Langfassung der Bemerkung Nr. 43

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Langfassung der Bemerkung Nr. 43
43
Doppelte Kindergeldzahlungen verhindern und Fachaufsicht stärken
(Kapitel 6001 Titel 011 01)
43.0
Familienkassen haben in vielen Fällen für dasselbe Kind oft über Jahre hinweg
doppelt Kindergeld gezahlt, nicht selten länger als zehn Jahre. Die Mitte 2009
festgestellten Überzahlungen betrugen in 1 306 Fällen insgesamt mehr als 9 Mio.
Euro. Um Doppelzahlungen zu verhindern, muss das Bundesministerium der
Finanzen für geeignete IT-Verfahren und Kontrollsysteme sorgen.
Das Bundesministerium der Finanzen nimmt seit Jahren hin, dass das
Bundeszentralamt für Steuern seine Fachaufsicht über die Familienkassen nicht
umfassend wahrnimmt. Diesem ist nicht einmal bekannt, welche einzelnen
Familienkassen seiner Fachaufsicht unterliegen.
43.1
Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz wird als Steuervergütung von den
Familienkassen festgesetzt und ausgezahlt (vgl. Bemerkungen 2009 Nr. 37). Im
Jahre 2008 zahlten sie für rund 18,1 Millionen Kinder 33,4 Mrd. Euro Kindergeld. Die
Aufgabe erfüllt im Wesentlichen die Bundesagentur für Arbeit (Bundesagentur) mit
102 Familienkassen für 15 Millionen Kinder. Für Angehörige des öffentlichen
Dienstes zahlen deren Arbeitgeber als Familienkassen Kindergeld. Da jede
Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts Familienkasse ist, gibt es
bei Bund, Ländern und Gemeinden etwa 12 000 Familienkassen des öffentlichen
Dienstes. Die genaue Zahl ist nicht bekannt.
Alle Familienkassen unterliegen als Bundesfinanzbehörden der Fachaufsicht des
Bundeszentralamtes für Steuern (Bundeszentralamt) in der Ressortverantwortung
des Bundesministeriums der Finanzen (Bundesministerium).
Der Bundesrechnungshof prüfte mit Unterstützung der Prüfungsämter des Bundes
Köln, Koblenz, Hannover und München die Gewährung des steuerlichen
Kindergeldes bei den Familienkassen der Bundesagentur und ausgewählten
Familienkassen des öffentlichen Dienstes für drei Zahlungsmonate. Dabei stellte er
bis Mitte 2009 Folgendes fest:
43.1.1 Doppelzahlungen durch jeweils eine Familienkasse der Bundesagentur
und eine Familienkasse des öffentlichen Dienstes
In 740 Fällen setzten eine Familienkasse des öffentlichen Dienstes und eine
Familienkasse der Bundesagentur Kindergeld für dasselbe Kind fest und zahlten es
oft über Jahre hinweg aus, nicht selten länger als zehn Jahre. Die Überzahlungen
beliefen sich auf mehr als 8 Mio. Euro.
Zwei Fallgruppen waren dabei typisch:
● Ein Elternteil beantragte zweimal Kindergeld: einmal bei einer Familienkasse des
öffentlichen Dienstes und außerdem bei einer Familienkasse der Bundesagentur.
● Der im öffentlichen Dienst beschäftigte Elternteil beantragte Kindergeld bei einer
Familienkasse des öffentlichen Dienstes und der andere Elternteil bei einer
Familienkasse der Bundesagentur. In ihren Anträgen wiesen beide nicht auf den
jeweils anderen Antrag bzw. auf darauf gezahltes Kindergeld hin.
Daneben beruhte ein Teil der Doppelzahlungen auch auf Bearbeitungsfehlern in den
Familienkassen. Sie versäumten vor allem, beim Wechsel des Berechtigten oder der
zuständigen Familienkasse die bisherigen mit den neuen Antragsdaten für das
jeweilige Kind zu vergleichen. In einigen Fällen setzten sie auch ohne Antrag
Kindergeld fest. Zum Beispiel veranlassten Familienkassen des öffentlichen Dienstes
Kindergeldzahlungen, nachdem ein Beschäftigter seinem Dienstherrn zur
Vervollständigung seiner Personalangaben die Geburt eines Kindes mitgeteilt oder
eine Geburtsurkunde vorgelegt hatte. In anderen Fällen lag zwar ein Antrag vor, es
fehlte aber als Geburtsnachweis das Original der für Kindergeldzwecke ausgestellten
Geburtsurkunde. Einige Familienkassen leisteten ohne weitere Prüfung Kindergeld,
obwohl der Antrag erst gestellt wurde, als das Kind schon älter war und deshalb der
Anspruch schon längere Zeit bestand. Dabei lag es nahe, dass für dieses Kind
bereits eine andere Familienkasse Kindergeld zahlte. In Einzelfällen verursachten die
Familienkassen die Doppelzahlungen durch Fehler bei der Übernahme von Daten
aus den Kindergeldanträgen.
43.1.2
Doppelzahlungen durch Familienkassen der Bundesagentur
In 566 Fällen zahlten Kindergeldkassen der Bundesagentur insgesamt 1,3 Mio. Euro
zuviel. Neben den unter 43.1.1 dargestellten Bearbeitungsfehlern in den
Familienkassen war hier eine typische Ursache für die Doppelzahlungen der Umzug
eines Berechtigten in den örtlichen Zuständigkeitsbereich einer anderen
Familienkasse. In diesen Fällen zahlte die Familienkasse trotz Aktenabgabe an die
neu zuständige Familienkasse weiter Kindergeld. Diese nahm die Zahlung auf, ohne
festzustellen, ob die bisher zuständige Familienkasse noch zahlte. Begünstigt
wurden diese Fälle dadurch, dass die Familienkassen die Kindergelddaten stets neu
in das IT-System eingeben mussten; sie konnten nicht automatisch weitergegeben
werden. Doppelarbeit, Fehler bei der Dateneingabe und Doppelzahlungen waren die
Folgen.
43.2
Der Bundesrechnungshof hat die fehlerhaften Kindergeldzahlungen beanstandet. Er
hält es für möglich, die Doppelzahlungen und die Bearbeitungsfehler in den
Familienkassen weitgehend auszuschließen. Hierzu kann vor allem die mit dem
Steueränderungsgesetz
2003
als
Identifikationsmerkmal
für
das
Besteuerungsverfahren eingeführte Identifikationsnummer für natürliche Personen
beitragen. Sie ermöglicht systematische und zuverlässige Datenabgleiche.
Das Bundesministerium sollte außerdem dafür sorgen, dass die Beschäftigten in den
Familienkassen gezielt geschult und insbesondere auf das Risiko von
Doppelzahlungen aufmerksam gemacht werden. So sollte Kindergeld stets erst dann
festgesetzt werden, wenn ein vollständiger Antrag vorliegt. Darüber hinaus sollten die
Familienkassen als Geburtsnachweis für ein Kind ausschließlich das Original der
Geburtsurkunde für Zwecke des Kindergeldes akzeptieren. Außerdem sind
Vergleichsmitteilungen auszutauschen, insbesondere bei einem Wechsel der örtlich
zuständigen Familienkasse und der Anspruchsberechtigten. Bei Kindergeldanträgen
für ältere Kinder ist zu beachten, dass für diese Kinder möglicherweise bereits eine
andere Familienkasse Kindergeld zahlt.
Bei den Familienkassen der Bundesagentur hat der Bundesrechnungshof gefordert,
die IT-Verfahren zu verbessern. Die Bundesagentur muss es ermöglichen, dass nach
einem Umzug von Kindergeldberechtigten die neu zuständige Familienkasse die
Kindergelddaten von der abgebenden Familienkasse automatisch übernimmt. Dies
würde Doppelarbeit mit neuen Fehlerrisiken vermeiden.
Der Bundesrechnungshof hat ferner beanstandet, dass dem Bundesministerium und
dem Bundeszentralamt die Familienkassen des öffentlichen Dienstes nicht
vollständig bekannt sind. Damit fehlt eine grundlegende Voraussetzung für eine
wirksame Fachaufsicht und eine hinreichende Steuerung und Kontrolle der
Familienkassen.
43.3
Das Bundesministerium hat mitgeteilt, das Bundeszentralamt habe im Oktober 2008
ein „Merkblatt zur Abwicklung von Doppelzahlungsfällen“ sowie eine „Regelung der
Zuständigkeiten der Familienkassen für den Erlass eines Aufhebungs- und
Rückforderungsbescheides für die Zeit der Doppelzahlungen anhand einiger
Beispielsfälle“ an die Familienkassen übersandt. Es gehe davon aus, dass alle bisher
bekannt gewordenen Verdachtsfälle bereits überprüft sind. Die dabei aufgedeckten
Doppelzahlungen seien eingestellt und eine Reihe von Aufhebungs- und
Rückforderungsbescheiden
erlassen
worden;
Steuerstrafund
Ordnungswidrigkeitsverfahren seien eingeleitet. Zudem würden bei Angehörigen des
öffentlichen Dienstes die dienstrechtlichen oder arbeitsrechtlichen Konsequenzen
geprüft.
Das Bundesministerium hat bestätigt, dass die steuerliche Identifikationsnummer die
ordnungsgemäße Leistung des steuerlichen Kindergeldes erleichtern kann. Die
Identifikationsnummer werde seit Januar 2009 bei Kindergeldneuanträgen und
Änderungsmitteilungen erhoben. Ein Verfahren für einen systematischen
Datenabgleich sei noch einzurichten.
Das Bundesministerium hat erklärt, es habe sich bisher nicht mit dem IT-System der
Bundesagentur befasst. Doppelarbeiten bei der Erfassung der Kindergelddaten
müssten auf jeden Fall vermieden werden. Es befürwortet daher, dass die
Bundesagentur ihr IT-System technisch weiterentwickelt.
Für die Beschäftigten der Familienkassen seien verstärkt Schulungen vorgesehen.
Das Bundesministerium hat die Notwendigkeit bestätigt, die Familienkassen des
öffentlichen Dienstes für eine wirksame Fachaufsicht vollständig zu erfassen. Dafür
sei es auf Auskünfte der Länder darüber angewiesen, welche Arbeitgeber bei der
Lohnsteueranmeldung Kindergeld absetzen. Nur einige Länder lieferten die
entsprechenden Informationen. Andere verweigerten die Auskunft bis zu einer
entsprechenden Weisung des Bundesministeriums. Wieder andere meinten, für
derartige Auskünfte bedürfe es wegen des Datenschutzes einer ausdrücklichen
gesetzlichen Grundlage. Deshalb beabsichtige das Bundesministerium, eine
ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage im Gesetz über Steuerstatistiken (StStatG) in
der kommenden Legislaturperiode mit Wirkung ab dem Jahre 2011 zu schaffen.
Außerdem bemühe sich das Bundesministerium um eine stärkere Konzentration der
Familienkassen
des
öffentlichen
Dienstes
(vgl.
Bemerkungen
2007,
Bundestagsdrucksache 16/7100 Nr. 13 S. 150). Der Konzentrationsprozess werde
dazu beitragen, die Bearbeitungsqualität nachhaltig zu steigern.
43.4
Die Ausführungen des Bundesministeriums bestätigen die Auffassung des
Bundesrechnungshofes, das Bundesministerium habe die Familienkassen nicht
hinreichend gesteuert und kontrolliert und so die doppelten Kindergeldzahlungen mit
verursacht.
Der Bundesrechnungshof erwartet größere Anstrengungen des Bundesministeriums,
um Kindergeld-Doppelzahlungen wirksam zu verhindern. Dafür reicht es nicht, den
inzwischen
aufgedeckten
Doppelzahlungen
nachzugehen.
Da
der
Bundesrechnungshof bei seinen Prüfungen die Zahlungsdaten nur für begrenzte
Zeiträume vergleicht, sind noch weitere Fälle mit erheblichen Überzahlungen zu
befürchten.
Daher fordert der Bundesrechnungshof das Bundesministerium – über das bisher
Veranlasste hinaus – auf, ein umfassendes Datenabgleichverfahren zu entwickeln
und dabei die steuerliche Identifikationsnummer als eindeutiges Merkmal zu nutzen.
Der Bundesrechnungshof erwartet zudem, dass das IT-Verfahren der Bundesagentur
so geändert wird, dass Neueingaben von Daten beim Wechsel der Zuständigkeit
innerhalb der Bundesagentur künftig vermieden werden.
Er unterstützt die Absicht des Bundesministeriums, die Beschäftigten in den
Familienkassen verstärkt zu schulen, um doppelten Kindergeldzahlungen
vorzubeugen.
Der Bundesrechnungshof hält es für nicht hinnehmbar, dass das Bundeszentralamt
über die Familienkassen des öffentlichen Dienstes keine umfassende Fachaufsicht
ausüben kann. Das Bundesministerium sollte die Finanzbehörden der Länder
umgehend anweisen, die zur Fachaufsicht erforderlichen Informationen zu
übermitteln. Es sollte die datenschutzrechtlichen Bedenken der Länder mit dem
Hinweis entkräften, dass es lediglich eine Übersicht über die Familienkassen
benötigt. Die aufgezeigten Mängel verbieten es, abzuwarten, bis sich die vom
Bundesministerium beabsichtigte Gesetzesinitiative evtl. ab dem Jahre 2011
auswirkt.
Der Bundesrechnungshof teilt die Einschätzung des Bundesministeriums, die
Konzentration der Familienkassen des öffentlichen Dienstes könne nachhaltig zur
Steigerung der Arbeitsqualität beitragen. Außerdem würde sie die Fachaufsicht
erleichtern. Das Bundesministerium sollte daher seine Bemühungen zur
Konzentration der Familienkassen fortsetzen.