Rechtsgutachten Körperwelten

Transcription

Rechtsgutachten Körperwelten
Prof. Dr. Friedhelm Hufen
D-55128 Mainz
Backhaushohl 62
Tel.: (06131) 3 44 44
Fax: (06131) 36 14 49
o. Professor für Öffentliches Recht Staats- und Verwaltungsrecht
an der Universität Mainz
Mitglied des Verfassungsgerichtshofs des
Landes Rheinland-Pfalz
[email protected]
Zur Frage einer Genehmigungsbedürftigkeit
(Verbot mit Erlaubnisvorbehalt)
für eine Ausstellung plastinierter menschlicher Körper
und Körperteile
unter besonderer Berücksichtigung von
§ 14 Abs.1und 2 Bestattungsgesetz / §§ 7 ff. Sektionsgesetz Berlin
Rechtsgutachtliche Stellungnahme
28.08.2014
erteilt im Auftrag der
Arts & Sciences Berlin GmbH
2
Übersicht:
I. Gegenstand der Stellungnahme, Sachverhalt, Problemstellung
1. Gegenstand
2. Sachverhalt
3. Problemstellung
4. Gang der Untersuchung – Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands
II. Die einfachgesetzliche Ebene – Erlaubnispflicht nach § 14 Abs. 2
BestattungsG oder § 7 ff. SektionsG?
1. Plastinate als Leiche bzw. Leichteile?
2. Anwendbarkeit von Bestattungsgeboten und Ausstellungsverboten?
3. Genehmigungspflicht nach SektionsG?
III. Die verfassungsrechtliche Ebene: Verbot mit Erlaubnisvorbehalt vereinbar
mit Art. 5 Abs. 3 GG?
1. Allgemeines
2. Schutzbereich Art. 5 Abs. 3 GG
3. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt als Eingriff
4. Verfassungsrechtliche Schranken
IV. Gesamtergebnis
3
I. Gegenstand der Stellungnahme, Sachverhalt, Problemstellung
1. Gegenstand
Gegenstand der vorliegenden gutachtlichen Stellungnahme ist die Frage, ob
eine permanente anatomische Ausstellung plastinierter menschlicher Körper und
Körperteile einer bestattungsrechtlichen Ausnahmegenehmigung nach § 14 Abs.
2 des Bestattungsgesetzes Berlin (BestattungsG Berlin) bedarf oder an die
Vorgaben des Sektionsgesetzes (SektionsG) gebunden ist und ob entsprechende
Verbote mit der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) vereinbar wären.
2. Sachverhalt
Die Arts & Sciences Berlin GmbH, ein mit dem in Heidelberg ansässigen
Instituts für Plastination verbundenes Unternehmen, beabsichtigt ab Herbst
2014 eine permanente anatomische Ausstellung plastinierter menschlicher
Körper und Körperteile im Pavillon unter dem Fernsehturm am Berliner
Alexanderplatz zu betreiben. In der Berliner Dauerausstellung sollen etwa
20 menschliche Ganzkörperpräparate sowie bis zu 200 Teilpräparate gezeigt
werden, die die Anatomie sowie die einzelnen Funktionen des Körpers für
den medizinisch Vorgebildeten sowie den interessierten Laien darstellen und
wissenschaftliche Erkenntnisse über die Innenseite des menschlichen
Körpers und die wesentlichen Organfunktionen einer breiten Öffentlichkeit
zugänglich machen. Wichtige Bestandteile der Ausstellung sind neben den
Plastinaten auch Texttafeln, Videoinstallationen, ein Audio-Guide sowie ein
umfassender Katalog zur Ausstellung.
Die Bauaufsichtsbehörde des Bezirksamts Mitte von Berlin erteilte der Arts
& Sciences Berlin GmbH mit Datum vom 15.04.2014 antragsgemäß eine
Baugenehmigung für den Umbau der Räume im 1. OG des Pavillons unter
dem Fernsehturm.
Mit Schreiben vom 15.05.2014 wandte sich das Gesundheitsamt des
Bezirksamtes Mitte von Berlin an die Arts & Sciences Berlin GmbH und
wies auf das seiner Rechtsauffassung nach einschlägige Verbot des § 14
Abs. 1 des BestattungsG Berlin hin, wonach Leichen ohne Vorliegen einer
Ausnahmegenehmigung gem § 14 Abs. 2 der genannten Vorschrift nicht
öffentlich ausgestellt werden dürfen und forderte ggf. zur Stellung eines
entsprechenden Antrags auf.
Mit Schreiben vom 06.06.2014 teilte der Verfahrensbevollmächtigte der
Arts & Sciences Berlin GmbH dem Gesundheitsamt des Bezirksamtes Mitte
seine Auffassung mit, dass die Ausstellung einer Ausnahmegenehmigung
gemäß § 14 Abs. 2 BestattungsG Berlin nicht bedürfe, da es sich bei den
Plastinaten nicht um Leichen handele und das BestattungsG keine
4
Anwendung finde. Rein vorsorglich und hilfsweise beantragte er die
Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gemäß § 14 Abs. 2 BestattungsG
Berlin.
Mit Anhörungsschreiben vom 08.08.2014 kündigte das Gesundheitsamt des
Bezirksamtes Mitte von Berlin an, den hilfsweisen Antrag auf Erteilung
einer Ausnahmegenehmigung gemäß § 14 Abs. 2 BestattungsG Berlin für
die Körperwelten-Dauerausstellung im Pavillon unter dem Fernsehturm
ablehnen zu wollen. Zur Begründung führt es aus, dass es sich bei den
Plastinaten um Leichen im Sinne des § 1 BestattungsG handele, die
grundsätzlich der Bestattungspflicht gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1
BestattungsG unterlägen. Auch das in § 14 Abs. 1 BestattungsG Berlin
verankerte Verbot der öffentlichen Ausstellung finde Anwendung.
Darin liege kein Verstoß gegen etwa einschlägige Grundrechte wie die
Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG), weil die gesetzliche Möglichkeit
einer Ausnahmegenehmigung in § 14 Abs. 2 BestattungsG bestehe und eine
verfassungskonforme Abwägung ermögliche. Die Reichweite und der
Spielraum der Wissenschaftsfreiheit seien im konkreten Fall – im Umgang
mit den Körpern verstorbener Menschen – aber schon voll durch das
Berliner Sektionsgesetz ausgeschöpft 1. Der Wissenschaftsfreiheit stünden
hier zum einen die postmortale Würde des Toten gemäß Art. 1 Abs. 1 GG
sowie das „ebenfalls von Art. 1 Abs. 1 GG und auch Art. 4 Abs. 1 GG
geschützte Pietätsempfinden der Bevölkerung“ im Umgang mit den Körpern
verstorbener Menschen gegenüber. Der Gesetzgeber habe in § 14
BestattungsG und § 7 SektionsG dem grundgesetzlichen Freiheitsgehalt der
Wissenschaftsfreiheit in Bezug auf die Behandlung menschlicher Leichen
verfassungskonform und angemessen Grenzen gesetzt. Eine Genehmigung
der
Dauerausstellung
von
Plastinaten
stehe
im
rigorosen
Wertungswiderspruch zu den Regelungen des Berliner Sektionsgesetzes2.
3. Problemstellung
Die geschilderte Auffassung des Gesundheitsamts Berlin-Mitte wirft eine Reihe
verwaltungs- und verfassungsrechtlicher Probleme auf. Im Kern geht es
zunächst um die Frage, ob die beabsichtigte Dauerausstellung den genannten
Verboten des § 14 Abs. 1 BestattungsG Berlin und § 7 SektionsG unterfällt
bzw. einem Erlaubnisvorbehalt nach § 14 Abs. 2 BestattungsG Berlin
unterworfen werden kann, also um die Auslegung einfachem Rechts. Sodann
stellt sich die Frage, ob das von der Behörde in Anspruch genommene Verbot
mit Erlaubnisvorbehalt mit höherrangigem Recht, insbesondere mit der
Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG, vereinbar wäre. Wäre die erste
Frage zu verneinen, gäbe es – abgesehen von der polizeirechtlichen
Generalklausel zur Abwehr konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit
und Ordnung – keine Rechtsgrundlage eines Verbots oder auch einer
Erlaubnisbedürftigkeit. Dürfte die Dauerausstellung bei verfassungskonformer
Auslegung nicht einem Verbotsvorbehalt unterworfen werden, so wäre das
1
2
Anhörungsschreiben, S. 3.
Anhörungsschreiben, S. 4.
5
Ergebnis dasselbe: Die Ausstellung wäre erlaubnisfrei möglich. Das entspräche
nicht nur allen bisherigen einschlägigen Urteilen deutscher Oberverwaltungsgerichte3, sondern auch der bisherigen Berliner Verwaltungspraxis, denn die
bisher als Wanderausstellung bekannte Präsentation hat bereits dreimal in Berlin
gastiert, ohne dass hierfür eine bestattungsrechtliche Genehmigung eingeholt
oder von den Behörden gefordert wurde. Der Versuch anderer Landes- und
Kommunalbehörden, die Ausstellung auf bestattungs- oder polizeirechtlicher
Grundlage zu verbieten oder mit einschränkenden Auflagen zu erschweren,
wurde von den Verwaltungsgerichten durchweg vereitelt4.
4. Gang der Untersuchung – Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands
Entsprechend der genannten Fragestellung wird die vorliegende Untersuchung
zunächst die Frage aufgreifen, ob auf einfachgesetzlicher Ebene die durch das
Gesundheitsamt angeführten Verbotstatbestände des § 14 Abs. 1 / § 15
BestattG auf die geplante Dauerausstellung anwendbar sind, bzw. ob diese einer
Ausnahmegenehmigung gemäß § 14 Abs. 2 BestattungsG Berlin bedarf (II).
Aus verfassungsrechtlicher Sicht stellt sich sodann die Frage, ob ggf. die
Unterwerfung der Ausstellung unter ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt mit der
Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG vereinbar wäre (III).
Weitere verfassungsrechtliche und auch europarechtliche Fragen bleiben
ausgeklammert. Soweit die genannten Rechtsgrundlagen auf die Ausstellung
nicht anwendbar sind bzw. bei verfassungskonformer Auslegung ein Verbot mit
Erlaubnisvorbehalt nicht in Betracht kommt, erübrigt sich die Frage nach einem
möglichen Verstoß gegen die EU-Dienstleistungsfreiheit bzw. nach den
konkreten Voraussetzungen eines Genehmigungsanspruchs nach § 14 Abs. 2
BestattungsG Berlin.
II. Die einfachgesetzliche Ebene – Erlaubnispflicht nach § 14 Abs. 2
BestattungsG oder nach § 7 ff. SektionsG ?
Auf einfachgesetzlicher Ebene ist zunächst zu fragen, ob die beabsichtigte
Ausstellung – wie vom Gesundheitsamt Berlin-Mitte unterstellt – § 14 Abs. 1
BestattungsG Berlin unterfällt.
Dieser lautet:
„Leichen dürfen nicht öffentlich ausgestellt werden. Das Öffnen und
Offenlassen des Sarges während der Bestattungsfeierlichkeiten ist
verboten“.
3
Vgl. hierzu etwa VGH München, B. v. 21.02.2003, NJW 2003, 1618; VGH Mannheim, Urt. vom 29.11.2005,
BWVBl. 2006, 186 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 14.08.2009, OVG 1 S 151.09, juris; in der Sache
ebenso AG Hamburg, B. vom 07.01.2005, 237 OWiG 540/04.
4 Als Ausnahme wäre allenfalls der Beschluss des VG Augsburg vom 27.08.2009 (n. veröff.) zu nennen, in
dem es allerdings um eine Auflage auf Beseitigung des Exponats eines schwebenden Akts bzw. um die
Darstellung des Geschlechtsverkehrs ging.
6
1. Plastinate als Leiche bzw. Leichenteile?
a. Wortlaut
§ 1 BestattG definiert „Leiche“ wie folgt:
„Leiche im Sinne des Gesetzes der Körper eines Menschen, bei dem
sichere Zeichen des Todes bestehen oder bei dem Tod auf andere Weise
zuverlässig festgestellt worden ist“.
Nach dieser Definition ist bereits fraglich, ob es sich bei den
Ganzkörperplastinaten um Leichen bzw. bei den Einzelstücken um Leichenteile
i.S. des Wortlauts von § 14 Abs. 1 i. V. m. § 1 BestattungsG Berlin handelt.
Wie an anderer Stelle ausführlich dargelegt5, geht es nicht mehr um „Körper
eines Menschen, bei dem sichere Zeichen des Todes bestehen“ und der insofern
vom lebenden Menschen durch § 1 BestattungsG abgegrenzt wird. Auch ist das
Plastinat nicht mehr eine individualisierbare gestorbene Person. Durch das
Verfahren der Plastination wird der zu diesem Zweck freigegebene menschliche
Körper vielmehr entindividualisiert, entpersonalisiert und erhält eine neue
Substanz, die dann zu ca 70 % aus Kunststoff besteht. Die Körper der Toten
werden nicht nur konserviert, sondern auch in neue Gestaltungsformen
transformiert.
b. Historische und systematische Interpretation
Dieses Ergebnis bestätigt sich bei historischer und systematischer Interpretation.
Das Bestattungsrecht gehört seiner historischen Herkunft und seiner Systematik
nach von alters her in den Bereich des Hygienerechts, bzw. der Verhinderung
der von Leichen ausgehenden Gesundheitsgefahren6. Dabei wird die Wahrung
5
Hufen, Verbote und einschränkende Auflagen gegen die Ausstellung „Körperwelten“?, DÖV 2004, 611; vgl
auch Schrifsatz des Bevollmächtigten der Arts and Sciences GmbH vom 06.06.2014.
6 Die Bestattungsgesetze der Länder haben den hygienischen Umgang mit Leichen vor und während
ihrer Bestattung zum Gegenstand. Teil der Hygienevorschriften ist in Berlin das Verbot in § 14 Abs. 1
Satz 1 BestattungsG, Leichen öffentlich auszustellen. Das Verbot wird durch § 14 Abs. 1 Satz 2
BestattungsG dahingehend präzisiert, dass Särge bei den Bestattungsfeierlichkeiten nicht geöffnet
werden dürfen. Entsprechende Verbote gibt es in Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen,
Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Thüringen; in den anderen acht Bundesländern
fehlen sie. Das Ausstellungsverbot wird auch in den genannten Bundesländern im Zusammenhang mit
den Vorschriften zur Hygiene und den Bestattungsfeierlichkeiten geregelt: So heißt es etwa in § 13
Bestattungsverordnung des Landes Baden-Württemberg:„(1) Leichen dürfen nicht öffentlich ausgestellt,
Särge bei Bestattungsfeierlichkeiten nicht geöffnet werden“.
In § 18 Bestattungsgesetz des Landes Hessen heißt es unter der Überschrift „Bestattungsfeierlichkeiten“:„(1) Leichen dürfen nicht öffentlich ausgestellt werden; der Sarg darf aus Anlass der
Bestattungsfeierlichkeiten nicht geöffnet werden.(2) Der Gemeindevorstand kann nach Anhörung des
Gesundheitsamtes Ausnahmen von Abs. 1 und aus religiösen Gründen die Bestattung ohne Sarg
gestatten. In den in § 11 Abs. 1 bezeichneten Fällen [Ansteckungsgefahr] ist eine Ausnahme nicht
zulässig.“§ 19 Bestattungsgesetz des Saarlandes knüpft die Ausstellung an das Vorhandensein geeigneter
Kühleinrichtungen:„(1) Leichen dürfen grundsätzlich nicht öffentlich ausgestellt werden. Abweichend
von Satz 1 dürfen Leichen in öffentlichen Leichenhallen bei Vorhandensein geeigneter
7
der Totenruhe als Ziel jeglichen Umgangs mit Leichen nur selten erwähnt. § 2
BestattungsG Berlin verlangt zwar die gebotene Ehrfurcht vor dem toten
Menschen;
insgesamt
dient
das
Gesetz
seinem
erkennbaren
Gesamtzusammenhang nach aber nicht dem Schutz der menschlichen Leiche,
sondern dem Schutz der von Leichen ausgehenden Gesundheitsgefahren. Dies
bestätigt nicht zuletzt für diese Materie in nahezu allen Bundesländern
begründete Zuständigkeit der Gesundheitsbehörden.
Der hiernach gegebene eindeutige Zusammenhang zu Gesundheitsschutz und
Hygiene schließt es nach hier vertretener Auffassung bereits aus, Plastinate als
„Leichen“ im Sinne der genannten Vorschriften und der Zielsetzung der
genannten Gesetze aufzufassen.
2. Anwendbarkeit von Bestattungsgeboten und Ausstellungsverboten?
Selbst wenn man - entgegen der hier vertretenen Auffassung - davon ausgeht,
dass es sich bei den Plastinaten der geplanten Ausstellung um „Leichen“ im
Sinne von §§ 14/15 i.V.m. § 1 BestattG Berlin handelt, heißt dies nicht, dass
das Bestattungsgebot des § 15 oder das Ausstellungsverbot des § 14 BestattG
Berlin anwendbar wären. Schon begrifflich und nach dem systematischen
Gesamzusammenhang betreffen die Bestattungsgesetze nur Leichen, die zur
Bestattung vorgesehen sind, was bei den Plastinaten gerade nicht der Fall ist.
Außerdem richten sich - wie in den zitierten Landesgesetzen enthaltenen
Ausstellungs- und Sargöffnungsverbote auch die entsprechenden Vorschriften
des BestattG Berlin zeigen - erkennbar gegen die mit einer solchen Ausstellung
unpräparierter Leichen und Leichenteile verbundenen Gesundheitsgefahren und
erfassen gerade nicht den wissenschaftlichen Umgang mit Leichen und
Leichenteile und die Herstellung und Ausstellung wissenschaftlicher Präparate,
Skelette und auch Plastinate. Damit ist es jedenfalls ausgeschlossen, den
Umgang mit wissenschaftlichen Präparaten und Plastinaten den
gesundheitsrechtlich begründeten Bestattungsgeboten und Sargöffnungsverboten zu unterwerfen. Von Plastinaten geht erkennbar keinerlei Gesundheitsgefahr aus. Sie sind weder toxisch, noch können sie bei Verzögerung der
Bestattung oder Berührung spezifische Gesundheitsgefahren herbeiführen.
Gleichfalls von Alters her erfasst das Bestattungsrecht als Gesundheitsrecht
deshalb nicht den wissenschaftlichen Umgang mit Leichen und Leichenteilen im
Bereich der anatomischen Forschung, Lehre und Präsentation.
Kühleinrichtungen bis zu 72 Stunden nach Eintritt des Todes öffentlich ausgestellt werden. Außerhalb
öffentlicher Leichenhallen dürfen Leichen bis zu 72 Stunden nach Eintritt des Todes öffentlich
ausgestellt werden, wenn geeignete Kühleinrichtungen vorhanden sind und dies gegenüber der
Ortspolizeibehörde angezeigt wurde. Särge dürfen bei Bestattungsfeierlichkeiten nicht geöffnet
werden.§ 13 Abs. 1 Bestattungsgesetz Rheinland-Pfalz verbietet das Öffnen des Sarges während der
Bestattungsfeier: „Leichen sind nach Abschluss der Leichenschau unverzüglich einzusargen. Während
der Überführung und während der Bestattungsfeier sowie außerhalb von Leichenhallen ist der Sarg
geschlossen zu halten. Die örtliche Ordnungsbehörde kann Ausnahmen zulassen.“
8
Dies entspricht auch der einschlägigen Rechtsprechung, die sich bereits im Jahre
2003 mit dem Genehmigungserfordernis der Ausstellung befassen musste. So hatte
das Institut für Plastination auf einen entsprechenden schriftlichen Hinweis der
Stadt Stuttgart „vorsorglich“, beantragt, die in § 13 II der Bestattungsverordnung
von Baden-Württemberg - BestattVO - vorgesehene Ausnahmegenehmigung zu
erteilen, dem „unter Auflagen“ entsprochen wurde. Auf die sodann erhobene
Feststellungsklage erkannte der VGH Mannheim, dass sich das in § 13 BestattVO
BaWü enthaltene präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt nicht auf die
Ausstellung von Leichen zu wissenschaftlichen Zwecken erstrecke. Dieses Verbot
gelte lediglich für Leichen, die zur Bestattung vorgesehen seien, nicht aber auf
Leichen, die wissenschaftlichen Zwecken zugeführt würden. 7
Nur vereinzelt enthalten die Bestattungsgesetze oder die zu ihnen ergangenen
Rechtsverordnungen überhaupt Regelungen zur Überlassung von Leichen an
Universitäten und sonstige anatomische Institute für eine anatomische Sektion und
Präparation. Die Regelungen beschränken sich dann im Wesentlichen darauf, neben
dem Erfordernis der Einwilligung des Toten oder seiner Angehörigen die
Bestattungspflicht der anatomischen Institute festzulegen. Diese soll entstehen,
sobald die Leichen für die wissenschaftlichen Zwecke nicht mehr benötigt werden
(siehe § 42 Abs. 4 BestG BaWü, § 16 Abs. 2 BestG Bbg, § 9 Abs. 4 BestG M-V,
§ 14 Abs. 3 BestG S-A, § 14 Abs. 2 BestG Thüringen).
Öffentlich zugängliche Sammlungen von anatomischen Präparaten und Skeletten existierten bereits bei Erlass dieser Rechtsvorschriften, sind aber
offensichtlich nicht Regelungsgegenstand. Die Bestattungsgesetze finden
folglich nur bis zu dem Punkt Anwendung, an dem die Wissenschaftsfreiheit
gemäß Art. 5 Abs. 3 GG relevant wird, weil die Leiche für Zwecke der
Forschung und Lehre verwendet werden soll. Dann greifen allenfalls die
besonderen Regelungen für die anatomische Sektion (§ 7 – 9 SektionsG) Berlin,
die aber ihrerseits verfassungskonformer Interpretation bedürfen und – wie zu
zeigen sein wird- , auf Sektionen und Ausstellungen außerhalb der Ausbildung
des Nachwuchses in medizinischen und naturwissenschaftlichen Berufen nicht
anwendbar sind.
Das heißt im Ergebnis, dass der wissenschaftliche Umgang mit Leichen und
Leichenteilen, sowie die Herstellung und Ausstellung von Präparaten nicht
(mehr) dem Bestattungsrecht unterfallen. Auf sie ist weder das
Bestattungsgebot des § 15 Abs. 1 BestattungsG Berlin noch das
Ausstellungsverbot des § 14 Abs.2 anwendbar. Greift aber bereits das
Verbot nicht, bedarf es auch keiner Ausnahmegenehmigung nach § 14
Abs. 2 BestattG Berlin.
Die genannten Vorschriften bilden also keine Rechtsgrundlage für ein Verbot
der Ausstellung und den Zwang zur „Bestattung“ der Exponate.
Teilergebnis: Die geplante Ausstellung bedarf keiner bestattungsrechtlichen Ausnahmegenehmigung.
7
VGH Mannheim: Urteil vom 29.11.2005 - 1 S 1161/04, BeckRS 2006, 20462.
9
3. Genehmigungspflicht nach SektionsG?
Kommt für den wissenschaftlichen Umgang mit Leichen und Leichenteilen
das Bestattungsgesetz nicht in Betracht, so bleibt zu fragen, ob sich ein
Verbot mit Erlaubnisvorbehalt
auf sektionsrechtlichen Bestimmungen
stützen läßt.
Anders als in Baden-Württemberg (siehe dort § 42 BestattG BaWü),
Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt enthält das
Berliner Bestattungsgesetz keine Regelung zur Behandlung von Leichen in
anatomischen Instituten. Berlin verfügt vielmehr wie Hamburg über ein eigenes
Sektionsgesetz. Dieses definiert in § 7 die anatomische Sektion als
„Zergliederung von Leichen oder Leichenteilen in anatomischen Instituten zum
Zwecke der Lehre und Forschung über den Aufbau des menschlichen Körpers“
und enthält in § 8 Voraussetzungen der Zulässigkeit, die eng an die Ausbildung
des Nachwuchses in medizinischen und naturwissenschaftlichen Berufen
gebunden sind und dem Schutz der Angehörigen und der Sicherheit der
Todesfeststellung dienen.
Wie in den übrigen genannten Bundesländer versuchen auch die genannten
Berliner Bestimmungen, durch die Formulierung von hohen Anforderungen
an die Vornahme einer Sektion, das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit
aus Art. 5 Abs. 3 GG mit dem postmortalen Schutz der Menschenwürde in
einen verfassungskonformen Ausgleich zu bringen. Den Bestimmungen lässt
sich eine Grundentscheidung der Gesetzgeber dahingehend entnehmen, dass
Leichen und Leichenteile bei Einwilligung des Verstorbenen oder seiner
Angehörigen der Forschung und Lehre zugeführt werden dürfen und
insoweit – zunächst – nicht mehr dem strengen bestattungsrechtlichen
Regime unterliege.
Hinsichtlich des geforderten Genehmigungsantrages ist zunächst zu
konstatieren, dass das Berliner SektionsG ein Antrags- bzw.
Genehmigungsverfahren ausschließlich für die klinische Sektion vorsieht.
Abschnitt 2, der die anatomische Sektion regelt, enthält in § 8 zwar zu
Voraussetzungen, denen eine Sektion zu genügen hat, zu denen im
Wesentlichen gehört:
-
Die Vornahme unter Aufsicht oder Leitung eines Arztes/eines
Hochschullehrers der Anatomie,
-
die Unumgänglichkeit zur Ausbildung des Nachwuchses gemäß
Approbations- oder Ausbildungsordnung,
-
die Zustimmung durch den Verstorbenen oder der nächsten
Angehörigen,
-
die vorherige Leichenschau, das Vorliegen eines natürlichen
Todes sowie die Erteilung eines Bestattungsscheines.
10
Ein Genehmigungsverfahren kennt das Sektionsgesetz für die anatomische
Sektion dagegen nicht.
Die sektionsrechtlichen Bestimmungen enthalten erst recht keine eigenen
Ausstellungsverbote und sehen auch keine besonderen Genehmigungserfordernisse für die Präsentation von Präparaten und Plastinaten vor.
Vielmehr stellen die gesetzlichen Regelungen selbst die Anforderungen auf,
die der jeweils im Lichte der Wissenschaftsfreiheit Handelnde beachten
muss, ohne dass es hierfür einer weiteren behördlichen Mitwirkung bedürfte.
Die Ausstellung von Anatomieleichen im Anschluss an eine Sektion und
Präparation ist aber auch durch das Sektionsgesetz nicht geregelt, weil der
Berliner Gesetzgeber hierfür offensichtlich kein Bedürfnis sah8.
So trifft es zwar zu, dass der Berliner Gesetzgeber § 7 und 8 SektionsG in
Konkretisierung der Menschenwürde als verfassungsimmanente Schranke der
Wissenschaftsfreiheit formuliert – dies jedoch nur für die institutionelle
anatomische Sektion im Rahmen der Medizinerausbildung. Er hat aber weder
für den universitären noch für den außeruniversitären Bereich eine
Genehmigungspflicht und auch kein Ausstellungsverbot vorgesehen. Da es sich
dabei – wie mehrfach dargelegt – gleichfalls um Formen des Wirkbereichs der
Wissenschaftsfreiheit handelt, hätte er ein solches generelles Verbot mit
Erlaubnisvorbehalt auch verfassungskonform nicht vorsehen können. Schon
deshalb geht die Auffassung des Anhörungsschreibens des Gesundheitsamts
Berlin-Mitte von Berlin vom 08.08.2014 fehl, der Gesetzgeber habe den
Konflikt von Wissenschaftsfreiheit und Menschenwürde im Sektionsgesetz
„abschließend“ regeln wollen9. Dies ist weder nach dem Wortlaut noch nach der
Systematik und Entstehungsgeschichte der Norm der Fall. Der Gesetzgeber
konnte und wollte vielmehr die Öffnung wissenschaftlicher Erkenntnisse und der
Ergebnisse anatomischer Verfahren für eine breitere Öffentlichkeit nicht
verhindern.
Hinzuweisen ist auch darauf, dass eine Begrenzung der anatomischen Sektion
und Präsentation ausschließlich auf die akademische Ausbildung und der damit
verbundene Ausschluss jeder anderen Form wissenschaftlicher Präsentation
auch im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 GG) Probleme
aufwerfen würde. Das folgt schon daraus, dass die Wissenschaftsfreiheit nicht
nur universitäre, sondern auch außeruniversitäre Forschung und Lehre schützt.
Auch eine teilweise wirtschaftliche Orientierung ändert daran nichts10. Das
Verbot der Ausstellung Körperwelten bei gleichzeitiger Erlaubnis für die
Verwendung und Ausstellung menschlicher Leichen und Präparate im Rahmen
anderer Formen wissenschaftlicher Forschungen und Präsentationen stellt eine
Ungleichbehandlung wesensmäßig gleicher Sachverhalte dar. Dieser fehlt jeder
8
Ausweislich der parlamentarischen Äußerungen im Berliner Abgeordnetenhaus im Zusammenhang mit
der Beratung des Sektionsgesetzes sollte dieses nicht nur das Selbstbestimmungsrecht der Patienten
stärken, sondern die rechtliche Situation des Sektionswesen verbessern, weil „die wissenschaftliche
Pathologie einen wesentlichen Anteil am medizinischen Fortschritt“ habe und durch das Fehlen
gesetzlicher Regelungen belastet werde (Plenarprotokoll 13/7 vom 25.04.1996, S. 425).
9 Anhörungsschreiben, S. 3
10 Dähne, Forschung zwischen Wissenschaftsfreiheit und Wirtschaftsfreiheit (2007); Kamp, Forschungsfreiheit
und Kommerz (2004).
11
sachliche Grund. Insbesondere ist es unzeitgemäß und ideologieverhaftet,
unmittelbare Anschauung von Leichen für Medizinstudenten als erwünscht
anzusehen, eine solche für „gewöhnliche“ und interessierte Bürger aber zum
„Voyeurismus“ zu erklären. Ein sektionsrechtliches Verbot oder eine besondere
Genehmigungspflicht wäre also auch wegen eines Verstoßes gegen den
allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 GG) verfassungswidrig.
Teilergebnis: Auf die geplante Dauerausstellung plastinierter menschlicher
Körper in Berlin sind weder das Bestattungsgebot des § 15, das Ausstellungsverbot des § 14 Abs. 1 BestattungsG Berlin noch die Voraussetzungen von § 8 SektionsG Berlin anwendbar. Deshalb besteht auch keine
gesetzliche Möglichkeit der Forderung nach einer Ausnahmegenehmigung
nach § 14 Abs. 2 BestattungsG Berlin. Auch das SektionsG enthält kein
Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, sondern ist vielmehr auf die Vermittlung
wissenschaftlicher Erkenntnisse durch die Plastinate außerhalb der
medizinischen Ausbildung nicht anwendbar. Die geplante Dauerausstellung ist also erlaubnisfrei und kann nach Regeln des Bestattungs- oder
Sektionsrechts nicht verboten werden. Sollte es Anlass zu Beanstandungen
im Hinblick auf die Art der Darstellung geben, so kommt – insofern in
Konkretisierung der verfassungsimmanenten Schranken aus Art. 1 Abs. 1
und Art. 2 Abs. 1 GG – nur die Anwendung der polizei- und
ordnungsrechtlichen Generalklausel des § 17 Abs. 1 ASOG in Betracht11.
III. Die verfassungsrechtliche Ebene: Verbot mit Erlaubnisvorbehalt
vereinbar mit Art. 5 Abs. 3 GG?
1. Allgemeines
Wie unter II. gezeigt, bieten weder das Berliner Bestattungsrecht noch das
Sektionsrecht Eingriffsgrundlagen für Verbote oder Genehmigungserfordernisse
hinsichtlich der geplanten Ausstellung. Da jedoch die bisherigen Ausführungen
des
Gesundheitsamts
in
weitem
Umfang
Ausführungen
zur
verfassungskonformen Interpretation der genannten Vorschriften und zur
verhältnismäßigen Zuordnung der betroffenen Verfassungsgüter enthalten, ist in
der Folge zu prüfen, ob die Unterwerfung der Ausstellung unter einen
Genehmigungsvorbehalt – sei es auch durch eine mögliche Änderung der
gesetzlichen Grundlagen – verfassungskonform wäre. Da die hier aufzuwerfenden verfassungsrechtlichen Fragen durch Rechtsprechung und Literatur seit
langem geklärt sind, 12 und wegen der Kürze der für diese Stellungnahme zur
11
Zur Möglichkeit des Eingriffs unter dem Aspekt der öffentlichen Ordnung Baudewin, Der Schutz der
öffentlichen Ordnung im Versammlungsrecht (2007), 91ff.
12 Zur Rechtsprechung die in Fn. 1 genannten Entscheidungen; aus der Literatur s. neben Hufen, Verbote und
einschränkende Auflagen gegen die Ausstellung „Körperwelten“?, DÖV 2004, 611 nur Bremer, Tote im Zelt Plastination versus Bestattungszwang? NVwZ 2001, 167; Kobor, Grundfälle zu Art. 5 III, JuS 2006, 695;
Wetz/Tag, Schöne neue Körperwelten [2001]; Finger/Müller,
Körperwelten im Spannungsfeld von
Wissenschaftsfreiheit und Menschenwürde, NJW 2004, 1073; Peine, Klausurenkurs im Verwaltungsrecht
2004, S. 139; allg. zum postmortalen Würdeschutz Schmidt am Busch, DS 49 (2010), 211; die
Gegenauffassung von
12
Verfügung stehenden Zeit, erfolgt die Darlegung thesenförmig und unter Beschränkung auf die wichtigsten Nachweise.
2. Schutzbereich Art. 5 Abs. 3 GG
Die Methode der Plastination ist ein planmäßiges und auf eigener Forschung
beruhendes wissenschaftliches Vorgehen innerhalb des Faches Anatomie13 und
fällt damit in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 3 2. Alt. GG. Die
Wissenschaftsfreiheit ist ein auf Kommunikation ausgerichtetes Grundrecht, das
das Sammeln von Informationen, die Harausarbeitung neuer Erkenntnisse wie
auch deren Präsentation schützt. Kern der Wissenschaftsfreiheit ist deren
Eigengesetzlichkeit. Staatlichen Stellen ist es grundsätzlich untersagt, über die
„Wissenschaftlichkeit“ oder „Unwissenschaftlichkeit“ von Ergebnissen,
Methoden und Einrichtungen der Wissenschaft zu befinden.
Der Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit umfasst sowohl Werkbereich und
Wirkbereich des Grundrechts. Der „Werkbereich“ der Wissenschaftsfreiheit
umfasst dabei die Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse, die Herstellung
wissenschaftlicher Werke und insofern auch die Herstellung wissenschaftlicher
Präparate mit Hilfe der Methodik der Plastination. Der „Wirkbereich“ umfasst
die Präsentation der Forschungsergebnisse - nicht nur in der hochschulinternen
Lehre oder in den Mauern der Universitäten und Institute, sondern auch
Publikation und Präsentation in der Öffentlichkeit durch eine Ausstellung und
den durch diese ausgelösten Diskurs. Zu beachten ist dabei, dass sich die
Bedingungen heutiger Wissenschaft und der Präsentation von Wissenschaft in
den vergangenen Jahrzehnten geändert haben14. So ist die Forschung heute aus
dem engeren Bereich der Hochschulen hinausgetreten und präsentiert sich in
allen Medien, im Internet und auch auf den verschiedenen Foren der
Öffentlichkeit. Insofern bestimmt sich der Begriff der „wissenschaftliche
Einrichtung“ nach der Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft, nicht umgekehrt
die Wissenschaftlichkeit nach den traditionsgeprägten Vorstellungen
strukturierter Rechtsgebiete wie etwa des Bestattungs- oder auch des
Sektionsrechts15. Die Präsentation von Wissenschaft in einer öffentlichen
Ausstellung ist in diesem Sinne „wissenschaftliche Einrichtung“. Jedenfalls ist
das Institut für Plastination in Heidelberg eine solche16, die Ausstellung
kennzeichnet den fortdauernden wissenschaftlichen Zweck. Die gewählte
Methode und Formensprache der Präsentation stehen dabei ausschließlich im
Ermessen des Trägers der Wissenschaftsfreiheit. Die Wahl „spektakulärer“,
bewusst provokativer oder tabubrechender Formen und Methoden stellen die
Wissenschaftlichkeit als solche nicht in Frage, sind vielmehr erst auf der Stufe
der Grundrechtsschrankern zu prüfen. Auch die Entgeltlichkeit und Gewerbe-
Benda, NJW 2000, 1769 und Thiele, NVwZ 2000, 405 hat sich erkennbar nicht durchgesetzt und wird derzeit
wohl nur noch von Vertretern der Kirchen geteilt.
13 Zur Definition BVerfGE 35, 79, 109
14 Dazu Nettesheim, Grund und Grenzen der Wissenschaftsfreiheit, DVBl 2005, 1072, 1079 ..
15 VGH Mannheim, BWVBl. 2006, 186 ff.
16 16 VGH Mannheim, wie vor.
13
mäßigkeit der Präsentation sind für den Schutz der Wissenschaftsfreiheit ohne
Belang. Geschützt ist auch die Werbung für die Ausstellung17.
Der personelle Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit bezieht sowohl Dr.
Gunther von Hagens als auch das Institut für Plastination sowie gemäß Art. 19
Abs. 3 GG als juristische Person und als Trägerin wissenschaftlicher
Wirkbereiche die Arts & Sciences GmbH. ein. Sie sind Träger der
Wissenschaftsfreiheit und durch ein Verbot direkt und unmittelbar betroffen.
3. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt als Eingriff
Ungeachtet einer etwaigen Ausnahmeregel und auch ungeachtet eines Genehmigungsvorbehalts stellen jedes Verbot, jeder Erlaubnis- oder Auflagenvorbehalt
aus grundrechtlicher Sicht einen gezielten Eingriff in Art. 5 Abs. 3 GG dar. Das
gilt für jede Form staatlichen Handelns, würde also für eine gesetzliche
Einschränkung des Grundrechts, aber auch für die Anwendung bestehenden
Rechts durch Behörden und Gerichte gelten.
4. Verfassungsrechtliche Schranken
Die Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG steht unter keinem Gesetzesvorbehalt. Gleichwohl besteht heute Einigkeit darüber, dass die Wissenschaftsfreiheit durch andere Verfassungsgüter, insbesondere Grundrechte und
Staatszielbestimmungen, eingeschränkt werden kann18. Als Rechtsgüter von
Verfassungsrang und Schranken der Wissenschaftsfreiheit des Anatomen
kommen grundsätzlich die Schutzpflicht des Staates für Leben und Gesundheit
(Art. 2 II GG), das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1)
und der Schutz der Menschenwürde der Verstorbenen (Art. 1 GG) in Betracht.
Ein Verbot wäre somit gerechtfertigt, wenn


eines der genannten Verfassungsgüter durch die Ausstellung konkret
gefährdet wäre,
das Verbot geeignet, erforderlich und zumutbar wäre, um dieser Gefährdung
entgegenzuwirken.
Da die Plastination von Körperspenden und deren Ausstellung ausschließlich auf
Grund einer Einverständniserklärung der Betroffenen zu Lebzeiten erfolgt,
kommt das allgemeine Persönlichkeitsrecht als verfassungsimmanente Schranke
der Wissenschaftsfreiheit nicht in Frage. Vielmehr wäre zu erwägen, ob das
Grundrecht auf Selbstbestimmung über die eigene Persönlichkeit nicht eher
verletzt wäre, wenn dem Willen des Verstorbenen etwa durch die Anwendung
des Bestattungsgebots entgegen gehandelt würde.
17
Hufen, DÖV 2004, 611.
BVerfGE 47, 327, 369; Hufen, Staatsrecht II. 4. Aufl. 2014, § 34, Rn. 26ff; Papier, in Mertens/Papier,
Handbuch der Grundrechte, Band II § 64, Rn. 6ff.
18
14
Anders als bei der gewöhnlichen Präsentation von Leichen und Leichenteilen
sowie der Öffnung des Sarges, denen das Bestattungsrecht zu Recht
entgegenwirkt, spielt der Gesundheitsschutz als zu schützender Gemeinwohlbelang für das Verbot der Ausstellung von Plastinaten erkennbar keine Rolle.
Die Ausstellung führt vielmehr umgekehrt nach belegbaren Erfahrungen
aufseiten der Besucher zu positiven Kenntnissen über den menschlichen Körper
und Gefährdungen der Gesundheit z.B. durch Rauchen und Trinken, dient also
im weiteren Sinne dem Gesundheitsschutz.
Unstreitig stehen die ausgestellten Körper auch nach dem Tode unter dem
fortdauernden Schutz der Menschenwürde. Dagegen geht es hier nicht um die
Menschenwürde lebender Personen, zumal letztere nicht gezwungen sind, die
Ausstellung zur Kenntnis zu nehmen. Nicht geschützt durch Art. 1 GG sind
auch wirkliche oder behauptete, stets subjektive und ideologieanfällige
„Wertvorstellungen der Gemeinschaft“ oder „Gefühle der Lebenden“. Die
Berufung auf die „sittliche Empfinden“ läuft auf eine durch das BVerfG
ausdrücklich ausgeschlossene Übertragung der Schranken des Art. 2 I GG auf
die Spezialgrundrechte des Art. 5 III GG hinaus. Noch weniger ist ersichtlich,
wieso die Ausstellung die Religionsfreiheit verletzen soll19.
Letztlich kommt auch die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG) als
verfassungsimmanente Schranke der Wissenschaftsfreiheit hier nicht in Betracht.
Menschenwürde im Sinne von Art. 1 I GG schützt die menschliche Identität,
Intimität, Integrität und den Kern der Selbstbestimmung20. Keines dieser
Schutzgüter ist durch die Ausstellung in Frage gestellt. Zwar reicht der Schutz
der Menschenwürde über den Tod hinaus. Dieser postmortale Schutz der
Menschenwürde beruht aber darauf, dass auch der tote Mensch über eine
individualisierbare und damit schützbare Persönlichkeit verfügt. Gerade dieser
Personenbezug ist aber bei den plastinierten Körpern und Körperteilen allenfalls
eingeschränkt gegeben. Eine Persönlichkeit, die es zu schützen gilt, existiert
insofern nicht mehr21.
Selbst wenn man den Schutzbereich der Menschenwürde im Hinblick auf die
Plastinate als eröffnet ansehen würde, wäre die Menschenwürde der
Körperspender nach der Rechtsprechung des BVerfG22 (erst) dann verletzt,
wenn der Mensch zum Objekt erniedrigt oder verächtlich gemacht würde. Die
Betonung liegt dabei nicht nur auf „Objekt“, sondern auch auf „Erniedrigung“.
Genannt werden Sklaverei, Folter, Brandmarkung, sexuelle Ausbeutung usw.
Weder die „spektakuläre“ Präsentation noch die Entgeltlichkeit der Darstellung
als solche aber können die Menschenwürde tangieren. Wert und Würde der
Persönlichkeit werden in der Ausstellung vielmehr ausdrücklich gewahrt. Für
19
So aber das Anhörungsschreiben, S.4.
Hufen, Die Menschenwürde, JuS 2010, 1ff.
21 So sogar zum „normalen Leichnam“ Schmidt am Busch, Postmortaler Würdeschutz und gesetzgeberische
Gestaltungsfreiheit, Der Staat 49 (2010), 211ff.
22 BVerfG, NJW 2003, 1303 - Benetton; Hufen, DÖV 2004, 611, 614.
20
15
die Menschenwürde ist es ohne Belang, ob die Betrachter Medizinstudenten
sind oder nicht. Zu beachten ist auch, dass die Durchberechung der
Selbstbestimmung in einem so wesentlichen Bereich wie der Bestimmung über
den eigenen Köper ihrerseits mit der durch die Menschenwürde geschützten
Individualität und Autonomie des Einzelnen kollidieren würde. Dem kann die
Unverfügbarkeit der Menschenwürde nicht entgegengehalten werden. Gerade
der Vergleich zu – als solchen höchst umstrittenen - Urteilen („peep show“,
„Zwergenweitwurf“, „Frauenringkampf“ usw.)
zeigt, dass bei den
„Körperwelten“ von einer selbstentwürdigenden, zur Brechung der Selbstbestimmung Anlass gebenden Darstellung keine Rede sein kann. Der tote Mensch
wird nicht entwürdigt. Es wird nicht der Tod, sondern durch die verschiedenen
Posen gerade das Leben dargestellt23.
Zu beachten ist auch, dass sich nicht zuletzt auf Grund der Säkularisation und
der Interkulturalität der Gesellschaft die früher fest gefügten ethischen
Vorstellungen über Bestattungskultur und Bestattungsrecht gewandelt haben.
Die Selbstbestimmung des Verstorbenen und die Toleranz gegenüber
gewandelten religiösen Vorstellungen zeigen sich in der Öffnung für islamische
Bestattungen, Bestattungswälder usw. Es wird deutlich, dass es nicht Sache des
säkularen Staates ist, unter dem Aspekt der Menschenwürde in die
Religionsfreiheit, aber auch in die Wissenschaftsfreiheit einzugreifen24.
Insgesamt ist keine verfassungsimmanente Schranke erkennbar, die es
rechtfertigen würde, durch ein Ausstellungsverbot – sei es auch mit
Erlaubnisvorbehalt - in die Wissenschaftsfreiheit der Arts & Science GmbH.
einzugreifen.
Auf die Frage der Verhältnismäßigkeit kommt es somit nicht mehr an, doch
bedarf es kaum einer Begründung, dass das Verbot der Ausstellung auch grob
unverhältnismäßig wäre.
IV. Gesamtergebnis
Auf die geplante Ausstellung von menschlichen Plastinaten finden weder der
Bestattungszwang des § 15 noch das Ausstellungsverbot des § 14 BestattG
Berlin Anwendung. Folgerichtig ist auch keine Ausnahmegenehmigung im Sinne
von § 14 Abs. 2 BestattG erforderlich. Auch Art. 7 ff. des SektionsG enthalten
bei verfassungskonformer Auslegung keine Beschränkung der Herstellung und
Ausstellung von Plastinaten. Die Begrenzung auf die akademische Lehre würde
sowohl gegen Art. 5 Abs. 3 GG als auch gegen Art. 3 GG verstoßen.
Die Ausstellung von Plastinaten ist als Ausprägung des Wirkbereichs der
Wissenschaftsfreiheit durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützt. Gesetzgeber,
Verwaltung und Gerichte sind nur bei Verletzung gleichrangiger
Verfassungsgüter berechtigt, in dieses Grundrecht einzugreifen. Solche
23
24
So auch Wetz, FAZ vom 26.3.2010, 57.
Allgemein zur Säkularisierung Keràki, ? Evangelische Ethik 2009, 243.
16
Verletzung ist nicht ersichtlich. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen die
Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) vor. Sowohl ein Verbot als auch die
Unterwerfung unter einen Erlaubnisvorbehalt wären eine Verletzung von Art. 5
Abs. 3 GG.
Die geplante Ausstellung kann also ohne Erlaubnis stattfinden.
Mainz, 28. 08. 2014
Prof. Dr. Friedhelm Hufen