
Krankenschwester in Jim Wynorskis Remake von Roger Cormans Horror-Sci-Fi-Billigfilm Not of This Earth (1988)
• Gang-Girl Wanda Woodward in John Waters’ Teen-Rock-Schmalzer Cry Baby (1990) • Miss Tress in Adam Rifkins
Slapstick-Flip-Flop Nutty Nut (1992)
Nebentätigkeit
Gastsängerin der »Magic Street Preachers«
Leidenschaft
ein Glas Champagner und ein langsamer Tanz mit ihrem Ehemann
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Interview Daten:
29. April 1992 in South Central Los Angeles
Top-5-Zitate
»Bei den Porno-Geschichten ging es nie um Sex. Sex war nur das Endergebnis ... Mein wahrer Liebhaber war das Kokain.« • »Jedem Vergnügen folgt die Strafe auf dem Fuß: Sex zieht
Strafe nach sich, und Drogen ziehen Strafe nach sich.« • »Ich bin jetzt seit vier Jaähren
clean. Ich begehe immer noch viele Fehler, aber ich begehe sie mit klarem Verstand.« •
»Weil ich nicht so dumm bin, alles hinzunehmen, sagen die Leute, ich provoziere.« • »Ich
glaube, Hollywood ist sich noch nicht im klaren darüber, was es mit mir anfangen soll. Ich
schleiche also von Büro zu Büro und sage: Hallo, hallo, es gibt mich noch.«
Kritische Stimmen
»Manchmal tat ich so, als hätte ich imaginäre Begleiter. Keine Kaninchen von ein Meter
achtzig Größe, denn das ist die Phantasie von jemand anderem, sondern imaginäre Geschöpfe wie Pia Zadora, Bo Derek und Traci Lords. Traci war eine besonders angenehme
Gesellschaft, aber ich schwöre bei jeder Flasche Chianti, die ich geleert habe, dass ich
keine Ahnung hatte, wie minderjährig sie war.« (Merrill Shindler 1987 in seiner PlayboyKurzgeschichte »Honeymoon for One«) • »Sie zeigen mir das Foto von irgend jemandes Hinterteil. Wie soll ich wissen, ob es das meiner Tochter ist?« (Mutter Patricia Briceland 1989
zum Staatsanwalt während des Kinderpornographie-Prozesses um Traci Lords) • »Sie ist die
Mae West der neunziger Jahre.« (Regisseur Adam Riffkin)
Photo: www.wikipedia.com
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1B
Kapitel
UMM! BUMM! Eine schnelle Serie von Schüssen explodiert in dem niedrigen, fen-
sterlosen Gewölbe. Für Zehntelsekunden dröhnen nur die Ohren. Dann: KA!BUMM ...
Und der röchelnde Schrei eines Mannes.
»KA!BUMM ...«, lacht Traci Lords: »Das war ich. Ich hab’ das Schwein umgelegt.«
Es ist tiefe Nacht für jeden, der sehen kann. Doch Traci Lords kann nichts sehen. Sie
trägt eine gewaltige Sonnenbrille, die alles Restlicht verschluckt.
»Jetzt wird der Gegenschuss gedreht. Ich bin nachher erst im Bild.«
Mit wachwandlerischer Sicherheit lotst mich ihre dürre Silhouette – lange strähnige
Haare, gewaltige Brüste und der Rest ein Strich – durch die verrümpelten Katakomben
in Richtung eines fernen Lichtscheins.
Filmsets sehen immer schäbig aus; egal, ob in Cinecittà oder Geiselgasteig, Burbank
oder Babelsberg. Irgendwo muss gespart werden, damit sich die Produzenten ihr Büro,
ihre Flops und ihr Ego leisten können. Der Glanz, den wir Kinoverrückten lieben, ist
künstlich und kommt erst aus der Kamera. Aber gegen diesen Bühnenbild-Bunker aus
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Andeutungen und Abfall, gegen diese stinkende, vierzig Grad heiße Hölle scheint selbst
die abgewirtschaftete Defa noch glamourös.
Wie ein Schwarm Blutegel fällt die verbrauchte feuchte Luft auf die Haut und saugt
sich klebrig an ihr fest. Am schmutzigen Boden ist die Kellerflucht durch ein Dutzend
Gitterkäfige unterteilt, zwischen denen die Ratten Fangen spielen. Von der niedrigen
Decke drohen zwischen Heizungsrohren und Kabeln die Schatten eines dichten Labyrinths von Spinnweben.
Nur halbkaputt wie hier unten ist es über der Erde nicht. Um Alameda und Vernon Avenue sieht South Central L.A. aus, als sei der Bürgerkrieg, der an diesem stickigen Frühlingsmittag gerade haarscharf bevorsteht, bereits vor Jahren verloren worden. In den
postindustriellen Mondtrümmern treibt sich einzig herum, wer unbedingt muss – wie
der Trupp Billigfilmer um Regisseur Charles Kanganies und Co-Produzentin Traci Lords.
Für ihren mit zwei Millionen Dollar unterfinanzierten Thriller »Intent To Kill« nutzen sie
die licht- und lärmgeschützten Gewölbe unter den verlassenen Fabrikhallen anstelle
unbezahlbarer Studiobühnen.
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T
raci Lords trägt verwaschene Bluejeans und ein verblichenes T-Shirt, aus dem ihre
dünnen Kleinmädchenarme herausbaumeln. Die Hauptdarstellerin muss sich für die
nächsten Szenen schminken lassen. Ihre Maskenbildnerin hat sich mit einem kleinen
Köfferchen voller Pasten und Quasten in einen der Gitterkäfige geflüchtet. Traci Lords
setzt sich auf den wackligen Holzstuhl vor dem wackligen Tisch und starrt in den angelehnten Badezimmerspiegel.
Im Presseheft zu ihrem vorletzten Film Nutty Nut, einer wilden Slapstick-Komödie,
steht zu lesen, sie sei die »Mae West der neunziger Jahre«. Aus der glatten Miene im
Spiegel spricht soviel Intelligenz wie ein Stummfilm Worte macht. Mae West, das Original, war provokativ, maßlos und aggressiv, eine »Statue of Libido«. Die Frau als Jäger,
nicht als Gejagte: »Elf, elf, Sie sind elf meine Herren, das ist zuviel für eine Nacht. Das
geht nicht. Wenigstens einer wird verzichten müssen.«
Wenn Traci Lords also die neue Mae West ist, kann ich jederzeit als Enkel von Egon Erwin Kitsch, dem Preiswerten, durchgehen. Denke ich mir, weil ich ein ziemlicher Rassist
bin und kurzsichtig wie alle Rassisten und deshalb strohblond umstandslos mit strohdoof
verwechsle.
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»Du hast keinen von meinen Pornos gesehen, nicht wahr?« fragt Traci in meinen Blick
hinein, während ihre Wimpern und Augenlider dunkel gepinselt werden.
»Wieso?«
»Du starrst mich an wie alle Kerle. Aber du schaust noch neugierig.«
Und genau das bin ich. Denn dass diese Frau lebt, ist eins der Wunder, wie es sie eigentlich nur in Hollywoodfilmen gibt. Eine Wiederauferstehung, die ich erst so richtig
begreife, als sich meine Vorurteile bereits auf dem Rückzug befinden und ein Mitspieler
in die Maske kommt, Traci macho-smart anmacht und sie ihn kurz ansieht und sagt:
»Für Typen wie dich bin ich nicht mehr dumm genug.«
K
A!BUMM ... Kopfschuss. Traci Lords, die Überlebende, macht keine Gefangenen
mehr. Sie ist dreiundzwanzig Jahre alt, knallhart, witzig, abgebrüht und furchterregend
rücksichtslos. Auch sich selbst und ihrer kaputten Vergangenheit gegenüber.
An ihrem fünfzehnten Geburtstag hieß sie noch Nora Kuzma und war so todunglücklich,
wie ein Teenager nur sein kann. Ihre Mutter – eine Journalistin, womit die harte Kindheit ausreichend bewiesen ist – war einem Kerl hinterher gezogen, aus einem Kaff in
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Ohio nach Kalifornien; ihre vier Töchter im Schlepptau. Nora, die Zweitälteste, fühlte
sich wie Aschenputtel in La-La-Land.
»Die kalifornischen Mädchen waren alle so perfekt, braungebrannt, redegewandt,
sportlich, sexy. Und ich war ein Trampel vom Dorf mit lockigen dunklen Haaren,
schneeweißer Haut und diesen gewaltigen Titten, mit denen mich alle aufzogen. War
ein richtiger Schock, bin über Nacht gewissermaßen von den Kühen auf die Prostituierten gekommen.«
Gerade Teenie, fing Nora an, sich mit jeder Droge vollzupumpen, die sie sich unter ihre
abgeknabberten Nägel reißen konnte.
»Meine Mutter hätte mich einsperren und den Schlüssel verschlucken sollen. Die Welt
war so verwirrend. Und niemand hat versucht, sie mir zu erklären.«
Drei Wochen, bevor sie sechzehn wurde, ist Nora dann von zuhause abgehauen. Sie
verschaffte sich einen Führerschein, der sie als eine Zwanzigjährige namens Traci Lords
auswies, und beschloss, ihre einzigen Wertgegenstände zu Geld zu machen.
»Ich hab’ mir gesagt, zu irgend etwas müssen diese Riesentitten gut sein.«
Sie bewarb sich auf die Anzeige einer Modell-Agentur und stieg in der Drogen- und
Sexszene des Sunset Boulevard ruckzuck zum Superstar auf. Bisweilen liefen drei Ka-
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meras gleichzeitig, während sie über alles herfiel, was in Reichweite geriet. Ihre wild
entschlossene Begeisterung trieb den abgeschlafftesten Profis ein wenig Erregung in die
ermüdeten Glieder. Bald war sie berühmt dafür, dass sie sich noch weitermühte, wenn
der Regisseur schon lange »cut« gerufen hatte.
»Damals dachte ich, das wäre die tollste Zeit meines Lebens. Ich habe es genossen.
Oft habe ich an einem Abend gleich mit mehreren Männern rum gemacht. Ich habe gar
nicht gemerkt, dass ich dabei war mich umzubringen.«
Während Drogen und Aids immer größere Lücken in die Schar ihrer Partner rissen,
drehte Traci die Schraube Stück für Stück weiter. Sie wollte nicht zu den Opfern, sie
wollte zu den Tätern gehören.
M
an sagt, Sie sind ein großer Feinschlecker«, begrüßte die Sechzehnjährige beim
ersten Treff Artie Mitchell, den Altmeister allen Schweinkrams.
»Nora wurde sehr hart, sehr kalt, während sie diese Filme machte«, klagte ihre Mutter
Patricia Briceland, als man ihr 1989 die Werke mit so ausdrucksstarken Titeln wie Prisoner of Pleasure und Lust in the Fast Lane vorführte und sie bat, das jeweilige Alter
ihrer Tochter zu schätzen.
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Denn vor Gericht gestellt wurden Tracis siebenundvierzigjähriger Ex-Agent James Marvin Souter und zwei ihrer Produzenten nach einem Kinderpornographie-Paragraphen. Er
sorgte dafür, dass Tracis triebstarkes Jugendwerk in den USA komplett verboten ist. In
Deutschland allerdings sind die Videos legal und problemlos zu haben. Und so konnte
ich, im Zuge harter Recherchen, derweil zwei der über siebzig Pornitäten betrachten,
die sie zwischen sechzehn und achtzehn gedreht hat und in denen, aus jeder denk- und
dankbaren Perspektive und auf voller Spielfilmlänge, gesaugt, geleckt und in alle geeigneten Körperöffnungen gestoßen wird.
Neben vielem anderen zeigen die Streifen zwar auch, dass der damalige Kinderpornographie-Vorwurf ziemlicher Unsinn gewesen ist. Schlappschwänze, die auf unterentwickelte Körper stehen, dürften sich beim Anblick der überaus ausgewachsenen Herrschaften, die sich aneinander abrackern, reagieren wie Eidechsen in Panik. Andererseits
hatte der Schau-Prozess gegen die Traci-Lords-Verwerter seine guten und richtigen
Seiten.
»Ich war so jung und verletzbar«, sagt Traci, »ich konnte alles gar nicht richtig verstehen.«
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Seit dem Urteil sehen sich die Herren Fleischhändler wenigstens dazu gezwungen, das
Alter ihrer Opfer genauer zu überprüfen.
»Mein Leben war ein Dunst aus Zigaretten, Alkohol, Drogen und fremden Gesichtern.
Kerlen.«
Den leicht lüsternen Seitenblick der ältlichen Maskenbildnerin bedenkt Traci mit einem
mitleidigen Lächeln.
»Ich war achtzehn, und ich war vollkommen am Ende. Ich war süchtig, ich war ausgebrannt, und ich wurde wegen der Pornos von der Polizei gesucht. Eines Tages wachte
ich auf der Intensivstation auf. Ich hatte eine Überdosis genommen. Und da, an diesem
Morgen mit den Kanülen in meinen Armen, wusste ich plötzlich: Das war’s. So oder so.
Ich hatte die Grenze zwischen Selbstverwirklichung und Selbstzerstörung weit überschritten. Ich war hilflos geworden, ein Opfer ...«
»Du und Opfer, das geht nicht zusammen. Du bist schlagfertig, aggressiv, souverän ...«
»Das ist genau so, wie Opfer werden müssen. Wir müssen uns wehren. Zurückschlagen.
Angreifen.«
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chicht für Schicht hat sich fleischfarbene Glätte über ihre blasse Haut gelegt, und
mit jeder zusätzlichen Schicht Schminke ist Tracis Laune gestiegen. Vom anderen Ende
des Bunkers hallen laute Stimmen herüber.
»Erschreck nicht!« sagt sie: »Gleich knallt’s wieder.«
Sie springt auf, steckt sich ihre Mittelfinger in die Ohren und läuft in Richtung Ausgang.
In der Tür zur Treppe dreht sie sich um und ruft in die Explosionen hinein: »In einer
Viertelstunde im Trailer, okay?«
»Okay«, nicke ich und folge ihr langsam, wobei ich nicht ahne, dass ich Traci Lords,
dieses Wasserstoff-Kunstgeschöpf, in das sich die von Natur aus rotbraune Nora Kuzma
verwandelt hat, für heute zum letzten Mal gesehen habe.
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2D
Kapitel
raußen in der versmogten Sonne des Fabrikhofs, wo die Wohnwagen der Hauptdar-
steller und des Regisseurs parken, stinkt es süßlich und verdorben. Auf dem Nachbargelände, einem Schlachthof, verrottet Fleisch. In der Ferne heulen Sirenen und dröhnen
Hubschrauber.
»Schwer was los«, grinst Mervyn.
Er ist mittelgroß, schlank, durchtrainiert, frisch rasiert und schnieke im Stil der MafiaLümmel. Seinen angelierten GI-Schnitt schmückt am Hinterkopf ein hauchdünner geflochtener Zopf. Am Gürtel der knallengen dunkelblauen Uniform trägt er eine achtunddreißiger Police Special, mit der er seine Gegner ebenso gut erschlagen könnte.
Mervyn ist Polizist und zum Schutz der Produktion abgeordnet. Gestern abend hat er in
einer Bar einen dicken Mexikaner fertiggemacht hat – Kopf gegen Kopf.
»Hier«, sagt er und tippt sich an die Stirn, wo andere ihren Vogel sitzen haben, und da
ist in der Tat eine rote Schwellung. »Der Mex kam ins Krankenhaus.«
In keiner Stadt der USA gibt es weniger Polizisten pro Einwohner. Dafür steht Los Angeles an zweiter Stelle, was die Entschädigungszahlungen an Opfer von Polizeigewalt
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betrifft. Mervyn ist stolz auf seine Macht. Er hat genug Wut in sich, um über einen wie
Rodney King herzufallen, und er ist geil auf Traci Lords.
»The girl is a riot!« Mervyn wiegt beide Hände in Brusthöhe: »Die macht jetzt auf
Künstlerin. Aber hast du mal ihre Möpse gesehen?«
Vertraulich legt er mir seinen Arm um die Schulter.
»Und ihre Möse?« flüstert er, bildet aus Zeigefinger und Daumen einen Kreis und zieht
dabei die Luft zwischen der feuchten Zunge ein, dass sein Schmatzen meinem Trommelfell wehtut.
Halb taub und fast blind von seinem Aftershave, frage ich ihn, wie spät es ist.
Und deshalb weiß ich ein paar Stunden später genau zu sagen, wo ich gewesen bin und
was ich gemacht habe, als nur ein paar hundert Meter entfernt, an der Ecke Florence
und Normandie, eins der mysteriösesten aller neuzeitlichen Video-Rituale begann.
G
eopfert wurde, mitten auf der Kreuzung, der weiße Lastwagenfahrer Reginald
Denny, der gerade Baumaterial für Sozialwohnungen nach South Central bringen wollte.
Über ihm kreiste schwankend der TV-Hubschrauber, das mitleidlose Auge der Fernseh-
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gemeinde, das für uns live Zeugnis ablegte von der Eleganz und dem Schwung, von der
Treff- und Stilsicherheit, mit der eine Gruppe schwarzer Jungs einen eigenen, mörderischen Rap-Video inszenierte. Niggas mit nachgemachter Attitude, Ice Cube- und Ice T.Doppelgänger, die geübt Anlauf nahmen und Tanzschritt für Tanzschritt dem wehrlosen
Mann am Boden die Knochen eintraten, während die Polizei sich in ihren Einsatzwagen
versteckte und Schutzhelme auf die Lehnen der Rücksitze platzierte, damit der Mob
dachte, die Streitmacht der verängstigten Ordnungshüter sei doppelt so stark, wie sie
war.
Hinterher, nach jeder Sensation, die wir unser Leben nicht vergessen werden, stellt
sich immer dieselbe Sorte Frage:
»Wo warst du am 22. November 1963, als in Dallas John F. Kennedy erschossen wurde?«
»Heulend in Hannover und in den Armen meiner Kinderschwester.«
»Was hast du in der Nacht des 9. November 1989 getan, als die Berliner Mauer fiel?«
»Vorm Brandenburger Tor gestanden und mit den Folgen nicht gerechnet.«
»Und wo zum Feuerteufel hast du am 29. April 1992 gesteckt, als die Polizisten, die
Rodney King krankenhausreif geprügelt hatten, freigesprochen wurden und daraufhin in
der Stadt der Engel die Hölle ausbrach?«
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»Ein paar Meter Luftlinie vom Inferno entfernt in einem vollklimatisierten Wohnwagen;
habe mir langsam Finger und Zehen abgefroren und von nichts was bemerkt.«
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3I
Kapitel
ch konnte mich schließlich nicht als Nutte auf den Hollywood Boulevard stellen«, sagt
das fremde Mädchen, das mir die Tür zum Trailer öffnet, »und dabei aussehen wie Traci
Lords. Was die Leute da sagen würden, war doch klar ...«
Sie ist nicht wiederzuerkennen, oder in des Dichters Worten: Traci ist eine andere.
Billig-Blondie hat sich in den rothaarigen Vorstadt-Vamp zurückverwandelt, der sie als
Nora Kuzma hätte werden können. Die kurze Perücke betont die hohen slawischen Wangenknochen. Ihr dunkel geschminktes Gesicht strahlt eine Fröhlichkeit aus, die nicht
recht zum Rest des Aufzugs passt. Zwischen dem Leder-BH und dem überbreiten Gürtel,
der als Kleid dient, klafft ein breiter Streifen weißer Haut. Die Schenkel stecken in
schwarzen Netzstrümpfen, darunter trägt sie bis zu den Knien hohe Lederstiefel.
Die Klimaanlage rattert auf vollen Touren gegen die Hitze an. Im Innern des Trailers ist
es so gemütlich wie in jeder Kühlkammer. Die eiskalte Luft hält das Fleisch frisch und
lässt keine anderen Gefühle aufkommen als die Sehnsucht nach einer heißen Dusche.
»Wie hast du es geschafft, wieder clean zu werden ...«
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»Wenn du ganz unten angekommen bist und wirklich überleben willst«, sagt Traci und
schaut mir in die Augen, »dann geht es ... Sicher, du brauchst ein bisschen Hilfe. Aber
im Grunde ist es nur eine Frage des Willens.« Selbstbewusst und unverletzt gibt sie
sich. »Die Leute werfen mir vor, ich sei gefühllos und zynisch.«
Ihr Gesicht wartet auf Widerspruch.
»Ja«, sage ich, »wunderbar zynisch.«
Und sie schüttelt den Kopf und schwärmt von ihrer Rolle als knallharte Polizistin. Unglaublich stark und unbeherrscht sei sie. Innerhalb von Sekunden kann sie zu einem
Alptraum von Gewalt werden.
»Warum mag ich das? Was geht in mir vor? Vielleicht liegt es an L.A.? Die Stadt macht
uns alle verrückt.«
T
raci Lords schaut nicht gerade ratlos drein. Eher begeistert:
»Ich komme nach Hause. Ich habe eine Flasche Wein mitgebracht. Musik spielt. Die
Wohnung riecht nach Essen. Ich denke, er hat für mich gekocht. Ich bin glücklich. Ich
rufe nach ihm. Und da liegt er, in unserem Bett. Mit einer anderen Frau.«
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Das nächste, was wir sehen: Eine Straße in der Nacht. Ein Wagen. Flammen schlagen
aus seinem Tank.
Traci spricht atemlos und wütend, als sei es gerade erst geschehen.
»Er kommt aus dem Haus. Läuft mir nach. Er ruft: ›Halt, halt, es ist nicht so wie du
denkst.‹ Und ich drehe mich nur um und zeige auf den flackernden Klumpen Metall und
sage: ›Das ist auch nicht so, wie du denkst.‹ Und in der Sekunde fliegt sein Karren in
die Luft: KA!BUMM ...«
Tracis Gesicht leuchtet, brennt in der Erinnerung.
»Noch nie habe ich eine Rolle gespielt, in der ich so sehr ich selbst sein konnte.«
Durch die tief getönten, von außen blinden Fensterscheiben des Trailers kann ich sehen, wie Mervyn vor der Tür herumlungert und schmutzige Blicke in die Richtung wirft,
in der er uns vermutet.
Traci folgt meinen Augen und zuckt mit den Schultern. »Besser, ihr versucht gar nicht
erst, mir dumm zu kommen«, bedeutet ihr Mienenspiel.
Laut sagt sie: »Kerle wie der werden immer denken, eine wie ich sei Freiwild.«
Sie steht auf und holt uns eine Cola, die sie, wohl damit sie nicht vereist, im Kühlschrank aufbewahrt.
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Du hast dann Schauspielunterricht genommen, bei dem legendären Lee Strasberg,
ich meine, an seinem Actors ...«
»Na, bei ihm selbst nicht«, unterbricht Traci lachend mein Gestammel, »der Mann ist
schließlich schon eine Weile tot. Das wären ein paar scharfe Lektionen auf dem Friedhof gewesen.« Ihre Stimme wird dumpf und hohl, als halle sie durch eine Nacht: »Oh,
Lee, gib mir meine Motivation, die Motivation für meine Rolle ...«
Während der Kurs lief, bekam sie einen Anruf von Roger Cormans Produktionsfirma.
Regisseur Jim Wynorski offerierte ihr eine Hauptrolle in einem meschuggenen ScienceFiction-Horrorfilm mit dem Titel Not of This Earth.
»Der Film war nicht gut, aber er war gut für mich.«
Und gut für Corman. Der Uralt-König der B-Movies, bei dem die Karrieren von Jack
Nicholson, Charles Bronson, Dennis Hopper und wer weiß noch begonnen haben, hat
seinen perfekten Riecher nicht verloren.
Während Traci plaudert und ich ahnungslos vor mich hinzittere, sind ein paar hundert
Meter von hier Cormans Crews bereits dabei, zu filmen, wie die Menschen sterben und
ganze Straßenzüge in Schutt und Asche fallen: Action und Horror-Panoramen für einen
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Haufen Billigfilme. Demnächst in diesem Kino - wenn es nicht gerade geplündert oder
abgefackelt wird.
Corman machte Traci zwar nicht viel respektabler, aber sein Film bewies dem Rest der
Filmindustrie, dass die »onetime under-age porn queen«, wie die Los Angeles Times
mit seichtem Entrüstungsschauer Traci Lords bis heute zu bezeichnen pflegt, nun auch
bekleideter zur Verfügung stand.
Eine Reihe von Gastauftritten in populären Fernsehserien wie Wiseguy, 21 Jump Street,
Married with Children oder MacGyver folgten. Zwischendurch arbeitete Traci als Model
für Thierry Mugler, sie produzierte ihren eigenen Pin-up-Kalender, und sie ging Geld
sammeln für Children of the Night, eine Hilfsorganisation, die sich um Teens auf Trebe
kümmert.
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er Durchbruch als Schauspielerin kam dann 1990 mit Kultfilmer John Waters (Pink
Flamingo) und seinem Cry Baby, einem extravaganten Fünfziger-Jahre-Schmachtfetzen
mit viel Musik, Motorenlärm, Zungensex und heißen Kehlen. Inmitten einer campigen
Starbesetzung – Johnny Depp, Iggy Pop, Joe Dallesandro, Polly Bergen sowie Ex-GeiselGuerilla und Millionenerbin Patti Hearst – spielt Traci ein vulgäres Gang-Mädel namens
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Wanda, das mit Eltern geschlagen ist, so blöd, man glaubt es kaum. Künstlerische Spitzenleistung ihres Auftritts: Mit ihrem hervorragenden Hartschalen-BH rammt sie, ganz
bitterböse Brust-Torrera, einen aggressiven Spießer nieder.
»Ich spielte eine Zeichentrickfigur. Eine Karikatur. Genau wie zuletzt in Nutty Nut. Da
bin ich ein durchgestyltes Zimmermädchen, das den Staubwedel immer farblich passend zum Tutu trägt und auf den ersten Blick nur geil und blöd ist. Aber bald zeigt sich,
dass sie ihre körperlichen Vorzüge sehr geschickt einsetzt, um ihre Opfer in die Falle zu
locken. Was mir natürlich gefällt.«
Der dramaturgische Höhepunkt dieses Werks kann sich in geschmacklicher Hinsicht
ebenfalls sehen lassen: die größte und längste Tortenschlacht der Filmgeschichte, bei
deren Herstellung eine Woche lang neunzig Schauspieler einander insgesamt fünftausend Sahnewurfscheiben in die Fressen schmissen.
»Humor ist ein Ausweg«, sagt Traci. »Mit Humor kann man sexy sein, ohne Anstoß zu
erregen. Die amerikanische Öffentlichkeit ist so puritanisch. Gewalt wird allgemein
akzeptiert. Doch bei Sex schreien alle gleich: Skandal! Skandal!«
»Den Spaß am Sex hast du bei der Porno-Arbeit nicht verloren?«
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»Quatsch. Natürlich nicht. Aber ich bin seit zweieinhalb Jahren verheiratet und ziehe
es vor, nur mit meinem eigenen Mann zu schlafen.«
Traci und Brook Yeaton haben sich bei den Dreharbeiten zu Cry Baby kennengelernt. Er
ist Requisiteur und ein Neffe von John Waters.
»Für mich ist es toll, Johnny als Onkel zu haben«, sagt Traci, »aber mein armer Mann.
Mit so einer wie Traci Lords verheiratet zu sein!« In ihrem Gesicht steht wildes Entsetzen: »Wie kann ein anständiger amerikanischer Mann das nur aushalten? Immerhin passt
er auf, dass ich keine zu kurzen Röcke trage. Damit andere Kerle nicht ... Ich meine,
Männer sind einfach seltsam. Weiß der Teufel, was die sich denken ...«
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illst du respektabel werden?«
»Nein, es reicht mir, wenn man mich respektiert. Doch um in Hollywood respektiert
zu werden, musst du tot sein. Das oder wenigstens sehr alt. Die geben mir frühestens
einen Oscar, wenn ich achtzig bin.« Traci zieht eine Grimasse. »Aber solange ist das gar
nicht mehr hin. Manchmal denke ich: Du bist nicht dreiundzwanzig, du bist dreiundfünfzig.«
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Die Frau, die mir als Nutte luftig verkleidet gegenübersitzt und genug innere Wärme
produziert, um die arktischen Kaltluftströme der Air Condition zu genießen - warum ist
sie so interessant? Weil sie ahnen läßt, was und wer sie in ein paar Jahren sein könnte,
wenn sie erst einmal so alt und abgebrüht ist, wie es Mae West bei ihrem ersten Film
war? Oder weil sie sich, mit jedem ihrer kaltblütigen und kaltschnäuzigen Sätze ein
Stück mehr, als kühle Intellektuelle ohne Bildungsballast entpuppt, dafür mit einer
Vergangenheit, deren Erfahrungen wie Kriegsjahre bei der Pensionsbemessung doppelt
zählen?
»Wenn du diese Zeit rückgängig machen könntest ...«
»Ich weiß nicht ... Es war hart, es tat weh. Aber Schmerzen und Gewalt lassen einen
erwachsen werden. Manche Dinge müssen erst einmal geschehen. Ohne diese Erfahrungen wäre ich nicht, was ich bin. Und was ich heute bin, bin ich sehr gerne.«
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4E
Kapitel
ine seltsame Unwirklichkeit ergreift mich, der ich aus der Kälte komme, nachdem
Traci Lords mir mein eiskaltes Händchen geschüttelt und mich in die schwüle, atemberaubende Hitze der Außenwelt entlassen hat. So muss sich fühlen, wer aus der AddamsFamily verstoßen wird.
Macho-Mervyn fängt mich auf dem Weg zu meinem Wagen ab. »Hat sie dir’s mündlich
gegeben, ich meine, Auskunft, ha, ha, ha?«
Auf Alameda rast mir eine Kolonne von Löschzügen dreispurig entgegen. Und an der
Kreuzung Vernon und Vermont liegt noch keine Leiche.
Louis Watson, achtzehn Jahre alt, wird hier erst in einer knappen Stunde von einem
Unbekannten und aus keinem ersichtlichen Grund erschossen werden.
D
ie Luft riecht nach Lagerfeuer, und einem Camp von Millionen Pfadfindern gleicht
Los Angeles, als ich nach Einbruch der Dunkelheit von den Hollywood Hills auf die Stadt
heruntersehe. Fasziniert wechseln meine Augen zwischen den Schreckensbildern vom
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Plündern, Brandschatzen und Totschlagen, die live auf allen TV-Kanälen laufen, und
dem atemberaubend schönen Anblick der leuchtenden, flackernden Stadt, diesem glitzernden außerirdischen Computerchip, dessen Lichtlinien schon in normalen Nächten
die Skyline von Manhattan altmodisch erscheinen lassen. Jetzt brennen zweitausend
zusätzliche Feuer.
Morgen, am 30. April 1992, wird Los Angeles von hier oben aussehen wie eine Luftaufnahme vom grauen, zerbombten Beirut. Doch in dieser Nacht ist es noch pittoreske
Kulisse für ein bonbonbuntes Katastrophen-Fernsehspiel.
Nicht nur ein Teil von Reginald Dennys Folterern ist von den Live-Bildern angelockt worden, sondern auch die zivilen Helfer, die ihm spät, sehr spät das Leben retten. Weil der
Video Wirklichkeit war, verlor Denny für immer seine Gesundheit.
Weil die Wirklichkeit aber vor laufenden Kameras stattfand, gewann er gleichzeitig
einen hochdotierten Fernsehvertrag. Fetzen einer Wirklichkeit, denen ich mich nicht
gewachsen fühlte. Schließlich bin ich nur einssiebenundsechzig.
»Jeder, der in der westlichen Welt aufwächst, sehnt sich nach den Dingen, die ihm vorgeführt werden«, sagt Victor Headley, der schwarze Poet, über die Gewalt in den Ghet-
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tos: »Und wenn man dir überhaupt keine Chance gibt, an diese Dinge ranzukommen, ist
der Ärger vorprogrammiert.«
A
uf den Hügeln der Stars stehen die Menschen, ein Glas Chardonnay oder Champa-
gner in der Hand, und schauen von ihren Terrassen hinab auf das ferne Wüten, Fixsternen gleich, die das Sterben eines ihrer Planeten beobachten. Irgendwo, weit über allen
Sternen, existiert vielleicht eine Schaltzentrale von MTV, von Murder Television, in der
die Bilder zusammengeschnitten werden zu einem Video, der Sinn ergibt. Wir hier unten, in unserem Alltag aus eisgekühlten Containern und toten Seelen, aus Angst vor uns
selbst und Sehnsucht nach erlösender Gewalt, verstehen nichts davon.
Außer dass ein paar von uns jetzt bitteren Ernst machten.
»Das ist der Horrorfilm, der wahr geworden ist«, sagt ein Waffenhändler, der mit einer
AK-47 im Arm seinen Laden am Hollywood Boulevard verteidigt, in die Kamera der Eyewitness News.
Ein Dutzend Menschen sind bereits tot, erschlagen, erstochen, erschossen. Achtundfünfzig werden es bis zum Ende der Unruhen sein. Eine lausige Zahl im Vergleich zu den
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siebenhundert Ermordeten, die Jahr für Jahr bei den Kämpfen zwischen den Gangs, den
sechzigtausend Kids starken Crips und Bloods, auf demselben Pflaster liegen bleiben.
U
nd plötzlich, als sei der Gedanke vom Lichtkegel eines der Polizeihubschrauber er-
faßt worden, begreife ich, was an Traci Lords fasziniert.
Sie ist wie diese Stadt.
Nicht wie Hollywood, sondern wie Los Angeles.
Wie diese Metropole der zerbrochenen Träume, des Gangsta-Rap und von Lethal Weapon 3, diese Hauptstadt des 20. Jahrhunderts, die dem Rest der Welt den Weg in die
Endzeit vorspielt.
Traci ist, wie Denny in ein paar Jahren sein mag. Ein Kind unseres halb verzauberten,
halb verhexten Niemals-aber-immer-Lands. Eine ideale Bewohnerin der Zukunft, die
verloren ist, bevor sie begonnen hat.
»Wir warten auf die Gewalt«, hatte Traci im Trailer gesagt, ohne zu ahnen, dass draußen das Gemetzel längst begonnen hatte: »Nach dem nächsten Erdbeben ...«
Ein paar Stunden später schien die Apokalypse da.
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Und heute sind die Toten schon vergessen.
Das Warten hat erneut begonnen. Alles war lediglich ein Test, Generalprobe für das
große »Macht-Kaputt«, das Traci, abgestürzter Engel unter Millionen abgestürzten
Engeln, in sich und unserer Zivilisation spürte: hilflose Orgien einer Erdbeben-Psyche,
einer Fin-de-Millennium-Lust, die das Heute nicht schätzt, weil jedes Morgen das Ende
ja nur einen Tag näher rückt; die Sehnsucht der Opfer nach Rache, und sei es zum Preis
der Selbstvernichtung.
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Kapitel
ein stärkstes Erlebnis?« hatte Traci gelacht: »Das war bei keinem der Pornos. Das
hatte ich vor ein paar Tagen auf dem Hollywood Boulevard.«
Gedreht wurde eine Autojagd. Ein Crash.
Traci springt aus dem Wagen, das Gewehr in der Hand. Der Mörder, den sie verfolgt,
quält sich aus dem anderen Autowrack. In Tracis Rücken explodiert ihr Wagen.
Doch das Feuerwerk fällt stärker aus als geplant. Zwei Blocks weit klirren die Fensterscheiben zu Bruch. Die Fassaden der umstehenden Häuser zeigen schwarze Brandspuren.
»Und ich stand ein paar Schritte von dem Wagen entfernt. Die Druckwelle schleudert
mich nach vorn. Ich denke, meine Haare brennen. Mein Körper glüht. Da ist nur noch
Adrenalin in meinen Adern. Ein Hochgefühl, ein Glücksgefühl. Ich reiße die Waffe hoch,
mache den Linda-Hamilton-Pump, für den bei den Proben meine Kräfte nie gereicht
haben. Ich spüre den Stoß der Schüsse in meinem Körper: KA!BUMM ... KA!BUMM ...
Der Kerl wirft sich zurück, die Blutbeutel platzen. Noch einmal: KA!BUMM ... Um mich
herum schauen die Leute entsetzt und sagen: ›Oh, mein Gott!‹ Alles ist über und über
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voll Blut. Und für ein paar Sekunden denkst du: ›Ich habe ihn getötet. Er ist tot. Der
Mensch ist tot. Echt.‹ Ein irrer Augenblick. Ich, das schmächtige Mädchen, und keiner
wagt sich mehr an mich heran.«
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Impressum
Namensnennung-Keine
Druckgeschichte
kommerzielle Nutzung-
KA!BUMM ... (Porträt Traci Lords). In: TEMPO, August 1992, S. 62-69.
Keine Bearbeitung 2.0
Überarbeitete Fassung nachgedruckt unter demselben Titel. In: Spion unter
Deutschland Lizenzver-
Sternen, Ch. Links: Berlin 1994, S. 34-51.
trag lizenziert. Um die
Lizenz anzusehen, ge-
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am 1. November 2009 auf www.freyermuth.com unter der Creative Commons License veröffentlicht (siehe
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Gundolf S. Freyermuth ist Professor für Angewandte Medienwissenschaften an der ifs Internationale Filmschule
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Köln (www.filmschule.de). Weitere Angaben finden sich auf www.freyermuth.com.
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Autor
Francisco, California
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