YR05032 Y.Redesign 05/2006, S.32-35

Transcription

YR05032 Y.Redesign 05/2006, S.32-35
STREITKRÄFTE
● Gipfel
● Logistik. Menschen und Material in bislang
für deutsch-österreichische Verhältnisse
noch nicht bekannter Zahl wurden ins Tiroler
Unterland befohlen. 5600 Soldaten nahmen
an der rund 2,7 Millionen Euro teuren Großübung „Peace Summit 06“ teil, davon 1400
deutsche. Für Mobilität sorgten 550 Radfahrzeuge sowie 84 Kettenfahrzeuge, für die unentbehrliche Unterstützung aus
der Luft 22 Hubschrauber, davon
sechs Bell UH-1D
der Bundeswehr.
Infos rund um
die Übung gibt es auf:
www.deutschesheer.de
Gefecht im Nebel
Zwei Streitkräfte, vier Aufgaben:
5600 deutsche und österreichische Gebirgsjäger üben
beim Manöver „Peace Summit“ im Tiroler Gebirgsland den Einsatz.
fiktive Ernstfall sieht vor, verfeindete
Ethnien zu trennen, eine Demarkationslinie zu überwachen – nah dran an der
Einsatzwirklichkeit. Größten Wert legen die Planer auf das Miteinander der
Soldaten aus beiden Ländern – von den
Gefechtsständen bis zur abgelegenen
Haubitzenstellung im Gebirgswald.
» Die Zusammenarbeit zwischen
Bundesheer und Bundeswehr ist
seit vielen Jahren überaus eng «
Oberstleutnant Norbert Schartner (43),
Österreichischer Presseoffizier „Peace Summit 06“
chelsdörfers Skijäger gehören, stellen
sich vom 27. März bis zum 7. April gemeinsam mit der 6. Jägerbrigade des österreichischen Bundesheeres dem für beide Streitkräfte beispiellosen Manöver
„Peace Summit 06“ (Friedensgipfel).
Zwischen dem Inntal bei Schwaz/
Vomperbach und der Schneelandschaft
auf dem Lizum soll sich das Miteinander von Skijägern, Artilleristen, Heeresfliegern, Panzersoldaten, Pionieren und
Versorgungseinheiten bewähren. Der
Fotos: Axel Vogel (4)
Voll ausgerüstet, rund 30 Kilogramm
Gepäck samt G36 auf dem Rücken,
Skiern unter den Füßen, führt ihr Weg
acht Stunden von Lanersbach im Zillertal über das „Tor Joch“. 1000 Höhenmeter inklusive. Sie sind nicht allein: 85 österreichische Soldaten des Jägerbataillons 24 begleiten sie zu dem ungewöhnlichen Ziel, der 5000 Hektar großen Wattener Lizum. Hier auf 2000 Meter liegt
ein Truppenübungsplatz des österrei-
chischen Bundesheeres. Das hochalpine
Gelände ist Schauplatz einer Großübung
von Spezialisten für schwieriges Terrain.
1400 Soldaten der Gebirgsjägerbrigade
23 aus Bad Reichenhall, zu der auch Ei-
Foto: privat
M
ucksmäuschen still ist es in 2400
Metern Höhe. Nur das Pfeifen
des Windes ist zu hören. Majestätisch erhebt sich die schneebedeckte
Bergwelt in den blauen Himmel. Während Naturfreunde die Fernsicht genießen, beschäftigen Oberstleutnant i.G. Peter Eichelsdörfer (44) und rund 150 Soldaten des Gebirgsjägerbataillons 231 aus
Bad Reichenhall ganz andere „Aussichten“. Für sie ist die lawinengefährdete
Schneelandschaft abseits von Straßen und
Wegen wie ein allgegenwärtiger Feind. Jeder Schritt birgt eine Gefahr.
Kletterkünstler. Vereiste Steigung? Kein Problem für den schneegängigen BV 206 D
32
Y. 05/2006
Als Österreichs Verteidigungsminister
Günther Platter mittags in der AndreasHofer-Kaserne in Absam eintrifft – Gefechtsstand von „Peace Summit“ und
Heimat der 6. Jägerbrigade –, spitzt sich
die Situation zu. Zumindest auf den
LCD-Bildschirmen der 160 PC-Arbeitsplätze sowie den großen digitalen Lagekarten des „Combined Joint Tactical
Operation Center“ (CJTOC). Hier befindet sich das „Gehirn“ der Übung – und
das Reich von Dr. Jörg Friedrich, Chef
des Stabes der Gebirgsjägerbrigade 23.
Der 42-jährige Oberstleutnant i.G. führt
im CJTOC gemeinsam mit Oberst d.G.
Christof Tatschl den Leitungsgefechtsstand. „Vernetzte Operationsführung“,
bei der die Führung den Standort jeder
Kampfgruppe in Echtzeit kennt, ist in
Absam Realität, erklärt Friedrich. Selbst
das geplante „joint fire“, der Waffeneinsatz unterschiedlicher Systeme, wie Hubschrauber und Artillerie, könne von hier
aus geleitet werden.
Und Waffeneinsatz lässt sich nach
Lage der Dinge kaum mehr vermeiden.
Die Provinz Malanea, die kurzerhand
ins österreichische Inntal verlegt wurde,
ist Zankapfel zwischen Limeland und
Graniteland. Der Grund: Limeland unterdrückt hier Minderheiten aus Graniteland. Zu allem Überfluss startet Graniteland noch einen Vorstoß in den
Raum Innsbruck, um seine Landsleute
zu schützen. Minister Platter kommt
das Szenario bekannt vor: „Das ist eine
realistische Annahme, die der im Kosovo aus dem Jahr 2003 entspricht, als
dort die Unruhen eskalierten.“
● Aufbau. In der
Hochgebirgsjägerzug
österreichischen
im Lizumer Boden
Armee dienen
rund 50.000 Soldaten, davon knapp 25.000
Rekruten. In Österreich besteht eine Allgemeine Wehrpflicht von sechs Monaten. Zu zusätzlichen Truppenübungen werden jedes Jahr
fast 30.000 Soldaten eingezogen.
● Transformation. Die österreichische Regierung passt die militärische Landesverteidigung des Alpenlandes an die sicherheitspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts an. Mit Einnahme der Zielstruktur „ÖBH
2010“ erhält das Bundesheer eine Personalstärke von 21.000 Bediensteten und 24.000 Miliz-Soldaten. Der Rest der GesamttruppenKraftakt. Für ihre schweren Mörser müssen die deutschen Gebirgsjäger Stellungen im gefrorenen Boden schaffen
„Peace Summit“ vereint in den drei
Operationsgebieten „Tal“ (Inntal),
„Berg 1“ und „Berg 2“ (Lizum) maximale Herausforderungen einer Auslandsmission, wie sie auf dem Balkan,
aber auch in Afghanistan denkbar sind.
Die Soldaten müssen in schwierigstem
Gelände vier Aufgaben erfüllen:
➊ humanitäre Hilfe,
➋ Schutz der Bevölkerung,
➌ Abwehr von Gegnern und
➍ Information aller Parteien.
Österreicher und Deutsche sollen „durchweg in gemischten Einheiten operieren“,
erklärt der österreichische Presseoffizier
Oberstleutnant Norbert Schartner (43).
Für den Milizoffizier eine leichte Übung,
denn „die Zusammenarbeit ist seit vielen
Jahren überaus eng“.
Gemeinsame Auslandseinsätze wie im
Sommer 2000 im Kosovo verbinden ebenso wie Sprache, Ausrüstung und eine intensive Vorbereitung. Vielerorts ist die
Kombination von Technik und Manpo-
wer unentbehrlich, damit sich die Einheiten überhaupt in Stellung bringen
konnten. Kein Zuckerschlecken bedeutet das für die Soldaten von Oberleutnant Johannes Seeliger (27), Mörserzugführer der 5. Kompanie des Gebirgsjägerbataillons 231. Seine Kameraden
müssen drei 120-Millimeter-Mörser, jeder 160 Kilogramm schwer, auf etwa
2000 Meter nahe der Lizumer Hütte in
Position bringen.
Zwar helfen auf dem beschwerlichen
Weg die Kettenfahrzeuge vom Typ Hägglund BV 206 (siehe dazu auch Y.
11/2005, Seite 56). Doch selbst diese
höchst geländegängigen „Würfel auf
Ketten“ finden bei meterhohem Schnee
ihre Grenzen. Muskeleinsatz gehört daher zum Alltag. Außerdem müssen Seeligers Soldaten noch mächtig in die Hände spucken, um für ihre Mörser Stellungen auszuheben, Munition herbeizuschaffen. „Abgesessen, im Winter und
dazu noch im Hochgebirge zu schießen
Abstimmung. Österreichische und deutsche Pioniere
planen gemeinsame einen Brückenbau
stärke von 55.000 Personen (nach Mobilmachung) findet sich in der Zentralleitung (Ministerium), in Ämtern, Akademien und Schulen.
Seit 15. Juli 2004 arbeitet die selbstständige
Projektorganisation „Management Bundesheer 2010“ an der Planung und Steuerung der
umfassenden Bundesheerreform. Ziel: operationelle Fähigkeiten für eine adäquate militärische Beteiligung Österreichs an Operationen der multinationalen Konfliktprävention.
db
Daten und Fakten zu Luft- und Landstreitkräften
unserer Nachbarn finden sich im
Netz unter: www.bmlv.gv.at
Y. 05/2006
Foto: Axel Vogel
STREITKRÄFTE
Flug. Im Hochgebirge sind Hubschrauber für die teilnehmenden Einheiten der Bundeswehr und des Bundesheeres ein lebenswichtiges Transportmittel
ist für uns die anspruchsvollste Aufgabe“, resümiert der Offizier mit der
Wollmütze auf dem Kopf und dem weißen Tarnanzug. Die klimatischen Verhältnisse tun ein Übriges. Ständig bei
Minusgraden im Freien zu sein, mitunter
sogar in den Hägglunds zu übernachten,
„das schafft ganz schön“. Auch andernorts erfordern die extremen Gegebenheiten ungewöhnliche Mittel. Als es zu Beginn der Gefechtshandlungen in der
zweiten Manöverwoche darum geht, die
Soldaten im Operationsgebiet „Tal“ zu
versorgen, schlägt die Stunde der zehn
Mulis und fünf Haflinger in der Andreas-Hofer-Kaserne.
Die Tiere hat Oberleutnant Martin
Hillebrand vom Einsatz- und Ausbildungszentrum für das Gebirgstragtierwesen 230 aus Bad Reichenhall mitgebracht. Zwei Nächte hintereinander
sind Mensch und Tier mit österreichischen Tragtiereinheiten im Verfügungsraum „Gnadenwald“ auf unwegsamen Waldwegen unterwegs. „Das
sind Eindrücke, die man nicht vergisst“,
resümiert der schlanke 26-jährige Offizier. Dazu gehört, dass seine Soldaten
von den Kameraden des Bundesheeres
„einiges lernen können“, sagt Hille-
34
Y. 05/2006
brand, etwa die „Aufklärungsritte“, mit
denen österreichische Reiter seit 1990
an ihren Grenzen etwa im Burgenland
patrouillieren.
Hillebrands Nachschub wird im Innund Zillertal dringend gebraucht: Mechanisierte Einheiten bekommen es mit
Demonstranten zu tun. Zudem sollen gemischte Pioniereinheiten bei Vomperbach Brücken schlagen. Kriegsparteien
haben die alten Übergänge zerstört, so
die Annahme der Peace-Summit-Planer.
Also müssen deutsche Brückenlegepanzer vom Typ „Biber“ in einer Kiesgrube
ran. Eine Lkw-gestützte Pionierbrücke
2000 der Österreicher ermöglicht Leopard A2-Panzern die Überquerung des
Flussbetts. Hand in Hand helfen die Soldaten der 4. Kompanie des Gebirgspionierbataillons 8 aus Brannenburg.
Donnerstag, 6. April. Ausgerechnet
beim Abschluss, dem mit Spannung erwarteten Übungsschießen, gebietet die
Natur Einhalt. Nebel taucht die Berge
in einen Grauschleier. Von Panorama
keine Spur. In 2000 Metern Höhe beträgt die Sicht unter 100 Meter. Schnell
fällt die Entscheidung: Stopp! Lange
Gesichter. Gebirgsjäger Seeliger muss
die mit viel Schweiß eingerichtete hochalpine Mörserstellung abbauen. Rund
1000 Meter tiefer am Berghang erteilt
Hauptmann Michael Schalin (34) den
Besatzungen seiner vier M109-Haubitzen den Befehl zum Entladen der Munition. Schalin, der mit seiner Abteilung
zum Gebirgsartilleriebataillon 225 aus
Füssen gehört, nimmt`s sportlich. Zumal er an den vorherigen Tagen bereits
220 scharfe Schüsse abgegeben hat und
sich mit seinem Stellungsnachbarn, dem
österreichischen Hauptmann Heimo
Lechner (32) und dessen vier M109 bestens ergänzte. „Die Zusammenarbeit
war ausgezeichnet“, erklärt Lechner.
Trotz des abrupten Endes fällt für
Oberst Nikolaus Egger (49), stellvertretender Kommandant der gastgebenden
6. Jägerbrigade, das Resümee in Sachen
„Friedensgipfel“ kurz und knapp aus:
„Hier haben sich zwei Spezialisten getroffen, die als Bekannte kamen und als
Freunde gingen.“ Das gute Miteinander
habe sich sogar bis ins Menü eines Essens fortgesetzt, schmunzelt Esser: „Es
gab österreichische Speckknödel zum
Hauptgericht und deutsche Schokolade
zum Nachtisch.“
Axel Vogel