WP 2014_06.indb - Wasser
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25. Bluesfest Eutin Nr. 6/2014 The Blues Brothers: From Hive To Live (Teil 2) Rusty Stone - Chantel McGregor - Holly Holwas - Alan Vega - Big Bill Broonzy Festivalberichte aus Altzella und Freiberg Album des Monats: Walter Trout - The Blues Came Callin’ Schwerpunkt 1. Weltkrieg: Henri Barbusse- Die Horen 254: Mit dieser Welt muss aufgeräumt werden - Kriegsfotografie von Frank Hurley Bücher von Paulina Schulz, Mark Bredemeyer, Martin Maurer 2 I N H A LT Tina Tandler Club Jazz und Blues in Zingst 03.07.. Pass Over Blues feat. Harro Hübner & Tina Tandler (Museumshof) 17.07. Tina Tandler SEALAND Band (Museumshof) 14.08. Crazy Hambones (Museumshof) 28.08. Kat Baloun & The Tomi Leino Band (Museumshof) 27.09. Gypsy Gentlemen (Kurhaus) 18.10. Friedemann Benner (Kurhaus) 22.11. Black Patti (Kurhaus) 29. 12. BluesRudy, Peter Schmidt & Tina Tandler Anzeige Wasser-Prawda | Juni 2014 I N H A LT 3 INHALT JUNI 2014 5 6 Editorial Auf Tour Musik 11 Günter “Holly” Holwas (1950-2014) 12 Eeny, meeny, miny, moe: Der Blues Gegen Den Rassismus 15 Video Killed The Radio Star? 18 Howard Glazer’s Blues, Views & News from Detroit 21 Allen Vega: Mission: die Menschen zum Lächeln zu bringen 25 Zehn Fragen An: Chantel McGregor 28 47 49 52 57 Eutiner Blues-Impressionen Mike Seeber Trio: Berauschend rockender Blues Mini-Woodstock im Epizentrum Mittelsachsens Bluesmusik designed in Bavaria Brian Kramer: Blues als Album und Roman 60 Blues Brothers Teil 2: From Hive To Live Blueskalender 65 Big Bill Broonzy (1893-1958) 67 Blueskalender Juni & Juli Album des Monats 75 Walter Trout - The Blues Came Callin‘ Wasser-Prawda | Juni 2014 4 EDITORIAL Platten 76 78 96 97 Die Redaktion Empfiehlt Rezensionen A bis Z Kurz und Knapp Wiederhören Bücher 103 Euphorie, Raserei und Entzauberung (Die Horen Band 254) IMPRESSUM Die Wasser-Prawda ist ein Projekt des Computerservice Kaufeldt Greifswald. Das pdf-Magazin wird in Zusammenarbeit mit dem freiraum-verlag Greifswald veröffentlicht und erscheint in der Regel monatlich. Es wird kostenlos an die registrierten Leser des OnlineMagazins www.wasser-prawda.de verschickt. Wasser-Prawda Nr. 06/2014 105 »Die Szene zerfiel in aneinandergereihte Sekunden« (Paulina Schulz, Das Eiland) 107 Thriller (Mark Bredemeyer, Grüne Guerilla Fraktion & Martin Maurer, Terror) Sprachraum 109 Henri Barbusse: In der Erde 131 Frank Hurley - Fotografien aus dem 1. Weltkrieg Fortsetzungsroman 135 Die Vestalinnen 142 Articles in English Redaktionsschluss: 1. Juni 2014 REDAKTION: Chefredakteur: Raimund Nitzsche (V.i.S.d.P.) Redaktion: Mario Bollinger, Bernd Kreikmann, Lüder Kriete, Matthias Schneider, Dave Watkins, Darren Weale Mitarbeiter dieser Ausgabe: Gary Burnett, Howard Glazer, Iain Patience, Christophe Rascle, Holger Schubert Die nächste Ausgabe erscheint am 31. Juli 2014. Adresse: Redaktion Wasser-Prawda c/o wirkstatt Gützkower Str. 83 17489 Greifswald Tel.: 03834/535664 [email protected] Anzeigenabteilung: [email protected] Wasser-Prawda | Juni 2014 EDITORIAL 5 EDITORIAL VON RAIMUND NITZSCHE UND BERND KREIKMANN Die1 „Wasser-Prawda“ entwickelt sich schnell zu einem international stark beachteten Musik-Medium. Wir haben viele Leser und Freunde in Europa und auf dem amerikanischen Kontinent hinzu gewonnen. Da schien es eine gute Idee, einige dieser Freunde zu fragen, ob sie bereit sind, uns regelmäßig Berichte aus ihrem Umfeld zu schicken. Es geht in erster Linie um den Blues – aus Augenhöhe erzählt. Wo sind die interessantesten Clubs, welche Musiker sind besonders angesagt, welche Trends gibt es, wo triff t sich die Szene? Unsere Freunde sind Musiker oder ausgewiesene Szenekenner, die vor Ort leben. Wir wollen von der Westküste berichten, aus Chicago, aus Detroit, aus Austin und New Orleans. Toronto und Sao Paulo sind ebenfalls wichtige Plätze. Zunächst überlegten wir, die Texte 1 Version in English on page 142 aus Gründen der Authentizität ins Deutsche zu übersetzen. Doch schon nach kurzen Rückfragen bei regelmäßigen Leserinnen und Lesern wurde klar: Das ist nicht der richtige Weg. Es gibt grad im Osten Deutschlands eine Menge Leute, die nicht so flüssig englische Texte lesen können. Stattdessen machen auch im pdf-Magazin das, was wir bei einigen Artikeln online schon seit einer Weile machen: wir veröffentlichen beide Versionen. Ab sofort wird es einen Anhang zu unserem Magazin in Englisch geben, wo wir die speziell für uns verfassten Beiträge und die in Übersetzung vorliegenden Rezensionen abdrucken. Damit können auch unsere Leserinnen und Leser jenseits des deutschen Sprachraums mehr mit unserem Magazin anfangen. Als Pionier haben wir unseren Freund Howard Glazer ausgeguckt – im letzten Heft haben wir Detroits führenden Bluesgitarristen vorgestellt, nun wird er uns seine Stadt und Region näherbringen. Die Stadt von Tamla Motown, Mitch Ryder, Donald Byrd, Eminem, Glenn Frey, Smokey Robinson, Bob Seeger und der großen Diana Ross, die Stadt des Stahls und der Autoindustrie; die Stadt, die sich aus dem Bankrott herauskämpft. Howard wäre nicht von hier, wenn er uns nicht zuerst sein direktes Umfeld vorstellen würde, er führt uns in eine Kultur, die von der unseren stark abweicht, aber bei genauem Hinsehen ganz viel Gemeinsamkeiten aufweist. Und auch ein weiterer Autor ist erstmals in der Wasser-Prawda zu lesen: Iain Patience schrieb früher für britische Tageszeitungen. Heute ist hauptsächlich Musik zwischen Blues und Americana sein Thema. Von seinem Wohnort in Frankreich aus veröffentlicht er seine Artikel sonst auch noch bei Blues In Britain, Blues Matters und französischen Bluesmagazinen. Die Festivalsaison ist in vollem Gang. Und neben dem (schon fast traditionellen) Rückblick auf das Eutiner Bluesfest Blues Baltica hat Holger Schubert für uns noch Berichte aus Altzella und Freiberg geschrieben. Und in den nächsten Monaten kommen dann noch Berichte aus Ingolstadt und Chemnitz. Vielen Dank an dieser Stelle all den kritischen Lesern, die Anmerkungen zu unserem neuen Layout gemacht haben. Einige der Anregungen haben wir versucht, sofort umzusetzen. Andere Dinge werden wir uns nach und nach aneignen müssen. Wasser-Prawda | Juni 2014 6 TERMINE Festivals 25. Bluesfest Ingolstadt 19.06. Papa Legab‘s Blues Lounge 23.06. Dilana & Band 24.06. Albert C. Humphrey & His Roots of Blues 26.06. The Wild Bluesmen feat. Steve „Big Man“ Clayton & Peter Schneider 30.06. Marquise Knox & Band 01.07. Grana Louise & The French Blues Explosion 03.07. No Blues „Arabicana“ 07.07. Big Pete Pearson & The Gamblers 10.07. Minnie Marks/Leadbelly Project 14.07. Mrissy Metthews Duo 15.07. Phil Bates Trio 17.07. Martin Schmitt 21.07. Lisa Doby & Band 22.07. Ryan McGarvey 24.07. Otis Taylor & Band 29.07. Jeb Rault Band (guest: Kim Carson) 31.07. Dallas Hodge & Andi Egert Band 40. Tønder Festival 28.-31. August (Tønder Dänemark) u.a. mit: The Chieftains (IRL) - Steve Earle (USA) - Runrig (SCO) - Oysterband (ENG) - The Lone Bellow (USA) - Alan Doyle Band (CAN) - Deer Tick (USA) - Eileen Ivers & Immigrant Soul (USA) - Seth Lakeman (ENG) – Richard Wood (CAN) - Le Vent du Nord (CAN) - Hudson Taylor (IRL) - John Fullbright (USA) - Hayes Carll (USA) - Poul Krebs & Friends (DK/N/S/USA) - Skerryvore (SCO) - Sarah Lee Guthrie & Johnny Irion (USA) Auf Tour 3 Dayz Whizkey 24.06. München, Tunix/Königsplatz Wasser-Prawda | Juni 2014 29.06. Weiden, Buergerfest, Salute Bühne 04.07. Habach, Village 06.07. Regenstauf, Bürgerfest 11.07. Obertrubach, The Studio Lounge 18.07. München, Waldgasthof Buchenhain Abi Wallenstein 20.06. Sülfeld, Besteland 27.06. Panten, Lämmerhof 19.07. Südwinsen, Kuhwiese 1 B.B. & The Blues Shacks 21.06. Mortsel, Tramblues Festival (B) 26.06. Wien, Metropol (A) 27.06. St. Oswald, Kloster Steffelbauer (A) 23.07. Bremerhaven, Festwoche Big Daddy Wilson 29.06. Bremen, Klinikum Dr. Heines 04.07. Gaisruck, Stadtblues Chill Out (A) 05.07. Bodenmais Marktplatz 11.07. Enzelsdorf, Werkstatt Murberg (A) 12.07. Bruck, Bluesfestival (A) 02.08. Clarus, Mittelödi (CH) Boogielicious 20.06. Langenhagen, Legro Weinhandlung 26.06. Geseke, Haus Thoholte 27.06. Bielefeld, Sport und Kultur Eckardtsheim 11.07. Saarburg, Alte Glockengießerei (4. Blues und Boogie Night) 13.07. Bad Bederkesa, 6. Castle boogiefestival 18.07. Glonn, Schrottgalerie 19.07. Chiemsee, Sea Festival - Riverboat Shuffle 01.08. Meppen, Jazzfestival Engerling 04.07. Marienberg, Kultur- und Freizeitzentrum 12.07. Oettersdorf, Open Air 15.08. Pudagla, Schloss 16.08. Klein Trebbow, Hofkonzerte TERMINE 17.08. Gingst, Museumshof 22.08. Zickra, Kulturhof 23.08. Erfurt, Heiligen Mühle 29.08. Halle, Laternenfest 30.08. Magdeburg, Festung Mark Georg Schroeter & Marc Breitfelder 20.06. Sülfeld, Open Air: Spirit of the Blues (m. A. Wallenstein) Greyhound George 28.06./29.06. Niederwall, Koernerstr (Bielefelder Blues Project) 16.07. Pulow, Café Iris Schöne (mit Karl Valta) 18.07. Ludwigsburg (Vorpommern), Schloss 19.07. Greifswald, KulturBar (mit Karl Valta) 22.07. Heringsdorf, O‘Man River (mit Karl Valta) 23.07. Ueckermünde, Kulturspeicher 01.08. Bielefeld, Neue Schmiede 08./09.08. Sulingen, Resonatorfestival Hamburg Blues Band 01.08. Gaildorf, Sommerfest 02.08. Erftstadt, zum Schwan Henning Pertiet 11.07. Bremen, Haus im Park (mit Jan Preston) 12.07. Langwedel, Bürgersaal (mit Jan Preston) 17.07. Altenberge, Olive (mit Jan Preston & Fabian Fritz) Henrik Freischlader 12.07. Sierre, Blues Festival (CH) 23.07. Maggia, Magic Blues Festival (CH) 01.08. Megève, Blues Festival (F) 15.08. Budapest, Sziget Festival (H) Jay Ottaway Band 05. 07. Maastricht (NL), Bluescafe Duke Koenstraat 15 11. 07. Köln, Bürgerhaus Kalk 7 12. 07. Hünxe, Tacheles 16. 07, Remscheid, Saxobar (Alte Bisarckstr. 77) 17. 07., Gladbeck, Cafe Stilbruch 18. 07. Brühl, Seeklause (Heider Bergsee 18) 19. 07. Mönchengladbach, Pogs Irish Pub 20. 07. sHertogenbosch (NL), de Rode Pimpernel 25. 07. Braunschweig, Barnaby‘s Blues Bar 26. 07. Berlin, Speiches Rock & Blues Kneipe 27. 07. Berlin, DoDo (Großbeerenstr. 32) 28.07. Bamberg, Live-Club (Bere Sandstr. 7) 29. 07. Prag Vinohrady, Klub Mynabaruby Mánesova 1645/87 (CZ) 07. 08. Norderstedt, MusicStar 08. 08. Kappeln, PALETTE (Kehrwider 1) 09. 08. Havetoftloit/Torsballig, Land-Art (Nordscheide 4) 14. 08. Bamberg, 8. Tucher Blues- & Jazzfestival, Bühne am GABELMANN, Grüner Markt 15. 08. Bamberg, Live-Club (8. Tucher Blues- & Jazzfestival) 16. 08., Köln, TV-Terassen, Mielenforsterstr. 40 Jimmy Reiter 05.07. Geisenheim, Schloss Johannisberg (Rheingau Musik Festival) 02.08. Ibbenbüren, Heiß und Heftig 10.08. Garbsen, Blues Matinee 23.08. Biggesee Olpe, Riverboat Shuffle 28.08. Schmallenberg, Schmallenberger Woche 29.08. Bremen, Haus am Walde Marius Tilly Band 21.06. Hannover, Bluesgarage Mason Rack Band 24.06. Braunschweig, Barnaby‘s Blues Bar 25.6. Wilhelmshaven - Pumpwerk 27.6. Hamburg - The Rock Cafe St.Pauli 28.6. Hannover - Bluesgarage Mike Seeber 21.06. Ernstroda, Bikerparty Wasser-Prawda | Juni 2014 8 TERMINE 29.06. Dresden, Elbhangfest 05.07. Kellinghusen, Pep-Kulturverein 19.07. Spremberg, Hotel zur Post (als Gast von Monokel) 24.07. Maggia, Magic Blues (CH) 01.08. Dieskau, Open Air 23.08. Bad Salzungen, Open Air Nick Moss Band 06.08. Bremen, Meisenfrei 07.08. Braunschweig, Barnaby‘s Blues Bar 08.08. Forst, Manitu 09.08. Hamburg, Downtown Bluesclub 10.08. Enschede, Nix en Meer (NL) Pass Over Blues 21.06. Mönchhagen, Köhler‘s Rosenhof 22.06. Mönchhagen, Köhler‘s Rosenhof 02.07. Rostock-Warnemünde, Hotel Ringelnatz 03.07. Zingst, Museumshof Rad Gumbo 21.06. Ingolstadt, Hundszell Bauerngerätemuseum 27.06. Linz, Gasthaus Auherhahn, Summer Blues Night (feat. Zakiya Hooker, Chris James, John Lee Sanders)(A) 28.06. Passau, Cafe Museum (feat. Zakiya Hooker, Chris James, John Lee Sanders) 02.-04.07. Maribor (Slo), Lent Festival (mit Johnn Lee Sanders) 09.08. Großmehring Bluesfestival (mit Barbara Morisson) Reverend Rusty 27.06. St. Veit a.d. Glan (A), Herzogburg (w. Jeff Beck) 28.06 Heubach 05.07 Bodenmais, Weinfest (Rusty Solo) 14.07. München, Aubinger Stadtteilwoche (Rusty Solo) 11.10. Bräunlingen, Bregtäler Wasser-Prawda | Juni 2014 25.10. Runding, Robinson 31.10. Postbauer-Heng. KiSH 07.11. Haiming, Gewölbe 29.12. St. Gallen, Hotel Walhalla (CH) Schneider - Schwarznau 21.06 Friedrichsrode, 24. Kunstmarkt (mit M8) 18.07. Zieslow, Kunst/Kultur/Kirche 20.07. Dahrenstedt, Kunsthof 23.07. Greifswald, Kulturbar 24.07. Schwerin, Klangwert 25.07. Heringsdorf, O‘ man river 26.07. Wismar, Poeler Kogge 27.07. Groß Potrems, Schloß Nordland Speiches Monokel 21.06. Mittenwalde, Privatparty 28.06. Eisenach, Fun Rock Open Air 19.07. Carlsthal, Kräuterhof 25.07. Trebsen, Rittergut (Blues Nacht) 30.08. Gehren, Rock im Wald Festival The Double Vision 20.06. Hamburg, Downtown Bluesclub 05.07. Niederorla, Bikertreffen 26.07. Ilmenau, Open Air 02.08. Dieskau, Open Air 16.08. Weimar, Weinhandlung Appenrodt & Hemer 23.08. Zons (Support Letz Zep) 13.09. Vollmershain, Open Air The Dynamite Daze 01.08. Meppen Stadtfest 02.08. Dieskau Open Air 10.08. Lampertheim Morgenjazz 16.08. CH-Hüntwangen Amphi Blues Festival 22.08 Eisfeld Woodstock Forever Festival 23.08. Laubach Blues Schmus Apfelmus 24.08. Saarbrücken Sonntags am Schloss 10h TERMINE The German Blues Project 23.08. Bordesholm, Savoy 29.08. Aachen, Gute Hebescheid 31.08. Saarbrücken, Schlosshof Clubs Bischofsmühle Hildesheim 27.06. Till Seidel Band 19.07. Achim Kück Trio feat. Karin Grabein und Stphan Abel 26.07. Horst Wagner Quartett Blues im Bahnhof Bahnhof Mannheim. Eintritt frei. 20.06. Norbert Schneider & Winestreet Session 05.09. El Ville Blues Band 10.10. Black Cat Bone 07.11. Abi Wallenstein, Dave Goodman, Oliver Spanuth, Steve Baker Bluesgarage 20.06. Meena Cryle & Chris Fillmore Band 28.06. The Mason Rack Band 04.07. Crow Black Chicken Cotton Club Hamburg 23.06. Boogie Rockets (Kai Steffens, Niels von der Leyen, Andreas Bock) 26.06. Greg Copeland Band 30.06. Gents Boogie Night 02.07. Die Cotton Club Boogie Night (mit Jan Fischer, Jessy Martens, Ralf Böcker u.a.) 07.07. Haranni Hurricanes 14.07. Jo Bohnsack 21.07. Mc Ebels Lucky Punch 24.07. Black Kat & Kittens 25.07. Franny & The Fireballs 28.07. The Steelyard Blues Band 9 30.07. Marcus Paquet 31.07. Zydeco Annie & The Swamp Cats Downtown Bluesclub Hamburg 20.06. The Double Vision 11.07. Tony Joe White & Band 18.07. Thirsty Mamas 20.07. Pete York & Young Friends Extra Blues Bar Bielefeld 19.06. Ten Foot Polecats 26.06. Filthy Still 03.07. Voodoo Swing 12.07. Kings Of Winter 17.07. Krissy Matthews 19.07. Cowboys On Dope 24.07. Jay Ottaway 30.07. John Montague Kulturbastion Torgau 15.08. Axel Prahl & sein Inselorchester Kulturspeicher (Bergstraße, Ueckermünde) 04.07. Paul Fogarty 20.07. Whiskey & Women 26.07. Greyhound George & Karl Valta 01.08. Malena 07.09. Strömkarlen Laboratorium Stuttgart 29.08.- 31.08. LAB-Festival Late Night Blues Loev Hotel Binz/Rügen Beginn jeweils 21 Uhr 24.07. Romek Puchowski und Minnie Marks 07.08. Have Mercy Reunion 26.09. Crazy Hambones Wasser-Prawda | Juni 2014 10 TERMINE Meisenfrei Bremen Hankenstr. 26.06. Eamonn McCormack 05.07. Stonehenge 10.07. 2120s 12.07. The Source 15.07. Vain 17.07. Nitroville 18.07. Crossfire 23.07. Ryan McGarvey 24.07. Sonic Health Club Music Hall Worpswede 16.07. Jimmy Vaughan 26.07. Open Air mit Errorhead, Worpswede All Stars, Clem Clempson Band feat. Chris Farlowe, 17 Hippies, Merqury Musiktheater Piano Dortmund 29.07. Moe 06.09. Monti Fiori 07.09. Biber Hermann 11.09. Royal Southern Brotherhood 14.09. Thorbjörn Risager & The Black Tornado Musiktheater Rex Bensheim 30.06. Tito Larriva 08.08. Morre 09.08. Gelbsucht 22.08. Just Pink O‘ Man River Friedensstraß 27, Ostseebad Heringsdorf 27.06. Tim Eckert 01.07. Tomasz Gaworek 04.07. Live und Zügellos 08.07. Tim Eckert 11.07. Blue Tales 15.07. Peter Schmitdt 18.07. Gotte Gottschalk Wasser-Prawda | Juni 2014 22.07. Greyhound George & Karl Valta 25.07. Schneider & Schwarznau 29.07. John Kirkbride & Ferdl Eichner 01.08. Andreas Schirneck 05.08. Crazy Hambones (mit Chris Turner) Savoy Bordesholm 04.07. Worldfly 23.08. The German Blues Project Topos Leverkusen 19.06. Meena Cryle 20.06. se vende 28.06. Teneja Trio 01.07. Bayer Blasorchester 03.07. The Notorious Riviera Brothers 11.07. Notty 18.07. Soulgreen 26.07. 34. River-Boat-Shuffle 01.08.-03.08.: Streetlife 2014 Yorkschlösschen Yorkstr. 15, Berlin 22.06. Kat Baloun 27.06. J.T. & Bluetrain 29.06. Whatever Rita Wants 02.07. Jens Schmidl & Taschenbluesorchester 06.07. Erich Absagens Belle Alliance 09.07. Power Boogie Trio 11.07. Mischa Vernov Quartett 16.07. Mitch Kashmar & Band 18.07. The Jive Sharks 19.07. Martin Kern Quartett 20.07. JazzAgoGo 23.07. Black Kat & Kittens 25.07. Martin Stempel & Band 26.07. The Five Jam Swingers 27.07. Saltim‘band 30.07. Ralph Brauner 01.08. Chat Noir Biografie 11 GÜNT E R “H O L LY ” H O LWAS ( 195 0 - 2 0 1 4 ) ES GIBT MUSIKER, DEREN BEDEUTUNG LIEGT WENIGER IN DEN AUFNAHMEN, DIE SIE HINTERLASSEN SONDERN IN IHREM ENGAGEMENT UND IHREN LIVE-AUFTRITTEN. DAZU GEHÖRT SICHERLICH AUCH GÜNTER „HOLLY“ HOLWAS, DER AM 11. MAI 2014 IN BAYERN VERSTORBEN IST. Als Mitbegründer der Berliner Bluesmessen gehört der Sänger und Gitarrist zu den wichtigsten Figuren in der Bluesgeschichte der DDR. Der 1950 als Sohn eines Berufsmusikers geborene Holly hatte sich das Gitarrenspiel autodidaktisch beigebracht. Als Vorbilder zählte er Muddy Waters ebenso wie B.B. King und John Lee Hooker. Aber eigentlich hatte er als Kind nie in die Fußspuren seines Vaters treten wollen. Vom wem die Idee stammte, ob vom Musiker oder vom Pfarrer, ist letztlich egal. Günter Holwas hatte 1979 nach der Zeit als Bausoldat seine erste Bluesband gegründet und suchte nach Auftrittsmöglichkeiten. Und beim damaligen Jugendpfarrer Rainer Eppelmann stieß er damit auf offene Ohren. Schon bei der ersten „BluesMesse“ in Berlin, kamen einige Hundert Jugendliche und erlebten nicht nur Bluesmusik sondern auch eine Predigt. Bis 1986 die Kirche diesen immer mehr zum Versammlungsort Oppositioneller in der DDR gewordenen Gottesdienst auslaufen lies, waren die Besucherzahlen zeitweilig auf mehrere Tausend gestiegen. Die Staatssicherheit hatte sich schon von Anfang an auf diese Veranstaltung eingeschossen. Ähnlich wie Eppelmann wurde auch Holwas zur Zielfigur der Zersetzung. 1981 bekam er Auftrittsverbot und stellte einen Ausreiseantrag. Über Westberlin zog es den bekennenden Hippie nach Kanada. Und auch dort dauerte es längere Zeit, ehe er wieder zu musizieren begann. Dann allerdings gehörte zu eine Zeitlang zur Downchild Blues Band, spielte mit Ronnie Hawks und im Studio mit Otis Rush und Carey Bell. Schließlich gründete er Hollys Bluescorp und trat mit der Band unter anderem im Vorprogramm von Jeff Healey auf. 1998 holten ihn seine Kinder nach einem gesundheitlichen Zusammenbruch zurück nach Berlin. Und ab 2005 trat er - unter anderem bei Gedenkverstaltungen für die Bluesmessen - mit verschiedenen Bands wieder auf. Vermutlich das letzte Konzert war 2009. Raimund Nitzsche Wasser-Prawda | Juni 2014 12 MUSIK EENY, M E E N Y, MI N Y, MOE: D E R B L U E S GE GEN D E N R A S S I S M U S VON GARY BURNETT DER BLUES ENTSTAND IN EINER UMGEBUNG DES BÖSARTIGSTEN RASSISMUS UND DER DISKRIMINIERUNG, AUSGÜBT VON WEISSEN MENSCHEN AN DER FARBIGEN COMMUNITY IN DEN SÜDSTAATEN. VIELE DER FRÜHEN BLUES SONGS LEGEN ZEUGNIS AB VOM LEIDEN DER FARBIGEN GEMEINSCHAFT.* 1930 sang Lead Belly „Jim Crow“, in dem er die Ungleichheit beklagte, die er überall fand, wo er auch hinkam: „I been traveling, I been travelling from shore to shore, Everywhere I have been I find some old Jim Crow.“ Elf Jahre später gab Jos White uns seinen „Jim Crow Blues“, in dem er sich darüber beschwert, dass er nicht besser behandelt würde als eine Bergziege. Selbst in der Hauptstadt der Nation hatte Lead Belly Rassismus zu erleiden. In „Bourgeois Blues“ erzählt er uns von der Ausgrenzung, die ihm als schwarzer Person begegnete: “Well, me and my wife we were standing upstairs, We heard the white man say’n I don’t want no niggers up there.” Und weiter: “Well, them white folks in Washington they know how/ To call a colored man a nigger just to see him bow.” Aber diese Tage sind lange vorbei, oder? In der letzten Woche verbreitete sich die Nachricht, * Read the original in English on page 151. Wasser-Prawda | Juni 2014 dass der Police Commisioner von Wolfeboro (New Hapshire), Robert Copeland, öffentlich eingestanden hat, den Präsidenten der Vereinigten Staten einen „f***ing nigger“ genannt zu haben. Im März hatte Jane O‘Toole mitgehört, als Copeland diese Bemerkung machte, während sie grad ihr Dinner im einem Bistro des Ortes beendete. O‘Toole beschwerte sich bei der Stadtverwaltung, aber Copeland zeigte keine Reue. In einer Email an die anderen Police Comissioners schrieb er: Ich glaub, ich benutzte das N-Wort in Bezug auf der derzeitigen Okkupanten des Weißen Hauses. Dafür entschuldige ich mich nicht. Er erfüllt und übererfüllt meine Kriterien dafür.“ Seine laut geäußerte Meinung war nach Copeland, eine Übung in seinen vom ersten Verfassungszusatz garantierten Rechte. Diese „Entschuldigungs-Geschichte“ wurde noch verschlimmert durch den Vorsitzenden des PolizeiAusschusses, Joseph Balboni, der sagte, er hätte keine Pläne, Copeland zum Rücktritt aufzufordern. Er sagte von Copeland: „Er hat in seinem Leben mit vielen Schwarzen gearbeitet. … Er hat einige harsche Worte über Mr. Obama gesagt, und hier sind wir jetzt. Diese Frau, sie verzerrt die ganzen Proportionen.“ Mr. Copeland ist inzwischen zurückgetreten. Es gab in letzter Zeit andere Vorfälle, wo Rassismus zum Ausdruck kam. Ein Cliven Bundy, ein Rancher aus Nevada, der einen Streit von Ranchern mit der Regierung über Rinderweiden anführt, fragte sich letztens, ob man die „Negros“ nicht wieder zurück in Ketten legen sollte. Er erzählt, wie er an einem öffentlichen MUSIK Wohnprojekt in North Las Vegas vorbeifuhr, „und vor dem Regierungshaus stand die Tür normalerweise offen und die älteren Menschen und die Kinder - und da saßen ständig mindestens ein halbes Dutzend Menschen auf der Veranda - die hatten nichts zu tun. Sie hatten nichts für ihre Kinder zu tun … Und weil sie grundsätzlich von Regierungsunterstützung leben, was machen sie? Sie treiben ihre jungen Kinder ab, sie bringen ihre jungen Männer ins Gefängnis, weil sie niemals gelernt haben, wie man Baumwolle pflückt. Und ich habe mich oft gewundert, ob sie nicht besser dran wären als Sklaven, die Baumwolle pflücken und ein Familienleben haben und Dinge machen als von Regierungsunterstützung abhängig zu sein? Sie bekommen nicht mehr Freiheit. 13 Sie bekommen weniger Freiheit.“ Bundy, so hat es die New York Times berichet, ist zu einer Berühmtheit geworden, die hunderte von Unterstützern angezogen hat, zu ihnen gehören Dutzende Mitglieder von Milizen, viele Waffenträger und Mitglieder der Oath Keepers, einer Milizgruppe, die ihn als Symbol für ihren Zorn und als Bollwerk gegen Missbrauch durch die Regierung betrachten. Und dann war da vor Kurzem noch der Fall von Donald Sterling, Manager der Basketballmannschaft LA Clippers. Der bat seine Freundin, keine Fotos mit schwarzen Freunden zu machen oder sie zu Spielen mitzubringen. „Bewunder ihn, bring ihn her, fütter ihn, f*** ihn“, sagte er über die frühere Basketballlegende Wasser-Prawda | Juni 2014 14 MUSIK Magic Johnson. „Aber stell ihn nicht auf Instagram, so dass die ganze Welt es sehen muss, und sie mich anrufen kann.“ Rassismus ist auch auf der anderen Seite des Atlantik noch lebendig. Den Moderator der erfolgreichen BBCSendung Top Gear wurde von der Kamera eingefangen, als er eine Version von „eeny meeny miny moe“ aus seiner Kindheit rezitierte, bei welcher er brummelt: „catch a nigger by the toe.“ Clarkson war schon vor der Bemerkung aufgefallen, als er Mexikaner „faul, nutzlos und aufgeblasen“ genannt hatte. Vielleicht sind das nur ein paar ignorante und wohlbekannte Menschen, die man dabei erwischt hat, wie sie Dinge sagten, die sie besser nicht gesagt hätten. Wie auch immer: In einem kürzlich im Guardian erschienenen Zeitungsartikel schreibt Gary Younge, dass Rassismus ein „System der Diskriminierung, gepflanzt von der Geschichte, gehegt von der Politik und genährt von der Wirtschaft ist, in dem einige Gruppen sich endemischer Benachteiligung ausgesetzt sehen“ und kam zu folgender Aussage: „Die Realität des modernen Rassismus ist … die institutionalisierte Marginalisierung von Gruppen, ausgeführt mit der äußersten Diskretion und einem Wasser-Prawda | Juni 2014 Minimum von Aufhebens durch wohlgesittete und oft wohlmeindenden Menschen, die in zutiefst beschädigten Systemen arbeiten. Nach einem kürzlichen Report des US-Bildungsministeriums, werden schwarze Vorschüler (im Alter von meist 4 Jahren) viermal häufiger mehr als einmal vom Unterricht ausgeschlossen als ihre weißen Klassenkameraden.Im 2013 veröffentlichten Bericht von Release, einer britischen Gruppe, die sich auf Drogen und Drogengesetze konzentriert, nehmen schwarze Menschen in England und Wales deutlich seltener Drogen als weiße Menschen. Aber sie werden sechs Mal häufiger gestoppt und durchsucht wegen Drogenbesitz. In beiden Ländern werden schwarze Menschen häufiger verurteilt und erhalten strengere Strafen und längere Gefängnisaufenthalte.“ Der Blues, geschmiedet in einer Zeit von tiefer Not und rassistischer Unterdrückung, ist noch immer ein Protestschrei und eine deutliche Warnung vor dem Rassismus, der leider oft nur unter der Oberfläche verborgen zu sein scheint. MUSIK 15 Alvin Lee 1975 VIDE O KIL L E D TH E RADI O S TAR ? DARREN WEALE’S 8. BRIEF AUS DEM VEREINIGTEN KÖNIGREICH WELCOME TO THE LETTER FROM THE UNITED KINGDOM!* Habt Ihr den alten Hit von The Buggles „Video Killed The Radio Star“ gehört? Es ist ein großartiger Song und der einzige, der mir einfällt, bei dem das Singen von * read the English original on page 143. „oo-wee-oo-wee“ funktioniert. Das Radio hat einen ungeheuren Anteil an der Geschichte der modernen Populärmusik und hat viele Künstler zu geläufigen Namen gemacht. Selbst in den heutigen Tagen des digitalen Zugangs zur Musik, sind das Radio und die Personen, die in ihm arbeiten, wichtig. Die britische Radiostation, die mir am meisten bedeutet, ist Radio Caroline. Ich hab darüber in einem früheren Wasser-Prawda | Juni 2014 16 MUSIK The Buggles Brief geschrieben. Und da hielt ich es für besser, das Thema für eine Weile ruhen zu lassen. Im März wurde Radio Caroline 50 Jahre alt. In den 1960ern, als es für eine Zeit der einzige Sender in der Nähe war, der aufkommende Musik spielte, hatte er 10 Millionen Hörer (der Rekord lag bei 24 Millionen!). Fünfzig Jahre später ist der Sender und sein letztes Schiff, die Ross Revenge, immer noch da und sendet. Schiff ? Ja, Caroline befand sich auf einem Schiff. Und wenn Ihr den Film „Radio Rock Revolution“ gesehen habt, dann habt Ihr eine Idee davon, wie es war. Angesichts der Geschichte ist die heutige Existenz von Radio Caroline höchst bemerkenswert, vielleicht sogar mit einem Wunder vergleichbar. Die Gesetzgebung - der Marine and Broadcasting Offences Act 1967 - wurde in Gang gesetzt, um Radio Caroline zu beschränken oder zu zerstören. Ein Schiff von Radio Caroline, die Mi Amigo, sank. Ebenso enterten die Behörden ein Schiff des Senders und pfändeten es für eine Weile. Später gab es die Ausbreitung von konkurrierenden Radio-Stationen online und offline. Und dazu natürlich den Aufstieg des Musikvideos. Dennoch ist Radio Wasser-Prawda | Juni 2014 Caroline noch immer da, sendet hauptsächlich über das Internet, weil es Schwierigkeiten gibt, eine terrestrische Lizenz und eine freie Wellenlänge zu bekommen. Bekannt ist Radio Caroline als Rock&Roll Station. Als der Sender 1964 begann, kamen die größten Bands allerdings aus dem Rhythm & Blues oder waren stark von ihm beeinflusst: The Rolling Stones, The Animals, Them, John Mayall‘s Bluesbreakers, Buddy Holly, Elvis Presley, ja sogar die Beatles. So ist es gut zu sehen, dass der Sender heute den Blues in einigen seiner Sendungen hat, so wie in einigen Shows die Musik der 60er gespielt wird. Das Video beginnt inzwischen, der Musik und den Musikern zu helfen, ein wenig wie es das Radio zuvor getan hat. Der verstorbene großartige Gitarrist Alvin Lee ist verantwortlich für ein neues Beispiel dafür. Er ist der erste Künstler, der auf der Plattform des Digital White Label vorgestellt wird, der „nächsten Generation von Fanclubs“. Kurz gesagt erlaubt das Digital White Label zahlenden Fans, ihren Favoriten in einer jahrelangen Kampagne zu folgen, wo sie exklusives Material aus einer Sammlung unveröffentlichter Stücke und eine MUSIK Vielzahl anderer exklusiver Inhalte erhalten. Das erste ausgewählte Material, das auf der Plattform des Digital White Label geteilt wird, ist das unveröffentlichte Album „Alvin Lee & Co. - Live From The Academy of Music, New York 1975“. Das frühe Werbematerial der Plattform beinhaltet einige sehr gute Videos, eines mit Voiceover von Huey Morgan von den Fun Lovin Criminals. Normalerweise wäre ein Bluesmusiker eine fragwürdige Wahl, um so eine Plattform zu starten. Doch es gibt besondere Gründe für diese Wahl, familiäre Gründe. Alvins Tochter Jasmin hat gemeinsam mit ihrer Mutter Suzanne und Alivin Lee‘s Witwe Evi zusammengearbeitet, um ein Projekt aufzubauen, zu dem die Inspiration von ihrem Vater kam. Jasmin sagte dazu: „Wir haben mit Dad, bevor er starb, begonnen, das Projekt zusammenzustellen. Er mochte das Konzept wirklich. Aber jetzt haben Evi, Suzanne und ich die Zügel in die Hand genommen und es ist eine Gedenkveröffentlichung geworden, bei der wir ein wenig mehr vom Menschen Alvin Lee erfahren können. Die Künstler werden direkt 80 Prozent der einkommenden Gelder erhalten. Gehostet wird die Plattform von Tunehog (www.tunehog.com). Und das Digital White Label gibt den Künstlern eine Möglichkeit, Geld mit ihren Arbeiten zu verdienen, anstatt einen großen Teil von ihnen kostenlos abzugeben. Wird das Digital White Label wirklich eine echte Hilfe für Musiker im digitalen Zeitalten sein können? Wird es fünfzig Jahre und mehr überleben wie Radio Caroline? Ich möchte es wirklich hoffen. Und jetzt, wo ihr fertig seid mit dem Lesen: Warum schaltet ihr nicht Radio Caroline an? Und nebenbei könnt Ihr auch einen Blick auf das Digital White Label und Alvin Lee werfen. Denn trotz allem hat das Video den Radio Star nicht getötet. Noch nicht. 17 LINKS Alistair Cooke - www.bbc.co.uk/programmes/ b00f6hbp Radio Caroline - www.radiocaroline.co.uk/#home. html Now I n Foc u s podc a st – i nter v ie w with current Radio Caroline DJ, Steve A nt hony - http://nowinfocus.libsyn.com/ radio-caroline-dj-steve-anthony-interviewed Now In Focus podcast – interview with two former Radio Caroline engineers, Mike Barrington and James Kay. Hear about the sardine and pickled onion curry and more – http://nowinfocus.libsyn. com/interview-with-radio-caroline-engineers-mikebarrington-and-james-kay Talent In Focus video interview with DJ Steve Anthony - www.youtube.com/watch?v=KvkzlybxPLM Talent In Focus – The Billy Walton Band from the US explore the Ross Revenge and play on the deck - www.youtube.com/watch?v=0v_UnTfE7r4 Alvin Lee - www.alvinlee.com Digital White Label - http://digitalwhitelabel.com BE PROSPEROUS AND ENJOY YOUR LIVE MUSIC AND ALL THAT IS GERMAN! THE BILLY WALTON BAND Wasser-Prawda | Juni 2014 18 MUSIK HOWARD GLAZER’S BLUES, VIEWS & NEWS FRO M D E T R O I T Hallo, ich schreibe Euch aus Detroit, Michigan, USA*. Ich weiß, dass in der ganzen Welt Detroit nicht immer den besten Ruf hat. Ich will diese Gelegenheit nutzen, um Euch über die vielen positiven Dinge, die in und um die Stadt herum geschehen, zu informieren. Anfangen will ich mit Gracie See‘s Pizzeria. Ihr mögt fragen: Wieso eine Pizzeria? Gracie‘s ist nicht einfach * Version in English on page 145. Wasser-Prawda | Juni 2014 eine Pizzeria. Es ist ein Restaurant, eine Bar und ein Treffpunkt für viele Leute von der West Side von Detroit. Wenn man in Gracie‘s reinkommt, fühlt man sich fast, als sei man in der Zeit zurück in die 70er gegangen. Das Restaurant hat altertümliche Wandverkleidungen und eine faszinierende Sammlung von Gipsstauen, Gemälden auf schwarzem Samt und überall verteilt alte Blechschilder aus den 60ern und 70ern. MUSIK 19 Jeden Mittwoch spielt Howard Glazer im Gracie See’s Viele von den angesagten Orten in den Vorstädten behaupten, in Detroit zu sein, sind es in Wirklichkeit aber gar nicht. Nichts gegen sie, nur gibt es einen ganz bestimmten Charakter, den ein Geschäft in Detroit hat, und Gracie‘s ist keine Ausnahme. Es ist sogar ziemlich einzigartig, denn eine Seite der Straße (diejenige, an der Gracie‘s liegt) ist Detroit, auf der anderen Straßenseite ist man schon in Dearborn, der Heimatstadt der Ford Motor Company, berühmt gemacht durch einen Song von Rodriguez. der Musik her. Oft kommen befreundete Musiker vorbei und steigen bei mir ein. Ich hatte sogar Dichter, die gekommen waren, und aus ihren eigenen Büchern zur Bluesbegleitung vorgelesen haben. Im Party-Zimmer, wer weiß: Geburtstatsfeiern, Parties zu Feiertagen oder wenn jemand in den Ruhestand geht - es gibt alles! Man kann sein Essen auch zum Mitnehmen bestellen. Oder wenn man zu Hause bleiben will, dann liefern sie nicht nur Essen bis zur Wohnungstür sondern auch Bier & Wein. (Ich persönlich kenne keinen anderen Laden in der Gegend, der das macht!) Gracie‘s ist eins von den wenigen von „Mom & Pop“ Gracie‘s gibt es schon sehr, sehr lange und es hat eine oder unabhängig besessenen italienischen Restaurants Familientradition, die sich über einige Generationen und Pizzerias in der Gegend. Die hausgemachte Pasta- erstreckt. Ich hatte die Chance, mit Joe Puelo (Gracie‘s Sauce und die nach alter Schule im Ofen gebackenen Sohn und Restaurantmanager) zusammenzusitzen und Pizzen sind großartig! Großartig ist auch der Mittwoch, ihm paar Fragen über das Familiengeschäft zu stellen. wo das Spaghetti-Diner fünf Dollar kostet, das Bier vom Fass 1,50 Dollar - und es gibt live gespielte Bluesmusik! HG: Wie viele Jahre ist Gracie‘s schon im Geschäft? Auf der einen Seite findet man das Restaurant, auf der JP: Gracie‘s gibt es jetzt schon seit 45 Jahren, wir haben anderen ist der Party-Raum und die Hinterzimmer-Bar im Summer of 69 eröffnet. mit einem Pool-Tisch. Und dort spiele ich Mittwoch HG: Wer hat eigentlich die großartige Pasta-Sauce nachts. erschaffen? Man weiß nie, wem man dort begegnet, einem Mitglied JP: Meine Großmutter. Die Wahrheit ist eigentlich: der Stadtverwaltung, nem Polizisten, Feuerwehrmann, niemand weiß es wirklich, das Rezept ist uralt. Meine anderen Musikern aus der Gegend oder einfach Leuten Großmutter ist jetzt 90, vorher gehörte Gracie‘s meiner aus der Nachbarschaft, die Spaß an ihrem Essen haben Urgroßmutter. Eines Tages wird es meiner Mutter und sich freuen, mal wieder auszugehen. Jetzt wo es gehören, dann meinen Schwestern, meinen Töchtern Mittwochs live gespielten Blues gibt (das fing im und so weiter. Es wird von Generation zu Generation Dezember 2013 an), kommen neue Leute extra wegen weitergegeben. Wasser-Prawda | Juni 2014 20 MUSIK HG: Und wie ist das mit den Pizza-Rezepten? JP: Das sind nur Brotteig, Sauce und Käse, irgendwann in den 1920er bis 1940er Jahren hat man das so gemacht. Man muss nur gute Zutaten verwenden und braucht eine Menge Übung. Der Teig benötigt wirklich eine erfahrene Hand bei der Herstellung. Man muss auf die Außentemperatur achten, darauf, wie schnell man ihn verwenden will - es sind viele Dinge, die da ins Spiel kommen. Aber wir verändern die Rezepte nicht. Außerdem zieht Howard eine ganze Menge amerikanischer Ladies an, wenn er hier spielt. Daher hat der Chef der Feuerwehr inzwischen zwei Freundinnen. Nachdem das gesagt ist: Wenn Ihr in Detroit seid und ein großartiges Essen zu vernünftigen Preisen oder einige alkoholische Getränke zu Euch nehmen wollt, während Ihr mit wirklich netten Menschen abhängt, dann ist Gracie See‘s Pizzeria, 6889 Greenfield, Detroit (Michigan) genau der richtige Platz. HG: Haben sich die Rezepte im Laufe der Jahre irgendwie verändert? JP: Wir mögen keine Veränderungen, in dem Fall ist das eine gute Sache. Du kannst genau dasselbe essen, wie die Leute damals 1969. HG: Wie ist das für Sie, ein Geschäftsinhaber in Detroit zu sein? JP: Unternehmer in Detroit zu sein ist eine durchwachsene Sache. Die guten Leute hier sind die besten, die schlimmen die schlimmsten. Aber ich kann mir nicht vorstellen, irgendwo anders zu sein. Detroiter sind die besten Nachbarn, jeder kennt jeden - und es ist wie eine Kleinstadt, die immer in Gang bleibt. HG: Ich hab grad in den Nachrichten gesehen, dass ein Investor von außerhalb innerhalb von fünf Jahren 100 Millionen Dollar in Detroit investieren will. Glauben Sie, dass das einen positiven Einfluss haben kann? JP: Jede Investition ist eine gute Investition. Ich hoffe, dass jeder in der Stadt sich verpflichtet fühlt, durch diesen Bankrott hindurch zu kommen, und aus der Stadt einen funktionierenden Ort zum Leben zu machen. Ich glaube, JP Morgan wettet genau darauf. HG: Gibt es etwas, was Sie den Lesern in Deutschland sagen wollen? Oder warum sie gerade zu Gracie‘s kommen sollten, wenn sie in der Gegend von Detroit sind? JP: Hallo, Kommen Sie vorbei, wenn Sie gutes Essen und ein Getränk mögen. Deutschland ist ziemlich weit weg, aber unsere Pizza ist so gut, es ist die Reise wert. Wir trinken Barrel Oktober Dunkel. Sie haben auch unseren Respekt als Auto-Leute.* * Das ist das Deutsch von Joe Puelo! Wasser-Prawda | Juni 2014 Per Inge Isheden - Detroit Blues INTERVIEW 21 MISSION: DIE MENSCHEN ZUM LÄCHELN ZU BRINGE N BERND KREIKMAN IM GESPRÄCH MIT ALLEN VEGA Wasser-Prawda | Juni 2014 22 INTERVIEW Schön, daß Allen „Ace“ Vega bereit war, uns für ein Interview zur Verfügung zu stehen. Allen wuchs in der Bay Area auf und begann schon mit 15 Jahren Gitarre zu spielen, mit 18 trat er professionell auf. Über sein großes Vorbild berichtet er im Interview. Musikalisch beeinflussten ihn Albert Collins, Albert King und Freddie King.* Aufgetreten ist Allen schon im Antone‘s, dem House of Blues, Buddy Guy‘s Legends, im Morganfield‘s, im Club von B.B. King und bei unzähligen Festivals. Zum Beispiel spielte er beim Monterey Bay Blues Festival und dem Waterfront Blues Festival in Portland. Schon vor mehr als 40.000 Besuchern stand er auf der Bühne. Und die hat er sich im Laufe der Jahre beispielsweise mit Bobb „Blue“ Bland, Etta James, Buddy Guy ebenso geteilt wie mit Lucky Peterson, Luther Allison, Kenny Neil und Coco Montoya. Zur Zeit ist er mit seiner eigenen Band auf Tour in den USA. Sein letztes Album „Rough Cut“ (das erste eigentliche Soloalbum) übertraf sämtliche Erwartungen. Es wurde nicht nur auf Platz 3 bei unserer Umfrage „Best Blues 2013“ in der Kategorie Bestes Debüt gewählt. Schon seit Monaten belegt es auch die Spitze der Bluescharts der Online-Community Reverbnation. Verfassung bist! AV: Ja Bernd, ich glaub, wir haben uns 2011 auf Facebook getroffen, Dein generelles Interesse an amerikanischer Bluesmusik machte mich aufmerksam. Und ich bin glücklich, dass wir Freunde geworden sind. In der Zeit habe ich einige Veränderungen gemacht, bin nüchtern geworden und hab die Verantwortung nicht nur für meine Gesundheit, sondern auch für meine musikalische Richtung Leute in meinen Shows. Es ist mein übernommen. Wunsch, den Menschen zu helfen, BK: Ich bin beeindruckt, was Du das Schlechte in ihren Leben zu verin Deinem persönlichen Leben gessen, die Sorgen loszulassen und in der Zeit geändert und reali- eine gute Zeit zu haben, und sei es siert hast. Um auf Deine Wurzeln nur für einen Moment. Wenn ich zu kommen: Dein Onkel war schaffe, das bei den Menschen zu auch ein ziemlich weit bekannter erreichen, dann ist das für mich das Musiker. War er es, der Dich zum ultimative Gefühl der Dankbarkeit, das man mit Geld nicht kaufen Blues gebracht hat? AV: Mein Onkel David „Dynamite“ kann! Vega war der erste Gitarrist bei der Band Graham Central Station. Auch wenn er einen großen Einfluss darauf hatte, dass ich Gitarre lernte, war er nicht der Grund, dass ich begann, Blues zu spielen. Meine Mutter brachte mich zum Blues. Im Alter von 16 Jahren nahm sie mich mit, um Stevie Ray Vaughan zu sehen, und das änderte meine ganze Welt. Als ich 18 war, starb mein Vater, und ich fühle, dass es die Bluesmusik war, die mir dabei half, meinen Zorn und meine Depression in eine positive Sache zu verwandeln. Bluesmusik BK: Wir kennen einander seit ist für mich sehr spirituell und ein einigen Jahren, Allen. Gut zu heilender Teil meines Lebens! Sie sehen, dass Du in großartiger hilft mir, den Stress der alltäglichen Herausforderungen abzulegen, und zur gleichen Zeit, wo ich auf* English Version on trete, macht sie das Gleiche für die Page 149. Wasser-Prawda | Juni 2014 BK: Es war ein Vergnügen, Deine CD „Rough Cut“ in den Charts nach oben steigen zu sehen. Noch immer ist es ein Chart Breaker. AV: Unsere CD „Rough Cut“ wurde wegen der Art, wie sie aufgenommen wurde, so genannt. Wir gingen ins Studio und haben die Tracks einfach ohne Proben aufgenommen. Wir wussten ja noch nicht mal, welche Songs wir eigentlich aufnehmen würden. Wir haben das Album in einer Session mit der Band aufgenommen, zu der Aldwin London (b, voc), Sugar G Robinson (keyb), Mr Paquettez am Schlagzeug, Saxophonist Armen Boyd und ich selbst an Gitarre und Gesang gehörten. Ich machte zwei weitere Sessions, um die Gesangsspuren INTERVIEW aufzunehmen, und die CD abzumischen. „Rough Cut“ hat sich seit seiner Veröffentlichung 2013 gut gemacht und die Aufmerksamkeit vieler Menschen in aller Welt auf sich gezogen. Seit mehr als sechs Monaten steht das Album jetzt schon an der Spitze der Reverbnation Blues Charts. BK: Als wir uns das erste Mal trafen, spieltest Du mit Big Cat Tolefree, was ist passiert? Nun, meine Freunde und Fans erzählten mir immer wieder, dass sie meine Show mehr mochten. Und so beschloss ich, meiner eigenen Band vorzustehen. Ich konnte nicht fühlen, dass Big Cat sich entwickelte. Und so traf ich die Wahl, weiter zu gehen. BK: Ich verstehe, Du willst auch weiter Deinen eigenen musikalischen Weg gegen, wie Du ihn mit „Rough Cut“ begonnen hast. Ganz nebenbei: Mein Lieblingsstück darauf ist „Tin Pan Alley“. AV: Nachdem ich über 20 Jahre ein Sideman war, hab ich das Gefühl, dass die Zeit für mich gekommen ist, in den Vordergrund zu treten. Ganz nebenbei: „Tin Pan Alley“ ist auch mein Lieblingsstück auf unserem Album und es erregt ganz schöne Aufmerksamkeit. 23 überall dort hin zu bringen, wo diese Zeit? Ich hab Gerüchte gehört, dass Du an einer neuen CD Reise uns hinführen mag! arbeitest? BK: Ist es nicht ein Risiko, mit AV: Ich hab gerade viel um die einer neuen Band zu starten, wenn Ohren und hab Glück, bei verman grade an der Spitze ist? schiedenen Projekten beteiligt zu AV: Wie ich schon gesagt habe, ich sein. Letztens habe ich mit einigen will wachsen. Und bei Big Cat & The großen Namen aus der Funkszene Hipnotics wurde meine Kreativität aufgenommen, die werd ich später erstickt. Meine Großmutter sagte verraten, bevor die Aufnahmen vermir immer, ich solle meinem Herzen öffentlicht werden. Außerdem hab folgen und Gelegenheiten ergreifen. ich kürzlich Aufnahmen mit einem BK: Ich weiß, dass die Zeiten auch echten Bluesman namens Silver Fox für Musiker an der Westküste für sein Album mit nur eigenen härter werden. Du hast eine Stücken gemacht, das im Juli 2014 sehr nette Familie, eine wunder- herauskommen soll. Zur Zeit bin ich volle Frau und zwei Kinder. Wie am Schreiben und Aufnehmen für ist es unter diesen Umständen mein zweites Album. Wir sollten es als Bluesmusiker möglich zu bis zum Ende des Sommers komplett haben. überleben? AV: Für meine Familie habe ich BK: Planst Du Deine Tour zur CD Opfer bringen müssen. Ich gab Veröffentlichung auch in Europa das Touren auf und bekam einen machen? Haben wir eine Chance, Job am Tage, um meine Familie zu Dich auf unseren Bühnen in unterstützen. Ich bedaure das nicht, Deutschland zu sehen? klar ist es hart, Musik zu machen AV: Zur Zeit suchen wir nach und tagsüber noch einen Job. Das Kontakten in Europa, die uns beim Wichtigste aber ist für mich, dass Tour Support helfen. Wir würden ich für meine Frau und die Kinder gern überall auf der Welt spielen! da bin. BK: Vielen Dank, dass Du Dir BK: Ich sehe das so, dass die Liebe Zeit genommen hast, Allen! Die zu Deiner Musik tief in Deinem besten Wünsche für Deine Pläne. Herzen ist, das ist nicht einfach Und ich hoffe, Dich bald auf der ein Job, sondern eine Art von anderen Seite des Teichs zu sehen! Mission. AV: Richtig verstanden! Ich bin auf einer Mission, die Menschen zum Lächeln zu bringen, zum Tanzen und dazu, all ihre Probleme zu vergessen. Und sei es nur für einen Moment. BK: Wenn man zu Deinen Gigs geht, ist es großartig zu sehen, wie enthusiastisch die Menge ist, Dich mit Deiner neuen Band zu erleben. AV: Die Reaktionen waren wunderbar. Und wir freuen uns schon BK: Das ist großartig, Allen, was darauf, eine neue Hochenergie-Show sind Deine Pläne für die nächste Wasser-Prawda | Juni 2014 24 INTERVIEW Wasser-Prawda | Juni 2014 INTERVIEW 25 ZEHN FRAGEN AN: CHANTEL MCGREGOR EINE INTERVIEWREIHE VON DAVE WATKINS Seit die Gitarristin Chantel McGregor 2011 ihr Debüt veröffentlichte, wird sie in Großbritannien mit Nominierungen und Auszeichnungen regelrecht überhäuft. Für die British Blues Awards 2014 etwa steht sie auf der Liste für die besten Gitarristinnen.* 1: Was war Dein frühester Musikgeschmack und wie hast Du die Welt des Blues entdeckt? Wie die meisten Kinder wuchs ich mit einem Mix der Musik auf, die meine Eltern hörten. Und es war normalerweise gitarrenbasierte Musik, die durch unser Haus klang, Bands wie Led Zeppelin, Free, Hendrix, Fleetwood Mac und so weiter. Tatsächlich ist eine meiner frühesten Erinnerungen von Musik „Rumours“ von Fleetwood Mac Stevie Nicks ist mein Idol, seit ich ein Kleinkind war! Das passiert noch immer nicht. Eine Menge junger Spieler hören einen Gitarristen und wollen dieser Gitarrist werden. So sitzen sie in ihren Schlafzimmern und lernen die Riff s, den Stil und den Tone von jemand anderem. Das hab ich nie gemacht. Ich wollte schon immer mein eigenes Ding machen, in meinem eigenen Stil improvisieren und meinen eigenen Klang erschaffen. Um auf Teil zwei der Frage zu kommen: Ich glaube nicht, dass Du jemals Dein eigenes Talent erkennst. Du solltest Dir gegenüber immer kritisch sein, es gibt immer etwas, was Du verbessern kannst. 3: Deine ersten Aufnahmen hörst Du sie immer noch an? Wie beurteilst Du sie heute? Und gibt es welche, die Du nicht mehr anhören würdest? Ich weiß gar nicht, wo meine 2: Wer waren die Künstler, die ersten Aufnahmen sind. Ich weiß, dich dazu brachten, dass Du diese dass es Bänder von mir gibt, auf Musik spielen wolltest. Und wann denen ich mit etwa zwei Jahren stelltest Du fest, dass Du dazu das Kinderlieder singe. Aber alles was wirklich mit Musik zu tun hat, ist Talent hast? Es ist seltsam, denn ich hab niemals verloren gegangen. Als ich ungewirklich Leute angehört und fähr zehn Jahre alt war, bekam ich gedacht: So will ich auch spielen. einen Vier-Spur-Recorder geschenkt, den ich nutzte, um Ideen festzuhal* English version on page ten und meine eigene eingebildeten Radiosendungen aufzunehmen. 147. Aber ich bin mir nicht sicher, was mit dem Recorder und den Bändern passiert ist. 4: Welche anderen Jobs hast Du gemacht, um Deine Musikkarriere zu unterstützen? Ich hab eigentich nie etwas anderes gemacht. Ich hab mein Abitur gemacht, die Schule verlassen, machte mein Diplom und dann einen Abschluss am Leeds College of Music. Und während ich an meinem Abschluss arbeitete, stellte ich meine Band zusammen und trat auf. Als ich die Universität verließ, hatte ich meine Karriere vorbereitet und begann professionell auf Tour zu gehen. 5: Wie schwer ist es, von seiner Musik zu leben? Und gibt es irgend etwas, dass diese Ziel für alle Musiker einfacher erreichbar machen würde? Es ist eine sehr harte Branche, in die man sich da begibt, sowohl von der Menge an Arbeit, die man einbringen muss als auch von der Menge an Geld, dass man zu investieren hat. Und es fehlt zunächst die Anerkennung finanzieller und professioneller Art. Aber wenn Du es richtig machst, 24 Stunden täglich arbeitest und Dich komplett darauf Wasser-Prawda | Juni 2014 26 INTERVIEW einlässt, kann es sehr lohnend sein. modifi ziert hat. Sie sind alle verDu musst nur darauf vorbereitet schieden, fühlen sich für mich aber sein, eine Menge Opfer zu bringen. perfekt an. Es hängt ganz vom Song ab, wann immer ich sie spiele, fühlen 6: Auf welchen Deiner eigenen sie sich in meinen Händen ganz Songs bist Du besonders stolz? natürlich an. Das Gefühl hab ich Erzählst Du uns die Geschichte nicht bei vielen Gitarren. Ich hätte hinter dem Lied? gern einen großen Flügel und würde Ich glaub, am stolzesten bin ich auf ihn auch gerne spielen können. „Fabulous“. Das ist ein Rock-Pop- Aber das wäre wohl eine Art von Song, den ich für mein erstes Album Verschwendung. Denn meine pianisschrieb, er entstand sehr schnell. tischen Fähigkeiten sind beschränkt Ich dachte daran, ein Lied über auf „Chopsticks“ [in Schwierigkeit das Partyfeiern am Wochenende und Nervigkeit bei den Zuhörern zu schreiben. Und innerhalb von vergleichbar dem „Flohwalzer“ in einigen Stunden war „Fabulous“ Deutschland. Anmerkung R.N.]. geschrieben. Es ist ein guter Song, 9: Wo möchtest Du Deine Karriere zu dem prima tanzen kann! gerne hinführen sehen in der 7: Wenn Du Dich zum Schreiben Zukunft? Was sind Deine wichhinsetzt, was kommt zuerst - der tigsten Ziele? Text, die Melodie oder die Idee für Mein nächstes Ziel ist es, das ein ganzes Lied? Schreiben meines zweiten Albums Ich hab eigentlich keine Methode abzuschließen, es aufzunehmen und für das Schreiben. Jedes Mal passiert zu veröffentlichen. Für später in es auf andere Weise. Manchmal ver- diesem Jahr hab ich eine Europatour suche ich, auf meinem Telefon den geplant, bei der auch Deutschland Text zu schreiben. Ein anderes Mal eingeschlossen ist. Das wird eine schnappe ich mir eine Gitarre und Menge Spaß machen. Ich glaub, finde die passenden Harmonien. meine Zukunft hält noch jede Menge Und manchmal passen diese beiden Touren bereit. Mein größtes Ziel ist Teile auf magische Weise zusammen. es, glückich zu sein und Erfolg zu Und manchmal kommt überhaupt haben bei dem, was ich mache. So nichts. Songschreiben ist eine von lange alles gut läuft und ich Spaß den schwer fassbaren Sachen. habe: Was kann ein Mädchen noch 8: Erzähl uns was über das mehr wollen! Lieblingsinstrument in Deiner 10: Was machst Du außer Musik Sammlung. Gibt es irgend ein am liebsten? anderes Instrument, dass du Ich reise gern, entdecke andere gerne hättest oder spielen lernen Orte, mag Shopping und untermöchtest? schiedliche Speisen und Getränke Ich habe drei Liebingsgitarren, auszuprobieren. eine PRS Custom 24, eine Music Man Petrucci und eine Fender ZUSATZFRAGEN Stratocaster, die mein Vater 1: Was ist das großartigste Wasser-Prawda | Juni 2014 Gitarrenriff, das Du jemals gehört hast? Dasjenige, das Du am ehesten aus Spaß spielst? Zur Zeit bin ich verrückt nach Prince. Daher ist es wahrscheinlich „Let‘s Go Crazy“, die LiveVersion. Ich jamme darauf bei den Soundchecks seit ich ihn im Mai spielen sah. 2: Bekommst Du jemals seltsame Blicke aus dem Publikum, weil sie nicht erwartet haben, dass eine Frau derartig gut spielen kann? Die bekomme ich bei den meisten Shows, das ist wirklich lustig zu beobachten. Ich hab Spaß dran zu beobachten, wie die Leute realisieren, dass Mädels Gitarre spielen können - ein wirklich großer Spaß! 3: Was isst Du am liebsten: Schokolade, Kuchen oder Bonbons? Ich muss sagen: Schokolade, dass ist eindeutig meine Schwäche! INTERVIEW 27 Wasser-Prawda | Juni 2014 28 MUSIK EUT I NE R B L U E S IMPR E S S ION E N FOTOGRAFISCHE BEOBACHTUNGEN BEIM 25. BLUESFEST BLUES BALTICA VON RAIMUND NITZSCHE „Alt und Neu“ lautetete das Motto 2014. Die Orgatypische Festival-Atmosphäre. Und abgesehen vom nisatoren von Deutschlands größtem Bluesfestival Sonntagnachmittag spielte auch das Wetter mit fast hatten sowohl alte Bekannte als auch Neuentdeckun- sommerlichen Temperaturen mit. gen eingeladen. Und so verbreitete sich schon vom Eröffnungstag auf dem Marktplatz der Kleinstadt die Wasser-Prawda | Juni 2014 MUSIK 29 THE JAMBIRDS Sie spielten schon zur Eröffnung des 1. Bluesfests in Eutin. Da lag es nahe, dass The Jambirds sich zur Jubliläumsausgabe des Festivals mal wieder zusammen auf die Bühne stellten. Und schnell wurde den Hörern klar, dass Daff y Deblitz als Sänger und Gitarrist dem Duo Georg Schroeter und Marc Breitfelder eine ganz eigene Note beigeben kann. Die Musiker hatten so viel Spaß, dass sie in Zukunft vielleicht häufiger wieder gemeinsam auf der Bühne stehen werden. Georg Schroeter: p, voc; Marc Breitfelder: mharm, Daff y Deblitz: g, voc; Shakura S‘Aida: voc Wasser-Prawda | Juni 2014 30 MUSIK THE BOOGIE BOYS FEAT. JOHN CLIFTON Schon zum dritten Mal waren die Boogie Boys in Eutin zu erleben. Mittlerweile ist das Trio zum Quartett gewachsen. Und seit einiger Zeit sind sie auch mit dem Sänger/Harpspieler John Clifton unterwegs. In Eutin funktionierte diese Mixtur aus Boogie, Rock & Roll, Blues und jeder Menge Spaß prächtig. Quasi die Verbindung aus Blues und Las Vegas-Show. Bartek Szopinski: p, org, voc; Szymon Szopinski: dr; Michał Cholewinski: p; Janusz Brzezinski: b; John Clifton: voc, mharm Wasser-Prawda | Juni 2014 MUSIK 31 Wasser-Prawda | Juni 2014 32 MUSIK THE CASH BOX KINGS Einer der Höhepunkte war der erste Auftritt der Cash Box Kings in Deutschland. Hier stimmte von der ersten Note einfach alles: die Boogies rollten, der Rhythm & Blues swingte - und die Band verbreitete mit ihren klassischen Sounds eine gute Laune, der man sich einfach nicht entziehen konnte. Besonders Sänger Oscar Wilson war mit seinen Geschichten aus dem Leben einfach nur umwerfend gut. Hoffentlich wird diese Band ab jetzt häufiger im Lande unterwegs sein. Denn es gibt zur Zeit wohl kaum eine andere Band, die den Chicagoblues derartig gut spielen kann, ohne einfach die Klassiker .zu reproduzieren. Joe Nosek: mharm, voc; Oscar Wilson: voc; Joel Paterson: g; Fred Jouglas: b; Pascal Delmas: dr Wasser-Prawda | Juni 2014 MUSIK 33 Wasser-Prawda | Juni 2014 34 MUSIK OLE FRIMER BAND In seiner dänischen Heimat zählt Ole Frimer zu den Altmeistern des Blues. In Eutin trat der Gitarrist mit einer Mixtur aus Jazzfunk, Bluesrock und Ausflügen bis nach Mexico auf. Absolutes Highlight des Konzertes: der junge Keyboarder Palle Hjorth, der noch jeden Anflug von Langatmigkeit mit überraschenden musikalischen Einfällen garnierte und selbst bei schlagerhaften Klängen noch ironische Kommentare aus seinen Tasten holte. Ole Frimer (guit.), Palle Hjorth (key), Jesper Bylling (b), Claus Daugaar (dr) Wasser-Prawda | Juni 2014 MUSIK 35 MIKE SEEBER TRIO An einem Musiker wie Mike Seeber werden sich die Geister immer scheiden: Vielen gefällt sein harter Bluesrock mit deutschen Texten, die pure Energie, mit der er auf der Gitarre spielt und auch das großartig aufeinander eingespielte Trio. Anderen fehlt hier noch ein wenig die Abwechslung, die Finesse oder einfach auch mal die leisen Töne. Mike Seeber: g, voc; Philipp Rösch: bg; Tobias Ridder: dr; Holger HoBo Daub: mharm Wasser-Prawda | Juni 2014 36 MUSIK LATVIAN BLUES BAND FEAT. SHANNA WATERSTOWN In Eutin zählen die Musiker von der Latvian Blues Band zu den alten Bekannten, auf die man sich immer freut. Auch 2014 lieferten sie eine großartige Show zwischen Soul, Blues, klassischem Rhythm & Blues und Funk ab. Mit der jungen Sängerin Shanna Waterstown und der altgedienten Shakura S‘Aida standen gleich zwei großartige Sängerinnen ganz unterschiedlicher Art mit ihnen auf der Eutiner Bühne. Janis Bukovskis (guit, voc), Rolands Saulietis (dr, voc), Jonatans Racenajs (guit), Marcis Kalnins (ba), Artis Locmelis (sax), Viesturs Grapmanis (tb), Shanna Waterstown (voc) Wasser-Prawda | Juni 2014 MUSIK 37 Wasser-Prawda | Juni 2014 38 MUSIK EUTIN ALL TIME STARS Musiker wie Pianist Thomas „TOGO“ Goralzyk und Bluesharpspieler Jens Jordan gehören zum Urgestein der Bluesszene in und um Eutin. Für den Auftritt beim Bluesfest 2014 haben sie sich Freunde aus der näheren und weiteren Umgebung eingeladen und auf dem Markt eine zünftige Bluesparty gefeiert. Thomas Goralzyck „TOGO“ (p,voc), Jens Jordan (harp,voc), Rene Raue (g), Klaus Kayser (g), Söhren Böhme (b), Jannis Balzer (dr). Wasser-Prawda | Juni 2014 MUSIK 39 VERONCIA & THE RED WINE SERENADERS Bei ihnen lebt der Blues der 20er Jahre wieder auf. Doch auch Ragtime, Jazz und italienisches Lebensgefühl schwingt in der Musik von Veronica und ihren Serenaders. Memphis Minnie und den Harlem Hamfats bis hin zu eigenen Songs reicht ihr Repertoire. Und das haben sie mit so viel Musikalität und Humor in Eutin gespielt, dass man jetzt schon auf ihr neues Album „Mexican Dress“ gespannt sein darf. Veronica Sbergia (ukelele, washb, kazoo), Max de Bernardi (g, ukulele, mand), Dario Polerani (b) Wasser-Prawda | Juni 2014 40 MUSIK LURRIE BELL QUARTET Chicagoblues meets Blues from Denmark: Lurrie Bell wurde in Eutin von der Nisse Thorbjørn Band begleitet. Gespielt wurden leider nicht Songs von den letzten fantastischen Alben Bells sondern (zu wenig Zeit zum Proben, meinte Bell in der Pause) Bluesklassiker zwischen T-Bone Walker, Muddy Waters etc. Leider geriet dieses Konzert so zu routiniert. Lurrie Bell (g, voc), Nisse Thorbjørn (g, harp, voc) Rune Hoimark (g), Rasmus Lund (dr), Nikolaj Wolf (b) Wasser-Prawda | Juni 2014 MUSIK 41 Wasser-Prawda | Juni 2014 42 MUSIK JP SOARS & THE RED HOT Der Rock- & Bluesshow von Jp Soars und seiner Band ist kein Autofocus wirklich gewachsen. Das ist für mich ein Paradebeispiel, wie man heute Bluesrock spielen soll: Ganz tief im Blues verwurzelt, dabei aber immer das Rockerbe der letzten Jahrzehnte in den Fingern. JP Soars ist einfach ein phänomenaler Gitarrist, der vom Chicagoblues bis hin zu Boogierock a la AC/DC alles miteinader verschmelzen kann und dabei immer echt wirkt. JP Soars (voc, g), Steve Laudicina (g), Pat Ward (b), Chris Peet (dr) Wasser-Prawda | Juni 2014 MUSIK 43 MIKE ANDERSEN DUO Norma ler weise sind Au f trit te a m Sonntagmittag der mieseste Zeitpunkt, den man überhaupt bekommen kann. Doch Mike Andersen aus Dänemark hat es geschaff t, das Publikum zu faszinieren mit seinem Soulblues. Man darf gespannt sein, wie sein neues Album sein wird, dass im Herbst erscheinen soll. Und gemeinsam mit Shakura S‘Aida setzte er am Abend auch einen der Glanzpunkte bei der großen Abschlusssession des Festivals. Im Herbst wird er mit seiner kompletten Band bei den Hamburger Bluesnächten zu erleben sein. Mike Andersen (voc, g), Jens Kristian Dam (key, dr) Wasser-Prawda | Juni 2014 44 MUSIK Wasser-Prawda | Juni 2014 MUSIK 45 KING KING Wer wissen will, warum King King schon zwei Mal als beste Bluesband Großbritanniens ausgezeichnet wurden, sollte sich die Gruppe um Sänger/Gitarrist Alan Nimmo unbedingt im Konzert anhören. In Eutin hatten sie die Zuhörer von Anfang an voll im Griff. Und wie Nimmo „Old Love“ als Gebet für Walter Trout zelebrierte, trieb den Menschen die Tränen in die Augen. Vom sehnsuchtsvollen Gesang bis zum fast unhörbaren Wispern ließ er seine Gitarre singen: eines der großartigsten Blues-Solos, die ich in den letzten Jahren hören durfte! Alan Nimmo (g, voc), Lindsay Coulson (b), Wayne Proctor (dr), Bob Fridzema (key) Wasser-Prawda | Juni 2014 46 MUSIK GRAVELROAD Manche sagten: Bluesfest triff t Wacken. Andere meinten: eine Band wie GravelRoad Seattle dürfte dort nur im Kinderprogramm auftreten. Völlig falsche Herangehensweise! Die langjährige Begleitband von T-Model Ford hat den Blues aus den Hügeln des nördlichen Mississippi einfach mit den Riff-Attacken der Rockmusik kombiniert. Und die Wirkung ist ähnlich belebend wie ein eiskalter Regenguss nach zu langer Hitze. Stefan Zillioux (g, voc), Marty Reinsel (dr), Kirby Newman (b) Wasser-Prawda | Juni 2014 MUSIK 47 BERA U S C HE N D R O C KENDE R B L U E S DAS MIKE SEEBER TRIO BEIM 12. BLUES & ROCK FESTIVAL ALTZELLA 2014. EINE NACHBETRACHTUNG VON HOLGER SCHUBERT. Eine von mir seit vielen Jahrzehnten gelebte Prämisse ist: Informiere dich nie vorher über den zu besuchenden Konzertact! Und da ich das Mike Seeber Trio (ihre eigene Kurzbezeichnung mündet übrigens in MS3) noch nie live wahrnahm, geschweige denn mir physikalisch zu Gehör brachte (denn es gibt leider von ihnen [noch] kein [offizielles] Album), stand sozusagen einmal mehr der Effekt der Überraschung Pate. Der wiederum -das kann man Mike Seeber und seinen Mannen unbestritten zu Gute halten- stellte sich sofort mit der ersten Minute ihres Auftrittes bei diesem 2-Tage-Festival ein. Der Veranstalter -der Mittelsächsische Jugendverein e.V. Starbach -um die Herren Weichhold, Mummert und Taffel- charakterisieren übrigens ihr Erfolgsrezept als das „gemütlichste, entspannteste und authentischste Bluesfestival Deutschlands und mit Sicherheit ein toller Ausflug zu Himmelfahrt. Egal ob allein, zu zweit oder in Familie – für jeden ist etwas dabei!“ Diese liebevolle Umschreibung trifft den berühmten Wasser-Prawda | Juni 2014 48 MUSIK Nagel ganz zentrisch auf den Kopf! Zumal der Dauerregen der letzten drei Tage (insgesamt fielen über 100 Liter pro m²) den Besucherandrang keineswegs stoppen konnte. Als wir am Nachmittag das Festivalareal am altehr würdig angrenzenden Klosterpark Altzella betraten, konnte man etwa 1.000 bis 1.200 Besucher aller Couleur (vom Kind bis zum Hippie) wahrnehmen - und das trotz aufgeweichter Rasenflächen und schlammiger Wege. Außer beim Bierholen oder Bratwurstverzehr kann man diese Umstände nämlich wunderbar ignorieren oder gar ausblenden. Denn es gibt da diese großräumige und –flächige Scheune, die bei ungünstigen Witterungsbedingungen auch derartig vielen Besuchern das sprichwörtliche „Dach über dem Kopf “ garantieren kann. In f leißiger Klein- und Werterhaltungsarbeit vom Verein nutzbringend entkernt, den Charakter als solchen trotzdem erhaltend, leistet sie somit einen wertvollen Dienst als Sound- und Wettertempel. Ja, sie besitzt einfach einen unwiderstehlichen mystischen Charme. Abgehalten werden die musikalischen Aktivitäten auf dem FestivalAreal ab 11 Uhr vormittags bis gegen Mitternacht (Himmelfahrt) im Wechsel zwischen der so bezeichneten Wiesenbühne (Open Air) und der eben beschriebenen KultScheune. Wobei einige der Acts auf beiden Bühnen mit unterschiedlichen Programmen auftreten und somit gleich zweimal präsent sind. Das macht absolut Sinn, bietet angenehme Abwechslung und gibt den Wasser-Prawda | Juni 2014 Bands Gelegenheit, sich in vielfältigen Facetten (akustisch/elektrisch etc.) darzubringen! Nun jedoch zurück zum Mike Seeber Trio. Der Opener „Nie wie Vater“ (O-Ton Mike: „Das bot sich doch heute zum Vatertag so richtig als Opener an, oder?!“) lässt den Tempel Scheune mit deren BluesRock-Getöse sofort in Schwingung versetzen. Unglaublich dynamisch, nach innen gehend, erstaunend! Dieser noch junge Bluesrocker (1976 im Thüringischen Nordhausen zur Welt gekommen) atmet etwas ganz besonderes und erinnert mich doch zugleich auch ob seiner etwas untersetzten Statur, dem Wohlstandsbäuchlein und dem blonden vollen Haarschopf an einen ziemlich Großen seines Genres. Na klar, da werden doch bestimmte Assoziationen zu Warren Haynes von Gov’t Mule geweckt! Und das nicht allein über das Aussehen. Nein, auch seine Spielweise und -art auf seiner Gitarre weckt (zumindest in mir) den vielleicht etwas gewagten Vergleich. Beim Branchenprimus Jürgen Kehrt quasi in die „Lehre“ gegangen und in seinem „Wohnzimmer -dem Museumskeller zu Erfurt„groß“ geworden, erreichte Mike Seeber zumindest in Insiderkreisen -national wie international- recht schnell beachtete Aufmerksamkeit. Begleitet seit 2012 von dieser jungen, dynamischen und kraftvollen Rhythm-Section (Philipp Rösch am Bass und Tobias Ridder an den Drums) gibt das dieser BluesRock-Formation noch zusätzliche jugendliche Unbekümmertheit – ja Unbeschwertheit! Und gerade deswegen vermeint man zu glauben, die spielen schon Jahrzehnte zusammen. Lärmend, scheppernd, mahnend – immer straight ahead! Inklusive unverhohlener Soundanleihen bei Led Zeppelin oder Gecovertem von den Beatles. Das sind Duftmarken, die wohl auch die Jury des German Blues Challenge 2013 veranlasste, die MS3 zum Winner dieses begehrten Awards zu küren! Dieser Musiker und seine Band werden uns noch viel Freude bereiten! Und Euch, die Ihr den Artikel lest, spreche ich schon jetzt eine Einladung für das 13. Blues & Rock Festival an Himmelfahrt in Altzella bei Nossen (nahe dem gleichnamigen Autobahnkreuz zwischen der BAB 4 und der BAB 14 gelegen) aus! Einmal besucht, steht es für immer auf Eurem persönlichen Festival-Guide! MUSIK 49 Gracefull Fall (Foto: Holger Schubert) MINI-WOODSTOCK I M EP I Z E NTR U M MITTELSACHSENS DER 10. LOUISIANA BALL 2014 IN FREIBERG. EINE NACHBETRACHTUNG VON HOLGER SCHUBERT Steffen „Kuno“ Kunze – Blues & Rock-Barde und zugleich hauptberuflich Inhaber der KULT(ur) kneipe EigenARTig mit seinem Ratskeller-Ableger - beides in Hainichen / Sachsen an ganz zentralen Plätzen leicht aufspürbar, begeht in diesem Jahr mit seinem LOUISIANA BALL ein kleines feines Jubiläum. Gestartet in seiner Heimatstadt hat sich dieses MiniFestival nunmehr in der „Hauptstadt“ Wasser-Prawda | Juni 2014 50 MUSIK Mittelsachsens -in Freiberg- etabliert. Das großzügige, weitläufige Gelände -genannt Bluesfarm- und optimal am Stadtrand gelegen, bietet für jeden Musikhungrigen und Naturbegeisterten etwas. Besonders die Camperund Wohnmobil-Traditionalisten kommen hier voll auf ihre Kosten. Können sie das Festivalgelände doch bereits einen Tag vor und einen nach dem offiziellen 2-TageEvent nutzen, um zu relaxen, Erfahrungen auszutauschen, über Gott und die (Blues- und Rock-) Welt zu sinnieren, echtes Lagerfeuerfeeling zu erzeugen und -klar doch- dieses oder jenes Alkoholische, Hochprozentige oder Dampfende in stiller Abgeschiedenheit zu „inhalieren“. Allerdings ist es spätestens an den Nachmittagen vorbei mit dieser „Stille“. Denn deswegen ist man ja schließlich in der Hauptsache hierher gepilgert: dem Lebensgefühl des Blues und des Rock durch die eigene Anwesenheit den Stempel der Berechtigung aufzudrücken und damit zugleich zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu weilen! Werden zudem diese Begehrlichkeiten von Bands und Solokünstlern geweckt, die in allen möglichen Spielarten amerikanischer Musik musizieren (können), dann ist man beim LOUISIANA BALL! All dies findet in der Hauptsache im großzügigen, lichtdurchfluteten Scheunenkomplex statt, der allen Musikjüngern ausreichend Platz bietet und bei diesem heißesten PfingstWochenende seit Beginn der Wetteraufzeichnungen mit weit über 30° Celsius im Schatten allerdings auch für gehörig Schweißausstoß sorgt. Und da alles so schön „kuschelig“ auf dem Festivalgelände beieinander liegt, kann man durchaus die musikalischen Innenansichten aus dem Scheunenkomplex auch auf das doch etwas luftigere Außen verabreicht bekommen. Allerdings macht das wiederum für die sich im Inneren bemühenden Acts wenig Sinn, wenn die sich dann vor nur mäßig gefüllten Rängen produzieren sollen. Das wiederum jedoch tun sie mit all der ihnen infiltrierten Hingabe! Man ist ja schließlich wer! Waren in den Anfangsjahren des Louisiana Ball noch Cajun und Zydeco (eben jene schnelle Musikform aus dem Süden und Südwesten des US-amerikanischen Bundesstaates Louisiana mit dem charakteristischen Akkordeon und Waschbrett und seiner Etablierung Anfang des 20. Jahrhunderts aus einer Vermischung der Cajun-Musik mit afroamerikanischen Einflüssen, die Wasser-Prawda | Juni 2014 Lusk (Foto: Holger Schubert) letztlich auch zur Entstehung von Blues und R&B beitrugen) die vorherrschenden Stilarten, so kommt heute jeder Musikbesessene auf seine individuellen Kosten: vorzugsweise bei Blues, Rock und Americana. Und genau diese Mischung hat sich als wahres Erfolgsrezept herauskristallisiert! Den Opener am Pfingstsonntag geben kurz nach 19 Uhr GRACEFULL FALL aus Sachsens Metropole Dresden. Einfühlsam, kraftvoll, berührend! Seit Neuestem auf dem deutschen Indie-Label CACTUS ROCK RECORDS musiktechnisch beheimatet, deckten sie an diesem Abend weitgehend die Americana-Fassette ab und hätten es sicherlich verdient gehabt, einen späteren Programmplatz zu erhalten. Aber so ist das nun einmal! Allerdings erwies sich die von Kuno gewählte Programmfolge im Nachhinein als Volltreffer. Denn alle vier Bands dieses Abends waren recht klar ob ihres musikalischen Repertoires abgrenzbar und so gab es gewissermaßen kleine stilistische Sprünge, die dem Gesamtkonzept sehr zu Gute kamen. Denn nach Gracefull Fall trat als nächstes eine recht junge Band aus Norwegen auf den Plan: LUSK. Nach eigenen Aussagen zum ersten Mal in unseren Breitengraden unterwegs, noch ohne eigenes Album, jedoch für die nächsten Tage mit einem Studio in Leipzig (!!!) vereinbart, um 4 Songs für eine erste EP einzuspielen. Die Norweger waren an diesem Abend für das Rockbrett zuständig: Beharrlich, straight, kompromisslos! Der norwegischen Neuentdeckung folgte die MONGREL MUSIK 51 Mongrel Blues Band mit Ryan Harrington (Foto: Holger Schubert) BLUES BAND - ein Trio und ebenfalls aus Dresden Unglaublich! Aber was will uns das sagen: Zum einen kommend. Sie hatten sich für diesen Auftritt mit dem scheinen Drummer wirklich hart im Nehmen zu sein, Special Guest RYAN HARRINGTON aus den Staaten zum anderen wohl auch gefährdeter! Also Drummer auf ein Quartett erweitert und vor allem verstärkt. Na – habt Acht! Den Abschluss der gut gelungenen 10. klar -es beinhaltet ja schon der Bandname- sie waren Auflage des Louisiana Ball bildeten DES FAIS DoDo heute für den Bluesteil zuständig. Hingebungsvoll, lei- aus den Niederlanden und sie führten alle Anwesenden denschaftlich! Auffällig auch, dass die ersten 3 Bands mit ihrer musikalischen Stilbreite wieder zurück in die dieses Abends ausschließlich in der Old-School- Anfangsjahre dieses kleinen feinen Festes. Da kann Besetzung mit zwei Gitarren, Schlagzeug und Bass agier- man sich nur wünschen, dass sich der Einsatz und das ten. Am Rande sei noch erwähnt, dass komischerweise Engagement eines Steffen „Kuno“ Kunze und seines gleich bei zwei der Bands des Pfingstsonntags deren Teams noch schneller und weiter herumspricht und trotz Drummer ziemlich leiden mussten. Der Gracefull Fall- des Überangebotes an Pfingsten es auch in den nächsten Drummer hatte einen Sturz mit dem Fahrrad zwar Jahren ein mächtiger Pfeiler der Blues und Rockszene wohl äußerlich recht glimpflich überstanden, konnte bleiben wird. jedoch nur mit Schmerzmitteln spielen – und wie! Der 11. Louisiana Ball vom 22. bis 24. Mai 2015 steht Seinen Leidensgenossen von der Mongrel Blues Band jedenfalls bereits schon wieder in den Startlöchern! hatte es allerdings weitaus schwerer in Mitleidenschaft VOR MER K EN, KOMMEN, GENIE SSEN, gezogen. War er doch erst vor wenigen Tagen mit einem CHILLEN, RELAXEN! ALLES WIEDER AUF Sporthubschrauber (zu zweit unterwegs) abgestürzt und ANFANG! WIR SEHEN UNS ERNEUT 2015! mit schweren Blessuren gerade noch so davongekommen. Heute bereits saß er wieder an seinem Schlagwerk. Wasser-Prawda | Juni 2014 52 MUSIK BLUE S M US IK D E S I G N E D I N BAVA R I A TEXT: MARIO BOLLINGER. FOTOS: CHRISTOPHE RASCLE Bereits am 2. Mai hatten wir die neue CD „Struggle“ von Reverend Rusty aka Rusty Stone rezensiert. Gleichzeitig mit der Vorabversion kam auch die Einladung, zur CD Präsentation am 11. Mai 2014 in das Einstein Kultur in München zu kommen. Diese Wasser-Prawda | Juni 2014 Einladung haben wir gerne angenommen, vor allem um die Wirkung der CD auf Rusty‘s Publikum zu sehen. Wir waren ja der Meinung, dass die CD live präsentiert noch eine gesteigerte Wirkung zeigen wird. Das Einstein Kultur ist ein Gewölbesaal auf dem Ensemble der ehemaligen Unionsbräu in der Einsteinstr. 42. Dort fi ndet man neben dem Einstein Kultur auch den Jazz Club Unterfahrt und das Kino im Einstein. Für die CD Präsentation wählte Rusty Stone den bestuhlten Saal des Einstein Kultur MUSIK 53 Rusty Stone mit Mandoline (oben) und Dobro (nächste Seite) mit schätzungsweise 80 Sitzplätzen. Im Saal empfang uns ein sichtlich aufgeregter Rusty Stone, dahinter eine mit Instrumenten prall gefüllte Bühne. Die Aufregung war überaus berechtigt, da die Vorbereitungen für die Präsentation durchaus kompliziert waren. Die erste Lieferung der CDs vom Presswerk kam 2 Tage vor dem Event. Die Verspätung war wegen einiger Änderungen des Designs in letzter Minute notwendig geworden. Die CD ist selbst produziert, zum Vermarkten der neuen CD „Struggle“ hat Rusty Stone ein eigenes Label gegründet und auch einen neuen Vertriebsweg mit Galileo MC gefunden. Das war dringend notwendig geworden, weil bisherige Vertriebswege seine Anforderungen bezüglich Flexibilität und Lieferungen nicht erfüllen konnten. Hier kommen jetzt auch Optionen wie online Vertrieb und Download zum Tragen. Da Rusty Stone sozusagen eine one-man-company ist, musste er sich natürlich auch um die Ausstattung im Saal und das Verschicken der Printsachen im Vorfeld der Präsentation kümmern. Jahr mit der CD ändern. So wird er als Support mit Jeff Beck unterwegs sein. Da Rusty Stone ein Profi ist und eine Band zu unterhalten hat, ist er natürlich selektiv in der Auswahl seiner Auftritte. Equipment, Band Bus, Musiker kosten bereits ab dem Moment Geld, wo man in den Bus einsteigt, ohne eine Note gespielt zu haben. Und das muss Limits bei der Gage setzen. Wie kommen den die Stücke auf der CD zu Stande? Rusty hat Einflüsse vom Southern Rock und aus dem In der Konstellation Reverend Rusty Singer/Songwriterlager. Meist entist die Band ca 50 Mal im Jahr auf standen sind die Songs auf der akusder Bühne, zur Zeit aber eher 20 tischen Gitarre. Dann kommen Mal. Das soll sich natürlich dieses seine beiden Co-Musiker hinzu, Wasser-Prawda | Juni 2014 54 MUSIK die beides ausgebildete Musiker sind und verfeinern ein gegebenes Riff oder greifen einen Lick aus der Vergangenheit auf. Auch entstanden Songs auf der CD „Struggle“ mehr nach dem Strukturprinzip einer Tonartfolge. Das Intro ist dabei nichts anders als ein tonal passendes Schnipsel von Cooder, das er vor den zweiten Song „Let it flow“ gesetzt hat. Dass Reverend Rusty ein Wanderer zwischen den Welten ist, hat er auf „Struggle“ bereits gezeigt. Garantiert nichts für Rootblueser, welche den Blues aus dem Delta selbst in Europa so authentisch wie möglich halten wollen und sogar auf den Pickup verzichten. Nein, Rusty wird uns im Laufe seines Auftritts zeigen, dass es auch ernstzunehmende Bluesmusik Wasser-Prawda | Juni 2014 „designed in Bavaria“ gibt. Nachdem sich der Saal fast gefüllt hat, steigt Reverent Rusty Stone mit seinen beiden Mitstreitern Al Wood und Mr. C.P auf die mit Instumenten prall gefüllte Bühne und eröffnet mit einem improvisationsgetriebenen „Roll on“ vom neuen Album. Nach dem sich noch „Old Together“, „No no no“ und „Let it flow“ aus der CD dranreihen, bewahrheitet sich schnell meine Prognose aus der CD Rezension: Dieses Songs sind Livesongs, hier stehen 3 Musiker mit 3 Stimmen und 3 Instrumenten auf der Bühne - keine Tricks, kein Overdubbing, kein Punch in/out, wunderbar einfach ohne viel Effekte. Schnell ist sich das Publikum einig, dass hier schöne Stücke in Bühnenreife präsentiert werden. Die Stücke sind hart und rauh aufgespielt. Genau so, wie es von Rusty aus einer Münchener Zeitung zitiert wurde: Laut und schmutzig! Der Rest des Abends ist ein Feuerwerk, bei dem mit Mandoline, Dobro, E-Bass, Upright Bass, Tuba und Schlagzeug und Cajon gezaubert wird Für mich persönlich wesentlich unterhaltsamer als vergleichsweise 2 Stunden Blues auf der Akustikgitarre von selbsternannten Rootsbluesern. Rusty spielt für sich, aber er vergisst nicht, sein Publikum abzuholen und mitzunehmen. Jetzt werden mir auch die vielen Blog- und Gästebucheinträge verständlich, die MUSIK 55 Al Wood (dr) oben und Mr. C.P (bg) unten. Wasser-Prawda | Juni 2014 56 MUSIK Reverend Rusty als Spitzenliveband bezeichnen. Rusty spielt natürlich nicht nur Songs aus der neuen CD „Struggle“, sondern auch aus den älteren CDs wie den „Preacher Man“ aus der gleichnamigen CD oder „Down in Louisiana“ mit Dobro und Upright Bass. Auch ohne eine Hommage an John Lee Hooker „Dimples“ geht es nicht - immer schön cool auf der Dobro gespielt. Nach der Pause zieht die Band alle Register des Blues: Reggae, der durch Eric Clapton im Bluesrock hoffähig geworden ist, Shuffle-Blues, New Orleans Sounds mit Mr. C.P an der Tuba. Bei „Goin‘ to my hometown“ fühlt man sich zu Rory Gallagher nach Irland versetzt, und dann die Elmore James Nummer Shake your Moneymaker als Zugabe mit BassSolos satt. Als finale Zugabe und als Solo gab es dann meinen persönlichen Favoriten der CD „Struggle“ das akustische Stück „Cooder“, von Rusty Stone alleine am Bühnenrand präsentiert. Unser Resümee: Reverend Rusty‘s „Struggle“ ist live im Konzert eine vielfältige und abwechslungsreiche Sache und wir wünschen uns, dass Rusty Stone diese CD möglichst oft live präsentiert und natürlich an den Mann resp. die Frau bringt. Rusty Stone & Mario Wasser-Prawda | Juni 2014 Live-Termine 27.06 St. Veit a.d. Glan, Herzogburg (mit Jeff Beck) (A) 28.06 Heubach 05.07 Bodenmais, Weinfest (Rusty Solo) 14.07. München, Aubinger Stadtteilwoche (Rusty Solo) 11.10. Bräunlingen, Bregtäler 25.10. Runding, Robinson 31.10. Postbauer-Heng. KiSH 07.11. Haiming, Gewölbe 29.12. St. Gallen, Hotel Walhalla (CH) Hier könnte Ihre Werbung stehen: Eine Spalte (57,77*220 mm). Kosten: 30 Euro/ Monat oder 300 Euro/Jahr. Anfragen an [email protected]. MUSIK 57 Brian Kramer BLUE S A L S A L B U M UN D R OM AN BRIAN KRAMER: OUT OF THE BLUES & FULL CIRCLE. VON IAN PATIENCE Stockholm scheint ein ziemlich talentierter Mensch zu sein. In einem wahrscheinlich noch nie dageweseBluesman Brian Kramer*, geboren nen Schachzug, hat sich Kramer auf in Brooklyn und wohnhaft in ein Gebiet vorgewagt, wo sich nur wenige bisher hin gewagt haben: Zeitgleich hat er seinen ersten * English on Page 153. Roman „Out Of The Blues“ und eine neue CD „Full Circle“ veröffentlicht. Vorgestellt hat er beides in seinem eigentlichen Revier in der schwedischen Hauptstadt, dem „Stampen“, einem Blues/Jazz-Laden, wo der Mann oft zu sehen ist, wenn er Wasser-Prawda | Juni 2014 58 MUSIK Jam-Sessions leitet oder vom Blues inspirierte Parties anheizt. Der Roman wurde veröffentlicht bei Bullet Point Publishing unter seinem vollen Namen Brian D. Kramer. In Skandinavien, einer mittlerweile führenden Region für Kriminalromane, passt „Out Of The Blue“ prima ins Genre mit dem hinzugefügten Dreh mit der Bluesmusik und einer veschlungenen Handlung. Er ist ein Autor, der das Business von außen und innen total kennt. Aber wenn man meinte, das Buch sei ein Kriminalroman, würde Kramer Unrecht tun: Es ist der faszinierende Blick eines Insiders in die Welt der Berufsmusiker und die täglichen Herausforderungen und Sorgen, die allzuleicht den unermüdlichen Spieler bedrängen könnnen. Das Album hat das gleiche Thema wie das Buch, und Texte der Songs tauchen immer wieder auf den Seiten des Buches auf. Es ist eine interessante Idee, die Kramer mit scheinbarer Leichtigkeit vorträgt. Jeder, der schon mal Gitarre gespielt hat als Berufsmusiker oder als Sideman wird sich mit der Hauptfigur, einem New Yorker von Kopf bis Fuß, seinem Leben und seinen Problemen identifizieren. Der starke Hauch biographischer Details pulsiert im Herzen des Buches. Und da gehört auch der wehmütige Song „Going Back To Brooklyn“ hinzu. „Full Circle“, die das Buch begleitende CD-Verffentlichung, ist ein ausgezeichnetes kleines Album. Thematisch geht es um Kramers Vierteljahrhundert als Berufsmusiker und seine New Yorker Wurzeln. Mich spricht Wasser-Prawda | Juni 2014 Fanny Holm. Zeitweise erinnert der Groove mit seinen trügerisch entspannten Melodien und den cleveren Texten hier an den verstorbenen JJ Cale. Man könnte ja meinen, dass Kramer, der viele Jahre lang im Studio und auf Tour für Eric Bibb die Begleitgitarre gespielt hat und auch mit Junior Wells, Larry Johnson und Taj Mahal gearbeitet hat, nach dem Schreiben dieses höchst lesenswerten Romans unter einer Schreibblockade gelitten habe. Doch das ist eine falsche Annahme: Er hat auch all die Stücke auf der soliden CD geschrieben. das an: sowohl der entspannte Rhythmus als auch die Einflüsse aus Ragtime oder auch Kramers sensibles Picking auf seinen geliebten Resonator-Gitarren. Auch sein elektrisches Spiel wird gemeinsam mit ein paar feinen Begleitmusikern gezeigt. Zu denen gehört Gitarrist Chuck Anthony, Mats Quartfordt an der Bluesharp, Bert Deivert (noch so ein Amerikaner, der in Schweden lebt) an der Steel Mandolin und ein paar beseelte Background-Sängerinnen: Maria Blom, Isabella Lundgren und Iain Patience arbeitete früher als Journalist f ü r Ta g e s z e i t u n g e n i n Großbritannien. Nach Jahren in Schweden lebt er mittlerweile in Frankreich und schreibt von dort aus unter Rezensionen und Artikel anderem für „Blues Matters“, „Blues in Britain“, „Autrement Blues“ und „Blues & Co Magazine“ (Frankreich). MUSIK 59 n o i s s i M r e h c s i l a k i s u M f Au Wasser-Prawda | Juni 2014 60 MUSIK TEIL 2: FROM HIVE TO LIVE VON DARREN WEALE DER ERSTE TEIL DIESES FEATURES ERZÄHLTE VOM EINFLUSS DER BLUES BROTHERS AUF MUSIK UND MUSIKER ÜBER ALL DIE JAHRE. UND ES BERÜHRTE AUCH DIE FRAGE, WIE DER BLUES ZU DAN „ELWOOD BLUES“ AYKROYD UND JOHN „JOLIET JAKE BLUES“ BELUSHI GEKOMMEN IST. JETZT WENDEN WIR UNS DER ENTWICKLUNG DES ACTS VON SEINEN FRÜHESTEN TAGEN BIS ZUM ERSTEN AUFTRETEN AUF DER GROSSEN BÜHNE ZU. Im Jahr 1975 trafen sich der Kanadier Aykroyd und der Chicagoer Belushi in einer illegalen Nachtkneipe, die von Aykroyd geführt wurde. Belushi gehörte zur Besetzung einer neuen Comedy Sketch Show von NBC Televions, Saturday Night Live. Belushi heuerte Aykroyd für die Show an. Und dann, so erzählt es Aykroyd, kam man auf die Geschichte mit den Blues Brothers. „Alles nur, weil wir uns in einer Bar in Toronto trafen… Wir hörten Downchild und sagten zueinander: Wenn Du Harp spielen kannst und Du singen kannst, dann sollten wir was draus machen.“1 Der Posaunist der Blues Brothers, Tom „Bones“ Malone ergänzt die Geschichte: „Ich will Dir erzählen, wie die Blues Brother begannen. In den alten Tagen lief Saturday Night Live drei Wochen und machte dann eine Woche Pause. Im Frühjahr 78 fuhren John und Danny nach San Francisisco und hingen mit Curtis Salgado rum. Der war damals Harmonikaspieler in der Robert Cray Band. Danny kannte den Blues, aber John war eine Rock & Roll-Schlagzeuger ohne Kenntnisse vom Blues. Sie blieben die ganze Nacht auf und hörten Bluesplatten. Auf dem Flug zurück von San Francisco nach New York, sprachen sie über den neuen Act, zwei Waisenkinder, echte Tunichtgute, die Anzüge in der gleichen Größe trugen. So war ein Anzug zu groß, der andere zu klein. Howard Shore bestellte mich für ein Uhr in sein Büro. Und der brachte den Namen The Blues Brothers ins Gespräch.“ Belushi fand Salgados Enthusiasmus ansteckend. In einem Interview mit dem Eugene Register-Guard in jenen Tagen sagte er: „Vom Rock&Roll wurde ich krank, er begann mich zu langweilen … und ich hasste Disco. So brauchte ich einen Ort, wo ich hingehen konnte. Ich hatte vorher nicht viel Blues gehört. Er fühlte sich 1 If you want to read this series in English, you’ve got to buy Blues Matters Magazine. Wasser-Prawda | Juni 2014 MUSIK 61 ALAN RUBIN, DONALD „DUCK“ DUNN, STEVE JORDAN (DR), STEVE CROPPER (G), TOM SCOTT (SAX): EINIGE MUSIKER AUS DER „URBESETZUNG“ DER BLUES BROTHERS Wasser-Prawda | Juni 2014 62 MUSIK gut an.“ Judith Belushi erinnert sich daran, Curtis Salgado getroffen zu haben, als ihr Mann gerade National Lampoons Animal House („Ich glaub‘, mich tritt ein Pferd“) drehte. „Wenn John in Oregon war und grad nicht drehte, musste er sich unauffällig verhalten. Da kam Curtis vorbei mit Stapeln von Schallplatten, so als sei er ein Professor. Damals erhielt er seine Ausbildung. Sie sprachen über Texte und Songs. John hatte sich schon vorher für Chuck Berry, Fats Domino und Jerry Lee Lewis, für Johnny Winter und Cream interessiert. Doch bis zu diesem Unterricht wusste er nicht, dass ihre Wurzeln im Blues waren.“ Curtis Salgado war Zeuge dafür, wohin seine Erziehungsarbeit führen sollte. „Einmal zeigt er [John Belushi] mir seine Faust. Auf den Knöcheln steht das Wort Jake. Er fragt: Was hältst Du von dem Namen Jake? Wir machen einen Sketch und werden ihn The Blues Brothers nennen. Bis dahin hatte ich Dan noch nicht getroffen oder kennengelernt. Er sollte Elwood genannt werden. John fragte: Was denkst Du darüber? Ich bin Musikwissenschaftler. Ich meinte: Cool.“ Belushi begann, mit Salgado auf der Bühne zu erscheinen. Salgado war aber geschockt, als er merkte, dass Belushi seine berühmte Jock Cocker Parodie machte, als er sang. Er stieß Belushi heftig in die Seite: er solle gefällgst er selbst sein. Auch wenn die Blues Brothers schon im Januar 1976 bei Saturday Night Live zu sehen waren, wie sie in BienenKostümen ihre Version von „King Wasser-Prawda | Juni 2014 Be“ zum Besten gaben, dauerte es bis zum April 1977, dass sie ihren ersten Fernsehauftritt unter dem Namen The Blues Brothers hatten. Sie sangen „Hey Bartender“ und wurden über Nacht zur Sensation. Und damit standen sie vor der Notwendigkeit, ihre eigene Band zusammen zu stellen, um nicht immer nur mit der Hausband von Saturday Night Live auftreten zu können. Die Band hätte komplett anders sein können, als sie später wurde, aber das verhinderten John Belushi und eine Dose Bier. Curtis Salgado führt die Geschiche fort: „John Belushi meinte: Wir haben Roomful of Blues als die Band. Aber Duke Robillard ist sauer auf mich. Wir waren im Lone Star und wollten den Leuten das komplette Blues Brothers Programm bieten. Es fiel durch, weil ich auf die Bühne ging, eine Bierdose schüttelte und das Publikum besprühte. Da es in New York war, spritzten die Zuschauer zurück und Instrumente und Band bekamen Bier und Schaum ab. Duke sagte: Verschwindet von der Bühne. Wir machen das nicht.“ Duke hat die Geschichte inzwischen bestätigt, er meint, sie sei wahr. Und er mag kein Bier auf seiner Gitarre. Stattdessen begannen Belushi und Aykroyd die Band mit Leuten aus der Saturday Night Live Hausband zusammen zu stellen. So kamen Tom Malone an der Posaune, Lou Marina am Saxophon. Trompeter Paul Rubin, Keyboarder Paul Shaffer und Schlagzeuger Steve Jordan hinzu. Steve Jordan freute sich riesig: „All diese Schlagzeuger wollten in einer Band mit John sein. Aber John sagte: Nein, vielleicht kennt ihr ihn noch nicht, aber Ihr werdet ihn kennenlernen. John war hart wie Diamant bei der Entscheidung, dass ich ihr Schlagzeuger sein würde. John hatte mich ausgewählt, und damit hatte es sich. Besonders ich wollte ihn daher nicht hängenlassen und die Art von Musik spielen, die ich so sehr liebe.“ Judith Belushi erinnert sich, wie Bluessänger und Songwriter Jerome Solon Felder alias Doc Pomus, John half, die Band weiter zu ergänzen. „Er war von einem Nachtclubmanager Doc Pomus vorgestellt worden. Nach dem ersten Auftritt bei Saturda Night Live begann er, die Band zusammen zu stellen. Pomus schlug Matt Murphy, Steve Cropper und Duck Dunn vor. Er hatte einen großen Einfluss auf die Auswahl. Wir haben viel Zeit damit verbracht, andere Musiker zu hören, doch John mochte Cropper und Dunn sofort, sie hatten bei Songs mitgespielt, mit denen er aufgewachsen war. Er sagt: Ich hab sie mein ganzes Leben geliebt.“ Matt Murphy war amüsiert, als wir vorschlugen, dass er, der schon mit zahlreichen Bluesgrößen wie Howlin Wolf und Memphis Slim gespielt hatte, neben den anderen Bandmitgliedern Mr. Blues sein sollte. „Natürlich, ich war einer von den Jungs, die den Blues spielten, und wir spielten Sweet Home Chicago. Das hatte ich schon gespielt, seit ich ein Kind war. Sweet Home Chicago war einer, den ich vorschlug, und wir spielten den und auch eine Nummer von Junior Wells, Messin With The Kid. Das war eine Idee von Dan Aykroyd und MUSIK John. Sie arbeiteten zusammen und dachten es sei eine nette Nummer, das dachte ich auch. Der eine, von dem sie wirklich wollten, dass ich ihn spiele, war Shotgun Blues. Ich brauchte überhaupt nichts zu tun, um ein Bluesfeeling hinzuzufügen, dies Typen kennen sich mit dem Blues aus. Sie mögen nicht mein Feeling haben, aber sie haben ihr eigenes und spielten gut. Wie Blue Loh und Alan Rubin, als Absolvent der Julliard School of Music war er absolute Höchstklasse, er kommt von einem der besten Plätze, wo man sein kann.“ Diese Band war auch für Steve Croppe und Donald Dunn ein Aufbruch, wie sich Steve erinnert: „Ohne die Blues Brothers wäre ich nicht losgezogen, um mit Musikern aus New York zu spielen. Ich kannte einige, aber in den frühen 60ern spielten New Yorker Musiker mehr Jazz als R & Blues, auch wenn sie exzellente Spieler waren. Wir kannten den Blues, aber wir waren mit dem Blues in der Art verbunden, dass wir ihn kommerziell machten. In diesen Tagen verkaufte sich der Blues nicht gut. Ich weiß das, weil ich in einem Plattenladen arbeitete. Die Realität des alten Blues war, dass er sich nicht gut verkaufte. Wir arbeiteten mit Albert King und machten ihn fröhlich und tanzbar, unten bei Stax hatten wir eine gute Zeit. Duck und ich steckten eine Menge dieser Energie in Stax, und es funktioniert für Johnny Taylor und Albert King. Es brachte Albert King auf die Landkarte, und als er seine ersten Tantiemen erhielt, bekam er einen Schock, als er den Scheck bekam.“ Mit Matt Murphy und Steve Cropper an den Gitarren und Duck Dunn am Bass, fehlte nur noch in der Horn Section das letzte Mitglied. Tom Malone erinnert sich: „Das erste Konzert war der Opener für Steve Martin in der Carnegie Hall im April 1978. Im September, nachdem der Plattenvertrag unterzeichnet war, probten wir in New York und Los Angeles. ‚Briefcase Full of Blues‘ entstand bei unserem open air Auftritt. John hatte zugestimmt, dass ich unser Arrangeur für die Bläser sein sollte, aber ich konnte nicht nach LA kommen, bis meine Tochter geboren war. Ihr Termin war der erste September und unsere Proben waren angesetzt von Ende August bis zum 1. September. Das Baby kam später, und die Band flog am 4. September nach LA, so fragte ich Tom Scott, für mich einzuspringen. Die Konzerte sollten am 9. September im Universal Amphitheater beginnen, und noch immer war das Baby noch nicht da. Ich saß in meinem Haus und dachte: Wir sollten vier Bläser haben. Meine Tochter wurde am 12. September geboren, wir bekamen einen Babysitter und die Eltern meiner Frau halfen, ich nahme ein Flugzeug nach LA, John hatte ein Auto auf mich warten lassen, das mich zum Universal Amphitheater brachte. Als ich hinkam, erzählte ich John meinen Plan: Lass uns mit vier Bläsern spielen. Und so wurde Tom Scott ständiges Bandmitglied.“ Die Show s i m Un i ver s a l Amphitheater waren etwas ganz besonders für die Band: Steve Jordan allerdings war nicht beeindruckt von 63 den ersten Drums, die man ihm hingestellt hatte. „Vor der Show sehe ich die Drums. Ich hatte ein Endorsement von Gretsch, wurde aber zu einem Yamaha-Künstler. Gretsch hatten alle meine Helden gespielt: Tony Williams, Alvin Jones, mein Mentor Freddy Waits, Charlie Watts. Alle hatten darauf gespielt außer Ringo Starr. Die meisten Jazzer spielten sie. Mein Traum wurde wahr. Gretsch war in den späten 70ern auf einem schlechten Weg. Ich rief bei der Firma, Leeds Musci in LA an. Ich war ja nur ein Kid, der auf paar Platten gespielt hatte und in der Saturday Night Live Band spielte und sich langsam einen Ruf aufbaute. Ich rief an, sagte: Ich spiele im Universal Amphitheater mit den Blues Brothers - keiner wusste davon, sie waren nicht wirklich interessiert. Die Drums, die für den Soundcheck dagelassen worden waren, waren eingerissen und gebrochen. Und alle hatten sie die falsche Größe. Es war beleidigend. Ich hatte spezielle Größen und einen besondern Sound im Sinn. Was ich bei dem Soundcheck sah, entsprach nicht dem, was ich in meinen Träumen gesehen hatte. Duck und Cropper lebten in LA, und Willie Hall [ihr Drummer bei Stax] hatte einen Endorsement von Yamaha Drums. Sein neues Set war nach LA statt nach Memphis geschickt worden, weil dort der Zoll war. Duck hatte Willie‘s Schlagzeug. Yamaha gab seinen Künstler nicht nur ein Instrument von allen, sondern ein Mega-Set mit beispielsweise acht Bass-Drums, HighHats, … ein großes Drum-Kit, das Wasser-Prawda | Juni 2014 64 MUSIK und lachte. Dadurch mochte ich ihn noch viel lieber.“ The Blues Brothers waren dabei, sich bei noch viel mehr Menschen beliebt zu machen mit dem ersten Blues Brothers Film. Das Album von den Shows „Briefcase Full of Blues“ war ein Smash Hit. John Belushis Film „Ich glaub mich küsst ein Pferd“ war ein Bestseller. So schien ein Blues Brothers Film der natürliche nächste Schritt. Die Story dieses Films erscheint in der nächsten Ausgabe der Wasser-Prawda. man komplett nutzen oder in kleinere Sets zerlegt werden konnte, je nachdem, was man wollte. Duck rief also Willie an und fragte ihn, ob er so nett wäre, mich seine Drums benutzen zu lassen, bevor er drauf gespielt habe. Sie waren wunderbar, fantastisch, unglaublich. Sie hatten die Sensibilität eines alten Schlagzeugs, waren aber moderne Produkte. Sie waren einfach großartig. Sechs Monate später sagte John, als er nach Japan gefahren sei, habe er in einem Musikladen ein gigantisches Poster gesehen, wo ich auf Yamaha-Drums spielte. Ich dankte Willie ein paar Jahre später und tue es immer noch.“ Lou Marini wusste, dass die Band eine aufregende Kombination ergeben würde. „Am dritten Tage der Proben in New York wussten wir, dass das ziemlich gut klang. De Niro und Meryl Streep und Wasser-Prawda | Juni 2014 Cher und Bette Midler waren in LA backstage, es war schnell klar, dass wir hier etwas ganz besonderes auf die Beine gestellt hatten. Überall waren sehr starke Persönlichkeiten. Steve Cropper etwa, ein „good old boy“ aus dem Süden, missverstand häufig Alan Rubin, da flogen dann die Funken.“ Wie Steve Jordan liebte auch Judith Belushi diese Show: „Mein Lieblingsmoment war in der ersten Nacht im Universal Amphitheater. Ich war hinter ihnen, ein wenig tiefer und sah ihre Silhouetten, als sie ins Licht auf der Bühne kamen. Draußen waren Jagger und all diese Leute, das war LA, und als ich all diese Reaktionen sah, dachte ich: Wow, sie machen es wirklich! In Momenten wie diesen war John so aufgeregt und glücklich, dass er aus der Rolle viel und ein wenig kicherte Biografie 65 BIG B I L L B R O O N Z Y (1 893-1958 ) VON RAIMUND NITZSCHE Wasser-Prawda | Juni 2014 66 Biografie Jahre: Vor der Weltwirtschaftskrise war Broonzy allein mit seiner Gitarre ZU DEN GROSSEN STARS DES aufgetreten, ehe er dann zwei Jahre praktisch in der Versenkung verCHICAGO-BLUES VOR DEM 2. schwand. Als er 1934 zur Szene zurückkehrte, passte er sich dem WELTKRIEG. ER VOLLZOG DIE vorherrschenden Geschmack an und ließ sich von einem Pianisten WANDLUNG VOM COUNTRYund einem Bassisten begleiten. HIN ZUM CITY-BLUES. Ende der 30er Jahre bestanden seine Die Arbeits- und Obdachlosen Begleitbands bereits aus einer 4- bis und die bankrotten Börsenmakler, 5-Mann-Besetzung. Gemeinsam die sich in ihrer Verzweif lung mit seinem Halbbruder ”Washboard aus den Fenstern der New Yorker Sam“ gehört er zu den größten Stars Börse gestürzt haben sollen, waren des Blues in Chicago der dreißiger nicht die einzigen Opfer der und vierziger Jahre. Weltwirtschaftskrise. Um 1933 hätte man auch dem Country Blues fast Geboren wurde Big Bill Broonzy am 26.6. 1893 in Scott, Mississippi, ein Grabmal errichten können. in ärmlichen Verhä ltnissen; Als sich die Schallplattenindustrie seine Eltern waren noch Sklaven Mitte der 30er Jahre wirtschaftlich zu gewesen. Er wuchs in Arkansas auf, sanieren begann und ihr Augenmerk wo er auf einer selbst gebastelten wieder auf den Blues richtete, war Zigarrenkisten-Violine seine ersten sie nicht mehr an dieser Form inter- musikalischen Versuche unternahm. essiert. Der singende, sich selbst auf Er verließ den Süden und ging der Gitarre begleitende Bluesman 1920 nach Chicago mit dem festen war out und nur noch selten ein Vorsatz, dort alles zu erreichen, willkommener Studiogast. Gefragt was der weiße Mann hatte: Geld, war nun ein lauterer und tanzba- Garderobe, großes Auto. Er hat es rerer Sound. Für viele große Blues- geschaff t. Mit vierundreißig Jahren Interpreten der 20er Jahre bedeutete gelang ihm 1927 die erste, 1928 veröffentlichte, Schallplattenaufnahme. dies das Ende ihrer Karriere. Bis 1957 hat er dann unter verschieWer damals die Erfolgsleiter des denen Namen und auf den verschieBlues erklomm, wie Big Bill Broonzy, densten Labels mehr Platten eingeMemphis Minnie, Roosevelt Sykes spielt als jeder andere Bluesmusiker und Lonnie Johnson, hatte sich der seiner Generation. Und auch dem neuen Stilrichtung angepasst und weißen Publikum wurde Broonzy nahm es als gegeben hin, dass Platten durch sein Mitwirken in John zusammen mit Begleitmusikern ein- Hammonds Konzerten ”Spirituals To Swing“ 1938 und 1939 in der gespielt wurden. New Yorker Carnegie Hall bekannt. Nehmen wir z.B. die Karriere von Big Bill Broonzy, einem Star der 20er Ende der vierziger Jahre schwand BIG BILL BROONZY GEHÖRTE Wasser-Prawda | Juni 2014 Broonzys Popularität. Er arbeitete nun als Portier am Iowa State College und trat nur gelegentlich auf. Er schloss sich mehr und mehr weißen Folksong-Leuten um Woody Guthrie und Pete Seeger an. Einerseits führte das zur Verstärkung sozialkritischer Züge in seinen Liedern: Beispiele sind Lieder gegen die Rassendiskriminierung wie ”When Will I Get To Be Called A Man“ oder ”Black, Brown And White“. Andererseits kehrte sich Broonzy von seinem ursprünglichen schwarzen Publikum ab und sang jetzt vorwiegend für einen Kreis weißer Enthusiasten, was zur Stilisierung und Glättung seiner Vortragsweise führte. Bei seinen Tourneen durch England in den 50ern wurde er als letzter echter Bluesman angekündigt. Mit diesen Konzerten machte er als einer der ersten damit den Blues auch in Europa bekannt. Dann kam 1958 das tragische Ende. Wegen eines Kehlkopfkrebses musste sich Broonzy operieren lassen, wodurch er seine Stimme verlor. Der britische Jazz-Musiker Chris Barber und andere veranstalteten ein Konzert in London, dessen Erlös eine Operation ermöglichen sollte. Das Konzert erbrachte 500 Pfund, aber das Geld kam zu spät. Am 14.8. 1958 starb Big Bill Broonzy auf dem Weg zum Krankenhaus in einem Ambulanzwagen. B L U E S K A L E N D E R 67 BLUESKALENDER 1919: 1947: 1948: 1952: 1960: 1. Juni Lafayette Leake * Ron Wood * Sonny Boy Williamson I + Karl Valta * Jay Jesse Johnson * 2. Juni Sonny Boy Williamson I. 1941: Charlie Watts * 2008: Bo Diddley + 3. Juni 1897: 1916: 1924: 2009: Memphis Minnie * Buster Pickens * Jimmy Rogers * Koko Taylor + 4. Juni 1957: Tinsley Ellis * 1966: Fred Chapellier * 1980: Coy „Hot Shot“ Love * 5. Juni 1944: Adolphus Bell * 1977: Sleepy John Estes + Memphis Minnie 1936: 1942: 1954: 1979: 1964: 1997: 2012: 1946: 1968: Meade Lux Lewis 6. Juni Raful Neal * Larry „The Mole“ Taylor * Sugar Ray Norcia * Matěj Ptaszek * 7. Juni Meade Lux Lewis + Arthur Prysock + Bob Welch + 8. Juni James Harman * Buble Bee Slim + 68 BLUESKALENDER 1972: 1979: 2007: 2011: Jimmy Rushing + Derek Trucks * Nellie Lutcher + Alan Rubin + 1902: 1927: 1929: 1934: 1941: 1949: 1953: Skip James * CeDell Davis * Johnny Ace * Jackie Wilson * Jon Lord * Billy C. Farlow * Fruteland Jackson * 9. Juni Derek Trucks 10. Juni 1910: Howlin Wolf (Chester Burnett) * 1965: Michael „Dr. Mike“ James * 2004: Ray Charles + 11. Juni 1931: 1949: 1954: 1959: J.B. Hutto Bonnie Lee * Frank Lee Beard * Johnny Neel * Hugh Laurie * 12. Juni 1932: Mae Mercer * 1977: Kenny Wayne Shepherd * 1983: J.B. Hutto + 13. Juni 1942: Bob Hall * 1972: Clyde McPhatter + 1983: John Campbell + 14. Juni 1941: „Blues Queen“ Sylivia Embry * Wynonie Harris B L U E S K A L E N D E R 69 1969: Wynonie Harris + 1995: Rory Gallagher + 15. Juni 1938: Aron Burton * 1999: Grace Brim + 2001: Joe Carter + 16. Juni 1970: Lonnie Johnson + Lonnie Johnson 17. Juni 1962: Julien Kasper * 1884: 1930: 1938: 1983: 18. Juni Sara Martin * Jerry McCain * Don „Sugarcane“ Harris * Luther Tucker + 19. Juni Lazy Lester 1956: Big Bill Morganfield * 20. Juni 1933: Lazy Lester * 1956: Killer Ray Allison * 21. Juni 1941: Johnny „Yard Dog“ Jones * 1982: Frank Hovington + 2001: John Lee Hooker + Helen Humes 70 BLUESKALENDER 22. Juni 1919: Ella Johnson * 1921: J.W. Warren * 1959: Mario Bollinger * 23. Juni 1913: Helen Humes * 2013: Little Willie Littlefield + 2013: Bobby „Blue“ Bland + 24. Juni 1944: Jeff Beck * 1947: Mick Fleetwood * 25. Juni Bobby „Blue“ Bland 1925: 1937: 1948: 1985: Clifton Chenier * Eddie Floyd * Peggy Scott Adams * Pee Wee Crayton + 1893: 1942: 1993: 2006: Big Bill Broonzy * Larry Taylor * James „Son“ Tomas + Johnny Jenkins + 26. Juni 27. Juni 1927: Johnny „Big Moose“ Walker * Big Bill Broonzy 28. Juni 1915: David „Honeyboy“ Edwards * 29. Juni 1978: Joke Boy Bonner + 1987: Elizabeth Cotten + 30. Juni 1892: Bo Carter * 1936: Dave Van Ronk * 1942: Klaus Renft * Elizabeth Cotten B L U E S K A L E N D E R 71 1. Juli 1899: 1915: 1935: 1946: 1977: Thomas A. Dorsey * Willie Dixon * James Cotton * Paul „Wine“ Jones * Baby Boy Warren + 2. Juli 1952: Gene Taylor * 1982: DeFord Bailey + 1988: Eddie „Cleanhead“ Vinson + Thomas A Dorsey 3. Juli Brian Jones 1940: 1947: 1952: 1969: 1969: 1971: 1972: 1997: Fontella Bass * Top Topham * Andy Fraser * Annie Raines * Brian Jones + Jim Morrison + Fred McDowell + Johnny Copeland + 1910: 1943: 1948: 1965: 1966: 4. Juli Champion Jack Dupree * Al Wilson * Jeremy Spencer * Jimmy D. Lane * Dudley Taft * 5. Juli 1913: Smiley Lewis * 1953: Kenny Brown * 6. Juli 1944: 1971: 1992: 2002: Louis Armstrong Joey Gilmore * Louis Armstrong + Rachelle Plas * Jimmie Lee Robinson + 72 BLUESKALENDER 7. Juli 1913: Pinetop Perkins * 1967: Jackie Neal * 8. Juli 1908: 1924: 1934: 1937: 1952: Louis Jordan * Johnnie Johnson * Henry Qualls * Arthur Williams * Larry Garner * 1915: 1949: 1955: 1991: Joe Liggins * Waldemar Weiz * Paul Lamb * Willie Nix + 1907: 1939: 1941: 1958: Blind Boy Fuller * Mavis Staples * Jelly Roll Morton + Barrelhouse Chuck * 9. Juli Pinetop Perkins 10. Juli 11. Juli 1926: Joe Houston * 1947: Francine Reed * 2002: Rosco Gordon + 13. Juli Paul Lamb 1931: Long John Hunter * 2013: Eddie Boyd + 14. Juli 1988: Fred Below + 15. Juli 1910: 1932: 1956: 1977: 1980: Washboard Sam Washboard Sam * Willie Cobbs * Joe Satriani * Big John Wrencher + JW Jones * B L U E S K A L E N D E R 73 16. Juli 1939: Denise LaSalle * 2012: Jon Lord + 2013: T-Model Ford + 17. Juli Denise LaSalle 1893: 1947: 1955: 1959: 1983: 2006: 2007: Coot Grant * Abraham „Abe“ Laboriel * Janice Scroggins * Billie Holiday + Roosevelt Sykes + Sam Myers + Bill Perry + 18. Juli 1929: Screamin Jay Hawkins * 1941: Lonnie Mack * 19. Juli 1932: 1940: 1948: 1964: Buster Benton * Little Freddie King * Jürgen Kerth * Timo Gross * 20. Juli Screamin Jay Hawkins 1924: Grace Brim * 1952: Steve Freund * 1998: Golden „Big“ Wheeler + 21. Juli 1917: Floyd Jones 2005: Long John Baldry + 22. Juli 2004: Illinois Jacquet + 2006: Jessie Mae Hemphill + 2010: Phillip Walker + 23. Juli 1942: Linsey Alexander * 1943: Tony Joe White * 1993: Smokey Smothers + 24. Juli 1909: Washboard Willie * Floyd Jones 74 BLUESKALENDER 1897: 1915: 1943: 1984: 1985: 25. Juli Sylvester Weaver * Gene Phillips * Jim McCarty * Big Mama Thornton + Willie Perryman (Piano Red) + 1917: 1950: 1987: 2006: 2013: Alberta Adams * Papa Charlie McCoy + Joe Liggins + Floyd Dixon + J.J. Cale + 26. Juli Big Mama Thornton 27. Juli 1945: James Beck „Jim“ Gordon * 1974: Lightnin‘ Slim + 28. Juli 1930: Junior Kimbrough * 1931: Guitar Crusher * 1943: Michael Bloomfield * 29. Juli 1943: Mick Jagger * 1959: Steve „West“ Weston * 2007: Jimmy Nelson + 30. Juli Junior Kimbrough 1936: 1940: 1945: 1948: 1957: Buddy Guy * Bick Jack Johnson * David Sanborn * Otis Taylor * Michael Burks * 1907: 1931: 1951: 1964: 1989: Roy Milton * Kenny Burrell * Howard Levy * Joja Wendt * Bull Moose Jackson + 31. Juli Big Jack Johnson A L B U M D E S M O N A T S 75 WALT E R T R O U T - TH E B LUE S C AM E CA L L I N ‘ ALBUM DES MONATS JUNI 2014 Vorbemerkung: Als ich diese Rezension schrieb, war die Un g e w i s s h e i t n o c h g r o ß . Inzwischen hat Walter Trout eine neue Leber bekommen. Und nach den Nachrichten seiner Frau Marie scheint er sich gut von dieser Operation zu erholen. Diese Nachrichten machten schnell die Runde im Netz und machten deutlich, wie wichtig vielen Menschen Walter Trout als Musiker und Mensch ist. So eine Anteilnahme ist überwältigend. Als Alan Nimmo Walter Trout seine Version von „Old Love“ beim Bluesfest in Eutin widmete, da rührte er mit einem umwerfenden Solo zu Tränen: Überall auf der Welt sind Bluesfans und Musikerkollegen in banger Erwartung, ob Trout rechtzeitig eine Spenderleber bekommen und seine schwere Krankheit überwinden kann. Doch er selbst zeigt mit seinem neuen Album, wie viel Power noch immer in ihm steckt und dass er so einfach nicht aufgeben wird. Als ich erstmals die Gitarre von Walter Trout hörte, war das auf einem Live-Album von John Mayall, aufgenommen in den 80ern irgendwo in Westdeutschland. AMIGA hatte die Scheibe als Teil ihrer großartigen „Blues Collection“ auch im Osten veröffentlicht. Damals gehörten die Gitarren von Trout und Coco Montoya zum Sound der Blues Breakers und zogen mich in ihren Bann. Später stieß ich dann auf Samplern auf Solo-Aufnahmen Trouts und war weniger begeistert. Für mich war das zu laut, zu deftig und zu rockig. Erst mit Alben wie „Blues For The Modern Daze“ oder sein grandioses Tribut-Album für Luther Allison entdeckte ich, wie großartig er als Gitarrist und auch als Songwriter eigentlich ist.Und jetzt geht sein Album gleich mit einem Hammer los: „Wasting Away“ ist eine Kampfansage. Auch wenn der Körper verfällt - Trout kämpft weiter. Auch in dem düsteren „The Bottom Of The River“ wird das deutlich: am Grunde des Flusses, im Angesicht des Todes findet der Mann in der erzählten Geschichte die Kraft, um zum letzten Mal weiter zu kämpfen um das Leben mit all seinen Schönheiten. Einer der prägendsten Gäste auf dem Album ist John Mayall. Nicht nur hat er mit dem Instrumental „Mayall‘s Piano Boogie“ ein eigenes Stück mit ins Studio gebracht. Vor allem beim Titelsong spielt er die Hammond mit der Vehemenz eines Gospelorganisten und liefert damit die entscheidende Zutat, um aus dem Lied eine herausragende Nummer zu machen. Am Ende der CD dann noch ein berührend schönes Liebeslied: „Nobody Moves Me Like You Do“ hat Walter Trout seiner Frau Marie gewidmet, die ihm all die Jahre und jetzt besonders - zur Seite steht und ihm Kraft gibt. Schöner kann man solch ein Album eigentlich kaum beenden. Ganz ohne Krankeits- oder sonstige Bonuspunkte: „The Blues Came Callin“ ist das Beste, was Walter Trout in den letzten Jahren veröffentlicht hat. So ehrlich, persönlich und voller Kraft sollten eigentlich alle Bluesalben sein! (Provogue) Raimund Nitzsche Wasser-Prawda | Juni 2014 76 P L AT T E N DIE REDAKTION EMPFIEHLT JUNI 2015 THE BLACK SORROWS - CERTIFIED BLUE Dieses Album ist wie eine großartig bestückte Jukebox: „Certified Blue“, ist eine Sammlung großartiger Songs, an denen Fans von Blues, Rock & Roll, Country, Gospel und Soul gleichermaßen ihre Freude haben dürften. In Australien gehören sie seit den 80ern zu den bekanntesten Bands. 17. Album der Gruppe um Songwriter Joe Camilleri. GREYHOUND GEORGE - CLEANING UP Es sind Lieder, vom emotionalen Aufräumen nach dem Ende einer Beziehung, vom Neuanfang und der Selbstbesinnung, die der Songwriter und Gitarrist gemeinsam mit Bluesharpspieler Andy Grünert live im Studio eingespielt hat. Selbst die Bluesklassiker sind passend zum Thema ausgewählt Akustikblues von einem der besten Storyteller in der deutschen Szene. DAVID MICHAEL MILLER - POISONS SIPPED „Poisons Sipped“ ist ein Album zwischen Soulblues und Kirche geworden, mit Liedern, die dazu gedacht sind, den Hörern Kraft für ihren eigenen Kampf durchs Leben zu schenken. Wasser-Prawda | Juni 2014 Soulblues trifft auf Sacred Steele-Gitarren P L AT T E N JANIVA MAGNESS - ORIGINAL Ein Neuanfang für die vielfache BluesAwards-Trägerin: Auf “Original“ zeigt sich Janiva Magness erstmals fast nur mit eigenen Songs zwischen Blues, Soul und Rock. B.B. & THE BLUES SHACKS BUSINESSMEN B.B. & The Blues Shacks haben in den mehr als zwei Jahrzehnten ihres Bestehens einen Sound gefunden, der vollkommen ihr eigener ist: elegant swingend, ab und zu von der Bluesharp aufgerauht oder von stürmischen Gitarrenlinien vorangetrieben kommen die Songs daher auf dieser Scheibe. HOT DOG TAYLOR - BACK IN BUSINESS Juke Joint Blues im Gefolge von Hound Dog Taylor und Elmore James spielt das schwedische Quartett auf seinem aktuellen Album. THE IMPELLERS - MY CERTAINITY Auch auf ihrem zweiten Album machen die Impellers aus dem britischen Brighton deutlich, wie man heute Funk spielen sollte: Rauh, dreckig und direkt. 77 Stark und verletzlich: Janiva Magness ist zu Recht eine der am meisten geehrten Sängerinnen des Blues. Wer Musiker wie James Hunter oder „Paperboy“ Reed mag, kommt hieran nicht vorbei! Mit dieser Musik bringt man jede Kneipe zum Kochen. Die Zutaten: Latin-Soul, ein wenig Plastik-Funk a la Prince, jede Menge Frauenpower und eine groovende Band. Wasser-Prawda | Juni 2014 78 P L AT T E N REZENSIO NEN A BIS Z A 82 Morrissey - Vauxhall And I 100 Alex Usai Blues Band - Blues Tale 79 G P Golly - Nur Einmal 83 Planet Full of Blues - Hard Landing 90 B B.B. & The Blues Shacks Businessmen 79 Blind Lemon Pledge - Evangeline 96 Boogie Boys - Hey You! 97 GravelRoad - The Bloody Scalp Of Burt Merlin 83 Greyhound George - Cleaning Up 84 H R Rad Gumbo meets John Lee Sanders - New Orleans Blues and Zydeco 90 Ray Charles - King Of Cool. The Genius of Ray Charles 101 C Hanneke Cassel - Dot the Dragon‘s Eyes 84 Carolyn Fe Blues Collective - Bad Taboo 80 Hot Dog Taylor - Back In Business 85 Cold Truth - Grindstone (EP) 96 J D Jack White - Lazaretto 85 S Dave Fields - All In 80 Janiva Magness - Original 85 Selwyn Birchwood - Don‘t Call No Ambulance 92 David Michael Miller - Poisons Sipped 96 Jarekus Singleton - Refuse To Loose 86 Steve Hill - Solo Recordings Volume 2 93 Debbie Bond & The Trudats - That Thing Called Love 81 JariBu Afrobeat Arkestra - JariBu 86 T John Mayall - A Special Life 87 The Black Sorrows - Certified Blue 93 Deep Purple - In Concert `72 97 Deep Purple - Made In Japan (5 CD Deluxe Edition) 98 E Eb Davis - The Gospel of the Blues 98 Eddie Martin - Blues Took My By The Hand. 82 Johnny Oskam - Soul Search 87 K Keb‘ Mo‘ - BLUESAmericana 88 L Laura Holland Band - Smokehouse Sessions 89 Led Zeppelin I - III 99 Eli Cook - Primitive Son 96 Lee Palmer - 60 Clicks 96 F Lenis Guess - The Story of 100 frÄnk & HoBo - Live im Billepalast M Wasser-Prawda | Juni 2014 Richie Arndt - At the end of the day 91 Robert Cray Band - In My Soul 92 The Freak Fandango Orchestra Wild Goats and Useless Heroes 94 The Impellers feat. Clair Witcher My Certainity 95 V Various - Dynamite R & B 101 Z ZZ Top - The Very Baddest of 102 P L AT T E N Schwächen hat das Album vor allem in den langsameren Songs. Die sind meiner Meinung nach zu seicht geraten („I‘m Not Wide Awake“). Und auch die Version von „All You Need Is Love“ wird bei ihnen schlichtweg traurig. Ansonsten: Wieder mal ein schönes Bluesalbum aus Italien für diejenigen, denen Genre-Grenzen egal sind. Raimund Nitzsche Alex Usai Blues Band - Blues Tale Aus Mailand stammt die 2008 gegründete Alex Usai Blues Band. Mit „Blues Tale“ ist jetzt das erste Album des Quartetts um den ansonsten eher im Jazz bekannten Gitarristen erschienen. Es geht ganz traditionell swingend los: „Blues Tale“, Opener und Titelsong ist anfangs ein schön swingender Shuffle. Doch bei den Soloeinlagen wird schnell klar: Hier sind ausgewiesene Jazzmusiker zu hören, die gerne mal die Grenzen der Bluesharmonik verlassen, wenn sie es für nötig halten. Und sie sind gut darin! Willkommen in der Welt des sogenannten „contemporary blues“: Klassische Shuffle treffen auf FunkJazz und Verweise auf Rockmusik und Fusion der 70er. Der 1983 geborene Alex Usai kann zwar auch traditionelle Blueslinien spielen, doch richtig dreht er dann auf, wenn der Blues mehr nach funkigem Jazzrock klingt („Follow Me“). Und auch Keayboarder Alberto Gurrisi, Ivo Barbieri am Bass und Schlagzeuger Martino Malacrida leben dann gehörig auf. B.B. & The Blues Shacks Businessmen Zwei Jahre nach „Come Along“ bringen B.B. & The Blues Shacks ihr nächstes Studioalbum auf den Markt. Passend zum Sommerbeginn ist auch „Businessmen“ wieder eine Scheibe im typischen BandUniversum zwischen Soul & Blues, verstärkt durch fette Bläser und Backgroundsängerinnen. Bin ich in meiner Vorliebe für Retro-Sounds gefangen? Immer häufiger ertappe ich mich dabei, gezielt nach Alben zu greifen, deren Musik eindeutig in Jahrzehnten vor meiner Geburt beheimatet ist: Vom Ragtime über Swing bis hin zu swingendem Rhythm & Blues und frühem Soul und Funk reichen die Vorlieben. Allein in den letzten Wochen erinnere ich mich spontan 79 an fünf bis sechs Alben, die genau in dieses Beuteschema passen. Auch bei „Businessmen“ droht mir keine unangenehme Überraschung. B.B. & The Blues Shacks haben in den mehr als zwei Jahrzehnten ihres Bestehens einen Sound gefunden, der vollkommen Retro aber dennoch ganz ihr eigener ist: elegant swingend, ab und zu von der Bluesharp aufgerauht oder von stürmischen Gitarrenlinien vorangetrieben kommen die Songs daher auf dieser Scheibe. Doch letztlich ist diese Musik, sind diese Songs, ebenso wenig „gestrig“, wie Serien a la „Mad Men“ ein wirkliches Abbild der 60er sind. Hier sind Musiker am Werke, die sich nur konsequent jeglicher Annäherung an den von einigen noch immer als Zukunft des Genres gespriesenen Bluesrock verweigern, die mit Leib und Seele in den alten Klangidealen eigene Geschichten erzählen. Wie schon auf „Come Along“ angedeutet werden in Songs wie „It Was A Dream“ immer wieder verstärkt die Blueswurzeln der Band offen gelegt. Genannter Song ist sogar feinster Chicagoblues mit rollendem Piano und einer Harp, die keine Wünsche offen lässt. Insgesamt ist „Businessmen“ genau das Album, das man sich von den Brüdern Arlt und ihren Kollegen erwartet hat. Ist das Zeichen ihrer künstlerischen Stagnation? Ich glaube nicht. Das ist ein Album von Musikern, die genau die Musik machen, die sie am meisten lieben: Blues, Soul und klassischen Rhythm & Blues. Wem das zu wenig aktuell ist, hat damit natürlich ein Problem. Alle Wasser-Prawda | Juni 2014 80 P L AT T E N anderen sind zum Hören, Tanzen und Genießen eines weiteren großartigen Bluesalbums aus deutschen Landen eingeladen. (CrossCut) Raimund Nitzsche im Sinn, als man sich zusammenfand. Blues ist in dieser Gruppe eher die Einigung auf ein Feeling und eine emotionale Ehrlichkeit und Offenheit. Auf dem ersten Album „Original Sin“ war die Musik eher ein düsterer Bluesrock gewesen mit teils sehr bösen Abrechnungen mit der Welt und den Mitmenschen. „Bad Taboo“ geht musikalisch mehr in Richtung des traditionelleren Blues. So gibt es Anklänger an Gospelblues mit deftiger Bluesharp („Whole Lotta Troble“) neben treibendem Bluesrock („Not Worth The Show“). Und Carolyn Fe kann als Sängerin auch in souligen Gefilden überzeugen. So ist „Bad Taboo“ eine sehr gute musiCarolyn Fe Blues CollecƟve kalische Weiterentwicklung der - Bad Taboo Schon mit dem Debüt „Original Sängerin und der ganzen Band. Als Sin“ hatte die Band um die kana- Gäste finden sich auf dem Album dische Sängerin und Schauspielerin Shun Kikuta, der letzte Gitarrist von Caroly Fe nicht nur in ihrer Heimat Koko Taylor und Harpspieler Guy für Aufmerksamkeit gesorgt. Das Bélanger. (cdbaby) Nathan Nörgel zweite Album der Gruppe „Bad Taboo“ ist wiederum eine Sammlung von Songs, die Blues, Soul, Jazz und Rockeinflüsse zu einem eigenen Sound verbinden. Die spannendsten Entwicklungen nicht nur im Blues sondern in der Musik überhaupt sind immer dort zu finden, wo ganz verschiedene Einflüsse und Prägungen aufeinander treffen. Die auf den Philippinen geborene Sängerin und Schauspielerin wuchs als fast einzige Asiatin in ihrer französischsprachi- Dave Fields - All In gen neuen Heimat in Kanada auf. Aus New York stammt Gitarrist Und zu ihrer Band gehören Musiker Dave Fields. Und sein neues Album aus den verschiedensten Regionen „All In“ dürfte vor allem Freunde der der Welt. Und eigentlich niemand brillant gespielten Bluesrockgitarre hatte da eine traditionelle Bluesband begeistern. Wasser-Prawda | Juni 2014 Es geht gleich mal mit einem Solo los: Die Gitarre hebt ab und singt in den höchsten Tönen, bevor Fields über die „Changes In My Life“ zu singen beginnt. Hier merkt man gleich, dass „All In“ im wesentlichen live im Studio eingespielt wurde: Der Druck stimmt - und solch ein Solo braucht die Spontaneität, um lebendig zu werden. Ergänzt werden Gitarre und Stimmer hier von einer genau passend fetten Orgel. Bei „Voodoo Eyes“ wird es trocken und funky. Und überhaupt kann man bei den von Fields selbst geschriebenen Songs hören, dass er neben Blues und Rock eine Menge auch für Soulmusik übrig hat - auch wenn es hier keine fetten Bläser als sofort ins Ohr springenden Beleg dafür gibt. Der Sohn des Produzenten und Komponisten Sammy Fields hat nach seinem Studium an der Berklee School of Music schon bei Produktionen von Ahmet Ertegun mitgewirkt, arbeitete mit Lenny Kravitz, Sean Lennon und Aretha Franklin. Und stand mit U2 bei „Rattle & Hum“ gemeinsam vor der Kamera. Das belegt seine Vielseitigkeit ebenso wie die Auswahl der zwei Coverversionen auf dem Album: „Cross Road“ kommt bei Fields mit verzerrter Gitarre und extrem im Tempo reduziert daher: Hier ist die Spannung von Johnsons Song ganz auf die innere Zerrissenheit gelegt, nicht auf Temporekorde. Und dann gibt es da noch seine Version von Led Zeppelins „Black Dog“: Das wird hier ganz auf seine stampfenden Blueswurzeln reduziert und völlig P L AT T E N ohne Machotum und Rockerpose die dazu gedacht sind, den Hörern dargeboten. Faszinierend! Kraft für ihren eigenen Kampf Nathan Nörgel durchs Leben zu schenken. Es geht um den Kampf um die Liebe gegen alle Widrigkeiten, um Verlust und Erlösung in diesen Liedern. Um Frauen, die „soothes like Heaven but burns like Hell“. Die Kraft und Leidenschaft der Songs wird hier durch eine großartige Band unterstützt: Wenn die Campbell Brothers ihre Pedal Steele Gitarren spielen, dann ist man sofort drin in der Leidenschaft des Gottesdienstes. Das Saxophon von Jay Moynihan unterstreicht den Soulcharakter der Lieder. David Michael Miller - Poisons „Poisons Sipped“ ist eine absoSipped lut überraschende Entdeckung im Soulblues trifft auf Sacred Steelegegenwärtigen Blues. Das ist ein Gitarren: Auf seinem Soloalbum Album, das man bedenkenlos auch „Poisons Sipped“ wurde der aus Einsteigern in den Blues in die Hand Buffalo stammende Songwriter und drücken kann. Hier ist ein echter Gitarrist David Michael Miller von Bluesman zu erleben! (cdbaby) den Campbell Brothers unterstützt. Raimund Nitzsche Herausgekommen ist eine großartige Sammlung von Songs zwischen Gospel, Blues, Soul und Folk mit faszinierenden Gitarren. Der ewige Kampf zwischen Gut und Böse, der Kampf gegen die Widrigkeiten des Lebens - kann man ihn glaubwürdiger hören als in den Songs der großen Blues- und Soulmen oder bei den Gospelpredigern? Das weiß auch David Michael Miller, der 2013 die westliche Region des Staates New York bei der International Debbie Bond & The Trudats Blues Challenge in Memphis ver- - That Thing Called Love trat. Ob er mit seiner rauhen und Die Steigerung eines Live-Albums? kraftvollen Stimme singt, oder in Das könnte ein ungeplantes Livedie Saiten greift: „Poisons Sipped“ Album sein, für das die Musiker ist ein Album zwischen Soulblues nicht mal geprobt haben. Ähnlich und Kirche geworden, mit Liedern, 81 spontan gingen Debbie Bond & The Trudats bei der Aufnahme ihres aktuellen Albums „That Thing Callled Love“ vor. In Alabama zählt Sängerin/ Gitarristin Debbie Bonds zu den Elder Statesmen der Bluesszene. Seit sie vor über dreißig Jahren in den Bundesstaat gezogen war, hat sie unter anderem mit Johnny Shines, Eddie Kirkland, Sam Lay und Willie King gearbeitet. Letzterer machte sie mit dem in England aufgewachsenen Musiker Rick Asherson bekannt. Und der klassisch ausgebildete Multiinstrumentalist ist inzwischen Bandleader ihrer Trudats, die im April 2013 eingeladen wurden, bei der Mando Blues Show des Senders WRFN in Nashville zu spielen. Nachdem man die Bänder der Sendung gehört hatte, beschloss man spontan, daraus ein neues Album zu machen. Zu Hören bekommt man auf „That Thing Called Love“ eine Mixtur aus New Orleans Sound, groovenden Nummern mit feinen Bluesgitarren und Balladen, die von Bonds eindrücklicher Stimme getragen werden. Man spürt den Songs die absolute Spontaneität der Aufnahmen ab. Und gerade das macht den Reiz von Songs wie dem Holmes Brothers Cover „Feed My Soul“ oder dem tollen „Steady Rolling Man“ aus. Das ist wirklich ungekünstelte Livemusik einer tollen Band mit einer ebenso großartigen Frontfrau an Mikrofon und Gitarre (cdbaby). Nathan Nörgel Wasser-Prawda | Juni 2014 82 P L AT T E N und Verlust ebenso wie humorvolle Kommentare über die Welt und die Menschen. Dieses Album ist eine gute Möglichkeit, einen der wirklich faszinierenden Songwriter aus dem Vereinigten Königreich neu zu entdecken. Raimund Nitzsche Eddie MarƟn - Blues Took My By The Hand. Volume 1: AcousƟc Sessions Nach 25 Jahren und 13 Alben hat der britische Gitarrist und Songwriter Eddie Martin beschlossen, einen zweiteiligen Karriererückblick zu veröffentlichen. Der erste Teil von „Blues Took Me By The Hand“ widmet sich dem Akustikblues in verschiedenen Besetzungen. Später im Jahr soll als Teil 2 der elektrische Eddie Martin zusammengefasst werden. Los geht es mit Ragtime-Blues: Der Blues, der Eddie Martin schon als Jugendlicher bei der Hand nahm, ist kein Blues der tiefen Verzweiflung. Dagegen spricht nicht nur das witzige Picking des Gitarristen sondern auch das von Paddy Milner aufs feinste gespielte Klavier. - Ob nun in kleiner Bandbesetzung oder als Solist mit Gitarre und Bluesharp:, ob mit Briten oder Musikern aus Chicago: Eddie Martin hat im Laufe seiner Karriere eine Menge Songs geschrieben und aufgenommen, die mal nach dem Mississippi-Delta, mal nach der Ostküste klingen. Es sind persönliche Lieder, von Liebe Wasser-Prawda | Juni 2014 frÄnk & HoBo - Live im Billepalast Bluesharpspieler Holger „HoBo“ Daub fiel mir erstmals auf, als er gemeinsam mit dem dänischen Songwriter Tim Lothar zur International Blues Challenge reiste und kurz vorher auf die Schnelle das gemeinsame Album „Blues From the North“ veröffentlichte. Schon 2013 kam das gemeinsam mit dem Berliner Songwriter frÄnk aufgenommene Album „Live im Billepalast“ heraus: Zwei Männer, eine Gitarre, eine Harp und Songs zwischen melancholischen Balladen und Wut. Eigentlich sollte man das nicht machen, aber ich fang trotzdem so an: HoBo ist ein faszinierender Harpspieler, der mit voller Leidenschaft bei der Sache ist. Und er zählt zu den Instrumentalisten, die sich auf die verschiedensten Partner schnell einstellen kann. Selbst gegen den überlauten Bluesrock von Mike Seebers Gitarre kann sich seine Harp durchsetzen und damit den für meine Ohren oft eintönigen Songs entscheidende Akzente verleihen. Auch bei „Live im Billepalast“ ist er es vor allem, der mir sofort ins Ohr geht und darin bleibt. Denn Stimme und Gitarre von frÄnk sind wesentlich spröder und erschließen die Songs nicht sofort. Doch spätestens beim zweiten Hören war ich von Songs wie „Step By Step“ oder „Don‘t Tell Me About Your Troubles“ ergriffen: Auch wenn frÄnk beileibe nicht das hat, was man als große oder wandlungsfähige Stimme bezeichnen würde. Und auch seine Gitarre ist fernab jeder aufgesetzten Virtuosität: Doch seine Leidenschaft, seine Wut und Melancholie sind grade so besonders eindrücklich. (100000 km). Raimund Nitzsche Georg Schroeter & Marc Breiƞelder - Live 18. Dixieland Jamboree Gemeinsam mit Schlagzeuger Tim Engel spielten Schroeter & Breitfelder im Januar 2014 bei P L AT T E N den drei Konzerten der Dixieland Jamboree in Ludwigsburg. Der auf der Homepage der Musiker erhältliche Mitschnitt bringt die bekannten Songs des Duos vor einem begeisterten Publikum in fantastischem Sound zu Gehör. Normalerweise stellt man sich LiveAlben von Bluesmusikern ja immer als Mitschnitte von Club-Gigs oder großen Festivalsbühnen vor. Allerdings ist da die Klangqualität auf Grund der Räumlichkeiten oft nicht so durchsichtig, wie man es sich wünschen würde. Der Festsaal der Ludwigsburger Waldorfschule hat eine Akustik, die eher an Sinfoniekonzerte erinnert. Und damit kommen Piano und Bluesharp hier in einer Klarheit rüber, die verblüffend ist: Noch nie (ob auf Platte oder im Konzert) konnte ich den Feinheiten von Breitfelders Harpexkursionen so aufmerksam folgen, wie auf diesem Album. Und auch das Zusammenspiel der drei Musiker und die Interaktion mit dem Publikum wird fast überdeutlich korrekt abgebildet: Manchem Hörer mag das schon zuviel an realistischer Klangreproduktion sein gerade für ein Blueskonzert. Aber für mich ist dieses Album ein absoluter Glücksfall für Freunde des virtuosen Boogies: Schroeter & Breitfelder zelebrieren ihre eigenen Songs und Stücke von den Klassikern des Genres ebenso wie von CCR. Und zum Abschluss kommen die zwei Höhepunkte des Albums: „Shake Your Boogie“ und das umwerfend großartige „Amazing/Amazing Graze“. Eine eindeutige Empfehlung für 83 Fans von Boogie Woogie und einer virtuos gespielten Bluesharp. Raimund Nitzsche GravelRoad - The Bloody Scalp Of Burt Merlin Golly - Nur Einmal Funkpop mit deutschen Texten: Golly haben mit „Nur einmal“ ein gutes Party-Album für den Studentenkeller vorgelegt. Die Bässe sind fett, die Bläser haben genau den richtigen Druck. Und mit jungenhafter Unschuld singt Vincent Golly Lieder über Parties, die Sehnsucht nach schönem Wetter und Verliebtheit. Wer jetzt nach großen Botschaften sucht, wird sie nicht finden. Aber Spaß machen Songs wie „Widerstehen“, „Lass die Sonne Rein“ oder „Schwindlig“ mit ihrer Mixtur aus dem Funk der 70er und deutschem Indiepop auf jeden Fall. Und live dürfte die Post noch wesentlich mehr abgehen. Denn im Studio wirken manche Songs doch ein wenig abgebremst. Popmusik passend für die Jahreszeit! (timezone) Nathan Nörgel Wer jemals ein Konzert von GravelRoad erlebt hat, der weiß, dass hier nicht die klischeemäßigen Bluesrocker am Werke sind. Auch ihr 2013 erschienenes Album „The Bloody Scalp of Burt Merlin“ ist meilenweit entfernt von der gelackten Virtuosität vieler Gitarrenhelden und taucht dafür ganz tief ein in die hypnotischen Grooves des Juke Joint Blues im nördlichen Mississippi. Manche fühlen sich veranlasst, hier die Verbindung zwischen Blues und dem Rock der frühen Black Sabbath zu sehen. Andere denken an Captain Beefheart. Aber eigentlich gilt hier die These: It‘s Only Rock & Roll - oder besser gesagt: Bluesrock. Rauh, voll auf die Zwölf, laut, dreckig und gemein. Die Gitarre von Stefan Zillioux ist strikt in Open G gestimmt und jagt durch die Bluesgefilde. Das Schlagzeug von Martin Reinsel legt hypnotischtreibende Rhythmen, die mehr nach Voodoo-Drums klingen als nach Heavy Metal und wird dabei stoisch unterstützt vom Bass von John „Kirby“ Newman. Wasser-Prawda | Juni 2014 84 P L AT T E N „The Bloody Scalp Of Burt Merlin“ geht deftig los mit Nummern wie dem Opener „The Run“ oder dem punkigen „Med Pass!“. Andere Songs sind dann eher dem Blues des North Mississippi verbunden, den das Trio mit T-Model Ford gespielt hat. Und überraschenderweise kommt ganz zum Schluss der Albums sogar noch ein Ausflug in den Country („Bring Me Back“). Das ist nicht die Musik für den gelegentlichen Blueshörer, der Alben von Keb‘ Mo‘ und Robert Cray neben Popjazz und ähnlicher Musik für Zahnarztfrauen einsortiert hat. Aber GravelRoad kann mit diesem Album sicherlich auch unter jungen Metalfans einige Zuhörer gewinnen. So deftig, wie diese Band drauflosrockt, ohne jemals den Blues komplett zu verleugnen, stehen die drei Musiker aus Seattle in der Szene einzigartig da. Und das Gute ist: Schon im Herbst kommt das nächste Album raus. Nathan Nörgel Greyhound George - Cleaning Up Es gibt Momente, wo man um einen Großputz nicht mehr herum Wasser-Prawda | Juni 2014 kommt. Das hat weniger mit dem ritualisierten Frühjahrsputz oder der schwäbischen Kehrwoche zu tun. Jedenfalls nicht in den Liedern, die Greyhound George auf seinem neuen Album versammelt hat. Es sind Lieder, vom emotionalen Aufräumen nach dem Ende einer Beziehung, vom Neuanfang und der Selbstbesinnung, die der Songwriter und Gitarrist gemeinsam mit Bluesharpspieler Andy Grünert live im Studio eingespielt hat. Selbst die Bluesklassiker sind passend zum Thema ausgewählt. Doch wer hier nur tieftraurige Melancholie erwartet, sieht sich getäuscht. Denn bei allem hat Greyhound George seinen humorvollen Blick auf die Welt nicht verloren. Und gerade der macht für mich noch mehr als das variable Gitarrenspiel das Besondere an den Liedern des Bielefelders aus. Ob er über Frauen singt, die süß wie künstlicher Süßstoff sind, oder ohne zu sehr auf die Tränendrüsen zu drücken sein „Good Year For The Blues“ Revue passieren lässt: Das ist der alte Blues, der hier ganz in der persönlichen Gegenwart angekommen ist. Wer akustischen Blues mag, wird an dieser Scheibe auf jeden Fall seinen Spaß haben. Alle anderen sollten zumindest mal reinhören bei einem der Konzerte, die Greyhound George im Sommer auch mal wieder in Vorpommern geben wird. Raimund Nitzsche Hanneke Cassel - Dot the Dragon‘s Eyes Im Spiel der in Boston ansässigen Geigerin Hanneke Cassel treffen die Traditionen Schottlands und der Bretagne auf texanischen Urcountry. Ihr neues Album „Dot The Dragon‘s Eyes“ enthält tanzbare Songs, die die Musikerin zumeist für Hochzeiten von Freunden komponiert hatte. Wenn eine Musikerin allein mit ihrem Instrument Geschichten erzählt, deren Bilder man unwillkürlich vor Augen sieht, dann ist das die ganz große Kunst. In den Songs von Hanneke Cassel tauchen vor meinen Augen nicht nur romantisch tanzende Paare auf. In Stücken wie „The Marathon“ verarbeitet sie etwa den Bombenanschlag auf den Boston Marathon. In anderen Stücken kann man musikalische Splitter aus Afrika erahnen, wo Cassel mit Straßenkindern gearbeitet hat oder aus China, wo sie häufig unterrichtete. So entstehen beim Hören bunte und bei aller zuweilen aufscheinenden Tragik und Melancholie heitere und optimistische Bilder von einer Welt, wie sie sein könnte und sollte. Faszinierend P L AT T E N 85 und empfehlenswert für Freunde mungslosen Abfeiern bringen: Hier der keltischen Folklore. (cdbaby) wird der Blues nicht glattgefeilt oder Nathan Nörgel stromlinienförmig rundgelutscht. Die vier Spielen ohne Handbremse drauflos und haben dabei ebenso viel Spaß wie der Zuhörer. Vorausgesetzt natürlich, er hat für Blues was übrig. Eine tolle Neuentdeckung! Raimund Nitzsche Hot Dog Taylor - Back In Business Der Name des schwedischen Quartetts gibt schon einen kleinen Hinweis auf deren Musik: Rauh und rockig gespielter Blues in der Nachfolge von Hound Dog Taylor, Elmore James oder Jimmy Reed. Wahrscheinlich hat sich Alligator Records den Slogan „Genuin Houserockin Music“ schützen lassen. Ansonsten könnte man das Label getrost auch an Peter Gustavsson (g, harp, voc), Lars Andersson (bg, b-voc), Mikael Kähäri (g, b-voc) und Schlagzeuger Lennart Karlsson vergeben. Vom ersten Lachen auf dem ziemlich live im Studio aufgenommenen Album an geht es voll zur Sache. Songs der erwähnten Vorbilder wechseln (ohne dass ein Qualitätsunterschied deutlich werden würde) ab mit eigenen Stücken und einer absolut großartig-durchgeknallten Fassung von „She‘ll be coming round the mountain“. Juke Joint Blues nennen die Musiker ihren Stil. Und wirklich könnte man damit jede Kaschemme zum hem- Stepper“ auf Country, Bluegrass und Reggae - und oftmals wechseln die Stile selbst innerhalb des gleichen Songs hin und zurück. Wie in einem unter Quarantäne stehenden Schiff (die andere Wortbedeutung des Albumtitels) werden die Stile auf engstem Raum miteinander auf Kollisionskurs geschickt. Und als Ergebnis kommen dann so faszinierende Songs wie die CountryNummer „Temporary Ground“, der machohaft dahinrockende Opener „Three Women“ oder „Just One Drink“ heraus. „Lazaretto“ kann man eines nicht vorwerfen: Langweiligkeit. Hier ist einer der faszinierendsten Musiker derzeit mit einer überbordenden musikalischen Fantasie zu erleben. Ist das die Zukunft des Rock & Roll? Wahrscheinlich nicht. Aber wer darauf wartet, verpasst die Gegenwart. Jack White - LazareƩo (Third Man Records) Bluegrass und Bluesrock, Led Nathan Nörgel Zeppelin, Reeggae und Popsounds - Jack Whites neues Soloalbum ist ein Beleg für seine musikalische Vielseitigkeit. Oder sollte man sagen: Sprunghaftigkeit? Auf jeden Fall ist „Lazaretto“ eines der interessantesten Rockalben der Sommersaison geworden. Man könnte sich an die Alben der White Stripes erinnert fühlen: Anders als beim Vorgänger Blunderbuss ist Jack White wieder bei den alten Versuchen angekomJaniva Magness - Original men, sämtliche möglichen Sounds Einen Neuanfang vollzieht Sängerin zu einer zeitgemäßen Pop- und und Songwriterin Janiva Magness Rockmusik zu vereinen, die denmit ihrem neuen Album. „Original“ noch nie ihr Fundament im Blues erscheint unabhängig von Alligator vermissen lassen. Da treffen Riffs a Records und beinhaltet Lieder zwila Led Zeppelin wie im Titelsong schen Rock, Blues und Soul, die oder dem Instrumental „High Ball Wasser-Prawda | Juni 2014 86 P L AT T E N Magness zum Großteil mitverfasst hat. Anfangs könnte man an einen zeitgenössischen RnB-Song denken. Da ist diese Stimme in einem verhallten Raum, ein klickender Rhythmus. Doch wenn die Gitarre ihre klaren Linien zu zeichnen beginnt, ist die Blueser-Seele beruhigt: Nein, Janiva Magness macht jetzt keinen auf Popdiva. Ganz im Gegenteil: „When You Were My King“, eine schmerzliche Ballade über eine zerbrochene Beziehung lässt uns eine fast schmerzhaft verletzliche Sängerin hören. Da helfen auch die Backgroundchöre nichts: Hier singt eine Frau von ihren Schmerzen, vom Neubeginn - und von der noch immer vorhandenen Leere im Leben. Spätestens seit „Stronger for it“, eigentlich schon bei „The Devil Is An Angel Too“ wurde Janiva Magness immer persönlicher und verletzlicher in ihrem Gesang. Der Schritt, sich dabei jetzt fast komplett auf eigene Songs zu verlassen, ist da nur konsequent. Und diese Ballade ist ein gutes Beispiel dafür, wie weit Magness bei „Original“ zu gehen bereit war. Auch „Mountain“ ist so ein Lied, wo man den Schmerz fast körperlich nachfühlen kann. Intensiver geht es kaum noch. Andere Songs sind nicht so schmerzhaft schön, sie sind eingängiger aber nicht weniger treffend. Etwa das deftige „I Need A Man“ mit seinem Juke-Joint Groove: Es gibt keinen Grund, trübsinnig in der Ecke zu sitzen oder gar alleine zu bleiben. Oder „Twice As Strong“, eine soulige Hymne zum Mutmachen unter Frauen, das rockende „Who Wasser-Prawda | Juni 2014 Singleton etwa in „Purposely“ loslegt, merkt man die Eigenständigkeit des Musikers. Jenseits der stur gespielten 12-Takte-Shuffles ist das eine Musik, die den Blues auf seine emotionale Ehrlichkeit zurückführt und nebenbei sämtliche interessanten Einflüsse einbezieht. „Crime Scene“ etwa ist Soulblues voller Spannung. Der Opener/ Titelsong ist für mich einer der besten Bluesrocksongs der letzten Zeit. Und wenn „Hell“ mit seinem düsteren Orgelteppich und der verzweifelt den Schönklang fliehenden Gitarre losgeht, könnten sich manche auch an langsamere Nummern von Gary Moore erinnert fühlen. Für mich liegt in Musikern wie Singleton viel eher die Zukunft des Blues als bei denen, die aus Modernitätsgründen aber ohne eigentlichen Plan versuchen, einen auf Prince zu machen oder einfach den ausgetretenen Pfaden des Bluesrock folgen.(Alligator/ Jarekus Singleton - Refuse To in-akustik) Loose Raimund Nitzsche Mit neun Jahren fing er als Bassist in der Kirchenband seines Großvaters zu spielen an, später wollte er eigentlich Basketballer werden. Heute ist der 1984 geborene Gitarrist und Songwriter Jarkus Singleton mit seiner Mixtur aus Blues, Soul und Hiphop eine der interessantesten Neuentdeckungen in der amerikanischen Szene. Mit seinem zweiten Album „Refuse To Loose“ ist er bei Alligator untergekommen. Wenn diese Gitarre zu singen beginnt, dann kann man natürlich die großen Vorbilder zwischen den JariBu Afrobeat Arkestra drei Kings und Stevie Ray Vaughan JariBu hören. Doch in der Intensität, wie Schon mit ihrem erstmals interAre You“. Als Sängerin mit einer unwahrscheinlich berührenden Stimme ist Janiva Magness im Laufe der Jahre immer bekannter und beliebter geworden. Jetzt ist hier die großartige Möglichkeit, sie als wirklich gute Songwriterin zu erleben, die sich um Genregrenzen nicht mehr schert. „Original“ - eine große Kaufempfehlung, ein tolles Album! Raimund Nitzsche P L AT T E N national vertriebenen Album „Mediacracy“ hatte das japanische JariBu Afrobeat Arkestra deutlich gemacht, dass für sie die Sounds aus Westafrika keine modische Zutat zu gefälliger Popmusik sind. Auch „JariBu“ ist wieder ein Album, wo Afrobeat nicht nur zum Tanzen sondern auch zum Nachdenken einlädt. Endlos schieben sich Rhythmen übereinander und ineinander, werden zu einem Groove, der sich unwillkürlich auf den Hörer überträgt. Dazu gibt es trockene Linien von einer Gitarre, die auch bei Funkbands der frühen 70er gut angekommen wäre. Die Bläser (vom Saxophon über Querflöte bis hin zur Trompete) schlagen eine Brücke hin zum Jazz (auch eher aus den 70ern). Dieser Afrobeat ist bei der Betrachtung der Zutaten ziemlich weit entfernt von Fela Kuti und seinen Kollegen. Und doch ist es nicht nur der Groove, der hier als Beleg gilt. Es ist vor allem die Einstellung, dass Musik nicht nur tanzbar sein sollte, sondern gleichzeitig auch Futter zum Nachdenken bieten kann. Hier geht es um verborgene Wahrheiten, um Bomben oder auch darum, Zeuge von Veränderungen zu sein. Das hier ist ein Album, das selbst bei mich Jazz-Muffel auf die Tanzfläche bekommt. Dieser Blick auf Afrika aus japanischer Perspektive macht einfach Spaß. (Tramp) Nathan Nörgel John Mayall - A Special Life Mit 80 Jahren scheint John Mayall noch längst nicht an den Ruhestand zu denken. Unermüdlich ist er auch fünf Jahre nach Auflösung seiner Bluesbreakers auf Tour. Und kurz vor dem Geburtstag nahm er „A Special Life“ auf, ein kraftvolles und fast jugendlich zu nennendes Album. Der Kreuzzug für den Blues hat John Mayall schon durch so ziemlich alle Spielarten dieses Genres geführt. Sein neues Album beginnt in Louisiana. Für „Why Did You Go Last Night“ kam C.J. Chenier mit seinem Akkordeon ins Studio, um den von seinem Vater Clifton Chenier geschriebenen Song mit der nötigen Dosis Zydeco zu verfeinern. Auch mit dem zweiten Song, Sonny Landreths „Speak Of The Devil“ bleibt man zumindest geografisch in der gleichen Gegend. Bei Mayall wird daraus aber eher eine Bluesrocknummer, als ein Swampblues. Auch Songs von Albert King („Flooding In California“), Eddie Taylor („Big Town Playboy“) und anderen Künstlern finden sich auf dem Album. Mayall wechselt 87 zwischen Gitarre, Bluesharp und Orgel - und wird ansonsten von seiner derzeitigen Band mit Gitarrist Rocky Athas, Bassist Greg Rzab und Schlagzeuger mehr als überzeugend begleitet. Eigene Stücke sind - wie eigentlich meist in den letzten Jahrzehnte bei Mayall - eher die Ausnahme. Auf „A Special Life“ findet sich beispielsweise der musikalisch zurückhaltende, aber textlich reichlich bissige Kommentar „World Gone Crazy“ - und auch eine Neueinspielung seines Songs „Hearache“, der sich schon auf dem 1965 erschienenen Album „John Mayall Playes John Mayall“ findet. Insgesamt ist Mayall wieder ein absolut überzeugendes Album gelungen. Lange hatte ich keine aktuellen Veröffentlichungen von ihm mehr verfolgt, weil sie sich für mich zeitweise zu banal und beliebig anhörten. Das ist auf jeden Fall vorbei! Raimund Nitzsche Johnny Oskam - Soul Search Der kalifornische Gitarrist Johnny Oskam mag erst 22 Jahre sein. Doch das hört man seinem Debütalbum Wasser-Prawda | Juni 2014 88 P L AT T E N nur selten an. Sein Bluesrock setzt nicht auf Geschwindigkeit und stolz gezeigte technische Brillianz sondern auf Feeling und glaubhafte Geschichten. Oh diese Zeit der Jugend mit ihrer blinden Sehnsucht nach Liebe! Oskam hat mit „Can‘t Be Alone“ eine Flut Erinnerungen ausgelöst. Viele der Songs auf dem Album drehen sich naturgemäß um die Liebe. Und sie kommen daher mit einer sympathischen Naivität, die ihre große Stärke ist. Man überhört manche kleineren Hacken in ihnen gerne und freut sich statt dessen daran, dass hier jemand wirklich sein Herz auf der Zunge und in den Fingern auf den Saiten offenbart. Und nimmt wahr, dass die Instrumentierung immer wieder für Abwechslung sorgt: Mal werden die Stücke vom Kontrast zwischen Gitarre und Keyboards getragen, mal kommen noch Bläser und Sängerinnen hinzu. Alles nicht spektaktulär aber äußerst angenehm zu hören. Andere Stücke auf „Soul Search“ rocken auch deftig nach vorne („Fuel My Heart“, „Human Genocide“). Deutlichste Schwächen? Gerade wenn sich Oskam politischen/gesellschaftlichen Themen widmet wie in „Human Genocide“, wirken die Texte noch recht platt und plakativ. Das ist auch ein Zeichen und Vorrecht der Jugend. Auch sind die Lieder zum größten Teil mit deutlich mehr als fünf bis über acht Minuten zu lang, um die ganze Zeit ihre Spannung halten zu können. Ansonsten: Daumen hoch! Das Album ist ein Debüt was neugierig Wasser-Prawda | Juni 2014 macht. (cdbaby) Nathan Nörgel Keb‘ Mo‘ - BLUESAmericana Bei Keb‘ Mo‘ kann man sicher sein, was man bekommt: Sanfte Bluessongs voller Wärme zwischen New Orleans, Texas und einem warmen Strand in der Karibik. Seine Songs beißen nicht, man könnte sie gut als Hintergrund in einem schicken Latte Macchiato Laden laufen lassen. Doch dabei würden einem einige wirklich gute Songs durch die Lappen gehen. Ich geb es gerne zu: Ich hab früher den Songwriter Keb‘ Mo‘ gerne mal verächtlich als Bluesman für Schwiegermütter bezeichnet: Zu easy goin, oftmals zu dicht an oder jenseits der Kitsch-Grenze. Nach einem Song wie „The Worst Is Yet To Come“ muss ich mich hier wirklich mal entschuldigen: Was Keb‘ Mo‘ hier mit kurzen Strichen malt, ist eine Bluesgeschichte, wie man sie kaum besser erzählen kann: Erst wacht man auf der falschen Seite des Bettes auf am Morgen, kein Frühstück, nichts zum Mittagessen - dafür kommt die Kündigung, weil die Fabrik schließt. Und immer dieses Gefühl: Das Schlimmste kommt noch. Auf dem Weg nach Hause gibt das Auto den Geist auf. Klar scheint die Sonne. Aber die Frau hat die Wohnung leergeräumt und nur der Hund hat zum Abschied noch auf den Boden geschissen. Selbst die Wanzen machen sich davon. Aber das Schlimmmste, kommt sicherlich noch! - Großartiger Song, locker flockig gespielt mit Colin Linden an der Mandoline und Mo‘ am Banjo, mit Gospelorgel und einem Rhythmusteppich von Schlagzeug und dem Klatschen des Chores. Das ist eindeutig ein Meisterwerk! Auch andere Lieder auf dem Album haben mich gehörig überrascht. Bei dem von Jimmy Rogers geschriebenen „That‘s Allright“ (nicht zu verwechseln mit dem Elvis Hit von Arthur Crudup!) vertieft er sich richtig in den betrogenen Ehemann, der nicht in die Wohnung darf, weil sie grad mit einem Anderen das Bett zum Einsturz bringt: Well, there’s one thing certain woman, without a doubt, If I can’t come in, that sucker sure better not come out” Dazu ein eine stoische E-Gitarre und ein drohendes Schlagzeug von Steve Jordan. Beim Slide-Solo wird trotz der scheinbaren Harmonie deutlich: hier ist jemand wirklich kurz davor, zuzuschlagen. Gleich hinterher dann ein Ausflug in den klassischen Jazz von New Orleans: „Better Me“ ist die fröhliche Absage an die Hochzeit, weil er das alte Ich besser mochte, als das, was die Frau seines Lebens aus ihm gemacht hat: Du magst den Gentleman, doch ich find den Typen besser, der Party machte P L AT T E N nächtelang und einfach mehr Spaß am Leben hatte. Ganz ohne Kitsch kommt auch diese Scheibe nicht aus - doch BLUESAmericana ist für mich das Beste, was ich von diesem Songwriter gehört habe! Raimund Nitzsche werden mit sattem Bläsersatz interpretiert und bieten auf Albumlänge eine tolle Rhythm & Bluesparty mit einer bemerkenswerten Sängerin. Noch neugieriger bin ich jetzt allerdings auf die eigenen Songs der Laura Holland Band, die zur Zeit produziert werden. Die „Smokehouse Sessions“ sind mehr eine schöne Ansichts- bzw. Visitenkarte. Das eigentliche Werk steht für mich noch aus! Nathan Nörgel Laura Holland Band Smokehouse Sessions In London zählt Sängerin Laura Holland zu den aufstrebenden Sängerinnen der traditionellen Blues- und Soulszene. Noch bevor im Herbst das erste Album mit eigenen Songs erscheinen wird, hat die siebeköpfige Band der Sängerin ein Album mit Klassikern zwischen Chess, Stax-Sounds und dem britischen Blues der 60er veröffentlicht. Das Coverfoto kann ein wenig an Amy Winehouse erinnern - doch die Stimme von Laura Holland hat nichts von der gebrochenen Tragik der verstorbenen Diva. Sie erinnert in manchen Momenten eher Angeline Ball oder Maria Doyle Kennedy von den Comittements. In anderen auch an Christine Perfect, als sie noch bei Chicken Shack war. Songs von Willie Dixon und Ray Charles bis hin zu Fleetwood Mac LiƩle Mike & The Tornadoes All The Right Moves „All The Right Moves“* bringt nach einer kurzen musikalischen Pause Little Mike Markowitz, Gitarrist Tony O.Melio, Bassist Brad Vickers und Schlagzeuger Rob Piazza wieder zusammen. Die Band hatte seit ihrer Gründung in den späten 70ern zusammengespielt. Sie waren die Band der Wahl, wenn tourende Blues-Berühmtheiten für Konzerte nach New York City kamen. Und sie waren mit Leuten wie Hubert Sumlin, James Cotton, Pinetop Perkins und Jimmy Rogers auf Tour. „All The Right Moves“ ist ein * 89 höchst erfreuliches Bluesalbum mit einem Sound, der den klassischen Chicagoblues der 1950er in Erinnerung ruft. Mike Markowitz singt die ganze Zeit mit sicherer Phrasierung und spielt meisterlich auf der Harmonika, immer geschmackvoll und niemals zu dominierend. Der Titelsong zeigt seine Fähigkeiten auf der Harmonika wunderbar; dabei überdeckt er niemals die anderen Instrumente. Die Gitarre ist durchgängig sehr cool, sehr retro und niemals langweilig. Die Lieder, alle Originale, sind eine tolle Sammlung von Bluessongs, bei denen man sich fühlt, als würde man sie schon kennen, aber man freut sich darauf, sie erneut zu hören. Und dann gibt es in einigen Stücken auch noch ein tolles BluesPiano von Jim McKaba mit interessanten Zwiegesprächen zwischen Klavier und Gitarre, etwa in „Since My Mother‘s Been Gone“. Das hat ein wunderschönes 60s Feeling und man hört es am besten spätnachts in einem dunklen Raum. Vom eröffnenden „Hard Hard Way“ - das einem mit seinem HoochieCoochie-Man-Feeling sofort gefangen nimmt - durch alle 13 Songs und dem abschließenden „Close To My Baby“, eine pulsierende, altertümliche 12-Takte-Nummer, haben uns Little Mike & The Tornadoes ein grandioses, reduziertes, klassisches Album mit Chicagoblues gegeben, das dieses Jahr auf dem Wunschzettel jedes Bluesfans stehen sollte. Gary Burnett English version on page Wasser-Prawda | Juni 2014 90 P L AT T E N Ole Frimer Band - Blålys In Dänemark gehört Sänger und Gitarrist Ole Frimer seit seiner Zeit mit Blue Junction in den 1980ern zu den bekannten Namen der Bluesszene. Mit seiner neuen Band, zu der unter anderem der phänomenale Hammondspieler Palle Hjorth gehört, hat er einen Stil zwischen Blues, Jazz und Fusion gefunden. Die Gitarre klingt mal nach Clapton, dann wieder nach Albert Collins oder auch nach den progressiven Linien von Jeff Beck: Es ist klar, dass Ole Frimer seinen ganz eigenen lyrischen Gitarrenstil gefunden hat. Doch immer dann, wenn die Musik sich in lyrischem Schönklang zu verlieren droht, kommen Kommentare von der Hammondorgel: Gerade im Konzert ist das spannungsreiche Miteinander von Frimer und Organist Palle Hjorth großartig anzuhören und anzusehen. Auch Bassist Jesper Bylling und Schlagzeuger Claus Daugaard merkt man die lange Erfahrung im Jazz an, die diese Band aus den sonstigen Bluesrocktruppen heraushebt. „Blålys“ ist ein komplett in dänisch gesungenes Album mit zehn zumeist sehr lyrischen Nummern. Leider Wasser-Prawda | Juni 2014 verlieren sich die Songs zuweilen doch in Langatmigkeit. Und im Studio herrschte anders als im Konzert doch eine etwas strengere Disziplin: Zu selten kommen die aufmunternden und ironisierenden Kommentare des Organsisten zum Tragen. So ist das ein ruhiges Album für die späteren Abendstunden geworden, was einen zu selten mit unerwarteten Wendungen aus dem Träumen herausholt. Raimund Nitzsche den Blueswurzeln genügend Raum zur Entfaltung. Und in Songs wie „Mashed Potatoe & Gravy“ oder „Big Mouth“ wird auch ein Humor deutlich, der den meisten Bluesrockern eher abgeht. Musikalisch wird hier das Genre natürlich nicht neu erfunden. Man hört die davontreibenden Rocker, gefühlvolle Slide-Gitarren, Anklänge an den Folk-Rock der Byrds und auch an Grateful Dead. Da das Trio zwei Leadsänger und auch zwei Songwriter hat, kommt hier keine Eintönigkeit auf. Eine Hörempfehlung für Bluesrockfreunde! Nathan Nörgel Planet Full of Blues - Hard Landing Aus Virginia kommt das Trio Planet Full of Blues. Auf ihrem zweiten Album „Hard Landing“ zelebrieren Johnny Ray Light (g, voc), Ron Dameron (dr) und Brock Howe (dr, voc) ziemlich klassischen Bluesrock. Spontan der Gedanke: Nicht noch ein selbsternanntes „PowerTrio“! Doch damit hätte ich „Hard Landing“ Unrecht getan. Denn das Trio mit zwei Leadsängern ist glücklicherweise meist nicht auf den Spuren von Cream oder der Jimi Hendrix Experience unterwegs sondern lässt in den sämtlich selbst geschriebenen Songs Rad Gumbo meets John Lee Sanders - New Orleans Blues and Zydeco Brandneu und praktisch gerade noch unveröffentlicht ist die CD „Rad Gumbo meets John Lee Sanders“ mit New Orleans Blues und Zydeco. Damit sind auch schon die Hauptakteure und Inhalt der CD benannt. Rad Gumbo ist eine Ingolstädter (der Sänger Robert „Dackel“ Hirmer legt Wert auf seine Vohburger Roots) Formation P L AT T E N mit dem gerade erwähnten Robert „Dackel“ Hirmer am Akkordeon, Erwin Schmidt am Bass, Gerhard Spreng an den Drums und Frank Folgmann an der Gitarre. Ihr Partner John Lee Sanders ist ein weitere hervorragender Sänger im Stil von Dr. John, der auch am Keyboard und Saxophon die Band ergänzt. Rad Gumbo ist dem Zydeco und zwangsläufig auch dem New Orleans Blues verschrieben. John Lee Sanders ist ein gefragter Sessionmusiker und weist eine lange Liste von musikalischen Stars an seine Seite auf. Zusammen sind Sanders ist Rad Gumbo seit 2013 auf Festivals und Tourneen zusammen. Während einer Auftrittsreihe in Kroatien entstand dieses Album im Kassandra Studio in Tugonica. Jetzt im Juni waren sie zur Unterstützung von Zakiya Hooker und Chris James auf Tour unterwegs. Für diejenigen, für die Zydeco musikalisches Neuland ist, sei kurz zusammengefasst: Zydeco stammt aus dem Süden der USA, genauer aus Louisiana und verbindet Cajun mit afroamerikanischer Musik. Die Sprache ist meist englisch, kann aber auch französisch sein und verwendet das Akkordeon als signifikantestes Instrument. Rad Gumbo ist ein Südstaatengericht und wie „Robert „Dackel“ Hirmer mir erzählte, sehr scharf gewürzt, wobei „Rad“ mehr von „radical“ als von „red“ kommt. Damit sind alle Ingredienzien dieses musikalischen Eintopfs beschrieben: Scharfe, authentische ZydecoMusik, rhythmisch, schnell und zwischendurch bluesig. Die Kombination von Rad Gumbo mit dem Groove-Meister aus Louisiana Sanders brachte ein tolle CD zum Vorschein, die jetzt erst auf den Markt kommt. Es sind 10 Stücke auf der CD zu finden, wobei 6 aus der Feder von John Lee Sanders oder Robert Hirmer stammen und daneben noch gelungene Coverversionen von Nick Lowe, Percy Mayfield, John Hiatt und Richie Havens‘s „Freedom/Motherless Child“ zu hören sind. Meine drei Favoriten der CD sind „Too low down“, „Gumbo Stomp“ und „River Reprise“. Neben den Stücken ist für mich das Akkordeon und die Stimme von Robert „Dackel“ Hirmer ein weiteres Highlight der CD, was aber die Qualität der anderen Musikern, vorn dran John Lee Sanders als Vollblutmusiker in keinster Weise schmälert. Nicht zu vergessen die Beiträge von Kreso „Sonnyboy“ Oremus an der Harp und die Produktionsarbeit durch Ray Frick. Mario Bollinger 91 Album ist ein komplett ohne elektrische Instrumente aufgenommenes Werk nicht nur für das Tagesende. Schon allein die Besetzungsliste lässt dem Kenner das Wasser im Munde zusammenlaufen: Neben Richie Arndt gehört zu seiner aktuellen Acoustic Band auch noch Gitarrist Gregor Hilden. Und als Gäste sind unter anderem Georg Schroeter, Marc Breitfelder, Dieter Kropp mit von der Partie. Das Ergebnis: Eine tolle Rootsscheibe mit gehörigen Blueswurzeln. Man merkt Liedern wie „Stop that spell on me“ die Spielfreude der Truppe im Studio an. Neben eigenen (und auch mit Timo Gross oder Alex Conti entstandenen) Liedern sind es auch die Cover, die in diesem Umfeld aufhorchen lassen: „Can‘t Believe It‘s You“ stammt von Rory Gallagher. Hier wird es zu einer melancholischen Nummer für die späteren Nachtstunden. Und „My Brother Jake“ von Free ist hier nahe an akustischer Soulmusik. Wer Freude an akustischer Bluesund Rootsmusik hat, sollte unbedingt das Album in einer ruhigen Stunde hören. Und dann später auch enige Nummern bei der nächsten Party mit gleichgesinnten Freunden auflegen. Raimund Nitzsche Richie Arndt - At the end of the day Seit vierzig Jahren schon zieht Richie Arndt nicht nur hierzulande durch die Bluesclubs. Sein neuestes Wasser-Prawda | Juni 2014 92 P L AT T E N Robert Cray Band - In My Soul Wer kennt Robert Cray nicht*. Seit Jahrzehnten liefert der in Columbus (Georgia) geborene Vollblutmusiker mit schöner Regelmäßigkeit ein Album nach dem anderen ab – jedes ein kleines Meisterwerk für sich. Robert Cray hat dabei natürlich seinen eigenen Stil entwickelt. Er ist eher ein Meister leiser Töne, aufgeregtes Blues Rock Gefrickel liegt ihm nicht. Er spielt eine klare, oft einschmeichelnde Gitarre, seine Stimme ist ruhig, klar und paßt perfekt in die Stimmung eines jeden Songs. Es gibt Kritiker die ihm vorwerfen seine Musik sei zu glatt, vielleicht schon etwas langweilig. Natürlich passt Robert Crays Musik auch zu einem ruhigen Abend, sie eignet sich sicher auch perfekt als Hintergrundmusik, wofür sie aber zu schade ist. Ein gutes Bild bekommt man mit meiner bisherigen Lieblings-CD „Cookin’ in Mobile“ von 2010. Die CD und die beiliegende DVD wurden anlässlich eines Konzerts im Saenger Theater in Mobile, Alabama aufge* English version on page Wasser-Prawda | Juni 2014 zeichnet und zeigen die unglaubliche Vielseitigkeit und großartige Perfektion von Robert Cray (Vanguard Records, 78073 – 2). Jetzt legt er uns mit „In My Soul“ ein weiteres stark soulorientiertes Album vor. Die Aufmachung des Albums hat mich zunächst verwundert. Provogue weist es als „classic series 33 1/3 microgrooves“ aus, und weist darauf hin, dass das Album auch mit Mono Equipment abgespielt werden kann. Nicht in das Bockshorn jagen lassen: Die CD ist kein Rerelease sondern brandneu eingespielt. Mit dem Love Song „You move me“ startet ein exzellentes Album im klassischen Robert Cray Sound. Dann geht es weiter mit Otis Reddings „Nobody’s fault but mine“ - was für eine Stimme! In „I guess I’ll never know“ haben die Bläser ihren großen Auftritt, die Ballade „Hold on“ stellt wieder Crays Stimme in den Vordergrund. Mit dem Instrumental „Hip Tight Onion“ erweist Robert Cray dem großen Booker T seinen Tribut. Langsam habe ich beim Zuhören verstanden, dass die Aufmachung des Albums Sinn macht. Robert Cray führt uns mit dem Album zurück in die Soulwelt der sechziger und siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts gepaart mit seiner musikalischen Perfektion der Gegenwart. Dazu nutzt er eigene Stücke und sorgfältig ausgewählte Klassiker der großen Soulmusiker. Das Album ist ein Muss für die Liebhaber zeitloser soulbeeinflußter Bluesmusik mit einem Hang zum Zuhören. (Provogue 7436 2) Bernd Kreikmann Selwyn Birchwood - Don‘t Call No Ambulance 2013 gewann Selwyn Birchwood gegen 125 andere Bands in Memphis die International Blues Challenge und außerdem den Albert King Award für den Gitarristen des Jahres. Jetzt veröffentlicht Alligator das erste Album mit dem Songwriter und Gitarristen aus Florida. Dieser Gitarrensound lässt Kritiker schon mal „Zukunft des Blues“ jubilieren: Im Spiel von Selwyn Birchwood hört man die Schule von Buddy Guy und Jimi Hendrix ebenso wie die Einflüsse des Texasblues. Doch für mich sind es weniger die explosiven Linien, die Birchwood auf Gitarre und Lap Steel spielt, die dieses Album bemerkenswert machen. Denn was nützt die größte instrumentale Meisterschaft, wenn die Songs nichts taugen? Und gerade die sind absolut bemerkenswert. Ob er in „Lions Den“ mit seiner tiefen Stimme an einen Gospelprediger erinnert, während er eine an den Propheten Daniel angelehte Geschichte erzählt, über P L AT T E N den Alkohol in seiner braunen Papiertüte singt, der helfen soll, die Sorgen zu vergessen, oder bei „Overworked and Underpaid“ das Leid vieler Menschen heutzutage ins Zentrum setzt: Das sind Bluessongs, die jenseits der Klischees einfach glaubwürdige Geschichten erzählen. Dass Birchwood natürlich auch ein exzellenter Gitarrist ist, der vom Buesrock über die Grooves vom nördlichen Mississippi bis hin zum Rhythm & Blues mit Bläsern und funkigem Soulblues jegliche Stilistiken bedienen kann, ist da eine willkommene Zugabe. Die Vergleiche mit Hendrix oder Guy sind hier schon naheliegend. Aber von der Intensität und der Leidenscchaft, mit der er und seine Band hier agieren, kommt mir eher sein Labelkollege Joe Louis Walker in den Sinn. Dass der auch als Gast im Studio dabei war, macht den Vergleich zwischen zwei großartigen Slide-Gitarristen auch für ungeübtere Ohren wesentlich einfacher. „Don‘t Call No Ambulance“: Ein herausragendes Debüt eines großartigen Songschreibers, Sängers und Gitarristen aus Florida! (Alligator/ in-akustik) Raimund Nitzsche 93 oder er lässt die Slide-Gitarre singen. Hinzu kommt, dass er ein faszinierender Songwriter ist, der sowohl klassischen Folkblues, als auch deftigsten Bluesrock und Rhythm & Blues im Stil der britischen Bands der 60er beherrscht. Höhepunkte auf dem durchweg bemerkenswerten Album sind für mich der Opener „Still Got It Bad“ (so sollte Bluesrock einfach sein!), Hills Version von Little Walters „Hate To See You Go“ mit seinem treibenden Beat und faszinierendem Call Steve Hill - Solo Recordings and Response zwischen Gitarre und Volume 2 Sein erstes reines Soloalbum brachte Gesang und „Go On“. Nathan Nörgel dem Kanadier Steve Hill 2013 bei der International Blues Challenge einen Preis für das beste selbstproduzierte Album ein. Und auch für Volume 2 hat der Songwriter und Gitarrist das Konzept nicht geändert: Live im Studio spielt er nicht nur die Gitarre, sondern präsentiert sich als One Man Band mit allem Drum und Dran. Die Gitarre ist rauh, heftig und rockend. Und der Groove ist hypnotisch vorwärtsdrängend. Wenn Steve Hill singt, dann ergibt das einen Sound, der so gar nicht nach The Black Sorrows - CerƟfied einer One Man Band klingt: Bei Blue den Songs seines aktuellen Albums Dieses Album ist wie eine großartig könnte man eher an ein Power-Trio bestückte Jukebox: „Certified Blue“, denken oder an bluesrockende Duos das 17. Album der vor 30 Jahren im Gefolge der White Stripes, Black gegründeten Black Sorrows ist eine Keys oder anderen: Hier interagie- Sammlung großartiger Songs, an ren Gitarre und Rhythmus derar- denen Fans von Blues, Rock & Roll, tig variabel und druckvoll, dass Country, Gospel und Soul gleicherman Steve Hill getrost als absolu- maßen ihre Freude haben dürften. tes Phänomen unter den One Man Es war irgendwann 1994. Wie jede Bands bezeichnen kann. In ande- Woche schaute ich in der Kleinstadt ren Momenten klingt Hill wie ein im Elektroladen vorbei. Denn neben fingerpickender Country-Blueser Waschmaschinen, Kühlschränken Wasser-Prawda | Juni 2014 94 P L AT T E N und HiFi-Geräten gab es dort eine gut sortierte CD-Abteilung. Der Chef des Ladens hatte ungefähr den gleichen Geschmack wie ich. Und auch seine Frau wusste gleich, was mich interessieren könnte. Doch noch mehr Spaß hatten wir dabei, die diversen Neueingänge auf den besten Anlagen im Laden zu testen. Diesmal zog der Verkäufer eine CD aus dem Regal, die wir beide noch nicht kannten: „Lucky Charm“ von The Black Sorrows. Schon nach den ersten beiden Liedern stritten wir uns darum, wer das Album in seine Sammlung einsortieren darf. Er war ein guter Verkäufer. Und ich hatte ein Album, das ich in jeder Stimmungslage von vorne bis hinten hören konnte - und das komischerweise allen meiner verschiedenen Freunde auf Anhieb gefiel: Irgendwie waren die Lieder so vertraut, als würde man sie seit ewigen Zeiten kennen: eine Mixtur aus Blues, Rock und Soul. Retro meinte der Rolling Stone damals und hielt das für eine Kritik. Doch selbst der Rezensent kam nicht umhin, die großartigen Songs von Joe Camilleri zu bemerken. Irgendeiner meiner Freunde vergaß, mir das Album zurück zu geben. Und ich hab es bislang in noch keinem Geschäft wieder finden können. Die Band und vor allem dieses Album war für mich wie ein Phantom, ein Wunschtraum geworden. Und dann spielte ein Freund in seiner Radiosendung etwas von einem neuen Album der Black Sorrows: Die gibt es wirklich noch? Und die sind wirklich noch so gut wie in meiner Erinnerung? Zwei Mal Ja! Wasser-Prawda | Juni 2014 Schon vom Opener „Roarin Town“ ist die alte Magie wieder da: Ein Kleinstadtsong, der ebenso aus den 50ern oder der Nachbarschaft des jungen Bruce Springsteen stammen könnte. Der Titelsong ist ein Liebeswerben mit röhrendem Saxophon und Streichern. „Can‘t Give Up On You“ ist wundervoll rotziger Bluesrock mit barmenden Hintergrundchören. Spätestens bei „Return of The Voodoo Sheiks“ ist ein absoluter Höhepunkt erreicht: Hier wandelt sich die Band zum Rockabilly-Orchester a la Brian Setzers Big Band. Wenn da nicht nur ab und zu auch Anklänge an den Bombast von Meatloaf um die Ecke tönen würden. Absolut unzeitgemäß. Vollkommen retro und ebenso großartig! Beim „Righteous Blues“ kommt der Groove direkt von den Straßen von New Orleans, inklusive der Tuba und einem tollen Kornettsolo. Und der Text: eine Abrechnung mit Scheinheiligkeit und Vorurteilen. Ansonsten gibts noch schmachtende Country-Walzer, Gospelsongs, und Soulpredigten. Und ich finde eigentlich kein Lied, was da nicht hineinpassen würde in dieses Album. Wer bei Musik weniger auf Aktualität als auf Songwriting schaut, wer Spaß daran hat, herrlich altmodischen Geschichten zu lauschen oder dazu zu tanzen: „Certified Blue“ ist dann ein absoluter Pflichtkauf! Ich hab endlich wieder eine Platte für alle Stimmungslagen. Raimund Nitzsche The Freak Fandango Orchestra - Wild Goats and Useless Heroes The Freak Fandango Orchestra aus Barcelona spielen seit Jahren ihre wilde Mixtur aus allen moglichen Folkstilen mit Ska und Punk. Auch „Wild Goats and Useless Heroes“ ist wieder ein Album geworden, um selbst Scheintote zum Tanzen zu bringen. Ein wenig hab ich in den letzten Jahren meine Recherchen in der freien Musikszene vernachlässigt. Da ist es schön, wenn sich liebgewonnene Bands wie das Freak Fandango Orchestra selbst zu Wort melden und auf neue Musik hinweisen. Jedenfalls dann, wenn sie so munter, witzig und mitreißend daherkommt wie diese Party für wilde Ziegen und überflüssige Helden. Dafür haben die Musiker sich die Anregungen aus Mexiko (El Mariachi), Russland (A Russian Circus Story), dem Balkan, von den Gypsies und natürlich auch aus diversen spanischen Regionen geholt, um daraus ihre eigene Musik zu erschaffen. Und da treffen dann in einem P L AT T E N Song Mariachi-Trompeten auf irische Fiddelklänge, Ska-Rhythmen und immer auch ein wenig Punk. Das hat auf diesem Album allerhöchstes musikalisches Niveau und wie schon gewohnt einen ungeheuren Spaßfaktor. Ein Hörer meinte spontan: Die Leningrad Cowbowys aus Barcelona. Ein anderer hingegen fühlte sich an die Chieftains erinnert. Beider Vergleiche sind für mich unkommentiert natürlich zu extrem. Aber ich weiß, warum sie zu ihnen gekommen sind. Der erste regte sich über mein akademisches Meckern auf und schlug statt dessen die „Chieftain Cowboys aus Barcelona“ vor. Und das triffts wirklich gut! Wer also Musik braucht, um seine müde Sommerparty in Schwung zu bringen: Man kann dieses Album auf diversen Plattformen im Internet kostenlos herunterladen und auch an Freunde verschenken. Raimund Nitzsche The Impellers feat. Clair Witcher - My Certainity Beim Vorgänger „This Is Not A Drill“ kam der Funk von den Impellers ständig rauh und deftig aus den Boxen. Auf dem Nachfolger werden dann auch schon mal soulige Balladen angestimmt. Die Zutaten sind: Latin-Soul aus New York, ein wenig Plastik-Funk a la Prince, jede Menge Frauenpower im Stile von Lyn Collins oder Vicky Anderson - und natürlich eine auf den Punkt groovende Band. The Impellers machen schon beim Opener „I Don‘t Care“ klar, dass sie auch heute noch nicht die Band für Kuschelrunden sind. Die Ecken und Kanten sind genau da, wo sie hingehören. Bei „Last Dance of The Moai“ treffen Exotik auf rauhen Protest gegen die fortschreitende Umweltzerstörung. Und wenn das Album auch „My Certainity“ heißt: Der Titelsong, eine der spannendsten Nummern überhaupt auf dem Album, ist eigentlich ein Lied über die eigene Unsicherheit. Hier wird das Funkkorsett am deutlichsten aufgebrochen. Das Lied kommt fast ohne Schlagzeug aus. Und das Hauptinstrument ist in diesem Fall eine akustische Gitarre. Clair Witcher hat dadurch die Chance, sich auch als variable Soulsängerin zu zeigen, bevor sie dann bei „My Tears (To Good For You)“ die wütende Funk-Diva gibt. Ein spannendes und absolut überzeugendes Album! Nathan Nörgel 95 Bringt bisher UnErhörtes zu Dir! www.cactusrock-records.com E-Mail: [email protected] CACTUS ROCK RADIO jeden 3. Donnerstag im Monat 18-20 Uhr CACTUS ROCK RECORDS-RADIOSHOW jeden 3. Freitag im Monat 16-17 Uhr Wasser-Prawda | Juni 2014 96 P L AT T E N KURZ UND KNAPP Blind Lemon Pledge Evangeline In den letzten Jahren war Blind Lemon Pledge eine Band rund um den Songwriter und Gitarristen James Byfield. Bei „Evangeline“ ist Byfield allerdings ganz zu seinen Wurzeln zurück gekehrt und hat sämtliche Instrumente selbst eingespielt. Wie weit kann man den Begriff Americana eigentlich fassen? Blind Lemon Pledge zählt darunter jedenfalls klassischen Blues im Stile von Son House ebenso wie Jump Blues a la Louis Jordan, Worksongs ebenso wie Folkballaden und Latin. Highlights auf diesem Album sind für mich „Brimstone Joe“ mit seinem New Orleans Groove, der an alte Fieldrecordings in Gefängnissen erinnernde Worksong „Buley‘s Farm“ und das gnadenlos swingende „Go Jump the Wilie“. Ein schönes Album für alle Freunde des akustischen Blues. den Songs von Cold Truth auch eine Haltung, wie sie Jack Black in „School of Rock“ predigt: Eine gute Rockshow kann die Welt verändern. Ist das heute noch realistisch? Keine Ahnung. Und das heißt für die fünf Songs auf der aktuellen EP: „No Sleep Till Sturgis“ ist hier noch am ehesten dem Blues verwandt - ist aber einfach eine tolle Rockhymne und damit mein Anspieltipp. „Living Hard“ ist näher am Southern Rock. Für Fans des ohne Schnörkel gespielten Gitarren-(Blues-)Rock lohnt sich das Hinhören auf jeden Fall. Ich würd gern mal ein Album hören, um zu testen, wie vielfältig die Band ist. Die Songs sind nicht schlecht, aber alle sehr gleich gestrickt. Eli Cook - PrimiƟve Son Verzerrte Gitarren und Anklänge an Blue Notes - reicht das, um als Bluesalbum durchzugehen? Auch Gastauftritte von Musikern wie Rod Piazza, Eric Gales oder Tinsley Ellis machen aus „Primitive Son“ von Eli Cold Truth - Grindstone (EP) Cook kein wirkliches Bluesalbum. Aus Nashville stammt das Quartett Aber Fans des Classic Rock werCold Truth, das seit 2000 seine den ihren Spaß an Songs wie „War Version des Bluesrocks spielt. Ihre Horse“, „Amphetamine Saint“ oder aktuelle EP „Grindstone“ zeigt die „Be Your Fool“ haben. Vorlieben für den Sound der 70er. Für mich ist das leider nicht die richBands wie Bad Company und tige Musik: Songs und Sound sind Free stehen hier Pate. Und bei voller Klischees, Eli Cook macht Wasser-Prawda | Juni 2014 zuviel auf Rockshow und lässt kaum Bluesfeeling erkennen. Alben wie dieses sind der Grund, weshalb ich gegenüber Bluesrock gewaltige Vorurteile entwickelt habe. Lee Palmer - 60 Clicks Auch sein zweites Album nach „One Take. Live at Canterbury“ ist wieder das Ergebnis einer Session mit Freunden. Songwriter und Gitarrist Lee Palmer hat für „60 Clicks“ zehn Songs zwischen Blues und Country geschrieben und jeweils in einem Take eingespielt. Er sei sich nicht sicher, ob er Blues oder Country lieber mag, sagt Lee Palmer. Seine neuen Songs jedenfalls sind diesmal mehr dem Country zugehörig. Eine Ballade wie das romantische „Sometimes“ inklusive Steelguitar und Bluesharp ist dafür ein prima Beispiel. Auch eigentlich eher bluesige Lieder wie „Things are too good to be blue“ werden durch Palmers Gäste zu Nummern, die auch bei Cowboys und Truckern Anhänger finden könnten. Geblieben ist die relaxte Atmosphäre der Musik. Und Palmer hat wieder schöne kleine Alltagsgeschichten geschrieben, denen man gerne zuhören mag. (On The Fly Music/cdbaby) P L AT T E N 97 WIEDERHÖREN die Band noch um Bläser und Backgroundchöre erweitert. Vor allem der Titelsong und der von John Clifton geschriebene „Bad Trip“ sind Anspieltipp eines absolut hörenswerten Albums. Nathan Nörgel Boogie Boys - Hey You! Seit einigen Jahren schon sind die 2002 gegründeten Boogie Boys aus Polen mit ihrer Mixtur aus Blues, Boogie Woogie und Rock & Roll unterwegs vor allem auf den europäischen Bühnen. Bereits 2009 kam ihr Album „Hey You!“ auf den Markt, eine perfekte Visitenkarte für die beiden Pianisten Bartek Szopinski (voc, org) und Michał Cholewinski sowie Schlagzeuger Szymon Szopinski. (Inzwischen ist das Trio noch um Bassist Janusz Brzezinski erweitert worden.) Boogie Woogie nicht akademisch, sondern als ansteckende Tanzmusik: so muss man das machen, wenn man eine Party in Bewegung versetzen will. Bei Bedarf kann man mit so einer Musik auch gut eine Show in Las Vegas gestalten, wenn man wie auf dem Album passiert, Deep Purple - In Concert `72 Es war ein großes Jahr für Deep Purple. Die klassische Besetzung hatte sich gefunden und mit „Machine Head“ einen Meilenstein eingespielt. Später kamen dann die Konzerte in Japan, die als „Made In Japan“ Rockgeschichte schrieben. Doch zuvor hatte die BBC die Band für eine Liveaufnahme ihrer Sendereihe „Sounds of the Seventies“ in das Paris Theatre in London geladen. Jahre später wurde dieser Auftritt in immer neuen Varianten auf den Plattenmarkt gebracht. Eine 2012 remasterted Fassung wurde jetzt in der korrekten Reihenfolge auf CD gepackt. Auf dem Programm des Auftritts stand fast das komplette Album „Machine Head“. Wahrscheinlich wurde im Paris Theatre die erste live-Version von „Smoke on the Water“ mitgeschnitten. Und die 22 Minuten „Space Truckin“ waren für die Sendezeit der BBC damals zu viel - und bei Plattenausgaben des Konzerts sorgten sie dafür, dass andere Stücke ausgelassen werden mussten. Bei der jetztigen Ausgabe hat man nicht nur die originale Setlist (inklusve der Zugabe „Lucille“) wieder hergestellt. Erstmals wurden auch die Zwischenansagen drin gelassen, so dass der Auftritt - ganz im Gegensatz zu „Made In Japan“ als fast intimes Clubkonzert herüber kommt. Ansonsten sind die Unterschiede zu „Made In Japan“ bei den Interpretationen eher marginal zu nennen: Die Band hat hier ihr Bühnenprogramm schon ziemlich genau einstudiert. Und bis zum August haben die Musiker dann ihren perfekten Stand erreicht. Raimund Nitzsche Wasser-Prawda | Juni 2014 98 P L AT T E N von 72. Die drei weiteren CDs haben den Vorteil, dass hier die Ansagen und die kleinen Pausen, in denen sich die Band einspielt, dringeblieben sind. Aber das ist purer Luxus für die, die nicht genug haben können. „Made In Japan“ gehört in jede Plattensammlung. Diese Luxusvariante ist für beinharte Fans, die nicht genug Zugaben haben können. Raimund Nitzsche Deep Purple - Made In Japan (5 CD Deluxe EdiƟon) Immer mal wieder kommen Neubearbeitungen von „Made In Japan“ auf den Markt. Die jetzige Luxus-Ausgabe bringt auf fünf CDs einerseits ein neues Remaster und die Original-Fassung als Vergleich als auch die drei Konzerte in Japan in Komplettfassung, aus denen die Aufnahmen des Albums stammten. Es gibt wenige Live-Alben, die das Prädikat „Absolut wichtig“ verdienen. „Made In Japan“ gehört auf jeden Fall dazu. Was Deep Purple bei den drei Konzerten im August 1972 in Japan ablieferten, ist ein Höhepunkt der Rockgeschichte. Sei es das vor allem live zur unvergleichlichen Hymne gewordene „Smoke on the Water“, der „Highway Star“ oder auch der vertonte RockOrgasmus von „Child In Time“: Die klassische Besetzung von Deep Purple war auf ihrem absoluten Höhepunkt! Braucht man aber diese Luxusausgabe? Der Remix bringt für meine Ohren im direkten Vergleich ein ganzes Stück mehr Klarheit und auch Druck als der Originale Soundmix Wasser-Prawda | Juni 2014 Eb Davis - The Gospel of the Blues Das war schon ein äußerst seltenes Erlebnis: Da sitzt man in einer Konzertpause Backstage und wechselt ein paar Worte mit Lurrie Bell. Und plötzlich schaut da Eb Davis vorbei, der extra für Bells Auftritt mit Familie aus Berlin an die Küste gereist ist. Als bekennender Fan von Davis nutzte ich die Chance, ihn nach dem einen Album zu fragen, das bislang in meiner Sammlung noch fehlte: 2009 nahm er „The Gospel of the Blues“ auf, eine Sammlung von Klassikern und eigenen Gospelnummern, die die enge Verwandtschaft zwischen Kirche und Bluesclub verdeutlichen. Manche Gospelfans sind enttäuscht: hier bekommen sie zwar bekannte Nummern wie „Down By The Riverside“, „You Got To Move“ oder „Will The Circle Be Unbroken“ geboten. Doch dieses Album sperrt sich - sieht man mal von dem a capella dargebotenen „Dry Bones“ ab - dem „normalen“ Sound einer Gospelplatte. Denn das hier ist Gospel Blues. Und das macht gerade den Reiz dieses Albums aus. Mal gibt es rollende Boogies, zuweilen die typische Bluesklage. Aber immer getragen von der Botschaft des Glaubens. Gerade die eigenen - mit Ehefrau Nina geschriebenen Songs - wie „Going Back To Church“, „A Better Day“ oder „Rough Side Of The Mountain“ sind zutiefst anrührende und persönliche Songs über den Glauben. Begleitet wird Davis hier unter anderem vom immer prägnanten Piano von Nina T. Davis, Schlagzeuger Lenjes Robinson und dem Saxophon von Willie Pollock. Alle drei sind auch als Teil des singenden Gospelquartetts zu hören. Als Gäste wirkten dann auch noch Tom Blacksmith (hier mal nur als Backgroundsänger und ohne Gitarre) und Schlagzeuger Andreas Bock bei einigen Stücken mit. Ein überzeugendes und empfehlenswertes Album, das schon neugierig macht auf Eb Davis‘ nächste Veröffentlichung, die irgendwann im Sommer oder Herbst erscheinen soll. Raimund Nitzsche P L AT T E N Led Zeppelin 1969 (Foto: Atlantic Records) von Led Zeppelin zeichnet er jedenfalls selbst mitverantwortlich. Erstmals hörte ich Led Zeppelin damals Anfang der 80er in den legendären „Metal-Runden“ von Schüler-Discos in der DDR. Selbst auf AMIGA-Schallplatten konnte man die Wucht dieser Band bestenfalls erahnen. Als ich erstmals bei einem Freund das Debüt der Band komplett hören konnte, kam das einer Offenbarung gleich: Sofort verschob ich Led Zeppelin im inneLed Zeppelin I - III ren Katalog raus aus dem Metal Seit Erfindung der CD mussten und hin in den Bluesrock, wohin die Songs von Led Zeppelin immer sie meiner Meinung nach gehörten. wieder für neue Remaster-Aktionen Doch ehe ich mir selbst die Alben herhalten. Im Lauf der Jahre wurde der Band in die Sammlung stellen so der Sound der klassischen Alben konnte (von den Kassetten-Kopien, immer wieder an den musikalischen die im Laufe der Jahre immer stärZeitgeist angepasst. Irgendwann ker verrauscht klangen, schweige dürfte selbst Jimmy Page seine ich lieber), war die Vinyl-Zeit voreigenen Sachen nicht mehr erkannt erst vorbei. Es blieb nur der Griff haben. Für die jetzt mit den ersten zur CD. Und schlagartig wurde mir drei Alben gestartete Neuausgabe klar, warum Vinylfanatiker gegen 99 das neue digitale Medium wetterten: Die Klarheit fehlte, alles klang zusammengepresst und schwammig. Erst die „Remaster-Serie“ brachte hier ein wenig Abhilfe. Aber zufriedenstellend war diese Box eigentlich ebensowenig wie die „Mothership“ einige Jahre später. Letztere setzte gar einen Meilenstein für die Verfälschung des Sounds durch hemmungslosen Einsatz des Kompressors. Und jetzt das: Nuancenreich bis in kleine Details und gleichzeitig druckvoll geht „Good Times, Bad Times“ los. Und bis zum Ende dieses legendären Debüts kommt man aus dem Staunen kaum noch heraus. Mal hört man die Finger über den Gitarrenhals gleiten, mal erahnt man noch den leisesten Klack auf dem Rand der Snare oder fühlt sich spontan bei den Orgelklängen in eine hallende Kirche versetzt. Hier hat man endlich mal sinnvoll mit der aktuellen Technik gearbeitet und versucht, den analogen Klang möglichst deutlich nachzubilden. Musikalisch ist an dem Album eh nicht viel mehr zu kritisieren, als dass Led Zeppelin sich hier schamlos durch Blues und Rock geklaut haben. Aber das Ergebnis ist umwerfend gut. Bonusmaterial auf der zweiten CD: Ein Livemitschnitt aus Paris im Jahre 1969. Insgesamt: ein Klassiker in tollem Sound. Ähnlich geht es auf „Led Zeppelin II“ weiter: „Whole Lotta Love“ kommt mit seinem Riff derartig wuchtig aus den Boxen, dass es einem sofort in den Bauch fährt. Hier beginnt er wirklich, der Heavy Metal mit seinen Appellen an Sex und Exzess. Wasser-Prawda | Juni 2014 100 P L AT T E N Musikalisch ist das Album weniger überraschend. Aber diesem Klassiker kann man sich seit Jahrzehnten zu Recht nicht entziehen. Wie auch bei der Wiederveröffentlichung von Led Zeppelin III bestehen die Zugaben aus Jams und alternativen Mixen. Die muss man nicht unbedingt haben. Doch man kann sie gut hören als Vorstufen zu den eigentlichen Songs. Manche machen ja das Ende der großen Cover-Kunst an der Einführung der kleinen CD fest. Für „Led Zeppelin III“ hat man das legendäre Cover mit der drehbaren Innenscheibe verkleinert nachgebildet. So bekommen die Nachgeborenen wenigstens eine Ahnung davon, wie fantasievoll man an der Schwelle zu den 70er Jahren arbeitete. Bei dem Album hatte die Band eigentlich zu ihrem eigenen Stil gefunden: Heftiger Hardrock trifft auf folkige Sounds, die Hektik der Riffgewitter auf feinfühlige Akustikpassagen. Ein Monster von einem Album! Die drei Scheiben gehören definitiv in jede ernstzunehmende Plattensammlung! Endlich mal gibts auf CD mal einen angemessenen Klang. Und wem das noch nicht reichen sollte: Die Remaster-Versionen werden auch auf Vinyl erhältlich sein. Raimund Nitzsche Wasser-Prawda | Juni 2014 Lenis Guess - The Story of Mit der Reihe „The Story of“ hat Tramp Records schon die verschiedensten Musiker zwischen Rhythm&Blues, Soul und Funk gewürdigt. Die siebente Veröffentlichung widmet sich dem dem Sänger, Produzenten und Labelboss Lenis Guess. Heute wirbt Lenis Guess auf seiner Homepage für zwei Gospelalben und eine CD mit Rhythm & Blues. Er nennt sich nicht ganz unbescheiden „The Ultimate Producer“. Doch dieser Titel hat wohl eher was mit seiner Vergangenheit in den 60er Jahren zu tun, wo er seiner Heimatregion um Norfolk, Virginia, einen ganz eigenen Soulsound verpasste. Sein Wirken als Sänger, Produzent und Labelboss versucht Tramp Records jetzt ein wenig nachzuzeichnen. Schon im Januar hatte das britische Label Jazzman eine Box mit drei Singles von Lenis Guess auf den Markt gebracht. Damit sollten einige der in der Szene hochgehandelten raren Funksingles neu zugänglich gemacht werden. Doch „The Story of“ geht hier - typisch für Tramp Records - wesentlich weiter. So finden sich unter den 25 Stücken auf der CD sowohl Singles, die Guess auf den Labels von Frank Guida veröffentlichte als auch Stücke seines eigenen Labels D.P.G. und aus dem später in Studio Brockington & Guess in Norfolk entstandenen Aufnahmen. Hier ist besonders die Studioband namens Raw Soul bemerkenswert, die im Laufe der Jahre zu einer derartig groovenden Einheit zusammenwuchsen, dass man sie getrost auch anderen Hausbands aus Muscle Shoals oder Memphis an die Seite stellen könnte. Auch die siebente Veröffentlichung der Reihe „The Story Of“ bietet Fans der Geschichte von Soul und Funk wieder eine äußerst faszinierende Unterrichtsstunde. Das Booklet liefert die notwendigen Informationen zu den Songs von Guess, Terry Sinkclair, Alvin Del, Sir Guy und anderen Musikern aus der NorfolkSzene in den frühen 70ern. (Tramp) Raimund Nitzsche Morrissey - Vauxhall And I Bevor das nächste Studioalbum „World Peace Is None Of Your Business“ auf den Markt kommt, erscheint Anfang Juni zunächst die erweiterte Neuausgabe des vor 20 P L AT T E N Jahren veröffentlichten Soloalbums „Vauxhall And I“. Als Bonus hat die Plattenfirma auf der zweiten CD einen 1995 entstandenen Livemitschnitt aus dem Londoner Theatre Royal beigelegt. Mit der Single „The More You Ignore Me The Closer I Get“ hatte Morissey gleich mal wieder einen Singlehit vorgelegt. Und das Album machte klar, dass Morrissey mit diesem Album endgültig einen neuen Sound gefunden hatte: Hier ist ob in den rockigen Stücken oder den akustischen Songs - keine Reminiszenz mehr an The Smiths zu hören. Mit dem Kapitel hatte er seit dem üblen Gerichtsprozess eh abgeschlossen. Jetzt also: ganz auf sich selbst bezogen, voller Selbstbewusstsein, setzt er zu den großen Statements an: Schon der mit deftigen Gitarren getriebene Opener „Now My Heart Is Full“ knallt voll rein. Und man muss die Bezüge zu Graham Greenes‘ „Brighton Rock“ nicht unbedingt verstehen, um das Lied gut zu finden. Aber es setzt gleich das Thema, dass sich durch das ganze Album hindurchzieht: die Bedeutung von Freunden. Auch die anderen Stücke sind - wie bei Morrissey in Bestform eigentlich immer - voll von Anspielungen, Hintergrundgeschichten und oft einem teils warmen, teils bösem Humor. Und auf diesem Album ist er noch dazu fast brutal ehrlich: er entschuldigt sich für seine Charakterfehler und versucht sich von seiner liebenswerten Seite zu zeigen. War der Vorgänger „Your Arsenal“ noch eine eher spaßige Angelegenheit, so ist er jetzt eher zurückhaltend und besinnlich. Und gerade Lieder wie „Lifeguard Sleeping, Girl Drowning“ über das Ertrinken eines Mädchens, dass zu lange gegen die Flut angeschwommen war, sind anders kaum denkbar. Wobei das böse Statement „she deserves all she gets“ mal wieder typische Ironie von Morrissey ist. Insgesamt geht man mit dem Fazit nicht fehl, wenn man „Vauxhall“ neben „Your Arsenal“ als das beste Soloalbum von Morrissey bezeichnet. Das Bonusmaterial ist eigentlich nicht wirklich nötig. Aber für die beinharten Fans vielleicht ein sinnvoller Anreiz, sich das Album erneut zu kaufen. Wer die Scheibe nicht hat, für den würde eigentlich das eigentliche Album schon ausreichen. Raimund Nitzsche 101 Franklin und Otis Redding herausgebracht. Von „Mess Around“ über „What‘d I Say“ bis zu „Hit The Road Jack“ sind die großen Hits ebenso drauf wie unbekanntere Nummern aus dem umfangreichen Werk, dass Charles vor seiner Hinwendung zu Pop, Country und ähnlichem aufnahm. Ein gutes Geschenk für Freunde, die die klassischen Alben noch nicht im Schrank stehen haben und ebenso auch eine Lehrstunde für alle, die sich heute für Soulmusiker ausgeben. (Rhino) Nathan Nörgel Various - Dynamite R & B Wo auf Wiederveröffentlichungen spezialisierte Label sich vor allem auf den Soul der 60er und 70er konzentrieren, geht Sound of Soul mit seinem Sampler „Dynamite Ray Charles - King Of Cool. R&B“ noch einen Schritt zurück The Genius of Ray Charles Pünktlich zum 10. Todestag von in der Geschichte: Zu finden sind Ray Charles legt Rhino jetzt das auf der CD 15 Stücke unbekanntenächste Dreifachalbum aus der rer Interpretinnen und Interpreten Soulgeschichte vor: „King of Cool“ aus den 40er bis frühen 60er Jahren. widmet sich den Anfangsjahren Wer sich für die Entwicklung bei Atlantic Records. Schon vor- nicht nur des Blues und Soul sonher hatte das Label Boxen mit dern auch des Rock & Roll interWerkquerschnitten von Aretha essiert, kommt an der Popmusik Wasser-Prawda | Juni 2014 102 P L AT T E N vor der Erfindung des Begriffes nicht vorbei: Im Rhythm & Blues kann man so verschiedene Stile finden, wie übrhaupt nur denkbar. Da gibt es Nummern, denen man die Herkunft aus dem Swing deutlich anhört, es gibt ziemlich klassisch gesungene Bluesnummern mit Piano und Saxophonen. Und natürlich gab es Pioniere wie Louis Jordan, die auf ihre Art den Rock & Roll oder wie Ray Charles den Soul schon vorwegnahmen. Sängerinnen wie Sherry Taylor („He‘s The One That Rings My Bell“) oder Becky Sharpe („They Say You Found A New Baby“) könnte man getrost bei jeder Rock & Roll Party spielen. Sänger wie Rudy Lambert lassen die gefühlvollen Soulballaden erahnen. Und dann gibt es dann auch noch lustige Novelty-Songs wie das Minidrama „If You Ain‘t Got Bread“ von Billy Hamlin. Fünfzehn Songs - fünfzehn kleine Hits! Ab auf die Tanzfläche! (Sound of Soul/Kudos) Nathan Nörgel ZZ Top - The Very Baddest of Ein neues Album ist nicht in Sicht, die letzte Tour ist auch schon wieder vorbei. Warum sollte man also Wasser-Prawda | Juni 2014 nicht ein neues „Best of Album“ auf den Markt werfen? Es braucht eigentlich keine Gründe, um die klassischen Boogie-Rocker von ZZ Top in den Player zu legen. Gerade für sommerliche Autofahrten sind diese Songs hervorragend geeignet. Auch wenn sie wohl für einige Punkte in Flensburg gut sein dürften. Die Zusammenstellung geht in Ordnung: Vom ersten Album bis hin zu „Mezcalero“ 2003 finden sich Stücke. Leider ausgelassen ist das bislang letzte Album. Aber das werden Fans wohl eh im Schrank haben. Aber gerade die brauchen „The Very Baddest of“ nicht . Das ist eine Platte für Neueinsteiger. Für die geht das Doppelalbum in Ordnung. Alle anderen brauchen es höchstens als gute Zusammenstellung für den Player im Auto. (Rhino/Warner) Nathan Nörgel Bringt bisher UnErhörtes zu Dir! www.cactusrock-records.com E-Mail: [email protected] CACTUS ROCK RADIO jeden 3. Donnerstag im Monat 18-20 Uhr CACTUS ROCK RECORDS-RADIOSHOW jeden 3. Freitag im Monat 16-17 Uhr BÜCHER 103 E UPH OR I E , R A S E R E I U ND E NT Z A U B E R U N G JÜRGEN KRÄTZER (HG.): “MIT DIESER WELT MUSS AUFGERÄUMT WERDEN Wie kann man heute vom 1. Weltkrieg erzählen, wo die Zeitzeugen gestorben sind? Welche Geschichten finden Autoren, wenn sie Inspiration suchen in den Zeitungen der damaligen Zeit? Die Literaturhäuser in Deutschland, Österreich und der Schweiz haben 23 Autorinnen und Autoren aus ganz Europa eingeladen, sich darauf einzulassen. Das Ergebnis der Aktion ist als Band 254 der Literaturzeitschrift “die horen” erschienen. Anderswo war die patriotische Raserei noch wilder: Kneipen wurden demoliert, wenn die Kapelle nicht sofort auf Wunsch patriotische Lieder spielte. Automobile mit vermeintlichen Spionen wurden überall angehalten und ausgeraubt. Nicht nur in Deutschland herrschte solch ein Zustand der massenhaften Euphorie. Und es waren überall nur wenige, die schon von Anfang an skeptischer waren. Es gibt nichts überholteres als die Nachricht von gestern lautet eine Journalistenweisheit. Die Zeitung von gestern taugt bestenfalls noch dazu, Fisch darin einzuwickeln Selbst der Pazifist Erich Mühsam konnte sich der eine andere. Doch je größer der zeitliche Abstand, Euphorie nicht völlig entziehen. In seinen Tagebüchern desto interessanter wird es, was lokale Tageszeitungen im August 1914 freut er sich über die „seelische Einheit“. über historische Ereignisse und sonstige Geschehnisse Wasser-Prawda | Juni 2014 104 BÜCHER gedruckt haben. In der Zusammenschau der verschiedensten Meldungen und Anzeigen kann man ein Bild der Geschichte zeigen, dass wesentlich detaillierter ist als die beste Geschichtsschreibung. Vor allem wird dieses Bild frei sein von den nachträglichen Deutungen der Ereignisse durch die Wissenschaft. Dass das Netzwerk der Literaturhäuser Autoren gerade gebeten hat, in Bezug auf ihre Heimatstadt zu recherchieren, macht den besonderen Reiz aus. Schon zwischen Städten wie München, Köln und Leipzig ergeben sich in den eingesandten Texten Unterschiede. Und auch quer über den europäischen Kontinent von Schottland bis Russland, von Ungarn bis Helsinki bietet der band der „horen“ die Möglichkeit, sich auf ganz unterschiedliche Zeitreisen zu begeben. Wo Autoren wie Uwe Saeger, Lukas Hammerstein oder Angela Krauss in ihren Texten vor allem die Originalmeldungen und Tagebuchnotizen montieren und so einen Spannungsbogen der Tages des Kriegsausbruchs entstehen lassen, gelingt Marcel Beyer daraus eines der überzeugendsten Essays des Bandes überhaupt: Sprachlich von einer Feinsinnigkeit und einem Humor wird die ganze Absurdität der Zeit nachvollziehbar: Aus Modeberichten, Kommentaren über Adelsfotografien und Vergleichen zwischen Deutschland und Frankreich entsteht ein Text, der einfach großartig genannt werden muss. Ganz anders gingen etwa Uwe Kopetzky oder Ulf Stolerfoht vor. Kopetzky hat in seiner Erzählung „Der erste Türke von Neukölln“ die historischen Ereignisse um das Schicksal deutscher Kriegsschiffe im Mittelmeehr mit der Schilderung einer Kindheit im August 1914 in Neukölln verwoben. Und Ulf Stolterfoht hat in einem Langgedicht den fiktiven Dichtern einer Kneipenrunde die Sprache der verschiedensten expressionistischen Dichter in den Mund gelegt und lässt so die Lyrik zwischen Liebe, Heimatverbundenheit und Patriotismus neu erstehen. Wenn hundert Jahre nach dem kollektiven Versagen der Militärs und Politiker in Europa die Schriftsteller ihr Bild vom Kriegsausbruch zeichnen, dann ist das für das Verständnis der damaligen Zeit wahrscheinlich hilfreicher als ein Großteil der aktuellen Arbeiten von Wasser-Prawda | Juni 2014 Historikern. Denn die konsequente Perspektive „von unten“ - von der Zeitung her oder dem zeitunglesenden Subjekt der Erzählungen - kann man sowohl die euphorische Raserei als auch die schrittweise Entzauberung durch die Grausamkeiten des Kriegsgeschehens nachvollziehen. Raimund Nitzsche Mit dieser Welt muss aufgeräumt werden. Autoren blicken auf die Städte Europas. Die Horen. Band 254 Wallstein Verlag, Göttingen 2014 ISBN 9783835314542 BÜCHER 105 »DIE S Z E NE Z E R F I E L I N ANEI NA ND E R G E R E I H TE SEKUNDEN« Liebe am Abgrund der Zeitlichkeit in Paulina Schulz´ Erzählung Das Eiland Es gibt Momente im Leben eines Menschen, die stellen die Weichen für alles Kommende. Manchmal ist es nur eine Bewegung, ein Blick oder eine Berührung, die in ihrer radikalen Konsequenz unvorhersehbare Folgen bedeuten kann. Die Geschichte eines solchen Augenblicks ist Das Eiland der deutschpolnischen Autorin Paulina Schulz. Sie erzählt die zwei Geschichten von John, einmal dem Fünfzehnjährigen, der mit seinen Eltern in den Urlaub fährt – auf das titelgebende Eiland – die Insel, die man leicht auch als der Zeit und dem Raum entrückten Sehnsuchtsort lesen kann. Dem gegenüber stehen die Erinnerungen des erwachsenen John, der am Sterbebett seines Vaters die Bilder jenes Sommers auf der Insel wieder hervorruft, dem Scheitelpunkt seines Lebens. Statt mit den Eltern am Strand zu liegen, streift der Fünfzehnjährige mit seinem Fotoapparat über die Insel, kapselt sich ab, um die Welt endlich allein zu erfahren. Er sucht Bilder, speichert Lichtreflexe auf dem Wasser als Gedanken in seinem Kopf. Es ist ungewöhnlich heiß, der kühle Wind vom Meer schaff t es kaum, der drückenden Hitze etwas entgegenzusetzen. Über allem liegt ein Dunst, in dem die Grenzen zwischen Realität und Traum verschwimmen. In dieser Zwischenzone begegnet John zwei Lichtgestalten, ganz in weiß, leuchtend. Auch ihre Grenzen sind fließend, manchmal vollkommen einzigartig jeder für sich, manchmal untrennbar wie ein einziger Mensch. Es sind die Zwillinge Milena und Milan, die John in ihre Mitte nehmen und ihm ein anderes Dasein zeigen. Sie führen ihn ein in die Welt der Schönheit, des Rausches und besonders in die Welt der Liebe, der Begierde, des Körpers. Immer stärker fühlt sich John angezogen von den beiden, verliebt sich in das androgyne Mischwesen, verfällt regelrecht dessen mythischer Anziehungskraft. Wie ein Meeresstrudel steuern die zunehmend intensiveren Treffen der drei Jugendlichen, die in ihrem Fatalismus an Bernardo Bertoluccis großartigen Film Die Träumer und in ihrer dekadenten Schönheit an Achim von Borries´ Was nützt die Liebe in Gedanken erinnern, auf einen unvermeidlichen Endpunkt, auf eine Erlösung aus der bis zum Unerträglichen getriebenen Ekstase hin. Die tragische Kraft bezieht die jugendliche Liebe jedoch aus ihrer Nichterfüllbarkeit, aus der Wunschvorstellung und der Phantasie. Wird der Wunsch nach geistiger und körperlicher Vereinigung dennoch in Realität überführt, zerbricht der Glanz des Unerfüllbaren. Paulina Schulz verwebt die entzaubernde und destruktive Kraft, die in dieser Erfüllung steckt, geschickt mit einer konkreten Gefahr für Leib und Leben. In der doppelten Grenzüberschreitung einer Nacht stirbt einer der Zwillinge fast, während der andere nackt mit John das Bett teilt. Die Gefahr des Folgenden liegt nun omnipräsent in der Luft, kann aber weder von John noch den Zwillingen verhindert werden. Mit unausweichlicher Wasser-Prawda | Juni 2014 106 BÜCHER auflösenden Haut.“ Statt die Wesenhaftigkeit der Dinge zu hinterfragen, verharrt sein Blick an deren Oberfläche. Als Leser bleibt man am Ende der Lektüre zurück mit der Frage, ob es wirklich immer Erklärungen für alles geben muss. Aber auch mit einer latenten Sehnsucht nach jenen warmen Inseltagen der eigenen Jugend. Die Lektüre lohnt, denn was mehr muss ein Buch können, als Fragen stellen und Sehnsucht wecken? Ludwig Lohmann. Paulina Schulz: Das Eiland. Erzählung freiraum-verlag 2014, 120 Seiten Preis: 12,95 Euro ISBN: 978-3-943672-32-9 Stringenz steuern die Jugendlichen auf die letzte Nacht zu, ab der „alles anders sein würde“, denn „sie hatten eine Grenze überschritten.“ Gerade weil es Paulina Schulz so konsequent offen lässt, warum die Zwillinge so handeln, wie sie handeln, bleibt Johns Scheitern an ihrer Schönheit so mystisch befremdlich. Das Geheimnis dieser Liebe wird nicht aufgelöst im dramaturgischen und sinnlichen Höhepunkt der Geschichte, sondern bleibt als hochsommerliche Luftspiegelung flirrend hinter den Worten versteckt. Aus diesem Grund ist Das Eiland weit mehr als eine Coming-of-Age-Geschichte. Es ist der Sprache gewordene Wunsch, Zeit zu konservieren in Fotos, in zu Bildern gewordenen Gefühlen, um dort die Erklärung für das Unerklärliche zu finden. Hier schließt sich der Kreis zur Geschichte des zweiten John, dem John nach diesem Sommer, der sich erinnert und auf sein Leben zurückblickt, als ein Fotograf der viele Jahre mit nichts anderem verbrachte, als durch seine Bilder die Zeit für einen Augenblick anzuhalten. Die Tragik seines Lebens wird deutlich, wenn er seinen sterbenden Vater betrachtet als Motiv einer Fotografie: „Es würde sich gut machen in Schwarz-Weiß, denke ich. Die f leckige Struktur der sich Wasser-Prawda | Juni 2014 Anzeige BÜCHER 107 THR IL L E R in einem nach EU-Recht geschützten Gebiet ist unglaubwürdig. Ein wenig Recherchen über die gesetzlichen Regelungen bei Bauanträgen hätte hier gut getan. Wenn andere Rezensenten dem Autor eine absolute Glaubwürdigkeit der Materie bescheinigen, zeigen sie nur, dass sie jeglichen Verschwörungstherien leichter Glauben schenken als dem trockenen Realismus deutscher Verwaltungsgerichtsbarkeit.Ansonsten: spannender Ökothriller - die richtige Lektüre für Urlaube in der Natur. Raimund Nitzsche Mark Bredemeyer - Grüne Guerilla FrakƟon Eigentlich das passende Thema für einen spannenden Thriller in Zeiten der Energiewende: Böser multinationaler Konzern plant Erdgas-Abbau durch Fracking mitten in einem niedersächsischen Naturschutzgebiet. Ihnen stellen sich deutsche Öko-Aktivisten entgegen, die von einfachen Baumbesetzungsaktionen zu immer radikaleren Methoden greifen. Unterstützung finden sie bei zwei Pygmäen aus Afrika, die auf der Suche nach dem von den Geistern vorhergesagten Anführer sind. Hinzu kommen korrupte oder mediengeile Politiker. Das alles ist spannend geschrieben und deshalb die ganz passende Urlaubslektüre. Sowohl bei der Schilderung der Natur als auch bei Sprache und Form aktueller Pressemitteilungen und Nachrichtenmeldungen zeigt sich, dass Bredemeyer eigentlich gut recherchiert hat. Allerdings gibt es hier einen entscheidenden Mangel: Das geschilderte Tempo des Aufbaus eine Förderanlage MarƟn Maurer - Terror Erste Frage beim Lesen eines Verschwörungsthrillers: Wie glaubwürdig ist der Plot? Martin Maurer hat sich jede Menge Mühe gegeben, seinem Roman über staatlich organisierten Terrorismus einen glaubwürdigen Anstrich zu geben. Selbst ein Blog der Hauptfigur wurde ins Netz gestellt. Presseberichte - sei es aus dem Umfeld Wasser-Prawda | Juni 2014 108 BÜCHER des Attentats auf das Münchner Oktoberfest oder den Polizeiaktionen zum G8-Gipfel in Genua sorgen für weitere scheinbare Authentizität. Die Grenzen zwischen Roman und Realität werden so bewusst immer weiter verwischt. Man kann beim Suchen nach der Realität im Netz dann durchaus auch auf die Texte und Recherchen von Maurers Hauptfigur Marc Burth stoßen. Verschwörungstheoretiker werden ihre helle Freude haben. Auch massenhaft Rezensenten haben die glaubwürdigen Recherchen bejubelt. Doch leider ist „Terror“ viel zu hölzern geschrieben, um ein guter Thriller zu sein. Die Charaktere bleiben so nebulös wie das Wetter im Roman, ständige Zeitsprünge sollen für Spannung sorgen, hemmen aber nur den Lesefluss. Bei jedem Kapitel muss man sich neu orientieren: In welcher Zeit befinden wir uns jetzt eigentlich? Und wer waren doch gleich die hier entscheidenden Personen? Natürlich ist nicht alles bei Maurer seiner Phantasie entsprungen. Das „Gladio“-Programm zu Zeiten des Kalten Krieges ist nicht erfunden. Doch ob sich dessen Wirksamkeit durch sämtliche terroristischen Anschläge seit der RAF hindurchziehen, ist wahrlich hahnebüchen. An den Strand würd ich das Buch daher eher nicht mitnehmen. Das kann man im Winterurlaub auf der Skihütte liegenlassen für spätere Besucher. Nathan Nörgel Wasser-Prawda | Juni 2014 Hier könnte Ihre Werbung stehen: Eine Spalte (89*220 mm). Kosten: 50 Euro/Monat oder 500 Euro/Jahr. Anfragen an marketing@ wasser-prawda.de. SPRACHRAUM 109 IN DER ERDE HENRI BARBUSSE Das 1916 erstmals veröffentlichte Kriegstagebuch Das Feuer. Tagebuch einer Koporalschaft machte den Journalisten und Kriegsfreiwilligen Henri Barbusse weltberühmt. Das Buch gilt als Vorläufer für Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque oder Ludwig Renns Der Krieg. Donnerschläge grollen unterm grossen, bleichen Himmel und jedesmal, wenn ein Blitz rotleuchtend aufzischt, zerfällt ein Feuerstrang dort unten, wo die Nacht noch dunkelt und eine Rauchwolke steigt hinauf ins anbrechende Morgenlicht. Hoch oben, in der Ferne hört man den Flug schrecklicher, unsichtbarer Vögel, die mit machtvollem und schnurrendem Atemzug zum Himmel steigen, sich die Erde zu besehn. Die Erde! Mählich erscheint diese Wüste, unbegrenzt und wassertriefend in der endlosen Trübseligkeit des Morgengrauens. Man entdeckt feuchte Flächen und Trichter, in denen das Wasser unter dem scharfen Morgenwinde erzittert; dann sieht man die wässrigen Spuren, die nächtliche Züge und Truppenteile in jenes Feld der Unfruchtbarkeit eingestampft haben. Wie lange Schienen ziehn sie sich durch die Ebene und haben einen metallnen Glanz im armseligen Dämmerlicht. Hier und dort stecken zerbrochne Pfähle einsam in Kothügeln und gekreuzte Stützpflöcke liegen zerschlagen neben aufgerollten, zerschundnen Drahtbüscheln. Es scheint, als schwimme ein riesengrosses, graues Tuch auf dem Meere, stellenweise überschwemmt. Es regnet nicht, aber alles ist nass, triefend schiffbrüchig und verwässert und das fahle Licht scheint über die Landschaft zu fliessen. In langen Gräben, die sich durch die Ebene schlängeln, verkriechen sich die letzten Schatten der Nacht. Es ist der Schützengraben, auf dessen glitschigem Grund der Fuss kleben bleibt und sich bei jedem Schritt zischend loslöst. Es stinkt um die Unterstände herum vom Urin der Nacht und auch aus den Schlupfwinkeln stinkt es, Daniel Vázquez Diaz, Henri Barbusse (Sepia auf Papier 1910) Wasser-Prawda | Juni 2014 110 SPRACHRAUM wenn man sich im Vorbeigehn hineinbeugt, wie aus Mäulern. Ich sehe aus den seitlichen Schachten Schatten ragen, die ihre plumpen und unförmigen Massen hin und her bewegen, wie knurrende, tappende Bären. Diese Schatten sind wir. Wir sind eingemummt wie Lappländer und eingepackt in Wollzeug, in Decken und Säcke, die uns überragen und uns grotesk aufblähen. Einige strecken sich, laut gähnend. Man sieht rötliche oder bleifarbne Gesichter mit Schmutzstreifen, die ihnen wie Schmisse im Gesicht sitzen, ihre Augen blinzeln wie schläfrige Nachtlichter und haben klebrige Ränder. Verwilderte Bärte sitzen büschelartig an den Wangen; andere haben kotige Stoppeln am Kinn. Tak! Tak! Pam! Gewehrschüsse schnarren, Kanonen brummen; über uns, überall her knattert es, donnert ein gedehntes Rollen oder knallen einzelne Schüsse; und dieses wütende, flammende Gewitter hat nie, nie ein Ende. Seit mehr als fünfzehn Monaten, seit fünfhundert Tagen dauern auf diesem Erdfleck das Gewehrfeuer und das Schiessen ununterbrochen an, vom Morgen bis zum Abend und vom Abend bis zum Morgen. Man hockt verscharrt in ein endloses Schlachtfeld, aber wie man damals in jener fast märchenhaften Zeit das Ticken der Uhren in unseren Stuben nur hörte, wenn man hinhorchte, so auch hier den Lärm. Jetzt kriecht ein Puppengesicht aus der Erde mit aufgedunsenen Augenlidern und karminroten Bäckchen, als habe man sie mit roten Quadrätchen beklebt und öffnet ein Auge und dann das andere; es ist Paradis. Auf seiner Haut kleben noch wie Striemen die eingedrückten Spuren seines Zelttuches, in das er zum Schlafe den Kopf eingewickelt hatte. Er blickt mit seinen kleinen Augen um sich, sieht mich, nickt mir zu und sagt: – Wieder eine Nacht vorbei, Alter! – Ja, mein Sohn, und wie viele werden wir noch durchzuhalten haben? Er streckt seine dicken Arme zum Himmel, hat sich auf der Leiter aus dem Unterstand herausgequetscht und steht neben mir. Dann stolpert er über eine dunkle Masse, die im Halbdunkel kauert, kratzt sich krampfhaft unter rauhen Seufzern und humpelt von hinnen wie ein Wasser-Prawda | Juni 2014 Pinguin in einer sündflutlichen Landschaft. * Allmählich tauchen die Leute aus ihren Schlupfwinkeln hervor und Schattenklumpen lösen sich aus allen Ecken los; dann bewegen sich diese menschlichen Schatten und nehmen deutlichere Formen an und einer nach dem andern wird erkennbar. Da steht einer, seine Decke über dem Kopf; er sieht aus wie ein Wilder oder vielmehr wie das Zelt eines Wilden, das schaukelnd herumschwankt. Von nahem unterscheidet man, in ein breites gestricktes Wollzeug eingerahmt, ein viereckiges, jodgelbes Gesicht mit dunklen Flecken und gebrochner Nase, eng zusammenstehenden Schlitzaugen mit rosiger Umrandung und einem kleinen Stoppel-Schnurrbart, feucht wie eine Fettbürste. – Hola Volpatte! Wie gehts Firmin? – Es geht, es geht, immer hin und her, sagt Volpatte. Er hat einen trägen Tonfall, den seine Heiserkeit noch beschwert. Dann hustet er. – Ein Husten, zum Verrecken! Du, hast du gehört heut Nacht, die Attacke? Alter, das war ein Bombardement, das reinste Absieden! Er zieht die Luft durch seine eingefallne Nase und fährt mit dem Aermel drüber. Dann schiebt er die Hand unter Mantel und Weste, greift nach seiner Haut und kratzt sich. – Dreissig Stück hab ich beim Kerzenlicht gefangen, grunzt er. Im grossen Unterstand neben dem Schleichweg kannst du was erleben; im Stroh sieht man sie rumkrabbeln, wie ich dich hier sehe. – Wer hat angegriffen, die Deutschen? – Sie und wir auch, bei Vimy; ein Gegenangriff. Hast du nichts gehört? – Nein, antwortet für mich der dicke Lamuse, der StierKerl. Ich schnarchte. Kannst dir ausrechnen, letzte Nacht Dienst gehabt. – Ich hab was gehört, sagt Biquet, der kleine Bretone. Hab’ schlecht geschlafen, oder, besser gesagt, gar nicht geschlafen. Ich hab ‘nen Spezial-Unterstand. Das Hurenloch, da guck her. Er zeigt mit dem Finger auf einen nicht sehr tiefen Graben, in dem es auf einem dünnen Mistbett gerade für einen Platz hat. – In der Nusschale schlafen, sagt er, und nickt mit seinem SPRACHRAUM kleinen, harten und eckigen Schädel, der aussieht, als sei er noch nicht fertig ausgefeilt. Ich hab fast nicht geschlafen; eingeschnarcht war ich zwar schon, aber die Ablösung vom 129ten ist hier durch und hat mich aufgeweckt, aber nicht durch den Lärm, sondern durch den Gestank. Die Kerle mit ihren Füssen an meiner Nase vorbei! Das weckt einen totsicher auf; Nasenfieber kriegst du davon. – Ich kenne das. Wie oft bin ich nicht selbst im Schützengraben aufgewacht an jener schweren Stickluft, die eine Abteilung beim Marsche wie eine Spur hinter sich herzieht. – Wenn die Läuse wenigstens dran kaput gingen, sagt Tirette. – Bewahre, die kriegen im Gegenteil Beine davon, meint Lamuse. Je dreckiger du bist, je lausiger, sag ich dir, um so mehr lieben sie dich, die Läuse. – Uebrigens war’s mein Glück, fährt Biquet fort, dass sie mich mit dem Stinkgeruch aufgeweckt haben. Ich erzählte es soeben dem dicken Schmerbauch da, hab zur rechten Zeit meine Gucklöcher aufgesperrt und erwischte grad noch das Zeltdach über meiner Schlafkapsel, sonst hätte sie mir so ein schuftiger Mistkäfer gemaust. – Lauskerle sind die vom 129ten. Zu unsern Füssen unterscheidet man, unten im Graben, eine menschliche Gestalt, die das Morgenlicht noch nicht traf; sie hockte unten im Loch und ramschte mit beiden Händen ihre Kleider zusammen und schüttelte sich; es war Vater Blaire. Zwei Aeugelchen blinzelten in seinem staubigen Gesicht. Ueber der Oeffnung seines Mundes, in dem kein Zahn mehr zu sehen war, sass als gelber Büschel ein dichter Schnurrbart. Seine Hände hatten einen finstern Zug und ihr Rücken war derart verdreckt, dass sie ein Fell zu decken schien; die Handfläche war hart und grau. Seine ganze Gestalt, mürbe wie eine verschrumpfte, erdbedeckte Wurzel, hatte den muffigen Geruch eines alten Kochtopfes. Er kratzte sich und sprach mit dem langen Barque, der ein wenig von ihm Abstand wahrte und nur sein Ohr hinhielt. – Zu Hause bin ich nicht so dreckig, meinte er. – Da hast du dich verdammt geändert, antwortete Barque. 111 – Dein Glück, platzte Tirette heraus, sonst kriegte nämlich deine Frau Negerbengels von dir. Blaire wurde wild und zog seine Brauen an seiner schwarzbesudelten Stirn zusammen. – So lass mich doch in Frieden. Was du nur mit mir hast? Krieg ist Krieg. Glaubst du, der ändert dir deine Manieren nicht, du Bohnenfratze? Begaff dich doch selbst, du Affenschnauze, Arschbackengesicht du! Die Redensarten bringt auch nur ein Kamel wie du raus. Er fuhr mit der Hand über die graue Schicht, die sein Gesicht bedeckte; sie war durch den Regen dieser Tage klebrig geworden und tatsächlich nicht zum wegbringen. Dann fügte er hinzu: – Uebrigens wenn ich bin, wie ich bin, so ist das meine Sache. Erstens hab ich keinen Zahn mehr. Der Bataillonsarzt hat mir schon lange gesagt: »Hast keinen Zinken mehr, das langt nicht. Bei der nächsten Pause, hat er gesagt, gehst du in den estomatologischen Wagen.« – Tomatologischer Wagen, berichtigte Barque. – Stomatologisch, belehrte Bertrand. – Man kriegt’s zwar umsonst, fuhr Blaire fort, aber gegangen bin ich doch nicht. – Ha, und weshalb nicht? – Halb wegen der Versetzung, antwortete er. – Bist reif zum Küchenoberst, meinte Barque; das war eigentlich was für dich. – Ganz deiner Meinung, machte Blaire einfach, worüber man lachte. Dies aber beleidigte ihn, er stand auf und meinte: – Ich kriege Bauchgrimmen bei euch, ich geh ‘nen Kaktus pflanzen. Als er dann im Morgengrauen verschwunden war, wurde von den andern jene Wahrheit noch mal durchgekaut, dass es nichts gemeineres auf Erden gibt als die Köche. – Wenn ein Kerl derartig schmierige Haut und dreckige Kleider hat, dass er nur noch mit Zangen anzugreifen ist, so kannst du Gift drauf nehmen, ‘s ist ein Küchenchef. Je dreckiger, desto eher ist er Küchenchef. – Das ist sicher wahr und wahrhaftig, sagte Marthereau. – Da kommt Tirloir. He! Tirloir! Tirloir beschäftigt ein Gedanke; er schnüffelt nach rechts und schnüffelt nach links; sein dünner, chlorbleicher Schädel wiegt sich im Wulst seines Mantelkragens, der ihm viel zu dick und zu weit ist. Sein Kinn ist zugespitzt Wasser-Prawda | Juni 2014 112 SPRACHRAUM und die obere Zahnreihe vorspringend; um seinen Mund gräbt sich tief eine Falte ein wie ein Maulkorb. Er ist wütend wie gewöhnlich, und wie immer hat er was zu schimpfen. – ‘s hat mir einer meinen Brotsack gemaust, heut Nacht. – Wohl einer von der Ablösung vom 129ten. Wo lag der Brotsack? Tirloir deutet auf ein Bajonett, das in der Wand steckt, neben dem Eingang eines Unterschlupfes: – Da hing er, an dem Zahnstocher hier. – Schafskopf! tönt es allgemein. Da langt doch jeder mit der Hand hin! Bist wohl verrückt? – ‘ne Gemeinheit ist es doch, jammert Tirloir. Dann packt ihn plötzlich die Wut. Sein Gesicht schrumpft in Falten zusammen, wutschnaubend; seine kleinen Fäuste ballen sich wie Seilknoten, mit denen er in der Luft herumfuchtelt. – Das kann ich nur sagen: wenn ich den Hund erwische, hau ich ihm ‘s Maul kaput, den Ranzen stoss ich ihm ein, ich ... ein ganzer Camembert war noch drin. Ich werde noch mal auf die Suche gehn. Er massiert sich den Bauch mit der Faust, wie eine Gitarre mit kleinen, knappen Schlägen und macht sich davon. Seine Silhouette schreitet in die Morgendämmerung davon, würdig und zugleich wie die Fratze eines Kranken, der sich in seinen Schlafrock verkriecht. Noch hörte man ihn fluchen, bis er schliesslich verschwand. – Das Kamel, machte Pépin, worauf die andern lachten. – Er hat einen Spleen, er ist total verrückt, erklärt Marthereau, der die Gewohnheit hat, durch den gleichzeitigen Gebrauch zweier Synonyma seinen Aeusserungen das Rückgrat zu stärken. Da, Alterchen, sagt Tulacque, der soeben erscheint, guck dir mal das an. Tulacque ist ganz hervorragend. Er trägt ein zitronengelbes Wams, das er sich aus einem geölten Schlafsack zurechtgeschneidert hat. Für den Kopf hat er in der Mitte ein Loch herausgeschnitten und über das Ganze seine Achselriemen und den Gurt geschnallt. Tulacque ist gross und knochig im Bau. Wenn er geht, streckt er sein energisches Gesicht vor; in seinem Blick liegt etwas verdächtiges. In der Hand hält er einen Gegenstand. Heut nacht hab ich das gefunden beim graben am »neuen Schlauch«, als man die verfaulten Holzrahmen Wasser-Prawda | Juni 2014 ausgewechselt hat. Hat mir gleich imponiert, das Zeug. ‘S ist ein Beil, älteres Kaliber. »Aelteres Kaliber« stimmte unbedingt: es bestand aus einem zugespitzten Stein und einem braunen Knochen als Griff. Es schien mir ein prähistorisches Stück zu sein. – Es liegt einem famos in der Hand, sagt Tulacque, indem er das Werkzeug schwingt. Tatsache, gar nicht so schlecht ausgedacht, jedenfalls besser, als das heutige Ordonnanz-Beil. Tadellos, weisst du; da, probier mal ... was? Aber wieder zurückgeben. Ich behalt mir das Zeug auf; das kann mir sicher mal Dienste leisten ... Er schwingt sein vorsündflutliches Beil und scheint selbst ein Pitecanthropus mit Flittergold, der in den Eingeweiden der Erde haust. * An der Biegung des Schützengrabens stehen wir nun aneinander, wir von der Bertrandschen Korporalschaft und vom halben Zug. An dieser Stelle ist der Graben etwas breiter als an seinem geraden Teil, und wenn andre vorübergehn, drückt man den Rücken an die Wand, aber die Bäuche streifen noch aneinander. Unsere Kompagnie steht in Reserve in einem Parallelgraben zweiter Linie. Hier gibts keinen Wachpostendienst. Nachts sind wir für Erdarbeiten vorne gut, aber tagsüber gibt es für uns nichts zu tun. So hocken wir aneinandergepfercht, Ellenbogen an Ellenbogen, und schlagen, wie’s geht, bis zum Abend die Zeit tot. Das Tageslicht ist schliesslich in die endlosen Erdschlitze, die diese Gegend durchfurchen, eingesickert und beleckt die Schwelle unserer Höhlen. Trübseliges Licht des Nordens, niedrer und schlammiger Himmel, an dem der Rauch und Gerüche von Fabriken zu kleben scheinen. In dieser bleichen Beleuchtung erscheint die Gelegenheitskleidung jener tiefsten Menschenschicht ungeschminkt in der unendlichen und verzweifelten Armseligkeit, die sie schuf. Aber es steht damit wie mit dem eintönigen Tik-Tak des Gewehrfeuers und dem Brummen der Kanonen: zulange schon dauert das Drama, das wir spielen, als dass man sich noch über das Aussehen aufhielte und über die Verkleidung, die man sich erfunden hat, zum Schutze gegen den Regen, der von oben kommt, gegen den Dreck, der von unten kommt und gegen die Kälte, die wie eine Unendlichkeit SPRACHRAUM überall fliesst. Tierfelle, Deckenbündel, Tücher, Pelzmützen, Wollkappen, gefütterte Mützen, Halstücher, dick über den Mund gezogen oder als Turban über dem Schädel auspolsternde Unter- und Oberleibchen, Ueberzüge von geteerten, gummierten und Kautschuk-Kappen, schwarze und solche in allen möglichen, verblichenen Regenbogenfarben; alles dies verhüllt die Leute, verwischt ihre Uniformen und ihre Gesichter und lässt sie ins Ungeheuerliche wachsen. Dem einen hängt im Rücken ein weiss- und rotkarriertes Wachstuch, das er im Vorübergehn irgend in einem gastfreundlichen Esszimmer aufgegabelt hat: es ist Pépin, den man von weitem schon an diesem Harlekinfetzen besser erkennt als an seinem bleichen Apachengesicht. Hier wölbt sich Barques Brustlatz, den er sich aus einer Steppdecke ausgeschnitten hat, früher mal rosafarben, jetzt aber unter Staub und Regen abgeschossen und moiriert. Dort steht der mächtige Lamuse wie eine Turmruine mit Reklame-Ueberbleibseln. Der kleine Eudore trägt einen Rückenpanzer aus Moleskin, so dass er von hinten aussieht wie ein polierter Käfer; aus allen heraus aber ragt Tulacque mit seinem gelben Häuptlings-Brustkasten. Der Helm überm Kopf bringt eine gewisse Einförmigkeit, und dies auch nicht immer! Manchem sitzt er nämlich auf dem Käppi, wie dem Biquet, oder wie Cadilhac auf der Pelzmütze, andern wieder auf der Baumwollmütze, wie Barque; das alles kompliziert noch die Sache und bringt die verschiedensten Spielarten hervor. Und unsre Beine! ... Eben kroch ich gebückt in unsern Unterstand, eine niedere Höhle, in der man über leere Konservenbüchsen und schmutzige Lumpen glitscht und wo es nach muffiger Feuchtigkeit riecht; zwei lange Leiber lagen schlafend am Boden, während eine knieende Gestalt beim Kerzenlicht in einem Brotsack stöberte ... Als ich nun wieder hinauskletterte, kamen mir, indem ich durch die rechteckige Oeffnung sah, Beine zu Gesicht. Da gab es wagrechte, senkrechte und schiefstehende, ausgebreitete, eingeklappte und verstrickte, die den Durchgang versperrten und die von jenen verwünscht werden, die sich durchdrükken möchten. Sie bieten jedenfalls eine an Farben und Formen äusserst reiche Auswahl: Gamaschen, schwarze und gelbe Wadenbekleidungen, lange und kurze, aus 113 Leder, gegerbtem Tuch oder sonstigem wasserdichtem Gewebe: dunkelblaue, hellblaue, schwarze, resedafarbige, kaki und hellgraue Wadenbinden ... nur Volpatte trägt noch, einzig in seiner Art, von der Mobilisation her, die kleinen Ordonnanzbinden. Mesnil André führt seit zwei Wochen ein Paar dicke, grüne und gerippte Wollstrümpfe spazieren, während man Tirette von jeher mit grau und weiss gestreiften Tuchbinden gekannt hat, die von einer Zivilhose herrühren und gottweiss, wo diese Zivilhose bei Kriegsausbruch gehangen hat ... Und Marthereau erst, dessen Binden nicht genau gleich in der Farbe sind; als er sie nämlich zurechtschneiderte, konnte er unmöglich zwei Mantelfetzen ausfindig machen, die gleich abgenützt und dreckig gewesen wären. Daneben gibt es in Lumpen, ja sogar in Zeitungen eingewickelte Beine, um die sich Schnüre und, was noch praktischer ist, Telephondrähte spiralenförmig winden. Pépin protzt vor den Kameraden und den Passanten mit einem Paar fuchsgelben Gamaschen, die er einem Toten gepumpt hat ... Barque, der auf Findigkeit und Ideenreichtum Anspruch erhebt (womit er einem, weiss Gott, zuweilen auf die Nerven geht), der Bruder Barque leistet sich weisse Waden: er hat sich nämlich Verbandbinden um die Gamaschen gewickelt, um sie zu schonen; diese weisse Farbe an der Basis seiner Gestalt passt zu seiner Baumwollmütze, die unter seinem Helm herausschaut und unter der wiederum der feuerrote Haarbüschel eines Clowns hervorguckt. Poterloo marschiert seit einem Monat in den Stiefeln eines deutschen Infanteristen herum; es sind schöne, fast noch neue Stiefel mit Hufeisen am Absatz. Caron hat sie ihm anvertraut, als er seines Armes wegen wegkam. Caron selbst hatte sie einem bayrischen Mitrailleur abgenommen, der auf der Pylones-Strasse gefallen war. Ich höre noch Caron die Geschichte erzählen: – Jawohl, mein Lieber, da lag er, der Bruder Hiroton, zusammengeklappt, den Hintern in einem Loch; er blinzelte den Himmel an, die Beine in der Luft. Er hielt mir seine Komisstiefel hin, als wollte er sagen, der Streich lohne sich. Werden wir schon machen, sagt ich mir. Aber Mensch, die Schinderei, dem die Stiefel auszuziehn! Abgeschunden hab ich mich, dran gezogen, gedreht, geschüttelt ... eine halbe Stunde, mein Ernst; mit seinen stocksteifen Haxen, ohne Behilflichkeit seinerseits. Und Wasser-Prawda | Juni 2014 114 SPRACHRAUM als ich eine lange Zeit dran gewürgt hatte, da gingen dem Leichnam schliesslich die Beine an den Knien aus dem Leim und seine Büchsen desgleichen und die ganze Bescherung nach, mit einem Ruck! Auf einmal stand ich da, in jeder Pfote einen gefüllten Stiefel. Und nun hiess es, die Beine und die Füsse rausnehmen. – Na, du trägst dick auf! – Frag den Radfahrer Euterpe, ob’s nicht wahr ist. Wenn ich dir sag, dass er dabei war: mit den Händen haben wir Knochen, Sockenfetzen und Fusstücke rausgezogen. Aber guck her, gelohnt hat sich die Sache! ... Und während Carons Abwesenheit trägt Poterloo für ihn die Stiefel ab die der bayrische Mitrailleur nicht mehr selbst hat abtragen können. Und so wehrt man sich mit regsamem Erfindungsgeist und allerlei kühnen Hilfsmitteln gegen den schrecklichen Mangel an häuslicher Einrichtung. Jeder ist wie ein Zeugnis dessen, was er in der tiefen Armseligkeit, die ihn überfallen hat, zu erfinden wusste und auszuführen sich nicht scheute. Mesnil Joseph schlummert, Blaire gähnt, Marthereau qualmt stieren Blickes. Lamuse kratzt sich wie ein Gorilla und Eudore wie ein Seidenaffe; Volpatte hustet und sagt, ich werde verrecken; Mesnil André hat Spiegel und Kamm vorgeholt und pflegt seinen schönen braunen Bart wie eine seltene Pflanze. Die eintönige Stille wird zuweilen durch Anfälle verzweifelten Schüttelns unterbrochen, hervorgerufen durch die endemische, chronische und ansteckende Gegenwart der Parasiten. Barque aber, der ein guter Beobachter ist, lässt seine Blicke in der Runde spazieren, zieht seine Pfeife aus dem Munde, spuckt, zwinkert mit dem Aug und meint: – Man sieht sich doch verdammt unähnlich. – Wie sollte man auch? fügt Lamuse hinzu; das wär schon ein Wunder. * Unser Alter? Alle möglichen Alter haben wir. Unser Regiment ist ein Reserveregiment, das durch verschiedentlichen Nachschub teils aus der aktiven Armee, teils aus der Landwehr ergänzt worden ist. In dem einen halben Zug gibt’s Landwehr-Reserven, Anfänger und Halbflügge. Fouillade ist vierzig, Blaire könnte Biquets Vater sein, der selbst ein Fläumling ist und zum Jahrgang 13 gehört. Der Korporal redet den Marthereau mit Wasser-Prawda | Juni 2014 »Grossvater« an oder mit »alter Schutthaufen«, je nachdem er im Spass oder im heiligen Ernst spricht. Mesnil Joseph wäre jetzt in der Kaserne, wenn nicht Krieg wäre. Es berührt uns schon merkwürdig, wenn wir uns führen lassen müssen von unserm Sergeanten Vigile, einem kleinen netten Kerl mit einem Anflug von Härlein an der Oberlippe und der letzthin im Standquartier mit kleinen Mädchen Seil hüpfte. In unserer zusammengewürfelten Gruppe, in dieser Familie ohne Verwandtschaft, an diesem Herd ohne Heim sitzen dicht nebeneinander drei Generationen und leben, warten reglos wie unförmige Statuen, wie starrende Meilensteine. Unsre Rassen? Alles mögliche ist bei uns vertreten und aus allen Gegenden sind wir zusammengelaufen. Meine Nachbarn zum Beispiel: Poterloo ist MinenArbeiter aus der Calonne-Grube und hat eine rosige Gesichtsfarbe, strohgelbe Augenbrauen, flachsbläuliche Augen und einen dicken goldgelben Schädel, für den man lange in den Magazinen nach der mächtigen blauen Schüssel gesucht hat, die ihn behelmt. Fouillade dagegen ist Schiffsmann von Cette und rollt ein Paar teuflische Augen; er hat das lange, magere und geigenbraune Gesicht eines romantischen Haudegens und eingefallene Wangen; so sind meine beiden Nachbarn in der Tat voneinander verschieden wie Tag und Nacht. Und nicht minder der Kontrast zwischen Cocon, jener langen, bebrillten Bohnenstange, mit der vom Grosstadtdunst zersetzten Hautfarbe und zwischen Biquet, dem rauh zugeschnittenen Bretonen mit grauer Gesichtsfarbe und seinem Pflastersteinkiefer; und André Mesnil, der gemütliche Apotheker aus der normannischen Unterpräfektur, der einen hübschen, zarten Bart trägt und der so viel und so gut spricht; er hat nicht viel gemeinsames mit Lamuse, dem fetten Bauern aus dem Poitou, mit seinen Faustbacken und seinem StierNacken. Barque, der sämtliche Strassen von Paris abgeklopft hat, spricht die Sprache der Pariser Vorstadt, wogegen andere aus dem 3. Landwehr-Regiment den singenden, fast belgischen Akzent des Nordens haben; dazwischen tönt wiederum die klangvolle Sprache der 144., die über die Silben wie über Pflaster rollt und schliesslich der Dialekt der Auvergnaten vom 12., die sich wie Ameisen gegenseitig anziehen und inmitten der SPRACHRAUM übrigen einen abgesonderten Block bilden ... Ich erinnere mich noch, wie Tirette, dieser Spassvogel, sich mit folgenden Worten vorstellte: »Ich, Kinder, ich bin von Clichy-la-Garonne! Wer hat da noch Worte?« Und jene erste Klage, die mich Paradis näher brachte, als er jammerte: »die andern futieren sich um mich, weil ich aus dem Morvanschen bin«. Unsere Berufe? Auch so ziemlich alles durcheinander. In früheren Zeiten, als man sich noch einer sozialen Stellung erfreute und man seine Zukunft in diese verregneten und beschossenen Maulwurfslöcher, die man immer wieder neu aufscharren muss, noch nicht vergraben hatte, damals waren wohl die meisten von uns Ackersleute und Arbeiter. Lamuse war Knecht, Paradis Fuhrmann; Cadilhac, dem der Kinderhelm auf seinem spitzen Schädel wackelt gleich einer Kuppel auf einem Kirchturm, wie sich Tirette ausdrückt, Cadilhac ist Grundbesitzer; Papa Blaire war Pächter in der Brie; Barque dagegen war Laufbursche und vollbrachte auf seinem Dreirad akrobatische Kunststücke, sich zwischen Pariser Trambahnen und Taxametern durchschlängelnd, wobei er, nach seiner eigenen Aussage, auf den Strassen und Plätzen den bestürzten Hühnerstall der Fussgänger in ganz hervorragender Art anbrüllte; Korporal Bertrand, der sich stets schweigsam und korrekt ein wenig abseits hält, mit seinem regelmässigen und exakt zugeschnittenen Gesicht, mit seinem schönen, wagerechten und mannhaften Blick, war Werkmeister in einer Röhrenfabrik. Tirloir bepinselte Kutschen, ohne zu murren, wie versichert wird. Tulacque hatte eine Weinpinte an der »barrière du Trône« und Eudore, der bleiche und sanfte Eudore führte an einer Landstrasse unweit von der jetzigen Front eine Wirtschaft; sie hat unter den Geschossen sehr gelitten – natürlich, denn, wie bekannt, hat Eudore kein Glück. Mesnil André, der noch die letzten Spuren von Zivilisation aufzuweisen hat und seine Haare pflegt, verkaufte Natron und garantiert unfehlbare Mittel (an einem grossen Platz); sein Bruder Joseph verkaufte Zeitungen und illustrierte Romane in einem Bahnhof der Staatseisenbahn, während Cocon, der Ziffermensch, fern von hier, in Lyon, hinter dem Ladentisch einer Eisenhandlung mit einer schwarzen Bluse und bleifarbenen, polierten Händen sich zu schaffen machte. Becuwe, Adolphe und Poterloo dagegen 115 stiegen, wenn der Morgen graute, hinter dem armseligen Sternchen ihrer Laterne in die Kohlengruben des Nordens. Und andere hat es noch, deren Berufe man immer wieder vergisst und die man miteinander verwechselt; und dann die Landstromer, die zehn Berufe zugleich in ihrem Ranzen führen, Pépin nicht zu vergessen, der zweifelhafte Pépin, der wohl nie einen Beruf gehabt hat (alles was man weiss, ist, dass er vor drei Monaten, nach seiner Wiederherstellung im Depot geheiratet hat, um ... die staatliche Unterstützung der Wehrmannsfrauen zu beziehen). Freie Berufe gibt es keine in meiner Umgebung. Lehrer sind Unteroffiziere bei der Kompagnie oder bei der Sanität. Im Regiment befindet sich ein Marist als Sergeant, dem Sanitätsdienst zugeteilt; ein Tenor ist Radfahrer beim Bataillons-Arzt; ein Advokat Sekretär des Obersten; ein Rentier Küchenkorporal bei der Verwaltungs-Kompagnie. Bei uns dagegen nichts von alledem; denn wir sind kämpfende Soldaten, wir; und während dieses Krieges werden die wenigsten unter den Intellektuellen, den Künstlern oder den Reichen ihr Gesicht an eine Schiesscharte vorgewagt haben, allerhöchstens im Vorbeigehen oder mit ein paar Streifen am Käppi. Gewiss, man ist grundverschieden von einander. Und doch sieht man einander so ähnlich. Trotz Altersunterschiede, trotz verschiedener Herkunft, Bildung und Stellung, trotz alledem, was früher war und trotz der Abgründe, die uns einst von einander trennten, sind wir im grossen und ganzen einer wie der andere. Hinter einer rauhen Silhouette verbergen sich und zeigen sich die gleichen Sitten, die gleichen Gewohnheiten, der gleiche vereinfachte Mensch, der auf den Urzustand zurückgekommen ist. Die gemeinsame Ausdrucksweise, jenes mit einigen Neubildungen aus der Werkstatt-, Kasernensprache und Dialekt gewürzte Gemisch verbindet uns wie eine Sauce jener gedrängten Ansammlung von Männern, die seit Monden Frankreich entleert, um sich im Nord-Osten anzustauen. Und dann kettet uns hier das gleiche unwiderrufliche Schicksal aneinander, wo uns eine höhere Macht und das gewaltige Abenteuer auf die gleiche Stufe stellt. So muss Wasser-Prawda | Juni 2014 116 SPRACHRAUM man wohl nach Wochen und Monaten einer allgemeinen Aehnlichkeit unterliegen. Die schreckliche Enge des gemeinsamen Daseins, das uns aneinanderdrängt, passt uns gegenseitig an, verwischt alle Unterschiede, und jeder wird unwiderruflich davon angesteckt; so dass wir einander schliesslich ähnlich sehen, ohne dass man erst aus der Ferne zum Eindruck jener Gleichheit gelangte, aus einer Ferne, für die wir nur Staubkörnchen sind, die in der Ebene umhergetrieben werden. * Man hockt da und wartet; dann wird man müde vom hocken und steht auf. Beim Aufstehen aber quetschen einem die Gelenke wie gleitendes Holz oder alte Türangeln; in der Feuchtigkeit rostet der Mensch ein wie ‘s Gewehr, langsamer zwar, aber gründlicher. Und dann fängt das Warten wieder von vorne an, und man versucht es auf andere Weise. Ein Warten ohne Ende ist der Kriegszustand. Man wird zur Wartemaschine. Augenblicklich wartet man gerade auf die Suppe. Dann kommen die Briefe an die Reihe. Doch jedes Ding zu seiner Zeit: erst wenn man mit der Suppe fertig ist, wird man an die Briefe denken. Und dann wird es irgend was anderes zum abwarten geben. Hunger und Durst sind brennende Instinkte, die auf den Geisteszustand meiner Kameraden mächtigen Einfluss haben. Und da die Suppe auf sich warten lässt, werden sie ungehalten und murren. Das Bedürfnis nach Nahrung und Trank knurrt ihnen zum Mund heraus. – Acht Uhr schon. Wo bleibt diese gottverdammte Brühe? – Und mir brummt schon seit gestern zwölf Uhr der Magen, knurrt Lamuse, mit sehnsuchtsfeuchten Augen und weinroten Backen. Von Minute zu Minute wächst der Missmut zu Erbitterung an. – Plumet hat sich wohl meinen Lakritzensaft hinter die Binde gegossen, anstatt ihn herzubringen und liegt besoffen, weiss der Teufel wo. – Das ist sicher und gewiss, meint Marthereau. – Halunken, Ungezieferbagage! brüllt Tirloir, gemeine Bande alle mit einander, diese Ober-Faulpelze! Auf dem Ranzen liegen den ganzen Tag, hinter der Front und sich nicht einmal zur Zeit herschleppen können. Wenn ich Prinzipal wäre, ich wollte sie schön an unserer Stelle in Wasser-Prawda | Juni 2014 die Schützengräben stopfen, und dran glauben müssten die bequemen Herrn! Erstens müsste jeder mal schmutzig werden und die Brühe kochen dürfen; d. h. wer dazu Lust hätte, versteht sich. Und dann ... – Pépère, der Schweinehund, schreit Coco, wird natürlich an der Bremserei schuld sein. Erstens tut er’s mit Fleiss und zweitens kriegt man morgens den Satan nicht aus den Federn, das arme Kerlchen. Sechs Stunden Lauskapsel braucht er zum ausschnarchen, wie ein Milchsüppchen, und tags über liegt er auf der faulen Haut. – Ich möcht ihm schon Feuer unter die Hosen zünden! schimpft Lamuse. Den wollt ich prompt aus den Federn jagen, wenn ich dabei wäre. Den Hirnkasten würd’ ich ihm eintrommeln, an seinen Stelzen rausangeln sollte man ihn. – Letzthin, sagt Cocon, hab ich’s ausgerechnet: sieben Stunden siebenundvierzig Minuten hat er gebraucht vom Unterstand Nr. 31. Fünf gut gestampfte Stunden brauchst du, nicht mehr. Cocon ist ein Zahlenmensch. Er ist mit Gier ins Genaue-Dokumentiertsein vernarrt; überall steckt er wie ein Wiesel seine Nase hinein, ob es nicht nach Statistiken rieche, die er dann mit Ameisenfleiss anhäuft und jedem geduldigen Ohr als Schmaus anbietet. Augenblicklich fuchtelt er mit Zahlen herum wie mit einer Waffe und Wut verzerrt sein dünnes Gesicht, das aus lauter Dreiecken und Winkeln besteht, auf denen die zwei Kreise seiner Brillen ruhn. Er steigt aufs Schiessbrett, das noch aus der Zeit stammt, als hier die vorderste Linie durchlief; dann streckt er seinen Kopf wütend über die Böschung; dabei sieht man im dünnen, kalten Lichtstreifchen, das über die Erde kriecht, die Brillengläser glänzen und auch einen Tropfen, der ihm wie ein Diamant an der Nase hängt. – Und überhaupt mit dem Pépère, kein Wunder, so ein Spundloch; unglaublich, was er sich kiloweise Saft an einem Tag hinter die Binde giesst. Der alte Blaire mistet seine Ecke. Man sieht, wie dabei sein dichter, weisslicher Schnurrbart zittert, der ihm wie ein weisser Kamm aus der Nase steht. – Soll ich dir was sagen? Die Suppenmannschaft, das ist überhaupt der Typus eines Schweinetypus. Bei ihnen heisst’s immer: scheiss drauf, leck mich am Arsch, SPRACHRAUM Scheiss-Arsch und Compagnie. – Auf dem Mist sind sie gewachsen, seufzt in tiefster Ueberzeugung Eudore, der der Länge nach mit halbgeöffnetem Mund wie ein Märtyrer auf dem Boden liegt und Pépin unentwegt betrachtet, der wie eine Hyäne hin- und herrennt. Die hassgeschwängerte Erbitterung gegen die Verspäteten wächst von Minute zu Minute, Tirloir, das Reklamierkaliber, kommt überhaupt nicht mehr zur Ruhe. Er ist in seinem Element und stupft die Wut der Kameraden mit kleinen, spitzen Gesten an: – Wenn man wenigstens den Trost hätte, dass einem die Sache schmecken wird, aber die Schlampe, die du dir in den Schlauch stopfen sollst. – Und gestern, ha! meint Tirette, den Braten, den sie gebracht haben; Schleifstein ist nichts dagegen! Rindsbeefsteak nennen sie das; hat sich was mit dem Veloschlauch. Den andern hab ich gesagt, sie sollten beim kauen aufpassen: beisst euch die Dominos nicht dran kaput, hab ich gesagt, wenn der Schumacher im Falle einen Nagel dran vergessen hätt. Tirette, heisst es, sei Exregisseur einer Kinotruppe; sein ausgeschriener Witz hätte zu einer andern Zeit die Lachmuskeln gereizt; jetzt aber ist die Stimmung getrübt und auf den Witz antwortet nur ein allgemeines Knurren. – Und dann pappen sie einem als Fleisch zur Abwechslung was Weiches in den Magen; sowas wie ungesalzner Schwamm, oder fades Senfpflaster; beim Essen hast du’s Gefühl, es rutscht dir ein Viertel Liter Wasser den Schlauch runter. – All das Zeug ist ohne Bestand, meint Lamuse, und hält nicht an im Magen. Und wenn du meinst, du bist voll, dann hast du doch ‘ne leere Kiste; und dann kippst du allmählich um von wegen zu wenig Nahrung. – Das nächste Mal, schreit Biquet, geh ich zum Alten und sag ihm: »Herr Hauptmann ...« – Ich, sagt Barque, meld mich bleich und sag zum Arzt: »Herr Major ...« – Und wenn du Wände einrennst, hast du nichts davon. Die sind sich doch alle einig, den Soldaten auszunützen. – Unsre Haut wollen sie, alle, sag ich dir! – Genau wie mit dem Schnaps. Das Recht drauf haben wir; irgendwo, wo weiss ich nicht, aber irgendwo, weiss 117 ich bestimmt, ist drüber abgestimmt worden; nun sind wir schon drei Tage lang hier, und Schnaps! Hat sich was, mit Heugabeln schenken sie ihn uns ein? – Hol’s der Teufel. * – Endlich kommen die Fressalien! meldet einer der an der Biegung Auslug hielt. – Höchste Eisenbahn! Nun legt sich plötzlich wie verhext das fluchende Gewitter, und die Wut wandelt sich in Zufriedenheit. Drei Leute Suppenmannschaft stellen, ausser Atem und schweisstriefenden Gesichtes, zwei grosse Kannen, eine Petrolkanne, zwei Tucheimer und an einer Stange aufgespiesste Kugeln auf die Erde. An die Grabenwand gelehnt, wischen sie sich mit ihren Taschentüchern oder ihren Aermeln den Schweiss von der Stirn. Dabei seh ich Cocon sich an Pépin lächelnd heranmachen; schon hat er die Beleidigungen, mit denen er ihn vorhin bedacht hatte, vergessen, und deutet auf eine jener Feldflaschen, die dem Pépère wie ein Rettungsgürtel um den Bauch hängen. – Was gibt’s zu futtern? – Da steht’s, antwortete ausweichend der zweite Träger. Die Erfahrung nämlich hatte ihn gelehrt, dass die Ankündigung des Speisezettels stets eine bittere Enttäuschung hervorruft. Er schimpft auch deshalb, ohne noch seinen vollen Atem gefunden zu haben, über den langen und schlechten Weg, den er soeben zurückgelegt hatte: »Ueberall liegen sie herum wie die Beduinen, man kommt kaum durch. Dünn wie Zigarettenpapier müsste man sein, manchmal, um sich durchzuquetschen ...« »Und dabei hat’s noch welche, die meinen, bei der Küchenmannschaft seien sie alle Drückeberger.« Dagegen behaupte er, tausendmal lieber im Schützengraben zu arbeiten oder auf dem Wachtposten zu stehn, als dies elende Handwerk zweimal in der Nacht und zweimal am Tag ausüben zu müssen. Paradis hat die Deckel der Kannen gelüftet und den Inhalt untersucht: – Oelbohnen, gekochtes Leder und Schlamm; das ist alles. – Gottverdammich! Und wo bleibt der Wein? brüllt Tulacque und trommelt die Kameraden zusammen. Wasser-Prawda | Juni 2014 118 SPRACHRAUM – Da schaut her! So was geht über’s Bohnenlied! Nicht mal Wein haben sie gebracht. Sie laufen alle zusammen und schneiden lange Gesichter; denn ihre Gaumen sind ausgetrocknet. – Scheissbande! rufen die Leute, tief bis in die Eingeweide hinein enttäuscht. – Und da drinnen, was hat’s da drinn? meint einer der Träger, noch immer krebsrot und nass vom Schweiss, und deutet mit dem Fuss auf eine Kanne. – Ja so, sagt Paradis, ich habe mich getäuscht, also doch Wein. Drauf zuckt der Träger mit den Achseln und wirft ihm einen Blick grenzenloser Verachtung zu und sagt: Setz dir Kuhbrillen vor die Augen, wenn du blind bist. Dann fügt er hinzu: – Ein Viertelliter pro Mann ... kann sein, dass es nicht ganz reicht, ‘s ist mir nämlich im Wald so’n Rindvieh dran gestossen, dabei ist ein Tropfen rausgespritzt ... Dann fügt er aber schnell hinzu: wenn ich nicht beide Hände voll gehabt hätte, hätt ich dem Kerl den Absatz in den Bauch gesteckt, sag ich, ja wohl! Aber die vierte Geschwindigkeit hat er eingeschaltet, das Kamel! Trotz dieser energischen Versicherung, macht er sich schleunigst auf die Socken, verfolgt von den beleidigenden Anspielungen, die die andern seiner Ehrlichkeit und seiner Temperenzlerseele nachwerfen und auch von den Verwünschungen, die die eingestandene unvollständige Ration auslöst. Nichtsdestoweniger stürzt man sich auf die Nahrung, und sie essen stehend, kauernd, knieend, auf einer Kanne hockend oder auf einem Tornister, der aus dem Schlafloch gezogen wird; andre liegen auf dem nackten Boden, den Rücken in der Erde vergraben; die Vorübergehenden aber stören sie und man flucht sich gegenseitig an. Ausser diesen fluchenden Bemerkungen spricht keiner etwas, denn das Essen nimmt sie völlig in Anspruch; dabei trieft der Mund von Fett wie der Verschluss der Gewehre. Nun ist alles zufrieden. Nach einer Weile aber ruhn die Kiefer aus; dann werden Zoten aufgetischt. Alles fuchtelt mit den Armen durcheinander und jeder überschreit den Nachbar und hastet nach der günstigen Gelegenheit, seinen Witz anzubringen. Und Farfadet lächelt, Farfadet, der zerbrechliche Wasser-Prawda | Juni 2014 Mairie-Beamte, der zu anfang den Anstand wahrte und sich putzte, dass man ihn für einen Fremden oder einen Rekonvaleszenten hielt. Lamuse aber zieht sein flixendes Maul bis hinter die Ohren und seine Augen blinzeln freudetriefend; wogegen das rote Gesicht von Poterloo strahlt und glänzt wie eine Pfingstrose; die Runzeln des alten Blaire zittern vor Ausgelassenheit; er ist aufgestanden, streckt die Nase vor und schüttelt seinen dünnen Leib, der wie ein Stiel für seinen mächtigen, hängenden Schnurrbart aussieht; ja selbst der arme Cocon hat ein Fünkchen Heiterkeit auf seinem kleinen Runzelgesicht. * – Ja und ... der Schlamm, wird der nicht gewärmt? fragt Becuve. – Womit nur? Blas drauf, vielleicht kriegt er Hitze davon. – Lasst mich nur machen. Ich weiss schon, wie das zu drechseln ist; wahrlich, keine Hexerei; macht ihr mir nur einen kleinen Herd mit den Käsmesserscheiden zurecht; ich geh derweil Späne holen mit meinem Messer; werdet schon sehn ... Mit diesen Worten macht er sich auf die Holzsuche. Die andern rollen sich Zigaretten oder stopfen ihre Pfeife, solang der Kaffee kocht. Hierzu zieht ein jeder seinen Tabakbeutel heraus, seinen Leder- oder Kautschukbeutel, den er beim Krämer gekauft hat; das leisten sich nur die wenigsten; Biquet holt seinen Tabak aus einem Strumpf hervor, dem er dann mit einer Schnur den Hals würgt. Die meisten gebrauchen als Tabaktasche die Wattesäckchen der Gasmasken. Sie sind aus wasserdichtem Stoff hergestellt und eignen sich vorzüglich zum Aufbewahren des Knasters. Andere aber bergen ihren Tabak einfach in den Tiefgründen ihrer Manteltasche. Die Raucher spucken im Kreis herum gerade auf den Eingang des Unterstandes zu, in dem das Gros des halben Zuges haust und überschwemmen mit gelber Nikotinspucke gerade die Stelle, wo man auf Händen und Knieen ein- und auskriecht. * Ein Brief, den Marthereau von seiner Frau erhalten hat, bringt das Gespräch auf die Lebensmittelfrage. – Meine Alte hat mir geschrieben, sagt Marthereau. Wisst ihr, was ein leibhaftiges Mastschwein kostet, jetzt? ... Die volkswirtschaftliche Frage artet in einen heftigen SPRACHRAUM Streit zwischen Pépin und Tulacque aus. Die endgültigsten Worte sind ausgetauscht worden, und schliesslich meint einer: – Mir doch Wurst, was du sagst und was du nicht sägst. Halt’s Maul! – Wenn’s mir passt, Scheisskerl! – Ein drei Liter-Krug möcht dir s’Maul zufrieden stellen! – Ja, und wo hast du den? – Komm nur her, komm her doch! Sie sind schäumend vor Wut und rücken zähneknirschend aufeinander los. Tulacque fasst sein prähistorisches Beil und seine zweideutigen Augen werfen Blitze von sich. Der andere steht da, bleich, mit grünlichem Auge und dreckiger Fratze und denkt offensichtlich an sein Messer. Lamuse aber, mit blutrotem Gesicht streckt seine friedliche Hand, dick wie ein Kinderkopf, zwischen beide Männer, die sich mit den Blicken auffressen und mit Worten zerfleischen. – Langsam, langsam, Kinder; ihr werdet euch doch nicht in Fetzen hauen; ‘s wär, weiss Gott, schade drum. Dann treten auch die anderen dazwischen und die beiden Gegner werden von einander getrennt. Beide aber werfen sich über die Kameraden hinweg wütende Blicke zu. Pépin spuckt noch seine letzten Flüche aus mit giftigem und schnaubendem Tonfall: – Der Apache, der Halunke, der Stromer! Nur abwarten, ich werd’s ihm schon heimzahlen! Seinerseits vertraut sich Tulacque dem Soldaten an, der neben ihm steht: – Der Lumpenkerl! Hast du ihn gesehn? Weisst du, richtig ist das schon: man verkehrt hier mit allerlei Kerlen und weiss nicht, woher das Pack alles herkommt. Man kennt einander und kennt einander eben doch nicht. Aber wenn der die grosse Schnauze haben will, so ist er an die richtige Adresse geraten: ich werde sie ihm dieser Tage schon mal demolieren, nur Geduld. Während dann die Unterhaltung allgemein wieder in Gang kommt und sie das aussterbende Doppelecho übertönt, sagt Paradis zu mir: – Also alle Tage; gestern wollte Plaisance ums Verrecken dem Furnex auf die Schnauze geben, weiss der Teufel weshalb, wegen Opiumpillen oder so was. Und wenns 119 der eine nicht ist, dann ist es der andere. Wird man hier wirklich zum Stück Vieh, weil man äusserlich danach aussieht? – Gott, das sind doch alles keine seriösen Leute, meint Lamuse, Kinder sind sie alle. – Na, ja, ‘s wären doch sonst keine Männer. * Der Tag ist unterdessen vorgeschritten. Ein wenig mehr Licht sickert durch den Dunst auf die Erde; aber der Himmel bleibt bewölkt und jetzt schmilzt er zu Wasser. Der feuchte Dunst fällt in dünnen Fäden auf das Land. Es sickert Feuchtigkeit. Der Wind streicht über uns seine grosse nasse Leere mit verzweifelnder Trägheit. Unterm Nebel und den feuchten Tropfen weicht alles auf und wird grau: sogar der Möbelstoff, den sich Lamuse über die Backen zieht, und die gelbe Schale in der Tulacque steckt; und das Dunstwasser löscht in uns die helle Freude, die die Mahlzeit angefacht hatte. Der Himmel hat sich auf die Erde gedrückt, und so lehnt sich das Feld der Trübsal an den Acker des Todes. Und man steht da wie angewachsen und ohne Beschäftigung. Heute wird das Ende des Tages wieder kaum zu erreichen und der Nachmittag schwer zu erwürgen sein. Man schlottert; alles ist ungemütlich und man drückt sich von Stelle zu Stelle, wie eingepferchtes Vieh. Cocon erklärt seinem Nachbarn die Anlage und die Verquickung unserer Schützengräben. Er hat einen Hauptplan gesehen und sich darnach manches ausgerechnet. Der Sektor des Regimentes begreift fünfzehn Linien französischer Schützengräben; die einen stehen leer; das Gras ist wieder drüber gewachsen und sie sind fast wieder mit Erde ausgefüllt; die anderen werden andauernd offen gehalten und sind gespickt mit Menschen. Diese Parallelgräben sind verbunden durch unzählige Verbindungsschläuche, die sich durch die Erde winden wie alte Gassen. Das Grabennetz ist bedeutend dichter, als wir glauben, wir, die wir selbst drin leben. Auf die fünfundzwanzig Kilometer Breite, die die Front der Armee ausmachen, kommen tausend Kilometer Gräben; Schützengräben, Verbindungsgräben, Sappen. Und das französische Heer hat zehn Armeen. Es sind demnach auf französischer Seite rund zehntausend Kilometer Gräben zu rechnen und ebensoviel auf deutscher Seite ... Und die französische Front ist ungefähr Wasser-Prawda | Juni 2014 120 SPRACHRAUM nur der achte Teil der ganzen Kriegsfront, die sich über die Erde erstreckt. So spricht Cocon und schliesst seine Rede mit der Bemerkung: – Kannst Dir nun ausrechnen, was unsereins in der ganzen Geschichte vorstellt ... Der arme Barque senkt das Haupt. Er hat das bleichsüchtige Gesicht eines Vorstadtkindes, und seine roten Schnauzhaare lassen es noch blasser erscheinen. An seinem Schädel aber sitzt ein Haarbüschel wie ein geschwungener Apostroph. Bei Gott, wenn man’s überlegt, dass ein oder sogar mehrere Soldaten in diesem Haufen rein nichts, weniger als nichts bedeuten, dann kommt man sich wie verloren und verwischt vor, wie ein paar Tropfen Bluts in diesem sündfluthaften Durcheinander von Menschen und Dingen. Barque seufzt und verstummt – und dann hört man eine Geschichte, die einer in dieser Lautlosigkeit halbleise erzählt: – Er war mit zwei Pferden gekommen. Pssiiii ... eine Granate. Dann blieb ihm nur noch das eine Pferd ... – Man vergeht vor Langeweile, sagt Volpatte. – Man muss durchhalten, murrt Barque. – Wofür? fragt Marthereau, skeptisch. – Es braucht keinen Grund, man muss einfach. – Es hat auch keinen Grund, versichert Lamuse. – Freilich hat’s einen, sagt Cocon. Und zwar ... es hat sogar mehrere ... – Klappe zu! Es ist besser, es hat keinen, da man nun doch mal aushalten muss. – Und wenn ich’s euch sage, knurrt Blaire, der keine Gelegenheit verpasst, seinen Vers aufzusagen: und wenn ich’s euch sage, dass sie unsre Haut wollen! – Anfangs, sagt Tirette, hab ich über allerlei nachgedacht, ich studierte, ich berechnete: jetzt denk ich überhaupt nicht mehr. – Ich auch nicht. – Ich auch nicht. – Ich, ich hab’s überhaupt nie versucht. – Du bist doch nicht so dumm, wie du aussiehst, du Wanzenfratze, meint Mésnil André mit seiner spöttischen Fistelstimme. Der andere, der nicht weiss, ob er sich geschmeichelt Wasser-Prawda | Juni 2014 fühlen soll, führt weiter aus: – Erstens, wissen kannst du überhaupt nichts. – Es genügt dies eine zu wissen, nämlich dass die Deutschen im Land sind, eingewurzelt, und dass ihnen die Passage versperrt bleiben muss und dass man sie das eine oder das andere Mal – und zwar so schnell als möglich vor die Türe setzen muss, sagt Korporal Bertrand. – Freilich, freilich, was denn sonst? ‘S hat gar keinen Wert, sich weiter den Gehirnschmalz anzustrengen. Nur dauert die Geschichte ein wenig lang. – Ha! ruft Fouillade aus, schon ein bischen lang! – Ich, sagt Barque, ich fluche nicht mehr. Anfangs hab ich über alles geflucht, über die hinter der Front, über die Zivilisten, über die Bürger, über die Drückeberger. Geschimpft hab ich, das stimmt, aber es war am Anfang, da war ich noch jung. Jetzt seh’ ich die Geschichte von der besseren Seite an. – Es gibt nur eine Seite, die Dinge zu nehmen: man nimmt’s, wie’s gerade kommt. – Verdammt! Es wäre sonst zum verrückt werden. Man wird schon so blöd genug, meinst du nicht, Firmin? Volpatte nickt zustimmend mit dem. Kopf, völlig überzeugt, spuckt und betrachtet seine Spucke starren und nachdenklichen Blickes – Weiss der Teufel, bestätigt Barque. – Nur nicht lange nachgrübeln hier; in den Tag hineinleben, von Stunde zu Stunde, wenn du’s fertig bringst. – Freilich, freilich, du Affe; machen, was man einem sagt, bis man uns sagt, dass wir gehn können. – So ist es, gähnt Mesnil Joseph. Die verbrannten, lohfarbnen und staubdurchsetzten Gesichter stimmen zu und verstummen. Das ist allerdings die Meinung jener Männer, die vor anderthalb Jahren, aus allen Ecken und Enden ihr Heim verlassen haben, um sich an der Grenze anzuhäufen: sie verzichten drauf, irgend etwas zu verstehn, sie verzichten auf sich selbst und hoffen, dem Tod zu entgehn und wehren sich um ein möglichst erträgliches Dasein. – Machen was man einem sagt, schon recht, aber wehren muss man sich doch gegen den Scheissdreck, meint Barque, der mit dem Fuss den Kot zerreibt. * – Das musst du freilich, bestätigt Tulacque. Wehrst du SPRACHRAUM dich nicht selber, so tut’s keiner für dich, hab nur keine Bange. – Den haben sie noch nicht erfunden, der sich um die andern kümmert. – Jeder für sich, heisst es im Krieg! – Freilich, freilich. Dann wieder ein Schweigen. Dann malen sich jene Männer in ihrer Armseligkeit die glücklichen Zeiten aus. – Es war doch was anderes, das schöne Leben damals in Soisson, meint Barque. – Gottverdammich! Und wie der Schimmer eines verlorenen Paradieses leuchtet es in ihren Augen auf und scheint auf den von der Kälte geröteten Gesichtern zu liegen. – Jawohl, das Schlemmerleben, seufzt Tirloir, der sich kratzte und plötzlich in Gedanken versunken damit aufhört; dann schaut er ins Weite durch die Erde des Grabens hindurch. – Herrgott! diese fast ausgestorbene Stadt, die, hol’s der Teufel, unser war; die Häuser mit den Betten ... – Und die Schränke! – Und die Keller! Dem Lamuse kommen bei diesen Gedanken die Tränen in die Augen, sein Gesicht strahlt wie ein Blumenstrauss und es wird ihm schwer ums Herz. – Seid ihr lange dort geblieben? fragt Cadilhac, der seither mit dem Zuschub der Auvergnaten hinzugekommen ist. – Mehrere Monate ... Nun flammt in der Erinnerung an jene Zeit des Ueberflusses das Gespräch wieder auf. – Man sah, erzählt Paradis wie im Traum, Soldaten sich hinter die Häuser drücken nach dem Quartier, zurückkommen mit Hühnern auf dem Bauch und unter jeder Flosse ein Kaninchen, das sie sich von einem Bürger oder einem Frauenzimmer gepumpt hatten, ohne den Bürger oder das Frauenzimmer jemals gesehn zu haben, oder wiederzusehn. Und sie denken an den vergangenen Genuss, den ihnen früher ein Huhn oder ein Kaninchen bereitet hatte. – Es gab auch Zeug, wofür man blechte. Die Moneten liess man nämlich auch tanzen, denn man war damals noch bei Kasse. – Zu Hunderttausenden sind die Franken in die Läden 121 gehüpft. – Jawohl, millionenweise. Den ganzen Tag, sag ich dir, das ging nur so, machst dir gar keinen Begriff; wie ‘n überirdisches Fest war das. – Glaub’s oder glaub’s nicht, sagt Blaire zu Cadilhac, aber was bei der ganzen Schlemmerei, wie überall, wo du hinkommst, am meisten fehlte, das war das Feuer. Nachlaufen musste man ihm, nachschnüffeln, kurz, man hat sich’s verdienen müssen. Herrgott, was man bloss dem Feuer nachgelaufen ist! ... – Wir, wir waren im Quartier der Verwaltungstruppen; Küchenchef war der lange Martin César. Der hatte eine Nase, sag ich dir, für’s Holz ausfindig machen. – Teufel, ja! Das war ein feines Luder. Da kann man nicht dran tippen, der hatte das Zeug los! – Immer hatte der Feuer in der Küche, wenn ich dir sage. Ueberall liefen Küchenchefs rum in der ganzen Stadt und plärrten, weil sie weder Holz noch Kohle fanden; er – immer hatte er welches. Und wenn nichts mehr da war, da sagte er einfach: »Nur Geduld, ich werde die Sache schon deichseln.« Und lange hat er nie gesucht. – Manchmal allerdings war’s schon toll. Das erste Mal, wo ich ihn gesehn habe in der Küche, weisst du womit er den Braten gekocht hat? Mit einer Geige, die er im Haus aufgestöbert hatte. – Gemein ist das schon, meint Mésnil André. Gewiss, eine Geige, was die Nützlichkeit betrifft, ist ja schon wenig bedeutend, aber ich meine doch ... – Anderemale hat er Billardstöcke gebrannt. Zizi hat sich gerade noch einen mausen können, um einen Stock draus zu machen. Das übrige flog ins Feuer. Dann kamen so allmählich die Sessel dran aus der guten Stube, die waren aus Mahagoni. Sie haben sie nachts abgemurkst und zerhackt, weil ein Offizier hätte schnauzen können. – Starkes Stück ist das schon, sagt Pépin ... Wir haben an einem alten Möbel zwei Wochen zu feuern gehabt. – Warum kriegt man auch rein nichts? Da soll man Suppe kochen, aber Holz kriegst du keines und Kohlen kriegst du keine. Und nach der Verteilung stehst du da mit deinen leeren Flossen vor dem Fleischhaufen, und die andern stehen rum und feixen dich aus, bis sie dich schliesslich anschnauzen. Und dann? ... – Da können wir nichts dafür. – Schnauzten die Offiziere nicht, wenn man Radau Wasser-Prawda | Juni 2014 122 SPRACHRAUM machte? – Die, die hielten sich den Bauch vor lachen, und wie! Weisst du noch, Desmaisons, der Leutnant Viroin, wie der mit dem Beil die Kellertüre einhaute? Und wie der Soldat ihn gesehn hat, wie ihm da der Leutnant die Tür zum kleinhauen gegeben hat, dass er nichts weiter erzählen sollte. – Und der arme Saladin, der Verwaltungsoffizier: sie haben ihn abends aus einem Kellerloch kriechen sehn mit zwei Pullen Weissem unter jedem Arm, wie so ‘ne Amme mit vier Säuglingen. Aber wie sie ihn gesehn haben, da musste er wieder runter in die Pullenmine und den andern welche verteilen. Und wie Korporal Bertrand, der sich Prinzipien leistet, keinen davon hat trinken wollen. Ah! das weisst du noch, du Schweinswürstchen, du! – Und wo ist jetzt der Koch, der immer Holz zum feuern hatte? fragte Cadilhac. – Tot ist er. Eine Granate ist ihm in den Kochtopf geflogen. Gemacht hat’s ihm nichts, aber gestorben ist er doch; vor Schreck nämlich, wie er gesehn hat, dass die Makkaroni die Beine in die Luft streckten. Herzkrampf hat der Arzt gesagt. Er hatte nämlich ein schwaches Herz; nur das Holz ausfindig machen, das war seine Stärke. Man hat ihn auch anständig begraben. Mit den Parkettbrettchen aus einem Zimmer hat man ihm den Sarg gezimmert. Die Nägel haben sie genommen aus den Gemälden, die im Haus hingen, und haben sie mit Backsteinen eingeschlagen. Und wie sie ihn fortgetragen haben, da hab ich mir gesagt: »Sein Glück, dass er tot ist, wenn er das wüsste mit den Parkettbrettchen, dass er nicht an die gedacht hatte für’s feuern, darüber hätte er sich nicht mehr trösten können.« Eine Nummer war’s doch, der verdammte Kerl! – Schon, aber wenn einer an sich denkt, dann ist es immer auf Kosten von andern. Wenn einer von der Mannschaft das beste Stück oder den besten Platz wegnimmt, dann müssen eben die andern dran glauben, philosophiert Volpatte. – Ich, meint Lamuse, ich hab mich oft gedrückt vor dem Schützengraben, ich kann’s schon gar nicht mehr an den Fingern abzählen wie vielmal; das muss ich schon zugestehn. Aber wenn die Kameraden in Gefahr sind, dann drück ich mich nicht mehr. Dann vergess ich die Wasser-Prawda | Juni 2014 Uniform, dann vergess ich alles. Ich sehe nur Leute vor mir und drauf los. Aber sonst, weisst du, da denk ich an meine Wenigkeit ... Was Lamuse behauptet, sind keine leeren Worte. Er ist allerdings ein Virtuos im Sichdrücken; daneben aber hat er Verwundeten das Leben gerettet, die er unter dem Kugelregen hervorholte. Er erzählt das ohne jede Prahlerei: – Wir lagen auf dem Bauch im Gras. Es knallte. Pam! pam! Zim, zim ... da sah ich sie umfliegen und bin aufgestanden, obwohl mich die andern anbrüllten: »leg dich hin!« Aber ich konnte sie einfach nicht liegen lassen. Ich hab kein weiteres Verdienst dabei, ich konnte eben nicht anders handeln. Fast alle von der Korporalschaft haben eine Heldentat zu verzeichnen, und nach und nach haben sich Kriegskreuz an Kriegskreuz auf ihrer Brust angereiht. – Ich, sagt Biquet, hab keine Franzosen gerettet, aber Deutsche hab ich eingeheimst. Letzten Mai bei der Attacke hat man ihn vorstürmen und dann wie ein Pünktchen verschwinden sehn; darauf kam er mit vier bemützten Kerlen zurück. – Ich hab welche getötet, sagt Tulacque. Vor zwei Monaten hat er mit einer stolzen Koketterie neun vor den eroberten Schützengraben nebeneinander hingelegt. – Aber, fügt er hinzu, auf die deutschen Offiziere hab ich’s besonders abgesehn. – Ha, die Ochsen! Der Ausruf liess sich von verschiedenen Seiten zugleich vernehmen und tönte aus tiefster Ueberzeugung. – Ach »Alter«, sagt Tirloir, man spricht von der schmutzigen Boche-Rasse. Die Mannschaft, weiss nicht, ob’s wahr ist oder ob man uns auch in dem Kapitel einen Bären aufbindet; vielleicht sind es doch Leute ungefähr wie wir. – Wahrscheinlich sind sie auch nicht anders wie wir, macht Eudore. – Müsste man noch wissen! ... platzt Cocon heraus. – Jedenfalls, was die Mannschaften angeht, ist man noch nicht orientiert, fährt Tirloir fort, aber die deutschen Offiziere, nein, nein und abermals nein! Das sind keine Menschen, das sind Ungeheuer. Weiss Gott, es ist schon ein Spezial-Ungeziefer; Kriegsbazillen nenne sie SPRACHRAUM 123 meinetwegen. Von nahem muss man die Kerle gesehen haben, lang, mager, dünn wie Nägel, und doch mit dicken Kälberfratzen. – Haufenweise haben sie Schlangenmäuler. Dann fährt Tirloir wieder weiter: – Ich hab mal einen gefangen gesehn nach dem Gefecht. Das gemeine Biest! Ein preussischer Oberst mit einer Prinzenkrone, wie ich hörte, und einem goldnen Wappen auf dem Lederzeug. Hat der Kerl nicht reklamiert, als man ihn durch den Schlauch führte, weil sich einer erlaubte, ihn zu streifen! Und auf alles hat er runtergeguckt von der Höhe seines Kragens herab. »Warte du, Alter, ich will dir!« hab ich gedacht. Ich nicht faul, hinter ihm her und jag dem Kerl mit ganzer Kraft einen Tritt in den Arsch. Jawohl, umgefallen ist er, halb erstickt. – Erstickt? – Jawohl, vor Wut, als ihm die Situation klar wurde, nämlich dass ihm sein adeliges Offiziersgesäss von einem gewöhnlichen benagelten Kommisabsatz demoliert war. Dann ist er ab, und hat geschrien wie ein altes Weib und rumgefuchtelt hat er wie ein Epileptischer ... – Ich, meint Blaire, bin kein schlechter Kerl. Hab Kinder zu Hause, und daheim, wenn ich ein Schwein, das ich kenne, abschlachten muss, geht’s mir durch die Gedärme, aber so ein Kaliber, dem würd ich mit Wonne so eins – dzing – in die Brustkommode jagen. – Ich auch! – Abgesehn davon, sagt Pépin, dass sie Silberdeckel auf dem Schädel tragen und Revolver, die du zu jeder Zeit für hundert Franken verkaufen kannst, und Prismengucker haben, die unbezahlbar sind. Was hat ich doch am Anfang für Gelegenheiten verpasst; gekonnt hätt’ ich; es geschieht mir recht, aber nur keine Bange: was den Silberhelm betrifft, sag ich dir, hör nur zu, einen krieg ich schon noch. An der Haut allein ist mir nicht gelegen, die Kleider eines kaiserlichen Offiziers muss ich haben. Hab nur keine Sorge, bevor der Krieg fertig ist, werd ich das schon noch deichseln. – Glaubst du dran, dass der Krieg mal aus sein wird? fragt einer. – Nur keine Sorge, antwortet der andre. Menschentrupp, der sich vorwärts bewegt und dabei schwarze Gestalten sich unter die Uniformen mischen. Was ist das Teufels? Biquet hat sich zur Orientierung hinausgewagt. Als er zurückkam, deutete er mit dem Daumen über die Schulter nach der bunten Gesellschaft: – Hola! Kameraden, guckt euch mal das an, die Leute. – Leute? – Ja, Herren, Zivilisten mit Generalstabsoffizieren. – Zivilisten! Wenn sie nur durchhalten! Es ist zwar bereits eine traditionelle Phrase, und obgleich man sie schon hundertmal gehört hat, reizt sie doch wieder zum Lachen; und obwohl der Soldat ihr mit Recht oder Unrecht einen andern Sinn unterschiebt und sie als einen ironischen Hieb auf sein entsagungsreiches und gefährdetes Leben auffasst, so lacht er doch darüber. Man sieht zwei jener Herren hervortreten; sie tragen Ueberzieher und Stock, ein anderer steckt im Jagdkostüm mit einem Samthut und einem Feldstecher. Zartblaue Waffenröcke mit gelbem oder schwarzem Glanzleder folgen als Begleitung hinterdrein. Ein Hauptmann mit einer seidnen, mit goldnen Pfeilen bestickten Armbinde, macht auf die Schiessbank vor einer alten Scharte aufmerksam und lädt die Besucher ein, hinauf zu steigen und sich die Gegend zu betrachten. Der Herr mit dem Reiseanzug stemmt sich hinauf und stützt sich dabei auf seinen Regenschirm. Da meint Barque: – Hast du den Bahnhofsvorstand in der Sonntagsuniform gesehn, der dem reichen Jägersmann eine erste Klasse auf dem Nordbahnhof anweist, am Tag der Jagderöffnung: »Bitte, Herr Gutsbesitzer.« Ueberhaupt, wenn die grossen Tiere nagelneu ausstaffiert sind mit Leder und Blechzeug und wichtig tun mit ihrem Kaninchen-Schiesszeug! Drei oder vier Soldaten, die ihr Lederzeug abgelegt hatten, sind unter die Erde gekrochen. Die andern rühren sich nicht, wie vom Schlag getroffen, dass die Pfeifen sogar ausgehn und man nur das Wortgesumse der Offiziere und ihrer Gäste hört. – Das sind die Schützengraben-Touristen, meint Barque halblaut. Dann mit etwas lauterer Stimme: »Bitte, meine Herrn und Damen!« * Unterdessen hört man rechts von uns ein lautes – Halt’s Maul! flüsterte ihm Farfadet ins Ohr, denn er Durcheinander und sieht plötzlich einen lauten befürchtete, Barque würde mit seiner »frechen Schnauze« Wasser-Prawda | Juni 2014 124 SPRACHRAUM die Aufmerksamkeit jener einflussreichen Leute auf sich ziehn. Einige Gesichter werden auf uns aufmerksam; ein Herr mit weichem Filzhut und wehender Kravatte tritt heran. Er trägt einen kleinen, weissen Spitzbart und sieht wie ein Künstler aus. Hinter ihm her kommt ein zweiter mit schwarzem Ueberzieher, schwarzem, steifem Hut, schwarzem Bart, weisser Halsbinde und einem Zwicker. – Aha! macht der erste, da sind »Poilus« ... waschechte »Poilus«, tatsächlich. Dann tritt er auf uns zu, schüchtern wie ein TiergartenBesucher, und reicht dem ersten etwas linkisch die Hand, wie man einem Elefanten ein Stück Brot hinreicht. – So, so, sie trinken den Kaffee, konstatiert er kurz. – Man sagt »Schlamm«, berichtigt der schwarze Herr. – Schmeckt’s, was? Der Soldat, an den sich die Frage richtet, und der selbst durch die fremden und exotischen Erscheinungen etwas eingeschüchtert ist, brummt etwas hin, lacht und errötet; dann sagt der Herr: »He! He! worauf er mit dem Kopfe ein wenig nickt und sich rücklings zurückzieht. – Brav, brav, meine Freunde. Ihr seid tapfere Leute! Darauf setzt sich der Menschenknäuel, der aus neutralem Zivilgrau und bunten Militärfarben besteht, wie mit Geranium und Hortensienblumen auf einem schwarzen Grund, wieder in Bewegung, drückt sich vorbei und verschwindet wieder auf der Seite, von der er gekommen war. Noch hörte man einen Offizier zu ihnen sagen: »Bitte die Herren Journalisten, wir haben noch vieles zu sehn.« Als aber die vornehme Gesellschaft verschwunden war, schauten wir uns an. Diejenigen, die in den Schlupfwinkeln verduftet waren, kriechen einer nach dem andern wieder hervor. Die Leute finden sich wieder und zucken mit den Achseln. – Das sind Journalisten, meint Tirette. – Journalisten? Na ja, die Bonzen, die die Zeitungen machen; kapierst du immer noch nicht, du Dickschädel! Oder meinst du, die Zeitungen, das geht so ganz von selbst? Also das wären jetzt die, welche uns den Schädel mit ihrem Zeug vollpfropfen? sagt Marthereau. Barque aber holt seine Fistelstimme vor, hebt die Hände hoch als halte er ein Stück Papier vor die Nase und Wasser-Prawda | Juni 2014 rezitiert: – »Der Kronprinz ist verrückt geworden, nachdem er gleich zu Kriegsbeginn getötet worden war und hat unterdessen alle erdenklichen Krankheiten. Wilhelm stirbt heute oder morgen. Die Deutschen haben keine Munition mehr und futtern Holz: nach den massgebendsten Ansichten können sie nur noch bis Ende der Woche stand halten. Man wird sie kriegen, sowie man nur will, Gewehr bei Fuss. Wenn man die Sache bis jetzt noch verschiebt, so geschieht das nur, weil wir uns von unserm lieben Schützengraben nicht trennen können; es ist nämlich so gemütlich darin, mit Wasser, Gas und Brausebad auf jeder Etage. Das einzig störende ist im Winter die allzugrosse Hitze ... Was die Oesterreicher betrifft, so halten die schon lange nicht mehr stand ... sie stellen sich nur so, als ob ...« Fünfzehn Monate schon geht das in dem Ton weiter und meint der Direktor zu seinen Schreibern: »So Jungens, jetzt heisst’s die Geschichte breit treten, dass die verfluchten vier weissen Blätter, die man zu verdrecken hat, voll werden.« – Tja ja! macht Fouillade. – Na was denn sonst, Korporal, du lachst; hab ich Recht oder nicht? – Etwas Wahres ist schon dran, aber ihr macht die kleinen Kerle doch ein wenig zu schlecht; wenn ihr um eure Zeitung kämt, wärt ihr die allerersten, die ‘s Maul verziehn würden ... Jawohl, wenn der Zeitungsverkäufer kommt, was schreit ihr dann einer wie der andre: »Mir! Mir! – Und überhaupt kann dir das alles doch Wurst sein! ruft der alte Blaire. Schreit sich der Kerl die Kehle heiser über die Zeitungen; mach’s wie ich und denk einfach nicht dran. Ja, schon gut, Maul halten! Buch zu, Eselsrüssel! Die Unterhaltung lässt nach, die Aufmerksamkeit verfliegt. Vier Leute machen sich zu einem Kartenspiel zusammen, das bis zum Abend dauern wird und man die Karten nicht mehr unterscheiden kann. Volpatte hascht einem Zigarettenblättchen nach, das ihm aus den Fingern geflogen ist und an der Grabenwand wie ein fliegender Schmetterling hin- und herflattert. Cocon und Tirette kramen Kasernen-Erinnerungen aus. Die Dienstjahre leben in unverwischbarer Erinnerung in den Geistern fort; man war so sehr daran gewöhnt seit SPRACHRAUM zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren in dieser reichen, stets offenen und freigebigen Fundgrube Unterhaltungsstoff zu schöpfen, dass man nach anderthalb Jahren allseitiger Kriegserfahrung immer noch darauf zurückgreift. Ich lausche mit einem Ohr der Unterhaltung und errate das übrige, übrigens sind es stets dieselben Anekdoten, die der Exmilizer aus seiner militärischen Vergangenheit hervorholt: das eine Mal hat einer einem lästigen Vorgesetzten durch eine freche aber witzige Antwort das Maul gestopft. Er, er hat’s gewagt, er hat es ihm laut und deutlich gesagt! ... ich vernehme einzelne Bruchstücke der Unterhaltung: – ... und als Nenoeil mich verklatscht hatte, jawohl, nicht einen Augenblick hab ich mit der Wimper gezuckt. Die andern hatten alle ‘s Maul verpappt; aber ich hab ihm’s raus gesagt: »Herr Adjutant, hab ich gesagt, schon möglich, aber ...« (der Rest des Satzes ist mir entfallen) ... Jawohl, dem hab ich die Meinung gesagt. Er war mäuschenstill. »Schon gut, schon gut,« hat er gebrummt und hat sich gedrückt. Platt war er, sag ich dir. – Grad wie ich, damals mit dem Adjutant vom 13., als ich auf Urlaub war. Der Hund. Jetzt ist er Aufseher im Pantheon. Er konnte mich nicht riechen. Und dann ... So holt ein jeder seine berühmten Aussprüche aus der Sammlung seiner Erinnerungen hervor. Und sie sind einer wie der andere: aber keiner ist unter ihnen, der nicht behauptete: ich bin nicht einer wie die andern. * – Der Wagenmeister! Ein grosser, breiter Kerl mit dicken Waden, gut gekleidet und geschniegelt wie ein Polizeisoldat. Er ist schlechter Laune. Neue Befehle sind ausgegeben worden und so muss er alle Tage zum Kommandoposten des Obersten die Briefsachen bringen. Er flucht auf diese Verordnung, als sei sie ausschliesslich gegen ihn gerichtet. Aber nichtsdestoweniger spricht er gewohnheitsgemäss mit dem einen oder dem andern im Vorübergehen und ruft die Korporale zur Verteilung der Briefe. Trotz seiner schlechten Laune packt er alle Neuigkeiten aus, mit denen er frisch beladen hergekommen war; und während er die Schnur löst, die die Briefe zusammenhält, verteilt er den Vorrat seiner mündlichen Neuigkeiten. 125 Zunächst verrät er, im Rapport stehe das ausführliche Verbot, Kapuzen zu tragen. – Hörst du? sagt Tirette zu Tirloir. Kannst darauf hin deine schöne Kapuze wegschmeissen. – Fällt mir im Traum nicht ein, geht mich nichts an, antwortet der Kapuzenmann, dessen Ehre und Behaglichkeit zugleich auf dem Spiele stehn. – Befehl des Armee-Kommandanten. – Dann soll der General zuerst das Regnen verbieten; der Rest geht mich ‘n Dreck an. Die meisten Befehle, selbst die minder aussergewöhnlichen, werden nie anders aufgenommen ... bis man sich ihnen fügt. – Der Rapport befiehlt auch, sagt der Briefmensch, dass die Bärte abzuschneiden seien, und die Haare mit der Maschine, glatt ab! – Nur langsam, Alter! meint Barque, dessen Haarbüschel sich durch die Verordnung direkt bedroht fühlt, erzähl das deiner Grossmutter! – Maul halten! Uebrigens mach’s oder mach’s nicht, geht mich ‘n Dreck an. Ausser diesen positiven, schwarz auf weiss festgenagelten Nachrichten, gibt es noch wichtigere, aber dafür auch weniger bestimmte und fantastischere Neuigkeiten: es heisst, die Division werde abgelöst und käme, entweder auf Urlaub – aber auf richtigen Urlaub, für sechs Wochen – oder nach Marokko, oder vielleicht nach Aegypten. – Eh! ... Oh! ... Ah! ... Alles hört zu und lässt sich durch den Reiz der Neuigkeit und des Abenteuerlichen locken. Einer jedoch fragt den Wagenmeister: – Wer hat dir das gesagt? Der Wagenmeister verrät seine Quelle: – Der Adjutant und Kommandant der Landwehrabteilung, der im General-Quartier des Armee-Korps den Verwaltungsdienst versorgt. – Wo? – Im General-Quartier des Armee-Korps ... Und er sagt es übrigens nicht allein. Der andere da, weisst du, der Kerl, von dem ich den Namen vergessen habe: der, der dem Galle so ähnlich sah und doch nicht der Galle ist. Ich weiss nicht mehr, wen er in der Familie hat, der irgend was Teufels ist. Aber der konnte es von dem ganz Wasser-Prawda | Juni 2014 126 SPRACHRAUM genau wissen. – Und dann? Und sie stehn im Kreis, mit gierigen Blicken, um den Geschichten-Erzähler. – Nach Aegypten, sagst du? ... kenn ich nicht. Weiss nur, dass es dort Pharaonen gab, als ich noch klein war und in die Schule ging. Aber seither! ... – Nach Aegypten ... Der Gedanke bohrt sich allmählich in die Köpfe ein. – Nein, sagt Blaire, ich hab die Seekrankheit Aber schliesslich die Seekrankheit, das dauert nicht lange ... Schon, aber was würde meine Alte dazu sagen? – Was soll sie auch? Sie wird sich schon damit zurechtfinden! Aber Neger werden wir sehn; und grosse Vögel laufen dort auf den Strassen herum, wie bei uns die Spatzen. – Hiess es denn nicht, wir kämen nach dem Elsass? – Doch, sagt der Wagenmeister. Im Tresor glauben es einige. – Mir wär’s schon recht ... ... Aber der gesunde Menschenverstand und die Erfahrung haben bald wieder die Oberhand gewonnen und verjagen die Träume. Wie oft hat man nicht bestimmt behauptet, dass man weit weg käme; so oft hat man es geglaubt und jedesmal wurde man enttäuscht! Dann ist es einem, als erwache man plötzlich wieder. – Das ist alles Schwindel! Wie oft hat man uns angeschmiert. Warte erst ab, bevor du’s glaubst, und zerbrich dir den Schädel nicht darüber. Sie kriechen in ihre Ecken zurück, der eine da durch, der andere dort durch und ihre Hände halten das schwere oder leichtere Paket der Briefe. – So! sagt Tirloir, ich muss schreiben, ich muss alle acht Tage geschrieben haben, da kannst du nichts dagegen machen. – Ich auch, sagt Eudore, muss meiner kleinen Frau schreiben. – Wie geht’s der Mariette. – Gut. Hab nur keine Bange wegen Mariette. Einige haben sich schon zum schreiben fertig gemacht. Barque benützt sein Notizbuch als Unterlage. Er schreibt stehend auf einer Unebenheit der Grabenwand und scheint dabei das Opfer einer Inspiration; er schreibt und schreibt, den Kopf schief auf der Seite, angespannten Wasser-Prawda | Juni 2014 Blickes und mit vollster Aufmerksamkeit wie ein Reiter in gestrecktem Galopp. Dem Lamuse hingegen fehlt die Phantasie; er hat sich hingesetzt, das Brieftäschchen auf den Gipfel seines ausgepolsterten Knies gelegt und den Tintenstift angefeuchtet; nun liest er die letzterhaltenen Briefe wieder durch und weiss nichts anderes zu schreiben, als das, was er schon einmal geschrieben hat und doch versteift er sich darauf, etwas neues zu finden. Eine süsse Gefühlsstimmung liegt über dem kleinen Eudore; er sitzt zusammengekauert in einer Art Erdnische und sammelt seine Gedanken, den Bleistift in der Hand, die Augen auf dem Papier; er blickt verträumt und schaut süsse Bilder und man errät jenen andern Himmel, der ihn erstrahlen lässt und wohin sein Blick schweift, weithin bis in seine Heimat ... Während des Briefschreibens ist man am ehesten wieder, was man früher war. Mehrere unter den Soldaten geben sich der Erinnerung an jene Vergangenheit hin und erzählen einander zunächst vom Essen. Andere lassen in unbeholfener und unklarer Form einen vergangenen Traum wach werden, wo das einst Gewesene wie helle Lichtstrahlen aufleuchtet: der frühe Sommertag, wenn das frische Grün des Gartens in die weisse Bauernstube leuchtet, oder der Wind, der über die Ebenen weht und die Kornfelder wiegt in behäbigen und festen Rhythmen, und daneben das Haferfeld, das mit zappeliger und weiblicher Beweglichkeit im Winde erzittert; oder die Winterabende, wenn die lieblichen Frauen um den Tisch sitzen, im sanften Schein der Lampe. Papa Blaire hat einen begonnenen Fingerring vorgenommen, hat das unfertige Aluminium-Ringlein über einen Holzzapfen gezogen und bearbeitet es mit einer Feile. Mit ganzer Seele ist er bei der Arbeit und strengt seine volle Geisteskraft an, wobei zwei tiefe Runzeln sich in seine Stirn graben. Zeitweise hält er inne, hebt den Kopf hoch und betrachtet den kleinen Gegenstand mit Liebe, wie wenn auch sie dabei wäre und es besähe. – Verstehst du, sagte er mir eines Tages wegen eines andern Ringes, gut oder nicht gut, darauf kommts nicht an; Hauptsache ist, dass ich’s für meine Frau gemacht habe, verstehst du? Wenn ich so nichts zu tun hatte und mir die Faulheit in den Knochen lag, betrachtete SPRACHRAUM ich dieses Bild (dabei zeigte er die Photographie einer dicken, pausbäckigen Frau) und dann ging’s mit diesem verfluchten Ring wie geschmiert. Wir haben ihn miteinander gemacht, kann man sagen, verstehst du? Beweis dafür ist, dass er mir Gesellschaft leistete und dass ich von ihm Abschied genommen habe, als ich ihn meiner Alten schickte. Jetzt macht er einen andern mit Kupfereinlage und arbeitet fleissig dran. Sein ganzes Gefühl möchte er so gut als möglich hineinlegen und übt sich darin wie in einer Art Kaligraphie. In den nackten Erdlöchern, in denen diese Menschen ehrfurchtsvoll über leichte, elementare Schmucksächelchen gebückt sitzen, über jene Gegenstände, die so winzig sind, dass die harte, schwere Hand sie mühevoll hält und gleiten lässt, bei dieser Arbeit erinnern sie noch mehr an Wilde und scheinen primitiver und menschlicher noch als sonst. Man denkt dabei an den ersten Erfinder, den Vater aller Künstler, der es versuchte, dauerhaften Gegenständen die Form des Gesehenen zu verleihen und sein eigenes Erleben hineinzulegen. * – Achtung, es kommen welche, kündet Biquet an, der immer in unserm Grabenabschnitt die Rolle eines Hauswärters vertritt, ein ganzer Zug. Im gleichen Augenblick erscheint ein Adjutant mit geschnürtem Bauch und Kinn, und schwingt die Säbelscheide. – Platz da! Teufel nochmal, Platz, wenn ich’s sage! Liegt ihr auf der Bärenhaut? ... Vorwärts, drückt euch, das letzte Mal, dass ich euch auf der Passage erwische, verstanden! Die Leute folgen langsam. Einige drücken sich träge in die seitlichen Löcher. Es ist eine Kompagnie Landwehrleute des Sektors, die die Erdarbeiten in der zweiten Linie zu besorgen und die hinteren Laufgräben instand zu halten haben. Sie marschieren mit ihren Geräten, in elender Kleidung und müden Schrittes an. Man betrachtet sie, einen nach dem andern, jeden einzelnen, wie er herankommt, vorbeigeht und verschwindet. Kleine, alte und zusammengeschrumpfte Leute, mit aschgrauen Backen, oder dicke, asthmatische Kerle, eng 127 eingeschnürt in ihre abgeschossnen, ausgefranzten flekkigen Mänteln, an denen die Knöpfe fehlen. Tirette und Barque, die beiden Spassvögel, stehn mit dem Rücken an der Erdwand und betrachten sie zunächst ohne Bemerkungen. Dann lächeln sie. – Strassenkehrer-Défilé, meint Tirette. – ‘s gibt was zu feixen für drei Minuten, kündet Barque an. Einige jener alten Arbeiter sehn in der Tat komisch aus. Da kommt zum Beispiel einer, dem die Schultern herabhängen wie bei einer Flasche; er hat eine ausserordentlich schmächtige Brust und dünne Beine und ist trotzdem wohlbeleibt. Barque kann den Mund nicht mehr halten: – He! sag mal, Dubidon! – Dünner Ueberzieher, meint Tirette zu einem vorübergehenden Mantel, der mit Flicken in allen blauen Schattierungen besetzt ist. Er ruft den Veteranen an: – He! du Mustermappe ... he, horch mal, du, ruft er nachdrücklich. Der andre dreht sich um, macht den Mund auf und guckt ihn an. – Sag mal, Alterchen, sei so freundlich, gib mir doch deine Schneider-Adresse in London, sei so gut. Das alte und runzlige Gesicht lacht – und das Männlein, das auf den Anruf hin ein Weilchen stille stand, wird von dem nachfolgenden Zug angerempelt und wieder mitfortgerissen. » Dann kommen ein paar weniger bemerkenswerte Statisten; dann aber erscheint wieder ein neues Opfer, das den Anspielungen als Zielscheibe dienen muss. Es trägt auf seinem rauhen, rötlichen Nacken eine Art schmutzige Schafswolle. Der Landwehrmann hat die Knie eingeknickt, den Oberkörper vorgebeugt und den Rücken gekrümmt und steht mit Mühe aufrecht. – Guck da, schreit Tirette und zeigt mit dem Finger hin, der berühmte Harmonikamensch! Auf dem Jahrmarkt musste man Eintritt zahlen. Hier hat man’s umsonst! Und während der Angerufene Flüche ausstottert, lacht man hier und dort. Mehr braucht es nicht, um beide Spottbrüder zu reizen. Der Wunsch, eine komische Bemerkung anzubringen, die ein wenig verwöhntes Publikum für lustig befindet, Wasser-Prawda | Juni 2014 128 SPRACHRAUM spornt die beiden an, sich lustig zu machen über die Lächerlichkeiten jener alten Waffenbrüder, die Tag und Nacht, am Rande des grossen Krieges, die Schlachtfelder mühsam vorbereiten und instand halten. Auch die andern Zuschauer greifen jetzt ein; und diese Armseligen spotten jene aus, die noch armseliger sind als sie selbst. – Schau dir den an! Und der erst! – O verflucht, photographier mir doch einer den kleinen Floh-Arsch! He! du Erdhocker! – Und der hört überhaupt nicht auf! Hast du Worte! Hui! der Wolkenkratzer! Der, den’s angeht, trippelt einher und hält seinen Spaten vor sich wie einen Kerzenstock, mit krampfhaft zusammengezogenem Gesicht und schiefem Körper, der im Hexenschuss erstarrt ist. – He! Grossväterchen, willst du zwei Sous? fragt Barque, indem er dem Vorbeigehenden auf die Schulter klopft. Der kahle Alte aber fühlt sich beleidigt und schimpft geärgert: »Scheisskerl!« Dann wirft ihm Barque mit brüllender Stimme entgegen: – Du, aber höflicher könntest du sein, altes Furzloch, du Scheissmühle! Der Alte dreht sich völlig um und stottert in seiner Wut. – Oho! schreit Barque und lacht, ich glaube, er röchelt, der Trümmerhaufen. Guckt, wie er rauflustig ist; wenn der Kerl sechzig Jahre jünger wär, wär er noch gefährlich. – Und wenn er nicht besoffen wär, fügt billigerweise Pépin hinzu, der nach neuen Zielscheiben unter den neu Ankommenden sucht. Dann sieht man die hohle Brust des letzten Nachzüglers, und bald verschwindet die Missgestalt seines Rückens. Und dem endenden Défilé jener verbrauchten, in den Gräben verdreckten Veteranen schauen die sarkastischen und beinahe böswilligen Blicke jener düstern Höhlenbewohner nach, die zur Besichtigung aus ihren Kotlöchern halb herausgetreten waren. Unterdessen aber verstreichen die Stunden; der Abend taucht den Himmel schon in sein graues Licht, und in ihm werden die Dinge schwarz; er gesellt sich dem finstern Los und auch der dunkeln und unwissenden Seele jener Menge, die hier vergraben liegt. Jetzt hört man im grauen Abend das trommelnde Geräusch nahender Schritte, und eine neue Abteilung Wasser-Prawda | Juni 2014 bricht sich Bahn. – Afrikaner! Sie schreiten vorüber mit ihren gelben, hell- und dunkelbraunen Gesichtern; die einen haben spärliches, die andern dichtes und gewelltes Barthaar; ihre Mäntel sind grüngelb und man sieht auf ihren kotbespritzten Helmen einen Halbmond an Stelle unserer Granate. Ihre Augen leuchten wie Elfenbein- oder Onyx-Kugeln in ihren glänzenden, teils stumpfen, teils eckigen und spitzen Gesichtern. Von Zeit zu Zeit wiegt sich über dem Zug die schwarze Kohlenmaske eines Senegalesen, der die andern überragt. Hinter der Kompagnie flattert eine kleine, rote Fahne mit einer grünen Hand in der Mitte. Man betrachtet die Leute schweigend und spricht sie nicht an; denn sie imponieren und flössen sogar eine gewisse Angst ein. Und doch scheinen diese Afrikaner fröhlich und gut aufgelegt. Sie marschieren natürlich in die erste Linie. Dort gehören sie hin, und ihre Gegenwart ist das Zeichen eines nahe bevorstehenden Angriffes. Sie sind wie geschaffen für den Sturm. – Sie und die Fünfundsiebziger-Kanone, das kann man sagen, denen haben wir schon was zu verdanken! Ueberall zuvorderst in den wichtigen Augenblicken stand sie, die Marokko-Division! – Sie können sich nicht an uns anpassen. Es geht ihnen nie schnell genug. Unmöglich, die Kerle aufzuhalten ... Die einen haben ernste Gesichter unter diesen blonden, bronze- und ebenholzfarbnen Teufeln; ihr Blick ist beunruhigend, stumm wie die Falle, die man sieht. Die andern lachen; ihr Lachen aber tönt wie die bizarren Instrumente exotischer Musik und sie zeigen dabei die Zähne. Man bespricht miteinander die Eigenarten jener Schwarzen: ihre Wut beim Ansturm, ihre wahnsinnige Vorliebe für’s aufgabeln, ihre Art, kein Pardon zu geben. Man wiederholt die Geschichten, die sie selbst gerne erzählen, und alle ungefähr mit denselben Worten und denselben Gebärden: sie strecken die Arme hoch: »Kam’rad, Kam’rad!« »Nein, nix Kam’rad!« worauf sie das Spiel des Bajonetts nachmachen, das man in Bauchhöhe vorstösst und wieder herauszieht, indem man mit dem Fuss nachhilft. Einer jener Schützen hört im vorübergehn, wovon SPRACHRAUM die Rede ist. Er schaut uns an, lacht breit aus seinem behelmten Turban heraus und wiederholt mit dem Kopfe nickend: »Nix Kam’rad, nix Kam’rad! Kopf kaput!« – Es ist doch eine ganz andere Rasse als wir, mit ihrer Zelttuchhaut, gesteht Biquet zu; und Biquet ist kein Hasenfuss. Die Ruhe können sie nicht leiden, sie leben nur für den Augenblick, in dem der Offizier seine Uhr in die Tasche steckt und sagt: »Vorwärts, los!« – Es sind im Grunde genommen echte Soldaten. – Wir, wir sind keine Soldaten, wir sind Menschen, sagt der dicke Lamuse. Die Abendstunde hat das Land in Dunkelheit getaucht und doch wirft dieses wahre und leuchtende Wort einen lichten Schein auf jene Männer, die seit Monaten jeden Morgen hier auf den Abend warten. Es sind Menschen; es sind ganz gewöhnliche Menschen, die man dem Leben plötzlich entrissen hat; wie beliebig aus der Masse herausgenommene Menschen sind sie unwissend, wenig begeistert, mit engem Horizont begabt und voll gesunden Menschenverstandes, der zwar zeitweise entgleist; sie lassen sich führen und geben sich her, das zu tun, was ihnen befohlen wird, ohne merklichen Widerstand, und sind fähig, lange zu leiden. Es sind einfache Menschen, die man noch vereinfacht hat und bei denen notgedrungen die Urinstinkte in den Vordergrund treten: der Selbsterhaltungstrieb, der Egoismus, die hartnäckige Hoffnung immer wieder davonzukommen und dazu die Freude am Essen am Trinken und am Schlafen. Mitunter aber bricht aus dem dunklen Schweigen ihrer grossen, menschlichen Seelen ein tiefer Schrei der Menschlichkeit. Und dann, wenn im Abend alle Formen untergehen, hört man in der Ferne einen Befehl, der sich mählich nähert: – Zweite Halbsektion! Antreten! Und man tritt an in Reih und Glied; dann wird Appell gemacht. – Vorwärts! sagt der Korporal. Dann setzt man sich in Bewegung. Vor dem Gerätschuppen wartet und steht man herum. Jeder bekommt eine Schaufel oder eine Hacke. Ein Unteroffizier hält in der Dunkelheit den Leuten die Gerätstiele hin. 129 – Sie, eine Schaufel; vorwärts, ab! Sie, auch eine Schaufel, Sie, eine Hacke. So, vorwärts, Trab! Dann geht’s durch den Laufgraben, senkrecht zum Schützengraben, geradaus auf jene bewegliche, lebendige und schreckliche Grenze des Jetzt zu. Und im grauen Einerlei des Himmels hört man in grossen absteigenden Kreisen den schnurrenden und mächtigen Atem eines Flugzeuges, das man nicht mehr sieht. Vor uns aber und rechts und links von uns, auf allen Seiten, speien Donnerschläge in den schwarzblauen Himmel kurze, breite Blitze. Wasser-Prawda | Juni 2014 130 SPRACHRAUM Wasser-Prawda | Juni 2014 SPRACHRAUM 131 FRANK HURLEY FOTOGRAFIEN AUS DEM 1. WELTKRIEG FRANK HURLEY (1885-1965) NAHM ALS FOTOGRAF NICHT NUR AN EINIGEN FRÜHEN EXPEDITIONEN DURCH DIE ANTARKTIS TEIL. ALS KRIEGSFOTOGRAF BEGLEITETE ER DIE AUSTRALISCHEN TRUPPEN IN BEIDEN WELTKRIEGEN. DABEI GRIFF ER AUCH AUF GESTELLTE AUFNAHMEN UND AUF MONTAGEN AUS VERSCHIEDENEN FOTOGRAFIEN ZURÜCK. Wasser-Prawda | Juni 2014 132 SPRACHRAUM Wasser-Prawda | Juni 2014 SPRACHRAUM 133 Wasser-Prawda | Juni 2014 134 SPRACHRAUM Wasser-Prawda | Juni 2014 SPRACHRAUM 135 DIE VESTALINNEN Eine Reise um die Erde. Abenteuer zu Wasser und zu Lande. Erzählt nach eigenen Erlebnissen. Band 1. Von Robert KraŌ 12. IN KAIRO Eine der Hauptstraßen Kairos, der Hauptstadt Egyptens und der Residenz des vom Sultan abhängigen Vizekönigs, ist die Muski. Sind im Westen der Stadt hauptsächlich die Europäer vertreten, sodaß auch das ganze Viertel ein Aussehen bekommen hat, welches sich von dem einer reichen, deutschen Stadt mit Villen, Wohn- und Geschäftshäusern nicht unterscheidet, so macht das arabische Stadtviertel mit den engen Sackgäßchen, den niedrigen, glatten Lehmhäusern, deren Fenster nach dem innengelegenen Hofe hinausführen, einen noch vollkommen orientalischen Eindruck, die Muski bildet dagegen eine Art Mittelding, um deren Besitz sich Europäer und Eingeborene zu streiten scheinen. Man kann in ihr die glänzendsten Verkaufsläden finden, Firmen, welche ebenso in Berlin, London und Paris zu lesen sind, besonders große Konfektionsgeschäfte, und dicht neben dem riesigen Glaspalast erhebt sich ein elendes Lehmhüttchen, in dem ein schmieriger Araber gebratene Lebern feilbietet. So wechselt die ganze Straße entlang das Aussehen der Häuserfront. Ebenso bietet das Leben auf dieser Straße ein bunt zusammengewürfeltes Bild. Elegante Herren, nach modernstem Pariser Schnitt gekleidet, verlassen ihre Comptoirs und eilen in ein in der Nähe befi ndliches englisches Frühstückslokal, um mit Hast einige geröstete und belegte Brotschnitte hinunterzuschlingen, denn ›Zeit ist Geld‹, und am meisten für englische Geschäftsleute. Mögen sie einen Warentransport nach dem Nordpol zu leiten oder unter dem Aequator ein Geschäft abzuschließen haben, weder Kälte, noch Hitze hindern sie, mit ihren langen Beinen die Wege halb im Laufschritt zurückzulegen, um die Zeit, welche sie sich für Frühstück und Mittagsessen bestimmt haben, mit der Uhr in der Hand, auszunutzen. Unterwegs werden dle Europäer häufig von schrecklich zerlumpten Arabern angebettelt, wenn die ihren skelettartigen Körper bedeckenden Sachen überhaupt noch als Lumpen bezeichnet werden dürfen. Kaum genügen sie, ihn zu verhüllen. Beine, Schenkel, Arme und Oberkörper sind nackt oder stecken nur in Sachen, welche sich aus Löchern zusammenzusetzen scheinen. Hier in der Muski ist das Arbeitsfeld des Bettlers. Er kennt seine Kunden, welche ihm eine kleine Kupfermünze geben, wofür sie den Segen Allahs mit auf den Weg bekommen; er weiß, wann sie eine bestimmte Ecke der Straße passieren, und lauert ihnen dort auf. Mit wimmernder Stimme streckt er dem Vorbeieilenden die fleischlose Hand mit einer Muschelschale entgegen, murmelt einen langen Segensspruch, das heißt, nur, wenn ein holder Klang an sein Ohr gedrungen ist, und läßt dann die Kupfermünze in irgend einem Wasser-Prawda | Juni 2014 136 SPRACHRAUM Wasser-Prawda | Juni 2014 SPRACHRAUM Versteck seiner Lumpen verschwinden. Bemerkt er einen Fremden, deren es in dem an Merkwürdigkeiten reichen Kairo zahllose giebt – die vielen Hotels geben Zeugnis davon – so eilt er ihm eine Strecke weit nach, ihn mit zudringlichen Bitten und Gebärden belästigend. Den Kunden, der ihm täglich den Tribut eines Geldstückes entrichtet, begrüßt er mit freundlichem Grinsen; er behandelt ihn mit einer Art Vertraulichkeit und erweist ihm Dienste, von denen der Betreffende oft keine Ahnung hat. Er sorgt dafür, daß der freigebige Herr nicht von anderen Bettlern belästigt wird; er hält durch seinen Befehl die zudringlichen Eseljungen, den Schrecken des Orients, von ihm ab, er wacht über ihn, wie es der beste Kriminalpolizist nicht vermöchte. Sieht dies nicht fast aus, als wäre der zerlumpte Mann mehr als nur ein Bettler, als besäße er irgend eine geheime Macht? Es ist auch wirklich so, wie er denn auch meistens nicht arm ist. Die orientalischen Bettler halten in jeder Stadt fest zusammen; sie bilden eine Gilde für sich und dulden keinen Fremdling innerhalb ihres Gebietes. Es bestehen Gesetze unter ihnen, die sich vom Vater auf den Sohn vererben und die für unumstößlich gelten. Eins davon ist, daß der Franke, der einem vom Bettlerhandwerk zinsmäßig einen gewissen Beitrag steuert, von den anderen Vertretern desselben nicht belästigt werden darf, und ferner, daß die Eseljungen unter ihrem Befehl stehen. Der weitgereiste Leser, welcher vielleicht einmal den Orient besucht hat, kann davon erzählen, was für eine Plage diese letzteren für den Fremden werden können. Hundertmal kann er ihnen erklären, daß er nicht reiten will, selbst im fl ießendsten Arabisch; wie die Schmeißfliegen umschwärmen ihn die Unholde und geben nicht eher nach, als bis er die Beine über den Rücken eines ihrer Tiere gespreizt hat. Er wundert sich vielleicht, daß dagegen andere Herren vollkommen von den Anerbietungen der Treiber verschont bleiben. Tritt er aus dem Haus, so versammeln sich wohl auch um jene sofort ein Dutzend Jungen, aber er braucht nur mit dem Kopfe zu schütteln, und sofort führen sie die Esel wieder auf ihre Station zurück. Alles dies bewirken die elenden Bettler, welche die Straßenpassanten beobachten, sie auf die Mildthätigkeit 137 ihres Herzens prüfen und eine Macht ausüben, von der nur sehr wenige Fremde eine Ahnung besitzen. Eine Geschichte möge das Gesagte bezeugen, welche auf diese Art von Leuten ein eigentümliches, aber gutes Licht wirft. Ein junger Deutscher war in Aden, einer Hafenstadt Arabiens, in einem österreichischen Geschäftshaus engagiert. Jeden Abend, wenn er seinem Hause zuging, sprach ihn ein Krüppel, der an seine Beinstümpfe Holzschalen geschnallt hatte und sich so fortbewegte, um eine Gabe an, und der gutherzige Deutsche schenkte ihm stets einen halben Piaster, das sind zehn Pfennige. Die Firma des jungen Mannes machte Bankerott, wodurch er nicht nur beschäftigungslos wurde, sondern auch sein ganzes, in dem Geschäft stehendes Geld verlor, sodaß er in große Not geriet. Sein erstes war, daß er seine bisherige Wohnung aufgab und sich ein einfaches Zimmer mietete, sodaß ihn nun sein Weg nicht mehr an dem alten Bettler vorbeiführte. Alle Versuche, ein neues Engagement zu bekommen, schlugen fehl; der junge Deutsche geriet in die bitterste Armut, und sein einziger Wunsch war nur noch, in die Heimat zurückkehren zu können, aber niemand fand sich, der ihm das nötige Geld leihen wollte. Eines Abends wandelte er niedergeschlagen durch die Straßen Bagdads und kam zufällig an jener Ecke vorbei, an welcher der alte Bettler stand. Dieser sprach ihn sofort an und fragte ihn, warum er nicht mehr hier vorüberginge und warum er so betrübt aussehe. Der Deutsche fühlte sich glücklich, daß wenigstens eine menschliche Seele Mitleid mit seiner Lage hatte, und teilte dem Bettler sein Unglück mit, auch, daß ihm niemand das Geld zur Heimreise leihen wollte. Der Krüppel fragte ihn, ob er ihn diese Nacht besuchen wolle, er wüßte vielleicht Rat, und der junge Mann willigte, obgleich innerlich über den Bettler lächelnd, weil dieser wahrscheinlich bei seiner Bedürfnislosigkeit nur an einige Piaster dachte, ein. Er ging bei Nachtzeit nach der beschriebenen, armseligen Wohnung des alten Mannes, aber wie war er erstaunt, als dieser nach einigen Begrüßungsreden in einer Ecke der Hütte einen Stein am Boden lüftete, einen schweren Beutel hervorhob und Wasser-Prawda | Juni 2014 138 SPRACHRAUM ihn mit den Worten auf den Tisch setzte: »Wieviel hundert Piaster brauchst du zur Reise?« Er mußte den Sprachlosen dazu nötigen, ihm die Summe zu nennen. »In den zwei Jahren habe ich von dir nach und nach dreihundertsiebzehn Piaster erhalten. Ich hielt dich für einen reichen Mann, nun aber gebe ich sie dir zurück, und außerdem borge ich dir noch das übrige, daß du in dein Land kommen kannst.« Der Deutsche brauchte zweihundert Mark, also zweitausend Piaster, und, ohne Dank annehmen zu wollen, zählte sie ihm der Bettler auf. Das erste, was der deutsche Kaufmann that, als er wieder in bessere Verhältnisse kam, war, daß er seinem Retter die Summe mit Zinsen wieder zukommen ließ. Von einem großen, mit Rasen und Baumanpflanzungen geschmückten Platz, der mit stattlichen Gebäuden eingerahmt ist, führt die Muski ab. Gehen wir diese entlang und lassen vorläufig das bunte Gewühl von Italienern, Griechen, Spaniern in ihren Trachten, Deutschen, Engländern und Franzosen in moderner Kleidung, Türken und Arabern in orientalischen Gewändern, unbeachtet, lassen wir die Eseljungen ihre Tiere mit dicken Beamten, verhüllten Frauen, die rittlings im Sattel sitzen, an uns vorbeieilen, und biegen wir in das dritte Gäßchen ein, welches sich zur rechten Hand von der Muski abzweigt. Es macht einen unangenehmen Eindruck auf den Passanten, dieses Gäßchen. Anfangs fällt es sehr steil von der Muski ab. Der Boden ist furchtbar holprig, und die hohen, schmutzigen Häuserwände rücken so nahe aneinander, daß kaum eine Equipage zwischen ihnen durch kann. Es ist eine Sackgasse; ein Haus versperrt schließlich dem Wanderer den Weg. Durch einen breiten Thorweg gelangt man in einen Garten, doch nein, in ein Paradies, welches hierhergezaubert worden zu sein scheint. Lange Promenaden, von Palmen beschattet, schattige Gänge, durch Bäume und Büsche gebildet, die sonst nur in Gewächshäusern zu sehen sind, dunkle Lauben, von Mandel-, Apfelsinenund Feigenbäumen überschattet, bieten sich deinem Wasser-Prawda | Juni 2014 entzückten Auge dar. Dazu paßt auch der palastartige Bau, der sich seitwärts erhebt. Ein einziger Blick in den Treppenflur lehrt schon, wie prächtig die inneren Zimmer ausgestattet sein mögen. Die Stufen sind mit kostbaren Teppichen belegt; zu den Seiten stehen Marmorfigurcn, Göttergestalten darstellend, und überall, selbst auf diesem Flur, sind Kronleuchter und geschmackvolle Ampeln angebracht. Ein Herr im Salonauzug erscheint, das heißt, in Frack und weißem Schlips, und spricht den Besucher mit einer höflichen Verbeugung an. Der versteht ihn nicht und schüttelt also den Kopf. Sofort wechselt jener die Sprache, er fragt englisch, französisch, italienisch, spanisch und so weiter, endlich deutsch: »Was wünschen Sie zu bestellen, mein Herr?« Was, das ist ein Kellner? Gut! Man fordert eine halbe Flasche griechischen Rotweins, das ist das billigste, was man hier erhalten kann. Bald erscheint der befrackte Geist wieder und bringt auf silberner Platte die Flasche in ebenfalls silbernem Eisbehälter, und ein feingeschliffenes Glas, die Rechnung wird auf ebenfalls silbernem Teller in Gestalt einer kleinen, kopierten Karte überreicht. Ein tiefer Griff in den Geldbeutel ist zur Begleichung derselben notig. Das ist das Hotel du Nil, das feinste Absteigequartier für Reisende in Kairo. Freilich kann ein Kaiser, ein König, ein Herzog oder ein Fürst kurz zuvor auf demselben Platze gesessen haben. Es ist nicht unmöglich, daß an eben dieser Stelle Kronprinz Rudolf an seine Mutter, die Kaiserin von Oesterreich geschrieben hat, oder unser Moltke an seine Braut. Ein einfach gekleideter Mann, ohne Kragen, das wollene Hemd auf der Brust nicht einmal zugeknöpft, geht sinnend im Garten auf und ab und schlägt dabei mit einem Stöckchen den hochaufgeschossenen Grashalmen die Köpfe ab. Vielleicht bedarf es, wie er jetzt die Pflänzchen köpft, nur seines Wortes, und zwei mächtige Völker erheben sich gegeneinander, zum Kampfe gerüstet, und Schmerzgeheul und Trauerklagen erfüllen SPRACHRAUM die Welt. In der Tat, wohl kein Fremdenbuch der Welt kann eine solche Fülle von berühmten und hochklingenden Namen aufweisen, wie das Hotel du Nil in Kairo, jener Stadt, die von ihren Bewunderern das orientalische Paris genannt wird. Vor dem Eingangstor drängen sich eine ungewöhnlich große Anzahl Eseljungen, ihre Tiere am Zügel haltend, die teils Herren-, teils Damensättel tragen. Fast scheint es, als ob alle Gäste sich Esel bestellt hätten, in solcher Menge sind diese vertreten. Zwischen ihnen durch drängen sich Herren, die sich entweder mit den Treibern in einem sonderbaren Kauderwelsch unterhalten oder sich durch scherzhafte Bemerkungen über die Esel die Zeit bis zum Abreiten vertreiben. »Ist der Esel auch gut?« fragt einer der Herren einen Jungen, denn diese Treiber, fortwährend mit Reisenden verkehrend, verstehen meist etwas von den modernen Sprachen. »Sehr gut, Effendi,« entgegnete der Bursche, »nickt mit die Kopf.« Das soll heißen, er trägt den Kopf hoch und bewegt ihn wie ein edles Roß. »Nickt er auch mit die Schwanz?« fragte der erste Sprecher lachend weiter. »Nickt mit die Schwanz,« beteuerte der Junge. – »Beißt nicht?« – »Nie nicht beißen.« – »Schlägt nicht aus?« – »Nie nicht ausschlagen thut.« – »Geht nicht durch?« forschte der beharrliche Frager weiter. Der Treiber versteht diesen Ausdruck nicht, aber er macht eine abwehrende Bewegung. »Mein Esel, bester Esel, wie ein Lamm,« sagt er. »Dann nehme ich ihn auch nicht,« meint der Herr und dreht sich phlegmatisch um, nach einem recht störrisch aussehenden Tiere suchend. »Halloh, Hastings,« rief dieser Fremde plötzlich, als er einen Herrn sah, der sich eben mit der ganzen Wucht seines riesigen Körpers auf einen sehr starken Esel legte, als wolle er probieren, ob derselbe ihn tragen könnte. »Halloh! Brechen Sie dem Tiere nicht das Kreuz! Nehmen Sie doch lieber zwei Esel.« »Kinderspielzeug!« antwortete der Gefoppte, der, wie auch die anderen Herren zur Besatzung des ›Amor‹ 139 gehörte, mit mürrischer Miene. Die Vestalinnen wohnten bereits seit zwei Tagen im Hotel du Nil und hatten die Zeit fleißig dazu benutzt, sich alle Merkwürdigkeiten der ägyptischen Hauptstadt anzusehen, und zwar diesmal in Begleitung der englischen Herren, welche in demselben Hotel logierten. Es waren zuerst Schwierigkeiten entstanden wegen der befreiten Mädchen, welche nicht stets mit herumgeschleppt werden sollten, bis Johanna vorgeschlagen hatte, man sollte den Kapitän des ›Blitz‹ fragen, ob er vielleicht mit seiner zahlreichen Mannschaft über die Sicherheit der Mädchen wachen wolle. Gedacht, gethan, Miß Ellen hatte dem Ingenieur geschrieben und sofort eine zusagende Antwort erhalten. Noch an demselben Tage verließ sein Schiff den alten Ankerplatz im Hafen und legte dicht neben der ›Vesta‹ an. »Bleiben Sie so lange aus, wie Sie wollen,« hatte Felix Hoffmann zu der Kapitänin gesagt, »und Sie werden bei Ihrer Rückkehr kein Haar auf den Häuptern Ihrer Schützlinge durch irgend eine menschliche Macht Wasser-Prawda | Juni 2014 140 SPRACHRAUM gekrümmt finden. Trauen Sie meinem Wort als dem eines Ehrenmannes.« Völlig beruhigt verließ Ellen in Begleitung ihrer Gefährtinnen Alexandrien, die Mädchen unter dem Schutze des deutschen Ingenieurs und seiner Matrosen zurücklassend, nur Sulima und Yamyhla nahm sie mit, erstere, um sie in ihre Heimat zu bringen und durch ihre Aussage den Anstifter des räuberischen Ueberfalles zu entlarven, letztere, weil alle Vestalinnen ein ganz besonderes Wohlgefallen an der Amazone fanden, welche bei jeder Schiffsarbeit mit einem Eifer und einer Geschicklichkeit ans Werk ging, welche die Damen immer wieder in Erstaunen setzten. Ueberhaupt betrachteten sie das Mädchen mehr als Genossin, denn als eine der Aufsicht bedürfende Sklavin. Der ›Amor‹ hatte zur anderen Seite des ›Blitz‹ beigelegt, und Lord Harrlington hatte dem Ingenieur die Brigg ebenfalls zur Aufsicht übergeben. Die alten Moscheen der einstigen Herrscher Ägyptens, die Wasserkünste, die berühmten Mameluckengräber, die Andenken, welche sich an den Aufenthalt der Juden in Ägypten knüpfen, alles war schon besehen, es galt nur noch, den Pyramiden einen Besuch abzustatten, dann sollte dem heißen Wunsche Sulimas, sie nach der Heimat zu bringen, willfahren werden. Man sah es dem armen Mädchen an, daß es bald vor Sehnsucht verging, aber zu rücksichtsvoll war, um durch Bitten ihre Retterinnen zur Beschleunigung des geplanten Vorhabens anzutreiben. Jetzt harrten unten die bestellten Esel, um die Herren und Damen nach Giseh, wo die Pyramiden und die kolossale Sphinx sich erheben, zu bringen. ... In einem Zimmer des Hotels fand kurz vor dem Abritt noch eine Unterhaltung zwischen Ellen, Johanna und Miß Murray statt, während Sulima und Yamyhla, ebenso wie die übrigen Damen, in helle, bequeme, aber dennoch geschmackvolle Toiletten gekleidet, am Fenster standen und sich über das Treiben der Herren zwischen den Eseln freuten. Soeben hatte Miß Petersen den beiden Damen einen laugen Artikel aus einer englischen Zeitung vorgelesen, deren es in Kairo mehrere giebt. »Sieht es nicht gerade aus,« setzte Ellen am Schluß hinzu, und ihr schönes Gesicht strahlte von innigem Wasser-Prawda | Juni 2014 Entzücken, »als hätte der Schreiber dieses uns ganz in der Nähe beobachtet?« »Fast scheint es so,« entgegnete Miß Murray, auch sie war ungemein erfreut. »Alles, was wir gethan haben, wie Sie dem Mädchenhändler erst die Pistole aus der Hand schossen, dann sein Ohr trafen, wie ich das Kommando gab, das Steuerrad der ›Undine‹ zu zerschmettern – alles ist so geschildert, wie es geschehen ist.« »Merkwürdig ist es auch,« fuhr Ellen fort, »wie genau der Name jeder Vestalin genannt ist, die am Geschütz stand, die im Boot war oder die die Bootsbesatzung mit Revolvern bedrohte. Das Verhalten des Türken, des Kapitäns, unser eigenes, alles und alles so, als hätte sich irgendwo ein Reporter versteckt gehalten und unser Thun in seinem Buche notiert. Wer mag dies nur gethan haben? Eine unserer Gefährtinnen?« »Das kann ich nicht glauben,« sagte Jessy Murray bestimmt. »Dann weiß ich es wirklich nicht. Was meinen Sie dazu, liebe Jane?« »Ohne allen Zweifel hat den Artikel einer der Engländer in die Zeitung gesetzt,« entgegnete Johanna. »Nicht möglich,« riefen beide Damen zugleich aus. »Der ›Amor‹ war nicht in Sicht, und derjenige, der dieses aufgesetzt hat, muß unbedingt Augenzeuge des Vorfalles gewesen sein.« »Und doch ist es nicht so unmöglich,« meinte eben Johanna lächelnd, »daß uns dabei die Herren beobachtet haben. Sie entsinnen sich, daß der ›Amor‹ eben in Sicht kam. als wir die Sklavinnen an Bord nahmen. Den näheren Anblick dieser Mädchen wollten sich die jungen Herren natürlich nicht entgehen lassen. Mir fiel übrigens gleich auf, daß sie uns zwar beglückwünschten uud sehr viele Schmeicheleien sagten, aber ihr Erstaunen über unsere That war doch nicht das rechte. Zeigten es einige doch, so machte es einen erkünstelten Eindruck. »Aber ich bitte Sie,« unterbrach Jessy die Sprecherin, »wie sollen sie uns beobachtet haben, wenn wir den ›Amor‹ gar nicht sehen konnten!« »Ah, doch! Wissen Sie noch, daß nicht so sehr weit von uns das letzte Inselchen des griechischen Archipels lag!« SPRACHRAUM – »Ah, in der That!« »Nun, und eben, als das Werk vollendet war, kam der ›Amor‹ hinter diesem Inselchen vorgedampft, und die Herren beglückwünschten uns,« schloß Johanna. »Das wäre allerdings die einzige Lösung des Rätsels. Doch sei es, wie es wolle,« meinte Ellen und stand auf, um vor dem Spiegel ihr Kleid zu ordnen. »Böse bin ich dem Betreffenden jedenfalls nicht, daß er so indiskret gewesen ist, das Geschehene in den Zeitungen zu veröffentlichen. Im Gegenteil, ich bin sehr zufrieden damit.« »Das kommt doch auch noch in andere Zeitungen?« fragte Jessy. »Natürlich! Alle Redaktionen der Welt werden sich um die Ehre reihen, ihren Leserkreis zuerst mit dieser Neuigkeit und unseren Namen bekannt zu machen.« »Bravo, bravo!« rief Jessy entzückt und klatschte in die Hände. »Es ist schade, daß Sir Williams nicht nahe genug war, sonst hätte er uns mit seinem unvermeidlichen Photographenapparat aufgenommen.« »Ich weiß nicht,« meinte Johanna, »mir gefällt es nicht besonders, daß die Befreiung der achtzehn Mädchen durch uns so freimütig ausgerufen wird.« »Warum nicht?« fragten die beiden Damen erstannt. »Wir haben doch kein Unrecht begangen, sondern vielmehr eine sehr lobenswerte Handlnng ausgeführt!« »Gewiß, das haben wir! Aber immerhin, der Schreiber hätte wenigstens warten können, bis wir Sulima sicher den Ihren ausgeliefert haben, wir selbst wieder an Bord der ›Vesta‹ sind und Alexandrien hinter uns haben.« »Haben Sie etwa Angst, daß wir für unsere Kühnheit von jenem elenden Mädchenhändler bestraft werden könnten?« fragte Jessy in etwas spöttischem Tone. Johanna richtete sich hoch auf und schaute die Fragerin mit einem festen Blicke an: »Sie sollten doch wissen, Miß Murray, daß Johanna Lind keine Furcht kennt.« »Verzeihen Sie mir,« bat sofort Jessy und reichte ihr die Hand, »so war dies nicht gemeint. Aber warum sollte diese schnelle Veröffentlichung eine Gefahr für uns bedeuten?« Johanna zuckte die Achseln. »Eine Ahnung sagt es mir. Wir sind in einem Lande, das unter der Oberhoheit des Sultans steht. Die Türkei darf den Sklavenhandel zwar nicht dulden, dafür haben die europäischen Mächte 141 gesorgt, aber sie leistet ihm, und ganz besonders dem Mädchenhandel, heimlich Vorschub.« »Nun, laßt sie kommen!« meinte Ellen. »Wir werden schon mit ihnen fertig werden. Aber auf nun, meine Damen, wir wollen hinunter! Kommt, Sulima und Yamyhla!« »Ja, auf, denn schon wiehern vor der Thür die Rosse,« lachte Jessy, als eben ein Esel ein langgezogenes Y–y–ah ausstieß, welches seine Brüder beantworteten. Freudig wurden die Damen unten begrüßt. Schon lange hatte man auf ihre Ankunft gewartet, um den Ritt nach den Pyramiden beginnen zu können. Jede hatte sich einen Esel ausgesucht, einige weitere Tiere wurden mit Lebensmitteln bepackt, um nach Befriedigung der Augen auch dem Verlangen des Magens genügen zu können. Die mit diesen Schätzen beladenen Tiere und deren Treiber kamen unter die besondere Aufsicht des ebenfalls mitreitenden Hannibal, denn dieser weitgereiste Mann gab sich den Anschein, als ob das Merkwürdigste der Welt nicht mehr sein Interesse erregen könne, nur eine gute Mahlzeit und ein gutes Glas Wein lockten ihm, dem verwöhnten Feinschmecker, ein wohlgefälliges Lächeln ab. So ritt er jetzt hinter den den Beschluß bildenden Eseln mit den Vorräten her und verwandte kein Auge von ihnen. Erst als Yamyhla ihr Tier neben das seinige lenkte, wurde seine Aufmerksamkeit durch die Unterhaltung in Anspruch genommen, die beide in jenen tiefen Gaumenlauten ihres Volkes führten. Wasser-Prawda | Juni 2014 142 ENGLISH PREFACE BY RAIMUND NITZSCHE AND BERND KREIKMANN The „Wasser-Prawda“ is rapidly becoming a highly respected international music medium. We have gained many readers and friends in Europe and the American continent. Since it seemed like a good idea to ask some of these friends if they are willing to send us regular reports from their environment. It‘s primarily about the blues - told from eye level. Where are the most interesting clubs which musicians are particularly popular, what are the trends, where are the popular meeting points? Our friends are musicians or designated spotters, who live locally. We want to report from the West Coast, from Chicago, Detroit, Austin and New Orleans. Toronto and Sao Paulo are also important places. As pioneer we have picked out our friend Howard Glazer - in the last issue we presented Detroit‘s leading blues guitarist, now he will bring us closer to his city and region. The city of Tamla Motown, Mitch Ryder, Donald Byrd, Eminem, Glenn Frey, Smokey Robinson, Bob Seeger and the great Diana Ross, the city of steel and the car industry; the city that struggles out of bankruptcy. Howard would not be a US born man if he did not first imagine his immediate surroundings, he leads us into a culture that differs greatly from ours, but closer inspection has a lot in common. First we thought: For the sake of authenticity, we refrain from the texts to be translated into German; they are written in a manner that they are easy to understand. But after we asked some of our readers, another decision was made: Online we’ve got some articles in German and English already. And this way we’ll do in our monthly pdf-version too. Starting now you can find some articles in English here, mostly written by our authors from the United Kingdom or the US. But we’ve got some reviews Wasser-Prawda | Juni 2014 and texts we translated in English by ourselves also. The layout will be very stripped down and rough - our magazine is still the work of some enthusiasts without funding. But we hope, you’ll find it helpful, to have the articles in English. And all the other pages you can use to train your German language. There’s not only Blues and music music. We’ve got a lot of literature here too, some reviews of books and films and sometimes articles on history, arts or philosophy too. At last a word to all the musicians, promoters or music labels: If you’ve got money left in your marketing budget: Why not put ads in our magazine online and in the pdf as well? We’ve got more than 1500 visitor/day on www. wasser-prawda.de and about 600.000 pageviews/month. The pdf-magazine has more than 1000 readers each month. And they all know, this is the best place to look for Blues, Soul and related music in Germany online. Ask for an offer via [email protected]. ENGLISH 143 Video Killed The Radio Star? LETTER FROM THE UK NO 8. BY DARREN WEALE was fifty years old in March. In the 1960’s, when it was for a time the sole nearby broadcaster of breaking music to the UK, it had 10 million listeners (its record AUS DEM VEREINIGTEN was 24 million!). Fifty years on, Radio Caroline and its latest ship, the Ross Revenge, is still here and broadKÖNIGREICH. casting. Ship? Yes, Caroline was ship-based, and if you Have you heard the old hit by The Buggles “Video Killed have seen the movie the Boat That Rocked, that gives The Radio Star”? It is a great song, and the only one I you some idea of what it was like. Radio Caroline’s precan think of where singing “oo-wee-oo-wee” works. sence today is highly remarkable, even miraculous, given Radio has a massive part in the history of modern its history. Legislation - the Marine and Broadcasting popular music, making many acts household names. Offences Act 1967 – was enacted to restrict or destroy Even in these days of digital access to music, radio, and Radio Caroline. A Radio Caroline ship, the Mi Amigo, the personalities that work in it, are important. sank. The authorities boarded and impounded a Radio The British radio station that means the most to me Caroline vessel for a time as well. Then there has been is Radio Caroline. I have written about it in an earlier the spread of competing broadcast radio stations offline Letter from the United Kingdom, so after this I had and online. Plus, of course, the rise of music video. Yet better leave that topic alone for some time. Caroline WILLKOMMEN ZUM BRIEF Wasser-Prawda | Juni 2014 144 ENGLISH Radio Caroline is still here, broadcasting chiefly via the internet, owing to difficulties in getting a terrestrial licence and wavelength. Radio Caroline is best known as a Rock ‘n’ Roll station. However, Radio Caroline started life in 1964 when most of the biggest bands were Rhythm and Blues or highly inspired by it – The Rolling Stones, The Animals, Them, John Mayall’s Bluesbreakers, Buddy Holly, Elvis Presley, even the Beatles. So it is good to see that the station in its current output has the Blues on some of its shows, as well as shows that play music from the 60’s. Video is, though, starting to help music and musicians, a little like radio did before. The late, great guitarist Alvin Lee is responsible for one new example of this. He is the first artist to feature on the Digital White Label platform, ‘the next generation of fanclubs’. In short, Digital White Label allows fee-paying fans to follow their favourite artists on a year-long campaign where they will be given exclusive material from an unreleased collection of tracks, and a variety of other exclusives. The first select footage to be shared on the Digital White Label platform is the unreleased album, ‘Alvin Lee & Co. – Live From The Academy of Music, New York, 1975.’ The early promotion of the platform features some very good video, one with voiceover by Huey Morgan, of Fun Lovin’ Criminals. Arguably, a Blues artist would be an unlikely choice to launch such a platform. However, there are special reasons for the choice. Family reasons. Alvin’s daughter, Jasmin, together with her mother, Suzanne, and Lee’s widow, Evi, have been working to deliver a project her father helped to inspire. Jasmin said, “We started pulling this together with Dad before he passed away and he really liked the concept, but now myself, Evi and Suzanne have taken the reigns with this and it has become a commemorative release where we can go a bit more into Alvin Lee the person.” The artists will receive 80% of the income directly. The platform is hosted by Tunehog - www.tunehog.com and Digital White Label provides a way of monetising all content for artists instead of them having to give away so much for free. Will Digital White Label be a real help to musicians in the digital age? Will it last fifty years and more, like Wasser-Prawda | Juni 2014 Radio Caroline? I’d like to hope so. Now you’re finishing reading this, why not tune in to Radio Caroline? And take a look at Digital White Label and Alvin Lee. After all, video hasn’t killed the radio star. Not yet. Not yet. SEID GLÜCKLICH UND ERFREUT EUCH AN EURER LIVE-MUSIK UND ALLEM WAS DEUTSCH IST! LINKS Alistair Cooke - www.bbc.co.uk/programmes/ b00f6hbp Radio Caroline - www.radiocaroline.co.uk/#home. html Now I n Foc u s podc a st – i nter v ie w with current Radio Caroline DJ, Steve A nt hony - http://nowinfocus.libsyn.com/ radio-caroline-dj-steve-anthony-interviewed Now In Focus podcast – interview with two former Radio Caroline engineers, Mike Barrington and James Kay. Hear about the sardine and pickled onion curry and more – http://nowinfocus.libsyn. com/interview-with-radio-caroline-engineers-mikebarrington-and-james-kay Talent In Focus video interview with DJ Steve Anthony - www.youtube.com/watch?v=KvkzlybxPLM Talent In Focus – The Billy Walton Band from the US explore the Ross Revenge and play on the deck - www.youtube.com/watch?v=0v_UnTfE7r4 Alvin Lee - www.alvinlee.com Digital White Label - http://digitalwhitelabel.com ENGLISH 145 song by Rodriguez). Gracie’s is one of the few “mom & pop” or independently owned Italian restaurant and pizzerias around. The homemade pasta sauce and old school oven baked pizza’s are great! Not to mention the Wednesday $5 Spaghetti Dinners, $1.50 draft beers and live blues music! Hello, I’m writing to you from Detroit, MI USA. I know One side is just the restaurant the other side is the party around the world Detroit doesn’t always have the gre- room and the back bar (with a pool table, this is where atest reputation; I want to take this opportunity to let I play on Wednesday nights). you know about the many positive things going on in You never know who you’ll run into there either, a and around the city. Detroit City Council member, policeman, or fireman I’m going to start with Gracie See’s Pizzeria. You may to another local musician, or just neighborhood people ask: why a pizzeria? Gracie’s isn’t just a pizzeria, it’s a res- enjoying dinner and a night out. Now with live blues taurant, bar and gathering place for many people on the on Wednesdays (started in December 2013) new people West side of Detroit. When you walk into Gracie’s and are going there for the music. Often musician friends look around you almost feel like you have walked back come and sit in with me. I’ve even had poets come out in time to the 70’s. The restaurant features vintage pane- and read both on their own and with live blues backing ling and an amazing collection of plaster statues, black them up. In the party room who knows….a birthday velvet paintings and vintage tin signs from the 60’s and party, holiday party, retirement party it all happens! 70’s, scattered throughout. You can also order your food for takeout. But……if you Many of the happening places in the suburbs claim to want to stay home not only will they deliver food right be in Detroit and they really aren’t, nothing against to your front door, they will also deliver beer & wine as them, there is just a certain character that a Detroit busi- well (I personally don’t know of any other place in the ness has, and Gracie’s is no exception It’s actually rather area that does that). unique because one side of the street (the side Gracie’s is on) is Detroit, the other side of the street is Dearborn Gracie’s has been around for many many years and has (home to Ford Motor Company and made famous in been a family tradition spanning several generations I had a chance to sit down with Joe Puleo, (Gracie’s son and restaurant manager) and ask him a few questions Howard Glazer’s Blues, Views & News from Detroit Wasser-Prawda | Juni 2014 146 ENGLISH in 1969 HG: How do you feel about being a business owner in Detroit? JP: Being a business owner in Detroit is kind of a mixed bag. The good people are the best and the worst are the worst. I couldn‘t imagine being anywhere else. Detroiters are the best neighbors, everyone knows everyone, and it’s like a small town that just keeps going. HG: I just saw on the news there will be an outside investor investing 100 million dollars into Detroit over 5 years, do you think that has any chance creating a positive affect? JP: Any investment is good investment. I hope everyabout the families business. one in the city is committed to getting though his banHG: How many years has Gracie See’s been in kruptcy and becoming a functional place to live. I think business? that JP Morgan is betting on just that. JP: Gracie’s has been in business for 45 years, we opened in the summer of 69. HG: Is there anything you want to say to the readers HG: Who created the great pasta sauce? JP: My grandmother but the truth is no one really knows, the recipe is ancient. Right now she’s 90, before it was my great grandmother‘s. Some day it’ll be my mom’s then my sisters, my daughters and so on. (it’s passed on from generation to generation) HG: What about the pizza recipes? JP: It’s just bread sauce and cheese so it kind of came together back in the 1920s to 1940s. Use good ingredients, lots of practice. Dough really does need an experienced hand to make it, the temperature outside, how quickly you expect to use it, and there are a lot of things that come into play. But we don’t change the recipes. HG: Have the recipes just sort of developed over the years? JP: We don’t like change, but that’s a good thing in this case. You can eat the exact same thing as they did Wasser-Prawda | Juni 2014 in Germany? Or why they should come out to Gracie See’s when they are in the Detroit area? JP: hallo, Kommen Sie vorbei, wenn Sie gutes Essen und ein Getränk mögen. Deutschland ist ziemlich weit weg, aber unsere Pizza ist so gut, es ist die Reise wert. Wir trinken Barrel Oktober Dunkel. Sie haben auch unsere repect als Auto Leute. Also, Howard gets some many American ladies in when he plays that the fire marshal has 2 girl friends now. So with that being said if you are in Detroit and want a great reasonably priced meal or some adult beverages while hanging out with really friendly people Gracie See’s Pizzeria, 6889 Greenfield, Detroit, MI is the place to be. ENGLISH 147 Ten Questions To: Chantel McGregor A SERIES BY DAVE WATKINS 1: What were your earliest musical tastes and how did you discover the world of blues? Like most children, I was brought up on a mix of what my parents listened to, and it was usually guitar based music that was floating around our house, bands like Zeppelin, Free, Hendrix and Fleetwood Mac etc, in fact one of my earliest memories of music is Rumours by Fleetwood Mac – Stevie Nicks has been my idol since I was a toddler!!! 2: Who were the artists that you listened to that made you want to play this music? When did you realize you had the talent to do it? It’s strange really because I never really listened to people and thought ‘I want to play like that’, that still never happens. A lot of young players hear a guitarist and want to become that guitarist, so they sit in their bedroom learning someone else’s riffs, style and tone. I never did that, I always liked doing my own thing, improvising to things in my own style and creating my own sound. To part 2 of the question, I don’t think you ever realize your own talent, you should always be critical of yourself, there’s always something you can improve on. 3: Your first recordings - do you still listen to them? How do you rate them now? Are there any that you won‘t listen to? I don’t actually know where my first recordings are, I know there are tapes of me singing nursery rhymes from when I was about 2 years old somewhere, but anything actually musical is lost. I remember getting a 4 track tape recorder when I was about 10, which I used to throw ideas down on and record my own pretend radio shows, but I’m not sure what happened to both the tapes or the recorder! 4: What other jobs have you done to be able to support your music career? I’ve never actually done anything else. I did my A-Levels, left school, did a BTEC and then a degree at Leeds College of Music, and whilst I was doing my degree, put my band together and gigged. When when I left university, I had my career all ready to walk into and Wasser-Prawda | Juni 2014 148 ENGLISH started touring professionally. which will be great fun. I think my future will include touring further afield. My main ambition is to be happy 5: How hard is it to make a living in music? Is there and successful in whatever I’m doing, as long as it’s all anything that would make it easier for all artists? going well and I’m enjoying it, what more can a girl It is a very hard industry to be involved in, both from want!!! the amount of work you have to put in, the amount of money you have to invest, and the lack of rewards both 10: What do you like to do outside of music? financially and professionally that you get back. But if I like to travel, explore different places, shopping, and you get it right, work 24 hours a day and put your all trying different food and drinks. into it, it can be very rewarding. You just have to be preBONUS QUESTIONS: pared to sacrifice a lot. 1: What is the greatest guitar riff you ever heard? The 6: Which song of your own are you most proud of? one you would most likely play just for fun?! Can you tell us the story behind that song? I’m massively into Prince at the moment, so probably I think I’m most proud of ‘Fabulous’. It’s a rock-pop song ‘Lets Go Crazy’, the live version. I’ve been jamming it that I wrote for my first album, it came very quickly. I at sound checks since I went to see him play in May. was thinking about writing a song about partying on a weekend, and within a couple of hours, ‘Fabulous’ was 2: Do you ever get strange looks from an audience who don‘t expect a female to be able to play that well? written. It’s a good fun song to dance to! I get that at most shows, it is really funny to see. I enjoy 7: When you sit down to write, what comes first - the watching the realization that girls can play guitar, its lyrics, the tune or an idea for a whole song? really good fun! I don’t really have a method for writing, it happens differently every time. Sometimes I try to write lyrics on 3: What is your favourite food treat - chocolate, my phone, other times I’ll pick up a guitar and come biscuit or sweets?? up with the harmony, sometimes both of those magi- I’d have to say chocolate, it’s my weakness!!!!!!! cally fit together, and sometimes nothing comes at all, songwriting is one of those elusive things. 8: Tell us about your favourite instrument in your collection? Is there any other instrument that you would like to own or want to learn how to play? I’ve three favourite guitars, a PRS Custom 24, a Music Man Petrucci, and a Fender Stratocaster which my dad modified. They’re all different but they just feel perfect to me, depending on the song, whenever I play them they are so natural in my hands, not many other guitars feel like. I’d love to have and to be able to play a grand piano, although it would be a bit of a waste, my piano talents are limited to ‘Chopsticks’! 9: Where do you like to see your career heading to in the future? What are your main ambitions? My next ambition is to finish writing the second album, get it recorded and released, and then later this year I have a European tour lined up, including Germany, Wasser-Prawda | Juni 2014 ENGLISH 149 play guitar he was not the reason I started playing blues music. My Mom was the person that got me into the blues. At the age of 16 she took me to see Stevie Ray Vaughan and that changed my whole world. At the age of eighteen my father passed away and I feel blues music helped channel my anger and depression into a positive thing. Blues music to me is a very spiritual and healing part of my life!! It has helped me to release the stress from the daily trials and tribulations of everyday life and at the same time while performing it does the same for the people at my shows. It is my wish to help people forget about the bad in their life‘s and cut loose the worries and have a good time, if even only for a moment. If I can make that happen for the people then to me that is the ultimate feeling of gratification that money can‘t buy!! BK: It was a pleasure to see your CD „Rough Cut“ climbing up the charts. It’s still a chart breaker. AV: Our CD titled „Rough Cut“ was named for in which the process it was recorded. We went into the studio and just laid down the tracks with no rehearsal, heck we didn‘t even know what songs we were going to record. We recorded the album in one session with AN INTERVIEW WITH ALLEN the band, Aldwin London on Bass & Vocals, Sugar G VEGA. BY BERND KREIKMANN. Robinson on Keys, Mr Paquettez on Drums, Armen Boyd on Sax and myself on Guitar and Vocals. I did PHOTO: BOBBIE GOODMAN. two more sessions to do the vocal tracks and to mix the BK: We know each other since some years Allen, CD. Rough Cut has been doing well since it‘s release in 2013 we are grateful it has captured the attention good to see you in great shape. AV: Yes Bernd, I believe we met in 2011 on Facebook, of many people throughout the world and has been your general interest in American blues music caught number one on the ReverbNation blues chart for over my attention and I‘m happy we became friends, I have six months. made some changes in that time, becoming sober and BK: When we met first time you’ve been with BigCat taking charge of my health and musical direction. Tolefree, what happened? Mission: To Make People Smile BK: I’ve been impressed of what you changed and realized in your personal life during that time. To come to your roots Allen, your uncle has been a well known musician too, has he been the one to bring you to the blues? AV: My uncle David „Dynamite“ Vega was the original guitarist for the band „Graham Central Station“ although he was a huge influence on me learning to AV: Well, my friends and fans kept telling me they like my show better, so I decided to front my own band, I didn‘t feel Big Cat was growing and I made the choice to move on! BK: I understand, you want to continue to go your own musical way as started with „Rough Cut“. BTW Wasser-Prawda | Juni 2014 150 ENGLISH my favourite take is „Tin Pan Alley“ which is being released in July 2014. I am currently AV: After being a side man for over 20 years I feel the writing and recording my second album and we should time has come for me to step up front, BTW Tin Pan have it complete by the end of summer. Alley is also my favorite track on our album and is BK: Do you plan to do your CD Realease tour in getting a lot of attention. Europe too? Do we have a chance to see you on our BK: Attending your gigs it is great to see that the stages in Germany? crowds are enthusiastic to see you with your new AV: We are currently looking for contacts in Europe band. and overseas to help us with tour support. We would AV: The response has been amazing and we look forward like to perform all over the world!! to bringing a new high energy show where ever this ride BK: Many thanks for taking your time Allen, all the may lead us!! best for your plans and hope to see you soon on the other side of the pond. BK: Isn’t it a risk to start up with a new band, when you’re on top? AV: As I stated, I want to grow and being in BC & the Hipnotics was stifling my creativity. My grandmother always told me to follow my heart and take chances! BK: I know that times are getting harder for musicians on West Coast too. You have a very nice family a wonderful wife and two children. How is it possible to survive as a Blues Musician under these circumstances? AV: I‘ve had to make sacrifices for my family, I gave up touring and got a day job to support my family. I have no regrets, sure it‘s tough to do music and work a day job but the most important thing to me is to be there for my wife and kids! BK: I understand that the love to your music is deep down in your heart, it is not a job but kind of a mission. AV: You got that right!! I‘m on a mission to make people smile, dance and forget about all there problems if even for only a moment! BK: That is great Allen, what are your plans for the next times? I heard a rumor that you are working on a new CD? AV: I have a lot on my plate right now and I‘m very fortunate to be involved in multiple projects. I recently recorded with some huge names in the Funk music industry that I will name at a later date upon the record release. I have also recently recorded with a true blues man by the name of Silver Fox on his all original album Wasser-Prawda | Juni 2014 ENGLISH Eeny, meeny, miny, moe: the blues versus racism BY GARY BURNETT1 151 admitted to publically calling the president of the United States a “f***ing nigger.” In March Jane O’Toole overheard Copeland make the remark as she finished her dinner in a local bistro. O’Toole complain to the town management, but Copeland was unrepentant, saying in an email to his fellow police commissioners, “I believe I did use the ‘N-word’ in reference to the current occupant of the Whitehouse. For this, I do not apologise – he meets and exceeds my criteria for such.” His loudly stated opinion, according to Copeland, was merely an exercise of his first amendment rights. The sorry tale was compounded by the Chairman of the Police Commission, Joseph Balboni, saying he had no plans to ask Copeland to resign. He said of Copeland, “He’s worked with a lot of blacks in his life. . . . He said some harsh words about Mr. Obama, and here we are. This woman, she’s blowing it all out of proportion.” Mr. Copeland has now resigned. There have been other incidents of expressions of racism recently. One Cliven Bundy, a Nevada rancher who is leading a ranchers’ dispute with the government over cattle grazing, recently wondered whether the “Negro” shouldn’t be back in chains. He recalled driving past a public-housing project in North Las Vegas, “and in front of that government house the door was usually open and the older people and the kids – and there is always at least a half a dozen people sitting on the porch – they didn’t have nothing to do. They didn’t have nothing for their kids to do…And because they were basically on government subsidy, so now what do they do? They abort their young children, they put their young men in jail, because they never learned how to pick cotton. And I’ve often wondered, are they better off as slaves, picking cotton and having a family life and doing things, or are they better off under government subsidy? They didn’t “Well, them white folks in Washington they know how get no more freedom. They got less freedom.” To call a colored man a nigger just to see him bow.” Bundy, the New York Times reported, has become a celebrity, “drawing hundreds of supporters, including But those days are long gone, right? dozens of militia members, many carrying sidearms, and Last week the news emerged that the police commissi- members of Oath Keepers, a militia group, who have oner of Wolfeboro, New Hampshire, Robert Copeland, embraced him as a symbol of their anger and a bulwark The blues grew up in an environment of the most virulent racism and discrimination, perpetrated by white people on the black communities of the Southern States. Many of the early blues songs bear witness to the suffering endured by black communities. In 1930, Lead Belly sang Jim Crow, bemoaning the inequity he found everywhere he went: “I been traveling, I been traveling from shore to shore, Everywhere I have been I find some old Jim Crow.” Eleven years later, Josh White gave us Jim Crow Blues, where he complains he “ain’t treated no better than a mountain goat.” Lead Belly also suffered racism in the nation’s capital. In Bourgeois Blues, he tells us about the ostracism he faced as a black person: “Well, me and my wife we were standing upstairs, We heard the white man say’n I don’t want no niggers up there.” Then: 1 from his blog „Down At The Crossroads“ (downatthecrossrads.wordpress.com) Wasser-Prawda | Juni 2014 152 ENGLISH against federal abuse.” Then there’s the recent case of Donald Sterling, manager of the LA Clippers basketball team, who asked his girlfriend not to take pictures with black friends or bring them to games. “Admire him, bring him here, feed him, f*** him,” he said of former basketball legend, Magic Johnson. “But don’t put him on an Instagram for the world to have to see so they have to call me.” Racism is alive and well on the other side of the Atlantic as well. The host of the BBC’s successful Top Gear programme, was caught on camera reciting a version of “eeny, meeny, miny, moe” from his childhood in which he is heard to mutter “catch a nigger by the toe.” Clarkson’s got form in this regard, of course, previously calling Mexicans “lazy, feckless and flatulent.”. Perhaps this is just a few ignorant and well-known people getting caught saying some things they shouldn’t. In a recent Guardian newspaper article, however, Gary Younge argued that racism is “a system of discrimination planted by history, nourished by politics and nurtured by economics, in which some groups face endemic disadvantage” and went on to say that, “The reality of modern racism is…the institutional marginalisation of groups performed with the utmost discretion and minimum of fuss by well-mannered and often well-intentioned people working in deeply flawed systems. According to a recent US department of education report, black preschoolers (mostly four-year-olds) are four times more likely to be suspended more than once than their white classmates. According to a 2013 report by Release, a UK group focusing on drugs and drug laws, black people in England and Wales are far less likely to use drugs than white people but six times more likely to be stopped and searched for possession of them. In both countries black people are far more likely to be convicted, and to get stiffer sentences and longer jail time.” The blues, forged as they were at a time of deep distress and racial oppression, continue to be a howl of protest and a stark warning about the racism that, sadly, often seems to be just under the surface. Wasser-Prawda | Juni 2014 Your ad could be here: One Column (89*220 mm). Price: 50 Euro/Month or 500 Euro/Year. Ask for a special offer: [email protected]. ENGLISH Reviews BRIAN KRAMER - OUT OF THE BLUES & FULL CIRCLE Stockholm-based, Brooklyn-born bluesman Brian Kramer seems a pretty talented guy. In an almost unprecedented move, Kramer has boldly gone where few have gone before with the simultaneous release of his first novel, ‘Out Of The Blues’ and a new CD, ‘Full Circle’. Launched at his literal stamping ground in the Swedish capital, ‘Stampen’, a blues/jazz venue where the man himself is often found leading jams and otherwise kicking up a fine old blues-inspired shindig, the novel is published by Bullet Point Publishing under his full name of Brian D Kramer. And in Scandinavia, a region now leading the world in crime fiction, ‘Out Of The Blues’ fits nicely into the genre with the added twist of blues music and dodgy dealing at its heart and an author who certainly knows the business back to front and inside out. But to say it’s a crime novel, does Kramer a disservice: instead it’s an intriguing insider view of the world of the pro musician and the daily trials and troubles that can all too easily beset the unwary player. The album is themed with the book, and lyrics from it crop up repeatedly as prompts in the book’s pages and chapters. It’s an interesting idea that Kramer carries off with apparent ease. Anyone who has picked guitar as a jobbing player or sideman will identify with the principal New York down at heel character, his life and his problems. The strong whiff of biographical detail pulses at the heart of the book, including the wistfully titled track, ‘Going Back To Brooklyn’. ‘Full Circle’, the accompanying CD release, is an excellent little album. Themed around Kramer’s quarter century as a pro player and his New York roots, It sure resonates with me with its laid-back rhythm and material that ranges from Ragtime-Blues influences to Brian’s beloved and sensitively picked Steel Guitar work. His electric playing is also showcased with a fine bunch of backing musicians including Chuck Anthony on guitar, Mats Quartfordt on Harp, another Swedish based US player, Bert Deivert, Steel Mandolin, and some very soulful backing vocals from Maria Blom, Isabella Lundgren and Fanny Holm. At times the groove here is reminiscent of the late JJ Cale, with its deceptively laidback melodies and clever lyricism. You might be excused for thinking that Kramer, who for many years provided back-up guitar to Eric Bibb, both on the road and in the studio, and has also worked with Junior Wells, Larry Johnston and Taj Mahal, would be struggling with writers block having laboured to fruition and produced this highly 153 readable novel. Well you’d be wrong: he also wrote all of the material that features on this solid CD. (Bullet Point Publishing & BKB CD0007) Iain Patience David Michael Miller Poisons sipped Soul Blues meets Sacred Steele Guitars: On his solo album „ Poisons sipped „ a native of Buffalo songwriter and guitarist David Michael Miller was supported by the Campbell Brothers. The result is a great collection of songs ranging from gospel, blues , soul and folk with fascinating guitars. The eternal struggle between good and evil , the struggle against the adversities of life - you can hear him more credible than in the songs of the great blues and Soulmen or the Gospel preachers . The white David Michael Miller , who represented 2013, the western region of New York State at the International Blues Challenge in Memphis. Whether he is singing with his rough and powerful voice , or interferes with the strings : „ Poisons sipped „ is an album of soul blues and church become , with songs that are meant Wasser-Prawda | Juni 2014 154 ENGLISH to give to the listeners force in and for their own struggle through life . It‘s about the struggle for love against all odds to loss and redemption in these songs . To women who „ soothes like Heaven but burns like Hell“. The power and passion of the songs here is supported by a great band : When the Campbell Brothers their pedal Steele play guitar , then you are immediately there in the passion of worship. The saxophone of Jay Moynihan emphasizes the character of the Soul songs. „Poisons sipped“ is an absolutely surprising discovery in contemporary blues. Th is is an album that you can safely press also newcomers to the blues in the hand. Here is a real bluesman to experience! (cdbaby) Raimund Nitzsche starts to think, all is good for the soul of the blues-lover: Janiva Magness won‘t be the next Pop-Diva. Quite the opposite: The ballad „When You Were My King“ about a broken relationship shows us almost painful a vulnerable singer. The voices in the background do little to ease it. Here is a woman singing about her pain, about starting all over again - and from the emptiness in life after the breakup. At least with „Stronger for it“ the songs of Janiva Magness became more and more personal. And she began to show her vulnerabilty in her singing more and more. It seems like a logical move for her, to sing her own songs now. This ballad is a good example for it, how far Magness was willing to go on „Original“. „Mountain“ ist another of theses songs, where you can feel the pain almost physical. It‘s quite impossible to get a song more intense! Other songs are not as painfully beautiful, they are more catchy but even accurate in their stories. Take for example „I Need A Man“ with its rhythm directly imported from some great juke joint: There is no reason for sitting alone in the corner having the blues or for staying alone forever. Or „Twice As Strong“, a soul-hymn Janiva Magness - Original for women who will help each other. A new beginning is doing singer/ As a singer with an incredible voice, songwriter Janiva Magness with her Janiva Magness became more and new album. „Original“ is not pubmore popular in the years gone by. lished by Alligator anymore. Most of Now you have the opportunity to the songs between Blues, Rock were learn about a really good songwri(co-)written by herself. ter as well, a woman who doesn‘t First you may think of any concare about the borders between the temporary R‘nB-song. There is this voice in a room full of reverb, a little rhythm is tickin. But when the guitar Wasser-Prawda | Juni 2014 genres. I truly recommmend to buy „Original“. This album is simply terrific! Raimund Nitzsche Little Mike and the Tornadoes: All The Right Moves All The Right Moves reunites Little Mike Markowitz, guitarist Tony O. Melio, bassist Brad Vickers and drummer Rob Piazza after a brief musical hiatus. The band has been playing together since forming in the late seventies. They were the band of choice when visiting blues luminaries came to New York City to perform and have toured with the likes of Hubert Sumlin, James Cotton, Pinetop Perkins, and Jimmy Rogers. All The Right Moves is a highly enjoyable blues album with a classic feel that recalls the Chicago blues of the 1950s. Mike Markowitz sings throughout, with deft phrasing, and plays the harmonica masterfully, always tastefully and never becoming overbearing. The title track showcases his harmonica chops admirably, without ever overshadowing the other instrumentals. The ENGLISH guitar work throughout is very cool, very retro, never boring. The songs, all original, are a fine collection of blues songs that you feel you already know, but look forward to hearing again. There is some fine blues piano from Jim McKaba as well, with interesting interplays between guitar and piano on a number of tracks, including Since My Mother’s Been Gone. The latter has a lovely 1960s feel to it, best heard in a dark room, late at night. From the opening Hard Hard way – immediately appealing with its hoochie coochie man feel – through the 13 songs to the final Close to My Baby, a throbbing, vintage 12-bar number, Little Mike and the Tornadoes have given us a terrific, stripped down, classic Chicago blues album that should be on every blues fans wanted list this year. Gary Burnett album after another - each a small masterpiece in itself. Robert Cray has of course developed his own style. Rather, it is a masterpiece of soft sounds, excited Blues Rock twiddlel is not him. He plays a clear, often insinuating guitar, his voice is calm, clear and fits perfectly with the mood of each song . There are critics who accuse him his music was too smooth, maybe a bit boring. Of course, Robert Cray‘s music fits well to a quiet evening, she sure is also perfect as background music, but for what it‘s too bad. A good picture you get with my previous favorite CD <Cookin‘ in Mobile> of 2010. CD and accompanying DVD was recorded on the occasion of a concert in Saenger Theatre in Mobile, Alabama and show the incredible versatility and great perfection by Robert Cray (Vanguard Records , 78073-2 ) . Now he presents us with <In My Soul> another strong souloriented album. The presentation of the album has surprised me at first. Provogue has it as <classic series 33 1/3 microgrooves> on the cover, and points out that the album can be played with mono equipment. Do not hunt in the Fenugreek: The CD is not a rerelease but recorded brand new. The Love Song <You move me> starts the album in the classic Robert Cray sound excellently. Then it goes Robert Cray Band, In My Soul on with Otis Redding‘s <Nobody‘s (Provogue, 7436 2) 2014 fault but mine> - what a voice! In <I guess I‘ll never know> the horns Who does not know Robert Cray have their big show, the ballad <Hold . For decades, from the born in on> restores Cray‘s voice to the fore. Columbus Georgia thoroughbred With the instrumental <Hip Tight musician returns with regularity one 155 Onion> Robert Cray proves the great Booker T takes at its best. Slowly I understood when listening that the presentation of the album makes sense. Robert Cray brings us with this album back to the Soul World of the sixties and seventies of the last century, coupled with his musical perfection of the present. To this end, he uses his own pieces and carefully selected classics of the great soul singer. The album is a must for lovers of timeless soul influenced blues music that love to listen to music! Bernd Kreikmann Wasser-Prawda | Juni 2014