Das Haus des Igels

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Das Haus des Igels
Eine Geschichte zu moralischen Werten
Altersgruppe 9-11 Jahre
Das Haus des Igels
von Branko Ćopić, Illustrationen von Vinko Selan Gliha
Der ruhmreiche Jäger
In den Wäldern, dort wo es keine Wege und Stege mehr gibt,
wandert der Igel Ježić den ganzen Tag umher.
Man kann ihn oft jagen sehen, dazu benützt er seine 300 Stacheln.
Mit diesen 300 Stacheln greift er an.
Mit diesen 300 Stacheln schützt er sich.
Der Wolf und der Bär, ja sogar das Schaf
kennen den Igel, den ruhmreichen Jäger.
Der Falke respektiert ihn, der Wolf geht ihm aus dem Weg.
Sogar die Schlange hat Angst vor ihm.
(Der Tag breitet sich vor ihm aus, der Schrecken auch,
mit Ruhm bedeckt sind seine Pfade.)
Ein Brief vom Fuchs
Eines Tages – wir wissen es nicht genau,
aber man erzählt es sich – erhielt Ježić einen Brief.
Ein honigsüßer Brief, so sagte der Bär,
wurde vom Postboten, dem Hasen, zugestellt.
Es stand als Adresse darauf zu lesen:
„Für meinen Freund, den Igel,
der am Waldrand lebt.“
Im Brief stand geschrieben:
„Oh Igel, mein lieber Freund, ich träume oft von dir,
und ich denke auch oft an dich.
Ich schreibe dir dies aus meinem Bau, mit einer Gänsefeder,
was für ein wunderschönes Werk.
Komm’ zu mir in meine Hütte, um mit mir zu Mittag zu essen.
Eile, gönne deinen Füßen keine Pause.
Mit einem vollen Topf und einem kecken Schnurrbart
werde ich auf dich warten, spute
dich beim Laufen!
Ich umarme dich liebevoll und
sende dir Grüße,
Mica der Fuchs.“
Der Igel war glücklich, er sagte:
„Zu diesem Fest
muss ich mich vorbereiten.“
Der Igel Ježić zwinkerte schlau,
überprüfte seine 300 Stacheln und schärfte
jede einzelne von ihnen.
„Sollte es unterwegs einen Kampf geben,
werde ich verteidigen, was mir gehört.“
Beim Fuchs zu Hause
Die Sonne steht im Zenit,
es ist Mittagszeit,
als der Igel beim Fuchs ankommt.
Vor dem Haus, bei der Steinmauer,
nimmt der Igel Ježić seinen Hut ab,
verbeugt sich mit einem Lächeln und
als wahrer Gentleman beginnt er eine
Begrüßungsrede für den Fuchs:
„Guten Tag, guter tugendhafter Fuchs,
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ich zolle dir mit meinen 300 Stacheln
Respekt.
Die Federn des Hahns sollen dein Haus
schmücken,
Hühner sollen in deinem Topf schmoren.
Gänsefedern sollen dein Besen sein,
und eine Ente dein weicher Polster.
Mögest du immer in Frieden und Glück
leben,
niemals sollst du das Bellen der Hunde
vernehmen müssen.
Und nun: Ich bin hier
mit einem leeren Bauch, um mit dir zu
Mittag zu essen!“
Das magische und köstliche Essen beginnt,
der Igel und der Fuchs glänzen, weil ihnen
das Fett aus den Mundwinkeln rinnt.
Eine volle Schüssel folgt der nächsten, und
der Igel hebt häufig das Glas:
Auf die Gesundheit des Fuchses,
auf sein Zuhause und auf den Tod
des Jagdhundes Žućo.
Das Mahl dauert vier Stunden, am
Ende sind die Bäuche so prall
gespannt wie ein Trommelfell.
Die Nacht
Die Dämmerung legt ihren blauen Schleier über
den Wald und die Nacht bricht herein.
Ab und an fliegt ein Falter vorüber.
Der Nachtwind zählt die Blätter.
Der Wald ist still, nichts regt sich mehr.
Die Augen der Wildkatzen leuchten.
Das Glühwürmchen zündet seine Laterne an
und beleuchtet den Weg mit magischem
Licht.
Eine Eule lässt ihren Kampfruf ertönen:
„Wartet ihr Vögel, die Jagd beginnt gleich.“
2
Der Abschied
Der Igel steht auf, er wischt sich den Mund ab:
„Ich muss nach Hause gehen,
ich kann nicht mehr länger bleiben.
Es war sehr gut, wirklich,
lieber Fuchs, ich danke dir sehr!“
„Mein Haus ist so sicher wie eine Festung,
wohin willst du jetzt gehen, die Nacht fällt schon herein!“
Mit diesen lieben Worten versucht der Fuchs
den Igel zum Bleiben zu bewegen.
Aber der Igel entschuldigt sich und sagt:
„Danke für die Einladung, aber ich ziehe
mein bescheidenes Heim vor.“
„Bleib doch, mein Freund“,
säuselt der Fuchs, während er
ihn an der Hand zieht.
Aber der Igel bleibt stur, er besteht darauf,
nach Hause zu gehen.
Noch einmal sagt er, dass er es vorzieht,
in seinem einfachen Haus zu sein.
Und so begibt er sich auf den Heimweg.
Der Mond, der durch die Zweige scheint,
beleuchtet seinen Weg und
ringsherum hört er es rascheln und flüstern.
3
Der Igel wandert durch den Wald und murmelt
vor sich hin, während über ihm die Sterne leuchten:
„Mein kleines Haus, das schönste Paradies.“
Verfolgung
Der Fuchs aber sitzt in seinem Haus und denkt:
„Du meine Güte, warum ist dieses Haus
so wertvoll für ihn?“
Nachdem der Igel mit solcher Leidenschaft
wieder nach Hause wollte und sich
durch nichts dazu überreden ließ,
im Haus des Fuchses zu bleiben,
muss es wohl ein reiches Haus sein.
Und der Fuchs sieht vor seinem
inneren Auge die Federn auf den Fußböden
und gebratene Lerchen an der Decke.
Er dachte, dass das Haus des Igels
in Reichtum erstrahlt und
beschließt, heimlich dorthin zu gehen,
um es sich anzusehen.
Der Wolf
Der Fuchs eilt davon, als ein lautloser Schatten.
Seine Schritte machen kein Geräusch.
Während er in dieser Heimlichkeit dahinläuft,
taucht vor ihm auf dem Pfad der Wolf auf.
„GRRR… sag’ dem Jäger wohin du gehst –
vielleicht hast du irgendwo ein Lamm gefunden?”
Atemlos antwortet ihm der Fuchs:
„Ich will herausfinden,
warum der Igel sein Haus so sehr schätzt.“
„Ach ein Haus, so ein Müll, ich würde
meines sofort für ein Lamm eintauschen“,
sagt der Wolf.
„Aber ich will mit dir gehen, weil ich
gerne Spaß habe, und ich will den Igel
sehen, diesen Narren.“
4
Der Bär
Während die beiden
schneller als ein Pfeil dahinjagen,
treffen sie den Bären.
Der Bär liebt Bienen und ihren Honig.
Der Bär beobachtet den Wolf und den Fuchs
und meint: „Diese Eile ist verdächtig,
vielleicht habt ihr den Honigsee gefunden?”
„Nein, aber wir können uns nicht vorstellen,
was der Igel an seinem Haus so sehr liebt.“
„Ein Haus, das man liebt? Welche Dummheit! Ich
schwöre bei meiner Nase, ich würde meines hergeben
für einen vergammelten Pfirsich.
Für eine Hand voll Honig würde ich
es jedem geben“, sagt der unersättliche Bär.
„Ich werde mit euch gehen,
denn ich lasse keinen Spaß aus.
Ich will den Igel, diesen Narren sehen!“
5
Der Eber
Alle drei – Fuchs, Wolf und Bär –
rennen nun so schnell wie ein wilder Fluss dahin.
Plötzlich stehen sie vor einem Loch
voll Morast, in dem der Eber badet.
Er schaut müde und verschlafen in die Welt
und träumt noch halb von gutem Fressen.
„Hallo Freunde, euer Laufen macht euch verdächtig.
Habt ihr einen Platz gefunden, wo man wie Gott in Frankreich
speisen kann?“, fragt das Schwein
und springt mit lautem Schmatzen aus dem Loch.
Der Wolf gibt die Antwort:
„Wir suchen den Grund dafür, du schmutziger Geselle,
warum der Igel sein Haus so sehr liebt.”
„Ein Haus lieben? Ach, ich würde es für ein halbes
Mittagessen hergeben,
das schwöre ich bei meinem Fett!
Ich werde mit euch gehen, weil ich mir gerne
einen Spaß mache, und auch ich will den Igel sehen, diesen Narren!“
Vor dem Haus des Igels
Sie rennen nun alle gemeinsam laut polternd durch den Wald,
mit dem Ziel, das Haus des Igels
zu erreichen.
Auf einmal holen sie den Igel ein,
er hat bei einer Birke Halt gemacht.
Zwischen den Wurzeln der Birke
ist ein Loch.
Die Höhle ist dunkel und modrig,
und das Bett ist aus alten Blättern gemacht.
Als Ježić diesen Platz betritt, schwimmt er im Glück,
er quietscht und berührt die Stelle, wo er sich niederlegen will.
Er richtet sich das Bett gemütlich her,
gähnt, und streckt seine Füße aus.
Er fühlt sich gesegnet. Er ist gut gelaunt,
und wiederholt ohne Unterlass:
„Du mein Heim, meine Freiheit.
Wunderschöner Palast mit der hölzernen Decke,
du meine Wiege mit dem laubbedecktem Boden.
Ich werde dir immer treu sein,
ich werde dich nie für etwas anderes eintauschen.
Hier wohne ich ohne Angst und Sorge,
ich werde dich bis zu meinem letzten
Atemzug verteidigen!“
6
Drei Ruhestörer
Da brüllen der Bär, der Eber und der Wolf
so laut, als würde ein Sturm losbrechen:
“Igel, du Narr, mit deinen Stacheln,
du schätzt deine Baracke so sehr?
Dein Haus ist eine wirklich alte Hütte,
das Dach ist kaputt, der Boden ist armselig.
Das ist ein wahres Hundeloch, eng und modrig,
und sicher hast du viele Flöhe!
Eine solche Hütte, du kleiner Angeber,
würden wir alle für ein gutes Essen hergeben.“
Die drei sagten das voll Ärger,
aber der schlaue Fuchs
neben ihnen schwieg.
Die Antwort des Igels
Ježić steht auf, seine Augen glänzen,
er gibt seinen Gästen eine seltsame Antwort:
„Aber dies ist der Platz, an dem ich geboren wurde,
und er ist mir immer noch lieb.
Auch wenn er einfach ist, er gehört mir,
hier bin ich frei in meinem Eigentum.
Ich arbeite hart, ich jage und lebe friedlich
unter meinem Dach.
Nur ein Bösewicht, der nichts Gutes im Schilde führt,
würde sein Geburtshaus für ein Essen hergeben.
Deshalb, ihr drei Verrückten,
habt ihr kein eigenes Haus.
Ihr lebt, wie ich höre, vom Herumtreiben und
Raubüberfällen und es wird ein böses Ende mit euch nehmen.“
Der Fuchs, der alles gehört hat,
antwortet weise:
„Nun sehe ich ein, dass der Igel Recht hat!“
Dann rennt der Fuchs den Hügel hinauf,
die anderen drei aber beginnen zu schreien:
„Der Igel hat nicht Recht, und du Fuchs, auch du bist ein Narr!“
7
Das Ende der Geschichte
Gibt es noch etwas zu erzählen, wie lautet das Ende der Geschichte?
Ihr sollt es hören:
Der Wolf wird von den Bauern zu Tode geprügelt,
der Bär, oh Jammer, ihn stechen die Bienen zu Tode.
Und der Eber wurde im Winter von
der Kugel aus einem Jagdgewehr getroffen
und fällt, wie ein reifer Pfirsich vom Baum fällt.
Durch die Wälder, die ohne Wege und Stege sind,
wandert nun der Igel, manchmal jagt er auch.
Er ist ein Meister seines Fachs, er arbeitet
und beschützt sein Heim, in dem er einmal geboren wurde.
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