Körperwelten

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Körperwelten
Prof. Dr. Ronellenfitsch
WS 2009/2010
Übung im Öffentlichen Recht für Fortgeschrittene
Übungsfall vom 02.11.2009
Der Anatom H beabsichtigt für den 15. bis 27. November 2009 eine Ausstellung
„Körperwelten: Die Faszination des Echten“ in der Kunsthalle der badenwürttembergischen Stadt S. „Rein vorsorglich“ beantragte er am 10. Oktober 2009
bei der Ortspolizeibehörde O die Erteilung einer Ausnahme vom Verbot des § 13
BestattVO
Bad.-Württ.,
Leichen
öffentlich
auszustellen.
H
hat
das
Plastinationsverfahren entwickelt. Danach wird dem menschlichen Leichnam
Körperflüssigkeit entzogen und durch einen flüssigen Kunststoff ersetzt der später
aushärtet. Auf diese Weise wird der Körper dauerhaft konserviert und vor Verwesung
bewahrt. Dabei kann der Körper so präpariert werden, dass seine anatomischen
Strukturen sichtbar werden. Der behandelte Körper wird als Plastinat bezeichnet.
Nach der Ausstellungsbeschreibung sollen mehr als 200 menschliche Plastinate
nach Körperfunktionen geordnet gezeigt
(Bewegungsapparat, Nervensystem,
Atmungsorgane, Herz-Kreislaufsystem) und mit Schlagworten gekennzeichnet
werden („Prayer“, „Fechter“, „Moonwalker“). Einzelne Plastinate zeigen Typen in
Aktion: „Harry Potter“, „Popeye“, „Taliban mit Bombe“. Die Ausstellungsbesucher
können an einem Informationsstand einer Ärztin Fragen stellen. Ferner haben sie die
Möglichkeit,
Getränke
und
Snacks
in
der
Ausstellung
zu
kaufen.
Die
Ausnahmegenehmigung wird dem H antragsgemäß am ´29. Oktober 2009 unter der
Auflage erteilt, Schulkassen 25% Rabatt auf den Eintrittspreis zu gewähren. Auf den
Druck
von
lokalen
Kirchenvertretern
und
Politikern,
nimmt
O
die
Ausnahmegenehmigung am 2. November 2009 jedoch ohne nähere Begründung
zurück. Noch am selben Tag legt H hiergegen Widerspruch ein und erklärt, er werde
die Ausstellung, für die bereits 30.000 Karten verkauft worden seien, auf jeden Fall
durchführen. Daraufhin untersagt O dem H die Ausstellung mit dem Argument, sie
verstoße gegen Bestattungsrecht. Die sofortige Vollziehung wird mit der Begründung
angeordnet, Ort und Aufmachung der Veranstaltung zeigten, dass es H nur um
Gewinnerzielung und Sensationshascherei gehe. Das verletze die Würde der
Verstorbenen und der Besucher. Der Sofortvollzug sei geboten, da schon ein
zeitweiliger Verstoß gegen die Menschenwürde nicht hingenommen werden könne.
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H legt auch hiergegen Widerspruch ein und beantragt beim zuständigen
Verwaltungsgericht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Er sieht sich
in seiner Wissenschafts- und Kunstfreiheit beeinträchtigt. Plastinate seien ohnehin
keine Leichen. Zweck des Leichenwesens sei die Klärung der Todesursache und der
Gesundheitsschutz. Plastinate seien bereits tot. Gesundheitsverfahren durch
Verwesung gingen von ihnen nicht aus. Selbst wenn es sich um Leichen handeln
sollte, stelle ihre Präsentation eine schon lange in der Wissenschaft übliche
Vorgehensweise dar. Die Menschenwürde sei nicht verletzt. Die Menschen, deren
Plastinate ausgestellt würden, hätten auf der Grundlage vollständiger Information
ihrer Verwendung zugestimmt.
Wie wird das Verwaltungsgericht entscheiden?
Anhang:
§ 13 BestattVO (Ausstellung von Leichen)
(1) Leichen
dürfen
nicht
öffentlich
ausgestellt,
Särge
bei
Bestattungsfeierlichkeiten nicht geöffnet werden.
(2) Die Ortspolizeibehörde kann hiervon Ausnahmen zulassen, wenn die Würde
gewahrt bleibt und keine gesundheitlichen Bedenken bestehen.
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Lösung: BayVGH, Beschluss vom 21.2.2003 – 4 Cs 03.462; NJW 2003,1618.
Das Gericht wird dem Antrag stattgeben, wenn er zulässig und begründet ist.
I. Zulässigkeit
1. Der Verwaltungsrechtsweg ist nach § 40 I 1 VwGO eröffnet, da die
streitentscheidende Normen dem Recht der Gefahrenabwehr (vgl. § 13 II
BestattVO)
und
damit
dem
öffentlichen
Recht
angehören,
eine
verfassungsrechtliche Streitigkeit nicht vorliegt und auch keine abdrängende
Sonderzuweisung in Betracht kommt. Die Klage wurde dem zuständigen
Gericht der Hauptsache erhoben.
2. Die Klage ist gegen S zu richten (§ 78 I Nr.1 VwGO, § 61 I Nr.4, § 62 IV PolG).
S und H sind nach § 61 Nr.1 VwGO beteiligtenfähig. H beantragt die
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs nach
§ 80 V 1 var. 2.VwGO.
3. Der Antrag ist statthaft, wenn in der Hauptsache die Anfechtungsklage
statthaft ist. Dann müsste ein an den Antragsteller gerichteter belastender
Verwaltungsakt vorliegen. Das trifft für die Untersagungsverfügung zu, die die
Merkmale des § 35 LVwVfG erfüllt. Dieser Verwaltungsakt muss ferner
vollziehbar sein. Das ist der Fall, da O die sofortige Vollziehbarkeit der
Untersagung nach § 80 II 1 Nr.4 angeordnet hat
4. Die Antragsbefugnis analog § 42 II VwGO richtet sich nach der Klagebefugnis
in der Hauptsache. Als Adressat der Untersagungsverfügung ist H
möglicherweise zumindest in seinem Recht aus Art.2 Abs.1 GG verletzt.
5. Das Rechtsschutzbedürfnis könnte entfallen, wenn zuvor nach § 80 IV 1
VwGO ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei O oder der
Widerspruchsbehörde gestellt werden müsste. § 80 VI 1 VwGO sieht ein
derartiges jedoch nur bei der Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten
vor (§ 80 II Nr.1 VwGO) vor. Darum geht es vorliegend nicht. Das
Rechtsschutzbedürfnis des H ist ferner wegen der Eilbedürftigkeit seines
Begehrens gegeben.
Der Antrag ist folglich zulässig.
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II. Begründetheit
Dem Antrag ist stattzugeben, wenn die Vollziehungsanordnung (VzA) formell
rechtwidrig ist oder das Aussetzungsinteresse das Vollziehungsinteresse
überwiegt.
1. Die Rechtmäßigkeit der VzA hängt davon ab, ob sie von der zuständigen
Behörde verfahrens- und formfehlerfrei erlassen wurde.
a) Die VzA wurde von der Behörde erlassen, die die
Untersagungsverfügung erlassen hat. § 80 II Nr. 2 VwGO ist gewahrt.
b) Zweifelhaft ist, ob H vor der VzA hätte angehört werden müssen. Das
von manchen geforderte rechtliche Gehör verträgt sich nicht mit der
Eibedürftigkeit des Verfahrens. Eine Analogie von § 28 LVwVfG
scheidet aus, da die VzA keinen VA darstellt (Pie/Ro,§ 55, Rn 5). Die
Rechte der Betroffenen sind durch das Verfahren nach § 80 V VwGO
hinreichend gewahrt. Verfahrensfehler sind nicht ersichtlich.
c) Die VzA muss gemäß § 80 III VwGO schriftlich begründet sein. Hiervon
ist nach dem Sachverhalt auszugehen. Aus der Begründung muss sich
das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung ergeben. Ob in
diesem Sinn die Begründung, schon ein zeitweiliger Verstoß gegen die
Menschenwürde
könne
nicht
hingenommen
werden,
ausreicht,
erscheint fraglich. Es könnte sich dabei nämlich lediglich um eine
Wiederholung der Begründung der Untersagungsverfügung handeln.
Bei der Anordnung des sofortigen Vollzugs geht es der Behörde aber
ersichtlich darum, das Entstehen vollendeter Tatsachen zu verhindern.
Da es dabei auf die Bedeutung der bedrohten Rechte ankommt
(Kopp/Schenke, § 80, Rn 96), reicht die besondere Begründung aus.
Die VzA ist formell rechtmäßig.
2. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist wiederherzustellen, wenn
das private Aussetzungsinteresse das öffentliche Vollziehungsinteresse
überwiegt. Das ist der Fall, wenn die zu vollstreckende
Verfügung als
Ergebnis einer summarischen Prüfung offensichtlich rechtwidrig ist.
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3. Als belastender Verwaltungsakt erfordert die Untersagungsverfügung eine
Ermächtigungsgrundlage. Spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlagen sind
nicht
ersichtlich.
Folglich
kommt
als
Ermächtigungsgrundlage
die
Generalklausel nach §§ 3,1 PolG in Betracht.
a) Danach müsste die zuständige Behörde gehandelt haben. Die
Zuständigkeiten für das Bestattungswesen richten sch nach § 31
BestattVO. Die Untersagungsverfügung betrifft aber nicht unmittelbar
das Bestattungswesen, sondern eine Veranstaltung, welche die
allgemeinen Polizeibehörden zu überwachen haben. Die sachliche
Zuständigkeit von O ergibt sich somit aus § 66 II PolG i.V.m. § 62 IV
PolG. Damit hat die sachlich zuständige Behörde gehandelt (Möglich ist
auch eine Lösung über § 31 III BestattVO).
b) Vor Erlass eine belastende VA ist der Adressat nach § 28 I LVwVfG
anzuhören. Dies ist bei H nicht geschehen. Bis zum Abschluss des
verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in der Hauptsache kann aber die
fehlende Anhörung nachgeholt werden (§ 45 II LVwVfG). Die
Möglichkeit darf nicht durch das Eilverfahren unterlaufen werden. Es
genügt, wenn die heilbaren Mängel im Eilverfahren berücksichtigt
werden, d.h. wenn der Adressat des belastenden VA sich im
Eilverfahren auf die Gesichtpunkte berufen kann, die er bei der
Anhörung vorgetragen hätte. Das ist hier der Fall
c) Formfehler der Untersagungsverfügung sind nicht ersichtlich. Die
Verfügung ist auch inhaltlich bestimmt.
d) Nach der polizeilichen Generalklausel muss eine konkrete Gefahr für
die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorliegen. Die öffentliche
Sicherheit umfasst den Schutz der Gemeinschaftsrechtgüter Bestand
und Funktionieren des Staats und seiner Einrichtungen sowie die
Individualrechtsgüter Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Vermögen
des Einzelnen, damit die Unverletzlichkeit der Rechtordnung Eine
konkrete Gefahr ist eine Sachlage, die im Einzelfall in naher Zukunft mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einen Schaden für ein polizeiliches
Schutzgut führen wird.
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Die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung ist vorliegen dann gefährdet,
wenn die Ausstellung gegen das Bestattungsrecht verstößt. Nach § 13
Abs.1 BestattVO dürfen Leichen nicht öffentlich ausgestellt werden.
Zweifelhaft ist allerdings, ob es sich bei den Plastinaten um „Leichen“
handelt. Der Begriff der Leich ist gesetzlich nicht definiert. Sicher dürfte
sein, dass es sich um einen toten menschlichen Körper handeln muss,
bei dem der Zusammenhang zwischen den Körperteilen durch die
Verwesung oder auf andere Weise noch nicht aufgehoben ist. Die
Möglichkeit der Verwesung ist kein Begriffsmerkmal der Leiche. Auch
mumifizierte Körper bleiben Leichen. Leichen können auch nicht zu
anderen Gegenständen „verarbeitet“ werden, solange ihre Herkunft
erkennbar bleibt. Bei der Plastination werden zwar Körperflüssigkeit
und
lösliches
Körperfett
zu
70%
durch
Konservierungsstoffe
ausgetauscht. Dabei bleiben die Körper aber in ihrer gestaltbildenden
Struktur
erhalten.
Da
das
Bestattungsrecht
nicht
nur
dem
Gesundheitswesen, sondern auch der Pietät und der Würde der
Verstorbenen
dient,
unterliegen
Plastinate
den
Regeln
des
Bestattungsrechts.
O hatte jedoch die Ausstellung gestattet. Sie hat die Gestattung zwar
zurückgenommen. Hiergegen hat H jedoch Widerspruch eingelegt. Der
Widerspruch hat aufschiebende Wirkung. Das bedeutet zwar nicht,
dass die Rücknahme unwirksam wäre, so dass H weiterhin im Besitz
der Gestattung wäre. Jedoch darf die Behörde nicht von dem
angegriffenen VA Gebrauch machen. Bei einem weiten Begriff der
Vollziehung stellt die Untersagungsverfügung der Sache nach ein
Gebrauchmachen von der Rücknahme der Gestattung dar. Da die
Rücknahme nicht für sofort vollziehbar erklärt wurde, handelt O
widersprüchlich. Die Untersagungsverfügung ist somit rechtswidrig.
Dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs
ist folglich stattzugeben.
III.
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Hilfsgutachten: Das Verhalten von O lässt sich auch dahingehend interpretieren,
dass O Rücknahme und Untersagungsverfügung als Einheit verstanden wissen
wollte, dass die Untersagungsverfügung die Begründung für die Rücknahme enthält
und sich die VzA auf beide Regelungen bezieht. Dies unterstellt, ist die Rücknahme
in das vorläufige Rechtsschutzverfahren einzubeziehen. Dann kommt es darauf an,
ob der Widerspruch gegen die Rücknahme voraussichtlich erfolgreich sein wird, bzw.
ob die Rücknahme offensichtlich rechtswidrig ist.
Nach § 48 I 2 LVwVfG darf ein begünstigender VA unter Einschränkungen
zurückgenommen werden, wenn er rechtswidrig ist. Die Ausnahmegenehmigung
nach § 13 II BestattG ist ein begünstigender VA. Sie ist rechtwidrig, wenn sie an
formellen oder inhaltlichen Fehlern leidet. Formelle Fehler sind nicht ersichtlich.
Inhaltlich ist. Die Ausnahmegenehmigung fehlerhaft, wenn die Ausstellung die Würde
verletzt oder gesundheitliche Bedenken bestehen. Gesundheitliche Bedenken
bestehen ersichtlich nicht. Zweifelhaft ist aber, ob „die Würde“ gewahrt ist. Dabei
kann es sich um die Würde der Verstorbenen und der Zuschauer handeln. Die
Menschenwürde schützt den Menschen auch über den Tod hinaus. Sie ist aber nicht
mehr unantastbar. Da der Leichnam zwangläufig Objekt ist. Folglich darf die
Menschenwürde abgewogen werden. Die Wissenschaftsfreiheit rechtfertigt die
Nutzung von Leichen, wenn die Verstorbenen in die Nutzung zu Lebzeiten
eingewilligt haben. Auch kommerzielle Zwecke stellen nicht automatisch einen
Verstoß gegen die Menschenwürde dar. Der Verklaut von Getränken und Snacks
macht die Ausstellung noch nicht zu einem Happening, solange der Verkauf nicht im
Vordergrund steht. Das hat auch O indirekt mit der Hinzufügung der Auflage zur
Genehmigung anerkannt. Dagegen rechtfertigt die Kunstfreiheit es wohl kaum,
Verstorbene als Kunstwerke umzuarbeiten. Daraus folgt, dass die Ausstellung der
Körperfunktionen geordneten Plastinate wissenschaftlichen Zwecken und der
Information der Besucher dient, währen die Ausstellung von Typen in Aktion: „Harry
Potter“, „Popeye“, „Taliban mit Bombe“ nur der künstlerischen Selbstentfaltung von
H dient und damit rechtwidrig ist.
Das Gericht wird dem Antrag mit der Auflage stattgeben, von einer Ausstellung der
Plastinate „Harry Potter“, „Popeye“ und „Taliban mir Bombe“ abzusehen.