Newsletter Nr. 62 / April 2013

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Newsletter Nr. 62 / April 2013
Aktuelle Ergebnisse
der Gesundheitsforschung
Newsletter 62 | April 2013
Inhalt
Aktuelle Themen
Ursachen kindlicher Hirntumore verstehen
01
Interview mit Dr. Ursula Weber zum Internationalen
Krebsgenom-Konsortium
Erwartung an eine Therapie bestimmt die Wirkung 04
Blick ins Gehirn verrät die neurobiologischen Ursachen
Nicht nur zu viel Arbeit, auch keine Arbeit kann krank machen
06
Langzeitarbeitslose profitieren von gesundheitsfördernden
Maßnahmen
Fachthemen
„Kooperation wird bei uns großgeschrieben“ – Ziele, Schwerpunkte und erste Erfolge des
Deutschen Zentrums für Infektionsforschung
08
Interview mit Professor Dr. Martin Krönke
Leber im Miniaturformat 11
Nebenwirkungen von Arzneimitteln sicher vorhersagen
Kleinzelliges Bronchialkarzinom: Erste molekulare Ursachen gefunden Personalisierte Therapie rückt näher
13
01
Ursachen kindlicher Hirntumore verstehen
Interview mit Dr. Ursula Weber zum Internationalen Krebsgenom-Konsortium
Krebs beginnt meist schmerzfrei und unsichtbar: Eine der etwa
100 Billionen Zellen des menschlichen Körpers verliert die Kontrolle über
ihr Wachstum und beginnt, sich unaufhörlich zu teilen. Ursache ist meist
eine Mutation in den Erbanlagen der Zelle, die zufällig auftreten, durch
Umwelteinflüsse entstehen oder vererbt sein kann. Welche genetischen
Veränderungen den häufigsten Krebserkrankungen zugrunde liegen, möchten Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler aus der ganzen Welt im Internationalen Krebsgenom-Konsortium, kurz ICGC,
verstehen. Auch Deutschland ist beteiligt – ein Projekt untersucht die Ursachen kindlicher Hirntumore.
Dr. Ursula Weber vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg erklärt im Interview, welche
Ziele verfolgt werden und welche ersten Ergebnisse es gibt.
Frau Dr. Weber, Sie untersuchen die genetischen
Ur­sachen von Hirntumoren bei Kindern. Warum ist das
sinnvoll?
Krebs ist nicht gleich Krebs und von Patient zu Pa­t ient
können sich auch Tumoren derselben Organe stark
unterscheiden. Das gilt auch für Hirntumoren bei
Kindern. Selbst bei Krebserkrankungen, in denen
sich die Tumorzellen unter dem Mikroskop scheinbar
nicht unterscheiden, sprechen manche Patienten sehr
gut auf bestimmte Therapien an, andere Patienten
hingegen nicht. Das deutet darauf hin, dass oftmals
die Ausbreitung und Entwicklung einer Krebserkrankung ganz individuell von der genetischen Ausstattung des Tumors abhängig sind. Deshalb ist es wichtig, die Tumore genetisch exakt zu charakterisieren.
Was untersuchen Sie genau?
Ziel des PedBrainTumor-Projektes ist es, 500 Gewebeproben kindlicher Hirntumoren mit neusten Sequenziermethoden zu entschlüsseln. Dabei nutzen wir
das sogenannte „Next-Generation Sequencing“, oder
auch Hochdurchsatz-Sequenzierung genannt, bei der
ein ganzes menschliches Genom innerhalb von zwei
Wochen komplett sequenziert, also entschlüsselt,
werden kann. Im Projekt geht es darum, sowohl alle
Mutationen, also Veränderungen im Erbgut, zu erfassen, als auch alle Veränderungen in der Aktivität von
Genen und in epigenetischen Informationen. Letztere
steuern den Gebrauch der DNA und bestimmen, welche Gene wann und wo genau an- oder abgeschaltet
werden. Gleichzeitig untersuchen wir auch 500 Proben von gesundem Gewebe der Tumorpatienten, um
ganz genau abgleichen zu können, welche genetischen
Dr. Ursula Weber, Projektmanagerin des PedBrainTumor-Projektes
am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg
Veränderungen für den Tumor einzigartig sind. Die
Gesamtheit dieser Informationen soll dazu beitragen, grundlegende Erkenntnisse über die Entstehung
pädia­t rischer Hirntumoren zu erhalten, die Tumorbiologie besser zu verstehen und letztlich auf Grundlage dieser Kenntnis neue zielgerichtete Therapien zu
entwickeln.
Neue Therapien sind vermutlich gerade für kindliche
Hirntumoren dringend erforderlich?
Ja, besonders dringend brauchen wir neue, ziel­
gerichtete und schonende Therapieverfahren. Die
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Aktuelle Themen
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Magnetresonanztomografie (links, der Pfeil deutet auf den Tumor) und Gewebeschnitt (rechts) eines Medulloblastoms
pädiatrischen Hirntumoren sind die häufigste Krebserkrankung im Kindesalter, die einen tödlichen Verlauf hat. Die Behandlung der Tumoren und die damit
verbundenen Nebenwirkungen sind oft sehr belastend für die Kinder und können das heranwachsende
Gehirn in seiner Entwicklung beeinträchtigen. Wir
beschränken uns in unseren Untersuchungen auf
die beiden häufigsten kindlichen Hirntumoren, das
Medulloblastom und das pilozytische Astrozytom. In
Deutschland sind jedes Jahr etwa 300 Kinder von diesen Hirntumoren betroffen.
Was könnte die Entschlüsselung der Tumorgenome zu
einer verbesserten Therapie beitragen?
möglich war. Ein interessantes Ergebnis ist, dass kindliche Medulloblastome – obwohl es sich um hoch­
aggressive Tumoren handelt – deutlich weniger Mutationen tragen als alle Tumoren von Erwachsenen, die
bislang untersucht wurden. Eine häufige Mutation,
die wir bei einem anderen pädiatrischen Hirntumor,
dem Glioblastom, gefunden haben, liegt in einem
Gen, das für die Verpackung der DNA verantwortlich ist und so auch die Aktivität von Genen bestimmt.
Genauer handelt es sich um das Gen Histonmodifikation H3.3. Somit ist klar: In kindlichen Hirntumoren
sind auch epigenetische Faktoren, die den Gebrauch
der DNA steuern, durch Mutation verändert.
Wie geht es jetzt weiter?
Genetische Veränderungen können zum Beispiel Hinweise auf die Ursache der Tumore geben und als Zielstrukturen für neue personalisierte Therapieansätze
dienen. Gleichzeitig geht es uns darum, die Tumoren
anhand ihrer Genetik in Untergruppen einzuteilen.
So sollen zukünftig ganz genau die Patienten identifiziert werden, die von einer bestimmten Therapie, zum
Beispiel einer Chemotherapie, profitieren. Denn wie
ich eingangs gesagt habe, sind viele Tumoren unter
dem Mikroskop nicht zu unterscheiden. Genetisch
jedoch unterscheiden sie sich erheblich. Und davon
kann auch die Wahl der Therapie abhängen.
In den nächsten Jahren werden wir wie geplant die
übrigen 250 Tumorproben und noch mal so viele Kontrollen analysieren. Wir werden neue Befunde validieren und häufig gefundene spezielle Veränderungen
in Tiermodelle übertragen, um die präklinische Testung neuer klinischer Therapien durchzuführen. Alle
gesammelten Daten werden in einer großen Datenbank im Rahmen des Internationalen KrebsgenomKonsortiums zusammengefasst und der internationalen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellt.
Haben Sie bereits Ergebnisse erzielen können?
Kürzlich erhielt ein Wissenschaftler des ICGC den Deut­
schen Krebspreis.
Die Sequenzierung von 125 Medulloblastomen hat
bereits zu einer deutlich verbesserten Einteilung der
Tumoren in Untergruppen beigetragen, als es bisher
Genau. Der Heidelberger Molekularbiologe und Kinderarzt Professor Dr. Stefan Pfister wurde für seine
Untersuchungen zu den molekularen Eigenschaften
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bösartiger Hirntumoren bei Kindern ausgezeichnet.
Mit diesem Preis hat die Deutsche Krebsgesellschaft
seine Verdienste in der translationalen Krebsforschung gewürdigt. Bei translationaler Forschung in
der Medizin geht es um die frühzeitige Übertragung
von grundlegenden Forschungserkenntnissen in die
therapeutische Anwendung.
ICGC – weltweite Vernetzung im Kampf
gegen den Krebs
Im Internationalen Krebsgenom-Konsortium (International Cancer Genome Consortium, ICGC) arbeiten weltweit Wissenschaftler daran, die 50 häufigsten Krebserkrankungen genetisch zu untersuchen,
um neue verbesserte Ansätze zu Prävention, Diag­
nose und Therapie zu finden. Derzeit gibt es drei
deutsche ICGC-Beteiligungen, eines ist das PedBrainTumor-Projekt, das vom Bundesministerium
für Bildung und Forschung (BMBF) und der Deutschen Krebshilfe mit einem Gesamtbudget von
15 Mio. Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren
gefördert wird. Die beiden anderen Projekte untersuchen die molekularen Ursachen von malignen
Lymphomen und früh auftretenden Prostatakarzinomen.
Mehr zum ICGC und zu den deutschen Beteiligungen lesen Sie unter www.gesundheitsforschungbmbf.de/de/2604.php.
Ansprechpartnerin:
Dr. Ursula Weber
Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg
(DKFZ)
Abteilung Molekulare Genetik
Im Neuenheimer Feld 280
69120 Heidelberg
Tel.: 06221 42-4620
Fax: 06221 42-4639
E-Mail: [email protected]
www.pedbraintumor.org
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Erwartung an eine Therapie bestimmt die Wirkung
Blick ins Gehirn verrät die neurobiologischen Ursachen
Schmerz ist nicht gleich Schmerz. Denn wie wir Schmerzen erleben, hängt von unserer Wahrnehmung ab,
von unserer Aufmerksamkeit, unserer Gefühlslage oder unserer Erwartung. Wer kennt dieses Phänomen
nicht: Schauen wir einen spannenden Film, juckt ein Mückenstich nicht so sehr, wie wenn wir uns zu Hause
langweilen. Und auch die Wirkung von Schmerzmitteln hängt von unserer Wahrnehmung ab: Unsere
Erwartung an eine Therapie – ob positiv oder negativ –, bestimmt die Wirkung des Medikaments. Welche
neurobiologischen Mechanismen hierfür verantwortlich sind, untersucht eine Wissenschaftlerin aus
Hamburg.
Das Thema Schmerz habe sie schon immer fasziniert.
Besonders die neurobiologischen Mechanismen, die
unser Schmerzerleben bestimmen. Um diese zu verstehen, schaut Privatdozentin Dr. Ulrike Bingel unserem Gehirn regelrecht bei der Arbeit zu. Mit Hilfe
der funktionellen Magnetresonanztomografie, kurz
fMRT.
Ein Beispiel. Gesunde Freiwillige werden mehrfach für einige Sekunden einem kontrollierten
Hitze­reiz ausgesetzt, der einen mittleren bis starken Schmerz auslöst. „Mit der funktionellen Magnet­
resonanztomografie können wir während des Experiments die Schmerzverarbeitung im Gehirn sichtbar
machen“, erklärt Dr. Bingel vom Universitätsklinikum
Hamburg-Eppendorf. „Bestimmte Schaltstellen des
schmerzverarbeitenden Systems zeigen wie ein Wasserstandsmelder an, ob ein Proband gerade viel oder
wenig Schmerz aushalten muss.“ Die bei der Schmerzverarbeitung aktivierten Hirnregionen heißen Thalamus, Insel und somatosensorischer Kortex.
Keine Wirkung trotz Medikament
Interessant wird es, wenn die Probanden während
des Versuchs ein Schmerzmittel erhalten. Dann nämlich kommt ihre Erwartung an das Schmerzmedikament ins Spiel. Zunächst bekommen die Probanden
das Schmerzmittel in einer „verdeckten“ Infusion, sie
rechnen also nicht mit einer Schmerzlinderung. Die
Schmerzintensität sinkt. „Wenn wir den Probanden
dann mitteilen, dass ihnen jetzt das Medikament verabreicht wird, verdoppelt sich der schmerzlindernde
Effekt, obwohl sie die identische Medikamentendosierung erhalten“, erklärt die Wissenschaftlerin.
Die Schmerzintensität sinkt also in der Erwartung
einer Behandlung deutlich. „Das ist eine Art PlaceboEffekt“, so Dr. Bingel. Gänzlich aufgehoben dagegen
Ob ein Medikament Schmerzen lindert, hängt auch von der
Erwartung ab.
wird der schmerzlindernde Effekt des Schmerzmittels, wenn den Probanden gesagt wird, dass sie keine
Therapie mehr erhalten und es gleich stärker schmerzen könnte. Obwohl ihnen – ohne ihr Wissen – weiter
das Schmerzmittel verabreicht wird, schnellt dann die
Schmerzintensität wieder auf den Ausgangswert an.
Dr. Bingel: „Die negative Erwartung und die Angst vor
dem Schmerz zerstören den Effekt des Medikaments
vollständig. Der Schmerz ist dann genauso stark, als
hätten sie überhaupt kein Medikament bekommen.“
In der fMRT konnten die Forscher sehen: Glaubt
ein Proband an die Wirkung der Behandlung, wird
das körpereigene schmerzhemmende System aktiviert und verstärkt so die schmerzlindernde Wirkung
des von außen zugeführten Schmerzmittels. „Damit
ist klar, dass negative Erwartungen an eine Therapie
deren Erfolg beeinträchtigen und die Wirkung von
eigentlich potenten Schmerzmitteln ungünstig beeinflussen können. Das sollte künftig in der Schmerz-
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weniger Schmerzlinderung. „Schlechte Erfahrungen
schmälern also die Erfolgschancen für das nächste
Medikament“, sagt Dr. Bingel. „Denn die Erfahrung,
die ein Patient mit dem ersten Medikament gemacht
hat, wird mitgenommen und zumindest teilweise auf
die Folgearznei übertragen.“ Dieser „Mitnahmeeffekt“
aber dürfte sich in der Schmerzbehandlung meist
schädlich auswirken, befürchtet Dr. Bingel. Üblicherweise wird nämlich mit den schwächsten Arzneien
begonnen, und erst nach deren Versagen sollen Ärzte
eine stärkere Medikamentenklasse erproben. „Ein
Vorgehen, das wir möglicherweise überdenken müssen“, sagt Dr. Bingel.
Der Blick ins Gehirn – die funktionelle
Kernspintomografie
Privatdozentin Dr. Ulrike Bingel vor ihrem Arbeitsgerät, dem
Magnetresonanztomografen.
therapie berücksichtigt werden“, plädiert Dr. Bingel.
„Hierbei kann es schon helfen, Patienten intensiver
und gezielter über ihre Erkrankung und die Behandlung aufzuklären, um positive Erwartungen zu
wecken und negative zu vermeiden.“
Schlechte Erfahrungen schmälern Therapieerfolg
Ähnliche Effekte haben Dr. Bingel und ihr Team mit
Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung (BMBF) auch beim Wechsel von Medikamenten beobachtet. In einem weiteren Versuch ließen sie einen Teil der gesunden Freiwilligen schlechte
Erfahrungen mit einer vermeintlichen Schmerzsalbe
machen. Die Probanden bekamen zwei Tage lang an
verschiedenen Stellen der Haut zwar die gleiche Salbe,
wussten aber nicht, dass die Forscher mittels Hitze
unterschiedlich starke Schmerzreize erzeugten. Am
dritten Tag gab es dann statt der Salbe ein Schmerzpflaster, und der Schmerzreiz wurde um 30 Prozent
verringert. Wer nun zuvor schlechte Erfahrungen mit
der Salbe gemacht hatte, spürte auch mit dem Pflaster
Einen Blick ins Gehirn werfen kann man mit der
funktionellen Kernspintomografie – auch funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT)
genannt. Die Methode erlaubt es, aktive Bereiche
des Gehirns sichtbar zu machen. So wird erkennbar, welche Areale „arbeiten“, wenn wir eine spezielle Bewegung ausführen, etwas Bestimmtes erwarten oder Schmerz empfinden. Bei der Messung wird
das Gehirn einem sehr starken Magnetfeld ausgesetzt. Das ist völlig ungefährlich und auch komplett schmerzfrei. Die Methode basiert darauf, dass
aktive Nervenzellen mehr Sauerstoff benötigen als
inaktive. Ein aktives Hirngebiet wird daher vermehrt
durchblutet. Im Blut transportiert das eisenhaltige Trägermolekül Hämoglobin den Sauerstoff. Mit
Sauerstoff beladenes Hämoglobin hat andere magnetische Eigenschaften als ein unbeladenes Trägermolekül. Die aktiven Hirnbereiche geben daher ein
anderes Signal ab als die inaktiven. Im fMRT-Bild
sind diese Areale unterschiedlich farblich markiert.
Ansprechpartnerin:
Priv.-Doz. Dr. Ulrike Bingel
Klinik und Poliklinik für Neurologie
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Martinistr. 52
20246 Hamburg
Tel.: 040-7410-53570
Fax: 040-7410-59955
E-Mail: [email protected]
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Nicht nur zu viel Arbeit, auch keine Arbeit kann
krank machen
Langzeitarbeitslose profitieren von gesundheitsfördernden Maßnahmen
Burnout, dieser Begriff ist mittlerweile wohl jedem geläufig. An Burnout leiden bekanntlich vor
allem Personen, die zu viel arbeiten. Keine Arbeit kann aber auch krank machen. Es ist erwiesen, dass
Arbeitslose – und hier speziell Langzeitarbeitslose – ein höheres Risiko haben, psychisch zu erkranken.
Wissenschaftler haben nun erstmalig mittels einer kontrollierten Studie in zwei deutschen Städten
nachgewiesen, dass gesundheitsfördernde Maßnahmen für diese Personengruppe nützlich sind, etwa um
Ängste und Depressionen zu bekämpfen und zu verringern.
Petra M. ist 51 Jahre alt, gelernte Einzelhandelskauffrau und seit mehr als sieben Jahren arbeitslos. Während ihrer langen Arbeitslosigkeit hat sie sich immer
mehr zurückgezogen, ihre sozialen Kontakte und
Beziehungen vernachlässigt und verschiedene Ängste
und psychosomatische Beschwerden entwickelt. Petra
M. war zunehmend deprimiert, verlor den Glauben an
sich selbst und an eine gute Zukunft.
Zahlreiche wissenschaftliche Studien weisen darauf hin, dass Langzeitarbeitslosigkeit ein erhebliches Gesundheitsrisiko darstellt. „Langzeitarbeitslose leiden öfter an psychischen, psychosomatischen
oder generell körperlichen Erkrankungen. Doppelt so
häufig wie Erwerbstätige“, fasst Professor Dr. Harald
Gündel von der Universität Ulm aktuelle Ergebnisse
zusammen. Er ist dort Ärztlicher Direktor der Klinik
für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.
„Viele Betroffene leiden unter Ängsten und Depressio­
nen.“ Die Wechselwirkungen zwischen Arbeitslosigkeit und Krankheit sind dabei vielschichtig. Gesundheitsfördernde Maßnahmen können helfen, diesen
Teufelskreis zu unterbrechen. „Hierbei müssen die
Langzeitarbeitslosen vor allem dabei unterstützt werden, gesünder zu leben“, sagt Professor Gündel. „Das
bedeutet gesündere Ernährung und mehr Bewegung
und zwar nicht nur für kurze Zeit, sondern möglichst für immer.“ Gemeinsam mit Professor Dr. Peter
An­gerer, der an der Universität in Düsseldorf das Institut für Arbeits- und Sozialmedizin leitet, hat er mit
finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung (BMBF) nachgewiesen,
dass nachhaltig ausgerichtete gesundheitsfördernde
Maßnahmen bei Langzeitarbeitslosen eben solche
langfristigen Erfolge erzielen können.
In einer Studie beobachteten die Wissenschaftler Arbeitslose in München und Hannover, die das
Angebot von Gesundheitsschulungen annahmen.
„Über 70 Prozent unserer Studienteilnehmer sind
seit fünf Jahren oder länger ohne Arbeit beziehungsweise haben noch nie in Deutschland gearbeitet. Die
be­sondere Herausforderung ist es, diese Personen zu
motivieren, ihr Verhalten zu verändern“, bemerkt
Professor Gündel, der die Studie damals noch in Hannover leitete.
Gespräche und Aktivitäten – die zwei Bausteine
der Gesundheitsschulung
Insgesamt nahmen 365 Arbeitslose, die Arbeitslosengeld II empfangen, besser bekannt als Hartz IV, an der
Studie teil und erhielten das Angebot einer „Gesundheitsschulung“. Eine Kontrollgruppe musste ohne die
Schulung auskommen. Die Schulung bestand aus zwei
Bausteinen, die individuell und nach Bedarf angepasst werden konnten. Ein Modul beinhaltete motivierende Gesundheitsgespräche zwischen geschulten
Trainern und Arbeitslosen. Beim zweiten Baustein
fanden regelmäßige Gruppenaktivitäten statt wie bei-
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spielsweise gemeinsames
Einkaufen und Kochen.
Aber auch Yoga-Übungen, Besuche von Gesundheitseinrichtungen sowie
Gesundheitsgespräche
wurden angeboten. Generell orien­tierten sich die
Aktivitäten dabei stark an
den Interessen der Teilnehmer. Die Schulungsleiter waren ausgebildete
pädagogische Mitarbeiter
und Mitarbeiterinnen der
Arbeitsagentur, die hauptamtlich für die Wieder­
eingliederung der ArbeitsRegelmäßige Gruppenaktivitäten steigern das Wohlbefinden.
losen in den Arbeitsmarkt
zuständig sind. Sie wurden
im Vorfeld der Studie zu sogenannten „Gesundheitsnisse sind neben den Teilnehmern und Teilnehmerincoaches“ ausgebildet, die die Arbeitslosen motivieren
nen die beteiligten Partner. „Wir freuen uns, dass uns
und unterstützen sollten.
so viele Partner bei der Studie unterstützt haben“, fügt
Professor Gündel hinzu. „Sowohl in München als auch
Positiver Trend: Gesunde Lebensweise steigert
in Hannover wurden die Mitarbeiter in den Agenturen und JobCentern für unsere Schulungen freiArbeitsvermittlung
gestellt.“ Weitere Partner waren die AOK in Bayern,
Das Ergebnis: „Schon nach drei Monaten fühlten
das Forschungsinstitut Betriebliche Bildung gGmbH
sich die Langzeitarbeitslosen deutlich gesünder als
in Nürnberg und das Ethno-Medizinische Zentrum
Arbeitslose, die nicht an der Gesundheitsschulung
(EMZ) in Hannover.
teilgenommen haben“, weiß Professor Gündel. „Und
mit einer weiteren Befragung nach einem Jahr konnEinrichtungen des Münchner Beschäftigungs- und
ten wir beweisen, dass diese Verbesserung nachhalQualifizierungsprogramm (MBQ) der Stadt München
tig ist!“ Die Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen
sowie des JobCenters in Hannover haben bereits einberichteten dabei seltener von Ängsten und Depreszelne Komponenten der Gesundheitsschulung in ihre
sivität und nahmen ihre Situation als weniger ausregulären Maßnahmen übernommen. Und ein Folgesichtslos wahr. Aber auch die als Gesundheitschoaches
projekt in Bayern untersucht den Effekt der Gesundweitergebildeten Arbeitsvermittler fühlten sich durch
heitsschulung jetzt gezielt bei arbeitslosen Jugend­
dieses Projekt positiv motiviert und selbst weniger
lichen.
gestresst.
„Unsere Arbeit zeigt, dass gesundheitsfördernde
Maßnahmen für Langzeitarbeitslose wirklich sinnvoll
sind. Wir beobachten dabei auch den Trend, dass sich
die insgesamt gesündere Lebensweise bei den Arbeitslosen positiv auf ihre Arbeitsvermittlung auswirkt“,
freut sich Professor Gündel.
Petra M. ist auch froh, dass sie an der Studie teilgenommen hat. Sie traut sich wieder auf die Straße
und blickt heute zuversichtlicher in die Zukunft. Ein
wesentlicher Erfolgsfaktor für diese positiven Ergeb-
Ansprechpartner:
Professor Dr. Harald Gündel
Klinik für Psychosomatische Medizin und
Psychotherapie
Universitätsklinikum Ulm
Albert-Einstein-Allee 23
89081 Ulm
Tel.: 0731 500-61800
Fax: 0731 500-61802
E-Mail: [email protected]
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„Kooperation wird bei uns großgeschrieben“ –
Ziele, Schwerpunkte und erste Erfolge des
Deutschen Zentrums für Infektionsforschung
Interview mit Professor Dr. Martin Krönke
Infektionen sind für die Medizin auch im 21. Jahrhundert eine der zentralen
Herausforderungen. Wie lassen sich die großen Infektionskrankheiten am besten
eindämmen? Was tun, wenn Keime immer unempfindlicher gegen Medikamente
werden? Was sind die besten Präventionsstrategien? Diesen und anderen
Fragen wollen die Forscherinnen und Forscher im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung, kurz
DZIF, nachgehen. Das DZIF bringt seit 2012 mehr als 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
in 32 universitären und außeruniversitären Einrichtungen an sieben Standorten zusammen. Es ist eines
von sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, die vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF) zur Erforschung der wichtigsten Volkskrankheiten initiiert wurden.
Herr Professor Krönke, Sie sind Sprecher des neu
gegründeten Deutschen Zentrums für Infektions­
forschung, kurz DZIF. Was sind die Ziele dieser neuen
Struktur?
Die Aufgabe des DZIF kann man am besten unter dem
Stichwort „Translation“ zusammenfassen. Es geht uns
also um den Transfer von Ergebnissen aus der Grundlagenforschung in die medizinische Praxis. Denn
nicht nur in Deutschland, sondern weltweit besteht
eine Lücke zwischen der Grundlagenforschung auf
der einen Seite und der Umsetzung der Erkenntnisse
aus der Grundlagenforschung in der Klinik auf der
anderen Seite. Diese Lücke wollen wir im DZIF schließen. Und zwar nicht in erster Linie mit einzelnen Forschungsprojekten, sondern indem wir neue Strukturen schaffen.
Können Sie Beispiele für diese neuen Strukturen
nennen?
Zum Beispiel bauen wir am Paul-Ehrlich-Institut,
das in Deutschland unter anderem für die Zulassung
neuer Impfstoffe zuständig ist, eine Beratungsstelle
für regulatorische Fragestellungen auf. Hier können
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dann Fragen rund um die Prüfung und Zulassung neuer Therapien und Impfstoffe für Infektionserkrankungen
stellen. Diese Beratungsstelle wird nicht nur den Wissenschaftlern des DZIF zugute kommen, sondern
allen Infektionsforschern in Deutschland zur Verfügung stehen.
Professor Dr. Martin Krönke ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene an der Uniklinik
Köln und Sprecher des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung.
Ein weiteres Beispiel ist eine Einheit, die wir am
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in
Braunschweig aufbauen. Hier werden Forscherinnen
und Forscher von Experten hinsichtlich kommer­
zieller Aspekte ihrer Projekte beraten. Also zum Beispiel: Wie sieht die Patentsituation für einen neuen
The­rapieansatz aus? Gibt es verwandte Wirkstoffe,
die in der Klinik wegen toxischer Nebenwirkungen
ge­scheitert sind? Oder: Ist die Herstellung des Stoffes
problematisch? Diese Beratungsstelle wird auch für
unsere Kolleginnen und Kollegen außerhalb des DZIF
sowie für die fünf anderen Deutschen Zentren ihre
Dienste anbieten. Kooperation wird bei uns im DZIF
großgeschrieben.
Bildquelle: DZIF
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Fachthemen
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Was sind für Sie die wichtigsten oder erfolgverspre­
chendsten Forschungsprojekte des DZIF?
Ein wichtiger Schwerpunkt des DZIF ist die Entwicklung neuer Antiinfektiva. Denn antibiotika-resistente
Bakterien kommen wie eine Dampfwalze auf uns zu.
Aktuell haben wir beispielsweise das Problem, dass
in Krankenhäusern – insbesondere auf den Intensiv­
stationen – Bakterien zu finden sind, die gegen alle
Antibiotika resistent sind, die uns zur Verfügung stehen. Wir brauchen also dringend neue Antibiotika.
Die Zeiten, in denen regelmäßig neue AntibiotikaSubstanzklassen entdeckt wurden, sind vorbei. Seit
den 80er Jahren ist nichts wesentlich Neues dazugekommen. Im DZIF beteiligen wir uns deshalb an der
Entdeckung neuer Antibiotika. In Bonn und Saarbrücken werden große Substanz-Bibliotheken durchforstet, um neue inhibitorische, also wachstumshemmende oder gar Bakterien-tötende Wirkstoffe zu
identifizieren. Bereits jetzt haben die Kollegen über
30 neue Substanzen entdeckt, die – zumindest im
Reagenzglas – antibakterielle Wirksamkeit gezeigt
haben. Eine dieser Substanzen steht kurz vor der klinischen Prüfung.
Forschung ist bekanntlich ein langwieriger Prozess.
Oft muss man Jahre oder gar Jahrzehnte auf Ergeb­
nisse warten. Gibt es dennoch bereits erste Ergebnisse im
DZIF, die Sie erwähnen möchten?
Wir haben am DZIF eine Einheit „Emerging Infections“ gegründet, die sich mit neu auftretenden Infek-
09
tionserregern beschäftigt.
Diese Einheit hat sich auch
auf die Fahne geschrieben,
diagnostische Tests für
neue Viren zu entwickeln.
Denn wenn ein Erreger erstmals auftritt, gibt
es zunächst auch keinen
Test zum Nachweis des
Erregers. Doch erst wenn
man einen Test hat, kann
man herausfinden, wo
das neue Virus grassiert
und wie es sich verbreitet.
Hier haben wir am DZIF
bereits einen ersten Erfolg
erzielt. Derzeit verbreitet
ein neues Coronavirus in
Saudi-Arabien Angst und
Schrecken. Unserer Einheit „Emerging Infections“ ist
es innerhalb von zwei Wochen gelungen, einen diagnostischen Test für dieses neue Virus zu entwickeln.
Zukünftig plant diese Einheit auch, Impfstoffe zu entwickeln.
Im DZIF werden auch klinische Studien durchgeführt.
Haben Sie damit bereits begonnen?
In der Tat betreiben wir schon jetzt klinische Studien, die zum Beispiel darauf abzielen, ob man schon
bestehende und bereits zugelassene Medikamente für
andere Indikationen einsetzen kann. Ich erkläre das
an einem Beispiel. Es gibt die HPV-Impfung, die junge
Frauen vor Gebärmutterhalskrebs schützen soll. Wir
werden nun eine Studie starten, die der Frage nachgeht, ob die Impfung gegen das humane Papillomvirus auch als Therapie bei Analkarzinomen eingesetzt
werden kann, die ebenfalls durch HPV-Viren verursacht werden.
Ein anderes Beispiel. Bei einer Infektion mit Staphylokokken schreiben Richtlinien den Ärzten vor,
Infizierte mindestens für zwei Wochen intravenös mit Antibiotika zu behandeln. Die Frage, die wir
uns stellen, ist: Reicht es nicht, die Patienten nur sieben oder zehn Tage mit Antibiotika zu behandeln?
Falls sich diese Hypothese bestätigt, hätte das eine
immense Bedeutung für die Patienten und auch für
den Verbrauch von Antibiotika. Denn je größer unser
Antibiotikaverbrauch ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Resistenzen entwickeln. Die
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Fachthemen
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Pharmaindustrie hat natürlich kein Interesse, eine
solche Studie durchzuführen.
Im DZIF arbeiten mehr als 150 Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler in 32 Einrichtungen an sieben
Standorten zusammen. Wie funktioniert das?
Das funktioniert nach demokratischen Prozessen.
Es gibt eine Mitgliederversammlung, in der jede der
32 Einrichtungen Mitspracherecht und jeder der sieben Standorte eine Stimme hat. Das DZIF ist als
Rechtsform ein eingetragener Verein. Die Mitgliederversammlung ist unser oberstes Organ. Sie trifft sich
zweimal im Jahr und wählt den dreiköpfigen Vorstand.
Einer der spannendsten Prozesse in der Aufbauphase des DZIF war die Frage: Wie koordinieren
wir uns? Denn wenn 32 Einrichtungen zusammen­
arbeiten sollen, kann nicht jede Einrichtung machen,
was sie will. Deshalb haben wir unsere Forschungsgebiete auf die Standorte verteilt und jedem Standort thematische Schwerpunkte zugeordnet. Zum Beispiel beschäftigen sich die Standorte Heidelberg und
Köln schwerpunktmäßig mit dem Thema HIV. Diese
Schwerpunktsetzung kann sich natürlich im Laufe
der Entwicklung des DZIF verändern. Unser Verein
soll atmen und die Strukturen sind nicht zementiert.
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Bakterien oder Viren vermehren können. Wenn sich
hingegen bei einer Infektion erstmal Milliarden von
Bakterien im Körper befinden, ist die Chance groß,
dass sich einige wenige Antibiotika-resistente Bakterien darunter befinden. Diese wachsen dann auch
unter Antibiotika-Gaben ungestört weiter. Bei einer
Impfung können sich die Erreger gar nicht erst vermehren. Auf Dauer sind deshalb vor allem Impfstoffe
eine Strategie, mit der wir am nachhaltigsten den
Infektionskrankheiten entgegentreten können. Neben
den Antibiotika, anti-viralen Therapien und Impf­
stoffen ist auch die Hygiene, vor allem in Krankenhäusern, ein wichtiges Standbein. Auch die Hygiene
hat einen großen Stellenwert im DZIF.
Werden Sie im DZIF auch über die Grenzen Deutsch­
lands hinweg forschen?
Ja, denn Erreger kennen keine Grenzen. Wir beschäftigen uns deshalb auch mit der Erregersituation im
Ausland und verstehen uns nicht als Zentrum für
deutsche Infektionskrankheiten, sondern als Deutsches Zentrum für Infektionserkrankungen und
Infektionsforschung.
Es gab Zeiten, da wähnte man die Infektionskrank­heiten
schon besiegt. Werden wir Ihrer Meinung nach dank
intensiver Forschung die Infektionskrankheiten zukünf­
tig im Griff haben?
Infektionen sind alles andere als besiegt und wir
werden den Kampf gegen die Bakterien und Viren
nie gewinnen. Bakterien zum Beispiel teilen sich
alle 20 Minuten. Im Vergleich zu uns Menschen haben
sie eine enorm schnelle Evolution und können sich
jederzeit an neue Bedingungen anpassen. Gerade
ihre Resistenzentwicklung ist derart schnell, dass wir
sprichwörtlich zusehen können, wie die Bakterien
von Jahr zu Jahr resistenter gegen Antibiotika werden
und ihre genetischen Informationen untereinander
austauschen – auch über Speziesgrenzen hinweg.
Was man allerdings nicht vergessen darf: Bakterien
werden zwar gegen Antibiotika resistent und Viren
gegen anti-virale Therapien – aber nicht gegen Impfungen. Denn wenn man in einem Menschen eine
Immunität erzeugt, greift diese bereits, bevor sich die
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Martin Krönke
Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie,
Immunologie und Hygiene
Universität zu Köln
Goldenfelsstraße 19–21
50935 Köln
Tel.: 0221 478-32000
Fax: 0221 478-32002
E-Mail: [email protected]
Geschäftsstelle des DZIF e. V.
Inhoffenstraße 7
38124 Braunschweig
Tel.: 0531 6181-1152
Fax: 0531 6181-1153
E-Mail: [email protected]
Fachthemen
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Nebenwirkungen von Arzneimitteln sicher vorhersagen
Ob ein neues Medikament die Leber schädigt, lässt sich nicht immer zuverlässig vorhersagen. Denn trotz
umfangreicher Tests in Zellkulturen und Tierversuchen reagiert die menschliche Leber nicht selten anders
als erwartet. Ein neues Testsystem im Miniaturformat soll nun helfen, giftige Effekte für die Leber ganz
ohne Tierversuche und bevor ein Medikament an Patienten getestet wird vorherzusagen.
Immer wieder müssen Medikamente wegen gefähr­
licher Nebenwirkungen vom Markt genommen
werden. Da fragt man sich zu Recht: Könnten diese
Nebenwirkungen nicht bei den umfangreichen
Untersuchungen vor der Zulassung erkannt werden? Die Antwortet lautet: Leider nicht immer. Denn
gerade toxische, also giftige, Effekte von Arzneimitteln lassen sich nur begrenzt vorhersagen. „Das
gilt besonders für lebertoxische Reaktionen, weil
die Ergebnisse aus Zellkulturen und Tierversuchen
nur begrenzt auf den Menschen übertragen werden
können“, sagt Dr. Martin Stelzle vom Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut der Uni­
versität Tübingen. „Deshalb werden etwa ein Viertel der Medikamente, die aus Toxizitätsgründen vom
Markt genommenen werden, wegen Leberschäden
gestoppt.“ Außerdem ist die Lebertoxizität – nach
mangelnder Effizienz – der zweithäufigste Grund
dafür, dass ein neuer Arzneistoff bereits in seiner Entwicklung scheitert. Es gibt also viele Gründe, warum
dringend neue Testsysteme notwendig sind, um
Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen. Gemeinsam mit zahlreichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern haben Dr. Stelzle und sein Team ein
neues Zellkultursystem entwickelt, mit dem sich
Leber­schäden zukünftig deutlich zuverlässiger erkennen lassen. Der Name: HepaChip. Die Entwicklung
der Leber im Miniaturformat auf einem Chip wird
vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
unterstützt.
Nahaufnahme des HepaChip. Auf dieser mit winzigen Elektroden ausgestatteten Oberfläche werden die Zellen kultiviert.
Bildquelle: NMI, Tübingen
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Leber im Miniaturformat
Der HepaChip unter dem Mikroskop: Leberzellen sind grün,
Endothelzellen rot gefärbt.
Zellkulturmodell simuliert die menschliche Leber
Was zeichnet den neuen HepaChip aus? In den derzeit
verwendeten Leberzellmodellen wachsen die Zellen
meist in zweidimensionalen Kulturen, also beispielsweise in der Petrischale. „Hierbei verlieren die Leberzellen allerdings innerhalb kürzester Zeit die für eine
Leberzelle typischen Funktionen, also zum Beispiel
die Fähigkeit, zugeführte Arzneistoffe abzubauen“,
weiß Dr. Peter Roehnert von der European ScreeningPort GmbH, Mitentwickler des Systems. Deshalb sind
diese Modelle besonders für die Untersuchung von
Langzeiteffekten nur eingeschränkt geeignet. Auch
Tierversuche sind keine zuverlässige Lösung. Denn
es gibt Wirkstoffe, die beim Menschen und beim Tier
unterschiedlich abgebaut werden. So können beispielsweise giftige Abbauprodukte zwar bei Menschen, nicht aber bei Tieren entstehen. „Unser HepaChip sollte hierfür besser geeignet sein“, erklärt Julia
Schütte, Universität Tübingen. „Denn wir verwenden
menschliche Leberzellen, die in einer ganz speziellen Art und Weise kultiviert werden. So entsteht eine
organtypische dreidimensionale Struktur, die langfristig vital ist und deshalb auch die Untersuchung
von chronischen Toxizitäten erlaubt.“
Der Trick: Die Leberzellen, medizinisch Hepato­
zyten, werden gemeinsam mit Endothelzellen, also
Zellen aus der Innenwand von Blutgefäßen, kultiviert.
„Denn die Leber besteht aus verschiedenen Zelltypen,
die ganz charakteristisch angeordnet sind. Wir empfinden mit unserem HepaChip sogenannte Lebersinusoide nach. Das sind winzige Blutgefäße in der Leber,
in denen Stoffwechselprodukte transportiert werden“,
erklärt Dr. Stelzle. Mit Hilfe eines elektrischen Felds
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zwingen die Wissenschaftler die Zellen dazu, sich
wie im echten Organ anzuordnen. Insgesamt befinden sich etwa 3.000 bis 4.000 Zellen auf dem Chip,
wobei mehrere Hundert jeweils eine dem Lebersinusoid ähnliche Struktur bilden. Bereits jetzt gelingt es
den Forscherinnen und Forschern, die Zellen mindestens eine Woche lang am Leben zu halten. Erste Versuche mit Substanzen, von denen bekannt ist, dass
sie die Leber schädigen, sind vielversprechend. „Mit
dem HepaChip können wir die giftigen Wirkungen
gut vorhersagen“, so Dr. Roehnert. Die Wissenschaftler erkennen zum Beispiel, ob sich das Aussehen der
Zellen verändert, ob giftige Abbauprodukte entstehen
und wie die Wirkstoffe von den Leberzellen umgesetzt werden. „So können wir zukünftig bereits früh
in der Entwicklung eines neuen Arzneistoffes erkennen, ob er der Leber schadet. Und zwar noch bevor
Tierversuche oder klinische Studien gestartet werden“, betont Schütte. Noch ist der HepaChip allerdings
nicht bis zur Marktreife entwickelt. Prinzipiell kann
das System auch auf andere Gewebe übertragen werden. Derzeit arbeiten die Forscher an einem Miniaturmodell für die Blut-Hirn-Schranke.
Ansprechpartner/-in:
Julia Schütte und Dr. Martin Stelzle
NMI Naturwissenschaftliches und Medizinisches
Institut an der Universität Tübingen
Markwiesenstr. 55
72770 Reutlingen
Tel.: 07121 51530-28/-75
Fax: 07121 51530-62
E-Mail: [email protected]
Dr. Peter Roehnert
European ScreeningPort GmbH
Tel.: 040 56081-470
Fax: 040 56081-453
E-Mail: [email protected]
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Kleinzelliges Bronchialkarzinom:
Erste molekulare Ursachen gefunden
Personalisierte Therapie rückt näher
Das kleinzellige Bronchialkarzinom ist eine der aggressivsten Tumorarten. Bislang
waren die molekularen Ursachen für diesen bösartigen Lungentumor weitgehend
unbekannt. Erstmals konnte nun unter der Leitung von Wissenschaftlern des
Nationalen Genomforschungsnetzes NGFN das kleinzellige Bronchialkarzinom
genetisch charakterisiert werden. Hierbei wurden Mutationen identifiziert, die in Zukunft neue
Therapieansätze ermöglichen könnten.
Es war ein bisschen wie die Suche nach der Stecknadel
im Heuhaufen. In Millionen von Basenpaaren suchten die Wissenschaftler nach genetischen Veränderungen der Lungenkrebszellen. „Ohne eine hochspezialisierte computergestützte Auswertung auf einem
Hochleistungsrechner und passgenaue mathematische Algorithmen wäre das nicht möglich gewesen“,
sagt Dr. Martin Peifer. Er hat die Studie gemeinsam
mit Prof. Dr. Roman Thomas an der Universität Köln
geleitet. „Wir wollten nicht nur Mutationen im Genom
der Krebszellen detektieren, sondern diese auch mit
statistischen Verfahren nach ihrer Relevanz für die
Krankheitsentwicklung bewerten.“ Sie waren auf
der Suche nach genetischen Veränderungen, die das
Tumorwachstum antreiben. Denn solche Gene könnten nach weiterer Charakterisierung die Grundlage
darstellen für neue, zielgerichtete Therapieansätze –
als Alternativen zur gängigen Chemotherapie.
Extrem viele Mutationen
Das kleinzellige Bronchialkarzinom, kurz SCLC für
small-cell lung cancer, ist die aggressivste Form des
Lungenkrebses. Steht die Diagnose fest, überleben
nur etwa fünf Prozent der Betroffenen die nächsten fünf Jahre. Denn auch wenn der Ursprungstumor
noch klein ist, finden sich oftmals schon Metastasen
in anderen Geweben oder entfernten Organen. Zielgerichtete Therapien, die spezifisch wachstumsfördernde Signalwege der Krebszellen hemmen, gab es
für diese Tumorart bislang nicht. „Denn gezielte Therapeutika können erst entwickelt werden, wenn die
genetischen Veränderungen bekannt sind, die das
Tumorwachstum antreiben. Deshalb haben wir mit
Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung SCLC-Tumore mit neuartigen Sequenziermethoden nach genau diesen genetischen Ver-
Nicht selten ist langjähriges starkes Rauchen die Ursache von
Lungenkrebs.
änderungen durchsucht“, sagt Dr. Martin Peifer. Die
Studie ergab, dass kleinzellige Bronchialkar­zinome
im Vergleich zu anderen Krebsarten eine extrem
hohe Mutationsrate haben. „Wir haben durchschnittlich 7,4 Protein-verändernde Mutationen pro einer
Million Basenpaare gefunden. In anderen Tumor­
arten, zum Beispiel bei Eierstocktumoren, findet man
nur rund 1,5 Mutationen pro einer Million Basenpaare“, berichtet Dr. Peifer. „Diese – im Vergleich
zu vielen anderen Tumorarten wesentlich höhere –
Bildquelle: Thinkstock
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Mutationsrate wird vermutlich durch Karzinogene,
also krebserregende Substanzen, verursacht. Beim
kleinzelligen Bronchialkarzinom meist durch langjähriges starkes Rauchen.“
Erster zielgerichteter Therapieansatz
Im Einzelnen fanden Dr. Peifer und seine Kolleginnen und Kollegen in den Krebszellen Genveränderungen, die zur Deaktivierung der beiden Tumorsuppressorgene TP53 und RB1 führen. Im aktiven Zustand
unterdrücken und verhindern diese Tumorsuppressorgene die Entstehung von Krebs. In 18 Prozent der
untersuchten Tumoren spürten die Forscher zudem
genetische Veränderungen der Gene CREBBP und
EP300 auf. „Diese Mutationen haben eine erhebliche
Auswirkung auf Histonmodifikationen, welche die
Verpackung und somit die Zugänglichkeit und Aktivität der DNA steuern“, beschreibt Dr. Peifer. Sechs
Prozent der Tumoren weisen eine Amplifikation, also
eine Vervielfältigung, des Gens für den Fibroblastenwachstumsfaktor 1, kurz FGFR1, auf. „Die Gen-Amplifikation von FGFR1 haben wir bereits 2010 in einer
vorausgegangenen Studie in einer anderen Untergruppe des Lungenkrebses, dem Plattenepithelkarzi­
nom, gefunden“, erklärt Dr. Peifer. Ob eine FGFR1Gen-Amplifikation tatsächlich einen zielgerichteten
Therapieansatz erlaubt, prüfen Mediziner am Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) der Uniklinik
Köln derzeit in einer klinischen Studie mit Hilfe neuartiger Inhibitoren bei Patienten mit Plattenepithelkarzinomen der Lunge, die diese genetische Veränderung tragen. Jetzt, da die Wissenschaftler wissen, dass
die genetische Vervielfältigung des FGFR1-Gens auch
bei Patientinnen und Patienten mit kleinzelligem
Bronchialkarzinom eine Rolle spielt, wurden auch
Betroffene mit diesem Tumortyp in die laufende Studie aufgenommen.
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„Wir hoffen, dass unser Wissen um die beteiligten
Gene es uns ermöglicht, Patienten besser zu therapieren“, sagt Professor Thomas. „Eine Bestimmung
tumorspezifischer Genveränderungen, die eine personalisierte Behandlung von Patienten mit Lungenkrebs
erlaubt, ist bei uns durch die enge Zusammenarbeit
innerhalb des Netzwerks Genomische Medizin NGM
am CIO bereits Praxis.“
Suche nach Genveränderungen.
Kölner Forscher erhält Deutschen Krebspreis
Für die Entdeckung unter anderem dieser bislang
unbekannten genetischen Veränderungen wurde Professor Thomas kürzlich mit dem Deutschen Krebspreis 2013 ausgezeichnet. Mit diesem Preis zeichnet
die Deutsche Krebsgesellschaft die Verdienste des
Kölner Krebsforschers in der translationalen Krebsforschung aus. Bei translationaler Forschung in der
Medizin geht es um die frühzeitige Übertragung von
grundlegenden Forschungserkenntnissen in die therapeutische Anwendung.
Ansprechpartner:
Dr. Martin Peifer
Abteilung Translationale Genomik
Universität zu Köln
Weyertal 115b
50931 Köln
Tel.: 0221 478-96863
Fax: 0221 478-97902
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