Festivals - Wasser

Transcription

Festivals - Wasser
Nr. 5/2014
The Blues
Brothers: Auf
musikalischer
Mission. Teil 1
Tedeschi Trucks Band
Hans Theessink - Mojo Blues Band - BabaJack - Howard Glazer
Marshall Lawrence: Why I Love The Blues
Album des Monats: Pass Over Blues - the …
Texte von Theodor Lessing & Erich Mühsam
Komaglotzen in Mittelerde
Gemälde von Jürgen Landt
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MAI 2014
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» S. 14
» S. 42
» S. 11
Inhalt
Editorial
Festivals
Auf Tour
Clubs
Susan Tedeschi, TTB und jede Menge
Bluesharp
11 Blues In The House
13 Zehn Fragen An: Becky Tate (BabaJack)
17 Why I Love The Blues
23 Frau Tedeschi und Herr Trucks geben sich
die Ehre
28 Die Jacksonville Connection in München
33 The Blues Brothers: Auf Musikalischer
Mission
38 Hans Theessink: Ein Leben Im Blues
43 Hans Theessink - 65 Birthday Bash
44 Die Mojo Blues Band
49 Detroit City Blues
53 Pass Over Blues: The …
54 Die Redaktion Empfiehlt
56 Rezensionen A bis Z
70 Wiederhören
72 Sechs Stunden Hobbits
75 Jürgen Landt: Sechs Gemälde
81 Kamerad Levi
93 Tage im August
102 Die Vestalinnen
» S. 90
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IMPRESSUM
Die Wasser-Prawda ist ein
Projekt des Computerservice
Kaufeldt Greifswald. Das pdfMagazin wird in Zusammenarbeit
mit dem f reiraum -verlag
Greifswald veröffentlicht und
erscheint in der Regel monatlich.
Es wird kostenlos an die registrierten Leser des OnlineMagazins www.wasser-prawda.
de verschickt.
Wasser-Prawda Nr. 05/2014
Redaktionsschluss: 01. Mai 2014
REDAKTION:
Chefredakteur: Raimund Nitzsche (V.i.S.d.P.)
Redaktion: Mario Bollinger,
Bernd Kreikmann, Lüder Kriete, Matthias Schneider, Dave
Watkins
MITARBEITER DIESER
AUSGABE:
•
•
•
Gary Burnett
Christophe Rascel
Darren Weale
Die nächste Ausgabe erscheint
am 19. Juni 2014.
Adresse:
Redaktion Wasser-Prawda
c/o wirkstatt
Gützkower Str. 83
17489 Greifswald
Tel.: 03834/535664
[email protected]
ANZEIGENABTEILUNG:
[email protected]
Wasser-P
p rr aa w
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M aa ii 22 00 11 44
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präsentiert das
23.
Blues
Festival
Schöppingen
Münsterland
live dabei:
Joe Louis Walker & Band (USA)
North Mississippi Allstars (USA)
Mike Zito & the Wheel (USA)
Delta Saints (USA)
Jonathon „Boogie“ Long &
The Blues Revolution (USA)
Mason Rack Band (AUS)
Mr. Sipp
„The Mississippi Blues Child“ (USA)
Lisa Doby (USA)
Frankie Chavez (PT)
Mountain Men
(F)
and more...
Sa 7. und So 8. Juni 2014
Das 2-Tagesticket (begrenztes Kontingent) wird im Vorverkauf nur
55,- € (inkl. Vvk-Gebühr) kosten. Es kann nur über die Homepage
„www.kulturring-schoeppingen.de“ gebucht werden.
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EDIT ORIA L
VON RAIMUND NITZSCHE
Ab und zu packt es uns in
unserem Redak tionsbüro.
Dann müssen wir irgendwas
am Design verändern. An der
Webseite ist zur Zeit wenig
zu erledigen, was in unserem
begrenzten Finanzrahmen
möglich wäre. Aber so richtig
zufrieden mit dem Aussehen
unseres pdf-Magazins war ich
seit Umstellung auf das einspaltige Layout nicht. Jetzt
haben wir das Aussehen
gründlich umgekrempelt. Das
heißt: Neue Schriften, Rückkehr
zum Layout in mehreren
Spalten. Meiner Meinung nach:
So sieht die Wasser-Prawda
wesentlich aufgeräumter aus
und liest sich am Bildschirm
angenehmer. Was meint Ihr?
Bemerkungen, Lob und Kritik
nehmen wir gerne per Mail an
[email protected]
entgegen. Leider haben die
Arbeiten daran so lange gedauert, dass der Blueskalender erst
im nächsten Monat wieder im
Heft sein wird.
Wenn unser Magazin in den
letzten Jahren etwas ausgezeichnet hat, dann ist es die
Bereitschaft, über Musiker und
ihre Alben zu schreiben, die
bislang hierzulande oder überhaupt in der Welt noch nicht
die Aufmerksamkeit bekommen, die sie eigentlich verdient
hätten. Das wird auch weiterhin
so bleiben. Dennoch ist es gut,
wenn man auch Interviews und
Geschichten über die Großen
des Blues in Gegenwart und
Vergangenheit hat. In dieser
Nummer beginnen wir mit
einer Serie über die legendären
Blues Brothers, die unser Autor
Darren Weale seit Ende 2013
für das britische Magazin „Blues
Matters“ schreibt und die mittlerweile auch von der offiziellen
Webseite der Band im Internet
nachgedruckt wird. Wir dürfen
hier exklusiv eine deutsche
Version veröffentlichen.
Nicht nur in Österreich zählt die
Mojo Blues Band seit den 70er
Jahren zu den Besten ihres
Fachs. Bei einem ihrer seltenen Auftritte in Deutschland
unterhielt sich Erik Trauner mit
Mario Bollinger. In München
nahmen sich schließlich Susan
Tedeschi und Derek Trucks Zeit
für ein ausführliches Gespräch
mit der Wasser-Prawda. Hinzu
kommen in diesem Monat eine
ganze Reihe weiterer Interviews:
mit Erik Trauner von der Mojo
Bluesband, Becky Tate von
BabaJack, mit dem Detroiter
Gitarristen Howard Glazer und
natürlich mit dem in Wien lebenden niederländischen Sänger
und Gitarristen Hans Theessink.
Ach ja: Detroit City. Nicht nur
sozial dürfte die bankrotte
Stadt in Michigan eine der
bemerkenswertesten in den
USA sein. Auch musikalisch
setzen Musiker dort mittlerweile
Trends wie vor ein paar Jahren
in Austin. Blues, Soul & Funk
sind lebendig wie auch Rock
und Hiphop. Und so bin ich
froh, dass bald Howard Glazer
regelmäßig für uns “Live aus
Detroit” berichten wird.
Auch in diesem Monat setzen
wir im “Sprachraum” unsere
Reihe mit Texten und Bildern
aus dem ersten Weltkrieg fort.
Neben der Erzählung “Kamerad
Levi” von Theodor Lessing
gibt es Auszüge aus den
Tagebüchern von Erich Mühsam
aus dem August 1914. Neben
zeitgenössischen Fotografien
aus Deutschland stammen die
Illustrationen aus dem Werk des
neuseeländischen Kriegsmalers
George Edmund Butler. Bis
August stöbern wir noch weiter
und werden regelmäßig Texte
in dieser Reihe in Erinnerung
rufen. Das heißt aber nicht, dass
der Sprachraum jetzt nur noch
für Literatur der Vergangenheit
da ist. Schickt uns Eure Texte,
die Ihr zur Diskussion stellen
wollt.
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prawda | Mai 2014
6
Musik
Festivals
Alexande Blume
Alexander
& Band
Kee Schipper
Schip &
Kees
Bema
Bemanning
Schn
SchneiderSchwarznauuSchwarznau-Macht
le Vision
The Double
K
Black Kat & Kittens
www.bluesundrock-altzella.de
LIVE
13.06., 15 Uhr: Straßenparade mit
der Micha Winkler Brass Band
13.06., 18 Uhr: Southern Band,
31. Bluesfestival Dresden
Lisa Systam & her Family Band,
24.-25.05., Tante JU
Tangled Eye (Blue Wave Arena)
Todd Wolfe, Rob Tognoni, Tony 13.06., 22 Uhr: Magda Piskorczyk
(Club Hotel Ceres)/Nils von der
Spinner, Fools‘n Town
Lyen (Club Villa Salve)
18. Rostocker Blues Festival 14.06., 18 Uhr, Wild Women Go
Wild (Blue Wave Arena)
28.05., SBZ Pumpe
Corey Harris, Billy Walton Band, 14.06., 18 Uhr: Big Fat Shakin
(Bühne am See)
Abi Wallenstein
14.06.,22 Uhr: Veronica & The
Red Wine Serenaders (Club im
16. Kieler Bluesfestival
Hotel Loev)/Nikki & Jules (Club
29.05. Räucherei Kiel
Corey Harris & Rasta Blues Expe- Hotel Am Meer)
rience, Billy Walton Band, Mischa 15.06. 14 Uhr: Morblus & Justina
Lee Brown (Blue Wave Arena)
Gohlke Band, Bluesmail
15.06. 21 Uhr: Axel & Torsten
Errorhead
Erro
rro
Seebe Trio
Mike Seeber
Zwingenberger feat Lila Ammons
Dieste
Stefan Diestelmann
(Haus des Gastes)
Reme
Remember
12. Internationales Blues &
Rock Festival Altzella
29.-30. Mai im Kloster Altzella
Errorhead, Mike Seeber Trio,
Remebering Stefan Diestelmann,
Alexander Blume & Band, Kees
Schipper & Bemanning, Schneider-Schwarznau-Macht, The
Double Vision, Black Kat & Kittens, Mothers Best
23. Grolsch Blues Festival
Schöppingen
07.06.: Frankie Chavez, Mr. Sipp,
Delta Saints, Jonathon Boogie
Long & The Blues Revolution,
North Mississippi Allstars
08.06.: Mountain Men, Lisa Doby, Mason Rack Band, Mike Zito
& The Wheel, Joe Louis Walker
Blue Wave Festival
12.06., Namoli Brennet Trio
(Binz, Rasender Roland)
Wasser-Prawda | Mai 2014
25. Bluesfest Ingolstadt
20.05. Ian Siegal
20.05. JP Soars & The Red Hots/
Marcus Wolf
22.05. Tony Spinner Band
26.05. The foghorn String Band
27.05. R.J. Mischo & The Backscratchers
29.05. Hat Fitz & Cara Robinson
02.06. Fiona Boyes & Band
03.06. Mathias Kellner
05.06. BabaJack
09.06. Sarah Mac Dougal & Band
10.06. Tail Dragger & Robert Fossen/ Peter Struijk Band
12.06. Willy Michl
13.06. „Tribute To Hooker“: Zakiyah Hooker, Chris James, John
Lee Sanders & Rad Gumbo
16.06. Chris Eckman
17.06. Schorsch Hampel & Dr.
Will
19.06. Papa Legab‘s Blues Lounge
23.06. Dilana & Band
24.06. Albert C. Humphrey &
His Roots of Blues
26.06. The Wild Bluesmen feat.
Steve „Big Man“ Clayton & Peter
Schneider
30.06. Marquise Knox & Band
01.07. Grana Louise & The French
Blues Explosion
03.07. No Blues „Arabicana“
07.07. Big Pete Pearson & The
Gamblers
10.07. Minnie Marks/Leadbelly
Project
14.07. Mrissy Metthews Duo
15.07. Phil Bates Trio
17.07. Martin Schmitt
21.07. Lisa Doby & Band
22.07. Ryan McGarvey
24.07. Otis Taylor & Band
29.07. Jeb Rault Band (guest: Kim
Carson)
31.07. Dallas Hodge & Andi Egert
Band
Auf Tour
3 Dayz Whizkey
29.05. Regensburg, klein Kasper
24.06. München, Tunix/Königsplatz
29.06. Weiden, Buergerfest, Salute
Bühne
Abi Wallenstein
23.05. Hamburg, Senator Neumann Heim
28.05. Rostock, Die Pumpe
29.05. Walsbüll, Open Air
09.06. Trittau, Wassermühle
13.06. Brunn (A), Weingut Niegl
& Weingut Hössel
16.06. Cuxhaven, Captain Ahab
20.06. Sülfeld, Besteland
27.06. Panten, Lämmerhof
BabaJack
05.06. Ingolstadt, Neue Welt
06.06. Habach, Village
07.06. Chiemgau, Bluesclub
B.B. & The Blues Shacks
29.05. Paderborn, Jazzclub
06.06. Alfeld, Thalheims Hof
07.06. Hattersheim, Blues & Folk
Festival
08.06. Hildesheim, Jazztime
Musik
12.06. Koblenz, Rheinpuls
15.06. Elmshorn, Jazz n Roses
15.06. Stade, Altstadtfest
24.05. CH- Willisau Bluegrass
Festival 18:00
25.05. München Rattlesnake Saloon 20:00
26.05. Ingolstadt Neue Welt
Big Daddy Wilson
28.05. Bruchhausen-Vilsen, Musik
am Park
Georg Schroeter & Marc
30.05. Weyhe, Theater
Breitfelder
29.06. Bremen, Klinikum Dr. Hei- 30.05. Dornstetten, Glasermeister
nes
Peukert
31.05. Ehingen, Jazzclub (mit TorBilly Walton Band
sten Zwingenberger)
28.05. Rostock, Pumpe
09.06. Trittau (Wassermühle): Spi29.05. Kiel, Räucherei
rit of the Blues (m. A. Wallenstein)
20.06. Sülfeld, Open Air: Spirit of
Boogielicious
the Blues (m. A. Wallenstein)
24.05. Bad Iburg (14.30!)
29.05. Baltrum, Skippers Inn
Greyhound George
30./31.05. Juist, Töwerland Festi17.05. Blomberg, Katja‘s Spätval
schicht (m. Andy Grünert)
06.06. Panten, Lämmerhof
29.05. Lemgo, Walkenmühle (m.
Andy Grünert)
Cologne Blues Club
28.06./29.06. Niederwall, Koer23.05. Dormagen, Streetlife
nerstr (Bielefelder Blues Project)
08.06. Saarbrücken, Im Schloss
Hamburg Blues Band
Crazy Hambones
24.05. Schöneiche, Kulturgiesserei
23.05. Eisenhüttenstadt, Club
07.06. Zernien, Mützingenta
Marchwitza
24.05. Berlin, Ratskeller Köpenick
Henning Pertiet
26.05. Hamburg, Cotton Club
24.05. Haseldorf, Bandreißerkate
28.05. Berlin, Yorkschlösschen
30.05. Isernhagen, Kulturkaffe
29.05. Binz, Loev Hotel
Rautenkranz
30.05. Dieskau, Schloss
31.05. Plön, Jazzfest
31.05. Altenburg, Evangelische
12.06. Hannover, Variete Marlene
Lukas Stiftung
14.06. Verden, DomGemeindeZentrum (mit Imran Khan - sitar)
Engerling
17.05. Wählitz, Erlebniskirche
Henrik Freischlader
28.05. Wriezen, Scheune Hasel24.05. Hamminkeln, KuBa Bluesberg
festival
09.06. Berlin, Friedenskirche
Grünau
Jimmy Reiter
13.06. Brachwitz, Cafe Saale Kiez 24.05. Rheine, Hypothalamus
14.06. Huy OT Aderstedt, Bade06.06. Travemünde, Travemünde
anstalt Aderstedt
jazzt
Foghorn Stringband
21.05. Waldkraiburg Haus der
Kultur
22.05. Ulm Zeltfestival
Johnny Mastro & Mamas
Boys
27.5. Emmendingen, Mehlsack
28.5. Kandern, ChaBah
7
08.6. Red Moon Festival - Padua/I
13.6. Quetsche - Weißwasser
14.6. Prießnitz Open Air
Marius Tilly Band
30.05. Hattingen, Stadtfest
21.06. Hannover, Bluesgarage
Mason Rack Band
28.5. Altdöbern - Schützenhaus
31.5. Don Quijote - Lippstadt
04.6. Kulturrampe - Krefeld
05.6. DIV Arena - Delmenhorst
08.6. Grolsch Blues Festival Schöppingen
12.6. Rainers Rockhaus - Algemissen
13.6. Otto‘s Welcome - Udestedt/
Erfurt
25.6. Wilhelmshaven - Pumpwerk
27.6. Hamburg - The Rock Cafe
St.Pauli
28.6. Hannover - Bluesgarage
Michael Spörke - „Big Mama
Thornton: The Life And
Music“
(Lesungen mit Live-Musik)
13.06. Berlin, Musik Riedel (Musik: Ben Perkoff & Friends)
Wasser-Prawda | Mai 2014
8
Musik
16.06., Eisenach, Jazzclub (Musik:
Anne Haigis)
Mike Seeber
23.05. Berlin-Weißensee, Café
Mirbach
29.05. Altzella, Int. Blues & Rock
Festival
14.06. Elsterwerda, Musikhaus
Labicki Openair
21.06. Ernstroda, Bikerparty
05.07. Kellinghusen, Pep-Kulturverein
Morblus
13.06. Troisdorf, Bluesclub
14.06. Postfeld, Alte Meierei
15.06. Binz, Blue Wave Festival
Pass Over Blues
30.05. Kühlungsborn, Hotel PolarStern
31.05. Ahrenshoop, Strandhalle
Reverend Rusty
25.05. München, Stemmerhof
27.06. St. Veit a.d. Glan (A), Herzogburg (w. Jeff Beck)
Richie Arndt Acoustic Band
28.05. Hamburg, Downtown
Blues Club
30.05. Hannover, Bluesgarage
07.06. Minden, Jazz Club
30.05. Wetter, Earth Music Hall
31.05. Kranenburg-Zyfflich, Blues
in Zyfflich
01.06. Trittau, Alter Bahnhof
02.06. Hamburg, Music Club Live
03.06. Bremen, Meisenfrei
04.06. Frelsdorf, Kulturtransport
05.06. Bordesholm, Savoy
06.06. Sarstedt, Rainers Rockhouse
07.06. Lauenau, Kesselhaus
08.06. Prisser b. Dannenberg,
Kulturelle Landpartie (Uelzener
Str. 69)
Tony Spinner Band
22.05. Reichertshofen, Neue Welt
23.05. Zwickau, Liederbuch
25.05. Dresden, Tante JU
Clubs
Barnaby‘s Blues-Bar
(Braunschweig)
23.05. Bob Malone Band
29.05. Ryan McGarvey
Bischofsmühle
(Hildesheim)
23.05. First Class Blues Band
24.05. Machine
30.05. Gregor Meyle
Blues im Bahnhof
Bahnhof Mannheim. Eintritt frei.
20.06. Norbert Schneider & WiThe Double Vision
29.05. Berlin, Biesdorfer Parkbüh- nestreet Session
05.09. El Ville Blues Band
ne (Support für Johnny Winter)
10.10. Black Cat Bone
30.05. Altzella, Bluesfestival
07.11. Abi Wallenstein, Dave
07.06. Suhl, Schwarzbiernacht
Goodman, Oliver Spanuth, Steve
14.06. Prießnitz, Open Air
20.06. Hamburg, Downtown Baker
Bluesclub
Bluesgarage
28.05. Ron Spielman & Band
Todd Wolfe
30.05. Richie Arndt Acoustic
23.05. Haiming, Gewölbe EiBand
sching
31.05. Thr Pretty Things
24.05. Dresden, Tante Ju
01.06. Jake E. Lee & Red Dragon
25.05. Torgau, Kulturbastion
Cartel
28.05. Erfurt, Museumskeller
05.06. No sinner
29.05. Leverkusen, Topos
Wasser-Prawda | Mai 2014
06.06. The Delta Saints
13.06. Rory Kellys Triple Threat
14.06. Sarah MacDoogall & Band
20.06. Meena Cryle & Chris Fillmore Band
21.06. 14. Oh Yeah! Festival (Adriano Batolba, Gerd Gorke, Marius
Tilly Band, Michael van Merwyk
& Bluesoul)
28.06. The Mason Rack Band
Chabah
79400 Kandern
21.05. Tony Spinner Band
28.05. Johnny Mastro & Mama‘s
Boys
04.06. R.J. Mischo & Band
11.06. Taildragger
Cotton Club Hamburg
19.05. Yellow Moon
26.05. Crazy Hambones
27.05. Jan Fischer‘s Blues Buddies
08.06. Jessy Martens & Jan
Fischer‘s Blues Support
09.06. Jo Bohnsack
16.06. Günther Brackmann
23.06. Boogie Rockets (Kai Steffens, Niels von der Leyen, Andreas
Bock)
26.06. Greg Copeland Band
30.06. Gents Boogie Night
Downtown Bluesclub
Hamburg
21.05. Ryan McGarvey
23.05. Kingsize Taylor & Karl Terry
28.05. Richie Arndt Acoustic Band
31.05. Soultrain
20.06. The Double Vision
Extra Blues Bar
Bielefeld
22.05. Darren Eedens
28.05. The Lone Crows
07.06. Big Nose Attack
16.06. The Hangdog Hearts
19.06. Kestekopp II
26.06. Filthy Still
Musik
Frannz Club Berlin
22.05. The Pretty Things
31.05. Robert Francis & the Night
Tide
06.06. Kina Grannis
Hirsch Nürnberg
21.05. Hayseed Dixie
22.05. The Baseballs
24.05. The Pretty Things
01.06. Chuck Ragan
Kulturbastion Torgau
24.05. Bet Williams & Band
25.05. Todd Wolfe
31.05. Errorhead
08.06. Canned Heat/Vdelli
Kulturspeicher
(Bergstraße, Ueckermünde)
31.05. Captain Crap und Band
04.07. Paul Fogarty
20.07. Whiskey & Women
26.07. Greyhound George & Karl
Valta
Laboratorium
(Stuttgart)
30.05. The Great Crusades
31.05. Bill Pritchard
03.06. Four Bones Quartet
07.06. Mindchange
Late Night Blues
(Loev Hotel Binz/Rügen)
Beginn jeweils 21 Uhr
29.05. Crazy Hambones
14.06. Veronica & the Red Vine
Serenaders
Meisenfrei
(Bremen Hankenstr.)
20.05. Lone Crows
26.05. Ufo
30.05. KokoTD/Michael Gerdes
& Jürgen Schöffel
03.06. Todd Wolfe
08.06. Green Blues Band/Cojack
Blues
Museumskeller Erfurt
28.05. Todd Wolfe
04.06. The Lone Crows
Music Hall Worpswede
30.05. Dominic Miller
31.05. Maybebop & Ton in Ton
06.06. Till Brönner Quintett
14.06. Ben Becker & Giora Feidman
Musiktheater Piano
(Dortmund)
22.05. Ryan McGarvey
23.05. Bobby Kimball
25.05. Ufo
Musiktheater Rex
(Bensheim)
23.05. Ron Spielman & Band
24.05. Le Clou (Open Air)
28.05. The Pretty Things
30.05. Ally the Fiddle
30.06. Tito Larriva
9
11.06. Chris Bergson Band
12.06. JCM-Elektrio
13.06. Sonoc de las Tunas
14.06. Backdoor Blues Band
18.06. Bastian Korn
19.06. Meena Cryle
20.06. se vende
28.06. Teneja Trio
Yorkschlösschen
(Yorkstr. 15, Berlin)
23.05. Bixsick Orchestra
25.05. Saltim‘band
28.05. Crazy Hambones
29.05. Rathaus Ramblers
01.06. Namoli Brennet & Amy
Zapf
06.06. The Lips
08.06. Whisky soda
15.06. Kelvin Sholar Trio
22.06. Kat Baloun
27.06. J.T. & Bluetrain
Quasimodo Berlin
30.05. Guitar Crusher & Band
31.05. Mo‘ Blow
01.06. Joe Henry
05.06. Robin McKelle & The Flytones
Savoy Bordesholm
23.05. Holsteiner Bluesnacht mit
Lyin‘ 8 Bluesband, Blues Too
05.06. Todd Wolfe
06.06. Mojo Makers
Tante JU Dresden
24-25.05. Bluesfestival
04.06. Gary Willis By Third Rail
09.06. No Sinner
Topos
Leverkusen
23.05. INA-Smooth Jazz
24.05. Violet Radio
29.05. Todd Wolfe
30.05. Minnie Marks
03.06. burning tubes
05.06. The Busquito‘s
06.06. Lucky Old Quartett
Wasser-Prawda | Mai 2014
10
Musik
SU SAN TEDE S C H I , T T B U N D
J ED E M EN GE B LU E S H A R P
DIE BLUES MUSIC AWARDS 2014
Susan Tedeschi und die
Te d e s c h i Tr u c k s B a n d
gehörten zu den erfolgreichsten
Musikerinnen und Musikern bei
den 35. Blues Music Awards,
die am 8. Mai in Memphis verliehen wurden. Susan Tedeschi
wurde als Contemporary Blues
Female Artist des Jahres, die
TTB ist beste Band und „Made
Up Mind“ bestes Rock-BluesAlbum. Album des Jahres und
gleichzeitig bestes traditionelles Blues-Album ist nach
Meinung der Mitglieder der
Blues Foundation das gemeinsam von Billy Boy Arnold,
Charlie Musselwhite, Mark
Hummel, Sugar Ray Norcia und
James Harman eingespielte
„Remembering Little Walter.
Mit zwei der Preise gewürdigt wurden auch Trampled
Under Foot. Deren Album
Badlands ist „Contemporary
Blues Album“ und ihre Bassistin
Danielle Schnebelen beste
Instrumentalistin am Bass.
Und Doug MacLeod wurde
als Acoustic Artist und für sein
akustisches Album „There‘s a
Time“ ausgezeichnet.
Records wurde für die DVD
„Songs from the Road“ der
Royal Southern Brotherhood
geehrt. Und Bear Family bekam
einen der Preise für die „The
Sun Blues Box“ als beste historische Aufnahme.
Instrumentalist-Bass: Danielle
Schnebelen
Instrumentalist-Drums: Cedric
Burnside
Instrumentalist-Guitar: Ronnie
Earl
Instrumentalist- Harmonica:
Charlie Musselwhite
Hier die Liste der Preisträger Instrumentalist-Horn: Eddie
aller Kategorien:
Shaw
Acoustic Album: There‘s a Time
- Doug MacLeod
Acoustic Artist: Doug MacLeod
Album: Remembering Little
Walter - Billy Boy Arnold,
Charlie Musselwhite, Mark
Hummel, Sugar Ray Norcia,
James Harman
B.B. King Entertainer: Buddy
Guy
Band: Tedeschi Trucks Band
Best New Artist Debut: Daddy
Told Me - Shawn Holt & the
Teardrops
Contemporary Blues Album:
Badlands - Trampled Under
Foot
Contemporary Blues Female
Artist: Susan Tedeschi
Contemporary Blues Male Artist:
Gary Clark Jr.
Erstmals auf der Liste der DVD: Ruf Records - Songs
Preisträger sind auch John from the Road (Royal Southern
Nemeth (Soul Blues Male Brotherhood)
Artist) und Gitarrist Gary Clark
Jr. (Contemporary Blues Male Historical Album: Bear Family Artist). Das deutsche Label Ruf The Sun Blues Box
Wasser-Prawda | Mai 2014
Koko Taylor Award: Diunna
Greenleaf
Pinetop Perkins Piano Player:
Victor Wainwright
Rock Blues Album: Made Up
Mind - Tedeschi Trucks Band
Song: „Blues in My Soul“ - Lurrie
Bell
Soul Blues Album: Down in
Louisiana - Bobby Rush
Soul Blues Female Artist: Irma
Thomas
Soul Blues Male Artist: John
Nemeth
Traditional Blues Album:
Remembering Little Walter
- Billy Boy Arnold, Charlie
Musselwhite, Mark Hummel,
Sugar Ray Norcia, James
Harman
Traditional Blues Male Artist:
James Cotton
Musik
11
BL UES IN THE H O U S E
DARREN WEALE’S 7. BRIEF AUS DEM VEREINIGTEN KÖNIGREICH
WELCOME TO THE LETTER FROM
THE UNITED KINGDOM!
Die Preise für Häuser im Vereinigten Königreich
steigen, ein Grund dafür, warum Großbritannien
ein teurer Platz zum Leben ist. Zur Zeit denke
ich eine Menge über Häuser nach. Warum? Wir
sollten mit Muddy Waters aus Chicago in Illinois
beginnen, einem der wahrhaftig Großen des
Blues.
Zur Zeit steht in Chicago das Haus, in dem
Muddy seine letzten Jahre verlebte, zum Verkauf.
Nach britischen Maßstäben ist es nicht teuer.
Doch wenn Du die Mittel nicht hast, sieht alles
teuer aus. Muddy’s ältester Sohn, der Sänger
Mud Morganfield, hat eine Stiftung gegründet,
um das Haus zu erhalten und in eine öffentliche Einrichtung zu verwandeln. Er will, dass es
zukünftige Musiker inspirieren soll.
Wenn wir jedes Haus eines guten Musikers,
Schriftstellers, Dichers, Schauspielers usw. in
eine Gedenkstätte verwandeln wollten, hätten
wir keinen Ort mehr zum Leben. Normalerweise
würde ich sagen: Hängt eine Tafel an so ein
Haus und lasst es neue Bewohner haben. Aber
nicht bei diesem Haus. Muddy war wirklich
Wasser-Prawda | Mai 2014
12
Musik
außerordentlich bedeutsam.
Auch aus anderen Gründen denk ich über
Häuser nach. Letztens sah ich einen anderen
Amerikaner, Huey Morgan, der eine Show über
seine Karriere als Leiter der Fun Lovin’ Criminals
und von Huey and the New Yorkers im historischen Half Moon Pub im Londoner Stadtteil
Putney spielte. Huey ist gerade mit seiner Frau
und dem Sohn Bo (benannt nach Bo Diddley)
in ein anderes Haus gezogen. Als ich Huey im
letzten Jahr beim Bluesfest in der Royal Albert
Hall sah, spielte bei ihm ein Immobilienmakler
aus New York die Gitarre. Die Beiden, der
voll beschäftigte Musiker und DJ Huey und
der Immobilien verkaufende Gitarrist, spielten
zusammen in einer tollen Band, die Huey vor
einigen Jahren gegründet hat: The Tangiers
Blues Band. Vielleicht kann der Gitarrist Mud
ja paar Tipps geben, wie man diese spezielle
Immobilie erwerben kann?
Ein Haus, oder besser das, was darin geschah,
ist auch für die britische Band The Red Dirt
Skinners, bedeutsam. Rob und Sarah Skinner
- ja, sie sind verheiratet - treten als Duo auf, in
dem beide singen. Rob spielt Gitarren, Banjo
und Schlagzeug, Sarah Mundharmonika und
Saxophon. In ihr ehemaliges Haus war eingebrochen worden. Wie sie es erzählen, kehrten
sie “von einem lausigen Gig in einem leeren
Pub mit einer äußerst unangenehmen Wirtin”
nach Hause zurück und entdeckten, dass ihr
vermeintliches Traumhaus, in das sie erst kurz
vorher gezogen waren, ausgeraubt worden war.
Zahlreiche Instrumente waren verschwunden
und auch Sarahs gesamter Schmuck. Was das
Paar am meisten schockierte, war der Diebstahl
all ihrer Computer, die nicht nur die Masterbänder
ihres ersten Albums “Grass Roots” enthielten
sondern auch viele Ideen für das geplante zweite
Album. Songideen aus sechs Jahren waren
LINKS
verschwunden.
Ungefähr um vier Uhr morgens, nachdem die
Polizei ihre Aussagen aufgenommen hatte, schob
das Paar einen Stuhl vor die aufgebrochene
Tür und versuchte zu schlafen. Minuten später
setzte sich Sarah auf und erzählte Rob, dass sie
eine Idee für ein Lied hätte. “Lay Me Down” war
der erste Song ihres späteren Konzept-Albums
“Home Sweet Home”. Jedes Lied darauf war
von diesem Wochenende inspiriert. Da gibt es
Lieder über den miesen Gig, darüber wie sie
sich wegen des Einbruchs fühlten und wie sie
über den Räuber dachten, der im Übrigen nie
gefunden wurde. “Home Sweet Home” wurde
für die British Blues Awards ebenso nominiert
wie für die British Country Music Awards und
die UK Country Radio Awards. Ihr drittes Album
“Sinking The Mary Rose” (2013) wurde durch
großzügige Spenden ihrer Fans finanziert. Rob
und Sarah heirateten einen Monat nach dem
Einbruch und sagen heute öffentlich, sie würden
dem Räuber gern danken für die Inspiration. Wie
Sarah es ausdrückt: “Es war eine nicht so zärtliche Erinnerung daran, dass das Leben kurz ist
und man nur einen Versuch dabei hat.”
Vielleicht haben Mud Morganfield und der
Blues nur einen Versuch, das frühere Heim des
“Hoochie Coochie Man” zu retten. Bitte helft mit
Spenden wenn Ihr könnt oder gebt den Link zu
der Stiftung an jemanden weiter, den Ihr kennt.
Darren Weale
BE PROSPEROUS AND ENJOY
YOUR LIVE MUSIC AND ALL THAT
IS GERMAN!
Red Dirt Skinners – www.reddirtskinners.com
Royal Albert Hall Bluesfest
Alistair Cooke - www.bbc.
co.uk/programmes/b00f6hbp
Tangiers Blues Band - 2014 - http://life.royalalberthall.
Mud Morganfield – www.mud- w w w . r e v e r b n a t i o n . c o m /
tangiersbluesband
morganfieldblues.com
com/2014/04/01/first-artistsHuey and the New Yorkers Morganfield Foundation - www.hueyandthenewyorkers.
morganfieldfoundation.org
com
announced-for-bluesfest-2014
Wasser-Prawda | Mai 2014
Musik
13
Z EHN FRAGE N A N : B E C K Y
TATE (BABAJACK)
EINE INTERVIEWREIHE VON DAVE WATKINS
Seit Jahren gehören BabaJack
in Großbritannien zu den aufregendsten Bands in der
Rootsmusikszene. Im Juni
sind die Musiker um Sängerin/
Percussionistin Becky Tate
und Gitarrist Trevor Steiger
wieder für ein paar Konzerte in
Deutschland zu erleben. Und so
war es Zeit für die Fragen von
Dave Watkins.
1: Was war Dein frühester
Musikgeschmack und wie
hast Du die Welt des Blues
entdeckt?
Ich hab immer gern alle Arten
von Musik gehört, von Klassik
über Latin, Reggae, Americana,
Country und Folk bis hin zu Rock
und sogar Metal … immer aber
Rootsmusik. Ich höre gern, wie
Leute ihre Instrumente spielen
und ich liebe es besonders live!
Ich erbte ein Big Bill Broonzy
Album von meinem Vater,
konnte es aber nie wirklich würdigen, bis mir Trevor Steger vor
etwa zehn Jahren den Blues
wirklich nahegebracht hat.
Ich bin von Herzen her eine
Percussionistin, und da geht es
immer um den Groove. Was ich
gelernt hab, ist dass der Blues
der eigentliche Groove ist. Ich
bin komplett bekehrt, besonders
zu den ganz frühen Sachen.
Son House, Leadbelly, Lightnin’
Hopkins und Howling Wolf sind Autsch! Schwere Frage!! Mir
fällt es schwer, überhaupt
meine Blues-Heroen!
Aufnahmen von uns anzuhören,
2: Wer waren die Künstler, weil ich ständig kritisiere und
die dich dazu brachten, dass gleichzeitig an das nächste
Du diese Musik spielen woll- Album, das nächste Projekt
test. Und wann stelltest Du denke. Ich bin froh, dass wir
fest, dass Du dazu das Talent so viel aufgenommen haben
und mag jedes Album für das,
hast?
Das erste Mal, als ich Live- was es ist. Aber es gibt auch
Musik erlebt hab, war in Paris. ein paar Songs, die ich überarIch war 13 Jahre alt und meine beiten und neu aufnehmen will.
Eltern nahmen mich mit in ein Ich hoffe, das beantwortet die
russisches Restaurant, das Frage.
damals ausgesprochen trendy
war. Und dort begann eine 4: Welche anderen Jobs
Band, russische Folkmusik ha st Du gemacht , um
zu spielen. Das waren fantas- Deine Musikkarriere zu
tische Musiker, die Gitarren unterstützen?
und Balalaikas spielten. Und Ich hab schon ziemlich alles
ich erinnere mich noch, wie gemacht, zuletzt hab ich eine
ich dasaß und überlegte: Was Umschulung zum Lehrer
würde mein Vater dazu sagen, für junge Erwachsene und
wenn ich ihm mitteilte, dass Strafgefangene gemacht. Aber
ich genau das machen will … ich muss sagen, dass ich nicht
Ich war wesentlich älter, bevor zurück geschaut habe, seit
ich zu Spielen begann, Mitte ich Vollzeitmusiker wurde. Es
zwanzig etwa. Und es gibt ist ein hartes Leben, aber für
einfach nichts, was ich lieber mich schlägt es dennoch jedes
mache. Und BabaJack ist das andere.
aufregendste Projekt, bei dem
5: Wie schwer ist es, von
ich je mitgemacht habe.
seiner Musik zu leben? Und
3: Deine ersten Aufnahmen - gibt es irgend etwas, dass
hörst Du sie immer noch an? diese Ziel für alle Musiker
Wie beurteilst Du sie heute? einfacher erreichbar machen
Und gibt es welche, die Du würde?
nicht mehr anhören würdest? Das war schon immer hart.
Wasser-Prawda | Mai 2014
14
Musik
Leben auf Tour und selbstständig
zu sein und die Notwendigkeit,
immer weiter zu schreiben, aufzunehmen und kreativ zu sein.
Und es kein Zweifel, dass das
Internet/Download-Zeitalter die
Lage in vielerlei Hinsicht verändert hat. Heutzutage ist mit
Plattenverkäufen kein Geld
mehr zu verdienen. Das Geld
steckt heute in Live-Auftritten.
Und das führt zu Druck. Wir sind
ständig auf Tour und das strengt
uns körpelich an und hat ebenso
einen Einfluss auf unser persönliches Leben. Wir müssen
das sehr sorgfälig managen.
Das ist wirklich ein schwieriger Jonglier-Akt abzusichern,
dass jeder glücklich ist und
wir uns nicht verletzen. Meine
Hände müssen ganz schön
Wasser-Prawda | Mai 2014
was einstecken vom Spielen
auf Cajon und der Djembe!
Aber so weit - so gut! Alles ist
prima, wir schreiben das 5.
Album und wenn wir mit kompletter Band mit Tosh Murase
am Schlagzeug und Adam
Bertenshaw am Bass auftreten, ist das wirklich aufregend.
Wie kann man es besser
machen? Fördergelder. Wir
müssen weiter auf die LiveMusik-Szene bauen. Und dafür
sollten regionale und nationale Behörden eigentlich auch
Gelder ausgeben.
6: Auf welchen Deiner eigenen
Songs bist Du besonders
stolz? Erzählst Du uns die
Geschichte hinter dem Lied?
Ich kann wirklich nicht ein
einzelnes Lied auswählen.
Songschreiben ist die Sache,
die ich am meisten liebe, vielleicht am zweitmeisten nach
Live-Auftritten. Ich bin wirklich
stolz, das Trev und ich vier Alben
mit eigenen Stücken rausgebracht haben und noch immer
Spaß am Schreiben haben.
Musikalisch sind wir derartig
verbunden und arbeiten großartig zusammen. Wir sind wirklich
Glückspilze!
7: Wenn Du Dich zum
Schreiben hinsetzt, was
kommt zuerst - der Text, die
Melodie oder die Idee für ein
ganzes Lied?
Das hängt ganz davon ab.
Manchmal kommt Trev mit
einem Riff an und ich fange an,
Musik
15
darüber zu scatten und dabei
entstehen Text und Hookline.
In anderen Momenten höre
ich einen Rhythmus und spiele
ihn Trev vor und aus dem Jam
entsteht ein Song. Manchmal
hört einer von uns irgendeinen
Satz in einem Gespräch und
der bildet dann die Grundlage
für ein Lied. Wir arbeiten da so
eng zusammen, dass wir uns
am Ende nicht mehr daran erinnern können, wer was wann
geschrieben hat.
8: Erzähl uns was über das
Lieblingsinstrument in Deiner
Sammlung. Gibt es irgend ein
anderes Instrument, dass du
gerne hättest oder spielen
lernen möchtest?
Meine Lieblingsintrumente sind
Trevs “Weinkisten”-Gitarren. Er
hat sie selbst gebaut und sie
haben so einen großartigen Ton
und können fauchen - sie waren
die Inspiration für viele unserer
letzten Stücke und sind inzwischen so was wie der SignaturSound von BabaJack. Ich liebe
sie!
Ich selbst hab angefangen,
Cello zu lernen. Und das ist ein
wunderschönes Instrument!
Inspiriert wurde ich dazu von
unserer guten Freundin Julia
Palmer, die auf “Running Man”
einige Cello-Passagen beigesteuert hat. Sie unterrichtet mich
jetzt. Ich hoffe, dass ich das
irgendwann auch mal auf der
Bühne zeigen kann. Man weiß
wir Tosh als Schlagzeuger und
ja nie!
Adam als Bassisten hinzuge9: Wo möchtest Du Deine holt haben, haben sich für uns
Karriere gerne hinführen größere Spielräume ergeben.
sehen in der Zukunft? Was Und gemeinsam mit ihnen
sind Deine wichtigsten Ziele? haben wir großen Erfolg und
Alles was ich will, ist Musikerin treten in ganz Europa und dem
zu sein. Für BabaJack gibt es Vereinigten Königreich auf. Ich
noch jede Menge zu tun. Seit stecke all meine Energie in
diese Band und ich bin gespannt
auf unser nächstes Album und
wohin wir damit noch kommen.
10: Was machst Du außer
Musik am liebsten?
Ich würd Dir ja gerne sagen,
dass ich alle möglichen coolen
Dinge neben der Musik mache,
Wasser-Prawda | Mai 2014
16
Musik
Beste. Wenn man unterwegs
ist, kannst Du vom miesesten
Flohnest zum besten Hotel, von
vertrockneten Sandwiches an
der Tankstelle bis zum besten
Essen alles haben. Und Du
musst Stunden um Stunden
fahren oder im Auto sitzen,
wartest auf den Soundcheck
und dann wieder darauf, auf die
Bühne zu gehen… Ich ehrlich:
ich liebe es.
2: Wo kommt eigentlich der
Name der Band her?
BabaJack ist eigentlich Trevor.
Er hat drei oder vier Jahr in
Simbabwe gearbeitet und lebte
im Gebiet der Shona. Sein
erster Sohn Jack wurde dort
geboren. Und die Menschen
haben die Tradition, den
Namen des Vaters nach dem
Erstgeborenen zu verändern.
In dem Fall: BabaJack.
aber in Wahrheit mag ich es,
loszuziehen und meinen Sohn
Rugby spielen zu sehen. Auch
kümmere ich mich gern um
meinen Garten, koche und
steige auf die Malvern Hills …
irgendwo muss es ein beruhigendes Gegenmittel gegen das
Ding mit BabaJack und dessen
Wasser-Prawda | Mai 2014
hohem Energie-Level geben!
ZUSATZFRAGEN:
1: Was ist das Beste und was
das Schlechteste, wenn man
in Deinem Job on the road
ist?
Essen, Betten und Langeweile!
Und das ist manchmal das
3: Was war der mieseste und
was der beste Gig, den Du
hattest?
Wow, da sind so viele, aus
denen man auswälen könnte.
Ich glaub der mieseste war in
unserer Anfangszeit. Wir kamen
bei dem Pub an und sie bestanden darauf, dass wir im Kamin
spielen sollten. Und das Feuer
im Kamin qualmte noch! Der
beste? Es ist schwer, einen
rauszupicken, aber vor kurzem
spielten wir mit der Band im
Shepherd’s Bush Empire in
London als Vorgruppe für
Roger Chapman and Family.
Die Family-Fans schlossen uns
wirklich ins Herz und gingen
gewaltig mit. Und es wahr
unglaublich, auf dieser bedeutenden Bühne zu stehen und
unsere Musik zu spielen.
Musik
17
WHY I LOVE
T HE BL U ES
Warum lieben
Menschen den Blues?
Diese Frage stellte der
kanadische Musiker
und Psychologe
Marschall Lawrence
verschiedensten
Menschen. Die Videos
seiner Interviews
werden ab 28. Mai im
Internet veröffentlicht.
WP: Warum liebst Du den Blues, Marshall?
Oder wie hat Dich der Blues gefunden?
Alles stammt vom Blues ab. Der Blues ist eine
heilende Musik. Er erlaubt dir, mit Musik das auszudrücken, was du fühlst. Darum liebe ich den
Blues. Manche Menschen sagen, der Blues sei
eine Musik, die einen herunter zieht, Du weißt
schon, sie sei traurig und deprimierend, aber das
ist er nicht. Im Gegenteil ist der Blues eine glückliche Musik. Du singst etwa über einige schlechte
Punkte in Deinem Leben, aber durch das Singen
heilst Du Dich selbst und gibst jedem, der zuhört
ein Beispiel. Dadurch, dass Du es erzählst, fühlst
Du Dich gut - und so geht es auch dem Publikum.
Blues hilft uns, über unsere Sorgen zu lachen,
hilft uns, sie in die rechte Perspektive zu setzen
und hilft uns, weiter zu gehen. Und er lässt uns
erfahren, dass wir nicht die Einzigen sind, die
schlechte Zeiten in unserem Leben erfahren
mussten. Ich schulde dem Blues eine Menge.
WP: Woher stammt die Idee für Dein neues
Projekt?
Im Januar 2014 fuhr ich runter nach Memphis,
um als Preisrichter bei der International Blues
Challenge teilzunehmen und beim Showcase der
PR-Firma Blind Racoon aufzutreten. Ich war das
erste Mal dort und es war ein riesiges Erlebnis. In
dieser Woche herrschte ganz deutlich ein Gefühl
der Gemeinschaft und Kameradschaft im Blues.
Was mir besonders auffiel, war der Enthusiasmus
für den Blues, den Musiker und Fans verströmten.
Das brachte mich fast wie eine Offenbarung auf
eine Idee. Ich wollte herausfinden, woher diese
Leidenschaft für den Blues kommt. Bewaffnet mit
einer Videokamera beschloss ich, sie zu fragen.
Wasser-Prawda | Mai 2014
18
Musik
Basierend auf diesen Interviews
haben wir die 13 Episoden
von “Why I Love The Blues”
geschaffen. Das war ein ganz
schöne Strecke, machte aber
massenhaft Spaß. Offiziell wird
die Serie am 28. Mai 2014 im
Internet gestartet.
WP: Mit wievielen Menschen
hast Du für die Reihe
Interviews geführt?
Zunächst war ich der Meinung,
dass wahrscheinlich nur einige
Menschen interessiert dran
wären, für ein Gespräch vor die
Kamera zu kommmen. Welch
ein Irrtum! Die Resonanz von
der Blues Community bei der
International Blues Challenge
war fantastisch. In ein paar
Tagen filmten wir über 50
Interviews und trafen einige
wirklich fantastische Menschen.
befragen wie ich konnte, um
ihre Leidenschaft für den
Blues besser zu verstehen.
So interviewte ich Musiker,
Fans, Moderatoren von RadioSendungen und andere Profis
aus der Musikindustrie für “Why
I Love The Blues”.
WP: Wird man das Projekt nur
online betrachten können?
Oder gibt es Pläne, diese
Videos irgendwann auch auf
DVD zugänglich zu machen
oder die Aussagen als Buch
zu veröffentlichen?
Ab 28. Mai wollen wir auf meinem
YouTube Channel wöchentlich
eine Episode veröffentlichen.
Mit dem Filmen der Gespräche
haben wir ein Stückchen
Bluesgeschichte festgehalten.
So glaube ich, dass ich irgendwann die Serie auch auf DVD
veröffentlichen und vielleicht
WP: Wen hast Du befragt, nur auch ein Buch mit Zitaten
Musiker oder auch die Fans? drucken werde. Ich denke, dass
Ich wollte so viele Bluesliebhaber die Bluesfans beides begrüßen
Wasser-Prawda | Mai 2014
und interessant finden werden.
WP: Vor einigen Wochen
wurde das Programm für
das Toronto Bluesfest veröffentlicht. Ich war schockiert,
als ich sah, dass Lady Gaga
der Headliner sein wird. Und
ich brauchte einige Zeit,
die Bluesmusikerinnen und
-musiker auf dem Line-up zu
finden. Ist das ein guter Weg,
um junge Menschen an den
Blues heranzuführen? Oder
was ist der richtige Weg, den
Blues am Leben zu erhalten?
Ich bin der Meinung, dass wir
die Grenzen der Bluesmusik
erweitern müssen, wenn wir
sie lebendig erhalten und sie
interessant für jüngere Zuhörer
machen wollen. Dem Genre treu
zu sein und es zu respektieren
ist wichtig, aber wir müssen ihm
auch eine Infusion mit neuen und
innovativen Ideen und Klängen
verpassen. Es geht nicht darum,
zu spielen wie dieser oder jener
Musik
Typ, weil er gerade populär ist
oder weil sie Legenden des
Blues sind. Es geht darum
zu spielen, was Du fühlst als
Künstler und Songschreiber.
Wir alle haben unseren eigenen
Blues. Und unsere Musik muss
diese Individualität widerspiegeln, damit der Blues überleben und sich entwickeln kann.
In letzter Zeit geschehen in der
Bluesmusik einige interessante
Neuerungen. Musiker haben
Loops eingesetzt, legen verschiedene Beats übereinander,
rappen die Texte, setzen einzigartige Instrumente ein, die man
normalerweise nicht mit dem
Blues assoziiert und schreiben
interessante und gar nicht traditionelle Arrangements. Darüber
hab ich mich sehr gefreut.
Noch ist der Blues sehr lebendig, und er entwickelt sich!
WP: Du warst in Memphis
als Preisrichter bei der
International
Blues
Challenge. Wie wichtig ist
Deiner Meinung nach dieser
Wettbewerb für Musiker und
die Blues Community?
Ich glaub, dass Wettbewerb
gesund ist. Wir machen das die
ganze Zeit in unserem Leben und
auch der Musik. Wir stehen im
Wettbewerb und Jobs, Geliebte,
Schulnoten, Musikstipendien,
Auftritte, usw. Wir beobachten
andere Musiker, um zu sehen
und zu hören, was sie machen.
Und dann gehen wir heim und
üben, um unsere Fertigkeiten zu
verbessern. Das hält uns bei der
Sache und bringt uns dazu, so
gut zu werden, wie wir können.
Allerdings glaub ich, dass jeder
Wettbewerb mit dem Geist der
Kameradschaft angegangen
werden sollte, dem Wissen,
dass wir neue Fans erreichen
können, die sonst nie von uns
gehört hätten - und dem Ziel,
das Genre voranzubringen.
Einen Wettbewerb zu gewinnen
sollte niemals das ultimative
Ziel sein. Grundsätzlich sollten
Musikwettbewerbe als Forum
angesehen werden, Dein Talent
zu präsentieren und Netzwerke
mit anderen Musikern, mit
Musikprofis und mit Fans auszubauen. Ich finde, dass die
größten Gewinner in einem
Musikwettbewerb oft nicht der
Musiker oder die Band ist, die
die Trophäe für den 1. Platz
gewonnen hat. Stattdessen sind
es die Musiker oder Bands, die
vielleicht noch nicht mal das
Finale erreicht haben stattdessen aber den wahren Sinn
dieser Wettbewerbe wirklich
verinnerlicht haben.
WP: „Im Blues ist kein Geld.“
Das sagte mir ein Musiker
aus Deutschland in einem
I n t e r v i e w. H i e r z u l a n d e
ist es ziemlich schwierig,
als Bluesmusiker seinen
Unterhalt zu verdienen. Es
gibt zu wenig Clubs, nur
noch einige Online-Medien
schreiben regelmäßig über
den Blues, die großen RadioStationen spielen diese
Musik nicht mehr. Wie ist die
Situation in Kanada?
Meiner Meinung nach ist die
Bluesszene in Kanda lebendig
und in guter Verfassung. Und es
gibt unter jüngeren Zuhörern ein
wachsendes Interesse an der
Bluesmusik. Generell könnte
man sagen, dass Kanadier
den Blues mögen. Allerdings
ist es noch immer sehr schwierig, seinen Unterhalt als
Bluesmusiker zu verdienen.
Aber ich glaub, dass trifft auch
für andere Genres zu. Am Ende
19
geht es aber doch darum, das
zu tun, was Du liebst und Deiner
Leidenschaft zu folgen. Und
wenn Du Glück hast, kannst Du
davon leben.
WP: Hast Du Pläne, bald ein
neues Album zu veröffentlichen? Und wirst Du es mit
Deinem neuen Power-Trio
einspielen?
Ich hab schon Lieder für ein
neues Album geschrieben,
allerdings ist die Entscheidung
noch nicht gefallen, was für ein
Album es sein soll. Am Ende will
ich eine musikalische Landkarte
erschaffen.
Mein Leitbild beim Schreiben,
Aufnehmen und Spielen der
Musik ist es, Spaß zu haben
und die Musik fließen zu
lassen. Ich weiß niemals,
wohin dieses musikalische
Abenteuer mich bringen wird,
bis zu dem Moment, wo ich das
Aufnahmestudio betrete.
Wofür ich mich auch immer entscheide: Originalität ist für mich
sehr wichtig. Und ich will, dass
meine Fans sagen und sich
deshalb an mich erinnern, weil
ich etwas Neues in den Blues
gebracht habe. Meine Musik
soll einen einzigartigen Sound
haben und soll Menschen dazu
bringen, sich gut und weniger
allein in dieser Welt fühlen.
So müssen wir einfach abwarten und sehen, wohin mich
meine Muse tragen wird.
Wasser-Prawda | Mai 2014
20
Musik
“Why I Love The Blues” mit:
Jay Sieleman – Präsident der Blues Foundation
Betsie Brown – Publizistin (Blind Raccoon)
Eddie Turner – Musiker
Bob Corritore - Musiker
Tas Cru – Musiker
Son Jack Jr. – Musiker
Vinny Marini – Moderator von „Music On The Couch“
Dennis “Big D” Shaibly – Bluesmoderator bei WWOZ
John “Blues Hammer” Hammer – Bluesmoderator bei KRUE 1170 am u.v.a.
Links:
https://www.facebook.com/WhyILoveTheBlues
https://twitter.com/WhyILoveBlues
Wasser-Prawda | Mai 2014
Musik
21
Wasser-Prawda | Mai 2014
22
Interview
Nächste
Auftritte in
Deutschland:
12. Juli Frankfurt
14. Juli Stuttgart mit Jimmie
Vaughan
15. Juli Hamburg mit Jeff
Beck
Wer in 3 Jahren 3 CDs
auf den Markt bringt, hat
was zu sagen. Mit der CD
“made up mind” haben die
Eheleute Susan Tedeschi
und Derek Trucks zusammen mit ihrer Band manifestiert, dass es auf dem
amerikanischen Soul- und
Bluessektor Fortschritt gibt.
Wir haben zum Konzert der
Tedeschi Trucks Band am
25. April 2014 in der Münchner Tonhalle die Gelegenheit am Schopf gepackt, ein
paar Dinge zu fragen, die
sich zwangsläufig ergeben,
wenn man die Fusion der
Derek Trucks Band mit der
Bluessängerin Susan Tedeschi sich im Detail anschaut.
Wasser-Prawda | Mai 2014
Interview
23
FR AU T ED E S CH I
UND H E R R
TRUCKS GEBEN
SI CH D I E E H R E
INTERVIEW:
MARIO
BOLLINGER.
FOTOS:
CHRISTOPHE RASCLE, TTB & WIKIPEDIA.
Wir trafen die Beiden im
Münchener Sheraton Hotel ca. 2
Stunden vor den Soundcheck. In
der Lounge des Hotels trafen wir
ein freundliches Pärchen, denen
überhaupt nicht anzusehen war,
dass sie in ca 4 Stunden vor
dem Münchner Publikum eins
von drei Konzerten hinlegen
werden. Der Empfang war sehr
nett, geduldig wurden auch die
üblichen Signaturen und VIPPics abgearbeitet und vorformulierte Videobotschaften von
Pressekollegen aufgenommen,
aber dann ging es zur Sache.
WP: Ihr habt in 3 Jahren 3
CDs inklusive dem letzten
erfolgreichen Album “Mind
up mind” aufgenommen.
Können wir 2014 was Neues
erwarten?
Derek Trucks: Wir arbeiten
schon daran. Ende des Monats
fangen wir mit dem Schreiben
an, und im Mai möchten wir in
unseren Studio in Florida mit
den Aufnahmen beginnen. Wir
nehmen uns die Zeit, die wir
brauchen und möchten dann
auch experimentieren. Wir
waren das letzte Jahr viel unterwegs, aber wenn wir jetzt nach
Hause gehen, kommen wir und
die Band ein bisschen runter
und dann werden Susan und
ich werden anfangen, aufzunehmen und Sachen anzuhören und
einzustudieren. Stück für Stück
kommt die restliche Band dazu.
Chorus, Rhythmussektion, die
Leute kommen und gehen je
nach dem. Das ist der Vorteil,
wenn man das Studio zu Hause
hat.
WP: Wie kommt es, dass
zeitgleich die beiden
Leadgitarristen der Allman
Brothers Band aus dieser
Supergruppe ausscheiden?
Derek Trucks: Ich denke schon
länger (Susan lacht: seit 10
Jahren) daran, auszusteigen.
Warren und ich waren uns einig,
dass, wenn ich aussteige, er
auch aussteigt. Seit meinem vierzigsten Geburtstag (Susan: also
seit 5 Jahren) denke ich darüber
nach, den richtigen Zeitpunkt für
den Ausstieg zu finden. Mein
Wasser-Prawda | Mai 2014
24
Interview
Endpunkt sollte mein fünfundvierzigster Geburtstag sein. Je
näher wir an den Punkt kamen,
um so weiter schob jeder außer
mir den Termin hinaus, bis ich
endlich Warren informierte, dass
es jetzt der richtige Zeitpunkt ist
und ich das veröffentlicht habe.
WP: Auf manchen veröffentlichten Bildern erscheint es,
dass Susan die Autorität
im Hintergrund ist. Ist der
Eindruck richtig?
Derek Trucks: Oh ja, Susan
ist mitverantwortlich, wir sind
Co-Chefs.
Susan: Ich habe da meine
e i g e n e M e i n u n g d a zu .
Derek und ich teilen viele
Gemeinsamkeiten. Eines der
Dinge, die ich in dieser Band
liebe, ist, dass Derek viel von
der Verantwortung übernimmt
und mir den Rücken frei hält,
meine Dinge zu lernen und mich
auf meine Dinge zu konzentrieren. Wenn ich eine Idee habe,
ist letztendlich Derek sehr offen
und ebenso wenn also unser
Bassspieler oder der Drummer
eine Idee haben, können wir
damit zu Derek kommen. Jeder
in der Band ist persönlich sehr
engagiert, um das Beste zu
geben. Jeder hat sein Leben
eingebracht. Wir sind uns aber
einig, dass Derek eine starke
Vision hat, um uns zusammenzuhalten, um dort hinzukommen, wo er hinmöchte.
WP: Wie entwickeln sich
Blues und Soul in der USA?
Tedeschi/Trucks: Es geht auf
und ab in Wellen, alle 10-15
Jahre wechselt das. Es gibt eine
lebendige Szene. Doch es bleibt
die Frage, ob es neue Musiker
gibt, die Musik in diese Richtung
machen oder sie nur die alte
Wasser-Prawda | Mai 2014
Interview
25
Musik nehmen, bis sie komplett
verschwindet. Wie lange gibt es
lebende Legenden wie Buddy
Guy und B.B. King noch? Bei
ihm können wir ja nicht wissen,
wie lange er das noch macht.
Im Endeffekt reduziert es sich
auf die Frage nach der nächsten
Generation: Es gibt sie, und die
Musik entwickelt sich. Musiker
wie die Wood Brothers oder die
Scrapomatics mit Mike Mattison
spielen Folk, Blues und traditionelle Musik. Es ist vielleicht
nicht gerade der 12-Takt-Blues,
den wir gewohnt sind, aber es
ist im Sinne dieser Musik. Das
bringt die Sache weiter, das ist
relevant.
WP: Mike Mattison war für
lange Zeit und für 8 CDs
der Leadsänger der Derek
Trucks Band. Wie hat er diese
Herausforderung angenommen, in der neuen Tedeschi
Trucks Band im Background
zu singen.
Derek Trucks: Wir haben
vorher darüber gesprochen, ob
wir nicht 2 Frontsänger haben
sollten, aber es war seine Idee,
2 männliche Backgroundsänger
zu haben. Er will lieber im
Hintergrund bleiben und steuert
von dort aus vieles bei. Dort
ist er sozusagen unser stiller
Partner.
WP: Derek, du hast einmal
erwähnt, dass Du einen
Musiklehrer kennst, der
seinen Schülern erst das
Singen und da nn da s
Instrumentenspielen beibringt. Wie schaut es mit
Deiner Sangeskunst aus?
Derek Trucks: Nein, nein, ich
singe nie in der Öffentlichkeit.
Ich bin umringt von guten
Sängern.
Wasser-Prawda | Mai 2014
26
Interview
Kofi Burbridge
WP: Ab welchem Zeitpunkt
war Dein Gitarrenstil so,
wie Du heute Deine Gitarre
spielst?
Derek Trucks: Wenn ich mir
alte Aufnahmen anhöre, was
ich manchmal noch mache,
sehe ich, dass etwas davon
immer schon da war. Ich hoffe,
dass ich mich immer noch entwickle, aber ich kann nicht
genau sagen, wann ich begonnen habe, so wie heute zu
spielen. Irgendwie war es von
dem ersten Augenblick da, als
ich die erste elektrische Gitarre
in einen Verstärker steckte.
Dagegen kann man nicht
ankämpfen.
WP: Wie bereitest Ihr Euch
vor, wenn Ihr auf ein Festival
wie das Crossroads Festival
ohne Eure Band geht?
Derek Trucks: Das hängt vom
Gig ab. Zum Crossroads gehe
ich ganz offen hin und schau,
welchen Beitrag ich leisten
kann. Mit Sonny Landreth habe
ich einen Tag geprobt. Mit Blake
Wasser-Prawda | Mai 2014
Mills habe ich mich 10 Minuten
vor dem Auftritt abgesprochen.
Er fragte mich einfach, ob ich
etwas dagegen hätte, mit ihm
zu spielen. Susan und seine
Frau haben noch kurz vorher
gescherzt und schon stand ich
mit Blake Mills auf der Bühne.
WP: Ein schnelles FrageAntwort Spiel:
Doyle Bramhall II:
Susan: Erstaunlich, ich liebe
die Art wie er spielt, singt und
komponiert und sein Tuning,
weil er ja ein Linkshänder ist.
Derek: Er ist ein weiteres
Bandmitglied, sozusagen ein
Ehrenbandmitglied
Johnny Winter:
Derek: Er ist einer meiner
Lehrer, ein amerikanischer
Schatz.
Mike Matthison
zu spielen. Er hat mein Leben
verändert.
Susan: Er ist mein all time
favorite.
WP: Susan, hast Du europäische Wurzeln?
Susan: Ja, der Name ist italienisch und heißt “Deutscher”
oder “deutscher Soldat”. Mein
Vater ist halb Italiener und halb
Engländer, meine Mutter hat
irische, englische und deutsche
Wurzeln. Meine Großmutter
hieß Masters. Also bin ich ein
bisschen irisch, englisch und
deutsch. Ich spreche ein bisschen italienisch und spanisch
und selbst ein paar Brocken
japanisch. Mein Finanzberater
spricht deutsch (er lebte in
Budapest) und in der Band
spricht einer französisch. So
kann ich mit mindestens 10
Personen in Fremdsprachen
sprechen.
Eric Clapton:
Derek: Ein weiterer Lehrer. Er
war sehr großzügig mit der Zeit, WP: Ihr kommt öfter nach
die er mit Doyle und mir ver- Deutschland?
bracht hat, um vor den Leuten Susan: Ja wir haben 2011 in
Interview
Doyle Bramhall II
27
Johnny Winter
Bonn gespielt und kommen im
Juli wieder zurück. Wir sind am
12. Juli in Frankfurt, am 14.7.
in Stuttgart und am 15.7. in
Hamburg mit Jeff Beck.
Die Tedeschi Trucks Band stellt
sich als große Familie dar. Es
gilt 11 Musiker unter einen Hut
zu bringen. Derek und Susan
verraten uns, dass diese große
Familie auch die Tourausflüge
gemeinsam bestreiten und man
sich viele Städte gemeinsam
anschaut. Die Reisen zwischen
den Konzerten verbringen sie in
2 Tourbussen. An Schlafen ist
da nicht zu denken. Es passiert
einfach, das einer der Musiker
seinen Ipod anmacht und dann
hört man die ganze Nachtfahrt
über Musik. Gerne kommen sie
auch nach Deutschland, weil
dort ein sachkundiges Publikum
in die Konzerte kommt. Das
ganze ist natürlich ein logistischer Kraftakt, der von Derek
Trucks gemeistert werden
muss ebenso die große Anzahl
von Musikern, die in die Band
eingebunden werden müssen.
Dazu gehören beispielsweise
2 Drummer, 3 Blechbläser und
2 Backgroundsänger. Da aber
alles Profis sind, findet jeder
seine Aufgabe und Position.
Auch wenn Dereks Eindruck
beim Interview und bei den
Aufritten immer den Eindruck
des hochtalentierten jungen
Gitarristen hinterlässt: Er gibt
den Ton auf seiner Gibson SG
und den Takt der Band an.
Als besonderes Bonbon verlost
die Wasser-Prawda eine von
Susan Tedeschi und Derek
Trucks signierte CD “made up
mind” auf der Facebookseite.
Bitte die Hinweise beachten.
Wasser-Prawda | Mai 2014
28
Interview
DIE JACKSONVILLE
CON N E C T I ON I N MÜ N CH EN
TEDESCHI TRUCKS BAND UND JJ GREY & MOFRO IN DER TONHALLE
Lange angekündigt und mit
Spannung erwartet: Das Konzert
der Tedeschi Trucks Band am
25. April 2014 in der Münchener
Tonhalle. Nicht sonderlich
beachtet und daher völlig als
Support act unterschätzt: JJ
Grey & Mofro. Das Konzert der
amerikanischen Soul, Blues und
R&B Supergruppe Tedeschi
Truck Band TTB war mit der
Frage verknüpft, ob sie den
Sound und Groove der 11 Mann
starken Band in der ca 2000
Personen fassenden Tonhalle
rüberbringen.
Als Pressevertreter hat man den
Vorteil, dass man sich auch im
Wasser-Prawda | Mai 2014
Backstagebereich tummeln darf.
In der Tonhalle war das ein sehr
offener Bereich zwischen der
Bühne und den Räumlichkeiten
des VIP-Bereichs.
Die Halle füllte sich innerhalb einer Stunde. Pünktlich
erschien JJ Grey & Mofro auf der
Bühne und es war ab der ersten
gespielten Note Stimmung in
der vollen Tonhalle.
Mit den 2 Bläsern wurde klar,
wo JJ Grey seine Wurzeln hat.
Seine rauhe, brüchige Stimme,
ein minimales, aber effizientes Schlagzeug, sehr trocken
gehaltenen Gitarren und Bass
und ein Keyboarder brachten
Soul und R&B auf die Bühne,
wie es heißer fast nicht geht.
Der Gitarrist glänzte an einer
Lapsteel, deren Schrammen
und Kerben nicht nur vom
engagierten Spielen stammt,
sondern vom Einsatz an den
Schlagzeugbecken. JJ Grey
selbst fügte neben dem Gesang
noch gutes Gitarrenspiel bei.
Schnell war uns klar, dass hier
mehr als ein Opener oder ein
Support Act auf der Bühne
steht. Und tatsächlich gab
JJ Grey selbst die Erklärung,
warum gerade er mit einer
solch groovenden Band auf
der Bühne steht: Er und Derek
Interview
29
Die Gitarren von Derek
Trucks
Trucks kennen sich aus beider
Heimatstadt Jacksonville und
daher freut es ihn natürlich, für
Derek den Opener zu machen.
In der Tat findet man sehr
viele Parallelen zwischen den
beiden Bands, obwohl JJ Grey
& Mofro doch eine Spur erdiger
und rauer als die Band seines
Kumpels Derek ist. Ich habe
mir spontan nach dem Konzert
einige CDs besorgt und bin
Im Backstage-Bereich der
Tonhalle trafen wir Bobby Tis,
den Gitarrenbeauftragten von
Derekt Trucks. Er wartet und
pflegt Dereks Gitarren.
Im Allgemeinen spielt Trucks
Gibson SG in diversen
Varianten. Um so überraschender war es, als Bobby
uns erzählte, dass nur
Replicas von Dereks alten
SG mit auf der Reise waren:
Orginalgetreu nachgebaut,
auf Vintage getrimmt, mit
original nachgewickelten PAE
PUs und superleichten AluTailpieces, die ebenso künstlich gealtert wurden wie der
Rest des Instruments.
Derek mag es sehr leicht, daher
die Wahl der leichten Aluteile.
Auf den Reisemodellen
findet man die identischen
Befestigungslöcher des abgeschraubten Maestro Vibrolas
und den abgewetzten Hals.
Die teuren alten Instrumente
benutzt Derek nur selten zu
Hause in den USA, wo der
Transportweg sicher ist.
seitdem ein JJ Grey & Mofro
Fan. Auch im Crossroad Cafe
vom 98.1 ist JJ Grey & Mofro
gespielt worden, wobei mir das
positiv im Unterbewusstsein
hängen blieb. Déjà-vu oder
besser: Deja-ecouté.
Das Publikum war altersmäßig
gut gemischt. Ein Mann der
Security hatte seinen Filius
dabei, der begeister t im
Backstagebereich Photos Bobby Tis & Mario Bollinger
Wasser-Prawda | Mai 2014
30
Interview
Nächste Auftritte
von JJ Grey
& Mofro in
Deutschland:
1. August Düsseldorf
2. August Fulda
schießen durfte. Der Vater sagte
lachend: Wenn mein Sohn mit
18 Jahren solche Musik hört,
dann kann nichts falsch sein.
Ein anderer Musikfan erzählte
mir, er hätte von 10 Jahren
schon die Derek Trucks Band
in München gesehen. Damals
waren es aber nur ca. 30 Gäste
und Derek kam noch zum
Gespräch mit Fans von der
Bühne. Im Publikum sieht man
ausnehmend viele Fans mit
Allman Brothers Band T-Shirts,
die sich wohl im Zusammenhang
mit Derek Trucks mehr an dem
Southern Rock der ABB erinnert
fühlen wollen. Nicht zu vergessen: Derek Trucks und Warren
Haynes haben der ABB gerade
einen quasi Todesstoß versetzt
und da muss man als Fan schon
schauen, wo man bleibt.
Nach dem Opening wurde es
unruhig im Backstagebereich.
Es erschienen einer nach dem
anderen die elf Musiker der
TTB. Ich traf Susan Tedeschi
nach dem Interview noch
mal am Wartungsstand von
Bobby Tis beim Stimmen ihrer
Gitarren. Meinen Zuruf “have a
good Show” quittierte sie mit
einem zuckersüßen “Thank
you”. Derek geisterte auch
schon mit seiner frisch präparierten Gibson SG herum.
Wasser-Prawda | Mai 2014
Als schließlich alle Musiker der
Tedeschi Trucks Band auf der
Bühne waren, setzten sie die
von JJ Grey & Mofra hinterlassene Stimmung fort, in dem sie
am Anfang gleich mal “Don’t let
me slide“und “Rollin’ & Tumblin’“
spielten. Das Stück mit Susan
Tedeschi als Sologitarristin
kennen wir ja schon von der
Live CD “Everybody’s talkin’“ .
Es zeigt, dass Susan nicht nur
Soul in der Stimme hat, sondern
den Blues auch auf der Gitarre
zelebrieren kann.
Es waren viele Songs von
den vergangenen Alben aber
natürlich vornehmlich von
“Made up Mind” zu hören. Im
Interview sagte Derek, dass die
Band auf der Bühne sehr viel
improvisiert genau so wie es
die alten Blues- und Jazzbands
gemacht haben. Jeder in der
Band hört genau zu und kann
sofort in eine Improvisation einsteigen. Derek Trucks führt das
Zepter, während er in seiner
bekannten Art fast unbeweglich auf der Bühne steht. Er
verteilt Solos, er bestimmt, wo
es lang geht an diesem Abend.
Es gibt zwar eine Setliste, aber
wenn es der Band gefällt, wird
die Liste umgestellt oder ganz
neue Nummern gespielt. So
gab es im Laufe des Abends es
mehrere Nummern, die mir nicht
von den Alben bekannt waren.
Intros wurden ebenso improvisiert, was der Spielfreude
der Band Ausdruck verleiht.
Unveröffentlichte Nummern
wie “Leavin’ trunk” gaben
dem Keyboarder Freiheiten,
im Sound zu experimentieren.
Interview
“Same old Blues” und “Palace
of the King” waren auch
Überraschungsnummern,
die man bisher auf keinem
Studioalbum findet. Überhaupt
scheinen die Konzerte der TTB
Familienfeste zu sein. Alle
Musiker stehen permanent
im Blickkontakt, lachen und
werfen sich Kommentare zu.
Der Drummer von JJ Grey fegte
völlig angetan und groovend
im Backstageraum herum, die
Bläser kamen runter, witzelten
und kamen wieder zum Einsatz
auf die Bühne.
Leider ist der Sound für eine
so große Band in der Tonhalle
nicht ausreichend differenziert
genug, so dass es ein ziemlich breiiges Konzert wurde.
Die Bläser konnte man nur
erahnen, auch die Solos von
Derek Trucks gingen ein wenig
im Klangsumpf unter. Das
einzige Soundhighlight waren
die Stimmen vornehmlich von
Susan Tedeschi, aber auch
vom Backgroundsänger Mike
Mattison. Meiner Meinung nach
ist Mike Mattison mit seiner
selbstgewählten Position im
Background unterschätzt und
um so mehr waren die 2 Songs
mit ihm als Leadsänger eine
Bereicherung.
Als Zugabe gab es eine lange
Improvisation über “Take you
Higher” von Sly and the Family
Stone. Und gerade das Thema
spaltet die Fans: Die Einen
kamen mehr, um Derek Trucks
als Erben der Allman Brothers
Band zu hören und waren vom
31
neuen Soul der TTB maßlos
enttäuscht. Die Anderen wollen
genau diesen Soul, Blues und
R&B, wie er von der Tedeschi
Trucks Band, aber auch von
JJ Grey&Mofro neu inszeniert
wurde. Wenn der Sound besser
gewesen wäre, hätten wir einen
echten Leckerbissen gehabt.
Text: Mario Bollinger. Fotos:
Christophe Rascel
Wasser-Prawda | Mai 2014
32
Musik
The Blues Brothers, Joliet
Jake und Elwood Blues,
sind erfundene Figuren,
aber erfundene Figuren, die
durch Fernsehauftritte, zwei
Filme und Live-Auftritte für
zahllose Menschen in aller
Welt real geworden sind.
Eine Artikelserie von Darren
Weale. Übersetzung mit
freundlicher Genehmigung
von “Blues Matters”.
Fotos: Warner Brothers &
Blues Brothers Official
Wasser-Prawda | Mai 2014
Musik
33
TH E B LU E S
BR O T H E R S : A U F
MU S I K A LI S C H E R
MI S S I O N
TEIL 1: WURZELN UND FRÜCHTE
I
n den Jahrzehnten seit sie
zuerst ihre schwarzen Hüte
und dunklen Sonnenbrillen
aufsetzten, sind die Blues
Brothers nicht wirklich
wegen ihrer Musik oder
ihren Einfluss auf den Blues
und auf Bluesmusiker wahrgenommen worden. Warum?
Dan “Elwood” Aykroyd und
John “Jake” Belushi waren
Comedians, die die Blues
Brothers in der amerikanischen
TV-Show Saturday Night Live
der Öffentlichkeit vorstellten.
Warum sollte man zwei lustige Typen, die Späße machten, ernst nehmen? Warum
sollte man annehmen, sie
seien mehr als zwei Kerle, die
die Idee für einen ComedyAct hatten, der eine enorme
Popularität erlangte? Die Blues
Brothers wurden von einigen als
Betrüger beschimpft, die aus
der Musik und ihrer Geschichte
ein Possenspiel machten. Es
ist Zeit, dass man klarlegt,
dass die Blues Brothers ihr
eigenes sehr spezielles Kapitel
in der Geschichte des Blues
verdienen.
Früchte
Von Anfang an respektierten die
beiden Comedy-Schauspieler
Dan Aykroyd und John Belushi
die Musiker, die sie inspiriert hatten, sie erwähnten Songwriter in
Shows und forderten die Leute
auf, so viele Blues-Alben zu
kaufen, wie sie nur könnten.
Ein früher Test ihrer Integrität
kam, als sie eingeladen wurden, ihr erstes Album „Briefcase
Full Of Blues“ aufzunehmen.
Dan Aykroyd erinnert sich: „Als
wir loszogen, um ‚Briefcase
Full Of Blues‘ zu machen,
schlug uns die Plattenfirma
vor, dass wir die Songschreiber
wie Floyd Dixon und Donnie
Walsh von der Downchild
Blues Band und Isaac Hayes
und Steve Cropper kontaktieren sollten, um uns 50 Prozent
der Veröffentlichungsrechte
Wasser-Prawda | Mai 2014
34
Musik
Chicagoer Blues Festivals. Er
sagte: Ich hab alles auf Pferde
verwettet. Mann, hatte ich eine
schöne Zeit! Das da ist ein echter Blues Brother! That‘s the real
shit!.“
Wir erzählten Dan Aykroyd die
Geschichte. Er sagte: „Das
wusste ich noch nicht, er hat
seine Tantiemen bekommen?
Ich bin sehr zufrieden.“
zusichern zu lassen. John und
ich weigerten uns, was in der
Zeit ziemlich ungewöhnlich war.
Wir bekamen keinen Anteil an
irgendwelchen SongwriterTantiemen auf den acht
Alben. Wir bekamen ein paar
Tantiemen für die mechanische
Verbreitung der Aufnahmen,
also für den Gesang, aber
das ist nur ein Hungerlohn,
seit Steve Jobs und Apple
den Wert der Musik zerstört
haben und alles digital ist. Alle
Veröffentlichungs-Tantiemen
gingen an die usprünglichen
Künstler. Wir hätten einen Teil
davon besitzen können, haben
uns aber nichts davon angeeignet. Das wäre nicht Recht
gewesen.“
in den frühen Tagen der Blues
Brothers. So groß war sie, dass
die Rolle von Cab Calloway im
ersten Film nach ihm benannt
wurde. Curtis erzählte uns eine
Geschichte über Floyd Dixon,
der „Hey Bartender“, den zweiten Song auf „Briefcase Full Of
Blues“ geschrieben hat. „Das
Album der Blues Brothers,
das sich zwei Millionen Male
verkaufte, war mir gewidmet,
das rührt mich wirklich. In den
Neunzigern kommt Floyd Dixon
zu mir und dankt mir für den
größten Tantiemen-Scheck in
meiner Karriere. Das bedeutet mir so viel.‘ Mir schnürte
es den Hals zu. Ich sagte: Es
geht mich zwar nichts an, aber
wie viel hast Du bekommen?
Floyd meinte: Achtundsiebzig
Was bedeutet dieses noble Tausend Dollar, die größte
Verhalten für die Musiker? Den Summe, die ich je erhielt. Ich
amerikanischen Sänger und denk bei mir: Genug, um ein
Musiker Curtis Salgado hat Haus zu kaufen. Und ich fragte:
man als den „originalen Blues Was hast Du damit gemacht?
Brother“ beschrieben und er Er schaut in den Himmel. Es
hatte eine große Bedeutung war auf der Hauptbühne des
Wasser-Prawda | Mai 2014
Delbert McClinton, dessen Song
„B Movie Box Car Blues“ auch
auf „Briefcase Full of Blues“
gecovert wurde, liefert weitere Beweise dafür, was diese
Haltung für Musiker bedeutete.
„Ich hatte mit John Belushi gesprochen und ging zu seinem
Apartement im Plaza Hotel. Er
wusste, dass ich in die Stadt
kommen würde und hatte mich
angerufen, dass er alle Songs
hören wollte, die ich aufgenommen hatte. Ich packte also all
die Platten, die ich hatte und
brachte sie zu ihm. Kurze Zeit
später informierte er mich, dass
„B Movie“ auf dem Programm
stehen würde. Ob es auf dem
Programm oder dem Album
sein würde, das macht für mich
keinen großen Unterschied.
Ich hab mich auch so riesig gefreut. Ich bekam Tantiemen, ich
wurde dafür bezahlt. Sie achteten darauf, dass jeder, der irgendwie musikalisch involviert
war, etwas Geld verdiente. Das
hatte man von Plattenfirmen
noch nie gehört. Die hätten es
dir immer noch abgezockt. Es
ist eine miese Welt. Damals
im Musikgeschäft, die Künstler
waren einfach keine Leute, die
einen Vertrag lesen und studieren würden. Man gab ihnen
einen „Standard-Vertrag“ und
sie unterschrieben ihn. Ich
hab in meinen Zwanzigern
Musik
einen ga nzen Haufen
Veröffentlichungsrechte mit
einer Unterschrift weggegeben.“
Weitere Belege für den persönlichen Einfluss auf die
Karriere von Musikern kommt
vom Saxophonisten der Blues
Brothers, „Blue“ Lou Marini. Er
erzählt: „Der erste Film wurde
von den Kritikern lautstark verrissen. Er war weder finanziell noch kritisch ein Erfolg und
wurde dafür kritisiert, Abzocke
am Blues zu betreiben. Einmal
ging ich, nachdem ich Alt-Sax
geübt hatte in den benachbarten Trailer. Dort sah ich John
Lee Hooker, der meinte, er
würde gern so spielen können
wie ich. Ich traf ihn Jahre später. Da sagte er: Ich kann Dir gar
nicht sagen, wie viel der Film für
meine Buchungszahlen und das
Geschäft getan hat.
und vielen anderen.
Donnie Walsh von der kanadischen Band Downchild war ein
weiterer Künstler, der Musik
beisteuerte, der von den Blues
Brothers auf „Briefcase Full of
Blues“ gecovert wurde. Zum
Programm von Downchild gehörten Big Joe Turners „Flip
Flop & Fly“ und ihre eigenen
Nummern „Shot Gun Blues“
und „(I Got Everything In Need)
Almost“. Was meint Donnie über
die Blues Brothers? „Aykroyd
im Besonderen, Johnny Winter
und Paul Butterfield brachten
den Blues zu einem weißen
Publikum, das war eine große
Sache, aber die Blues Brothers
waren noch mehr! Sie brachten
den Blues zu jedem, überall hin
- sie waren die größte Sache,
die dem Blues jemals passiert
ist! The Blues Brothers haben
alle im Blues mit nach oben
geholt.
Einen ähnlichen wohltätigen Schub hatte „The Blues
Brothers“ für die Karrieren von Es ist passend, dass die Blues
Aretha Franklin, Ray Charles Brothers ebenso besessen sind
35
von ihrer Musik wie von ihren
Performances. Curtis Salgado
- damals spielte er mit der
Robert Cray Band - holte bei
einem Gig John Belushi für
einen Song auf die Bühne. Er
war schockiert, dass Belushi
in der Art von Joe Cocker auftrat. Für seine Parodien war
Belushi bei Saturday Night Live
bekannt. Curtis stieß Belushi in
den Bauch und teilte dem jungen Comedian mit, gefälligst er
selbst zu sein, wenn er mit einer
Bluesband singe.
Curtis, der 2013 gleich mit drei
Blues Music Awards ausgezeichnet wurde, ist genau in
der richtigen Position, um die
Ergebnisse seines Ratschlags
ebenso zu beurteilen wie die
fantastische Band, die die
Brüder begleitete. Curtis fasst
seine Sicht folgendermaßen zusammen: „The Blues Brothers
waren die echten Blues-Brüder.
Auf der Bühne waren sie Killer.
Sie waren großartige Frontmen.
Ihre Show war umwerfend. Die
Musiker waren absolute Profis,
Wasser-Prawda | Mai 2014
36
Musik
eine knallharte Band, da gibt
es keinen Zweifel. Sie haben
es echt gebracht, und ich bin
stolz, ein Teil dieser Geschichte
zu sein.
Wie kamen diese großartigen
Frontmen eigentlich zum Blues?
Bitte weiterlesen!
Wurzeln
Der Blues hatte große Tage
und Zeiten seit seinem rasanten Wachstum auf den
Baumwollplantagen und
Dämmen am Mississippi und seiner Ausbreitung nach Chicago,
Memphis, New Orleans und darüber hinaus. In den 1970ern allerdings schienen diese großen
Tage vorüber zu sein. Und das
wiedererweckte Interesse an
der Musik in den 60ern in Folge
der British Blues Explosion
war nur noch eine Erinnerung.
Glam Rock, Disco und andere
Formen der Musik waren bestimmen. Blues Ikonen wie
Muddy Waters waren gezwungen, mit anderen Stilen zu experimentieren, um wieder wahrgenommen zu werden und ihre
stagnierenden Karrieren wieder
in Gang zu bringen.
So wie die Idee von den Blues
Brothers allein mit den beiden
Blues-Brüdern Jake und Elwood
beginnt, sollten wir uns jetzt auf
Wasser-Prawda | Mai 2014
die Entwicklung ihrer Schöpfer
Dan Aykroyd und John Belushi
konzentrieren. Diese beiden
Männer verfolgten Karrieren
in der Comedy in Kanada
(Aykroyd) und den Vereinigten
Staaten (Belushi).
Dan Aykroyd hatte den Blues
schon in jungen Jahren. In
Ottawa besuchte er regelmäßig einen Club namens Le
Hibou und erlebte dort Musiker
wie James Cotton, Otis Spann,
Pinetop Perkins und Muddy
Waters. Im Ergebnis hat Dan
ein ganz spezielles Verständnis
vom Blues und warum Leute ihn
hören sollten. „Zunächst mal,
weil da jede Menge Humor in
der Musik ist. Der Blues wird
oft als Klage beschrieben, ein
Stöhnen über die Probleme mit
Liebe, Suche nach Arbeit und
wie trügerisch die Liebe sein
kann. Aber Lieder von Musikern
wie Wnonnie Harris‘ „Good
Morning Judge“ und „All She
Wants To Do Is Rock“ sind humorvoll und haben jede Menge
Anzüglichkeit in sich. So auch
Willie Dixons „Dead Presidents“
und Junior Wells‘ „Messin With
The Kid“. Sie sind lustig, erbaulich und handeln von guten
Zeiten. Zweitens ist der Blues
die Wurzel von allem in der heutigen Musik. Der Blues bezieht
alles mit ein von der Hammond
Musik
B3 bis zur Mandoline. Nimm
etwa Gatemouth Brown er sagte immer, er sei kein
Bluesman, er sei Musiker.
Der Blues ist voller Humor,
Rhythmus und Musikalität. Es
macht so viel Freude, eine LiveShow zu sehen.
Das ist die Art, wie die Blues
die sozialen Störungen und die
Kultur behandelt - und er ist eine
Reflexion unserer Existenz und
des Lebens. Er ist an der Wurzel
jeder Musik.
Es gibt großartige junge
Talente. Und es gibt die präzise wie durch Diamant schneidende Gitarre von Freddie King,
Albert King, Lil‘ Jimm King,
BB King - all die Könige - und
von den jungen Künstlerinnen
Joanne Shaw Taylor und Ana
Popovic. Einige dieser Ladies
sind spektakulär. Und bei den
jungen Männern gibt es Leute
wie Quinn Sullivan, den Protegé
von Buddy Guy - er ist erst 14
Jahre alt - und Monster Mike
Welsh.“
Im Gegensatz dazu kam der
Blues wesentlich langsamer
zum Chicagoer John Belushi.
Wir fragten Judith Belushi,
Witwe des Frontman nach ihren
Erinnerungen.
„Die Geburt der Blues Brothers
geschah meiner Meinung nach
in verschiedenen Phasen. In
der ersten Nacht, wo sich John
und Dan trafen (in Toronto
nach einer Show von Second
City), entdeckten sie, dass sie
neben anderen Dingen beide
Musik liebten - und sie wurden
schnell Freunde. Scheinbar sollen sie sogar erwogen haben,
eine Band zu gründen. Dan
war aber mehr am Blues orientiert, während John nicht viel
vom Blues wusste, dafür aber
mehr für Rock & Roll übrig
hatte. Was zu dem Zeitpunkt
keiner von ihnen erkannt hatte,
war, dass Johns Rock&Roll
Heroes stark vom Blues beeinflusst waren: Chuck Berry, The
Rolling Stones, Erick Clapton
und Cream, The Animals, Led
Zeppelin, Van Morrison, John
37
Lennon.
Spulen wir schnell vorwärts
nach Eugene (Oregon) zu
den Filmarbeiten von „Animal
House“ („Ich glaub, mich
knutscht ein Elch“), der John
Belushi an den Kinokassen in
aller Welt zum Star machte.
Nachdem er eine lokale Blues
Band im Eugene Hotel gehört hatte (zu der der Gitarrist
der Filmband Otis Day and
The Knights“, Robert Cray, gehörte), freundete er sich mit dem
Leadsänger Curtis Salgado an.
Nach den Filmarbeiten kam
Curtis mit wundervollen alten
Bluesplatten in unser Haus.
John und er tauchten tief ein in
die Geschichte und Musikologie
des Blues. Als der Film abgedreht war, hatte John einen
riesigen Wortschatz über und
eine tiefe Leidenschaft für den
Blues.“
Mehr darüber und über die
Wurzeln der Blues Brothers
wird es im zweiten Teil dieser
Artikelreihe geben.
Wasser-Prawda | Mai 2014
38
Musik
H A NS
THEESSIN K : EIN
L EBEN IM BLUES
EIN INTERVIEW VON GARY BURNETT
Hans Theessink ist einer der besten akustischen Bluesmusiker nicht nur in Europa. Gerade erschien
das anlässlich seines 65. Geburtstags entstandene Live-Album „65 Birthday Bash“. Gary Burnett
führte für seinen Blog „Down At The Crossroads“ mit dem in Wien lebenden Niederländer ein
Interview. Die Fotos von Michael Holzinger und Johannes Wahl entstanden im April 2013 während
des Geburtstagskonzertes in Wien.
GB: Hans, Du spielst den
Blues, veröffentlichst Alben
und unterhältst die Menschen
jetzt seit mehr als 40 Jahren.
Wenn man Deine Musik
anhört, dann ist es klar, dass
Du eine tiefe Bewunderung
und Liebe für den Blues hast.
Wie hat das angefangen? Wie
hat es diese Musik geschafft,
eine derartig tiefgehende
Verbindung zu Dir aufzubauen. Besonders für jemanden aus den Niederlanden
nicht aus irgend einem
Südstaat der USA.
Tatsächlich feiere ich in diesem
Jahr schon „50 Years On The
Road“! Meine musikalische
Reise begann, als mein Vater
mir eine Mandoline schenkte.
Ein paar Jahre später bekam
Wasser-Prawda | Mai 2014
ich meine erste Gitarre und
liebte es. Ich mochte die Songs,
die ich zu hören bekam, als der
Skiffle-Wahnsinn Europa befiel.
Aufregende Musik; erst später
lernte ich, dass sie eigentlich Adaptionen von südlichem
Folk und Blues waren (etwa
von Leadbelly). Mir war die
Existenz des Blues als musikalisches Genre unbekannt; ich
liebte es einfach, mit dem herumzuspielen, was ich konnte.
In einer Nacht hörte ich Big Bill
Broonzy im Radio - für mich
eine Offenbarung, die mich
berührte und mir Schauer den
Rücken herunter laufen ließ.
Großartiges Gitarrenspiel und
eine Stimme voller Emotionen.
Big Bill Broonzy schickte mich
auf meine Blues Reise.
Im Laufe der Jahre traf ich eine
ganze Menge Kollegen in verschiedenen Teilen der Welt, die
ein ähnliches Schlüsselerlebnis
hatten. Vielleicht geht es nur
darum, Deine Fühler/Antennen
auszustrecken und auf das
Signal einzustellen! Für ein
Kind aus den Niederlanden war
diese Musik exotisch, neu und
aufregend. Ich nehme an, wenn
du irgendwo im Süden aufgewachsen wärst, dann wäre es
wahrscheinlich eine alltägliche
Sache gewesen. Vielleicht wäre
der Typ von nebenan ein großer
Bluesman gewesen, aber du
hättest nicht soviel davon gehalten, wenn du nicht deine Antenne
ausgefahren und darauf abgestimmt hättest. Natürlich bin
ich durch Mississippi und
Musik
andere Südstaaten gefahren,
um den Blues in seiner originalen Umgebung zu erfahren.
Das war für mich wie der BluesHimmel - ich hab alles in mich
aufgesaugt.
Als ich mit dem Tubaspieler
Jon Sass zu arbeiten begann,
einem afrikanischstämmigen
Amerikaner, sagte er: „Mein
Großvater in West Virginia hat
so gespielt.“ Das war seine
natürliche Familienverbindung,
musikalisch aber hatte er klassischen Unterricht gehabt und
stand mehr auf James Brown,
Steely Dan und Jazz. Der Blues
kam zu ihm zurück über Europa.
So ist es meiner Meinung nach
inzwischen ein Zwei-WegeSystem geworden.
GB: Der Blues entstand im
Kontext der Erfahrungen der
Schwarzen und des Leidens
in den Südstaaten Anfang
des 20. Jahrhunderts. Wie
stark ist Dir das bewusst,
wenn Du die Lieder singst,
die Du singst?
Natürlich stammt der Blues aus
dem Kontext der Farbigen im
Süden, wo Elend und Leiden
zu den täglichen Erfahrungen
gehörten. Aber genau das ist
höchstwahrscheinlich auch
der Grund, warum diese Musik
so dynamisch ist und so viele
Menschen überall anspricht,
die auch ihren Anteil an Sorgen
hatten. Die meisten Menschen
können Kontakt zu einem
Menschen/Musiker herstellen,
der all das Elend durch die Kraft
39
seiner/ihrer Musik überlebt hat.
Die Musik fühlt sich herrlich an
und erreicht jeden, der auch nur
irgendeine Art von Sensibilität
hat. Vielleicht tendieren
Menschen in Europa (und auch
in Nordamerika) zuweilen dazu,
die schwarze Blues Experience
zu romantisieren. Ich hab über
die Jahre eine Menge Old-Timer
des Blues getroffen und mit
ihnen gespielt. Sie alle hatten
eine Sache gemeinsam: Einen
großartigen Sinn für Humor und
ihre eigene Lebensphilosophie
und Lebensweisheit. Es ist
großartig, mit diesen Menschen
zusammen zu sein.
Für alle von ihnen gilt: „Blues is
a feeling“. Es geht nicht um eine
Million Noten, sondern allein um
das Feeling und die Emotion in
Wasser-Prawda | Mai 2014
40
Musik
der Musik. Und ihre Auftritte
waren jederzeit 100%ig. Wenn
Du es fühlen kannst und ehrlich
dabei bist, dann kannst Du es
machen: ob schwarz, gelb oder
weiß, jung oder alt.
Ich bin kein Sharecropper
aus Mississippi oder ein
Baumwollpflücker aus Louisiana
- in Bezug auf diesen Teil der
Blues-Erfahrungen bin ich ein
Ausländer. Aber es gibt viele
andere Bereiche des menschlichen Lebens: Liebe, Tod, Elend,
Freude usw. Die verstehe
ich sehr wohl als allgemeine
menschliche Erfahrungen. So
hab ich ene Menge Dinge, über
die ich aus meinen eigenen
Erfahrungen singen kann.
Und ich ich nutze das Vehikel
Country-Blues als musikalische
Wasser-Prawda | Mai 2014
Kunstform. Ich liebe den Klang
des Blues einfach. Er erinnert
mich an die Zeit, als ich ein
Kind war und Big Bill Broonzy
im Radio hörte - für mich eine
Schlüsselerfahrung - und so
nehme ich an, dass ich einfach
die Musik mache, die ich liebe
und habe Spaß dran. Seit
den frühen Neunzigern habe
ich mit Terry Evans, einer
der großen amerikanischen
Stimmen, zusammengearbeitet. Er stammt aus Vicksburg
(Mississippi) und ist alt genug,
um tatsächlich Erfahrungen im
Baumwollpflücken zu haben.
Auf unserem letzten Duo-Album
„Delta Time“ sang Terry eine
ergreifende Version von J.B.
Lenoirs „Down In Mississippi“,
dass die Zuhörer überall auf der
Welt zum Schweigen bringt: Die
Menschen spüren die Wahrheit
und den Druck von harten
Zeiten und des Vorurteils, von
dem der Song erzählt.
GB: Wie oft kannst Du in den
Vereinigten Staaten spielen
und wie hat man Dich dort
aufgenommen?
Einige meiner früheren
Aufnahmen waren in den späten
80ern auf dem Flying Fish Label
in Chicago herausgekommen.
(Unglücklicherweise stoppte
Flying Fish seine Aktivitäten
nach dem unerwarteten Tod
des Labelchefs Bruce Kaplan.)
Diese Platten machten einigen
Eindruck und ich bekam wirklich gute Rezensionen, die
zu Einladungen von Clubs
Musik
und Festivals in Nordamerika
führten. Seit der Zeit bin ich
regelmäßig dorthin gefahren.
Die Aufnahme war immer sehr
gut, und für mich war es ein
echter Bonus, einen amerikanischen Musikstil über Europa
zurück in die USA zu bringen.
Auf dem New Orleans Jazzfest
und beim Chicago Blues Festival
zu spielen waren Highlights und
eine wundervolle Erfahrung für
mich.
GB: Wenn Du Dich umschaust:
Wie gesund ist der Blues in
Europa sowohl im Blick auf
die auftretenden Künstler
als auch auf den Appetit der
Zuhörer?
Ich glaub, er schaut ziemlich
gesund aus. Vielerorts haben
41
sich Blues-Gesellschaften etabliert und sind gut darin, die
Neuigkeiten zu verbreiten.
Auch scheinen viele jüngerer
Musiker vom Blues oder einer
bluesbasierten Musik angezogen zu werden. Es gibt ein
Publikum hier, besonders wenn
Du - wie ich - über die Jahre
eine Fanbasis aufgebaut hast.
Junge Musiker könnten das
wahrscheinlich ein wenig härter
finden, sich einen Namen zu
machen. Meine Art von akustischer Musik zieht ein Publikum
an, das aufmerksam zuhört. Die
Musik steht im Mittelpunkt - sei
es in kleinen intimen Clubs oder
auf großen Festivals.
Musik und Dein Gitarrenspiel
nennen könntest - gibt es
da einige, die besonders
herausstechen?
Es gibt so viele, aber ich sollte
wahrscheinlich Broonzy erwähnen, Mississippi John Hurt,
Yank Rachell (Mandoline),
Sleepy John Estes, Fred
McDowell, Brownie McGhee,
Mance Lipscomb, Blind Willie
Johnson… Ich hatte das
Vergnügen mit Yank Rachell,
Honeyboy Edwards, Louisiana
Red, Champion Jack Dupree,
John Jackson, Sam Chatmon,
Odet ta, Wilsson Picket t,
Luther Allison, Bo Diddley, Son
Thomas, Taj Mahal, Henry
Townsend (um nur einige zu
GB: Ich bin sicher, dass Du nennen) Zeit verbringen und
viele Einflüsse auf Deine mit ihnen spielen zu dürfen.
Wasser-Prawda | Mai 2014
42
Musik
Ich glaube, sie haben mich alle
mehr in Bezug auf das Feeling
und das Verständnis der Musik
als in Sachen Gitarrenlinien
und Noten beeinflusst. Aber
natürlich nimmst Du links und
rechts Dinge auf. Ich hab mir
das Spielen selbst beigebracht. Und Spielen zu lernen
war nicht einfach im Osten
Hollands in den frühen 60ern
- keine Lehrer, Bücher oder
Videos. Brownie McGhee war
der erste Bluesman, den ich live
im Konzert sah. Ich saß in der
ersten Reihe und schaute aufmerksam darauf, was er machte
- meine Einführung ins FingerPicking: Daumen + 2 Finger.
Ganz plötzlich war ich in der
Lage, einige Dinge hinzubekommen, ein echter Augenöffner,
der mir die Richtung zeigte.
GB: Bei Dir sieht das
Gitarrenspiel immer so leicht
und ohne Anstrengung aus.
Kannst Du aufstrebenden
Akustikblues-Spielern irgendeinen Rat geben?
Spielen, spielen, spielen - das ist
alles, was ich sagen kann. Geh
los und schau anderen guten
Pickern beim Spielen zu und
musiziere mit anderen Leuten.
Wenn Du engagiert bist und
die Musik und Dein Instrument
liebst, wird sich eines Tages
alles zusammenfügen.
GB: Glückwunsch Hans zu
Deinem Album „Wishing
Well“. Die Hälfte des Albums
sind traditionelle Songs, die
andere sind Deine eigenen
Kompositionen, von denen
einige (wie „Early This
Morning Blues“) wie traditionelle Bluessongs klingen.
Erzähl uns was über Dein
Songschreiben, ist das etwas,
Wasser-Prawda | Mai 2014
Hans Theessink & Meena Cryle
was Dir einfach, wie natürlich,
zufällt?
Eigentlich hab ich schon ein
weiteres Album rausgebracht:
„65 Birthday Bash“, live aufgenommen 2013, veröffentlicht im
April 2014!
„Wishing Well“ ist aus dem
letzten Jahr und ein ziemlich entspanntes Album. Es sind Lieder,
die mich in meiner musikalischen Karriere begleitet haben.
Brownie McGhees „Living With
The Blues“ etwa schnappte ich
auf, als ich Brownie bei meiner
ersten Erlebnis mit Live-Blues
sah. Oder „Wayfairing Stranger“
hab ich zuerst von Johnny Cash
gehört in der Gaderobe vor
einem Konzert - ich war damals
der Support Act. Songschreiben
ist bei mir fast eine natürliche
Angelegenheit. Ich schreibe
nicht die ganze Zeit. Aber ich
hab warscheinlich 3-400 Songs
über die Jahre komponiert. Und
immer, wenn ich eine gute Idee
oder eine besondere Erfahrung
habe, die eines Liedes würdig
ist, fang ich an. Ich glaub, das
ist ein guter Weg, um seinen
eigenen Ausdruck zu finden.
Ich hab ein paar Texte beigelegt: „Big Bill‘s Guitar“ (darüber,
wie ich Broonzy hörte und in
Chicago seine Gitarre spielte)
und „Mississippi“ (geschrieben
nach meinem ersten Trip in den
Bundesstaat.
GB: Wenn Du Gospel-Blues
Songs oder Lieder mit geistlichem Inhalt spielst oder aufnimmst, scheinst Du richtig
zu Hause zu sein. Dein Album
„Jedermann“ ist voll von
solchen Songs, sei es „Satan
Your Kingdom Must Come
Down“ oder „Sinner Man“
oder auch „Way Down in the
Hole“. Auch haben einge der
Stücke von dem gemeinsamen
Musik
Album mit Terry Evans ein
Gospelfeeling, nicht nur
„Heaven‘s Airplane“. Wie
passen diese Lieder insgesamt ins Bluesgenre? Und
wie gut kannst Du Dich mit
ihnen identifizieren?
Musikalisch ist das mehr oder
weniger das gleiche Idiom und
beide sind eng verwandt. Der
Gospel nimmt „Gott“ oder „The
Lord“, wo der Blues „My Baby“
verwendet - nur als Beispiel.
Bluesmen wie Fred McDowell
haben das gleiche musikalische
Vehikel genommen, um sowohl
Material im Gospelstil als auch
Blues zu singen und zu spielen.
Ich mag beim Gospelsound
besonders den Gesang mit
seinen Emotionen und den
großartigen Harmonien und
der Spiritualität. Besonders auf
unserem letzten gemeinsamen
Album „Delta Time“ wurden
wir neben Ry Cooder an der
Gitarre von Willie Greene und
Arnold McCuller unterstützt.
43
Mit ihren großartigen GospelBlues-Stimmen bekamen wir
einen vom Gospel inspirierten
Sound. Terry, Arnold und Willie
haben alle in ihrer Kindheit in
Kirchen gesungen und wissen,
wie sie ihre Stimmen um einen
Song herumwickeln. Trotzdem
versuchten wir keinen religiösen Standpunkt einzunehmen, wir hatten nur Freude
am gemeinsamen Singen. Und
das passt meiner Meinung nach
gut zum Blues. In meiner Band
arbeite ich mit drei Sängern aus
Simbabwe - das ist ein ähnliches Ding: reiche Harmonien
mit einem afrikanischen Twist.
Für mich ist die menschliche Stimme das großartigste
Instrument und mit anderen zu
singen ist eine inspirierende und
wundervolle Erfahrung.
Da s A lbum „ Jederma nn
Remixed“ ist mit seinem geistlichen Inhalt wesentlich spezieller. Ich wurde gefragt, den
Soundtrack zu diesem Film zu
machen, der auf einem mittelalterlichen Lehrstück beruht, wo
der Kampf zwischen Gut und
Böse, Gott und dem Teufel eine
große Rolle spielt.
Birthday Bash zum 65. von
Hans Theessink trafen sich so
unterschiedliche Musikerinnen
und Musiker wie Ernst Molden,
Willi Resetarits, Schiffkowitz,
Champagne Charlie, Knud
Møller, Meena Cryle und Chris
Fillmore.
Ein Abend zwischen Blues
und Folk, Country und Wiener
Liedern war das, was die
Besucher am 5. April im Wiener
„Metropol“ erleben konnten.
Hans Theessink - 65 Birthday
Hans Theessink spielte Lieder
Bash
aus seiner mittlerweile 50jähriWenn ein Musiker so viele gen Bühnenkarriere, ob eigene
Jahre lang unermüdlich seine oder sich zu Eigen gemachte
Musik spielt und damit zahlrei- zwischen Woody Guthrie,
che Kollegen beeinflusst, dann Johnny Cash und den Rolling
kann ein Geburtstagskonzert Stones.
schon zu einer sehr bunten Man fühlt sich zurückversetzt
Veranstaltung werden. Beim in die Zeit des Folkrevivals: Da
sitzen Musikerinnen und Musiker
mit ihren Instrumenten auf der
Bühne, erzählen Geschichten
und bringen das Publikum
zum Mitsingen. Für mich am
Überraschendsten an dem
Album: Wie gut Theessink mit
der „The Valentinos“ genannten Band harmoniert. Ich hätte
kaum erwartet, dass Meena
Cryle und Chris Fillmore auch im
Bereich des akustischen Blues
so gut sein könnten. Und die
düster dahin groovende Version
von „This Train“ mit deutschem
Text „Der Zug“.
Ein schönes Geburtstagsalbum,
dass man auch als Einstieg in
das musikalische Werk von
Hans Theessink nur empfehlen kann.
Raimund Nitzsche
GB: Zum Schluss: Was hält
2014 für Dich noch bereit?
Ich hatte gerade (am 5. April)
meinen 66. Geburtstag, wo wir
zwei großartige „Birthday Bash“
Konzerte mit mir und musikalischen Freunden in Wien hatten,
wo ich wohne. Ich versuche,
ein wenig weniger zu arbeiten,
wenn ich älter werde, kann aber
schlecht „Nein“ sagen und spiele
noch immer viele Konzerte in
ganz Europa in diesem Jahr.
Ich mach viele Solo-Gigs, aber
auch Auftritte im Duo oder mit
Band. Das hält es interessant
und abwechslungsreich. Für
dieses Jahr hab ich keine Pläne
für Nordamerika, aber vielleicht
komme ich 2015 wieder rüber.
Wasser-Prawda | Mai 2014
44
Musik
D I E MOJO
B LUES B A ND
IM GESPRÄCH MIT ERIK TRAUNER
Eher seltene Gäste in Deutschland sind wohl die Mojo Blues Band um den Gründer Erik Trauner
herum. Am 15. März ergab sich bei der dritten Puchheimer Musiknacht die Gelegenheit, Erik zur
Mojo Blues Band und dem Blues in Europa zu befragen. Natürlich waren auch ein paar Fragen an
den Organisator der Musiknacht Peter Krause aka Peter Crow C fällig. Interview: Mario Bollinger.
Fotos: Christophe Rascle.
Seit 1977
spielt die Mojo
Blues Band in
verschiedenen Besetzungen den Blues. Damals
waren sie die einzige
Bluesband in Wien und
wurden daher immer
wieder als Begleitung für
tourende Musiker aus
den Staaten verpflichtet.
Diese haben dann auf
vielen Alben der Band
als Gäste mitgewirkt.
Die aktuelle Besetzung:
Erik Trauner (voc, g,
mharm), Siggi Fassl (voc,
g), Charlie Furthner (p),
Didi Mattersberger (dr),
Herfried Knapp (b).
Wasser-Prawda | Mai 2014
Musik
Für einen Redakteur gibt es
keinen besseren Glücksfall, als
mit Erik Trauner zu reden, da
er auf eine langjährige, internationale und absolut authentische Erfahrung zurückblickt
und diesen Erfahrungsschatz
auch gerne teilt. Dazu gehört
auch, das Erik sich nach dem
Konzert dem Publikum abseits
der Bühne stellt, Fragen beantwortet und sich mit den Fans
fotografieren lässt.
Leider hört man die MBB sehr
selten in Deutschland, was
Erik damit begründet, dass
sich die Band selbst managt
und somit sich auch um alles
kümmern muss. Sie haben
kein Vorortmanagment und
sind daher auf Eigeninitiative
oder Ak tionen wie Peter
Krauses Bluesnacht angewiesen. Erik betont, dass sie jederzeit Einladungen annehmen
möchten, wenn der Rahmen
passt. Auf die Frage hin, warum
selbst in Wikipedia die neue
CD nicht gelistet ist, entschuldigt sich Erik und erzählt, dass
er sich seit einiger Zeit von
Plattformen wie Facebook fernhält und selbst noch über 500
SMS unbeantwortet lassen
musste. Er fühlt sich ein bisschen in der Bringschuld, aber
momentan geht es nicht anders.
Der in der Öffentlichkeit laut
gewordenen Vorwurf an die
Presse, dass das Bluesgenre
und damit auf die Aktivitäten der
MBB ins Hintertreffen geraten,
bejaht Erik Trauner. Die verantwortlichen Redakteure hätten
einfach heute nicht mehr die
Freiheit, Akzente in der kulturellen Berichterstattung zu setzen.
Nach seiner Erfahrung ist das
Verhalten der Großpresse
völlig widersprüchlich zum
Besucherverhalten der Fans
bei den Konzerten. Wie auch
die 3. Bluesnacht in Puchheim
sind viele Konzerte ausverkauft.
Die neuen Medien wie OnlineMagazine oder Internet Radios
werden von Erik Trauner derzeit
nicht intensiv genug angesprochen, weil er sich nach einer so
langen Karriere diesen Medien
nicht aufdrängen muss.
45
Mario Bollinger im Gespräch
mit Erik Trauner und Peter
Crow C
Die neue CD „Walk the Bridge“
kam 2013 raus. Somit waren es
im neuen Jahrtausend lediglich
4 Veröffentlichungen der MBB.
Darauf angesprochen, lachte
Erik Trauner und meinte, so hat
er das noch gar nicht betrachtet. letztendlich möchte sich
die Band aber auch nicht dem
Druck aussetzen, regelmäßig
CDs zu veröffentlichen. Man
muss ja auch was zu erzählen
haben, wenn man veröffentlicht.
Letztendlich sei sein Herzinfarkt
ja auf Grund der Überlastung
in dieser Zeit passiert. Erik hat
sich da nach eigenen Angaben
etwas zu viel zugemutet.
Wenn man nun den Titel „Walk
the Bridge“ betrachtet, drängen
sich Schlüsse auf, auch wenn
der Titel Monate vor dem
Wasser-Prawda | Mai 2014
46
Musik
Ereignis gemacht wurde. Aus
den angebotenen Alternative
„Übergang Tod“, „Übergang
zu einem neuen Leben“ oder
„Abschied von alten Suchten
und Gewohnheiten“ entschied
sich Erik für das Letztere, was
man deutlich an seinem gesunden Äußeren sieht, auch wenn
er sich immer noch das Bier
genehmigt oder gönnt. Als
Erik Trauner kurz nach dem
Aufenthalt im Krankenhaus
sich öffentlich zu Wort gemeldet hat, klang das sehr nach der
Aussendung von Warnsignalen
an Freunde, um dem gleichen Schicksal zu entgehen.
Erik Trauner entkräftete diese
Meinung, weil er eigentlich nur
allen Freunden und Bekannten
auf einfache Art und Weise
sagen wollte, dass es ihm gut
geht und wie das Ganze passiert ist. Dass sich viele Freunde
das trotzdem zu Herzen genommen hatten und sich kardiomäßig untersuchen ließen, war
eine unbeabsichtigte, aber
erfolgreiche Konsequenz aus
seiner Offenheit.
WP: Ist eine neue CD in
Planung?
Erik möchte gerne eine Solo CD
machen und dazu, wie derzeit
sehr oft praktiziert, Freunde
des gemeinsamen Wegs einladen. Das Ganze minimalistisch in Mono oder maximal
mit 2 Mikrofonen aufgenommen. Neben der MBB ist Erik
Trauner noch mit einem akustischen Blues Duo unterwegs.
nicht möglich):
Petra Toyfl/Gesang: nomen est
omen? Nein, die Petra ist die
Schwester des Ex-Gitarristen
der MBB und somit der Band
seit langer Zeit verbunden.
Lilli Kern/Gesang: Sie war
eine wunderbare Ergänzung
zu Petra Toyfl und ist uns
i n d e r M u s ik s zen e a l s
Crossoversängerin aufgefallen.
Martina Kucera/Gesang: Sie ist
eigentlich keine Bluessängerin
im herkömmlichen Sinne,
sondern kommt aus dem
Singer/Songwriter-Bereich und
hat eine faszinierende und ausdrucksstarke Stimme.
Paul Chuey/Bra s s: Ka m
durch Zufall zur Band, weil er
wegen eines künstlerischen
Engagement seiner Frau in
Wien war und eigentlich ein
WP: Auf der CD „Walk the ausgestiegener Rechtsanwalt
Blues“ sind 4 Gastmusiker ist. Leider ist er inzwischen
zu hören. Ich bat Erik Trauner, wieder zurück in den USA.
jeden Musiker mit einem
Satz vorzustellen (Was per Als sich dann Peter Crow
Definition bei Erik Trauner C dazugesellt, konzentriert
Wasser-Prawda | Mai 2014
sich das Gespräch auf die
Puchheimer Bluesnacht, derer
Initiator Peter Crow C ist. Sie
findet nun zum dritten Mal statt,
an diesem Abend eben mit
dem Headliner, der Mojo Blues
Band aber eben auch mit Peters
Duoformation Black Patti, einer
Rootsbluesformation mit Ferdi
„Mr. Jelly Roll“ Kraemer. Bei den
anderen beiden Bluesnächten
waren u. A. Abi Wallenstein,
die beiden Hambones Henry
Hegen und Micha Maass und
die beiden Brüder Schorsch und
Dr. Will Hampel zu hören.
Obwohl die Bluesnacht immer
ausverkauft ist, bemängelt
Peter Crow C das öffentliche Interesse der Medien an
solchen Spektakel. Er haut
damit in die gleiche Kerbe, die
bereit Erik Trauner aufgeschlagen hat. Die öffentliche Presse
besitzt nach Eriks Meinung nicht
mehr die Eigenständigkeit und
Dynamik, um auf solche kulturellen Ereignisse, die nicht im
Mainstream oder Fokus stehen,
einzugehen. Peter Crow C entschuldigte sich aber auch
Musik
47
man sofort hopp, wenn es den
Leuten gefällt, aber ebenso
verschwindet man schnell in
der Gleichgültigkeit. Ein sehr
schwerer Akt als Musiker, hier
die Spannung zu halten.
gleich dafür, die neuen Medien
wie online Magazine oder
Internetradios nicht genügend
anzusprechen oder einzubinden. Peter Crow C ist regelmäßig im Münchner Alfonso‘s, demnächst aber ab mit Black Patti
ab dem 1.5. auf dem Kemptener
Jazzfrühling mit dem Bassisten
Uli Lehmann zu hören. So ganz
nebenbei hat Peter Crow C noch
einen Workshop in Kroatien
organisiert, um Gitarristen und
Harpern das richtige Gefühl für
Timing beim Spielen zu geben.
Pünktlich um 20 Uhr steigen
Peter Crow C und Mr. Jelly
Roll als Black Patti die Bühne.
Das Duo macht Roots Blues
und kombiniert auf phantastische Weise akustische Gitarren
und den Mandolinensound
von Ferdi Kraemer. Da die
Mandoline nicht das typische
Bluesinstrument ist, drängen
sich erst mal akustische Bilder
wie italienische Volksmusik auf.
Ferdi widerlegt das aber. Mit
seiner Mandoline setzt er einen
emotionalen Gegenpol zu Peter
Crow C und seinen Slide- und
Resogitarren. Auch Johnny
Winter verwendete in seinem
Song „Bad Luck and Trouble“
auf der LP „Progressive Blues
Experiment“ die eher seltene
Mandoline.
Das verhaltene Puchheimer
Publikum der älteren Generation
quittiert diese spannende und
mit Stomprythmus unterlegte
Musik mit Tanzeinlagen auf
den Durchgängen. Die beiden
Musikern spielen dann Blues
und Spirituals und Songs aus
der Feder von Sonny Terry and
Brownie McGee. Immer wieder
unterstreicht die Mandoline von
Ferdi Kraemer die Traurigkeit
des Blues. Im Laufe des
Auftritts kommen gelegentlich
die Musiker der MBB dazu, um
an Bass oder Piano auszuhelfen. Trotz der wirklich witzigen
Unterhaltung von Peter Crow
C lässt sich aber weiterhin das
Publikum nur schwer aus der
Reserve locken. Hängt das
vielleicht am Phänomen „Blues
und Alter“? Eine Tatsache, die
Erik Trauner auch bereits im
Vergleich zu amerikanischem
Publikum erwähnt hat. Dort ist
Dann steht der Headliner auf der
Bühne. Die Mojo Blues Band
aus Österreich gibt sich die
Ehre. Und sie spannt einen ganz
weiten Bogen, der musikalisch
aus der eigenen Vergangenheit
über Sonny Boy Williamson zu
T-Bone Walker und natürlich
zur neuen CD „Walk the Blues“
führt. Wie bereits oben erwähnt
ist Erik Trauner ein Füllhorn voll
Erfahrungen und Geschichten
um den Blues. So erzählt er die
Geschichte über den Whiskey
der Schwarzbrenner, der nachts
bei Mondschein gebrannt wird
und daher Shine heißt und über
die falschen Freunde Johnny
Walker und Jack Daniels. Nach
Boogienummern wie „I ain‘t
funny that way“ kann ich immer
noch nicht verstehen, wie 230
Zuhörer auf den Stühlen förmlich festgeklebt sein können.
Erik Trauner berichtet von der
Cajun Music und von seinem
Lieblingsmusiker Clifton Chenier
und dem Song „I‘m coming
home“ der neuesten CD. Hier
spürt man New Orleans Sound,
den Swamp Blues aus den
Sümpfen am Mississippi und
dem Zydeko, also der Musik,
die vertriebene Franzosen nach
Louisiana gebracht haben.
Eine weitere Geschichte, die
Erik Trauner zum Besten gibt,
handelt von einer einsamen
Radiostation in Greenwood
im Mississippi-Delta, wo er
den lokalen DJ kennenlernte
und ihm aushelfen musste.
Bei der folgenden Nummer
spannte Trauner den Bogen von
Wasser-Prawda | Mai 2014
48
Musik
akustischen Delta Blues hin zum
elektrifizierten Chicago Blues,
genau so, wie ihn die Musiker
damals vom Mississippi nach
Chicago transportiert haben.
Und dann ist da noch die amüsante und unterhaltsame
Geschichte über das Huhn, das
sich am Bahndamm verlaufen
hatte und mit dem heranrasenden Zug kollidierte; Großartig,
wie Trauner diese Tragödie
mit seinem Slide-Gitarrenspiel
untermalte.
Zum Schluss dieses phantastischen Abends treffen sich die
Mojo Blues Band und Black
Patti noch mal auf der Bühne,
um in einer Jamsession zusammen den Blues zu zelebrieren,
den die beiden Formationen auf
die jeweils sehr persönliche Art
repräsentieren: Roots Blues von
Black Patti und den Delta Blues
der Mojo Blues Band.
Wer das Konzert verpasst hat: Am
26.09.2014 tritt die Mojo Blues
Band im Veranstaltungsforum
Fürstenfeld in Fürstenfeldbruck
auf. Am 25. und 25. Oktober ist
sie in der Stacher Musikbühne
in Staudach-Egerrndach zu
erleben.
Wasser-Prawda | Mai 2014
Musik
49
DET R OIT CITY
BL UES
IM GESPRÄCH MIT HOWARD GLAZER
Detroit City: Jimmy Thackery singt über „Detroit Iron“, Albert King setzt der „Cadillac Assembly
Line“ ein musikalisches Denkmal, John Lee Hooker verbrachte Jahre seines Lebens in der Motor
City. Und Motown erfand seinen ganz eigenen Sound. Und auch Mitch Ryder erzählt auf Tourneen
immer von seiner Heimatstadt Detroit, der Stadt so großartiger Bluesmusiker wie Big Maceo, Eddie
Burns, Johnny Bassett und vieler mehr. Das ist vorbei. Detroit hat sich über die Jahre verändert.
Die stolze Stadt der Schwer- und Autoindustrie ist bankrott, das Leben ist hart, aber der Blues ist
noch immer da. Wir hatten das Vergnügen, Detroits derzeit besten Bluesgitarristen zum Interview
zu treffen. Howard Glazer ist ein großer Mann in seinen besten Jahren. Er hat lange blonde Haare
und ein gewinnendes Lächeln. Die Fragen stellte Bernd Kreikmann.
Wasser-Prawda | Mai 2014
50
Musik
WP: Vielen Dank, dass Du
unseren Wunsch nach einem
Interview akzeptiert hast,
Howard.
Es ist mir ein Vergnügen, ich bin
sehr froh, mit Dir zu reden.
WP: Wie fühlst Du dich ein
paar Tage nachdem Du den
Detroit Blues Award bekommen hast?
Ich bin noch immer sehr überrascht. Aber natürlich ist das
eine große Ehre. Ich hatte
mich gegen einige sehr gute
Spieler von Weltklasseniveau
durchgesetzt! Eine sehr heftige
Konkurrenz. Leute aus der
Musik-Community in Detroit
schlagen online vor, wer nominiert werden sollte. Dann gibt es
ein Online-Voting, wer letztlich
Wasser-Prawda | Mai 2014
nominiert wird. Und eine weitere
Online-Abstimmung sucht dann
die Gewinner heraus. Eigentlich
(so scheint es mir zumindest)
ist das ein sehr komplizierter
Prozess. Aber klar: Ich bin sehr
stolz und geehrt!
WP: Das war sicher eine
große Party?
Ja, die Party war großartig, ich
konnte nicht zu lange bleiben,
weil ich am Samstagmorgen
um 11 Uhr einen Gig hatte.
Aber alles ist gut! Ich hatte viel
zu tun mit Gigs und Aufnahmen
seit den Awards.
WP: Howard, Du wurdest
geboren und aufgezogen in
Detroit City - ich nehm mal
an, dort schauten alle nach
gut bezahlten Jobs in der
Autoindustrie. Du bist beim
Blues gelandet. Wie konnte
das passieren?
Ich hab das mit dem Blues nicht
geplant, nur das mit der Musik.
Meine beiden Eltern waren
Musiker. Mein Vater war professioneller Saxophonist bei
Don Pablo & His Orchestra und
meine Mutter unterrichtete Musik
in Schulen von Detroit. Ich sah
immer, wie mein Vater im Anzug
mit seinem Saxophonkoffer zu
den Gigs loszog und dachte
bei mir: Wenn ich groß bin,
will ich auch zu Gigs gehen.
Du kannst also gerne sagen,
dass ich schon von einem sehr
jungen Alter an mit Musik infiziert war. Als ich meine ersten
Gigs hatte, war ich glaube ich
Musik
etwa 11 Jahre alt.
WP: So bist Du also ein Kind
von Rock und Blues seit
frühen Tagen?
Ich wuchs in den 60ern mit
Rock auf. Mein älterer Bruder
Steve brachte mich auf lokale
Detroiter Bands ebenso wie auf
die britischen Bluesbands und
Johnny Winter. Er brachte mir
auch „Hooker & Heat“ (John
Lee Hooker with Canned Heat)
nahe. Das ist ein Doppel-Album,
auf dessen erster Scheibe John
Lee Hooker hauptsächlich
Solo spielt und verschiedene
Bandmitglieder von Canned
Heat einsteigen. Bis heute hört
sich dieses Album für mich großartig an, besonders die erste
Platte mit viel Solo-Musik von
Hooker… Aus vielen Gründen
war die Platte für mich sehr
bedeutend. Einer war, dass ich
mit 10 oder 11 Jahren niemanden finden konnten, mit dem ich
Musik spielen konnte (jedenfalls nicht auf meinem Level).
So hörte ich immer wieder, wie
John Lee Hooker solo spielte
und versuchte, in dem Stil
zu spielen. Bis heute mache
ich viele Soloauftritte und ich
denke, dass all das Hören auf
Hooker geholfen hat!
Johnny Winter war immer einer
meiner liebsten Gitarristen,
Johnny und auch Kim Simmonds
(Savoy Brown). Durch Johnny
kam ich zu Muddy Waters,
Sonny Terry … und das wiederum führte zu Howlin Wolf …
und so geht es immer weiter. Ich
bin so glücklich, dass sowohl
Johnny Winter als auch Kim
Simmonds noch immer gut
dabei sind!
51
Du von der deutschen BluesKultur denkst.
Über die deutsche Blues-Kultur
würd ich gern mehr lernen. Es ist
lange her, seit ich in Deutschland
war. Wir spielten beim Dresdner
Blues Festival und einige BarGigs. Ich hatte die Ehre, ein
Set in Ulm mit Louisiana Red
zu spielen. Das war großartig.
Ich war in Ostdeutschland, aber
jeder, den ich traf, schien ziemlich auf Blues zu stehen!
WP: Hast Du Pläne, in Europa
zu touren und beim nächsten Mal speziell auch in
Deutschland? Vielleicht mit
Deiner eigenen Band, um
Dein letztes Album „Stepchild
To The Blues“ zu promoten,
das ein großer Erfolg ist?
Ich würde gerne in Deutschland
und Europa Konzerte mit meiner
eigenen Band geben, um
„Stepchild of the Blues“ vorzustellen. Zur Zeit arbeite ich an
einer neuen CD. So hab ich vielTeil der Welt schon auf leicht, wenn ich komme zwei
Tour warst. Was sind Deine neue Alben vorzustellen … auf
Eindrücke von Tourneen in jeden Fall aber „Stepchild“.
Europa?
Ich liebe es, in Europa auf WP: Du hast erwähnt, dass
Tour zu sein. Ich hatte groß- man ich Griechenland eine
artige Zeiten, lustige Gigs und Custom Gitarre für die baut?
hab viele nette Menschen Ja, darauf freue ich mich schon
getroffen. Ich war noch nicht sehr. Ich hoffe, dass ich sie
in allen Teilen Europas, aber rechtzeitig bekomme, um sie
immerhin in einigen Ländern: nach Finnland mitzunehmen
D e u t s c h l a n d , F i n n l a n d , und auf meiner neuen CD
Großbritannien, Italien, Schweiz, zu spielen. Olympus Custom
Schweden, Holland, Norwegen, Guitars hat angeboten, mir ein
Dänemark, Lettland, Polen, Instrument zu bauen. Wir haben
der Tschechischen Republik, bei einigen zusammengearbeiSlowakei und Griechenland. tet und unter anderem vereinIch hoffe, ich hab da nieman- bart, dass es eine halbresonante Gitarre wird. Ich freu mich
den vergessen!
wirklich drauf, sie zu spielen, zu
WP: Es ist beeindruckend, WP: Unsere deutschen Leser sehen und zu hören. Sie wird
dass Du in einem so großen würden gerne wissen, was großartig klingen!
Wasser-Prawda | Mai 2014
52
Musik
WP: Erzähl uns doch bitte
wenn Du magst ein wenig
mehr über Deine Pläne. Ist
Detroit heutzutage der richtige Ort für einen erfolgreichen Bluesman?
Meine Pläne? Ich plane, neue
CDs zu veröffentlichen und
meine Karriere voranzubringen. Ich würde wirklich gern
mehr in den USA und außerhalb auf Tour gehen. Und wenn
Du tourst, ist es nicht wichtig,
wo Du herkommst. Ist es der
richtige Ort … wer kann jemals
sagen, ob es der richtige Ort ist?
Wer hätte jemals gedacht, dass
eine Band aus Liverpool es so
weit bringen würde, wie sie es
geschafft hat. Ich habe Familie
und meine Wurzeln hier. Ich
mag es hier. Ich will nur mehr
auf Reisen gehen…
WP: Deine Bindung an Detroit
Wasser-Prawda | Mai 2014
ist beeindruckend, Howard.
Ist es nicht schwer als ein
Bluesmusiker in einer Stadt
zu überleben, die bankrott
ist?
Ja, das ist es … aber wenn Du
nicht auf Tour bist und dabei
wenigstens halbwegs gut
bist, ist es überall schwer, als
Bluesmusiker zu überleben.
WP: Vielen Dank, dass Du Dir
die Zeit genommen hast, uns
dieses Interview zu geben.
Ich freu mich drauf, dich
schon bald auf den Bühnen in
Deutschland und Europa zu
sehen. Alles Gute für Deine
Tour durch Skandinavien und
Deine Pläne überhaupt.
Kein Problem! Jederzeit gerne
wieder! Ich freu mich schon sehr
drauf, Dich bald in Deutschland
und Europa zu sehen (sehr
bald, denke ich!). Vielen Dank
auch für die Wünsche zur
Skandinavien-Tour, die wird
sicher lustig. In Finnland spiele
ich zusammen mit einer Band
namens The Lazy Moose.
Unser letzter Auftritt wird beim
10jährigen Geburtstag des
Kaavi Blues Festivals sein. Das
wird schon das dritte Mal, dass
ich auf diesem Festival auftreten werde.
Album des Monats
53
PASS OVER
BL UES : THE …
ALBUM DES MONATS MAI 2014
Meist lyrisch verhalten, mal knurrig
rockend, ab und zu durchaus
auch witzig - aber immer einzigartig. Pass Over Blues gehören
in der deutschen Bluesszene
für mich mit zu den besten
Geschichtenerzählern. Zehn neue
Songs aus der Feder der Musiker
um Gitarrist Roland Beeg und
Sänger/Harpspieler Harro Hübner
finden sich auf ihrem einfach „the
…“ betitelten Album. Hinzu kommt
das Cover von „My Guitar Gently
Weeps“, was die Band schon
früher veröffentlichen wollte, von
den deutschen Rechteinhabern
aber keine Genehmigung erhielten. Doch dann legten Harrisons
Erben Einspruch ein und wollten,
dass diese Fassung veröffentlicht
wird.
Es sind die kleinen und die großen
Dinge, die einem jeden Tag zu
denken geben. Hat man einen
Fehler gemacht, als man loszog?
Ist sie wirklich die Eine, ohne die
nichts mehr geht im Leben? Da
sitzt man dann da, trinkt was und
singt den Blues. Oder man ist in
Gedanken schon dabei, sich auf
seine letzte Reise vorzubereiten und hofft, dass der Tod ohne
Schmerzen und Schwierigkeiten
kommen wird. Aber trotz aller
Schwierigkeiten ist es ein gutes
Leben. Man kann sich eigentlich
nicht beklagen.
Genau solche Geschichten, persönliche, politische, poetische oder
auch romantische sind es, die für
mich den eigentlichen Reiz am
Blues heute ausmachen. Nur wenn
ich eine innere Beziehung zum
Künstler aufnehmen kann in seiner
Musik, wenn ich dir Erlebnisse und
Beobachtungen nachvollziehen
kann, dann erreicht mich die Musik.
Es geht nicht um die Noten, um
die Technik. Es geht im Blues und
Soul noch immer um Feeling, um
Ehrlichkeit und Risikobereitschaft.
Die Songs kommen teils folkig daher
mit akustischen Instrumenten,
teils funkig oder auch als grad
aus gespielter elektrischer Blues.
Die knarzige Stimme von Harro
Hübner kann die Stimmung von
melancholisch bis humorvoll ohne
Brüche variieren. Und seine Harp
trifft immer die richtigen Klänge
dazu. Dazu kommen die immer
zielsicheren Rhythmen von Lutz
Mohri und Michiel Demeyere und
bei Bedarf noch die Hammond von
Andy Geyer, eine singende Säge
und ab und zu auch ein Akkordeon.
Produziert wurde das live im Studio
eingespielte Album von Roland
Leisegang (ex Keimzeit).
Wer Songs von Songschriebern
wie Timo Gross oder Richard
Bargel mag, von Richard Townend,
Greyhound George oder auch von
“Sir” Olliver Mally, der sollte das
neue Album von Pass Over Blues
unbedingt anhören. Es dürfte ihm
gefallen. Allen anderen sei gesagt:
“the …” ist 2014 für mich eines
der besten Alben aus deutschen
Landen bisher. Erhältlich ist die im
eigenen Sinnstift-Verlag erschienene CD über passoverblues.de
Raimund Nitzsche
Wasser-Prawda | Mai 2014
54
P L AT T E N
DIE REDAKTION
EMPFIE HLT
MAI 2015
MICHELLE WILSON - FORTUNE
COOKIE
Wer Abstand vom Blues Rock gewinnen möchte, wer Jazz mag, wer bereit ist
zuzuhören und eine großartige Künstlerin
entdecken möchte, ist mit Michelle Willsons neuem Album hervorragend bedient.
THE BOB LANZA BLUES BAND - ‘TIL
THE PAIN IS GONE
Mehr als gelungene Mixtur von eigenen
Stücken und Coverversionen, die die
Band sich vollkommen zu Eigen gemacht hat. Und da ist es egal, ob man
dem Chicagoblues huldigt, dem akustischen Pianoblues oder dem heftigen
West Side Blues.
THE HALLEY DEVESTERN BAND FABBO! BOFFO! SMASHO!
Diese Platte mit ihrem heftigen FunkBlues-Rock wurde andernorts schon mit
einem Schlag in die Weichteile verglichen! Wenn Halley De Vestern loslegt,
dann macht sie weder musikalisch noch
textlich irgendwelche Gefangenen.
Wasser-Prawda | Mai 2014
Seit ihrer letzten CD von
2001 („Wake Up Call“)
gab es nichts Neues von
einer der talentiertesten
und gereiftesten
Bluessängerinnen
unserer Zeit.
Zweites Album des
ehemaligen Bandleaders
von Floyd Philipps.
Wer die Janis-JoplinKarte zieht, hat‘s
nicht kapiert. Halley
DeVestern kann man
eher mit Funk-Ladies wie
Betty Davis vergleichen.
P L AT T E N
JASON VIVONE & THE BILLY BATS EDDIE ATE DYNAMITE
Er mag es, wenn man ihn als “Orson
Welles des Blues” bezeichnet. Doch
ebenso wichtig sind literarische Vergleiche: Die Songs zitieren Shakespeare
oder erinnern an die Humoristen in der
amerikanischen Literatur.
ROB HERON & THE TEA PAD
ORCHESTRA - TALK ABOUTH THE
WEATHER
Die Musik ist die der 20er bis 40er
Jahre. Die Geschichten sind aus dem
Großbritannien von heute: Swingend,
humorvoll und britisch exzentrisch.
RAOUL & THE BIG TIME HOLLYWOOD BLVD
Der kanadische Harpspieler und Sänger
Raoul Bhaneja liebt den Blues von der
Westküste. Und so hat er neben seiner
Band The Big Time eine Menge Gastmusiker aus der Szene zu der Live-Session
im Studio eingeladen.
BETH HART & JOE BONAMASSA LIVE IN AMSTERDAM
Wie Hart & Bonamassa im Konzert das
fast komplette Programm ihrer zwei Alben präsentieren, das macht gewaltigen
Spaß.
55
Wer Spaß an
humorvoller Musik
und an klassischen
Bluessounds hat,
sollte hier unbedingt
reinhören.
Western-Swing trifft auf
Blues, Americana und
britische Music Hall.
Hier wird inspiriert von
Vorbildern wie Charles
Brown, T-Bone Walker
eine ganz heutige
Version des West Coast
Blues zelebriert.
Zwischen Swing,
Soul und treibendem
Bluesrock.
Wasser-Prawda | Mai 2014
56
P L AT T E N
REZ E NSI O NEN A BIS Z
A
57
P
Arthur Migliazza - Laying It Down 53
Freddie King - Freddie King Is A
Blues Master 67
Polly O‘Keary & The Rhythm Method
- Compass 62
G
R
Grainne Duffy - Test of Time 58
Raoul & The Big Time - Hollywood
Blvd 62
B
Back Pack Jones - Betsy‘s Kitchen
53
Beth Hart & Joe Bonamassa - Live
In Amsterdam 53
Bob Corritore - Taboo 54
Bob Lanza Blues Band - `Til The
Pain Is Gone 54
H
Halley De Vestern Band - Fabbo
Boffo Smasho 58
Hat Fitz & Cara Robinson - Do Tell
58
J
Bumper Jacksons - Sweet Mama,
Sweet Papa, Come In 55
Jason Vivone & The Billy Bats Eddie Ate Dynamite 59
C
City Boys Allstars - Blinded By The
Night 55
D
Dan Bubien - Empty Roads 56
Josh Hoyer & The Shadowboxers s.t. 60
King Size Slim - Milk Drunk 60
Lol Goodman Band - Tautology 61
Dixie Peach - Blues With Friends 56
M
E
Michelle Wilson - Fortune Cookie 61
Eddie Cotton - Here I Come 57
N
F
Neal Black & The Healers - Before
Daylight 62
Franc Robert - Ride The Iron Road
Wasser-Prawda | Mai 2014
R.E.M. Unplugged: The Complete
1991 and 2001 Sessions 67
Reverend Rusty - Struggle 64
Rob Heron & The Tea Pad Orchestra
- Talk About The Weather 63
T
The Sharpees - Mississippi Thrill 65
K
L
Dirty Loops - Loopified 56
Rebekka Bakken - Little Shop of
Poison 63
Third Coast Kings - West Grand
Boulevard 65
P L AT T E N
Street Parade” oder die selbstkomponierte Nummer “Love
You Mama”, ein schöner
Chicagoblues. Nein, hier wird
keine Einheitskost serviert:
Boogie Woogie steckt überall drin, im klassischen Jazz
ebenso wie im Rock & Roll, im
Blues ebenso wie im Swing.
Highlight der absolut gelungenen Scheibe ist allerdings
eine wild drauflos swingende
Fassung von Louis Primas
“Sing Sing Sing”, das Migliazza
Arthur Migliazza - Laying It
mit dem “Bumble Boogie” verDown
schmilzt und damit wahrscheinZum Blues fand er durch einen lich jeden Saal zum Kochen
Film über Jerry Lee Lewis. Und bringt.
Nathan Nörgel
seine Klavierlehrerin gab ihm
schon als Kind jede Menge
alte Aufnahmen zu hören.
Heute sieht es Pianist Arthur
Migliazza als seine Aufgabe an,
den Boogie Woogie zurück in
die Öffentlichkeit zu holen.
Boogie Woogie ist für viele hoffnungslos altmodisch. Ebenso
altmodisch ist die Kunst, ein
Konzert oder eine Oper mit einer
Overtüre zu beginnen. Allerdings
ist die bei Arthur Migliazza keineswegs altmodisch: Hier treffen New Orleans Grooves auf
Jazz und klassische Musik,
Gitarrenriffs mit Wah-WahPedal auf Hintergrundchöre.
Danach geht es freilich meist Back Pack Jones - Betsy‘s
traditioneller zu. Der Pianist Kitchen
spielt Klassiker wie den “Boogie
Woogie Stomp” von Albert Schon zwei Mal war die 2012
Ammons ebenso wie Hersal gegründete Band Back Pack
Thomas’ “Suitcase Blues” oder Jones bei der International
W.C. Handys “St. Louis Blues” Blues Challenge dabei und
und “Rockin Pneumonia & the schaffte es bis ins Halbfinale.
Boogie Woogie Flu” von Huey Warum? Die Antwort darauf
kann man sich in der Küche von
“Piano” Smith.
Am meisten Spaß machen mir Betsy anhören.
die Aufnahmen mit kompletter Für Musik wie diese wurde
Band, etwa seine Version von wahrscheinlich die Schublade
Fats Dominos “I’m Ready” als “Contemporary Blues” erfunjugendlicher Elvis, die klassi- den: bei Back Pack Jones treffen
sche Jazz-Nummer “Bourbon klassische Shuffles auf funkigen
57
Soulblues, eine schneidende
Gitarre auf Harmoniegesang,
der von ferne an die Holmes
Brothers erinnern mag.
Für ihr Debütalbum verstärkte
sich die Band noch mit einem
fetten Bläsersatz. Und dadurch
kommen sowohl fetzig-funkige Nummern wie “I’m Just A
Man” als auch die langsameren Blues und Balladen zu einer
Intensität, die selten geworden
ist. Gerade die langsameren
Stücke scheinen mir die Stärke
von Back Pack Jones zu sein:
Hier fleht man mit der Power
eines Predigers zu Gott angesichts von Schulmassakern
(“Even God Sings The Blues”)
oder erzählt die Geschichte
von Reichen und Armen,
Glücklichen und Traurigen
angesichts des nahen Endes
der Zeiten hin. “Soon their lives
will end. But if they see their
fates, and change their minds,
with love their hearts will mend.”
Auch bei einer Nummer wie
dem witzigen “Hey Diddle
Riddle”, dessen Rhythmus die
Füße zum Wippen bringt, ist
eine gewisse Schwermut nicht
zu überhören. Aber genau das
ist Blues, der direkt aus dem
Herzen kommt. Ein faszinierendes Debüt! (cdbaby)
Raimund Nitzsche
Beth Hart & Joe Bonamassa Live In Amsterdam
Zwischen Swing, Soul und treibendem Bluesrock: Wie Hart &
Bonamassa im Konzert das fast
komplette Programm ihrer zwei
Alben präsentieren, das macht
gewaltigen Spaß. Stimme und
Gitarre werden von einer großartigen Band mit einer deftigen
Hornsection unterstützt. Und so
wird selbst ein Swingklassiker
wie „Them There Eyes“ zu
Wasser-Prawda | Mai 2014
58
P L AT T E N
einem neuen Klangerlebnis. neues Soloalbum „Taboo“ hat
sich der Maestro unter anderem
die Gitarristen Junior Watson
und Jimmy Vaughan eingeladen, mit denen er in zwölf
Instrumentals einen Streifzug
durch die verschiedenen Stile
des Harpspiels und des Blues
überhaupt macht.
Irgendwann hatten sich die regionalen Spielarten des Blues
fast erledigt. Doch heute kann
man beobachten, wie sich rund
um bestimmte Musiker oder
Lokalitäten neue Szenen und
Spielweisen entwickeln. Bob
„Can‘t Let Got“ bildet als Corritores Rhythm Room in
Bluesrocker den Gegenpol Phoenix gehört da sicherlich
dazu. Und „Somethings Got A dazu. Hier treffen sich Musiker
Hold On Me“ ist live ein absolu- aus Chicago und Texas mit
ter Soulkracher, bei dem Hart denen von der Westküste. Und
mal wieder unter Beweis stellt, wenn Corritore ruft, dann entdass sie eine der variabelsten steht daraus etwas faszinierend
Sängerinnen zwischen Rock, Neues. Junior Watsons Gitarre
Blues & Soul ist, die heutzutage und das Piano von Fred Kaplan
zu erleben ist.
sorgen für den jazzigen Drive
Über Bonamassas Gitarrenspiel und werden von Doug James‘
muss man hier kein Wort ver- Saxophon dabei unterstützt.
lieren: er spielt sein technisch Doch allein mit seiner Harp
brilliantes Programm mit jeder kann Bob Nummern wie den
Menge Druck und ohne angezo- „Potato Stomp“ nach Chicago
gene Handbremse. (Provogue/ versetzen. Beim Titelsong fühlt
rough trade)
man sich an Soundtracks zu
Nathan Nörgel Spaghetti-Western erinnert.
„Harmonica Watusi“ könnte
auch von einer frühen GaragenBand der 60er stammen. Und
„Harp Blast“ ist eine BoogieWoogie-Tour de Force für
Corritore.
Reine Instrumentalalben können ja leicht langweilig werden. Doch hier ist jede einzelne
Nummer in sich so spannend
zu hören, erzählen die Musiker
allein mit ihren Instrumenten
so mitreißende Geschichten,
Bob Corritore - Taboo
dass man Sänger zu keinem
Im letzten Jahr tauchte die Harp Zeitpunkt vermisst. (Delta
von Bob Corritore auf diversen Groove/in-akustik)
großartigen Alben auf. Für sein
Raimund Nitzsche
Wasser-Prawda | Mai 2014
Bob Lanza Blues Band - `Til
The Pain Is Gone
Blues zu spielen braucht
Zeit, um wirklich zu reifen,
um die ganze Bandbreite der
Emotionen ausloten zu können.
Jemand wie Gitarrist/Sönger
Bob Lanza könnte man da als
Beispiel nehmen. Jahrelang
war er Bandleader von Floyd
Phillips. Später spielte er mit
seiner Band unter anderem
für James Cotton und Dave
Perkins. Erst 2009 veröffentlichte er sein Debüt als Solist.
Und erst jetzt erscheint mit „Till
The Pain Is Gone“ das zweite
Album. Doch es ist mehr als
gerechtfertigt, dass Lanza
diese Scheibe als Produkt seiner Band verkauft. Denn hier ist
kein Solist im Brennpunkt, sondern das Zusammenspiel von
gleichberechtigten Musikern.
Da gehört schon einiges dazu,
wenn man den Opener eines
Albums gleich mal den Gästen
überlässt: Die heftige Gitarre
bei „Maudie“ gehört nicht Bob
Lanza sondern stammt von seinem Sohn Joe. Und auch am
Gesangsmikro teilt sich Lanza
die Zeit mit Joe Cerisano. Doch
genau diese Kombination macht
aus der von Mike Butterfield
geschriebenen Nummer eine
P L AT T E N
ger in Konzertsälen als in
Tanzschuppen gespielt werden. Doch zum Glück gibt es
immer wieder Musikerinnen und
Musiker, für die Jazz zuallererst mal eine heiße Tanzmusik
für wilde Parties ist. So auch
die Bumper Jacksons aus
Washington, die auf ihrem
aktuellen Album eine Mixtur
aus Western Swing, Ragtime.
Jumpblues, New Orleans
Jazz und Old Timey Country
abfeuern.
Nach einigen Jahren in New
Orleans war Frontrau Jess
Eliot Myhre so sehr von der
Musik in der Stadt infiziert,
dass sie ihre seit Jahren ungenutzte Klarinette rausholte und
außerdem ein Waschbrett zu
spielen begann. Gemeinsam
mit Chris Ousley bildet sie den
Kern der Bumper Jacksons.
Ousley kommt als Banjospieler
und Gitarrist eigentlich aus der
Bluegrass-Ecke. Aber das ist
bei der Musik des Duos eigentlich nur von wenig Bedeutung.
Denn die Musik, die sie spielten, kommt aus einer Zeit, wo
stilistische Unterscheidungen
wie die zwischen Jazz und
Blues, Swing und Country und
Ragtime erst rein akademisch
war.
Und genauso gehen Bumper
Jacksons an ihre Songs heran.
Hier treffen Klassiker auf Songs
von Waits und eigene Stücke.
Und alle sind von einer Spielund Lebensfreude, dass man
mit ihnen wohl auch akadeBumper Jacksons - Sweet
misch verbildete Jazzfans zum
Mama, Sweet Papa, Come In
Tanzen bringen kann. Sehr gut!
Nathan Nörgel
Ja zz mag heute häuf i perfekte Eröffnung für ein
Album feinster Bluesmusik.
Der von Lanza geschriebene
Titelsong lässt Piano (Ed „Doc“
Walls) und Bluesharp (David
„Snakeman“ Runyan) Raum,
um den im Text erwähnten Zug
bedrohlich in Fahrt zu bringen.
Überhaupt: David Runyan ist
ein Harpspieler, den man sich
unbedingt merken sollte! Noch
ein Beispiel gefällig: „Snake
Byte“ ist ein Instrumental, das
an Meisterschaft kaum zu übertreffen ist. Hier hört man die
Schule von James Cotton.
„Til The Pain Is Gone“ ist eine
mehr als gelungene Mixtur
von eigenen Stücken und
Coverversionen, die die Band
sich vollkommen zu Eigen
gemacht hat. Und da ist es egal,
ob man dem Chicagoblues huldigt mit dem unvermeidlichen
„Mojo“ oder „I‘m Ready“, dem
akustischen Pianoblues a la
Memphis Slim („Lonesome“)
oder dem hef tigen West
Side Blues von Magic Sam
(„Every Night & Every Day“).
Empfehlenswert!
Raimund Nitzsche
59
City Boys Allstars - Blinded By
The Night
Als The Blues Brothers zur
Band wurden, da kombinierten Jake und Elwood Blues
den Rhythmus aus Memphis,
Chicagoer Bluesgitarre und
New Yorker Bläser. Zwei der
Mitglieder, Blue Lou Marini
und Tom Malone spielen in
New York bei den City Boys
Allstars. Jetzt hat die Gruppe
um den Gitarristen „City Boy“
Mike Marola ihr erstes LiveKonzert seit 17 Jahren als CD
veröffentlicht.
Spaßbands sind nur dann wirklich gut, wenn die Musiker ihren
Job richtig ernst nehmen. Bei
den Musikern aus dem Umfeld
der legendären Blues Brothers
kann man dieses Wissen
getrost voraussetzen. Schon
The Enzymes mit Murphy
Dunne hatten Ende 2013 eines
der unterhaltsamsten Alben
des Jahres veröffentlicht. Dass
ich erst jetzt auf die City Boys
Allstars aus New York aufmerksam wurde, ist schade. Denn
diese Soul-Funk-Jazz-Truppe
könnte man eigentlich getrost
mit den Tower of Power zu ihren
besten Zeiten vergleichen.
Jedenfalls stand 2013 bei dem
Wasser-Prawda | Mai 2014
60
P L AT T E N
Konzert im Cutting Room eine
Truppe auf der Bühne, die vor
Spielfreudigkeit nur so strotzte:
Eine fette Hornsection, zu der
neben Malone und Marini auch
der Jazztrompeter Lew Soloff
gehört, spielt treibende Riffs
und improvisiert zwingend. Die
Gitarre von Mike Merola hält
den Laden zusammen. Und
die Vokalisten Bil Kurz, Angel
Rissoff und Horace Scott II liefern zwischen deftigem Funk,
Rhythm & Blues und epischen
Jazzausflügen immer die richtigen Nuancen. Ein tolles
Live-Album!
Raimund Nitzsche
Blues“. Und dann ist da noch
der sanfte Balladensänger,
der Smokey Robinson zu seinen großen Vorbildern zählt.
Leider ergibt die Summe für
mich kein wirklich in sich stimmiges Album. Es gibt gute Lieder aber für meine Ohren auch ein
paar Durchhänger. Doch das
Reinhören lohnt auf jeden Fall.
Nathan Nörgel
paar Cover, die irgendwie zum
Markenzeichen der Dirty Loops
geworden sind. Mit dabei:
„Roller Coaster“ (Justin Bieber),
„Circus“ (Britney Spears) und
Adeles „Rolling In the Deep“
als deftiger Funk mit knallenden Bässen.
Raimund Nitzsche
Dixie Peach - Blues With
Friends
Dirty Loops - Loopified
Dan Bubien - Empty Roads
Mal funkig wie Little Feat, mal
hoffnungslos romantisch, mal
rockend: Songwriter/Gitarrist
Dan Bubien zeigt auf seinem
Debüt “Empty Roads” seine
musikalische Vielseitigkeit.
Funk als politische Rede: Wenn
Dan Bubien in “Fight Club” loslegt, dann ist das ein Aufruf zum
Kampf. “Don’t let ‘em take the
fight out of you. Don’t let ‘em
take away the things you love
to do…” Doch das ist nur eine
Seite dieses Musikers aus dem
Westen von Pennsylvania. Auf
der anderen Seite ist der traditionelle Blueser wie in „Exile
Wasser-Prawda | Mai 2014
Angefangen haben die drei
Schweden mit aufgedrehten
Coverversionen. Und auch auf
ihrem Album „Loopified“ drehen
sie wieder einige Songs durch
ihren Wolf. Der Elektro-Pop ist
mittlerweile nicht nur in Japan
extrem angesagt.
Das ist nicht die Musik, die
in der „Wasser-Prawda“ normalerweise Aufmerksamkeit
bekommt: Hier tref fen
Funkbässe auf BoygroupSounds, jazzige Loops, die
sich reichhaltig aus dem
Fusionsound der 70er bedienen auf Popleichtigkeit, wie sie
Michael Jackson zu seinen besten Zeiten hatte. Das Ergebnis:
Ziemlich perfekter Pop, der niemals die Verwandschaft zum
Jazz verschwinden lässt. Und
dann sind da natürlich noch ein
Dixie Peach aus Ohio wurde
ursprünglich 1972 von SlideGitarrist Ira Stanley gegründet. Nach einem Album löste
sich die Band schon 1975 wieder auf. Doch seit 1998 sind
die Southern Rocker fast in
ursprünglicher Besetzung wieder aktiv. „Blues With Friends“
ist ein Hörtipp nicht nur für Fans
der Allmans oder von Gov‘t
Mule.
Auch das Fehlen von
Schweinekotletts kann einem
den Blues bringen - hier mit
Bläserrif fs und sägenden
Gitarren. Oder geht es gar nicht
um leckere Fleischstücke? Sollte
hier tatsächlich ein äußerst
bösartiger Vergleich mit einer
Geliebten vorliegen? Stanley
wurde bei diesem Kracher von
Jack Pearson und Lee Roy
Parnell an weiteren Gitarren
P L AT T E N
kämpfen muss: seine Stimme
nimmt einen ebenso gefangen
wie die als Kommentare oder
Ergänzungen gespielten Linien
seiner Gitarre. Die Spannung ist
hier in jeder Note spürbar, das
ist Musik, wie ich sie eigentlich seit Jahren von Robert
Cray erwartet hätte, der aber
inzwischen zu sehr in seinem
Wohlklang eingetaucht ist, und
mich damit nicht mehr berühren
kann.
Man spürt, dass Eddie Cotton
ganz dicht dran ist, an der
Kirchenmusik, mit der er aufgewachsen ist. Soulblues ist eben
mehr, als nur ein Wiederkäuen
der großen Vorbilder aus der
Staxzeit. Erst wenn man seine
eigenen Geschichten erzählt
mit der gleichen Ehrlichkeit, wie
man sie vom Pfarrrer auf der
Kanzel erwarten würde, funktioniert es.
„Get Your Own“ ist eine funkig
dahinjagende Soulnummer, die
einfach nur perfekt ist. Auch
das stoisch stampfende „My
Boo“ oder „Pay To Play“ sind
Eddie Co on - Here I Come
Soulblues ganz konzentriert auf Höhepunkte eines überradas Miteinander einer singen- schenden Albums.
den Gitarre und eine eindrückRaimund Nitzsche
lichen Stimme: Eddie Cotton
hat sein drittes Album „Here I Franc Robert - Ride The Iron
Come“ auf dem Label seines Road
Kollegen Grady Champion veröffentlicht, der auch als Gast an Nach dem „Mulligan Stew“ mit
seinen Boxcar Tourists 2012
der Bluesharp mitspielt.
Bass und Schlagzeug hal- hatte ich beim neuen Album
ten sich zurück, die Orgel legt von Franc Robert eigentlich wiezurückhaltend ihren Teppich der mit einer ähnlichen Scheibe
aus. Denn hier geht es eigentlich gerechnet. Doch das auf Blue
nur um einen Mann und seine Chihuahua Records veröffentGitarre. Ob Eddie Cotton nun lichte „Ride The Iron Road“
von der Liebe einer Frau singt, ist ein klassischer Fall für: Ein
die ihn immer dazu bringt, trotz Mann, seine Gitarre und der
aller Schmerzen durchzuhalten, Blues. Und der klingt in jeder
ob er von Niederlagen berich- Note nach dem Mississippi
tet oder davon, dass man immer Delta in der Frühzeit gesewieder aufstehen und weiter- hen durch die Augen eines
unterstützt.
Höhepunkte des unterhaltsamen Albums sind für mich
das gospelarige „Don‘t Want
to Wait“, bei dem Stanley im
Duett mit Etta Britt singt und die
großartige Instrumentalnummer
„Bottle Hymn of the Republic“,
wo aus „Amazing Grace“ eine
wilde Slide-Show von Stanley,
Pearson und Parnell wird, die
auch den Allmans gut gefallen
dürfte. (cdbaby)
Nathan Nörgel
61
Nachgeborenen.
Besonders klar wird das natürlich bei den drei Klassikern
des Albums: Die gefühlt
17493. Fassung von St. James
Infirmary kommt daher als
Kreuzung von Folkrevival
und Hippiesehnsucht. Der
„Mississippi Blues“ und der
„Railroad Blues“ sind ebenso
mehr historisch korrekt als radikal erneuert.
Heute sind die Probleme natürlich andere: So hat Franc Robert
keine Chance, sich gegen den
Hund auf dem Schoß der
Geliebten durchzusetzen, auch
wenn er vom Ritt auf dem
Stahlross singt, denkt man eher
an Bikes oder Trucks als an das
Rattern der Güterzüge. Und
heute ist selbst der reisende
Bluesman nicht mehr davor
sicher, sein hart erarbeitetes
Geld mit dem Finanzamt teilen
zu müssen („Tax Time Blues“).
Was „Ride The Iron Road“ für
Gitarrenfans besonders interessant macht, ist die reiche Auswahl historischer
Instrumente, die Robert hier
einsetzt. Von diversen Dobros
bis hin zu historischen Gitarren
von Martin aus den 20er Jahren
reicht sie. Und Robert ist als
Picker ebenso wie mit dem
Wasser-Prawda | Mai 2014
62
P L AT T E N
Slide ein großartiger Spieler.
Eine Empfehlung für Freunde
des Akustikblues und von
Musikern wie Bottleneck Joe,
Greyhound George oder den
Klassikern zwischen Son House
und Robert Johnson.
Nathan Nörgel
Halley DeVestern Band Fabbo! Boffo! Smasho!
Grainne Duffy - Test of Time
Schon 2011 brachte die irische
Gitarristing und Songwriterin
Grainne Duffy Ihr Album „Test of
Time“ heraus. Doch hierzulande
blieb das Album mit elf Songs
zwischen Bluesrock, Soul und
poppigen Klängen weitgehend
unbeachtet.
Teils bittersüß, teils rockend
- man hört, dass Duffy ihre
Inspirationen vom Brit-Blues
der 60er ebenso bekam
wie von amerikanischen
Songwriterinnen wie Linda
Ronstadt bekommt. Das Album
ist perfekt produziert und bildet
eine erfrischende Abwechslung
zur „normalen“ Bluesrockszene.
Für mich die besten Songs: „Let
Me In“, „Rockin Rollin Stone“.
Grainne Duffy könnte in paar
Jahren in der gleichen Liga wie
Dani Wilde oder Meena Cryle
spielen.
Nathan Nörgel
Wasser-Prawda | Mai 2014
Vorwarnung: Diese Platte mit
ihrem heftigen Funk-Blues-Rock
wurde andernorts schon mit
einem Schlag in die Weichteile
verglichen! Wenn Halley De
Vestern loslegt, dann macht sie
weder musikalisch noch textlich
irgendwelche Gefangenen.
Es geht gleich gut los:
“Remember when I loved you
and how we kissed, then I think of
how you hurt me and my hands
are fists” - ein heftig rockender Funkgroove knallt einem
in die Ohren. Und die wütende
Sängerin macht klar, dass mit
ihr nicht zu spaßen ist. Auch
„Kangaroo Mama“ zeigt Halley
als kämpfende Powerfrau, während sie bei „Money Ain‘t Time“
den Geldliebhabern vorhaltungen macht: Der Weg zum
Himmel ist lang, wenn Du soviel
aufgehäuft hast. Und bedenke:
Irgendwann ist es vorbei - für
immer. Und bis dahin musst
Du die Prioritäten klar gemacht
haben. Aber nein: mit den alltäglichen Christen, die meistenteils
Heuchler sind, hat sie nichts zu
tun: “The Jesus I know he don’t
watch too much TV. The Jesus
I know don’t care who you love,
as long as you love somebody.
The Jesus I know, he says ‘Be
and let be.’”
Bei „Boil“ ist Rassismus das
Ziel für ihren gesungenen, fast
geschrieenen Zorn. „American
Pain“ beklagt die Versprechen
des schnellen Geldes, mit dem
Las Vegas zahllose Menschen
anlockt. Und in „Code 9“ geht
es um die alltägliche und allumfassende Überwachung unseres privaten Lebens.
Was für eine Sängerin, was für
eine Songwriterin - Bislang war
mir Halley De Vestern aus New
York noch nicht bekannt. Doch
ab sofort steht sie bei mir ganz
oben bei den großartigen und
einzigartigen Stimmen im Blues
und Rock. Und die Band ist die
genau richtige Ergänzug dafür:
laut rockend und treibend wenn
nötig. Und zurückgenommen
und bedrohlich groovend und
sich in die Ausbrüche steigernd,
die die gesungenen, geschrieenen oder gerappten Songs der
Sängerin brauchen.
Wer hier die Janis-Joplin-Karte
zieht, hat‘s nicht kapiert. Halley
DeVestern kann man eher mit
Funk-Ladies wie Betty Davis
vergleichen. Meinethalben auch
mit Beth Hart oder mit einer zum
Blues bekehrten Nina Hagen.
Raimund Nitzsche
Hat Fitz & Cara Robinson - Do
Tell
Auf dem Papier ist das eine
ziemlich geniale Kombination:
Ein australischer Root-Blueser
und eine irische Soulsängerin
vereinen ihre Stimmen und
Instrumente. Doch leider sind
längst nicht alle Songs auf dem
neuen Album „Do Tell“ wirklich
gelungen.
Es beginnt Freitagnacht in
irgendeiner Kneipe: Ob nun
P L AT T E N
im Opener „Friday Night“ oder
beim nachfolgendenden „Stray
Hat“ fühlte ich mich zu Hause:
Guter Blues mit einer faszinierenden Sängerin und einem
knurrigen Bluesman mit jeder
Menge Charisma. Wenn das
Album so weiter gehen würde,
wäre ich schlicht begeistert.
Doch dann das: „Gotta Love“
mit seinem E-Gitarrenriff ohne
Überzeugungskraft und einer
schief daneben liegenden
Sängerin lässt nur eine Reaktion
zu: weiterzappen, ganz schnell!
Und leider kommt später mit
„Shakedown“ noch so ein
Totalausfall. Hier haben die
Musiker oder das Label schlichtweg die Qualitätskontrolle
versäumt.
Das ist wirklich schade, denn
die übrigen Songs des Albums
haben alle ihren Reiz. Nur ist
der Kontrast so stark, dass er
mir insgesamt die Freude ganz
schön verdorben hat.
Nathan Nörgel
und Gitarrist Jason Vivone literarische Vergleiche, schafft
er es doch, in seinen Songs
Geschichten erzählen, die mal
nach Shakespeare klingen, mal
die große Tradition amerikanischer Humoristen zitieren. Mit
seinen Billy Bats hat er jetzt das
zweite Album veröffentlicht.
Lecker: Dynamit mit ordentlich
Senf drauf! Das Cover gibt
einem schon mal einen
Vorgeschmack darauf, was
einen auf “Eddie Ate Dynamite”
erwartet: Blues mit jeder Menge
schrägem Humor. Der Titelsong
etwa schildert den nicht sehr
hellen Eddie, der nach dem
Verspeisen von Dynamit auch
noch nach einem Streichholz
fragt. Entstanden ist diese
absurde Story aber aus dem
Titel. Denn Eddie Ate Dynamite
(Good Bye Eddie) ist die amerikanische Eselsbrücke, mit der
man sich die Stimmung der einzelnen Gitarrensaiten merkt.
Bei “Methinks the Lady Doth
Protest Too Much” bringt er das
Jason Vivone & The Billy Bats Kunststück fertig, einen feinen
Slow-Blues mit der Sprache
- Eddie Ate Dynamite
Shakespeares zu singen. Auch
Er mag es, wenn man ihn als wenn er diese seiner Freundin
“Orson Welles des Blues” in den Mund legt: “She cried
bezeichnet. Doch ebenso ‘A horse, a horse, my kingdom
wichtig sind bei Songwriter for a horse’ when her pale blue
63
Honda ran off course”.
Wer jetzt meinen sollte, das
Album wäre mehr was für die
Comedy-Fraktion und hätte
mit Blues nichts zu tun, der irrt
sich gewaltig. Vom swingenden Opener „Cut Those Apron
Strings“ über den funkigen NewOrleans-Groove von „Where Did
The Day Go“ bis zur gospelartigen Ballade „I Can Never Say
Goodbye“ ist das feinster Blues
und Rhythm & Blues. Vivone
und seine Mitstreiterinnen und
Mitstreiter lieben die klassischen
Sounds zwischen Louis Jordan
und Jimmy Reed (oder alles aus
der Zeit vor der Digitalisierung).
Und es gibt natürlich auch ernste
Themen, die hier verhandelt
werden. „Mean“ etwa ist eine
Story über häusliche Gewalt
und die Ausreden, die Opfer
und Täter immer wieder dafür
suchen. „Analog“ ist ein Loblied
auf das Knistern und Knacken
alter Bluesplatten. Jason Vivone
bedauert die Leute, die Jimmy
Reed erst auf CD entdecken
und ist der Meinung, dass sein
Gehirn eigentlich komplett analog funktioniert.
Und dann gibt es natürlich
noch „The Blues & The Greys“,
das den Vergleich mit Orsen
Wells verständlich macht. Das
ist eine Blues-Oper über die
Landung von Aliens vor dem
Weißen Haus. Das Hören von
Bluessendern hatte sie angelockt. Ob das nun eher Wells‘
„Krieg der Welten“ oder Ed
Woods „Plan 9 from Outer
Space“ ist, mag jeder selbst
entscheiden. Auf jeden Fall
ist das ein großartiger musikalischer Spaß mit absolutem
Seltenheitswert.
Wer Spaß an humorvoller Musik
und an klassichen Bluessounds
hat, sollte hier unbedingt rein-
Wasser-Prawda | Mai 2014
64
P L AT T E N
hören. Humorlose Menschen
sollten aber vorher ihren Arzt
konsultieren.
Raimund Nitzsche
Josh Hoyer & The
Shadowboxers - s.t.
Soul & Funk vom Feinsten
spielen Josh Hoyer & The
Shadoboxers auf ihrem selbstbetitelten Debüt. Vor allem der
Frontmann und Keyboarder
steht mit seiner deftigen Stimme
ganz im Zentrum der Songs, für
die man eigentlich das Label
„street credibility“ wieder aus
der Schublade holen müsste.
Im Roman und auch im Film
„The Commitments“ wird Soul
als Musik der Arbeiter bezeichnet, der Groove sowohl als
Rhythmus der Fabrik als auch
des Sex. Viele Soulbands
heutzutage klingen leider
weniger nach Fabrik als nach
Kunstatelier. Josh Hoyer aber
könnte man als Bruder im
Geiste der Dubliner Soulband
bezeichnen: Die Shadowboxer
legen mit Power und jeder
Menge Herzblut los und schrecken nicht vor rauhen Ecken
und Kanten zurück. Die Bläser
sind fett und dreckig, der
Rhythmus hart. Und hier geht
es auch in den Balladen handWasser-Prawda | Mai 2014
fest zur Sache. Hier ist nicht ein
Gospelprediger am Mikro, sondern jemand, der genausogut
heftigen Rock shouten könnte.
Einen gewaltigen Unterschied
zu den Commitments gibt es
allerdings: Josh Hoyer & The
Shadowboxer singen nicht die
Klassiker nach. Josh Hoyer
hat sämtliche acht Songs des
Debüts selbst geschrieben. Und
da findet sich kein Lied, das
schwach wäre.
Und die Shadowboxers schrecken nicht vor ausgedehnten Soloeinlagen zurück. Bei
„Dirty World“ jammt die Band
vor sich hin, der Gitarrist kann
endlich zeigen, dass er großartig ist. Und selbst der Drummer
bekommt sein Solo.
Das ist Soul und Funk für die
Kneipe an der Ecke, Musik, um
das Wochenende einzutanzen
oder den miesen Arbeitsalltag
für paar Stunden hinter sich zu
lassen. Tolles Debüt!
Nathan Nörgel
King Size Slim - Milk Drunk
Er kommt aus Brighton in
Großbritannien. Doch seine
musikalische Sprache ist
der Blues in der Nachfolge
von Charley Patton, John
Lee Hooker und des North
Mississippi County. 2013 ver-
öffentlichte Toby Barelli aka
King Size Slim mit „Milk Drunk“
sein Debüt und rückt damit in
eine Liga von Musikern wie
Reverend Peyton, „Sir“ Oliver
Mally und Seasick Steve auf.
Ich bin kein Fan davon, Musik
oder andere Kunst nach
ihrer Relevanz zu beurteilen. Relevanz ist kein objektiver Maßstab sondern lediglich
ein subjektiver, der mehr für
die Meinung des Rezensenten
als für die Musik an sich steht.
Für mich zählen bei der Frage
danach, ob ich ein Album empfehlen kann, meist andere
Kriterien, auch wenn diese oft
ähnlich subjektive Maßstäbe
sind. Eines ist die Frage danach,
ob der Künstler bereit ist,
gerade in einer eigentlich historischen Form über die tradierten Klischees hinaus zu denken
und sie zur Betrachtung unserer
heutigen Zeit zu machen. Kein
Bluesmusiker aus Europa kann
für sich guten Gewissens das
Label „Roots Blues“ in Anspruch
nehmen und sich verzweifelt an
Texten über Baumwollfelder,
Mojos oder die Dämme des
Mississippi festklammern,
ohne sich der Lächerlichkeit
preiszugeben.
In Stücken wie „Rising Spring“
singt King Size Slim von der
Notwendigkeit, die Gesellschaft
zu verändern. Er singt davon, die
Stadt mit seinem Boogie aufzuwecken. Hier ist kein Leisetreter
a la Keb‘ Mo an der Gitarre, sondern einer, den man sich gut
auch als Kopf einer Punkband
in den 80ern hätte vorstellen
können: Blues als Protest, als
Widerspiegelung einer gesellschaftlichen Unzufriedenheit.
Die Musik dazu? Mal hört man
die stoischen Rhythmen von
John Lee Hooker, mal einen
P L AT T E N
ganz eigenen zur Trance verleitenden Blues, der an die Hügel
im nördlichen Mississippi erinnert. Meist spielt Slim allein
auf dem Album, singt mit
sich im Chor und sorgt für die
Rhythmen. Nur ab und zu holt er
sich ein paar Mitstreiter hinzu.
Insgesamt: Ein wirklich überzeugendes Debüt!
Raimund Nitzsche
Nathan Nörgel
Michelle Wilson - Fortune
Cookie
Lol Goodman Band Tautology
Wenn ein Konzept in den letzten
Jahrzehnten in der Gefahr steht,
zum Klischee zu gerinnen, dann
ist es das des Power-Trios in der
Gefolgschaft von Cream und all
den Nachfolgern. Auch Sänger/
Gitarrist Lol Goodman und
seine Kollegen aus Manchester
erfinden auf „Tautology“, dem
zweiten Album der aktuellen
Bandbesetzung, das Format
nicht neu. Doch ihr klassischer
Bluesrock macht dennoch
Spaß.
Höhepunkte für mich: Songs
wie „Work To Live“, „Here Come
The Cougars“ (mit schön rollendem Piano und einem lüsternen Saxophon zur Ergänzung
des Bandsounds) und „Off The
Floor“.
Entgegen der landläufigen
Meinung, daß Frauen den
Männern nur Ungemach bereiten (ich bitte die Damen um
Entschuldigung, es ist selbstverständlich ein dummes Klischee
im Blues), verspürte ich deutliche Glückshormone als ich
gestern Michelle Willsons neue
CD „Fortune Cookie – Live at
Scullers“ beim Hauptzollamt in
Empfang nehmen durfte.
Das ist schon ein Ereignis.
Seit ihrer letzten CD von 2001
(„Wake Up Call“) gab es nichts
Neues von einer der talentiertesten und gereiftesten
Bluessängerinnen unserer Zeit.
In der Boston Area geboren und
aufgewachsen sang sie schon
als Teenager in diversen Bands.
Ihre Musik orientierte und orientiert sich stark an Größen wie
Dinah Washington und Ruth
Brown, als „Evil Gal“ begann
sie ihre Solokarriere 1994. Sie
veröffentlichte vier großartige
Alben, war weltweit auf Tour
und nahm eine Auszeit.
Die neue CD landete gleich
auf der Rückfahrt in meinem
CD-Spieler im Auto. Ich bin
nicht sicher, was ich eigent-
65
lich erwartet habe, das was ich
hörte, war mehr. Die CD ist ein
Livemitschnitt aus einem der
angesagtesten Bostoner Jazz
Clubs, dem Scullers. Da gibt es
kein Overdubbing oder andere
technische Gimmicks, das ist
Michelle Willson pur.
Das Publikum reagiert begeistert auf den Mix aus Jump
Blues, Swing und R&B. Gleich
das erste Stück „Relax Max“
kommt mit südamerikanischen
Rhythmen total relaxt herüber.
Bis auf das Titelstück „Fortune
Cookie“ hat Michelle tief in den
Archiven des Blues gewühlt und
bringt eine großartig abwechslungsreiche Mixtur auf die
Bühne. Nach sehr ruhigen und
nachdenklichen Stücken wie
„Stranger on Earth“ und „Weed
Smokers Dream“ gibt sie im
letzten Stück „Racehorse“ noch
einmal alles und bringt den Club
zum Siedepunkt.
Sie ist emotional, sie ist ruhig,
sie schreit, sie lockt und ist
durchgängig spürbar begeistert.
Der Gesang variiert zwischen
sanft schnurrendem Kätzchen
und fauchender Wildkatze, die
Band ist vom Feinsten (Zac
Casher – drums, Sven Larson –
bass, Mike Mele – guit., Shinichi
Otsu – piano, Scot Shetler
– horns).
Michelle Willson legt ein Album
vor das etwas schafft, das selten auf Musikträgern gelingt –
beim Anhören der CD fühlt man
sich anwesend im Club und wird
von der Künstlerin und ihrer
hervorragenden Band eingefangen - ich habe mich dabei
ertappt, dass ich fast mit dem
Publikum applaudiert hätte.
Das war natürlich nicht beim
Autofahren der Fall sondern zu
Hause beim Abspielen auf einer
guten Anlage.
Wasser-Prawda | Mai 2014
66
P L AT T E N
Wer Abstand vom Blues Rock
gewinnen möchte, wer Jazz
mag, wer bereit ist zuzuhören
und eine großartige Künstlerin
entdecken möchte, ist mit
Michelle Willsons neuem Album
hervorragend bedient. Ganz
dicker Tipp! (Evilgal music
2013)
Bernd Kreikmann
Neal Black & The Healers Before Daylight
Zwischen Texasboogie und
Country-Melancholie: „Before
Daylight“ von Neal Black & The
Healers ist musikalisch ein feiner Bluesrock (auf der ersten
Silbe betont!). Textlich wird ein
Songzyklus erzählt, den man
am besten in einer schlaflosen
Nacht allein im Bett oder auf der
Autobahn genießen kann.
„Manchmal brauchst Du einfach
eine höhere Macht, um durchzuhalten“, meint Neal Black
im Opener „Jesus & Johnny
Walker“. Doch sowohl die Bibel
als auch der Alkohol sind für
ihn am Ende Lügner: Neal
Black erzählt nicht die einfachen Geschichten, leuchtet eher
die düsteren Ecken des Lebens
aus. Der amerikanische Traum
ist längst schäbig geworden,
Wasser-Prawda | Mai 2014
beim alten Galgenbaum spuken
die Geister der Vergangenheit.
Und eigentlich ist es nur die
Nacht, die einem ein wenig
Frieden schenken kann in der
Hektik der Tage.
Immer wieder merkt man, dass
Black nicht nur ein großer
Geschichtenerzähler, sondern
auch ein famoser Gitarrist ist.
Er hat es nicht nötig, mit endlosen Solokaskaden zu glänzen,
weil einfach jede Note sitzt. Und
mit Bako Mikaelian hat er einen
Harper an der Seite, der genau
den richtigen Kontrast zur Gitarre
setzt. Manchmal erreichen die
Songs fast die Dringlichkeit und
Überzeugungskraft von Tom
Waits Epen aus der Welt der
Eckkneipen. Etwa wenn Black
barmt, dass wir alle die gleiche
Farbe haben, wenn uns der
Blues packt. Nur dass dann die
Gitarre doch wieder mit einem
glänzenden Ton die Gosse verlässt. Eine faszinierende Reise
durch die Dunkelheit - und eine
willkommene Abwechslung im
heutigen Bluesrock.
Nathan Nörgel
besten Bluessängerinnen. Auch
wenn sie schon seit einigen
Jahrzehnten in der Szene aktiv
ist, ist „Compass“ doch erst das
dritte Album.
Am Anfang steht ein deftiger
Funk-Rocker: O‘Keary fährt
stimmlich die Krallen aus und
Clint „Seattle Slim“ Nonnemaker
jagt die Gitarre gehörig durchs
Wah-Wah-Pedal. Nächster
Song, nächster Stil: „Summer“
ist treibender Pop mit jagenden
Gitarrenlinien und jeder Menge
Sonnenschein im Herzen.
„Nothing Left To Say“ führt nach
Mexico mit passender Trompete
und genug Drama in der
Stimme für eine Neuverfilmung
der „Glorreichen Sieben“. Slims
Gitarre gibt dann noch ein paar
Surfsounds dazu. So geht es
munter weiter: Rhythm & Blues,
Bluesrock, selbst radiotaugliche Popnummern gibt es auf
„Compass“. Dass dem Album
eine einheitliche Linie zu fehlen
scheint, macht nichts. Denn die
Lieder machen Spaß, O‘Keary
ist eine Sängerin, der man gerne
zuhört. Slims Gitarre ist mindestens ebenso wandlungsfähig
wie die Stimme der Sängerin.
Und die zahlreichen Gäste im
Studio sorgen für die klanglichen Sahnehäubchen.
Nathan Nörgel
Raoul & The Big Time Hollywood Blvd
Der kanadische Harpspieler
und Sänger Raoul Bhaneja liebt
den Blues von der Westküste.
Und so hat er neben seiner seit
1998 aktiven Band The Big
Polly O‘Keary & The Rhythm
Time eine Menge Gastmusiker
aus der Szene zu der LiveMethod - Compass
Session im Studio eingeladen.
Im Staate Washington zählt die Fred Kaplan, Junior Watson und
Bassistin Polly O‘Keary zu den Rusty Zinn spielen ebenso mit
P L AT T E N
wie Curtis Salgado und Johnny
Sansone. Dieser Boulevard
in Hollywood ist ein Fest für
Freunde des swingenden Blues
mit einer großartigen Harp.
Das Piano von Fred Kaplan
kann man immer erkennen. Und
auch die jazzige Gitarre von
Junior Watson ist sofort herauszuhören: „Left Coast Fred“ ist
genau die Art von Bluesnummer,
die klar macht, wie sehr man die
Verwandschaft zwischen Blues
und Jazz an der amerikanischen Westküste noch immer
pflegt. Das ist kein Blues für die
rockenden Clubs von Chicago
sondern eher Musik für ausgelassene Swingparties.
Andere Songs auf „Hollywood
Blvd“ verbreiten den relaxten
Groove von New Orleans, etwa
„Why Am I Treated So Bad“
(ursprünglich von den Staple
Singers) oder „In The Shadow
Of The Pine“.
Doch Raoul kann auch anders.
Bei „Amphetamine“, einem weiteren Instrumental, versetzt er
den Hörer akustisch in einen
Speedrausch. Das ist absolute
virtuose Spitzenklasse an der
Harp. Raoul ist auch als Sänger
eine absolute Entdeckung:
Voller Soul, teils rauh, teils elegant und einschmeichelnd wie
Charles Brown singt er die eigenen Stücke und Nummern von
Allain Toussaint, J. Green oder
Pops Staples.
Man hört dem Album zweierlei an: Es ist eine Live-Session,
bei der sich Freunde getroffen
haben, die musikalisch ganz auf
einer Länge liegen und Spaß
am gemeinsamen Musizieren
haben. Und alle haben ganz
eigene Nuancen zu einer großartigen Bluesmusik beizutragen.
Da ist in einem Stück die elegante Gitarre von Junior Watson
zu hören, in der nächsten die
ganz andere von Rick Holstrom
oder die von Rusty Zinn. Und
immer dabei natürlich auch
Darren Gallen, Stammgitarrist
von The Big Time.
Hier wird inspirier t von
Vorbildern wie Charles Brown,
T-Bone Walker und anderen
eine ganz heutige Version des
West Coast Blues zelebriert.
Absolut empfehlenswert! (Big
Time Records)
Raimund Nitzsche
Rebekka Bakken - Li le Shop
of Poison
Tom Waits mit Big Band?
Jazzsängerin Rebekka Bakken
hat gemeinsam mit der hr-Bigband ein Album mit Songs des
67
Musikpoeten vorgelegt. Hier
klingen die Lieder von Waits
plötzlich rein und elegant, wenn
auch nicht ganz von dem Gift
gereinigt, dass von Anfang an
in ihnen schlummert.
Am Anfang war eine gehörige Portion Skepsis: Wie bitte
schön soll Rebekka Bakken
mit ihrer schönen und klaren
Stimme mit den gebrochenen
Songwelten von Tom Waits klarkommen? Und dann gleich noch
in Arrangements für die ganz
große Bühne?
Doch glücklicherweise waren
meine Vorurteile nicht wirklich berechtigt. Die Lieder aus
den verräucherten Eckkneipen,
den dunklen Straßenecken und
von gescheiterten Existenzen
sind so stark, dass sie selbst
eine solche Behandlung vertragen und dabei ganz neue
Sichtweisen ermöglichen.
Rebekka Bakken singt hier
wie eine Kreuzung aus klassischer Blues-Queen und JamesBond-Chanteuse. Melancholie,
Einsamkeit und ein klein wenig
Verruchtheit legt sie in jede
Note. Und die Bigband des
Hessischen Rundfunks liefert dazu Klangwelten, die zwischen Samstagabendshow,
New Orleans Funeral, Chanson
und Thriller-Jazz liegen.
Insgesamt ein faszinierendes
Jazzalbum einer erstaunlich
wandlungsfähigen Sängerin.
Nathan Nörgel
Rob Heron & The Tea Pad
Orchestra - Talk About The
Weather
Ob in den USA oder in
Großbritannien: Die swingenden Sounds der 20er bis 40er
Jahre sind wieder absolut im
Trend. Britisch exzentrisch
Wasser-Prawda | Mai 2014
68
P L AT T E N
und voller Humor geht es beim diejenigen, die bei Songwritern
neuen Album von Rob Heron & nicht immer nur an schlechtgelaunte einsame Menschen mit
The Tea Pad Orchestra zu.
Gitarren denken wollen.
Raimund Nitzsche
Das miese englische Wetter,
Küchenutensilien, andauerndes
Spielen oder die Angst vor
einem neuen Schnellzug: Bei
Rob Heron sind die Themen seiner Songs so britisch, wie die
Musik amerikanisch ist.
Mit seinem Tea Pad Orchestra
spielt er zwischen Ragtime,
Country, Mambo, Blues und
Swing ganz im Stile der klassischen Zeiten in der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts und das
mit großer Raffinesse: Zu dieser
im weitesten Sinne dem Jazz
und (Western-)Swing zugehörigen Musik gehören immer
auch fantastische Musiker, die
in ihren Soloeinlagen glänzen
ohne auch nur eine Sekunde zu
verschwenden.
Seine Lieder aber - bei aller
Satire und Unterhaltsamkeit
sind nicht von gestern. So
wie Pokey LaFarge (als dessen Support Herons Orchester
schon durch das Vereinigte
Königreich tourte) nutzt er die
beschwingten Klänge für typisch
britische Alltagsbeobachtungen
und Selbstreflexionen. Und
das macht aus „Talk About
The Weather“ nicht nur eine
große Empfehlung für alle
Swingfreunde sondern auch für
Wasser-Prawda | Mai 2014
Reverend Rusty - Struggle
Nach fünf Jahren Abstinenz
gibt es eine neue CD vom
Reverend Rusty, die am 11.
Mai 2014 in der Einstein Kultur
in München präsentiert wird.
Wir haben vorab eine Version
von „Struggle“ hören dürfen.
Auf der CD befinden sich 13
Songs und ein Intro. Laut
Sänger Rusty Stone hat er
Elemente des Blues, Jazz,
Country und Rock in seine
eigene Version des deutschen
Blues verwandelt. Beim ersten
Hinhören fallen einem sehr eingängige Riffarrangements und
Gesangssätze auf, die weniger
auf amerikanischen Rootsblues
als vielmehr auf deutschstämmige Mitsinglieder schließen
lassen. Texte und Melodien sind
eingängig und werden hervorragend zu Reverend Stones
Liveauftritten passen.
„Struggle“ enthält wirklich viele
Elemente der oben genannten
Genres zusammen mit einer
nicht minder tollen Auswahl
an Instrumenten. Bei „Don‘t
look back“ verwendet er eine
Mandoline als Soloinstrument.
Sie scheint sich wohl langsam
wieder also Soloinstrument im
Blues zu etablieren: Schon zum
zweiten Mal innerhalb weniger Wochen ist sie mir jetzt bei
Bluesmusikern über den Weg
gelaufen!
Meine Favoriten auf der CD sind
Songs wie das leider mit 35
Sekunden viel zu kurze Intro auf
einer Slidegitarre gespielt und
Songs wie „Come on“, wo das
Riff locker und im Stil der 70er
daher kommt. Die Hommage
„Cooder“ entschädigt für das
zu kurze Intro durch gefühlvolles
Slide- und Akustikgitarrenspiel.
Auch „Always On My Mind“ ist
eine schöne Ballade über die
Bivalenz des Lebens.
Die Band besteht neben dem
Gründer, Sänger und Gitarristen
Rusty Stone, dem Bassist C.P.,
der auch den Upright Bass
beherrscht und dem Drummer
Al Wood, der auch mit „bloßen
Händen“ spielt, sprich die Cajon
bearbeitet.
„Struggle“ muss man definitiv mehrmals hören, um es
nicht fälschlich als deutschen
Mitsingblues abzutun. Es hat
aber definitiv einen deutlichen
Touch à la „Made in Germany“
und ist damit ein sehr authentisches Werk von Reverend
Rusty.
Mario Bollinger
The Sharpees - Mississippi
Thrill
Sie nennen sich eine „Maximum
R n B Band“ und machen
damit schon mal die Richtung
klar, in die ihre Musik geht:
Die Sharpees spielen einen
Bluesrock, der ganz klar in den
späten 60er/frühen 70er Jahren
seine Herkunft hat.
P L AT T E N
In Sidney ist ein Sharpee ein
mieser Typ, ein unerfreulicher
Charakter, ein Rowdy oder
Gangster. Wenn man sich
„Mississippi Thrill“ anhört, dann
ist da von Rabaukentum nicht
unbedingt viel zu merken. Ihre
Lieder erzählen Geschichten,
die das Herz der Musiker offenbaren. Klar singen sie vom
Leben auf Tour (in den letzten
Jahren war die Band fast ununterbrochen unterwegs zwischen
den britischen Inseln,
Frankreich, den Niederlanden,
Deutschland und Griechenland),
vom Alkohol und verrückten
Frauen. Doch mit Songs wie
dem Titelsong über die
Ausbeutung einer farbigen Frau
wird das soziale Gewissen der
Band deutlich.
The Sharpees erfinden nichts
neu in der Musik. Doch wer auf
ihre Geschichten hört, wird an
„Mississippi Thrill“ seine Freude
haben. Und danach drauf warten, dass die Band auf ihrer
Tour in der Nähe vorbeikommt.
Nathan Nörgel
seinen Sitz hatte. Doch der
Funk der Third Coast Kings
klingt eher nach Memphis oder
New Orleans.
Genau so muss man Soul
und Funk (oder so ziemlich
jede andere Musik) produzieren: Die ganze Band spielt live
zusammen in einem Raum.
Nur so wenige Mikrophone
und Effekte wie nötig werden
eingesetzt. Und auf nachträgliche Bearbeitungen wird weitest gehend verzichtet. Nur so
kommt die schiere Energie der
Musik direkt beim Hörer an, wird
die Seele der Künstler in all ihren
Emotionen und Verletzungen
fühlbar.
69
Sean Ike singt, ist durchaus ein
gefährliches. Und wenn er in
„I‘m a Man“ die Geschichte des
legendären Jack Johnson in der
amerikanischen Hymne erzählt,
dann ist er von soviel Kraft und
Würde erfüllt, wie James Brown
in den frühen 60ern. Ebenso
überzeugend ist er als SoulCrooner, wenn er von den „Birds
and Bees“ singt. Und seine
Kollegin Michelle „The Belle“
Camilleri treibt bei „Just Move“
auch noch die letzten Muffel auf
die Tanzfläche.
War schon das selbstbetitelte Debüt 2012 ein absoluter
Kracher für Fans von Soul und
Funk, haben die Third Coast
Kings hier noch deutlich einen
draufgesetzt. Ihre Mixtur aus
atmosphärischen Instrumentals
und überzeugenden Soul- und
Funksongs ist ein großartiges
Denkmal für die Vitalität ihrer
Heimatstadt Detroit City.
Nathan Nörgel
Produziert von Nate Goldentone
(Dojo Cuts, The Liberators), setzen die Third Coast Kings ihrer
schwer gebeutelten Heimatstadt
ein musikalisches Denkmal. Ob
sie wie im Titelsong einer legendären Straße oder wie in „Errol
Flynns“ einem Club Tribut zollen
oder einfach das Lebensgefühl
nachzeichnen: Das Detroit von
Third Coast Kings - West
heute ist noch immer eine harte
Stadt, die zuweilen glänzen
Grand Boulevard
mag, aber man muss diese
Sie kommen aus Detroit und Schönheiten suchen und darf
nennen ihr aktuelles Album sich nicht von den rauhen Ecken
nach der Straße, wo das legen- abschrecken lassen.
däre Headquarter von Motown Das „Sporting Life“, von dem
Wasser-Prawda | Mai 2014
70
P L AT T E N
W IED ERHÖREN
Freddie King - Freddie King Is
A Blues Master
Es hatte lange gedauert, bis
Freddie King nicht nur als großer
Gitarrenstilist, sondern auch als
vergleichbar guter Bluessänger
wahrgenommen wurde. 1969
erschien das von King Curtis
produzierte „Freddie King Is
A Blues Master“, dass das zu
ändern versuchte. Jetzt wurde
das Album mit dem programmatischen Titel in einer remasterten Version neu veröffentlicht.
Diese Gitarre kann durch jegliches Material hindurch schneiden. Sie dringt durch deftige
Horn-Arrangements ebenso
leicht hindurch, wie sie scheinbar
schwerelos über der Begleitung
einer „normalen“ Bluesband zu
schweben scheint. Das hier ist
eine der drei den Blues prägendende Gitarre der Kings.
Schon in den 50er Jahren hatte
der aus Texas nach Chicago
Wasser-Prawda | Mai 2014
gezogene Freddie King gemeinsam mit Muddy Waters oder
Sonny Boy Williamson, mit
Leadbelly und Howlin Wolf auf
den Bühnen der Clubs gestanden. Doch seine meist bei
kleinen Labels erschienenen
Aufnahmen sorgten nicht für
einen wirklichen Durchbruch für
den Gitarristen. So zog er 1959
nach Texas zurück. Und dann
dauerte es, bis John Mayall
und Eric Clapton seine Musik in
Großbritannien ebenso bekannt
machten wie in den USA. Jetzt
plötzlich interessierten sich
auch die größeren Label für
„The Texas Cannonball“ und
seine Gitarre.
Was King Curtis im Auftrag von
Atlantic mit King im Studio veranstaltete, dürfte Bluespuristen
ein wenig verstören. Denn hier
wird geklotzt: Ganz im Sinne
des Soul treibt hier eine Band
mit kompletter Hornsection, mit
schreiender Orgel und funkigen
Rhythmen die Gitarre voran.
Auch wenn der Opener „Play
It Cool“ heißt: Cool ist hier nur
die Gitarre. Der Rest ist extrem
heißer Soulblues, wie ihn auch
Stax damals mit Albert King
und Little Milton auf den Markt
brachte.
Für die Neuveröffentlichung
hat man dem Album lediglich
die Single-Versionen von „Play
It Cool“ und „Funky“ hinzugefügt. Und das ist völlig ausreichend. Das ist ein absoluter
Pflichtkauf für jeden, der das
originale Album noch nicht in
seiner Sammlung hat. Und es
ist für die jüngere Generation
der Bluesfans eine großartige
Möglichkeit, einen leider vielerorts noch immer unterschätzten Gitarristen und Bluessänger
neu zu entdecken.
Raimund Nitzsche
R.E.M. Unplugged: The
Complete 1991 and 2001
Sessions
Erst war es ein „Vinyl only“Geschenk zum Record Store
Day 2014. Auf vier LPs wurden
die beiden bei MTV aufgezeichneten Unplugged Sessions veröffentlicht. am 23. Mai erscheinen die Aufnahmen mit 11
damals nicht gesendeten Songs
auch auf Doppel-CD.
R.E.M. hatte gerade das siebente Studioalbum „Out Of
P L AT T E N
Time“ veröffentlicht, was durch
Songs wie „Losing My Religion“
oder „Shiny Happy People“
zum weltweiten Hit wurde. Da
die Band mit dem Album nicht
auf Tour ging, kam eine erste
Session für „Unplugged“ gerade
richtig. Sechs der 17 aufgezeichneten Songs stammten aus dem
Album oder entstanden während der Aufnahmesessions.
Das akustische Setting macht
noch mehr deutlich, wie stark
die Band begonnen hatte,
ihren Rocksound immer deutlicher auch in Richtung Folk und
Country zu entwickeln. „It‘s The
End Of The World As We Know
It“ stürmt anfangs etwa dahin
wie die Predigt eines atemlosen
Country-Predigers. „Loosing
My Religion“ war durch die
Mandoline schon von vornherein auf ein derartiges Format
großartig vorbereitet. Insgesamt
haben diese Sessions eine
rela xte Atmosphäre, bringen die leise Melancholie zum
Tragen, die viele der Songs eh
schon auszeichnete. Lediglich
bei „Love Is All Around“ ist
die Stimmung fröhlich und
unbeschwert.
Zehn Jahre später kam „Reveal“
heraus und sorgte bei Kritikern
zu Vergleichen mit „Automatic
for the People“, dem Nachfolger
von „Out Of Time“. Die Band
hatte nach diversen letztlich
gescheiterten Experimenten
zurück zu ihrem Sound gefunden. Vor allem in europäischen Ländern stürmte die
Scheibe auf Platz eins in den
71
Hitparaden. Der zweite Auftritt
bei „Unplugged“ erinnert mehr
an die Rockkonzerte der Band
als an die melancholische
Lagerfeuerstimmung zehn
Jahre zuvor. Das mag auch
an Songs wie „All The Way To
Reno“ einfach wesentlich sonniger daherkommen.
Paar Jahre nach der Auflösung
der Band kann man mit dem
„Unplugged“-Album sich nochmals an die prägende Band der
80er und 90er Jahre zurückerinnern, besonders an ihre besten Zeiten als Major-Band,
die immer ihre IndependendGesinnung beibehalten hatte.
(Rhino)
Raimund Nitzsche
Wasser-Prawda | Mai 2014
72
S iPl R
F
mAeC H R A U M
SECHS STUN DEN
H O B BITS
KOMA-GLOTZEN 2. VON RAIMUND NITZSCHE
I
ch liebe dieses Buch: Seit
ich vor mehr als 25 Jahren
erstmals “Der Hobbit” in die
Hand nahm, bin ich schon
mehrfach mit Bilbo Beutlin,
Gandalf und den Zwergen
auf die Reise durch
Mittelerde gegangen. Und nie
wurde mir dabei langweilig.
Doch als Regisseur Peter
Jackson ankündigte, dass
Wasser-P
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er auch dieses Buch in drei
monumentalen Filmen auf
die Leinwand bringen wollte,
wurde mir mulmig. Beim “Herrn
der Ringe” war mir klar, dass
hier viel Zeit für viel Literatur
nötig war. Neun Stunden oder
mehr für diesen Roman? Für
mich kein Problem. Selbst eine
Dauersession mit den erweiterten Fassungen aus diversen
DVD-Boxen könnte mich nicht
schrecken. Aber der “Hobbit”?
Dieses kleine Büchlein, diese
überschaubare Geschichte?
Was um aller Welt hat Peter
Jackson da nur geritten?
EINE UNERWARTETE REISE
Bislang war ich noch nicht im Kino.
Und Teil 1 des Hobbitfilms steht
seit Jahr und Tag fast un-gesehen
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im Regal. Jetzt aber ist der
zweite Teil als DVD angekommen. Und ich muss mir ein Herz
fassen: Heute muss es sein! Es
ist Sonntagnachmittag, draußen
verschwindet die Frühlingssonne
immmer wieder hinter grauen
Wolken. Also auf nach Mittelerde
in der Version von Peter Jackson.
Zwei Stunden und 48
Minuten später: “Eine unerwartete Reise” ist vorbei. Bislang
war ich jedes Mal eingeschlafen, sobald Bilbo Beutlin vor
Furcht ohnmächtig geworden war: Mehr als 45 Minuten
waren einfach nicht auszuhalten in ihrer Langatmigkeit.
Wo Tolkien einfach beginnt: In
einer Höhle lebte ein Hobbit,
brauchte Jackson vorher noch
zehn Minuten, um schon den
Drachen, den Arkenstein und
die Zwietracht zwischen Elben
und Zwergen anzusprechen
und paar Massenszenen mit
jeder Menge Spezialeffekten
unter zu bringen.
Später
kommt
die
Geschichte doch noch ein wenig
mehr in Fahrt. Nur schade, dass
immer wieder das Ansinnen des
Regisseurs deutlich wird, das
Wiedererstarken von Mordor
zum eigentlichen Subtext der
ganzen Reise zu machen. Und
die Feindschaft zwischen den
Orks und der Gefolgschaft
von Thorin Eichenschild muss
auch noch großartig ausgemalt
werden.
Warum nur fühlt sich Peter
Jackson dazu berufen, sämtliche Legenden rund um
Mittelerde in seine Filme zu
packen? Warum muss er eine
kleine bezaubernde Geschichte
derartig aufblasen? Ok, die
Szenen mit dem Koboldkönig
und seiner Gefolgschaft sind
witzig - und man hat mal wieder
die Chance, eine wilde Schlacht
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“Der Hobbit” ist eine der schönsten Abenteuergeschichten des 20. Jahrhunderts. Noch ganz ohne den
Tiefsinn des “Herrn der Ringe” erzählt J.R.R. Tolkien
einfach die Geschichte einer Schatzsuche in Mittelerde. Peter Jackson konnte sich nicht bremsen und
machte ein weiteres endloses Filmepos draus.
auf der Flucht im Berge zu
filmen. Genug davon. Auch ist
es nicht schlecht, wenn man
außer Gandalf und Saruman
auch den dritten Zauberer
Radegast den Braunen kennenlernt. Auch wenn es eigentlich
nicht zur Geschichte gehört.
Der Magen knurrt und jetzt
ist erst Halbzeit. Es kommen
noch paar Stunden mit Zwergen,
Elben, Zauberern und Hobbits.
Und natürlich dem Drachen
Smaug.
SMAUGS EINÖDE
Nacht ist’s draußen geworden.
Smaug lebt noch immer und er will
seinen Angriff auf Seestadt starten.
Zweieinhalb Stunden Film: prächtige Landschaften, schöne Elben,
grässliche Spinnen im Düsterwald
und heldenhafte Zwerge. Jacksons
zweiter Streich ist wieder mehr
eigener Recherche im Umfeld der
hinterlassenen Schriften Tolkiens
als einer getreuen Umsetzung
des Hobbits entsprungen. Diesmal
hab ich es geschafft und bin trotz
gewaltiger Längen nicht mal nahe
am Einschlafen gewesen.
Denn “Smaugs Einöde” ist
komischerweise der spannendere und überzeugendere der
bislang beiden Filme geworden: Die Charaktere der Zwerge
und Elben sind klarer gezeichnet. Selbst die Konflikte innerhalb der Bevölkerung von
Seestadt sind gut ausgemalt.
Und der Humor der auf Fässern
reitenden Zwerge kommt nicht
zu kurz.
Höhepunkt des visuellen Spektakels ist allerdings
der Drache selbst, der zu
keinem Zeitpunkt wie ein digitales Machwerk sondern wie
ein wirkliches Wesen wirkt.
Wenn ich den Streifen ein visuelles Spektakel nenne, dann
meint das für mich: Hier ist
große spektaktuläre Action zu
sehen, bombastische Bilder und
Gemetzel. Typisch für Jacksons
in Neuseeland angesieldelte
Version von Mittelerde.
Die Frage allerdings bleibt:
Warum hatte er kein Vertrauen
zur Buchvorlage? Warum macht
er aus einer Geschichte, die
man gut seinen Kindern als
Gute-Nacht-Geschichte vorlesen kann, ein bedeutungsschwangeres Monster von
einem Mehrteiler? Warum versucht er schon hier den Beginn
des Ringkrieges zu erfinden,
indem er kleinste Andeutungen
über den Nekromanten gleich
in die Erweckung nicht nur der
Ringgeister sondern auch dem
Auftreten Saurons münden
lässt? Damit zerstört er nicht
nur den “Hobbit”, sondern
macht auch gleich seine
eigene Verfilmung des “Herrn
der Ringe” an einigen Stellen
unglaubwürdig.
Ich liebe das Buch - doch
meine Skepsis in Bezug auf
Jacksons Arbeiten haben zugenommen. Halbwegs verziehen
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hatte ich ihm den unerträglich schmalzigen und unglaublich langen Schluss des dritten
Ring-Films. Doch mit dem
“Hobbit” hat er für mich ein Werk
geschaffen, was es trotz großartiger Schaueffekte niemals
mit dem Buch aufnehmen kann.
PS.: Es sind nicht ganz
sechs Stunden Hobbits. Aber
warten wir mal die Extended
Versions ab …
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JÜ RGEN LAN DT:
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ALS DAS DASEIN SICH VERPFIFF (2010)
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DER SONNENKÜSSER (2010)
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VERKEHR VORERST GESTOPPT (2010)
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DER MANN ISST SEINER FRAU DAS EIS WEG (2010)
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DIE WELT GEHT DURCH UNS (2010)
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prawda | Mai 2014
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RUMMELBUMMLER
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KAMER AD LEVI
THEODOR LESSING (1914/15)
1914 verhinderte die Zensur das Erscheinen der Erzählung “Kamerad Levi”. So konnte
Theodor Lessing sie erstmals 1923 in dem Band “Feind im Land” veröffentlichen.
Die Bilder, die wir als Illustration eingefügt haben, stammen von George Edmund Butler (1872
- 1936), der als Kriegsmaler der Neuseeländischen Regierung auf den Schlachtfeldern des
1. Weltkriegs unterwegs war.
ls der große europäische Krieg ausbrach, war Siegfried Levi, der 26 Jahre
alte Sproß eines Althändlers in Hannover,
zu mehreren Militärärzten gegangen, um
seine Kriegsuntauglichkeit sich bestätigen zu lassen; da aber diese gegen sein
Erwarten erklärten, daß sein Körper vollkommen
gesund und schwerlich Aussicht vorhanden sei,
daß man bei der Einziehung der ungedienten
Ersatzreservisten ihn übergehen oder entlassen
werde, so hatte Levi sogleich die Überzeugung
gewonnen, daß eine sofortige Meldung als
Kriegsfreiwilliger seine Stellung im Heere günstiger beeinflussen werde, als wenn er erst abwarte,
bis man ihn pflichtgemäß zum Kriegsdienste heranzog; wobei er ohnehin noch eine lange bange
Wartezeit vor sich gehabt hätte. Nur durch
eine List war es ihm schließlich gelungen, als
Kriegsfreiwilliger mitgenommen zu werden, denn
als nach zahllosen vergeblichen Bewerbungen
ihm der Bescheid wurde, daß die 1. Kompagnie
des I. Ersatzbataillons zum LinieninfanterieRegiment 124 noch fünfzig Freiwillige einstellen werde, da fand Levi, obwohl er zwei Stunden
früher als zur festgesetzten Stunde im Hofe der
Regimentskaserne erschienen war, die Treppen,
Gänge und Tore des weitläufigen Gebäudes von
wenigstens dreihundert jungen Leuten besetzt,
deren jeder darauf hoffte, daß man just ihn zum
Regiment einkleiden werde. Levi versuchte gar
nicht, auf die zum Musterungssaale führende
Treppe zu gelangen, sondern blieb in dem menschenleeren Hofe, und da einige Fenster des
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obersten Stockwerkes offenstanden, irgendwo
aber eine von den Maurern stehengelassene
Leiter anlehnte, so stieg er sofort an einer beliebigen Stelle in die Kaserne ein, hielt sich bis zur
anberaumten Stunde in einer Zelle des dritten
Stockes verborgen, tappte dann bis zum Zimmer
des Obersten und stand plötzlich als erster vor
der Ausmusterungskommission. Auf die verwunderte Frage des Vorsitzenden: »Was wollen denn
Sie hier?« rief Levi: »Fürs Vaterland sterben!«
mit einer so lebendigen hellen und zum Herzen
gehenden Stimme, daß die Herren, welche sich
erstaunt und zweifelnd anblickten, auf die überreichten Atteste der Militärärzte hin, den Mann
in die Stammrolle des Regiments einschrieben.
Und so war er denn Soldat geworden, nachdem
er bisher jenes von Vater und Großvater ererbte
Geschäft in der Burgstraße innegehabt hatte,
aus welchem dank seiner Tüchtigkeit ein in der
ganzen Stadt angesehener » Salon d‘antiquités«
erstanden war, welcher nach Ausbruch des
Krieges ein neues Firmenschild erhielt und
seither als »Deutsches Haus für Altertümer«
wohlbekannt ist. Da er nun frisch und fröhlich in
den gewaltigen Krieg einrücken sollte, erschien
er unter den hellbegeisterten blonden norddeutschen Jungen wie ein kostbares und feines,
aber etwas verstaubtes Altertum aus einer
fernen Vorzeit; in der Haltung ohne die martialische Straffheit; im Gang, was man latschig
nennt, im ewig sorgenvollen und verloschenen
Antlitz die verdrossene Gleichgültigkeit vieler
über nichts mehr verwunderter Jahrhunderte,
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SPRACHRAUM
und die Beine endlich so unheilbar krumm,
daß jeder Offizier oder Unteroffizier, der uns im
Exerzieren ausbildete, unfehlbar seine tägliche
Kasernenhofblüte von Kamerad Levis Beinen
pflückte, wie etwa: die schwere Artillerie werde
durch Levis Beine durchzielen, oder diese Beine
bildeten das Loch in der deutschen Front, durch
welches die Malefizfranzosen eines Tages in
Deutschland eindringen würden, und dergleichen Späße und Spassetteln mehr. Levi nahm
solche Ausstellungen mit einer unerschütterlichen Gemütsruhe entgegen, ja erzählte witzige
Bemerkungen über seine Beine gerne selber und
lächelte dazu wehmütig anerkennend, soweit
in seinem alteingekauftem Gesicht das fröhliche Lachen zu Hause war, denn man hat ihn
Wasser-Prawda | Mai 2014
nur selten lachen gesehen. Während der zwei
Monate unserer Ausbildung tat er, was eben
befohlen wurde, aber niemals einen Handgriff
mehr, und da er jede unnötige Bewegung verabscheute und dem Feldwebel beständig
mit Zeugnissen aufwartete, welche ihn heute
vom Reckturnen »wegen Schmerzen in der
Kniekehle«, morgen vom Exerzieren »wegen
Entzündung eines Nagels« befreiten, so galt er
als »der größte Drückeberger« in der Kompagnie
und genoß unsere allgemeine Mißachtung.
Denn wir anderen waren jung und fröhlich, mit
Begeisterung und Zorn wie mit Elektrizitäten
geladen und im überschwänglichen Augenblick
unseres Lebens zum Ausflug in den Himmel des
Mutes bereit; und so wirkte solch ein Kamerad
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wie Bleigewicht an ausgespannten Flügeln. War
es also verwunderlich, daß wir alle ihn mieden,
als wenn der Teufel in ihm wäre? Leutnant von
Lieven pflegte zu sagen: »Sein Gesicht verdirbt
mir das ganze Vergnügen am Kriege!« Ja mehr
als einer schwur heimlich, daß diesem Spötter
im Felde kein langes Leben beschieden sein
werde. Vor allem der Offizierstellvertreter Kracht,
ein kolossaler Mann von deutschen Schrot und
Korn, ein blonder Riese, der den Beinamen »der
Germanenkönig« führte, konnte den lächerlichen Soldaten nicht sehn und nicht riechen und
äußerte gemütlich unter Kameraden: »Ich werde
ihn draußen auf eine Patrouille schicken, die das
deutsche Heer von einem unnützen Mitesser
befreit.«
Vier Wochen später brachen wir auf. Es war
der 27. September.
Erst im Eisenbahnwagen, zu vielen Tausenden
verladen, wurde mitgeteilt, wohin unsere
Bestimmung führe; nicht, wie wir alle geglaubt
hatten, zum Kampf gegen Frankreich, sondern
ins nördliche Belgien, wo, nachdem Brüssel und
Gent soeben von den Deutschen besetzt waren,
ein heftiger Kampf um Antwerpen und um die
Küste der Nordsee geführt werden mußte. Auf
der endlos langen Bahnfahrt, wo wir an ganz
kleinen Stationen stundenlang liegen blieben,
bis wir schließlich, nach fast vierstündiger Fahrt,
in Aachen landeten, saß Levi, ohne Waffenrock,
in Hemdsärmeln in einem Winkel des großen
Viehtransportwagens und erteilte strategische
Auskünfte. Es war erstaunlich. Sein Gehirn besaß
die merkwürdigste Kenntnis aller möglichen
Personalverbindungen. Wenn man ihn nach dem
Standort eines Regiments befragte, so wußte
er nicht nur zu sagen, wo das Regiment gegenwärtig stünde, sondern schnurrte die Namen der
Führer her; wußte in der Beförderungsgeschichte
Klucks, Hindenburgs, Emmichs Bescheid,
brachte fertig, sämtliche v. Bülows und v. Moltkes
der Rangliste auseinander zu halten, indem er
Verwandtschafts- und Personalbeziehungen,
Heirats- und Erbschaftsangelegenheiten eines
jeden kannte, welche doch jeden andern
Menschen vollständig gleichgültig lassen. Der
junge Leutnant von Lieven, der mit uns reiste, rief
ein über das andere mal: »Teufel! Woher weiß er
das?«, als Levi, ruhig in seiner Ecke kauernd und
mit einem Bleistift Konturen von Stammbäumen
durch die Luft ziehend, darlegte, daß die Lievens
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mit v und die mit f verschiedenen Ursprungs
seien, daß der Hauptmann v. Lieven in Stargard
und der Major Liefen in Königsberg unmöglich
verwandt sein könnten, und daß die Familie des
Leutnants mit jener fürstlichen Familie verwandt
sei, welche vor hundert Jahren, wie er selber
Levi geheißen habe, aber beim Übertritt geadelt
worden sei. Der kleine Leutnant, auf solche Dinge
zum ersten Male hingewiesen und von Levis
überzeugenden Kenntnissen ganz überwältigt,
begann den Vielwisser »unheimlich« zu finden,
und erzählte mit Grauen, daß der Mann an Stelle
der Soldatenbibel eine mit weißem Papier und
vielen Bleistiftnotizen durchschossene Rangliste
im Tornister trage.
Nach unserer Ausladung in Belgien begannen
jene furchtbaren Märsche an den Feind heran,
auf welchen wir Tag für Tag auf den großen
Beginn der »Feuertaufe« warteten. Ich hielt mich
nun absichtlich in der Nähe Levis, nicht nur, weil
dieser Mann mich lebhaft interessierte, sondern
weil seine Nachbarschaft aus dem schweren Marsche mir viele Erleichterungen brachte.
Er hatte zunächst die Gewohnheit, beständig
Opern- und Operettenmelodien vor sich hinzubrummeln, nach deren Rhythmen er übrigens
genau wie auf dem Kasernenhof dahinschlurfte.
»Meine Herren«, sagte er zu seiner Umgebung,
»jeder menschliche Körper hat bestimmte Takte
und Zählzeiten, nach denen er sich am leichtesten bewegen läßt; das muß man ausprobieren;
was mich betrifft, so ziehe ich gegenwärtig vor
die Melodien: »O teure Mutter, du darfst nicht
sterben!« und »Ich hab um sechs ein Rendezvous,
mit dem Schatz, mit dem Fratz, mit der Erika«;
weil es Melodien sind, die der Einstellung meiner
Pedale am besten entsprechen.« Dieses mechanische Dahinstolpern nach einer Million Male wiederholten Melodie schien seine Kraft zusammenzuhalten, und noch heute geschieht es, daß, wenn
ich irgendeine Opernmelodie höre, wieder das
Bild des wunderlichen Kameraden vor mir auftaucht, wie er in gleichmütigster Seelenruhe und
mit einer fachlichen Verdrossenheit die langen
sumpfigen oder hartgefrorenen Landstraßen
dahinschlürft. Dabei sog er beständig an unauflöslichen Gummibonbons, von denen er freigebig
allen Nachbarn abgab. »Diese Gummistangen,
meine Herren«, sagte er, »habe ich sogleich
nach Ausbruch des Krieges in großen Posten
aus Amerika importieren lassen, denn man kann
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SPRACHRAUM
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nicht wissen, wie lange sie noch zu haben sind.
In Deutschland fabrizieren wir nichts Ähnliches,
denn sie haben die Eigenschaft, daß man sie
nicht verschlucken kann und viele Stunden lang
saugen muß, ehe sie sich aufzulösen beginnen;
dadurch kann man auf dem Marsche seinen
Gaumen feucht erhalten; denn sehn Sie, meine
Herren, was ist es für ein verkehrtes Zeugs,
was die andern Herren kauen. Manche rauchen
auf dem Marsche Zigaretten, das werden sie
bereuen, denn es verdirbt vorzeitig die feinen
Kanäle der Bronchien und die Gefäße; auch
führen einige von Ihnen Kolapastillen bei sich,
die anderen Zucker, wobei man in wenigen
Sekunden den Bonbon auflöst, und dann hat
man das Gift im Blute. Sehr vernünftig ist Herr
Offizierstellvertreter Kracht, welcher getrocknete
Pflaumen hat. Diese, die ich Ihnen zeige, ist die
gewöhnliche Katarinenpflaume, die bessere heißt
Sultanspflaume; es sollen noch bessere in der
Umgebung von Tours in Frankreich wachsen,
welche man Königspflaume nennt, aber am
besten dienlich sind Bismarckpflaumen; man
spürt nichts vom Staub der Chaussee und
kann stundenlang an einer trocknen Pflaume
kauen und zuletzt am Kern, der einen ganz
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angenehmen Bittermandelgeschmack hinterläßt.
Dagegen hat Kamerad Bokelberg sein schönes
Geld für Hirths Elektrische Regenerinpastillen
ausgegeben, einen großen Schwindel, und
Herr Leutnant v. Lieven kaut Pralinee und verdirbt seine Zähne, die, wie Sie sehen können,
schon teilweise plombiert sind; das ist alles Gift,
aber diese amerikanische Gummistange, höchstens zwei am Tage, das ist das Richtige.« Es
geschah auch bald, daß die Levi‘sche »amerikanische Gummistange« bei der Kompagnie beliebt
wurde, und alle Augenblicke kam jemand und
sagte herablassend: »Du, Levi, haste noch ‚ne
Stange?« worauf dieser aus seiner unerschöpflichen Hoseninnentasche neue Quanten des klebrigen Gummis holte ...
Aber schon am folgenden Tage erwies
sich Levis strategische Brauchbarkeit in einem
höheren Glanze. Das geschah in jenem großen
Pferdestall, wo wir im Stroh das Nachtlager
bezogen, nachdem wir uns am Mittag in dem
Dorf, welches, wenn ich nicht irre, Nachtigall
hieß, mit den auf andern Wegen herangeführten Regimentsteilen vereinigt hatten. Jetzt befand
sich der Stab, an seiner Spitze der Oberst, bei der
Truppe, und die Herren verbrachten die Nacht,
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während schon ferne Geschütze dumpf erdröhnten, in einem Gehöfte, zu welchem auch unsere
Stallung gehörte. Der alte Oberst kam von der
vorderen Bauernstube, darinnen er übernachtete,
wiederholt in die Ställe, um an ihrem anderen
Ende plötzlich ins Freie zu verschwinden. Es
war uns aufgefallen, daß, bevor das geschah,
regelmäßig der Regimentsadjutant kam und die
ruhig daliegenden Mannschaften fragte, ob ihm
jemand ein paar Zeitungen zum Lesen geben
könne, und die guten Jungen, nicht viel nachdenkend, brachten alles, was sie an Lesestoff hatten,
bis kein Bogen Papier mehr aufzutreiben war.
Gegen 11 Uhr nachts, als alle schliefen, kommt
wieder der Adjutant mit der Stalllaterne und purrt
die Unteroffiziere um Lektüre an; keiner aber hat
dergleichen, so daß er wetternd und fluchend
die Stallung verläßt. Gleich darauf erscheint
ein höherer Offizier, unsicher schwankend, den
Mittelgang zwischen den Pferdeabteilen entlang,
während wir im Stroh liegen und niemand sich
stören läßt. Es ist unser Oberst, genannt »der
Alte«, mit seiner elektrischen Taschenlaterne,
gebückt hinhuschend, zur Ausgangstür nach
dem Acker. Plötzlich steht Levi vor ihm und
überreicht wohlzusammengefältelt mit einer
Wasser-Prawda | Mai 2014
diskreten Verbeugung ein Päckchen des feinsten
Toilettepapiers, worauf der übelgelaunte Oberst
die demütig dastehende Figur überfliegend,
unangenehm berührt zusammenzuckt, dann aber
plötzlich den Humor der Lage empfindend, dem
Manne auf die Schulter klopft: »Wie heißt er?«
Und dieser antwortet: »Siegfried Levi«, ohne sich
von der Seite des Obersten, der im Gang vorüberschreiten will, zu entfernen. Diesem scheint die
Begleitung peinlich zu sein, aber Levi mit zäher
Grausamkeit benutzt diesen Augenblick, um dem
Herrn eine vorher sorglich im Kopfe zurechtgelegte Rede zu halten. »Herr Oberst«, beginnt
er, »der Wagen mit den Generalstabskarten.« –
»Jetzt ist nicht Zeit!« Aber Levi fährt unerbittlich
fort: »Der Wagen mit den Generalstabskarten
muß von einem Manne bedient werden, welcher
sich auf Karten und Nachschlagewerke versteht
und den literarischen Apparat, den das Regiment
mitführt, in Ordnung hält.« »Was kümmert Sie
das?« unterbricht der Oberst, bemüht, den Mann
loszuwerden, andererseits aber durch die gebildete Ausdrucksweise wie durch die Annahme des
Geschenkes sich verpflichtet fühlend: »Wenden
Sie sich an den nächsten Vorgesetzten; wer ist
das?« »Herr Feldwebel Kracht.« »Schere er
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sich«, befiehlt nun der Oberst barsch in dienstlicher Tonart; aber Levi, dem keine Disziplin in den
Knochen sitzt, erwidert vertraulich: »Dann darf
ich mich beim Herrn Offizierstellvertreter Kracht
auf den Herrn Oberst berufen?« Jetzt wird dieser
zornig, brüllt: »Abtreten!« und Levi schlurft in das
Stroh zurück. »Mensch«, sage ich, »wie konntest du? Jetzt hast du verspielt; der Oberst ist
wütend.« Er aber wiegt, wie wenn er die Chancen
einer Rechnung hüben und drüben nachwöge,
sein kleines schwarzes Gaunerköpfchen und
sagt; »Der Eindruck sitzt.« »Wie denn?« flüsterte
ich zurück (im Dämmergrau des Pferdestalles
rührten sich im Halbschlaf unsere Nachbarn).
»Der Oberst wird mich nie mehr ansehn, ohne
an dies da zu denken.« Dann schliefen wir ein.
Wirklich stand Levi schon am nächsten Morgen
im günstigen Augenblick vor dem Germanenkönig
und erklärte, der Oberst habe ihn geheißen, sich
beim nächsten Vorgesetzten für die Stelle des
Kartenordners zu melden. Aus dieser Meldung
konnte Kracht nicht klug werden (weil der Oberst
allein solche Stellen zu besetzen hatte); es wäre
ihm gar nicht eingefallen, für den »Schandfleck der
Kompagnie« sich zu bemühen, wenn nicht der alte
Oberst, der sich übertags allmählich erheiterte,
auf dem Marsche den Germanenkönig gelegentlich ans Pferd herangewinkt und gefragt hätte,
ob ein Mann namens Levi bei der Kompagnie
sei, und ob dieser sich wohl für den topographischen Dienst eigne, woraus Kracht, der das
Wort »topographisch« nicht kannte, aber herausfühlte, daß Levis Stern irgendwie im Steigen
sei, von der Gelehrsamkeit des Mannes zu reden
begann, welche Rede Leutnant v. Lieven, der
immer nur daran dachte, daß er eigentlich selber
Levi heißen solle, lebhaft bestätigte, und da dem
alten Oberst von Krosigk, so oft sein Blick zufällig wieder fiel auf den nach der Melodie: »O süße
Mutter, du darfst nicht sterben« dahinschlürfenden Soldaten, die peinliche Nachtszene wieder
auftauchte, so war Ergebnis, daß Levi die
Stelle beim Kartenwagen erhielt; und man hätte
keinen besseren »geistigen Marketender« finden
können; zunächst begann er eine Neuordnung
des gesamten Nachschlagematerials nach einem
von ihm ersonnenen vereinfachendem System,
so daß für jede gewünschte Auskunft jede verfügbare Karte und jedes Nachschlagewerk sogleich
zur Hand war ...
Nun begannen die furchtbaren Tage, die
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schrecklichen, in denen die Lust, die man atmet,
eine einzige Welle kleingehackten und geschmolzenen Bleies ist, durch die man voran und immer
vorangetrieben wie eine Herde halbblinder,
halb irrsinniger Tiere, nichts mehr wahrzunehmen vermag als Blut und wieder Blut und jenen
niemals abreißenden Schrei aus Raserei und
Schmerz, welcher die Himmel erfüllt. Aber das
Unsagbare werde ich nicht durch leichten Bericht
über den komisch-tragischen Kameraden entweihn; müßte ich doch erzählen vom Heldentode
so vieler Herrlicher ... Doch die Erinnerungen
der nächsten Monate sind so voll von Bildern
des Grauens, daß ich um so lieber die harmlosen Erinnerungen wieder aufnehme, die mir
vom Musketier Levi geblieben sind. Zunächst
geschah, wer hätte es gedacht? das Wunder der
Verbrüderung des »Germanenkönigs« mit Levi.
Kracht, der Hüne, der schönste Mann, den ich je
gesehen habe, gegen Levi bis zum Ekel voreingenommen, erwies sich in seinem Element, sobald
das Dreinschlagen begann, während er den
banalen Alltagssorgen hilflos gegenüberstand.
Derselbe Mann, der den Drachen totschlug,
war im Kampfe gegen Mücken ahnungslos, und
dieses machte sich Levi so zunutze, daß zuletzt
jene Periode eintrat, wo wir uns an Levi wendeten, wenn wir bei Kracht etwas erreichen wollten,
weil dieser, wie übrigens auch der kleine Lieven
nichts tat, ohne Levi zu hören. Das begann mit
einer merkwürdigen Stiefelgeschichte, bald nach
dem ersten Nachtgefecht. Plötzlich waren die
Herbstfröste eingetreten, welche unter anderem
die Wirkung hatten, daß die Soldaten, wenn sie
über Nacht die Stiefel auszogen, am Morgen
nicht mehr in das Leder hineinkommen konnten.
Viele litten unter dem Druck des Stiefelleders
so sehr, daß sie am Abend im Quartier der
Versuchung, den Stiefel vom geschwollenen
Fuß zu ziehen, nicht widerstanden, obwohl sie
wußten, daß, sobald Weitermarsch befohlen war,
der Stiefel nicht über den Ballen ging, weil der
inzwischen warmgewordene Fuß sich gedehnt,
das Leder aber zusammengezogen hatte. Levi
brachte zunächst eine Flasche Kollodium herbei
und überpinselte unsern Leuten die Zehe, so
daß sich eine Glasur bildete, unter deren Schutz
der Druck der Stiefel nicht so schmerzhaft war,
dennoch blieb das Stiefelanziehen am kalten
Morgen eine der Torturen des Krieges. Da aber
verfiel er auf eine einfache Auskunft. Er stopfte
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Stroh und Zeitungspapier in die enggefrorenen
Stiefel, zündete es an, und im selben Augenblick,
wo das Papier und Stroh anbrannte, fuhr man
mit dem Fuß in die Flamme und trat sie aus. Der
Stiefel saß wie angegossen, und die Wärme
wirkte wohltuend ...
Den eigentlichen Glanzpunkt aber im
Kriegsleben unseres Kameraden bildete unsere
Erstürmung des Schlosses Chaudfontaine. Dies
war das Schloß eines belgischen Edelmannes,
aus dessen Kellerfenstern und Dachluken auf eine
sehr hinterlistige Weise auf die arglos gemachten und scheinbar wohl aufgenommenen deutschen Soldaten geschossen worden war, weswegen nun ein Detachement, bei welchem auch ich
und Levi waren, den Befehl erhalten hatte, das
von Franktireurs besetzte alte Gebäude rücksichtslos zu säubern. Unsere mit Recht erbitterten Leute benutzten diese Gelegenheit, um
in Säcken, Kisten und Kasten fortzuschleppen,
was nicht niet- und nagelfest war, und wovon
sie hofften, daß sie vom nächsten Rastort aus
es in die Heimat an Weiber oder Eltern gelangen lassen konnten; aber, da damals eine tadellose Zucht bei unserer Truppe herrschte und das
›Requirieren‹ aus eigene Faust streng bestraft
wurde, so wurden auch dieses Mal alle bestraft,
welche Wertsachen aus dem Schlosse mitnahmen, die Sachen aber, soweit sie nicht auf den
folgenden beschwerlichen Märschen einfach fortgeworfen wurden und liegen blieben, zuletzt dem
rechtmäßigen Besitzer getreulich zurückgegeben.
Da war es nun wahrhaft belustigend und lehrreich zu beobachten, wie bei der Erstürmung des
Schlosses eigentlich jeder ein Andenken mitzunehmen versuchte und trotz des vierzigpfündigen
Tornisters irgendeinen nutzlosen Gegenstand
sich auflud, den er für wertvoll hielt und gerne
mit nach Hause gebracht hätte. Levi aber inmitten
alle dieses gierigen und wüsten Aufruhrs durchschlurfte in aller Seelenruhe das Parkett der Säle
nach der Melodie der nicht sterbendürfenden
süßen Mutter, blieb anerkennend hie und da vor
einem alten Gemälde stehen, begutachtete und
beaugenscheinigte die Bronzen, Ahnenbilder und
Gobelins und erläuterte uns die Bedeutung der
Kunstgegenstände und Altertümer, von denen er
eigentlich als einziger von uns etwas verstand,
ohne aber die mindeste Gier nach ihrem Besitz
zu zeigen oder den Wunsch, etwas mitzunehmen, bis er in einem Seitengemach einen alten
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kleinen Nähtisch erspähte, auf den er zustürzte
und dessen Schubladen er öffnete, worauf er
mit einem wahren Freudengeheul herausnahm
und in seiner großen Hosentasche verschwinden ließ: eine Rolle weißen und eine schwarzen Zwirns, viele Stecknadeln, Hosenknöpfe
und eine Schere. Dieses war die ganze Beute,
die er aus Chaudfontaine mit sich führte, und
er war der einzige, der leicht an ihr trug und sie
behalten durfte, da sie sich in der Folge als hochnützlich erwies und eigentlich der einzig positive Ertrag war, den die stolze Erstürmung von
Chaudfontaine uns eingebracht hatte. –
Durch solche kleine Brauchbarkeiten entschädigte das schwarze Schaf der Kompagnie
für seine vollständige Unbrauchbarkeit in
Feuergefecht und Handgemenge. Ich habe ihn
nie in Ruhe sein Ziel nehmen sehn, und als ich
im Graben neben ihm liegend, einen in der Ferne
auftauchenden Engländer fallen sah, und um
Levi ein Vergnügen zu machen, sagte: »Den hast
du getroffen«, da wurde dieser bleich wie ein
Linnen und ließ sich von mir noch mehrere Tage
nachher immer wieder bestätigen, daß ich mich
geirrt haben müsse und nicht er jenen Engländer
getroffen habe.
Bevor ich erzähle, wie es endete, muß ich
noch einer Episode gedenken, die das nüchterne
Wesen des von unmittelbarer Nützlichkeit voll
ausgefüllten Menschen lebhaft mir vor die Seele
stellte. Die 10. November-Nacht brachte den blutigsten Kampf, dessen ich mich entsinne. Wir
hatten uns eben in die frostharte Erde eingegraben, als vom General der Befehl kam, das in
kurzer Entfernung gelegene Dorf, welches von
Engländern und Franzosen, vor allem aber von
Engländern besetzt war, bis zum Morgen durch
Sturmangriff zu nehmen. Dieser Befehl war in
so schneidiger Form gehalten, daß dem Oberst
von Krosigk, der das Wagnis der Erstürmung des
an einen Wald angelehnten befestigten Lagers
ohne genügenden Schutz durch Artillerie richtig
beurteilte (denn unsere Geschütze konnten erst
am Morgen zur Stelle sein), wohl die paar noch
übrigen weißen Haare zu Berge standen. Der
General hatte den Offizieren des Regiments als
Ort des Stelldicheins für den nächsten Morgen
das Dorf Grootschoote bezeichnet, ohne ein Wort
darüber zu verlieren, daß dieses doch vorläufig
noch in Feindeshänden war. Dieser Befehl war
nicht mißzuverstehen, und wir sahen durch die
SPRACHRAUM
Feldstecher mit Staunen wunderliche massige
Bauten, hinter denen Maschinengewehre aufgefahren waren; im Feuerschein der Nacht entpuppten sie sich als kolossale Lehmpyramiden,
dergleichen ich weder vorher noch nachher
gesehen habe. Zu diesem Sturmangriff standen
nur unsere beiden Kompagnien zur Verfügung,
doch war für uns beruhigend, daß das Regiment
Goslarer Jäger in der letzten Nacht unsere früheren Quartiere, eine Viertelstunde von unseren
Gräben entfernt, bezogen hatte, allerdings so
übermüdet nach neuntägigen Gefechten, daß
wir bei diesem uns auferlegtem Sturm von
Grootschoote nicht auf ihre Hilfe rechnen sollten.
Das Unternehmen erwies sich verwickelter, als
der General gedacht hatte. Zwar gelang es, von
drei Seiten her die Truppen um Grootschoote
zusammenzuziehen und in der Nacht zu stürmen,
aber dann stellte sich heraus, daß der Feind im
Schutze der unheimlich im Sternenlicht ragenden Pyramiden den Geschützpark gerettet
und hinterm Walde zusammengezogen hatte.
Furchtbare Straßenkämpfe mit den rasenden
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Einwohnern zwangen die Unsrigen, jedes Haus
einzeln zu stürmen, indessen die Engländer dasselbe Dorf, in welchem sie eben selber gesessen
hatten, rücksichtslos in Trümmer schossen. Der
Schrei des gepeinigten Viehs in den Flammen, die
Angst der Pferde an den Ketten, das Geheul der
Hunde durch die Nacht, das Geknister Einsturz
drohender Balken, schwarze Wolken überm spärlichen Mond, rauher Ost, der das Feuer schnell in
Speicher und Strohdiemen, Dächer und Balken
treibt, die brennende Kirche, ihr Glockenturm,
tausendjährig, wie mit einem Schlage plötzlich in
die wahnsinnige Nacht stürzend, Stimmen rund
herum, man weiß nicht wo und wohin ... alles steht
vor mir nur als eine chaotische Wahrnehmung,
so wahnwitzig, so sinnlos, als stürze die irre
Welt im Höllenfeuer zusammen; und in den
Straßen zwischen den brennenden Häusern
stauten sich menschliche Leiber so dicht, daß die
Nachrückenden einfach die Bajonette gebrauchten und in das Knäuel von Mensch und Tier hineinstachen, um über aufgetürmte Hindernisse,
wie an Springstangen, hinwegzukommen. Nun
Wasser-Prawda | Mai 2014
90
SPRACHRAUM
war von unsern Patrouillen gemeldet, daß gewaltige Artillerie hinterm Walde stehe, und während
wir Stunde auf Stunde auf unsere eignen
Geschütze warteten, welche zu spät nachrückten,
konnten die Engländer im Schutze des Waldes
mit Granaten und Schrapnells uns überschütten, ohne daß die Eroberung von Grootschoote
viel nützte. Hauptmann Krüger, ein ruhig besonnener Mann, der jeden unnötigen Aufwand an
Menschenmaterial vermied, wäre gern in die alte
Position zurückgegangen, aber der Befehl des
Generals lautete: »Dorf halten, bis Geschütze
kommen.« Eine Kette von 30 Mann hielt die
rückwärtige Verbindung mit den Goslarern aufrecht, indem alle 50 Meter ein Mann lag bis zum
Meierhof Montjoie, wo die Jäger lagen, und die
Kette entlang lief wie an einem Telegraphendraht
der Wunsch: »Kommt, kommt endlich!« Obwohl
unsere Leute auf dem Bauch über nächtliche
Sturzäcker gleich Schlangen krochen, konnten
sie sich ohne Deckung nicht halten; die Luft war
Flammensud. Mitten im Feld an der dünnen
Böschung, wo zwei Chausseen kreuzen, stand
Wasser-Prawda | Mai 2014
eine schwarz geteerte Baracke, welche der
Oberst zum Mittelpunkt der Operation machte,
denn als wir das Haus stürmten, fanden wir aufgeschichtet bis zum Dache über 300 englische
und französische Schwerverwundete, welche
man Hals über Kopf im Stich gelassen hatte.
Grauenhaft zusammengepfercht in einer von
Eiter und Fieberschweiß stickenden Luft lagen
sie von einem jungen Unterarzt, einem ratlosen blassen Menschen, und zwei erschöpften Wärtern notdürftig bedient; aber kaum war
diese Hölle Menschenelend in unsern Händen,
als der Oberst rücksichtslos anordnete, sämtliche Feinde ins Freie zu tragen, weil die Baracke,
die vom Walde her nicht beschossen wurde, für
den Stab oder für unsere eigenen Verwundeten
nötig war. Kaum hatten die Aufräumearbeiten
der wimmernden, unverständliche Laute lallenden Halbtoten begonnen, als eine ungeheure
Granate das Dach des gräßlichen Hauses glatt
hinwegrasierte und ein Staubmeer von Balken
und Splittern über Freund und Feind schüttete:
jeder suchte sich aus dem Trümmerhaufen zu
SPRACHRAUM
retten, und in dem neuentstandenen Chaos im
Chaos verklang jedes Kommando. Jetzt wartete
alles auf die Jäger. Nachdem Botschaft auf
Botschaft zu ihnen geschickt war, laufen ich und
Levi als freiwillige Ordonnanzen, um den Oberst
der Goslarer zum Sturm auf den Wald, genannt
forêt d‘ août, anzutreiben. Die Antwort: »Eine
Stunde noch Ausdauer, dann sind die Goslarer
nahe genug, um in Aktion zu treten.« Wir weinen
beinah. Die Jägeroffiziere fluchen, man habe
nicht Lust, die schwermitgenommene Truppe für
uns zu exponieren; der Sturm sei zu früh erfolgt,
man möge sich in die alte Stellung zurückziehen, am Morgen nochmals stürmen; und so
lauter vernünftige Ratschläge, nur dem Befehl
des Generals zuwider. Man befahl uns nun, in
eine Scheune zu treten, wo wir 39 Infanteristen
beisammen finden, des Aufbruchs harrend. Aber
die Jäger, bleichwangig, übernächtig, schlafen
oder liegen herum, mitten in der Feldschlacht,
während der Brand von Grootschoote herüberleuchtet und unsere Kameraden auf Hilfe
warten. Endlich kommt der Bescheid von der
Artillerie. Jeder ist ruhlos. Levi hat sich in der
Nähe quer über einen Ameisenhügel geworfen,
Gesicht nach unten, er will nichts sehen und
nichts hören. Plötzlich klingt das Signal: Los zum
Sturm! Eine Ordonnanz des Obersten kommt in
unsere Scheune, schreit gellend: »Alle Jäger zum
Sturm!« und ist wieder draußen. Hörner setzen
ein; überall hinter Zaun und Wand kommen die
Leute hervor und schnell geordnet drängt der
ganze Zug vorwärts gegen das brennende Dorf.
Die wenigen Infanteristen wollen sich anschließen: Bokelberg hat die Führung, als Levi aufspringend, wütend, stoßweise ruft: »Sind wir denn
Jäger?« Die Frage wirkt. Jeder ist sich klar, daß
es ein Sophisma ist, denn der Oberst hat uns das
Kommando: »Alle Jäger zum Sturm« geschickt,
damit wir wissen, wir haben uns anzuschließen.
Aber da der Wortlaut des Befehls eben nur die
Jäger nannte, so konnte keiner uns einen Vorwurf
machen, wenn wir ihn auslegten, als seien die 39
Infanteristen ausgeschlossen. Bis auf den ehrgeizigen Bokelberg und zwei Kameraden erklärten alle: »Wir bleiben liegen, wo wir liegen«, und
dieser Entschluß rettete uns das Leben, denn
jene Unternehmung mißlang.
Jetzt will ich noch kurz sagen, wie Levi zwei Tage
vor seinem Tode zum Eisernen Kreuz vorgeschlagen wurde. Man hatte nämlich allen Überlebenden
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aus diesem Sturm eine Auszeichnung zugedacht, denn der Oberstkommandierende hatte
kein ganz reines Gewissen bezüglich jenes voreiligen Befehls, der vielen tapferen Männern
ohne Notwendigkeit das Leben kostete. Man
suchte förmlich nach Verdienst, um den einzelnen Kämpfern »Trösterchens« geben zu können.
Levi aber war von so extremer Nüchternheit,
daß er auch dem wohlwollendsten Vorgesetzten
schwer machte, eine Handlung zu entdecken,
die, wie wir uns damals ausdrückten, »nach
Heldentum roch«. Da geschah folgendes: Wir
lagen vor Weihnacht in Gräben auf der Wacht, als
in unserer Verpflegung Schwierigkeit eintrat. Wir
waren auf Fleischnahrung angewiesen, aber den
verarmten Dörfern fehlte Viehfutter. Gräßliches
Grauen, wenn Hunde und Katzen, Geflügel,
Schafe, die Rinder in zerstörten Dörfern heimatlos, langsam verhungernd, zwischen Trümmern
irren, zuletzt sich wechselweise zerfleischend
und an Wegrändern verrecken. In unsern Dörfern
waren zahllose Schweine, aber nicht genug
Rinder. Dann ganze Herden waren zusammengetrieben und im Vorrücken vor uns hergejagt zum
Schutz gegen die Minen. Ein plötzlicher gräßlicher Aufschrei, eine furchtbare Detonation, und
wir konnten über die Trümmer einer vielhundertköpfigen Herde ungefährdet den Marsch nehmen
... Aber die Schweine verwildern in den Dörfern
und wagen sich an Lebende und Tote. Nun
tagte eine Kommission, der auch unser Oberst
v. Krosigk angehörte, um die Frage zu lösen, wie
man ohne Korn, Küchenabfälle, Treber und Kleie
die Schweine nutzbar mache. Plötzlich steht Levi
mit der ihm eigenen ruhigen Unverschämtheit bei
den Offizieren. »Sieh da«, sagt unser Oberst,
»Levi, wie geht‘s?« Und die Antwort lautet: »Wie
soll‘s gehen, man lebt noch.« »Ja, ja, ich erinnere
mich«, sagt der Alte, verlegen vor den beiden
Stabsärzten, »eine Nacht im Oktober«. »Nu, ich
erinnere mich auch«, sagt Levi. Was will er nur?
denkt der Oberst, ungnädig werdend, als Levi herausplatzt: »Leichenfütterung«. Die Herren sehen
einander an, denn der Mann sagt da etwas, was
jeder schon gedacht hatte; aber ausgesprochen
hätte das keiner ohne Empörung. Mißtrauisch,
den Schnurrbart kauend, den Blick starr auf Levi
gerichtet, fragt der Oberst kurz: »Was meinen
Sie?«, worauf dieser, tastend, wie weit er sich
vorwagen solle, erwidert: »Feindesleichen«.
Der Oberst spuckt verächtlich aus. Der jüngere
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SPRACHRAUM
Stabsarzt sagt: »Christenehre, Soldatengrab«,
darauf überreicht ihm Levi ein Blatt Papier und man
liest: »Der unterzeichnete Infanterist bestimmt,
daß, wenn er fällt, sein Körper zum Nutzen des
Vaterlandes zum Schweinefüttern ...« und so
weiter, mit Name und Datum. Der Oberstabsarzt
klopft ihm die Schulter und sagt: »Brav, Sie sind
ein gut vaterländischer Mann.« »Wieso vaterländisch?« entgegnet Levi erstaunt, »wenn ich
doch mal tot bin.« Am selben Tage sammelte er
Unterschriften, und es waren fast dreihundert
Leute, welche sagten, daß, wenn sie fielen oder
stürben, es ihnen ganz gleichgültig sei, wie man
mit den Körpern verfahre. Aber diese letztwilligen Verfügungen wurden nicht angenommen,
und da die beiden Geistlichen mit Recht empört
waren, so gab es einen Kampf der Geister, und
Levi erntete Verachtung; immerhin sagte unser
Oberst, die Tat Levis, der als rechtgläubiger Jude
sich zur Schweinefütterung bestimmte, sei ein
Beweis von Vaterlandsliebe und des Eisernen
Kreuzes wert. Aber inzwischen war Levi gestorben. Die näheren Umstände waren diese: Wir
waren den Tag durch Maschinengewehre und
Minenwerfer belästigt, ober ohne Erfolg. Am
Abend wurden wir für mehrere Tage abgelöst
und bezogen Quartier in einem Elektrizitätswerk,
das ganz weihnachtlich und heimatlich hergerichtet war. Doch nein: jetzt fällt mir ein, es war
eine Papierfabrik, aber wir hatten in den Zimmern
elektrisches Licht und sogar Läutewerk angelegt.
Wir waren in sehr guter Stimmung. Die Gräben
der Engländer waren nicht weit, und wir glaubten vom Fenster der hochgelegenen Fabrik die
Schanzen zu erkennen. Die Nacht war kalt und
klar. Viele Sterne am Himmel. Über Weihnachten
sollte Waffenstillstand sein. Wir wickelten uns in
Pelze. Manche hatten einen Schlafraum allein; ich
teilte den meinen mit Levi. Plötzlich, ich lag schon
im Halbschlaf, tönt aus der Ferne ein einzelner
Schrei, ganz gräßlich. Das Zimmer ist mondhell,
und ich sehe Levi lauschend im Bett aufsitzen.
Was ist denn? Irgendein sterbendes Pferd; es
schreit und schreit. Die Klage kommt herüber
von den Schanzen der Engländer her. Plötzlich
seh ich Levis Körper von einem Weinkrampf
geschüttelt, und ich kehre mich zur Wand und
sage nichts. Wir kennen alle diese Stunden, da
wissen wir: Jetzt denkt er an sein Mädchen oder
an die kleinen Geschwister zu Haus. Wir helfen
einander, indem wir das nicht bemerken. Was
Wasser-Prawda | Mai 2014
auch ließe sich sagen; wir fühlen alle das gleiche:
Grauenhaft und unvermeidlich. Aber Levi brüllt
los: »Vieh, Lumpe, Schufte!« »Mensch, Mensch,
was ist in dich gefahren?« »Tiere, Bestien«, brüllt
er weiter. »Wer denn? Die Engländer?« »Die
Menschen, Ihr!«, und da ich beleidigt zurückgebe:
»Habe ich etwa den Krieg gemacht?«, sagt er
etwas beruhigter: »Du bist auch aus Hannover,
eine schöne Stadt und alt.« Währenddes steht
er auf und beginnt sich gemächlich anzukleiden. »Wohin denn?« frage ich; aber er fährt nur
fort in seinem Gedankengang. »Flötjepipen«,
sagt er. »Euer verfluchter Heldentod. Ist ja
doch alles Schwindel.« Ich denke: der ist krank
geworden, aber kann mich unter den Fellen
nicht rühren. Er nimmt seinen Revolver und sagt
dabei noch einmal: »Ich pfeife auf Heldentod.«
Und draußen ist er. Ich war so taumelig vor
Müdigkeit, daß ich nur dachte: Immer nur unnützes Gerede; lassen wir ihn. Ich lausche in die
Nacht. Nichts regt sich. Leise kommt der Schlaf.
Gegen Mitternacht fahre ich empor, denn hinter
dem Walde knattern Schüsse. Erst ein einzelner, dann eine ganze Reihe, auf der Seite der
Engländer, alsbald von hüben bei den Unsern
beantwortet. Ich schlafe weiter, hin- und hergeworfen von gräßlichen Träumen wie alle Nacht
draußen. Am Morgen erst fällt mir die Sache mit
Levi wieder ein. Er fehlt beim Appell. Keiner weiß
Auskunft; einige meinen, er hat die Waffe gegen
sich selbst gekehrt. Zwei Tage später erklärte
sich sein Verschwinden. Man fand ihn, als das
nördliche Ende der englischen Stellungen von
uns genommen wurde, neben einem riesigen
Pferdekadaver, von mehreren Kugeln durchbohrt.
Wenn ich jetzt den Vorgang jener Nacht vergegenwärtige, so höre ich wieder den Schrei des
Pferdes und darin die ganze Qual und das Elend
der irdischen Kreatur. Diesem Notschrei folgte
er rasend über alle, die ihn anhören und schlafen konnten. Das Pferd lag nahe den englischen
Gräben, aber es muß ihm trotzdem gelungen
sein, im Schutze der Schneenacht sich heranzuschleichen. Er gab dem Pferd den Gnadenschuß
und machte dadurch den Feind aufmerksam,
und als er zurückwollte, hat man ihn mit ein paar
Schüssen hingestreckt. Es ist merkwürdig, daß
ein Mensch, der aus lauter Berechnung zusammengesetzt war, einen so sinnlosen Tod gestorben ist.
SPRACHRAUM
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TAG E IM AU GUST
ERICH MÜHSAM: AUS DEN TAGEBÜCHERN 1914
M
ONTAG/DIENSTAG, D.
3./4. AUGUST 1914
Es ist ein Uhr nachts. Der Himmel ist
klar und voll Sternen, aber über die Akademie
ragt der Rand einer weißen, in dicken Schichten
gehäuften Wolke, in der es unaufhörlich blitzt.
Unheimlich grelle, lang sichtbare, in horizontaler
Linie laufende Blitze.
Und es ist Krieg. Alles Fürchterliche ist entfesselt. Seit einer Woche ist die Welt verwandelt.
Seit drei Tagen rasen die Götter. Wie furchtbar
sind diese Zeiten! Wie schrecklich nah ist uns
allen der Tod!
Immer und immer hat mich der Gedanke an
Krieg beschäftigt. Ich versuchte, mir ihn auszumalen mit seinen Schrecken, ich schrieb gegen ihn,
weil ich seine Entsetzlichkeit zu fassen wähnte.
Jetzt ist er da. Ich sehe starke, schöne
Menschen einzeln und in Trupps in
Kriegsbereitschaft die Straßen durchziehen.
Ich drücke Dutzenden täglich zum Abschied die
Hand, ich weiß nahe Freunde und Bekannte
auf der Reise ins Feld oder bereit auszuziehen
– Körting, Kutscher, Bötticher, v. Jacobi, beide
Söhne von Max Halbe und viele mehr –, weiß, daß
viele nicht zurückkehren werden, lese Depeschen
und Nachrichten, die – jetzt schon, ehe noch die
Katastrophe eingesetzt hat – einem das Herz
aufschreien machen, ich sehe alles schaudervoll nahe und viel schlimmer noch in der Realität,
als die theoretisierende Phantasie es ausdachte.
Und – ich, der Anarchist, der Antimilitarist, der
Feind der nationalen Phrase, der Antipatriot und
hassende Kritiker der Rüstungsfurie, ich ertappe
mich irgendwie ergriffen von dem allgemeinen
Taumel, entfacht von zorniger Leidenschaft, wenn
auch nicht gegen etwelche »Feinde«, aber erfüllt
von dem glühend heißen Wunsch, daß »wir« uns
vor ihnen retten! Nur: wer sind sie – wer ist »wir«?
Aber der Gedanke ist doch grauenhaft, daß
die Russen ins Land kommen könnten, Barbaren?
Immerhin Menschen anderer Art, ohne Achtung
vor unserer Welt, ohne Rücksicht auf unsere
Gefühle mordend und sengend, Frauen und
Kinder mißhandelnd und mit unseren Kulturgütern
Kosakenspäße treibend. Und wie furchtbar ist es
zu lesen, daß heut ein französischer Arzt mit zwei
Offizieren in Metz versucht hat, einen Brunnen
mit Cholerabazillen zu vergiften!
Vorgestern haben die Hände eines
Chauvinisten Jaures gemordet, den Mann, der
den Frieden wollte, der eigentlich verkörperte,
was wir als die überlegene französische Kultur
verehren. Und nun fahren französische Flieger
über das Land und werfen Bomben. Da verlassen einen die Theorien, man wird einer von allen,
mit den Instinkten aller, aber mit erhöhtem Leid,
weil die Kritik unter dem Gefühl wirksam bleibt
und weil alle Parteinahme den Opfern, nicht den
Machern gilt.
Die Massen sind durch die Aufregungen
dieser Tage in wahre Hysterie geraten. Überall
werden Spione gewittert. Dann rennen die
Menschen in Haufen zusammen, mißhandeln
die Unglücklichen und übergeben sie der Polizei.
Manchmal sollen ja wirklich schon russische
Bombenwerfer abgefaßt sein.
(...) Heut früh sah ich ein etwas ausländisch aussehendes Paar von erregtem Volk
gehetzt durch die Straßen eilen. Was draus
wurde, weiß ich nicht. Und nachmittags in der
Sendlingerstraße brachten wieder Hunderte ein
Mädchen zum Schutzmann, von dem behauptet
wurde, es sei ein verkleideter Mann.
Wilde Gerüchte laufen um, unkontrollierbar, da die Behörden über fast alles Schweigen
bewahren. Danach sollen gestern und heute
hier eine ganze Menge Serben und Russen
standrechtlich erschossen sein. Sie sollen die
Hauptpost, den Bahnhof, den Pulverturm bei
Wasser-Prawda | Mai 2014
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SPRACHRAUM
MOBILMACHUNG IN BERLIN (FOTO: BUNDESARCHIV/WIKIPEDIA)
Freimann haben in die Luft sprengen wollen. Heut
früh wurde ausgesprengt, das Leitungswasser
sei vergiftet. Offiziere riefen es warnend aus –
ich selbst war Zeuge davon –, die Häuser wurden
einzeln benachrichtigt. Es stellte sich als leeres
Gerede heraus. Man hört – ganz heimlich – von
massenhaften Soldatenselbstmorden etc.
Aber doch ist die Einmütigkeit des Gefühls,
eine gerechte Sache zu führen, bei aller
Verblendung, ergreifend. Man ist sehr ernst, aber
doch sichtlich gehoben. Wäre bloß nicht schon
überall eine üble Gesinnungsriecherei bemerkbar! Vorgestern nacht traf ich Köhler, Turati, v.
Maaßen und Bötticher im großen Raum der
Torggelstube. Mein Erscheinen bewirkte das
Mißtrauen umsitzender nationaler Studenten,
die uns belauschten und, obwohl kein Wort, das
Gefühle hätte verletzen können, fiel, denunzierten. Es gab böse Auseinandersetzungen.
Wasser-Prawda | Mai 2014
Maaßen teilte Ohrfeigen aus. Schließlich wurde
Bötticher – am Tage vor seiner Abfahrt zur
Marine! – abgeführt (freilich noch auf der Straße
freigelassen), und ich beschimpft und bedroht.
Ohne ein politisches Wort gesprochen zu haben!
Heut habe ich eine Erklärung an die Leser
des ›Kain‹ herausgegeben, in der ich begründe,
daß ich das Blatt während der Kriegsdauer
eingehen lasse. Ferner habe ich mich beim
Schwabinger Krankenhaus als Hilfsarbeiter in
der Registratur gemeldet. Wo alles schwankt, ich
vielleicht morgen nicht weiß, wovon leben, will
ich nicht müßig sein. Bekomme ich keine oder
eine ablehnende Antwort, dann gehe ich morgen
zum Magistrat und frage nach Beschäftigung im
humanitären Zivildienst: bei Kranken, Irren oder
der Feuerwehr. Vielleicht kann mir da mal meine
alte Apothekererfahrung nützlich werden.
Um Jenny bin ich sehr besorgt. Die letzte
SPRACHRAUM
95
Ludwigstraße her, tönen lärmende Jubelrufe und
Hurrageschrei – jetzt auch Gesang herüber. Der
Zug nähert sich und wird gleich dicht bei mir
am Siegestor sein. – Nein, sie kamen von der
Türkenstraße, und eben zogen sie – vielleicht
300 Mann – unter unserem Fenster vorbei, die
Akademiestraße entlang. Singen können vor
solchen Nachrichten! Arme Menschen! Vielleicht
sind viele unter ihnen, die selbst mit müssen
in den Krieg, die gar nicht oder als Krüppel
wiederkehren.
Krieg mit England! Der ist der schlimmste!
Wie das ertragen werden kann – ich habe graue
Zweifel. Heut sind im Reichstag die Kriegskredite
sämtlich bewilligt worden. Die Sozialdemokraten
haben für alle Forderungen gestimmt und auf
Kaiser und Vaterland mit Hurra! gebrüllt. Was
sollten sie auch tun? Sie haben die Suppe einbrocken helfen. Nun stehen sie dem fait accompli
gegenüber. – Aber was jetzt werden soll? Krieg!
Tod! Nacht über die Welt! Es ist schaurig, es ist
unausdenkbar.
Ich bin maßlos traurig. Ich zwinge mich
zu Friedenshoffnungen. Aber die Zweifel sind
stärker. Ich kann nicht glauben, daß mit den
Mächten von England, Frankreich und Rußland
jetzt noch von Frieden zu sprechen ist. (...)
Heut passierte ein heiterer Zwischenfall.
Ich saß mit Nonnenbruch im Stefanie. Plötzlich
liefen die Leute zusammen und starrten gen
Himmel. Wir hinaus – ein Flieger. In ganz engen
Kurven überflog er in großer Höhe etwa die
Türkenkasernen. Das Publikum war in großer
Aufregung. Ist es ein deutscher oder ein französischer Aeroplan? fragte man sich. Vielleicht
konnte jeden Moment eine Bombe niederfallen.
Vielleicht zehn Minuten währte die Spannung,
IENSTAG/MITTWOCH, D. 4./5. AUGUST 1914
und immer im gleichen Kreis umflog der Apparat
seinen Platz. Plötzlich löste sich die Aufregung
Es ist wieder spät nach Mitternacht. Aber in mächtigem Gelächter auf. Die Flügel des
heut regnet es und ist trübe und trostlos. Und Apparats bogen sich nach beiden Seiten nieder,
alles Unglück scheint ausgegossen über dies der Aeroplan flog mit großer Eile schräg aufrecht
arme Land und seine ärmeren Menschen.
davon und verschwand sogleich im Äther. Es war
Eine entsetzliche Botschaft steht auf den ein unschuldiger Vogel gewesen – vielleicht der
Anschlagtafeln: Kurz nach 7 Uhr (also vor noch Unglücksvogel, vor dem das Volk sich ängstigt.
nicht sechs Stunden) erschien in Berlin der eng- – Schon ist auch für den 23. August ein Komet
lische Botschafter im Auswärtigen Amt, um angesagt. Und man kann abergläubisch werden
Deutschland den Krieg zu erklären.
in diesen Zeiten.
Krieg mit England! Da mit Rußland und
ONNERSTAG, D. 6. AUGUST 1914
Frankreich die Kämpfe schon begonnen haben.
Aus der Ferne durchs offene Fenster, von der
Nachricht erhielt ich am 29. Juli noch aus
Eydtkuhnen, das inzwischen von den Russen
besetzt ist.
Ein Brieftelegramm, in dem sie mich bat, ich
solle ihr postlagernd nach Königsberg schreiben.
Das tat ich sofort, las aber inzwischen, daß die
Bestellung postlagernder Briefe jetzt entweder
aufgehoben oder sehr erschwert ist. Nun weiß
ich nicht einmal, wo die Geliebte ist und ängstige
mich sehr. Ließe mich die allgemeine Spannung
zur Besinnung über die Privatangelegenheiten
kommen, ich glaube, ich stürbe vor Unruhe.
Auch von Lübeck hörte ich nichts. Der
Landsturm ist aufgerufen, und ich fürchte, daß
meine beiden Schwäger und vielleicht auch mein
Bruder ins Feld müssen. Das wäre für unsern
alten Vater sehr arg – und Charlotte ist gerade
von ihrem dritten Kind entbunden. Aber was sagt
das gegen das Los der armen Lucie v. Jacobi,
die vor einem halben Jahr ihr einziges Kind verlor
und nun den Mann in den Krieg ziehen sieht!
Morgen dürfte der Krieg mit Frankreich offiziell beginnen. Es sind Telegramme angeschlagen, daß der Gesandte in Paris aufgefordert sei,
seine Pässe zu verlangen, weil die Franzosen
völkerrechtswidrig die Grenzen überschritten
haben. Libau soll von einem kleinen Kreuzer
beschossen sein, der Kriegshafen soll brennen.
Das wäre wohl ein Erfolg der Deutschen. Wie
das Einmarschieren der Russen in Eydtkuhnen
und das der Deutschen in Czenstochau zu bewerten ist, läßt sich noch gar nicht übersehen. Es
wird erstmal zu allem Hurra gebrüllt. Rosenthal
wollte wissen, daß der Louvre in Paris brenne.
Ich glaub‘s nicht. Aber wie scheußlich schon, daß
das möglich werden kann!
D
D
Wasser-Prawda | Mai 2014
96
SPRACHRAUM
AUGUST 1914: FREIWILLIGE VERLASSEN DEN FÜRTHER BAHNHOF.
(...) Emmy sitzt wegen eines Diebstahls,
begangen in Hannover an einem nächtlichen
Besucher, in Untersuchungshaft am Neudeck.
Becher und ich haben ihr den Dr. Kahn als Anwalt
bestellt. Aber in der Kriegsaufregung denkt der
wahrscheinlich sowenig wie ein anderer an seine
Klienten. Nun war ich gestern bei ihr – in der
Gitterzelle, wo ich vor Jahren Johannes Nohl
besuchte, sprach ich sie. Ich hinter einer, sie
hinter der anderen Gitterwand, und dazwischen
die Wärterin – übrigens eine gutmütige, nette
Frau. Die arme Emmy weinte entsetzlich, klammerte sich mit den Fingern in die Vergitterung
und war unermeßlich unglücklich. Ich mußte ihr
versprechen, an ihre Mutter zu depeschieren und
alles zu versuchen, um sie freizukriegen. Nach
etwa zehn Minuten war das Gespräch zu Ende.
Ich blieb allein in der Zelle, und ehe ich hinausging, ließ ich den aufschießenden Tränen freien
Wasser-Prawda | Mai 2014
Lauf. Wie gräßlich sind die Einrichtungen doch,
um deren Erhaltung nun Hunderttausende kräftige, schöne, junge, frohe Menschen ihr Leben
lassen! (...)
Ganz schlimm ist Henri Bing dran, der, wie er
mir heut erzählte, als Franzose schon zweimal
fast gelyncht worden wäre. Er verramscht jetzt,
um leben zu können, seine Bilder um zwanzig
Mark. ›Jugend‹ und ›Simplicissimus‹ benehmen
sich erdenklich schlecht gegen ihn. Da lebt er nun
seit zehn Jahren hier, fühlt und denkt und spricht
deutsch, arbeitet ständig an diesen Blättern mit,
und jetzt, da er hilflos und bedrängt dasteht,
lassen sie ihn im Stich. Der ›Simplicissimus‹, dies
reiche Blatt, hat ihm ganze 50 Mark gegeben, die
›Jugend‹ gar nichts. Seiner Not gegenüber zuckt
man die Achseln. Es ist schändlich.
Die Post scheint ihren Betrieb ganz eingestellt zu haben. Ich höre und weiß nichts und
SPRACHRAUM
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ERSTER SOLD NACH DER MOBILMACHUNG (FOTO: BUNDESARCHIV/WIKIPEDIA)
dabei soll man sich vielleicht gar noch freuen,
daß die Befürchtungen unbegründet waren,
die ein Telegramm hervorrief, das mittags angeschlagen war und ebenfalls vom offiziösen
Wolff-Büro ausgegeben war. Danach hätten
deutsche Soldaten einen kühnen Handstreich
gegen Lüttich unternommen, der aber mißglückt
wäre. Es hieß dann, im Ausland werde man eine
große Niederlage der Deutschen daraus machen,
aber mit Unrecht, da die Unternehmung für den
Verlauf des Krieges ganz belanglos gewesen
sei. Natürlich kombinierte jeder, daß sich die
Deutschen eine große Schlappe geholt hätten,
was nun bemäntelt werden sollte. »Gottlob« ist
es anders, und es war ganz nützlich, daß die gute
Botschaft gleich hinterherkam, da die moralische
Wirkung einer Niederlage sicher die wäre, daß
die Leute noch irrsinniger würden. So weit bin
ACHT ZUM SONNABEND, d. 8. August 1914
ich nun glücklich, daß mich Siegestelegramme
Lüttich ist von den Deutschen im Sturm beruhigen, während mich doch nie die Kritik
erobert worden. Es heißt, es seien 600 deutsche verläßt, ein welcher Wahnsinn der Krieg ist, und
Pioniere dabei umgekommen. Scheußlich. Und das Wissen, daß tatsächlich die Unfähigkeit der
mache mir um Jenny schwere Sorgen. Dabei sind
diese Tage gerade solche besonders herzlichen
Gedenkens. Vor genau einem Jahr waren wir
zuletzt zusammen, in Berlin bei Mutter Stern am
Gendarmenmarkt. Das waren Tage – und Nächte!
– Ach Jenny, wann werden wir das wieder miteinander erleben? Ich bin sehr traurig und will
jetzt mal nach der lieben Frau sehn, die mir seit
dreiviertel Jahren nun die Geliebte ersetzt – nach
Zenzl Engler, die sich auch seit vier, fünf Tagen
nicht mehr gezeigt hat und deren Mann vielleicht
auch schon fort ist, um im Kriege Sanitätsdienste
zu tun. (…)
Vom Magistrat noch keine Antwort, und das
Geld geht sehr auf die Neige. Eine Existenz muß
ich schaffen, ohne dem Krieg zu helfen!
N
Wasser-Prawda | Mai 2014
98
SPRACHRAUM
“DICKE BERTHA” BEI LÜTTICH.
deutschen Diplomatie ihn heraufbeschworen
hat. Wenigstens gab Deutschland den tieferen Grund für das fürchterliche Völkermorden,
während Österreichs egoistisch-arrogante
Rücksichtslosigkeit den äußeren Anlaß schuf.
Die Redensart vom »bewaffneten Frieden«,
das alte »si vis pacem para bellum« hat furchtbar Bankrott gemacht. Deutschlands Rüsterei,
der unstillbare Ehrgeiz, die europäische
Militärhegemonie zu sein, hat das Unglück
verschuldet.
(...) Nun ist also aus dem angeblichen
Rachezug Österreichs gegen Serbien wegen
der Ermordung des Thronfolgers, in Wahrheit
ist es natürlich ein Unterdrückungskrieg gegen
die großserbischen Bestrebungen, den die
Nachbarmonarchie seit Jahren planmäßig vorbereitet hat – dieser Este [Fußnote] starb ihr sehr
gelegen –, ein beispielloser Weltkrieg geworden. In knapp vierzehn Tagen sind die mitteleuropäischen Länder gezwungen worden, sich
zugleich gegen Serbien, Rußland, Frankreich,
Wasser-Prawda | Mai 2014
Belgien und England zu wehren, und die armen
Soldaten, das heißt, das arme Volk muß die
Suppe ausessen, die die Diplomaten ihm eingebrockt haben. Ich aber, der Antimilitarist, muß
alle meinem Hoffnung dahin wenden, daß das
Militär in Deutschland besser sei als die deutsche
Staatskunst, sowenig ich den andern wünsche,
was ich für die Unsern fürchte.
Immer noch kein Brief von Lübeck oder von
Jenny und auch keine Antwort vom Magistrat. Wie
entsetzlich sind diese Zeiten für jeden Einzelnen!
S
ONNTAG, D.
9. AUGUST 1914
Eine Postkarte von Hardy, die gestern
ankam und am 5. August in Berlin aufgegeben war, zeigt, daß der Postverkehr, wenn
auch langsam, doch funktioniert. Um so bewegter warte ich auf Nachrichten, besonders von
Jenny. Den letzten Brief schickte ich ihr offen
nach Königsberg, postlagernd, mit dem Vermerk,
daß er, falls er nach drei Tagen nicht abgeholt
SPRACHRAUM
99
ZERSTÖRTE HÄUSER IN BATTICE BEI LÜTTICH.
wäre, an mich zurückzuleiten sei. Kriege ich ihn
wieder, dann schreibe ich an ihre Freundin, die
Tochter des Sozialdemokraten Haase in Berlin.
Vielleicht weiß die etwas.
In der Zeitung stand heute, daß der Magistrat
keine Leute mehr einstellt, da alle Posten besetzt
seien. Nun will ich mich an die Geschäftsstelle
des Vereins Münchner Apotheker um einen
Gehilfenposten wenden. Man will doch schließlich
existieren, und mit Literatur ist zur Zeit kein
Geschäft zu machen. Die ›Jugend‹, mit der ich
seit etwa einem Jahr wieder Verbindung habe,
schickte mir einen Stoß Einsendungen zurück,
offenbar wollen die Hosenscheißer meinen
Namen jetzt doch wieder nicht drucken. – Der
Gedanke, wieder Apothekendienst tun zu sollen,
amüsiert mich eigentlich. Nach dreizehneinhalbjähriger Unterbrechung! Damals stopfte ich
in der Stunde höchster Not und als mir eine
gute Vertretung angeboten war, sämtliche
Papiere in den Ofen und verbrannte sie, um
die Brücken endgiltig hinter mir abzubrechen.
Jetzt, wo ich als anerkannter Schriftsteller und
bekannte Persönlichkeit provisorisch wieder den
Pillenmörser zur Hand nehmen will, weiß ich, daß
ich mir nichts mehr damit vergebe. Ich kann mir
und ändern nützen – das ist entscheidend. (...)
N
ACHT ZUM
DIENSTAG, D. 11. AUGUST 1914
(...) Bei uns ist jeder Autofahrer als Spion
verdächtig. So hat man, was offiziell zugegeben
wird, schon deutsche Offiziere in ihren Autos
erschossen. Das Menschenleben ist gar nichts
mehr wert. Man spricht, daß bei Lüttich 2400
Deutsche gefallen seien. »Nur« heißt es dabei.
Heut bringen die Blätter eine Notiz, wonach
gestern in München ein zwölfjähriger Junge,
der auf ein Wärterhäuschen geklettert war, um
die Verladung von Soldaten mit anzusehen, von
einem Wächter heruntergeschossen und schwer
verwundet wurde. Diese Notiz wird mit keiner
Wasser-Prawda | Mai 2014
100
SPRACHRAUM
SOLDATENFRIEDHOF AN DER OSTFRONT 1916.
kritischen Bemerkung versehen. Es ist ganz
selbstverständlich.
(...) – In diesen Tagen erwartet man eine
Riesenschlacht in Frankreich. Tausende werden
dabei zugrunde gehen – vielleicht viele Freunde
und Bekannte darunter. Trotzdem ist alle törichte
Erwartung darauf gerichtet: Ginge es doch erst
ordentlich los! (Um so eher wird‘s aufhören!?)
Aber eines muß zugegeben werden. Die
Zuversicht der Deutschen, ihre gläubige, starke
Anteilnahme ist erschütternd, aber großartig. Es
ist jetzt eine seelische Einheit vorhanden, die ich
einmal für große Kulturdinge erhoffe.
Was wird nur nach dem Krieg kommen?
Ich fürchte sehr Böses. Ein schändlicher
Materialismus wird um sich greifen und eine
wüste Reaktion herbeiführen. Es ist Irrsinn, daß
Leute wie Dehmel sich freiwillig gemeldet haben.
Gerade diese Männer werden dann nötig sein,
um den Geist zu verteidigen. Ich fürchte auch,
daß eine einschneidende Spaltung der Geistigkeit
Wasser-Prawda | Mai 2014
eintreten wird. Der George-Kreis [Fußnote] soll
von wildem Patriotismus ergriffen sein. – Das
fehlt nun gerade noch, daß unseresgleichen sich
offen der Gegenpartei zuwenden! Ich sehe eine
trübe Epoche voraus. (...)
N
ACHT ZUM
DONNERSTAG, D. 13. AUGUST 1914
Die Nachrichten von deutschen Erfolgen
häufen sich. Lüttich, Mülhausen, Lagarde: das
klingt allen sehr vertrauenerweckend. Für den
15. ist eine große Schlacht prophezeit, vermutlich in der Gegend von Namur. Wer am meisten
Menschen mordet, gewinnt. Die Menschenfreunde
à tout prix hoffen wie jedermann, daß unsere
Landsleute die meisten Menschen töten werden.
Denn sonst würde das Elend grenzenlos: Alle
Kultur, alle Gesittung, die Deutschland sich seit
dem dreißigjährigen Kriege erarbeitet hat, stehe
auf dem Spiel. Nicht zu reden von der materiellen Pleite. (Freilich: die andern?)
S P R A C H R A U M 101
Bei mir ist die Pleite schon da, und ich sehe
noch kein Ende ab. Von meinem Vater kam ein
Brief (der eine geschlagene Woche unterwegs
war). Natürlich denkt er nicht daran, mir aus der
Misere zu helfen. Seine Papiere seien kolossal
gefallen.
(...) Aber er stellt mir gütigst anheim, zu ihm
zu kommen, wo ich wohnen und leben kann
(und Vorwürfe hören). Ich habe ihm geantwortet, daß, wenn ich das Reisegeld nach Lübeck
hätte, ich schon nicht mehr dorthin zu reisen
brauchte. Er möge mir die Beglaubigung über
mein Gehilfenexamen von der Medizinalbehörde
besorgen und herschicken.
(...) Eben bin ich mit zwei Büchern herausgekommen, die nun natürlich kein Mensch kauft.
Bei den ›Freivermählten‹ ist das ja zu verschmerzen, aber meine Gedichte, die Cassirer gerade in
wirklich anständiger Aufmachung hat erscheinen
lassen!
Meine gesammelten Gedichte! Der
Niederschlag meines besten Lebenswerkes,
von dem ich soviel erhofft hatte! Wenigstens
die äußere Anerkennung! Wenigstens die
Bestätigung, daß ich in die vordere Reihe der
gegenwärtigen Dichter gehöre! Und nun kommt,
ehe sich noch ein Mensch um das Buch gekümmert hat, dieser schauerliche Krieg, und niemand
wird das Buch lesen, niemand es erwähnen,
niemand es empfehlen, niemand deswegen von
mir reden! Gott meint es wohl redlich schlecht
mit mir.
S
ONNABEND, D.
15. AUGUST 1914
Der ›Simpl‹ treibt‘s aber auch arg. Am
Titelkopf das Eiserne Kreuz mit dem W. desselben Wilhelms, den das Blatt in allen Jahren
seines Bestehens verhöhnt hat. Und immer
der haltloseste Hurrapatriotismus, in dem sich
Ludwig Thoma, der große Spötter, am lautesten
jetzt hervortut. Diese Stimmung macht sich in
allen Blättern breit, eine bramabarsierende
Deutschtümelei, die protzig mit der deutschen
Schlichtheit renommiert. Blätter vom Schlage der
›Münchner Zeitung‹ wären ohne weiteres fähig,
derartige Furchtbarkeiten, wie sie in Belgien
gegen Deutsche verübt wurden, gutzuheißen,
wenn sie, von den Behörden ungehindert, hier
gegen Fremde versucht würden. Auf die Idee, daß
in Belgien ein Massenwahnsinn ausgebrochen
ist, kommt hier niemand.
Denn es will keiner glauben, daß die Leute,
die dort so entsetzlich bestialisch gehaust haben,
sicher gewöhnlich gute Menschen sind, denen
gar nichts ferner liegt, als Wöchnerinnen zu töten
und Säuglinge aus den Fenstern zu schleudern.
Das sind die berühmten veredelnden Wirkungen
des Krieges!
Mein Geld ist ganz am Ende. Gestern half mir
Lotte Pritzel noch mal mit zwei Mark auf die Beine.
Was weiter wird, übersehe ich noch nicht. Aber
ich habe wenigstens mein Mittagessen in der
Pension. Bei vielen Künstlern und Schriftstellern
ist ein Elend eingekehrt, das aller Beschreibung
spottet und, da keine Hand sich helfend öffnet,
die Not der Arbeitslosen in Friedenszeit weit in
den Schatten stellt. (...)
Halbe erzählte eine bezeichnende Geschichte.
Er wurde auf die Redaktion der ›Neuesten
Nachrichten‹ gebeten. Dort empfing ihn der
Chefredakteur Mohr: Dr. Hirth wolle ihn sprechen,
um von ihm Beiträge zu erbitten. Mohr bereitete
Halbe vor: »Schmalz brauchen wir jetzt, Herr
Doktor, viel Schmalz!« Als Halbe zu Hirth kam,
stellte sich heraus, daß er gar nicht gemeint war
und daß man von Heigel das »Schmalz« erwartete, das als öffentliche Meinung nun in der Tat
mehr als reichlich verschmiert wird. Von Jenny
kein Lebenszeichen.
M
ÜNCHEN, DIENSTAG, D. 18. August 1914
(...) Seltsam und unwirklich scheint
einem manches, was man jetzt sieht, hört und
erlebt. Gestern traf ich Lion Feuchtwanger, der
in Tunis war, dort vor Ausbruch des Krieges
verhaftet wurde, aus der Gefangenschaft
auf ein italienisches Schiff entkam und unter
vielen Strapazen und nach Verlust all seiner
Manuskripte und seines Geldes hier eingetroffen
ist. Einen Mitflüchtling holten die Franzosen von
dem italienischen Schiff herunter und erschossen ihn vor Feuchtwangers Augen, der sich bei
der Durchsuchung unter Seilen versteckt hatte. –
Heut früh erhielt ich eine Zustellung vom
Polizeipräsidenten, wonach alle Artikel über
das Heer oder den Krieg vor Druck dem
Kriegsministerium vorzulegen sind. Ich bin froh,
daß ich den ›Kain‹ sistiert habe. Wer weiß, was
man mir sonst für Scherereien machen würde,
und wie lange ich frei herumliefe. (…)
Wasser-Prawda | Mai 2014
102
SPRACHRAUM
DIE
VESTALIN NEN
Eine Reise um die Erde. Abenteuer zu Wasser und zu Lande. Erzählt
nach eigenen Erlebnissen. Band 1. Von Robert KraŌ
11. EIN AMERIKANISCHER DETEKTIV
»Was, Georg, du kommst schon zurück?«
fragte der breitschultrige Bootsmann des
›Blitz‹ einen jungen Burschen, der eben, eine
Ledertasche um die Schultern gehängt, das
Fallreep emporstieg.
»Warum nicht?« entgegnete der Angeredete
und wischte sich den Schweiß von dem sonnverbrannten, frischen Gesicht, nahm dann die
bebänderte Mütze ab, sodaß scharf die Grenzlinie
zu sehen war, bis wohin die sengende Sonne
und stürmische Winde ihre Wirkung auf die Haut
geäußert hatten, und trocknete mit dem Tuche
das Futter der Mütze.
»Warum nicht?« entgegnete er auf die verwunderte Frage des Bootsmannes.
»Vom Hafen von Alexandrien bis zum
Postgebäude ist es nicht so weit, und außerdem
bin ich mit der Pferdebahn gefahren.«
»Das sieht dir gar nicht ähnlich. Sonst schnüffelst du doch in jeder neuen Stadt alle Winkel aus
und kannst dann erzählen, wo der beste Wein
und das schönste Mädchen zu haben sind.«
»Ja,« lachte Georg, »das kommt eben
davon, wenn man sich einen Nachtwächter zum
Vater ausgesucht hat. Das Spionieren vererbt
sich. Aber heute war es mir doch etwas zu heiß
dazu. Doch sag‘, Bootsmann, ist der Kapitän im
Salon?«
»Er wird in seinem Arbeitszimmer sein,«
brummte der Bootsmann mürrisch, weil der sonst
Wasser-Prawda | Mai 2014
immer Neuigkeiten vom Lande mitbringende
Georg heute so karg mit denselben war.
Der junge Matrose drehte nachdenklich den
kleinen, schwarzen Schnurrbart, warf einen prüfenden Blick über das Deck, auf welchem die
Mannschaft mit dem Putzen der Messing- und
Eisenteile beschäftigt war, obgleich diese schon
in der Sonne blitzten, und schritt dem inmitten
des Schiffes stehenden Häuschen zu, in welchem
sich die nach der Kajüte führende Treppe befand.
Auf dem ›Blitz‹ schien militärische Ordnung
zu herrschen, denn unten an der Treppe stand,
wie am Fallreep, ein Posten.
»Melde mich dem Kapitän, Hans!« sagte
Georg zu diesem, ebenso wie vorhin zum
Bootsmann deutsch sprechend, und der Mann
verschwand in einer Thür.
Es war wunderlich, mit welcher Aufmerksamkeit
der junge Matrose mit der Brieftasche sich jetzt,
als er für eine halbe Minute allein war, umsah.
Blitzschnell ließ er seinen Blick durch den halbdunklen Gang schweifen, kein Gegenstand,
keine Thür, nicht einmal die Schlösser schienen
seinem durchdringenden Auge zu entgehen. Es
war fast, als ob Georg, der doch auf dem ›Blitz‹
seine Heimat hatte, seit der stolze Bau zum
ersten Male die Fluten des Oceans durchschnitten, hier ein Fremdling wäre.
Die Thür öffnete sich wieder, und der Posten
winkte Georg, hereinzukommen, während er
S P R A C H R A U M 103
selbst seinen alten Platz an der Treppe einnahm.
Ein Fremder hätte gestaunt über die prächtige Einrichtung dieses kleinen Gemaches.
Obgleich kein Prunk, keine weichen Diwans und
unnütze Luxusmöbel zu sehen waren, zeigte
doch jeder kleinste Gegenstand die gediegenste Arbeit. Stühle und Tische waren von poliertem Nußbaumholz gefertigt, desgleichen die
Bücherschränke und Sekretäre. Ueber dem
großen Tisch in der Mitte, welcher mit offenen
Atlanten und Büchern bedeckt war, hing ein
überaus kostbarer Kronleuchter, dessen Lampen
durch Elektrizität zum Leuchten gebracht werden
konnten.
Diese Kraft schien hier überhaupt eine große
Rolle zu spielen. In allen Winkeln, vor jedem
Schrank war eine Edison‘sche Glühlampe
angebracht, während auf dem Schreibtisch ein
kunstvoll gearbeiteter Telegraphenapparat und
noch viele andere Instrumente von sonderbarer Konstruktion standen, die sämtlich, wie die
von ihnen ablaufenden, grünen Drähte verrieten,
durch Elektrizität bedient wurden.
Vor dem Schreibtisch saß, eben einen Brief
lesend, der Kapitän des ›Blitz‹, jener deutsche
Ingenieur, dessen Bekanntschaft der freundliche
Leser schon in Konstantinopel gemacht hat. Als
er jetzt beim Eintritt der Briefordonnanz aufstand
und seine Gestalt dehnte, um die vom Sitzen
steifgewordenen Glieder wieder beweglich zu
machen, kam in dem kleinen Raum seine mächtige, aber dennoch harmonisch schön gebaute
Gestalt zur vollen Geltung. Man glaubte sich beim
Anblick dieses Mannes mit dem gekräuselten
Vollbart, dem vollen Haar, welches die durch das
kleine, runde Fensterchen fallende Sonne goldig
erstrahlen ließ, einem jener Helden gegenüber,
wie sie uns die germanische Götterlehre zu schildern weiß. Dieses strahlende, blaue Auge schien
geschaffen, das tiefste Geheimnis zu ergründen,
aber es schien auch, obgleich jetzt gutmütig und
sanft, befähigt, den verwegensten Feind durch
bloßes Anschauen zu entwaffnen.
»Nun, Georg,« sagte er freundlich, »hast
du die Post nach meiner Beschreibung gleich
gefunden?«
»Natürlich,« antwortete der Gefragte selbstbewußt. »Wie können der Herr Kapitän daran
zweifeln?«
»Das ist es nicht,« meinte der Kapitän Felix
Hoffmann, »ich machte mir wirklich Vorwürfe,
dich so allein mit Briefen nach der Post geschickt
zu haben.«
»Wieso, Herr Kapitän?«
»Es ist nicht mehr recht geheuer in den
Hafenstädten, eine Spitzbubenbande scheint
wieder ihr Wesen zu treiben, der die Polizei nicht
gewachsen ist.«
Die Briefordonnanz nickte unmerklich mit
dem Kopfe.
»Hast du Briefe mitgebracht?«
»Einige,« entgegnete Georg und schüttete den Inhalt der Tasche auf den Tisch. »Aus
Deutschland, Amerika, ich glaube, aus Mexiko,
und ein paar von hier, doch wahrscheinlich Bitten,
den ›Blitz‹ besichtigen zu dürfen.«
Jede Briefordonnanz ist gewissermaßen eingeweiht in die Korrespondenz ihres Herrn, und
Georg war es auf dem ›Blitz‹ mehr als irgend
ein anderer.
»Sonst etwas Neues?« fragte der Kapitän,
während er gleichgiltig die Briefe durchflog und
sortierte.
»Ja, sehr viel,« sagte mit pfiffigem Lächeln
Georg. »Ich machte vorhin die Bekanntschaft
eines jungen Mannes, welcher durchaus an Bord
des ›Blitz‹ kommen möchte.«
»So, das möchten wohl noch mehrere. Aber
das geht nicht, die Besatzung ist voll.«
»Können Sie wirklich gar keinen mehr
gebrauchen?«
Herr Hoffmann warf einen prüfenden Blick
auf den Frager.
»Was soll dies, Georg? Hast du einen
Bekannten getroffen, den du gern an Bord haben
möchtest?«
Georg blieb lange Zeit eine Antwort schuldig,
während sich der Kapitän wieder in die Briefe
vertiefte.
»Es geht wirklich nicht, Georg, ich nehme
keinen Fremden an Bord,« sagte letzterer dann
nach einer Weile.
»Auch nicht, wenn ihn Fräulein Johanna Lind
empfohlen hat?« klang es etwas spöttisch zurück.
Der Kapitän horchte auf; langsam drehte er
das verwunderte Gesicht der Ordonnanz zu,
sprang aber dann plötzlich mit allen Zeichen eines
namenlosen Erstaunens auf. Was war denn das?
Träumte oder wachte er? Das war doch nicht
mehr sein Georg, die Ordonnanz? Weg war der
Schnurrbart, die braune Gesichtsfarbe; die Stirn
war höher geworden, selbst der Mund schien sich
Wasser-Prawda | Mai 2014
104
SPRACHRAUM
verändert zu haben; derselbe Mund war kleiner
und die Lippen schmäler.
Der vor ihm Stehende weidete sich mit sichtlichem Ergötzen an dem erstaunten Gesicht des
Ingenieurs. Doch nur einige Sekunden hatte
diesen die Ueberraschung übermannt, im nächsten Augenblick zog er die weiße Stirn in drohende Falten und sagte in ernstem Tone:
»Was soll das? Sie sind nicht meine
Ordonnanz! Wozu diese Maskerade, und wie
kommen Sie als Fremder in den Anzug meines
Burschen? Antwort, oder –«
Der Ingenieur streckte langsam die Hand
nach einem auf dem Tisch stehenden Apparat
aus, die Augen fest auf den jetzt bartlosen, jungen
Menschen gerichtet, der
sich durchaus nicht aus
der Fassung bringen
ließ, sondern lächelnd
entgegnete:
»Hat Sie nicht
Fräulein Lind davon
benachrichtigt, daß sich
Ihnen ein Herr vorstellen wird? Sie glaubte
bestimmt, daß Sie ihr
die Bitte nicht abschlagen würden, welche sie
Ihnen vortrug.«
»Ah,« sagte der
Kapitän und zog die
Hand zurück, »so sind
Sie dieser Abgesandte?
Dann ist es allerdings etwas anderes.
Sie sind mir willkommen. Aber, erklären Sie
mir, auf welche sonderbare Weise stellen
Sie sich mir vor, und
hier in Alexandrien, da
ich Sie doch schon in
Konstantinopel erwartet
hatte?«
»Diese Karte wird
Sie etwas darüber aufklären,« antwortete der
Fremde, immer lächelnd,
zog eine Brieftasche
hervor und reichte dem
Wasser-Prawda | Mai 2014
Ingenieur eine Visitenkarte.
»Nikolas Scharp,« las dieser, sann eine
Sekunde lang nach und richtete dann seine
Blicke mit unverkennbarer Überraschung auf
den jungen Mann.
»Wie,« fuhr er fort, »Sie sind Nick Scharp,
der Detektiv, von dem man schon soviel gehört
hat, den die Gaunerwelt das Chamäleon nennt,
weil er in jeder Stunde ein anderes Aussehen
annimmt?«
»Ich habe die Ehre, mich Ihnen als Nick
Scharp vorzustellen,« sagte der junge Mann
einfach.
»Das konnte ich allerdings nicht ahnen, es
erklärt mir aber Ihre seltsame Einführung. Seien
Sie mir herzlich willkommen! Bitte, setzen Sie
S P R A C H R A U M 105
sich.«
Der Ingenieur bot dem Fremden höflich einen
Stuhl an, auf welchem dieser gemächlich mit
übergeschlagenen Beinen Platz nahm.
»Fräulein Lind schrieb Ihnen oder bat Sie vielmehr,« begann er, »da auch Sie nur auf einer
Vergnügungsfahrt begriffen wären, die ›Vesta‹
zu begleiten. Die Gründe hat sie Ihnen jedenfalls auch mitgeteilt?«
»Allerdings! Sie sagte, Miß Ellen Petersen –
doch ich weiß nicht, ob ich davon sprechen darf,«
unterbrach sich der Ingenieur.
»Ich bin in den ganzen Plan eingeweiht und
spielte von Anfang an die Hauptrolle,« entgegnete der Detektiv. »Doch nun kommt es darauf
an, ob Sie gewillt sind, auf Fräulein Linds und
auf meinen Vorschlag einzugehen, das heißt,
der ›Vesta‹ zu folgen und mich an Bord Ihres
Schiffes zu behalten, mir aber die völlige Freiheit
über meine Handlungen zu gestatten, auch daß
ich an Bord und von Bord gehen kann, wann ich
will, kurz so, wie Ihnen Miß Lind schrieb.«
»Gewiß bin ich damit einverstanden,« rief
der Ingenieur, »es freut mich sogar ungemein,
solch‘ einen ausgezeichneten Mann an Bord
meines Schiffes zu haben. Außerdem ersuchte
mich Johanna – Miß Lind, wollte ich sagen –
den Ratschlägen des von ihr abgesandten
Vertrauensmannes Gehör zu schenken. Tauchten
mir hinsichtlich dieser Bitte anfangs Zweifel auf,
so sind diese jetzt, seit ich weiß, daß dieser Herr
Nick Scharp, der amerikanische Detektiv ist, völlig
geschwunden. Ich erkenne Ihre Ueberlegenheit
in verschiedenen Angelegenheiten an.«
Der Detektiv verbeugte sich leicht.
»Aber,« fuhr der Ingenieur fort, »wie kommt
es, daß Sie mich nicht bereits in Konstantinopel
aufsuchten, wie es ausgemacht war?«
»Ich habe es doch gethan,« bemerkte
lächelnd der Detektiv.
»Aber nicht so, daß ich dessen bewußt
wurde.«
»Nein, allerdings nicht. Ich war jener
Bootsführer, der Ihnen den Brief von Fräulein
Lind brachte. Außerdem benutzte ich die Zeit
in Konstantinopel, mich nach und nach mit dem
gesamten Personal Ihres Schiffes bekannt zu
machen und mir den brauchbarsten unter allen
diesen tüchtigen Jungen herauszusuchen, den
ich ab und zu verwenden werde, natürlich mit
Ihrer Erlaubnis.«
»Auf wen ist Ihre Wahl gefallen?«
»Auf Georg, die Briefordonnanz.«
»In der That, er ist ein intelligenter, treuer
und zugleich pfiffiger Geselle, manchmal etwas
zu neugierig. Doch à propos, wo steckt er denn
jetzt?«
»Er sitzt in meinem Hotelzimmer und raucht
als Master Pollok meine Cigarren. Hoffentlich
wird es ihm nicht unangenehm sein.«
»Das wird ihm passen; so etwas
Abenteuerliches ist nach seinem Geschmack.
Und wie soll er wieder herkommen?«
»Ganz auf dieselbe Weise. Ich gehe zu ihm
als Ordonnanz, und er kommt als solche an Bord
zurück, während ich als Master Pollok an Land
bleibe.«
»Wozu diese Vorsicht? Konnten Sie mich
nicht in Ihrer eigentlichen Gestalt aufsuchen?«
»Nein. Es war mir, als ob ich beobachtet
würde, und wenn ich als Detektiv erkannt und
gesehen worden wäre, daß ich auf den ›Blitz‹
gegangen bin, so hätte ich viele Mühe gehabt,
meine Beobachter wieder auf eine falsche Spur
zu bringen. Außerdem wollte ich Sie erst noch
fragen, ob man sich auf Ihre Matrosen betreffs
Verschwiegenheit verlassen kann, daß sie mir
nicht einmal durch Schwatzen einen Streich
spielen.«
Der Ingenieur schüttelte energisch den Kopf.
»Lernen Sie erst meine Besatzung kennen;
jeder Mann ist treu wie Gold und verschwiegen
wie das Grab.«
»Sie haben sich ja eine wahre Musterkarte
von Farben angelegt, ich kalkuliere, alle Nationen
der Erde sind auf Ihrem Schiffe vertreten!«
»Ja, es hat mir viele Mühe gekostet, ehe ich
sie nach und nach zusammengebracht habe,
aber ein jeder von ihnen ist auch ein Original,
eine Spezialität in seinem Fache. Doch, bitte,
sagen Sie mir, woher kennen Sie Fräulein
Lind? Dieses Mädchen ist mir ein Rätsel. Die
Besatzung der ›Vesta‹ soll aus den vornehmsten
Damen Nordamerikas bestehen, und doch traf
ich Fräulein Lind am Oberonsee, als –«
»Herr Hoffmann,« unterbrach ihn der Detektiv
rasch, »Ihnen hat Miß Lind also nicht selbst
erzählt, wie dies kommt?« – »Nein.« – »Dann
halte auch ich mich keinesfalls für berechtigt,
über ihre Verhältnisse zu sprechen. Fühlen Sie
sich durch diese meine Offenheit beleidigt?«
Der Ingenieur schwieg eine Weile. Dann faßte
Wasser-Prawda | Mai 2014
106
SPRACHRAUM
Wasser-Prawda | Mai 2014
S P R A C H R A U M 107
er die Hand des ihm gegenüber Sitzenden und
schüttelte sie herzlich.
»Ein anderer würde es vielleicht thun,« sagte
er in warmem Ton, »aber ich schätze einen
solchen Charakter wie den Ihrigen, und freue
mich, Sie auf meinem Schiffe zu wissen.«
Der Amerikaner verbeugte sich dankend.
»Nun zu Ihren anderen Fragen; ich wollte eher
nach Alexandrien kommen, als Sie, um mich über
diese Stadt und einiges andere vorher orientieren
zu können, und schiffte mich deshalb auf einem
Schnelldampfer ein. Zu meiner Verwunderung
fand ich aber Ihr Schiff bereits hier liegen. Wie
in aller Welt kommt das?«
»Wenn Sie Ihre Geheimnisse haben,« meinte
der Ingenieur lächelnd, »so lassen Sie mir auch
die meinen. Sie werden noch schnell genug
dahinterkommen.«
»Hm, hm,« brummte der Detektiv nachdenklich. Er ließ seine Blicke über den Apparat auf
dem Tisch und dann über den Fußboden schweifen, bückte sich und befühlte diesen.
»Isoliert dieser Gummibezug gut gegen elektrische Schläge?« fragte er dann mit schlauem
Lächeln.
»Die Masse ist kein Gummi, sondern eine
eigene Erfindung von mir,« antwortete der
Ingenieur ausweichend. – »Hm, hm!«
Der Detektiv drehte sich um, besah die
Bordwand und klopfte mit dem gebogenen Finger
daran.
»Voll,« sagte er, »ist sie vielleicht manchmal
hohl?«
»Dort nicht,« war wieder die unbestimmte
Antwort. – »Haben Sie schon von jenem Wunder
gehört?« fragte der Detektiv, »welches seit
einiger Zeit durch die Meere kreuzen soll? Man
erzählt sich die unglaublichsten Dinge von ihm.«
– »Mir ist nichts davon bewußt.« – »Kennen Sie
Sir Charles Williams?« – »Nein.« – »Es ist einer
der Herren an Bord des ›Amor‹. – »Ah so. Ich
kenne einige der Herren dem Ansehen nach,
aber fast keinen ihrer Namen.«
»Es ist ein junger Mann von meiner Statur,
kleiner blonder Schnurrbart, trägt einen Siegelring
mit springendem Löwen, am vierten Vorderzahn
auf Backbordseite fehlt rechts ein Stückchen.«
»So genau habe ich mir wirklich noch keinen
der Engländer angesehen,« lachte der Ingenieur.
»Doch was ist mit diesem?«
»Dieser Williams hatte gestern in einer
italienischen Trattoria einige seiner Landsleute,
alles Landratten, zusammengetrommelt, die
er mit Wein traktierte, und welche dafür seine
Abenteuer zur See mit anhören mußten. Als der
›Amor‹ durch den griechischen Archipel fuhr,
erzählte er, hätten sie plötzlich ein Schiff gesehen,
das mit furchtbarer Eile dahergekommen sei. Als
eine Insel seinen Lauf gehemmt, hätte es plötzlich mit den Segeln wie mit Flügeln geschlagen
und sei durch die Luft über das Eiland hinweggeflogen. Dann sei es direkt auf den ›Amor‹ zugefahren, kurz vor ihm ins Wasser getaucht und
auf der anderen Seite wieder hochgekommen.
Der Erzähler habe schnell eine Kanone nach
ihm abgefeuert, aber die Kugel wäre wie durch
Zauberei, kurz vor dem Ziel ins Wasser gefallen,
und wenn diese Geschichte nicht wahr sei, dann
wolle er, der Erzähler, nicht Sir Charles Williams
heißen und kein Baronet von England sein.«
Der Ingenieur lachte laut auf.
»Dieser Engländer muß ja ein furchtbarer
Aufschneider sein.«
»Das ist er, aber sonst ein braver, tüchtiger
Mensch.«
»Nun sagen Sie mir, wie kommt es eigentlich, daß Sie nicht mehr im Dienste der amerikanischen Polizei stehen, sondern sich einem
Privatmann zur Verfügung gestellt haben?«
fragte der Ingenieur nach einer Pause.
»Das kam folgendermaßen: Sie haben doch
gewiß in den Zeitungen gelesen, wie ich einen
unschuldig Verurteilten dadurch rettete, daß ich
die Beweisführnng eines meiner Vorgesetzten
glänzend widerlegte?«
»Ich entsinne mich,« lachte der Ingenieur,
»es war jene köstliche Geschichte, wo Sie,
Nikolas Scharp, sich in San Franzisko unter
Beisein einer großen Menschenmenge zur
Bekräftigung Ihrer Behauptung, daß ein
Gehängter sich selbst befreien könne, öffentlich aufhängen ließen.« – »Ja – ein Kniff, den
ich einem Indianerstamme Südamerikas abgelauscht habe. Well, seit jener Zeit wurde ich fortgesetzt von meinen Vorgesetzten schikaniert,
welche sich darüber ärgerten, daß ein Detektiv
einen hohen Gerichtsbeamten so blamiert hatte.
Ich war schon lange unwillig darüber, daß mir in
allen meinen Unternehmungen die Hände gebunden wurden, daß ich Vorschriften bekam, deren
Verkehrtheit klar zu Tage lag. Und endlich kündigte ich dem Staate meine Dienste. Trotz aller
Wasser-Prawda | Mai 2014
108
SPRACHRAUM
Versuche, mich zu halten, reiste ich nach NewYork, um meine Talente auf eigene Faust zu verwerten. Hier traf ich Lord Harrlington, den Kapitän
des ›Amor‹, welcher mich für seine Absichten zu
gewinnen wußte. Es galt, Miß Ellen Petersen, die
Kapitänin der ›Vesta‹, während ihrer Fahrt um
die Erde zu begleiten, um sie zu bewachen, das
heißt, inkognito, ohne daß sie es wissen durfte.
»Well,« fuhr der Detektiv in seiner Erzählung
fort, »das hätte gar nicht besser in meine Pläne
passen können. Der Lord stellte mir Mittel zur
Verfügung, von denen mir die reichste Regierung
nicht den zehnten Teil bewilligt hätte. Ich habe
infolgedessen ein System zu Gebote stehen,
mittels dessen es mir ein Leichtes ist, jederzeit
zu erfahren, wo sich Miß Petersen befindet, was
sie unternimmt, ja auch, wenn sie sich einmal,
mit Respekt zu sagen, zu außergewöhnlicher
Zeit die Nase putzt. So lange sich also meine
Schutzbefohlene in Städten aufhält, ist sie wie
in Engelshänden aufgehoben, und auf See oder
in Wildnissen, wo meine Macht zum Teil aufhört,
wird eben auf Ihren Beistand gerechnet, Herr
Hoffmann.«
Der Ingenieur nickte beistimmend.
»Well, doch diese Beobachtung betreibe ich
nur als Nebensache, hauptsächlich habe ich
ein anderes Ziel im Auge. Wie Sie vorhin schon
andeuteten, muß eine Bande von Verbrechern
existieren, welche sich über alle Hafenstädte verbreitet, vielleicht sogar über die ganze Erde, und
die sich gegenseitig in die Hände arbeitet.
»Solche Schandthaten, wie das Verschwinden
von einzelnen Personen, wie von ganzen
Schiffsbesatzungen mehren sich in schrecklicher Weise, und die Polizei zeigt sich ihnen
gegenüber ohnmächtig. Und warum? Weil sie
die Sache nicht richtig anfaßt. Bei jedem neuen
Verbrechen wird ein anderer Detektiv auf die
Fährte gehetzt, und kommt dieser einmal zufällig auf eine richtige Spur, so darf er dieselbe nicht
etwa weiter verfolgen, sonst gerät er ins Gehege
eines Nebenbuhlers, der ihn vor Neid kaltmachen möchte. Das ist eben der Fehler, an dem
alles scheitert. Ich aber werde der Sache auf den
Grund kommen, ganz allein, auf eigene Faust.«
»Wie wollen Sie dies anfangen?« fragte der
aufmerksam zuhörende Ingenieur.
»Well. Alle Fäden dieses verbrecherischen
Gewebes müssen in irgend einer Hauptstadt
zusammenlaufen, ich vermute in London oder
Wasser-Prawda | Mai 2014
in New-York. Dort selbst kann ich nichts machen.
Der Kerl, der alles dirigiert, ist ebenso, vielleicht
noch schlauer als Nick Scharp, der doch auch
nicht auf den Kopf gefallen ist. Nein, ich fange
von den äußersten Enden der Fäden an und
taste mich vorsichtig nach dem Centrum hin,
alle mir unterwegs begegnenden Verbrechen
übersehe ich, suche sie höchstens zu vereiteln, aber nicht etwa, wie alle meine Kollegen
thun, die Uebelthäter festzunehmen und gegen
eine Prämie auszuliefern; dadurch werden die
Burschen nur kopfscheu gemacht, und ihre
Aufmerksamkeit wird auf meine Person gelenkt.
Vielmehr bemühe ich mich, selbst in die Bande
einzutreten, und habe ich erst die in der Mitte des
Netzes sitzende Spinne erreicht, dann zertrete
ich ihr den Kopf, und dann ist es mir ein Leichtes,
die ganze Sippschaft mit einem Male zu fangen.«
»Wird es aber möglich sein, daß Sie, während
Sie Miß Petersen bewachen sollen, sich selbst
als Räuber zeigen lassen?«
»Warum nicht? Sehen Sie einmal, wie
schön das ist« fuhr der Detektiv mit scherzhaftem Ernst fort, »wenn ich mich dazu anwerben
lasse, den Nick Scharp zu ermorden, und wenn
ich mich dann selbst töte. Das ist nicht etwa
eine Unmöglichkeit. Aehnliches habe ich schon
anders gemacht. Durch mein Auftreten in der
Maske verschiedener Personen bin ich dazu in
stand gesetzt.«
»Wie haben Sie sich eigentlich diese Talente
zum Detektiv erworben?« fragte der Ingenieur
lächelnd.
»Angeboren,« war die lakonische Antwort.
»Mein Vater hat in seiner Jugend lange in der Welt
umhergeabenteuert, meist als Taschenspieler,
heiratete dann eine Schauspielerin, uud diese,
in meinem Vater Talente vermutend, lockte ihn
auf die Bühne. In der That wurde er eine gefeierte Größe doch trat er unter dem Namen seiner
Frau auf, aber ich schweife ab. Wir Kinder –« –
»So haben Sie Geschwister?«
»Ja,« antwortete der Detektiv kurz, »wir
Kinder lernten von unserem Vater so nebenbei die Taschenspielerkniffe und hatten außerdem von unseren Eltern das Schauspielertalent
ererbt. Mein Vater besaß eine wunderbare
Kombinationsgabe, und da er bald merkte, daß
auch ich eine solche Anlage besaß, gab er sich
während aller seiner Freistunden mit mir ab,
lehrte mich, wie man nach Systemen richtige
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Schlüsse ziehen und wie man mit möglichen
Erfolgen rechnen muß. Ich hatte darin bald
meinen Vater übertroffen.«
»Wie kamen Sie aber darauf, Detektiv zu
werden?«
»Well. Ich war ein unbändiger Junge, wollte
gern zur See, aber meine Eltern ließen es nicht
zu, weil sie aus mir einst etwas Großes zu machen
hofften. So lief ich eines Tages davon, fiel aber
einem Schornsteinfegermeister in die Hände,
der mich zu sich in die Lehre nahm. Doch bald
behagte mir das Klettern in den Schornsteinen
nicht mehr, und ich lief bei der ersten Gelegenheit
wieder davon, kam aber diesmal glücklicherweise auf ein Schiff. Einige Jahre fuhr ich als
Matrose, bis ich in einem kleinen Hafen an der
Westküste Südamerikas heimlich von Bord floh,
um einmal mein Glück an Land zu versuchen.
Ich abenteuerte umher, arbeitete bald dieses,
bald jenes, aber das, wozu ich mich eignete, fand
ich nicht. Da zerbrachen sich einmal die Herren
Polizeidirektoren den Kopf über einen rätselhaften Mord, ich erfuhr von der Sache, erkundigte mich über die Einzelheiten, und das, was
den Herren unklar blieb, erschien mir so hell wie
Sonnenlicht. Ich ersuchte den Polizeipräfekten
um eine Audienz, erhielt sie und – mein Glück war
gemacht. Der Beamte gab damals zwar meine
Weisheit für die seinige aus, aber ich wurde doch
als Detektiv engagiert. Später wandte ich mich
nach den Vereinigten Staaten, und hier wurde
mein Name bald berühmt oder doch bekannt.
»Alles das,« fuhr der Detektiv fort, »was
ich einst von meinem Vater erlernt, die
Taschenspielerkniffe, die Verstellungskunst und
hauptsächlich ein System, nach welchem er mich
Schlüsse zu ziehen gelehrt hatte, machten mich
zum Detektiven wie geschaffen.
»In kurzer Zeit hatte ich es so weit gebracht,
daß ich schon wußte, was meine Kollegen erst
ahnten, und daß ich die genauen Umstände
kannte, ehe sie nur eine leise Vermutung
besaßen. Das fortwährende Spekulieren und
Kalkulieren ging mir in Fleisch und Blut über. Es
ist merkwürdig, aber ich versichere Sie, ich kann
schon auf einige Schritt riechen, ob ein Mensch
ein Spitzbube ist oder nicht und zu welcher
Klasse von Gaunern er zählt. So hat sich meine
Spürnase im Laufe der Zeit ausgebildet. Und was
meine Verstellungskunst anbetrifft,« schloß Nick
Scharp lächelnd, »so weiß ich fast selbst nicht
mehr, wie ich eigentlich aussehe. Der Spiegel
zeigt mir immer ein neues Gesicht.«
Er stand auf und hing sich die Brieftasche um.
»Wohin wollen Sie jetzt?«
»Mister Pollok, oder vielmehr Ihre Ordonnanz
ablösen, der Bursche raucht sonst alle meine
Cigarren auf.«
»Und was haben Sie dann vor?«
Der Detektiv war vor einen Spiegel getreten,
zog ein Fläschchen aus der Tasche, befeuchtete
sein Taschentuch und rieb sich damit im Gesicht
herum.
»Vorläufig muß ich heute abend noch ein
Gespräch belauschen. Die Vestalinnen wollen
übermorgen einen Ausflug nach Kairo unternehmen, um sich erst die Stadt zu besehen und
dann weiter nach Süden gehen. Wenn ich mich
nicht ganz täusche, so soll in Kairo gegen sie der
zweite Streich geführt werden. Den Plan dazu
muß ich erfahren, um Vorbereitungen zu seiner
Vereitelung treffen zu können, wenn ihn die
englischen Herren oder Sie nicht zu Schanden
machen können; à propos, wissen Sie auch, daß
Sie damals, als Sie die Herren in Konstantinopel
zur Befreiung der drei Damen veranlaßten, mir
einen Strich durch meine Rechnung machten?«
»Ich? Nein! Wie soll ich?«
»Ja, ich hatte etwas anderes vor, hoffte einen
Schlupfwinkel der Schufte dadurch ausspionieren zu können. Doch davon heute abend noch!
Geben Sie mir ein Stichwort, daß ich zu jeder Zeit
der Nacht und unter jeder Verkleidung an Bord
kommen kann.«
Der Ingenieur überlegte. Dann sagte er:
»Fragen Sie nach Kapitän Hoffherr, ich werde
den Posten am Fallreep darüber instruieren.«
»All right,« erwiderte der Detektiv am Spiegel
mit plötzlich veränderter Stimme.
Er wandte sich um, und der Ingenieur hätte
schwören können, seine Ordonnanz Georg vor
sich zu sehen, so täuschend wußte der Detektiv
Aussehen, Stimme, Haltung und die kleinste
Bewegung dieses Matrosen nachzuahmen.
»In einer halben Stunde haben Sie Georg
wieder,« sagte Nick Scharp, als er dem Ingenieur
zum Abschied die Hand schüttelte. »Also bis
heute abend.«
Er schritt zur Thür hinaus.
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