Das neue Grundsatzprogramm der
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Das neue Grundsatzprogramm der
Das neue Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) -- Eine Kurzdarstellung Von Michael Rosecker I. Allgemeines zur Partei: Als erste Vorläufer der Partei gelten der 1863 gegründete Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) und die 1869 gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP). Beide Organisationen schlossen sich 1875 zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) zusammenschlossen. Nach dem Außerkrafttreten des Sozialistengesetzes im Herbst 1890 änderte die Partei ihren Namen in „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“. Die ersten Programme der „proletarischen Klassenpartei“ vereinten die demokratische Forderung nach dem allgemeinen gleichen Wahlrecht mit der Forderung nach Umwandlung der Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum und die Umwandlung der Warenproduktion in eine sozialistische, für und durch die Gesellschaft betriebene Produktion („Erfurter Programm“ von 1891). Im Jahr 1921 sollte das von der Revisionismus-Debatte um Eduard Bernstein und vom Ersten Weltkrieg beeinflusste „Görlitzer Programm“ die SPD stärker als linke Volkspartei definieren: „Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist die Partei des arbeitenden Volkes in Stadt und Land.“ Dies wurde bereits 1925 im „Heidelberger Programm“ wieder stark zu Gunsten einer traditionell-marxistischen Ausrichtung zurückgenommen. Im „Godesberger Programm“ von 1959 sind die Ausrichtung als linke Volkspartei, das Bekenntnis zur Marktwirtschaft und erstmals die Ausformulierung von Grundwerten enthalten. Sie ist die älteste im Parlament vertretene Partei Deutschlands und eine der ältesten Kontinentaleuropas. Die SPD hat derzeit rund 470.000 Mitglieder. Parteiprogramme wurden in den Jahren 1869, 1875, 1891, 1921, 1925, 1959, 1989 und eben 2007 erstellt. II. Wichtige Punkte des neuen Programms: 1. Die SPD will mit ihrem neuen „Hamburger Programm“, beschlossen im Oktober 2007, die „solidarische Mehrheit“ der Deutschen für sich gewinnen. Unter dem Titel „Soziale Demokratie im 21. Jahrhundert" formuliert die SPD auf 68 Seiten das politische Ziel der "Sozialen Demokratie" als Einheit von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Es gibt auch eine Kurzfassung von 16 Seiten mit 11 Kapiteln und 50 Paragraphen. Das Programm von 1989, das die deutsche Einheit und die Globalisierung noch nicht aufgegriffen hatte, wurde damit abgelöst. Der Auftrag zum Programmprozess erfolgte auf dem Parteitag 1999. Ein Programmentwurf der Programmkommission – der „Bremer Programmentwurf“ – wurde im Jänner 2007 vom SPD-Vorstand mit kleinen Änderungen beschlossen. Dieser wurde in vier großen Konferenzen mit ca. 7.000 TeilnehmerInnen (Bremen, Berlin, Bonn und Nürnberg), hunderten kleineren Veranstaltungen, nahezu 945 Anträgen und Debattenbeiträgen der Mitgliederbefragung („Dialogkampagne 2007“), an der sich rund 40.000 Mitglieder beteiligt hatten, breit diskutiert. Diese Ergebnisse wurden ausgewertet und flossen ein. Mit dem neuen Grundsatzprogramm rückt die SPD programmatisch wieder nach links und grenzt sich so noch deutlicher von der Union ab. Auch der oft in der SPD umstrittene Begriff „demokratischer Sozialismus“ ist enthalten und als ausdrückliches Ziel mehrfach genannt, mit den Worten Kurt Becks, "nicht nur als geschichtliche Reminiszenz" (Quelle: taz.de), sondern als wichtiger Teil der inhaltlichen Arbeit. Die Begrifflichkeit sei keine Rückkehr zum Sozialismus, wie Angela Merkel der SPD vorwarf. Dass der Staatssozialismus sowjetischer Prägung gescheitert sei, „widerlegt doch nicht die sozialdemokratische Vorstellung eines freiheitlichen Sozialismus aus einer Gesellschaft der Freien und Gleichen“ (Quelle: welt.de), so Wolfgang Thierse bei seiner Parteitagsrede. Die rund 500 Delegierten beschlossen bei nur zwei Gegenstimmen das „Hamburger Programm“. 2. In vier Überkapiteln „Die Zeit in der wir leben“, „Unsere Grundwerte und Grundüberzeugungen“, „Unsere Ziele und unsere Politik“ und „Unser Weg“ ist das Programm gegliedert. Im Analyseteil wird stark auf die Globalisierung Bezug genommen: „Das 21. Jahrhundert ist das erste wirklich globale Jahrhundert.“ Eine verschmelzende Welt birgt Chancen und Gefahren in sich, es sind die „Widersprüche der Globalisierung“. Vor allem werden die Auswirkungen auf die Arbeitswelt und die Politik bzw. die Demokratie betont. Technische Errungenschaften der Kommunikation und ökologische Herausforderungen werden ebenso beschrieben. 3. Im Grundwertekapitel wird zunächst die SPD als historisch gewachsene Partei ausgewiesen, die stets eine „internationale Freiheits-, Emanzipations- und Demokratiebewegung“ gewesen sei. Es folgt eine Erläuterung des Menschenbildes, das in der „gleichen Würde aller Menschen“ seinen Ausgangspunkt und sein Ziel der Politik findet. Es folgen knappe Beschreibungen der Grundwerte: Zu Beginn wird auf die „Freiheit“ eingegangen: „Freiheit bedeutet die Möglichkeit, selbstbestimmt zu leben. Jeder Mensch ist zur Freiheit berufen und befähigt.“ Dann die „Gerechtigkeit“: Sie gründet „in der gleichen Würde jedes Menschen. Sie bedeutet gleiche Freiheit und gleiche Lebenschancen, unabhängig von Herkunft oder Geschlecht“. Bemerkenswert ist in der Gerechtigkeitspassage die explizite Erwähnung des Leistungsbegriffs: „Leistung muss anerkannt und respektiert werden.“ Damit wendet man sich im Programm gegen den Vorwurf „gleiche Lebenschancen“ bedeuteten „Gleichmacherei“. Und als dritter Grundwert wird die Solidarität vorgestellt: Sie bedeutet „wechselseitige Verbundenheit, Zusammengehörigkeit und Hilfe“. „Sie ist die Bereitschaft der Menschen, füreinander einzustehen und sich gegenseitig zu helfen.“ Dem folgen die „Grundüberzeugungen“: Zunächst der „Demokratische Sozialismus“. In Bezugnahme auf die Geschichte wird als dessen „Grundordnung“ die Gesellschaft der Freien und Gleichen bezeichnet. Diese verlange „eine Ordnung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft, in der die bürgerlichen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte für alle Menschen garantiert sind, alle Menschen ein Leben ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt, also in sozialer und menschlicher Sicherheit führen können“. Auffällig ist, dass der sehr kurze (vage) Text gegen Ende auf den Begriff der „Sozialen Demokratie“ umschwenkt, die als „Prinzip unseres Handelns“ ausgewiesen wird. Der Begriff „demokratischer Sozialismus“ ist in der Kurzfassung gar nicht und die „Soziale Demokratie“ nur einmal enthalten. Weitere Grundüberzeugungen sind das „Primat der Politik und Prinzip der Nachhaltigkeit“ und eine etwas ausführlicher beschriebene „Politik der Sozialen Demokratie“. Sie „garantiert nicht nur die bürgerlichen, politischen und kulturellen, sondern gleichermaßen die sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte aller Menschen. Sie sichert die gleichberechtigte soziale Teilhabe aller durch gesellschaftliche Demokratisierung, vor allem Mitbestimmung, durch den auf Bürgerrechte gestützten vorsorgenden Sozialstaat und durch eine koordinierte Marktwirtschaft, in der der Vorrang der Demokratie vor den Märkten gewährleistet ist“. 4. Im längsten Kapitel „Unsere Ziele, unsere Politik“ werden in acht Unterkapiteln die Ziele und Inhalte der sozialdemokratischen Politik beschrieben: „Eine friedliche und gerechte Welt“, „Das soziale und demokratische Europa“, „Solidarische Bürgergesellschaft und demokratischer Staat“, „Die Gleichstellung der Geschlechter“, „Nachhaltiger Fortschritt und qualitatives Wachstum“, „Gute Arbeit für alle“, „Der vorsorgende Sozialstaat“ und „Bessere Bildung, kinderfreundliche Gesellschaft, starke Familien“. Darin sind viele traditionelle sozialdemokratische Positionen und Forderungen versammelt, wie „Bildung für alle“, „gemeinsames Lernen“, „Teilhabe am Haben und am Sagen“, „Gute Arbeit wollen wir für alle ermöglichen“ oder „Handlunsgfähiger Staat und aktive Wachstumspolitik“. Hervorzuheben sind eine starke ökologische Komponente in Bezug auf Energiewirtschaft und Industriepolitik. Ebenso ein Unterkapitel „Kapital- und Finanzmärkte: Chancen nutzen, Risiken kontrollieren“. Darin wird auf die Wichtigkeit eines funktionierenden Kapital- und Finanzmarktes hingewiesen (vor allem für „junge, innovative Unternehmen“): „Wir wollen, auch mit Hilfe des Steuer- und Aktienrechts Anleger stärken, die statt schneller Rendite ein langfristiges Engagement im Blick haben.“ Ein zentraler und auch umstrittener Begriff ist jener des „vorsorgenden Sozialstaats“. Im Programm wird der Sozialstaat allgemein als „zivilisatorische Errungenschaft“ dargestellt, der bürgerliche Freiheitsrechte durch soziale Bürgerrechte ergänzt, also das Fundament der Sozialen Demokratie ist. Der „vorsorgende Sozialstaat“ integriere alle Menschen in die Gesellschaft, daher vernetze er verschiedene Aufgaben wie Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik, Bildungs- und Gesundheitspolitik, Familien- und Gleichstellungspolitik oder die Integration von Einwanderern. Seine Ziele seien Sicherheit, Teilhabe und Emanzipation für alle unabhängig von „sozialer Herkunft, Geschlecht, Lebensalter oder einer Behinderung“. Je früher, individueller und wirksamer das Prinzip der Vorsorge praktiziert werde, desto besser ist der Sozialstaat in der Lage, die großen Lebensrisken solidarisch abzusichern. Schon das Berliner Programm der SPD hat formuliert: „Sozialpolitik will nicht nur reparieren und in Notfällen einspringen, sondern vorausschauend gestalten.“ Der Begriff des vorsorgenden Sozialstaats wird auch verwendet, um einen Bezug zwischen der Solidarität zwischen den Menschen und ihrer Eigenverantwortlichkeit herzustellen: „Er befähigt Menschen dazu, mit Umbruchsituationen eigenverantwortlich und solidarisch umzugehen. Er sichert deshalb insbesondere das individuelle Recht auf Bildung im Sinne von Menschenwürde und Freiheit.“ (Kurt Beck, Franz Müntefering und Peter Struck in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 23. 11. 2006). Vor allem Kritik von Links behauptet, der Begriff des vorsorgenden Sozialstaats diene der Verschleierung einer seit Ende der 1990er Jahre in der SPD erkennbaren und in der Agenda 2010 manifestierten Tendenz, die soziale Sicherung kontinuierlich zurückzufahren. In der SPD selbst wurde er als inhaltsleer kritisiert. 5. Im kurzen vierten Schlusskapitel werden die zentralen Themen des dritten Kapitels unter der Präambel, die SPD verspreche kein „irdisches Paradies“, weil die Welt voller „Konflikte und Widersprüche“ sei, wiederholt. Daher erkenne die SPD die Realitäten in einer offenen Zukunft an, finde sich aber nicht „mit den Verhältnissen ab“, daher wolle sie „unser Land zukunftsfähig machen“. III. Zusammenfassung: Die SPD vertritt in ihrer aktuellen Politik klassisch sozialdemokratische Positionen mit teilweise traditioneller Sprache, führt aber auch alternative Begrifflichkeiten von der Theorieperipherie ins Zentrum des Programms. Dazu gehören die intensive Verwendung und Orientierung an der Sozialen Demokratie. Ebenso wird der „vorsorgende Sozialstaat“ als Leitidee stark betont. Sprachlich ist das das Programm gut lesbar und inhaltlich breit aufgestellt, aber dennoch themenbezogen manchmal inkonsistent in seiner Sprache und Begrifflichkeit.