06 VL WS 0607 Lerntheoretische und kognitive Modelle
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Klinische Psychologie I WS 06/07 Lerntheoretische und kognitive Modelle 05.12.2006 Prof. Dr. Renate de Jong-Meyer Entwicklung der klassischen Lerntheorien Thorndike versteht unter LERNEN die Bildung von Assoziationen zwischen Situationen und Reaktionen durch einen Organismus. Merkmale solcher Verknüpfungen / Assoziationen: • Sie folgen dem Gesetz des Effekts: – S-R-Verknüpfungen werden durch befriedigende Effekte verstärkt. – S-R-Verknüpfungen werden durch mangelhafte Effekte geschwächt. • Zusammengehörige Verbindungen werden leichter gelernt. • Die Bildung von Assoziationen führt zu Erwartungen über Effekte von Reaktionen. 1 Klassische Konditionierung Definition: Verallgemeinert beinhaltet der Prozess der klassischen Konditionierung, dass nach einem mehrmaligen gemeinsamen Auftreten eines unkonditionierten Reizes (US) mit einem neutralen Reiz die Person/das Versuchstier lernt, dass der vormals neutrale Reiz einen Hinweis auf den US darstellt. Dieser Lernprozess führt dazu, dass der neutrale Reiz zu einem konditionierten Reiz (CS) wird und die vorher unkonditionierte Reaktion (UR) durch den CS ausgelöst werden kann (konditionierte Reaktion; CR). Klassische Konditionierung Drei Gruppen von Variablen sind bei der Bildung konditionierter Reaktionen wichtig: 1. Somatischer Zustand des Organismus – – – 2. Zeitliche Beziehung zwischen US und CS – – – – 3. Abwesenheit pathologischer Faktoren Motivationale Bedingungen (Futter nur US, wenn hungrig) Prinzipielle Ausstattung des Nervensystems Simultane (US und CS gleichzeitig) Verzögerte (CS vor und während US) Spurenkonditionierung (Pause zwischen CS und US) Rückwärtskonditionierung (CS setzt nach US ein) Merkmale der Reize selber – – Reize, die starke Orientierungsreaktion auslösen oder biologisch primär bedeutsam sind, eignen sich nicht als CS Funktion des konditionierten Stimulus kann nur von den schwächeren Stimuli übernommen werden. 2 Operante Konditionierung Definition: Instrumentelle oder operante Konditionierung bedeutet, dass Verhaltensweisen oder physiologische Reaktionen häufiger auftreten, wenn diesen Reaktionen ein verstärkender Reiz folgt. Aufgrund unterschiedlicher Verstärker (negative oder positive Verhaltenskonsequenzen) gibt es vier verschiedene Formen des instrumentellen Lernens. Operante Konditionierung: Formen des instrumentellen Lernens Positiver Stimulus C+ Negativer Stimulus C- Darbietung Entfernung Positive Verstärkung Löschung Folge: R↑ Folge: R↓ Bestrafung Negative Verstärkung Folge: R↓ Folge: R ↑ 3 Schema klassische und operante Konditionierung (Somatischer Zustand, Schwäche; Unfall) US UR (= erste somatische Reaktionen, Übelkeit etc. (Enge des Raumes, situative Merkmale, z.B. Geruch CS CR (= kond. somat. Reaktionen, Angst usw. CS (= Hinweisreiz für Gefahr) R Reaktion C+ Verstärker Verstärkerpläne • Partielle Verstärkung: Die Verstärkung erfolgt nicht kontinuierlich, sondern intermittierend. • Quotenplan: Bestimmte Verstärkerquote; variabel oder fixiert möglich. • Intervallplan: Verstärkung nach bestimmtem Zeitintervall; variabel oder fixiert möglich. Intermittierend verstärktes Verhalten ist besonders löschungsresistent. In der Therapie lassen sich Verstärker für ein durch partielle Verstärkung ausgeformtes Verhalten kaum noch herausfinden. 4 Entwicklungen, die die Theorienbildung von Hull ausgelöst hat Hull steht für Formalisierung und Rückgriff auf intervenierende Variablen. Vermittelnde interne Zustände (biologisch-evolutionär begründet) sind Bindeglieder unterschiedlicher Lernprinzipien. • Spence: Belohnungs-Anreiz-Theorie • Dollard & Miller (1950): • Beschreibung und Erklärung psychotherapeutischer Prozesse auf Basis der Hull‘schen Lerntheorie. Joseph Wolpe (1958): Entwicklung der Systematischen Desensibilisierung. • Mowrer (1960): Zwei-Faktoren-Theorie des Lernens • Solomon (1960): Zwei-Prozess-Theorie Schematische Darstellung der Zwei-Faktoren-Theorie von Mowrer US UR (= Schmerz-Furcht-Reaktion) CER (= konditionierte emotionale Reaktion / Angstreaktion) (Aversive Situation) CS (Kond. Reaktion) Wird zum internalen Auslöser für: R CS- (= Flucht- bzw. Vermeidungsreaktion) (= Beendigung bzw. Wegfall der kond. aversiven Situation / negative Verstärkung von R) 5 Zwei-Prozess-Theorie von Solomon Ausgangspunkt: Trennung des klassischen und operanten Konditionierens in zwei Lernprozesse. • • Die Gesetze des klassischen Konditionierens sind die Gesetze des emotionalen Konditionierens oder die Gesetze erworbener Triebzustände. Instrumentelle Reaktionen werden durch konditionierte emotionale Zustände (also innere Stimuli) ausgelöst und verstärkt (und nicht durch Reaktionen des Individuums wie bei Mowrer). Interaktion von klassischem und operantem Konditionieren: Konditionierte emotionale Zustände bilden interne Stimuli für die Auslösung instrumentellen Verhaltens. Gründe gegen eine Trennung klassischer und operanter Konditionierung • Weder das klassische noch das instrumentelle Konditionieren lassen sich experimentell in reiner Form demonstrieren. • Instrumentelle Konditionierung autonomer Reaktionen ist möglich → Konditionierungsarten können nicht auf unterschiedliche Reaktionssysteme zurückgeführt werden. • Ergebnis der klassischen Konditionierung besteht üblicherweise nicht nur in einer, sondern in unterschiedlichen Reaktionen. • Lernen ist ein komplexer und heterogener Prozess, der jeweils mehrere Ebenen beinhalten kann (z.B. das Lernen von Erwartungen). 6 Bedeutung der sekundären Verstärkung • Funktion der Überbrückung von Zeiträumen ohne primäre Verstärkung. • Erklärung, warum Verhaltensketten ausgeführt werden, bei denen nur das letzte Glied verstärkt wird. • Beispiel für die Bedeutung in Störungsquellen: Drogenabhängigkeit. Generalisierung und Diskrimination • Generalisierung Bis zu einem Gewissen Grad reagiert der Organismus auf ähnliche Stimuli mit derselben Reaktion. • Diskrimination Mit der Anzahl der Darbietung ähnlicher Situationen lernt das Individuum allerdings auch, geringe Unterschiede in den einzelnen Situationen wahrzunehmen. Erst das präzise Zusammenspiel von Generalisierung und Diskrimination bewirkt die Flexibilität unseres Verhaltensrepertoires. 7 Theorien zur Erklärung von Löschung • Hemmungstheorie • Generalisierungsabnahme • Interferenztheorie • Frustrationstheorie • Erwartungstheorie Weiterentwicklungen der klassischen Lerntheorien I Preparedness-Theorie von Seligman • Gewisse Verknüpfungen zwischen Stimuli werden leichter erlernt als andere. • In Situationen, die eine biologisch-evolutionäre Bedeutung haben, entwickelt der Organismus sehr schnell stabile Vermeidungsreaktionen. 8 Weiterentwicklungen der kognitiven Lerntheorien II Inkubation von Angst Bedingungen für das „Umkippen“ der Löschung im Prozess der Inkubation: • Die konditionierte Reaktion hat zugleich Stimulus - und Triebcharakter und verstärkt deshalb den CS. • Sehr kurze Darbietung des CS verhindert die Löschung der CR. • Introvertierte zeigen eine Tendenz zur Inkubation; Extravertierte eine Tendenz zur Löschung. Weiterentwicklungen der kognitiven Lerntheorien III Charakteristika einer kognitiv-sozialen Lerntheorie nach Mischel (1973) • Konstruktive Fähigkeiten des Individuums • Fähigkeit zur Informationsverarbeitung • Fähigkeit zur Bildung von Erwartungen • Subjektive Bewertung von Situationen • Selbstregulation und planvolles Handeln • Interaktion zwischen Verhalten und Situationen 9 Modell-Lernen Viele Verhaltensweisen und physiologische Veränderungen werden nicht durch die direkte Erfahrung von klassischen und operanten Konditionierungsprozessen gelernt, sondern können auch durch Modell-Lernen bzw. Lernen durch Beobachtung erworben werden. Prozesse beim Modell-Lernen: • Aufmerksamkeitsprozesse • Behaltensprozesse • Symbolische Codierungsprozesse • Motorische Reproduktionsprozesse • Motivationale Prozesse Aufmerksamkeit und Gedächtnis Das Mehrspeichermodell • • • Sensorischer Speicher / Aufmerksamkeit Kurzzeitgedächtnis Langzeitgedächtnis Gedächtnissysteme • • • • abgrenzbare Gruppen von Hirnarealen und Prozessen spezialisiert auf die Speicherung und Wiedergabe bestimmter Arten von Informationen deklarativ (explizit) prozedural (implizit) 10 Das Mehrspeichermodell Aufmerksamkeit Reizinformation Sensorischer Speicher (visuell/auditorisch/ haptisch) Kontrollprozesse: Wiederholung Umkodierung Elaboration Transfer Kurzzeitgedächtnis Merkmalsextraktion Mustererkennung Abruf Zerfall von nicht beachteter Information Interferenz und Ersetzen durch neu eintreffende Information Langzeitgedächtnis (episodisch/ semantisch/ prozedural) Interferenz oder Zerfall von Spuren oder fehlende bzw. mangelhafte Abrufhinweise Die wichtigsten heute unterscheidbaren Gedächtnissysteme Gedächtnis deklarativ (explizit) episodisch prozedural (implizit) „Priming“ (Bahnung, Erwartung) nichtassoziatives Lernen semantisch Fertigkeiten und Gewohnheiten Klassische Konditionierung Operante Konditionierung 11 Emotionale Modulation des Gedächtnisses Zentrale Aspekte emotional erregender Erfahrungen werden besser erinnert. Angenommene Ursache: Emotionale Erlebnisse ziehen automatisch die Aufmerksamkeit auf sich und werden so elaborierter verarbeitet. Stress und Gedächtnis Differentielle Effekte des Stressniveaus Bei einem geringen bis mittleren akuten Stressniveau kommt es als Folge der Ausschüttung von Stresshormonen zunächst zu einer Aktivierung von Hippocampus und Amygdala. Diese Aktivierung erklärt, warum emotional erregende Ereignisse oft besser erinnert werden als neutrale Reize. Der Hippocampus wirkt dabei hemmend auf die weitere Ausschüttung von Glukokortikoiden und ist an der Herabregulierung der Stressreaktion beteiligt. Steigt das Stressniveau über ein bestimmtes Maß oder ist die stressauslösende Situation nicht zu bewältigen, kommt es zu einer zunehmenden Beeinträchtigung des Hippocampus, die sich in einer Störung des deklarativen Gedächtnisses manifestieren kann. 12 Stimmungskongruentes Enkodieren und Abrufen Netzwerktheorie zur Erklärung von Stimmungskongruenz -Effekten (Bower, 1981): Diese Theorie modelliert Gedächtnisprozesse auf der Grundlage sog. semantischer Netze. In semantischen Netzwerken werden Konzepte als untereinander vernetzte Knoten dargestellt, wobei die Verbindungen zwischen den Knoten semantische Relationen zwischen den Konzepten abbilden. Knoten können durch innere oder äußere Reize mehr oder weniger s tark aktiviert werden; von aktivierten Knoten breitet sich die Aktivierung zu assoziierten Knoten aus (sog. Spreading Activation). Ein Konzept wird bewusst, wenn die Aktivierung eine bestimmte Schwelle übersteigt. Bower erweiterte diese Modellvorstellung um sog. „Emotionsknoten“, die mit assoziierten Konzepten, Repräsentationen emotionsauslösender Situationen, physiologischen Reaktionen und Ausdrucksverhalten assoziiert sind. Wird ein Emotionsknoten (z.B. „traurig“) durch einen Reiz aktiviert, breitet sich diese Aktivierung dementsprechend zu assoziierten Konzepten aus (z.B. Verlust, Wertlosigkeit). Relevanz von Stimmungskongruenzeffekten im klinischen Bereich I Stimmungskongruenzeffekte können im Sinne eines sich selbst verstärkenden Kreislaufs dazu beitragen, dass sich... • ... Depressive gedanklich in erster Linie mit negativen Erlebnissen oder eigenen Misserfolgen beschäftigen • ... Angstpatienten eine chronisch erhöhte Vigilanz für bedrohliche Reize zeigen. Es existieren verschiedene Theorien zur Erklärung von Entstehung und Aufrechterhaltung von Angst oder Depression, die diese Stimmungskongruenzeffekte berücksichtigen (z.B. DepressionsTheorie von Beck, 1976). 13 Relevanz von Stimmungskongruenzeffekten im klinischen Bereich II Es gibt verschiedene experimentelle Paradigmen, mit denen eine Aufmerksamkeitsverzerrung nachgewiesen werden kann. Stroop-Aufgabe / Emotionaler Stroop • • • Emotionale und neutrale Wörter, gedruckt in verschiedenen Farben Wortfarbe soll so schnell wie möglich benannt werden Auftreten von Interferenz-Effekten bei den Wörtern, die aufgr. persönlicher Relevanz die Aufmerksamkeit auf sich ziehen (z.B. mit Angst assoziierte Wörter) ð verlängerte Latenz-Zeiten Dot Probe Task • • • Gleichzeitige Darbietung eines neutralen und eines emotionalen Wortes (übereinander, d.h. in zwei Zeilen). Danach wird entweder das eine oder andere Wort durch einen Punkt ersetzt, Messung der Reaktionszeit bis zur Wahrnehmung des Punktes. Bei Hochängstlichen wird der Punkt eher entdeckt, wenn er an der Position des bedrohlichen Wortes erscheint. Literaturhinweise: H.-U. Wittchen & J. Hoyer (Hrsg.) (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer. Daraus die Kapitel – 4: Lernpsychologische Grundlagen – 5: Kognitiv-affektive Neurowissenschaft 14