Festivals - Wasser
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Festivals - Wasser
Nr. 5/2014 The Blues Brothers: Auf musikalischer Mission. Teil 1 Tedeschi Trucks Band Hans Theessink - Mojo Blues Band - BabaJack - Howard Glazer Marshall Lawrence: Why I Love The Blues Album des Monats: Pass Over Blues - the … Texte von Theodor Lessing & Erich Mühsam Komaglotzen in Mittelerde Gemälde von Jürgen Landt 2 Sd E P iRt A oC r iH aR l AUM Hier könnte Ihre Werbung stehen. Anfragen an marketing@ wasserprawda.de Oder hier. Preis: 20 Euro/Monat. 200 Euro/ Jahr Anzeige Anzeige Wasser-P p rr aa w w dd aa || M M aa ii 22 00 11 44 S P R AECdHi R t oArU i aMl 3 IN H ALT MAI 2014 3 5 6 6 8 10 » S. 14 » S. 42 » S. 11 Inhalt Editorial Festivals Auf Tour Clubs Susan Tedeschi, TTB und jede Menge Bluesharp 11 Blues In The House 13 Zehn Fragen An: Becky Tate (BabaJack) 17 Why I Love The Blues 23 Frau Tedeschi und Herr Trucks geben sich die Ehre 28 Die Jacksonville Connection in München 33 The Blues Brothers: Auf Musikalischer Mission 38 Hans Theessink: Ein Leben Im Blues 43 Hans Theessink - 65 Birthday Bash 44 Die Mojo Blues Band 49 Detroit City Blues 53 Pass Over Blues: The … 54 Die Redaktion Empfiehlt 56 Rezensionen A bis Z 70 Wiederhören 72 Sechs Stunden Hobbits 75 Jürgen Landt: Sechs Gemälde 81 Kamerad Levi 93 Tage im August 102 Die Vestalinnen » S. 90 W W aa ss ss ee rr -- P prawda | Mai 2014 4 Sd E P iRt A oC r iH aR l AUM IMPRESSUM Die Wasser-Prawda ist ein Projekt des Computerservice Kaufeldt Greifswald. Das pdfMagazin wird in Zusammenarbeit mit dem f reiraum -verlag Greifswald veröffentlicht und erscheint in der Regel monatlich. Es wird kostenlos an die registrierten Leser des OnlineMagazins www.wasser-prawda. de verschickt. Wasser-Prawda Nr. 05/2014 Redaktionsschluss: 01. Mai 2014 REDAKTION: Chefredakteur: Raimund Nitzsche (V.i.S.d.P.) Redaktion: Mario Bollinger, Bernd Kreikmann, Lüder Kriete, Matthias Schneider, Dave Watkins MITARBEITER DIESER AUSGABE: • • • Gary Burnett Christophe Rascel Darren Weale Die nächste Ausgabe erscheint am 19. Juni 2014. Adresse: Redaktion Wasser-Prawda c/o wirkstatt Gützkower Str. 83 17489 Greifswald Tel.: 03834/535664 [email protected] ANZEIGENABTEILUNG: [email protected] Wasser-P p rr aa w w dd aa || M M aa ii 22 00 11 44 Anzeige präsentiert das 23. Blues Festival Schöppingen Münsterland live dabei: Joe Louis Walker & Band (USA) North Mississippi Allstars (USA) Mike Zito & the Wheel (USA) Delta Saints (USA) Jonathon „Boogie“ Long & The Blues Revolution (USA) Mason Rack Band (AUS) Mr. Sipp „The Mississippi Blues Child“ (USA) Lisa Doby (USA) Frankie Chavez (PT) Mountain Men (F) and more... Sa 7. und So 8. Juni 2014 Das 2-Tagesticket (begrenztes Kontingent) wird im Vorverkauf nur 55,- € (inkl. Vvk-Gebühr) kosten. Es kann nur über die Homepage „www.kulturring-schoeppingen.de“ gebucht werden. S P R AECdHi R t oArU i aMl 5 EDIT ORIA L VON RAIMUND NITZSCHE Ab und zu packt es uns in unserem Redak tionsbüro. Dann müssen wir irgendwas am Design verändern. An der Webseite ist zur Zeit wenig zu erledigen, was in unserem begrenzten Finanzrahmen möglich wäre. Aber so richtig zufrieden mit dem Aussehen unseres pdf-Magazins war ich seit Umstellung auf das einspaltige Layout nicht. Jetzt haben wir das Aussehen gründlich umgekrempelt. Das heißt: Neue Schriften, Rückkehr zum Layout in mehreren Spalten. Meiner Meinung nach: So sieht die Wasser-Prawda wesentlich aufgeräumter aus und liest sich am Bildschirm angenehmer. Was meint Ihr? Bemerkungen, Lob und Kritik nehmen wir gerne per Mail an [email protected] entgegen. Leider haben die Arbeiten daran so lange gedauert, dass der Blueskalender erst im nächsten Monat wieder im Heft sein wird. Wenn unser Magazin in den letzten Jahren etwas ausgezeichnet hat, dann ist es die Bereitschaft, über Musiker und ihre Alben zu schreiben, die bislang hierzulande oder überhaupt in der Welt noch nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie eigentlich verdient hätten. Das wird auch weiterhin so bleiben. Dennoch ist es gut, wenn man auch Interviews und Geschichten über die Großen des Blues in Gegenwart und Vergangenheit hat. In dieser Nummer beginnen wir mit einer Serie über die legendären Blues Brothers, die unser Autor Darren Weale seit Ende 2013 für das britische Magazin „Blues Matters“ schreibt und die mittlerweile auch von der offiziellen Webseite der Band im Internet nachgedruckt wird. Wir dürfen hier exklusiv eine deutsche Version veröffentlichen. Nicht nur in Österreich zählt die Mojo Blues Band seit den 70er Jahren zu den Besten ihres Fachs. Bei einem ihrer seltenen Auftritte in Deutschland unterhielt sich Erik Trauner mit Mario Bollinger. In München nahmen sich schließlich Susan Tedeschi und Derek Trucks Zeit für ein ausführliches Gespräch mit der Wasser-Prawda. Hinzu kommen in diesem Monat eine ganze Reihe weiterer Interviews: mit Erik Trauner von der Mojo Bluesband, Becky Tate von BabaJack, mit dem Detroiter Gitarristen Howard Glazer und natürlich mit dem in Wien lebenden niederländischen Sänger und Gitarristen Hans Theessink. Ach ja: Detroit City. Nicht nur sozial dürfte die bankrotte Stadt in Michigan eine der bemerkenswertesten in den USA sein. Auch musikalisch setzen Musiker dort mittlerweile Trends wie vor ein paar Jahren in Austin. Blues, Soul & Funk sind lebendig wie auch Rock und Hiphop. Und so bin ich froh, dass bald Howard Glazer regelmäßig für uns “Live aus Detroit” berichten wird. Auch in diesem Monat setzen wir im “Sprachraum” unsere Reihe mit Texten und Bildern aus dem ersten Weltkrieg fort. Neben der Erzählung “Kamerad Levi” von Theodor Lessing gibt es Auszüge aus den Tagebüchern von Erich Mühsam aus dem August 1914. Neben zeitgenössischen Fotografien aus Deutschland stammen die Illustrationen aus dem Werk des neuseeländischen Kriegsmalers George Edmund Butler. Bis August stöbern wir noch weiter und werden regelmäßig Texte in dieser Reihe in Erinnerung rufen. Das heißt aber nicht, dass der Sprachraum jetzt nur noch für Literatur der Vergangenheit da ist. Schickt uns Eure Texte, die Ihr zur Diskussion stellen wollt. W W aa ss ss ee rr -- P prawda | Mai 2014 6 Musik Festivals Alexande Blume Alexander & Band Kee Schipper Schip & Kees Bema Bemanning Schn SchneiderSchwarznauuSchwarznau-Macht le Vision The Double K Black Kat & Kittens www.bluesundrock-altzella.de LIVE 13.06., 15 Uhr: Straßenparade mit der Micha Winkler Brass Band 13.06., 18 Uhr: Southern Band, 31. Bluesfestival Dresden Lisa Systam & her Family Band, 24.-25.05., Tante JU Tangled Eye (Blue Wave Arena) Todd Wolfe, Rob Tognoni, Tony 13.06., 22 Uhr: Magda Piskorczyk (Club Hotel Ceres)/Nils von der Spinner, Fools‘n Town Lyen (Club Villa Salve) 18. Rostocker Blues Festival 14.06., 18 Uhr, Wild Women Go Wild (Blue Wave Arena) 28.05., SBZ Pumpe Corey Harris, Billy Walton Band, 14.06., 18 Uhr: Big Fat Shakin (Bühne am See) Abi Wallenstein 14.06.,22 Uhr: Veronica & The Red Wine Serenaders (Club im 16. Kieler Bluesfestival Hotel Loev)/Nikki & Jules (Club 29.05. Räucherei Kiel Corey Harris & Rasta Blues Expe- Hotel Am Meer) rience, Billy Walton Band, Mischa 15.06. 14 Uhr: Morblus & Justina Lee Brown (Blue Wave Arena) Gohlke Band, Bluesmail 15.06. 21 Uhr: Axel & Torsten Errorhead Erro rro Seebe Trio Mike Seeber Zwingenberger feat Lila Ammons Dieste Stefan Diestelmann (Haus des Gastes) Reme Remember 12. Internationales Blues & Rock Festival Altzella 29.-30. Mai im Kloster Altzella Errorhead, Mike Seeber Trio, Remebering Stefan Diestelmann, Alexander Blume & Band, Kees Schipper & Bemanning, Schneider-Schwarznau-Macht, The Double Vision, Black Kat & Kittens, Mothers Best 23. Grolsch Blues Festival Schöppingen 07.06.: Frankie Chavez, Mr. Sipp, Delta Saints, Jonathon Boogie Long & The Blues Revolution, North Mississippi Allstars 08.06.: Mountain Men, Lisa Doby, Mason Rack Band, Mike Zito & The Wheel, Joe Louis Walker Blue Wave Festival 12.06., Namoli Brennet Trio (Binz, Rasender Roland) Wasser-Prawda | Mai 2014 25. Bluesfest Ingolstadt 20.05. Ian Siegal 20.05. JP Soars & The Red Hots/ Marcus Wolf 22.05. Tony Spinner Band 26.05. The foghorn String Band 27.05. R.J. Mischo & The Backscratchers 29.05. Hat Fitz & Cara Robinson 02.06. Fiona Boyes & Band 03.06. Mathias Kellner 05.06. BabaJack 09.06. Sarah Mac Dougal & Band 10.06. Tail Dragger & Robert Fossen/ Peter Struijk Band 12.06. Willy Michl 13.06. „Tribute To Hooker“: Zakiyah Hooker, Chris James, John Lee Sanders & Rad Gumbo 16.06. Chris Eckman 17.06. Schorsch Hampel & Dr. Will 19.06. Papa Legab‘s Blues Lounge 23.06. Dilana & Band 24.06. Albert C. Humphrey & His Roots of Blues 26.06. The Wild Bluesmen feat. Steve „Big Man“ Clayton & Peter Schneider 30.06. Marquise Knox & Band 01.07. Grana Louise & The French Blues Explosion 03.07. No Blues „Arabicana“ 07.07. Big Pete Pearson & The Gamblers 10.07. Minnie Marks/Leadbelly Project 14.07. Mrissy Metthews Duo 15.07. Phil Bates Trio 17.07. Martin Schmitt 21.07. Lisa Doby & Band 22.07. Ryan McGarvey 24.07. Otis Taylor & Band 29.07. Jeb Rault Band (guest: Kim Carson) 31.07. Dallas Hodge & Andi Egert Band Auf Tour 3 Dayz Whizkey 29.05. Regensburg, klein Kasper 24.06. München, Tunix/Königsplatz 29.06. Weiden, Buergerfest, Salute Bühne Abi Wallenstein 23.05. Hamburg, Senator Neumann Heim 28.05. Rostock, Die Pumpe 29.05. Walsbüll, Open Air 09.06. Trittau, Wassermühle 13.06. Brunn (A), Weingut Niegl & Weingut Hössel 16.06. Cuxhaven, Captain Ahab 20.06. Sülfeld, Besteland 27.06. Panten, Lämmerhof BabaJack 05.06. Ingolstadt, Neue Welt 06.06. Habach, Village 07.06. Chiemgau, Bluesclub B.B. & The Blues Shacks 29.05. Paderborn, Jazzclub 06.06. Alfeld, Thalheims Hof 07.06. Hattersheim, Blues & Folk Festival 08.06. Hildesheim, Jazztime Musik 12.06. Koblenz, Rheinpuls 15.06. Elmshorn, Jazz n Roses 15.06. Stade, Altstadtfest 24.05. CH- Willisau Bluegrass Festival 18:00 25.05. München Rattlesnake Saloon 20:00 26.05. Ingolstadt Neue Welt Big Daddy Wilson 28.05. Bruchhausen-Vilsen, Musik am Park Georg Schroeter & Marc 30.05. Weyhe, Theater Breitfelder 29.06. Bremen, Klinikum Dr. Hei- 30.05. Dornstetten, Glasermeister nes Peukert 31.05. Ehingen, Jazzclub (mit TorBilly Walton Band sten Zwingenberger) 28.05. Rostock, Pumpe 09.06. Trittau (Wassermühle): Spi29.05. Kiel, Räucherei rit of the Blues (m. A. Wallenstein) 20.06. Sülfeld, Open Air: Spirit of Boogielicious the Blues (m. A. Wallenstein) 24.05. Bad Iburg (14.30!) 29.05. Baltrum, Skippers Inn Greyhound George 30./31.05. Juist, Töwerland Festi17.05. Blomberg, Katja‘s Spätval schicht (m. Andy Grünert) 06.06. Panten, Lämmerhof 29.05. Lemgo, Walkenmühle (m. Andy Grünert) Cologne Blues Club 28.06./29.06. Niederwall, Koer23.05. Dormagen, Streetlife nerstr (Bielefelder Blues Project) 08.06. Saarbrücken, Im Schloss Hamburg Blues Band Crazy Hambones 24.05. Schöneiche, Kulturgiesserei 23.05. Eisenhüttenstadt, Club 07.06. Zernien, Mützingenta Marchwitza 24.05. Berlin, Ratskeller Köpenick Henning Pertiet 26.05. Hamburg, Cotton Club 24.05. Haseldorf, Bandreißerkate 28.05. Berlin, Yorkschlösschen 30.05. Isernhagen, Kulturkaffe 29.05. Binz, Loev Hotel Rautenkranz 30.05. Dieskau, Schloss 31.05. Plön, Jazzfest 31.05. Altenburg, Evangelische 12.06. Hannover, Variete Marlene Lukas Stiftung 14.06. Verden, DomGemeindeZentrum (mit Imran Khan - sitar) Engerling 17.05. Wählitz, Erlebniskirche Henrik Freischlader 28.05. Wriezen, Scheune Hasel24.05. Hamminkeln, KuBa Bluesberg festival 09.06. Berlin, Friedenskirche Grünau Jimmy Reiter 13.06. Brachwitz, Cafe Saale Kiez 24.05. Rheine, Hypothalamus 14.06. Huy OT Aderstedt, Bade06.06. Travemünde, Travemünde anstalt Aderstedt jazzt Foghorn Stringband 21.05. Waldkraiburg Haus der Kultur 22.05. Ulm Zeltfestival Johnny Mastro & Mamas Boys 27.5. Emmendingen, Mehlsack 28.5. Kandern, ChaBah 7 08.6. Red Moon Festival - Padua/I 13.6. Quetsche - Weißwasser 14.6. Prießnitz Open Air Marius Tilly Band 30.05. Hattingen, Stadtfest 21.06. Hannover, Bluesgarage Mason Rack Band 28.5. Altdöbern - Schützenhaus 31.5. Don Quijote - Lippstadt 04.6. Kulturrampe - Krefeld 05.6. DIV Arena - Delmenhorst 08.6. Grolsch Blues Festival Schöppingen 12.6. Rainers Rockhaus - Algemissen 13.6. Otto‘s Welcome - Udestedt/ Erfurt 25.6. Wilhelmshaven - Pumpwerk 27.6. Hamburg - The Rock Cafe St.Pauli 28.6. Hannover - Bluesgarage Michael Spörke - „Big Mama Thornton: The Life And Music“ (Lesungen mit Live-Musik) 13.06. Berlin, Musik Riedel (Musik: Ben Perkoff & Friends) Wasser-Prawda | Mai 2014 8 Musik 16.06., Eisenach, Jazzclub (Musik: Anne Haigis) Mike Seeber 23.05. Berlin-Weißensee, Café Mirbach 29.05. Altzella, Int. Blues & Rock Festival 14.06. Elsterwerda, Musikhaus Labicki Openair 21.06. Ernstroda, Bikerparty 05.07. Kellinghusen, Pep-Kulturverein Morblus 13.06. Troisdorf, Bluesclub 14.06. Postfeld, Alte Meierei 15.06. Binz, Blue Wave Festival Pass Over Blues 30.05. Kühlungsborn, Hotel PolarStern 31.05. Ahrenshoop, Strandhalle Reverend Rusty 25.05. München, Stemmerhof 27.06. St. Veit a.d. Glan (A), Herzogburg (w. Jeff Beck) Richie Arndt Acoustic Band 28.05. Hamburg, Downtown Blues Club 30.05. Hannover, Bluesgarage 07.06. Minden, Jazz Club 30.05. Wetter, Earth Music Hall 31.05. Kranenburg-Zyfflich, Blues in Zyfflich 01.06. Trittau, Alter Bahnhof 02.06. Hamburg, Music Club Live 03.06. Bremen, Meisenfrei 04.06. Frelsdorf, Kulturtransport 05.06. Bordesholm, Savoy 06.06. Sarstedt, Rainers Rockhouse 07.06. Lauenau, Kesselhaus 08.06. Prisser b. Dannenberg, Kulturelle Landpartie (Uelzener Str. 69) Tony Spinner Band 22.05. Reichertshofen, Neue Welt 23.05. Zwickau, Liederbuch 25.05. Dresden, Tante JU Clubs Barnaby‘s Blues-Bar (Braunschweig) 23.05. Bob Malone Band 29.05. Ryan McGarvey Bischofsmühle (Hildesheim) 23.05. First Class Blues Band 24.05. Machine 30.05. Gregor Meyle Blues im Bahnhof Bahnhof Mannheim. Eintritt frei. 20.06. Norbert Schneider & WiThe Double Vision 29.05. Berlin, Biesdorfer Parkbüh- nestreet Session 05.09. El Ville Blues Band ne (Support für Johnny Winter) 10.10. Black Cat Bone 30.05. Altzella, Bluesfestival 07.11. Abi Wallenstein, Dave 07.06. Suhl, Schwarzbiernacht Goodman, Oliver Spanuth, Steve 14.06. Prießnitz, Open Air 20.06. Hamburg, Downtown Baker Bluesclub Bluesgarage 28.05. Ron Spielman & Band Todd Wolfe 30.05. Richie Arndt Acoustic 23.05. Haiming, Gewölbe EiBand sching 31.05. Thr Pretty Things 24.05. Dresden, Tante Ju 01.06. Jake E. Lee & Red Dragon 25.05. Torgau, Kulturbastion Cartel 28.05. Erfurt, Museumskeller 05.06. No sinner 29.05. Leverkusen, Topos Wasser-Prawda | Mai 2014 06.06. The Delta Saints 13.06. Rory Kellys Triple Threat 14.06. Sarah MacDoogall & Band 20.06. Meena Cryle & Chris Fillmore Band 21.06. 14. Oh Yeah! Festival (Adriano Batolba, Gerd Gorke, Marius Tilly Band, Michael van Merwyk & Bluesoul) 28.06. The Mason Rack Band Chabah 79400 Kandern 21.05. Tony Spinner Band 28.05. Johnny Mastro & Mama‘s Boys 04.06. R.J. Mischo & Band 11.06. Taildragger Cotton Club Hamburg 19.05. Yellow Moon 26.05. Crazy Hambones 27.05. Jan Fischer‘s Blues Buddies 08.06. Jessy Martens & Jan Fischer‘s Blues Support 09.06. Jo Bohnsack 16.06. Günther Brackmann 23.06. Boogie Rockets (Kai Steffens, Niels von der Leyen, Andreas Bock) 26.06. Greg Copeland Band 30.06. Gents Boogie Night Downtown Bluesclub Hamburg 21.05. Ryan McGarvey 23.05. Kingsize Taylor & Karl Terry 28.05. Richie Arndt Acoustic Band 31.05. Soultrain 20.06. The Double Vision Extra Blues Bar Bielefeld 22.05. Darren Eedens 28.05. The Lone Crows 07.06. Big Nose Attack 16.06. The Hangdog Hearts 19.06. Kestekopp II 26.06. Filthy Still Musik Frannz Club Berlin 22.05. The Pretty Things 31.05. Robert Francis & the Night Tide 06.06. Kina Grannis Hirsch Nürnberg 21.05. Hayseed Dixie 22.05. The Baseballs 24.05. The Pretty Things 01.06. Chuck Ragan Kulturbastion Torgau 24.05. Bet Williams & Band 25.05. Todd Wolfe 31.05. Errorhead 08.06. Canned Heat/Vdelli Kulturspeicher (Bergstraße, Ueckermünde) 31.05. Captain Crap und Band 04.07. Paul Fogarty 20.07. Whiskey & Women 26.07. Greyhound George & Karl Valta Laboratorium (Stuttgart) 30.05. The Great Crusades 31.05. Bill Pritchard 03.06. Four Bones Quartet 07.06. Mindchange Late Night Blues (Loev Hotel Binz/Rügen) Beginn jeweils 21 Uhr 29.05. Crazy Hambones 14.06. Veronica & the Red Vine Serenaders Meisenfrei (Bremen Hankenstr.) 20.05. Lone Crows 26.05. Ufo 30.05. KokoTD/Michael Gerdes & Jürgen Schöffel 03.06. Todd Wolfe 08.06. Green Blues Band/Cojack Blues Museumskeller Erfurt 28.05. Todd Wolfe 04.06. The Lone Crows Music Hall Worpswede 30.05. Dominic Miller 31.05. Maybebop & Ton in Ton 06.06. Till Brönner Quintett 14.06. Ben Becker & Giora Feidman Musiktheater Piano (Dortmund) 22.05. Ryan McGarvey 23.05. Bobby Kimball 25.05. Ufo Musiktheater Rex (Bensheim) 23.05. Ron Spielman & Band 24.05. Le Clou (Open Air) 28.05. The Pretty Things 30.05. Ally the Fiddle 30.06. Tito Larriva 9 11.06. Chris Bergson Band 12.06. JCM-Elektrio 13.06. Sonoc de las Tunas 14.06. Backdoor Blues Band 18.06. Bastian Korn 19.06. Meena Cryle 20.06. se vende 28.06. Teneja Trio Yorkschlösschen (Yorkstr. 15, Berlin) 23.05. Bixsick Orchestra 25.05. Saltim‘band 28.05. Crazy Hambones 29.05. Rathaus Ramblers 01.06. Namoli Brennet & Amy Zapf 06.06. The Lips 08.06. Whisky soda 15.06. Kelvin Sholar Trio 22.06. Kat Baloun 27.06. J.T. & Bluetrain Quasimodo Berlin 30.05. Guitar Crusher & Band 31.05. Mo‘ Blow 01.06. Joe Henry 05.06. Robin McKelle & The Flytones Savoy Bordesholm 23.05. Holsteiner Bluesnacht mit Lyin‘ 8 Bluesband, Blues Too 05.06. Todd Wolfe 06.06. Mojo Makers Tante JU Dresden 24-25.05. Bluesfestival 04.06. Gary Willis By Third Rail 09.06. No Sinner Topos Leverkusen 23.05. INA-Smooth Jazz 24.05. Violet Radio 29.05. Todd Wolfe 30.05. Minnie Marks 03.06. burning tubes 05.06. The Busquito‘s 06.06. Lucky Old Quartett Wasser-Prawda | Mai 2014 10 Musik SU SAN TEDE S C H I , T T B U N D J ED E M EN GE B LU E S H A R P DIE BLUES MUSIC AWARDS 2014 Susan Tedeschi und die Te d e s c h i Tr u c k s B a n d gehörten zu den erfolgreichsten Musikerinnen und Musikern bei den 35. Blues Music Awards, die am 8. Mai in Memphis verliehen wurden. Susan Tedeschi wurde als Contemporary Blues Female Artist des Jahres, die TTB ist beste Band und „Made Up Mind“ bestes Rock-BluesAlbum. Album des Jahres und gleichzeitig bestes traditionelles Blues-Album ist nach Meinung der Mitglieder der Blues Foundation das gemeinsam von Billy Boy Arnold, Charlie Musselwhite, Mark Hummel, Sugar Ray Norcia und James Harman eingespielte „Remembering Little Walter. Mit zwei der Preise gewürdigt wurden auch Trampled Under Foot. Deren Album Badlands ist „Contemporary Blues Album“ und ihre Bassistin Danielle Schnebelen beste Instrumentalistin am Bass. Und Doug MacLeod wurde als Acoustic Artist und für sein akustisches Album „There‘s a Time“ ausgezeichnet. Records wurde für die DVD „Songs from the Road“ der Royal Southern Brotherhood geehrt. Und Bear Family bekam einen der Preise für die „The Sun Blues Box“ als beste historische Aufnahme. Instrumentalist-Bass: Danielle Schnebelen Instrumentalist-Drums: Cedric Burnside Instrumentalist-Guitar: Ronnie Earl Instrumentalist- Harmonica: Charlie Musselwhite Hier die Liste der Preisträger Instrumentalist-Horn: Eddie aller Kategorien: Shaw Acoustic Album: There‘s a Time - Doug MacLeod Acoustic Artist: Doug MacLeod Album: Remembering Little Walter - Billy Boy Arnold, Charlie Musselwhite, Mark Hummel, Sugar Ray Norcia, James Harman B.B. King Entertainer: Buddy Guy Band: Tedeschi Trucks Band Best New Artist Debut: Daddy Told Me - Shawn Holt & the Teardrops Contemporary Blues Album: Badlands - Trampled Under Foot Contemporary Blues Female Artist: Susan Tedeschi Contemporary Blues Male Artist: Gary Clark Jr. Erstmals auf der Liste der DVD: Ruf Records - Songs Preisträger sind auch John from the Road (Royal Southern Nemeth (Soul Blues Male Brotherhood) Artist) und Gitarrist Gary Clark Jr. (Contemporary Blues Male Historical Album: Bear Family Artist). Das deutsche Label Ruf The Sun Blues Box Wasser-Prawda | Mai 2014 Koko Taylor Award: Diunna Greenleaf Pinetop Perkins Piano Player: Victor Wainwright Rock Blues Album: Made Up Mind - Tedeschi Trucks Band Song: „Blues in My Soul“ - Lurrie Bell Soul Blues Album: Down in Louisiana - Bobby Rush Soul Blues Female Artist: Irma Thomas Soul Blues Male Artist: John Nemeth Traditional Blues Album: Remembering Little Walter - Billy Boy Arnold, Charlie Musselwhite, Mark Hummel, Sugar Ray Norcia, James Harman Traditional Blues Male Artist: James Cotton Musik 11 BL UES IN THE H O U S E DARREN WEALE’S 7. BRIEF AUS DEM VEREINIGTEN KÖNIGREICH WELCOME TO THE LETTER FROM THE UNITED KINGDOM! Die Preise für Häuser im Vereinigten Königreich steigen, ein Grund dafür, warum Großbritannien ein teurer Platz zum Leben ist. Zur Zeit denke ich eine Menge über Häuser nach. Warum? Wir sollten mit Muddy Waters aus Chicago in Illinois beginnen, einem der wahrhaftig Großen des Blues. Zur Zeit steht in Chicago das Haus, in dem Muddy seine letzten Jahre verlebte, zum Verkauf. Nach britischen Maßstäben ist es nicht teuer. Doch wenn Du die Mittel nicht hast, sieht alles teuer aus. Muddy’s ältester Sohn, der Sänger Mud Morganfield, hat eine Stiftung gegründet, um das Haus zu erhalten und in eine öffentliche Einrichtung zu verwandeln. Er will, dass es zukünftige Musiker inspirieren soll. Wenn wir jedes Haus eines guten Musikers, Schriftstellers, Dichers, Schauspielers usw. in eine Gedenkstätte verwandeln wollten, hätten wir keinen Ort mehr zum Leben. Normalerweise würde ich sagen: Hängt eine Tafel an so ein Haus und lasst es neue Bewohner haben. Aber nicht bei diesem Haus. Muddy war wirklich Wasser-Prawda | Mai 2014 12 Musik außerordentlich bedeutsam. Auch aus anderen Gründen denk ich über Häuser nach. Letztens sah ich einen anderen Amerikaner, Huey Morgan, der eine Show über seine Karriere als Leiter der Fun Lovin’ Criminals und von Huey and the New Yorkers im historischen Half Moon Pub im Londoner Stadtteil Putney spielte. Huey ist gerade mit seiner Frau und dem Sohn Bo (benannt nach Bo Diddley) in ein anderes Haus gezogen. Als ich Huey im letzten Jahr beim Bluesfest in der Royal Albert Hall sah, spielte bei ihm ein Immobilienmakler aus New York die Gitarre. Die Beiden, der voll beschäftigte Musiker und DJ Huey und der Immobilien verkaufende Gitarrist, spielten zusammen in einer tollen Band, die Huey vor einigen Jahren gegründet hat: The Tangiers Blues Band. Vielleicht kann der Gitarrist Mud ja paar Tipps geben, wie man diese spezielle Immobilie erwerben kann? Ein Haus, oder besser das, was darin geschah, ist auch für die britische Band The Red Dirt Skinners, bedeutsam. Rob und Sarah Skinner - ja, sie sind verheiratet - treten als Duo auf, in dem beide singen. Rob spielt Gitarren, Banjo und Schlagzeug, Sarah Mundharmonika und Saxophon. In ihr ehemaliges Haus war eingebrochen worden. Wie sie es erzählen, kehrten sie “von einem lausigen Gig in einem leeren Pub mit einer äußerst unangenehmen Wirtin” nach Hause zurück und entdeckten, dass ihr vermeintliches Traumhaus, in das sie erst kurz vorher gezogen waren, ausgeraubt worden war. Zahlreiche Instrumente waren verschwunden und auch Sarahs gesamter Schmuck. Was das Paar am meisten schockierte, war der Diebstahl all ihrer Computer, die nicht nur die Masterbänder ihres ersten Albums “Grass Roots” enthielten sondern auch viele Ideen für das geplante zweite Album. Songideen aus sechs Jahren waren LINKS verschwunden. Ungefähr um vier Uhr morgens, nachdem die Polizei ihre Aussagen aufgenommen hatte, schob das Paar einen Stuhl vor die aufgebrochene Tür und versuchte zu schlafen. Minuten später setzte sich Sarah auf und erzählte Rob, dass sie eine Idee für ein Lied hätte. “Lay Me Down” war der erste Song ihres späteren Konzept-Albums “Home Sweet Home”. Jedes Lied darauf war von diesem Wochenende inspiriert. Da gibt es Lieder über den miesen Gig, darüber wie sie sich wegen des Einbruchs fühlten und wie sie über den Räuber dachten, der im Übrigen nie gefunden wurde. “Home Sweet Home” wurde für die British Blues Awards ebenso nominiert wie für die British Country Music Awards und die UK Country Radio Awards. Ihr drittes Album “Sinking The Mary Rose” (2013) wurde durch großzügige Spenden ihrer Fans finanziert. Rob und Sarah heirateten einen Monat nach dem Einbruch und sagen heute öffentlich, sie würden dem Räuber gern danken für die Inspiration. Wie Sarah es ausdrückt: “Es war eine nicht so zärtliche Erinnerung daran, dass das Leben kurz ist und man nur einen Versuch dabei hat.” Vielleicht haben Mud Morganfield und der Blues nur einen Versuch, das frühere Heim des “Hoochie Coochie Man” zu retten. Bitte helft mit Spenden wenn Ihr könnt oder gebt den Link zu der Stiftung an jemanden weiter, den Ihr kennt. Darren Weale BE PROSPEROUS AND ENJOY YOUR LIVE MUSIC AND ALL THAT IS GERMAN! Red Dirt Skinners – www.reddirtskinners.com Royal Albert Hall Bluesfest Alistair Cooke - www.bbc. co.uk/programmes/b00f6hbp Tangiers Blues Band - 2014 - http://life.royalalberthall. Mud Morganfield – www.mud- w w w . r e v e r b n a t i o n . c o m / tangiersbluesband morganfieldblues.com com/2014/04/01/first-artistsHuey and the New Yorkers Morganfield Foundation - www.hueyandthenewyorkers. morganfieldfoundation.org com announced-for-bluesfest-2014 Wasser-Prawda | Mai 2014 Musik 13 Z EHN FRAGE N A N : B E C K Y TATE (BABAJACK) EINE INTERVIEWREIHE VON DAVE WATKINS Seit Jahren gehören BabaJack in Großbritannien zu den aufregendsten Bands in der Rootsmusikszene. Im Juni sind die Musiker um Sängerin/ Percussionistin Becky Tate und Gitarrist Trevor Steiger wieder für ein paar Konzerte in Deutschland zu erleben. Und so war es Zeit für die Fragen von Dave Watkins. 1: Was war Dein frühester Musikgeschmack und wie hast Du die Welt des Blues entdeckt? Ich hab immer gern alle Arten von Musik gehört, von Klassik über Latin, Reggae, Americana, Country und Folk bis hin zu Rock und sogar Metal … immer aber Rootsmusik. Ich höre gern, wie Leute ihre Instrumente spielen und ich liebe es besonders live! Ich erbte ein Big Bill Broonzy Album von meinem Vater, konnte es aber nie wirklich würdigen, bis mir Trevor Steger vor etwa zehn Jahren den Blues wirklich nahegebracht hat. Ich bin von Herzen her eine Percussionistin, und da geht es immer um den Groove. Was ich gelernt hab, ist dass der Blues der eigentliche Groove ist. Ich bin komplett bekehrt, besonders zu den ganz frühen Sachen. Son House, Leadbelly, Lightnin’ Hopkins und Howling Wolf sind Autsch! Schwere Frage!! Mir fällt es schwer, überhaupt meine Blues-Heroen! Aufnahmen von uns anzuhören, 2: Wer waren die Künstler, weil ich ständig kritisiere und die dich dazu brachten, dass gleichzeitig an das nächste Du diese Musik spielen woll- Album, das nächste Projekt test. Und wann stelltest Du denke. Ich bin froh, dass wir fest, dass Du dazu das Talent so viel aufgenommen haben und mag jedes Album für das, hast? Das erste Mal, als ich Live- was es ist. Aber es gibt auch Musik erlebt hab, war in Paris. ein paar Songs, die ich überarIch war 13 Jahre alt und meine beiten und neu aufnehmen will. Eltern nahmen mich mit in ein Ich hoffe, das beantwortet die russisches Restaurant, das Frage. damals ausgesprochen trendy war. Und dort begann eine 4: Welche anderen Jobs Band, russische Folkmusik ha st Du gemacht , um zu spielen. Das waren fantas- Deine Musikkarriere zu tische Musiker, die Gitarren unterstützen? und Balalaikas spielten. Und Ich hab schon ziemlich alles ich erinnere mich noch, wie gemacht, zuletzt hab ich eine ich dasaß und überlegte: Was Umschulung zum Lehrer würde mein Vater dazu sagen, für junge Erwachsene und wenn ich ihm mitteilte, dass Strafgefangene gemacht. Aber ich genau das machen will … ich muss sagen, dass ich nicht Ich war wesentlich älter, bevor zurück geschaut habe, seit ich zu Spielen begann, Mitte ich Vollzeitmusiker wurde. Es zwanzig etwa. Und es gibt ist ein hartes Leben, aber für einfach nichts, was ich lieber mich schlägt es dennoch jedes mache. Und BabaJack ist das andere. aufregendste Projekt, bei dem 5: Wie schwer ist es, von ich je mitgemacht habe. seiner Musik zu leben? Und 3: Deine ersten Aufnahmen - gibt es irgend etwas, dass hörst Du sie immer noch an? diese Ziel für alle Musiker Wie beurteilst Du sie heute? einfacher erreichbar machen Und gibt es welche, die Du würde? nicht mehr anhören würdest? Das war schon immer hart. Wasser-Prawda | Mai 2014 14 Musik Leben auf Tour und selbstständig zu sein und die Notwendigkeit, immer weiter zu schreiben, aufzunehmen und kreativ zu sein. Und es kein Zweifel, dass das Internet/Download-Zeitalter die Lage in vielerlei Hinsicht verändert hat. Heutzutage ist mit Plattenverkäufen kein Geld mehr zu verdienen. Das Geld steckt heute in Live-Auftritten. Und das führt zu Druck. Wir sind ständig auf Tour und das strengt uns körpelich an und hat ebenso einen Einfluss auf unser persönliches Leben. Wir müssen das sehr sorgfälig managen. Das ist wirklich ein schwieriger Jonglier-Akt abzusichern, dass jeder glücklich ist und wir uns nicht verletzen. Meine Hände müssen ganz schön Wasser-Prawda | Mai 2014 was einstecken vom Spielen auf Cajon und der Djembe! Aber so weit - so gut! Alles ist prima, wir schreiben das 5. Album und wenn wir mit kompletter Band mit Tosh Murase am Schlagzeug und Adam Bertenshaw am Bass auftreten, ist das wirklich aufregend. Wie kann man es besser machen? Fördergelder. Wir müssen weiter auf die LiveMusik-Szene bauen. Und dafür sollten regionale und nationale Behörden eigentlich auch Gelder ausgeben. 6: Auf welchen Deiner eigenen Songs bist Du besonders stolz? Erzählst Du uns die Geschichte hinter dem Lied? Ich kann wirklich nicht ein einzelnes Lied auswählen. Songschreiben ist die Sache, die ich am meisten liebe, vielleicht am zweitmeisten nach Live-Auftritten. Ich bin wirklich stolz, das Trev und ich vier Alben mit eigenen Stücken rausgebracht haben und noch immer Spaß am Schreiben haben. Musikalisch sind wir derartig verbunden und arbeiten großartig zusammen. Wir sind wirklich Glückspilze! 7: Wenn Du Dich zum Schreiben hinsetzt, was kommt zuerst - der Text, die Melodie oder die Idee für ein ganzes Lied? Das hängt ganz davon ab. Manchmal kommt Trev mit einem Riff an und ich fange an, Musik 15 darüber zu scatten und dabei entstehen Text und Hookline. In anderen Momenten höre ich einen Rhythmus und spiele ihn Trev vor und aus dem Jam entsteht ein Song. Manchmal hört einer von uns irgendeinen Satz in einem Gespräch und der bildet dann die Grundlage für ein Lied. Wir arbeiten da so eng zusammen, dass wir uns am Ende nicht mehr daran erinnern können, wer was wann geschrieben hat. 8: Erzähl uns was über das Lieblingsinstrument in Deiner Sammlung. Gibt es irgend ein anderes Instrument, dass du gerne hättest oder spielen lernen möchtest? Meine Lieblingsintrumente sind Trevs “Weinkisten”-Gitarren. Er hat sie selbst gebaut und sie haben so einen großartigen Ton und können fauchen - sie waren die Inspiration für viele unserer letzten Stücke und sind inzwischen so was wie der SignaturSound von BabaJack. Ich liebe sie! Ich selbst hab angefangen, Cello zu lernen. Und das ist ein wunderschönes Instrument! Inspiriert wurde ich dazu von unserer guten Freundin Julia Palmer, die auf “Running Man” einige Cello-Passagen beigesteuert hat. Sie unterrichtet mich jetzt. Ich hoffe, dass ich das irgendwann auch mal auf der Bühne zeigen kann. Man weiß wir Tosh als Schlagzeuger und ja nie! Adam als Bassisten hinzuge9: Wo möchtest Du Deine holt haben, haben sich für uns Karriere gerne hinführen größere Spielräume ergeben. sehen in der Zukunft? Was Und gemeinsam mit ihnen sind Deine wichtigsten Ziele? haben wir großen Erfolg und Alles was ich will, ist Musikerin treten in ganz Europa und dem zu sein. Für BabaJack gibt es Vereinigten Königreich auf. Ich noch jede Menge zu tun. Seit stecke all meine Energie in diese Band und ich bin gespannt auf unser nächstes Album und wohin wir damit noch kommen. 10: Was machst Du außer Musik am liebsten? Ich würd Dir ja gerne sagen, dass ich alle möglichen coolen Dinge neben der Musik mache, Wasser-Prawda | Mai 2014 16 Musik Beste. Wenn man unterwegs ist, kannst Du vom miesesten Flohnest zum besten Hotel, von vertrockneten Sandwiches an der Tankstelle bis zum besten Essen alles haben. Und Du musst Stunden um Stunden fahren oder im Auto sitzen, wartest auf den Soundcheck und dann wieder darauf, auf die Bühne zu gehen… Ich ehrlich: ich liebe es. 2: Wo kommt eigentlich der Name der Band her? BabaJack ist eigentlich Trevor. Er hat drei oder vier Jahr in Simbabwe gearbeitet und lebte im Gebiet der Shona. Sein erster Sohn Jack wurde dort geboren. Und die Menschen haben die Tradition, den Namen des Vaters nach dem Erstgeborenen zu verändern. In dem Fall: BabaJack. aber in Wahrheit mag ich es, loszuziehen und meinen Sohn Rugby spielen zu sehen. Auch kümmere ich mich gern um meinen Garten, koche und steige auf die Malvern Hills … irgendwo muss es ein beruhigendes Gegenmittel gegen das Ding mit BabaJack und dessen Wasser-Prawda | Mai 2014 hohem Energie-Level geben! ZUSATZFRAGEN: 1: Was ist das Beste und was das Schlechteste, wenn man in Deinem Job on the road ist? Essen, Betten und Langeweile! Und das ist manchmal das 3: Was war der mieseste und was der beste Gig, den Du hattest? Wow, da sind so viele, aus denen man auswälen könnte. Ich glaub der mieseste war in unserer Anfangszeit. Wir kamen bei dem Pub an und sie bestanden darauf, dass wir im Kamin spielen sollten. Und das Feuer im Kamin qualmte noch! Der beste? Es ist schwer, einen rauszupicken, aber vor kurzem spielten wir mit der Band im Shepherd’s Bush Empire in London als Vorgruppe für Roger Chapman and Family. Die Family-Fans schlossen uns wirklich ins Herz und gingen gewaltig mit. Und es wahr unglaublich, auf dieser bedeutenden Bühne zu stehen und unsere Musik zu spielen. Musik 17 WHY I LOVE T HE BL U ES Warum lieben Menschen den Blues? Diese Frage stellte der kanadische Musiker und Psychologe Marschall Lawrence verschiedensten Menschen. Die Videos seiner Interviews werden ab 28. Mai im Internet veröffentlicht. WP: Warum liebst Du den Blues, Marshall? Oder wie hat Dich der Blues gefunden? Alles stammt vom Blues ab. Der Blues ist eine heilende Musik. Er erlaubt dir, mit Musik das auszudrücken, was du fühlst. Darum liebe ich den Blues. Manche Menschen sagen, der Blues sei eine Musik, die einen herunter zieht, Du weißt schon, sie sei traurig und deprimierend, aber das ist er nicht. Im Gegenteil ist der Blues eine glückliche Musik. Du singst etwa über einige schlechte Punkte in Deinem Leben, aber durch das Singen heilst Du Dich selbst und gibst jedem, der zuhört ein Beispiel. Dadurch, dass Du es erzählst, fühlst Du Dich gut - und so geht es auch dem Publikum. Blues hilft uns, über unsere Sorgen zu lachen, hilft uns, sie in die rechte Perspektive zu setzen und hilft uns, weiter zu gehen. Und er lässt uns erfahren, dass wir nicht die Einzigen sind, die schlechte Zeiten in unserem Leben erfahren mussten. Ich schulde dem Blues eine Menge. WP: Woher stammt die Idee für Dein neues Projekt? Im Januar 2014 fuhr ich runter nach Memphis, um als Preisrichter bei der International Blues Challenge teilzunehmen und beim Showcase der PR-Firma Blind Racoon aufzutreten. Ich war das erste Mal dort und es war ein riesiges Erlebnis. In dieser Woche herrschte ganz deutlich ein Gefühl der Gemeinschaft und Kameradschaft im Blues. Was mir besonders auffiel, war der Enthusiasmus für den Blues, den Musiker und Fans verströmten. Das brachte mich fast wie eine Offenbarung auf eine Idee. Ich wollte herausfinden, woher diese Leidenschaft für den Blues kommt. Bewaffnet mit einer Videokamera beschloss ich, sie zu fragen. Wasser-Prawda | Mai 2014 18 Musik Basierend auf diesen Interviews haben wir die 13 Episoden von “Why I Love The Blues” geschaffen. Das war ein ganz schöne Strecke, machte aber massenhaft Spaß. Offiziell wird die Serie am 28. Mai 2014 im Internet gestartet. WP: Mit wievielen Menschen hast Du für die Reihe Interviews geführt? Zunächst war ich der Meinung, dass wahrscheinlich nur einige Menschen interessiert dran wären, für ein Gespräch vor die Kamera zu kommmen. Welch ein Irrtum! Die Resonanz von der Blues Community bei der International Blues Challenge war fantastisch. In ein paar Tagen filmten wir über 50 Interviews und trafen einige wirklich fantastische Menschen. befragen wie ich konnte, um ihre Leidenschaft für den Blues besser zu verstehen. So interviewte ich Musiker, Fans, Moderatoren von RadioSendungen und andere Profis aus der Musikindustrie für “Why I Love The Blues”. WP: Wird man das Projekt nur online betrachten können? Oder gibt es Pläne, diese Videos irgendwann auch auf DVD zugänglich zu machen oder die Aussagen als Buch zu veröffentlichen? Ab 28. Mai wollen wir auf meinem YouTube Channel wöchentlich eine Episode veröffentlichen. Mit dem Filmen der Gespräche haben wir ein Stückchen Bluesgeschichte festgehalten. So glaube ich, dass ich irgendwann die Serie auch auf DVD veröffentlichen und vielleicht WP: Wen hast Du befragt, nur auch ein Buch mit Zitaten Musiker oder auch die Fans? drucken werde. Ich denke, dass Ich wollte so viele Bluesliebhaber die Bluesfans beides begrüßen Wasser-Prawda | Mai 2014 und interessant finden werden. WP: Vor einigen Wochen wurde das Programm für das Toronto Bluesfest veröffentlicht. Ich war schockiert, als ich sah, dass Lady Gaga der Headliner sein wird. Und ich brauchte einige Zeit, die Bluesmusikerinnen und -musiker auf dem Line-up zu finden. Ist das ein guter Weg, um junge Menschen an den Blues heranzuführen? Oder was ist der richtige Weg, den Blues am Leben zu erhalten? Ich bin der Meinung, dass wir die Grenzen der Bluesmusik erweitern müssen, wenn wir sie lebendig erhalten und sie interessant für jüngere Zuhörer machen wollen. Dem Genre treu zu sein und es zu respektieren ist wichtig, aber wir müssen ihm auch eine Infusion mit neuen und innovativen Ideen und Klängen verpassen. Es geht nicht darum, zu spielen wie dieser oder jener Musik Typ, weil er gerade populär ist oder weil sie Legenden des Blues sind. Es geht darum zu spielen, was Du fühlst als Künstler und Songschreiber. Wir alle haben unseren eigenen Blues. Und unsere Musik muss diese Individualität widerspiegeln, damit der Blues überleben und sich entwickeln kann. In letzter Zeit geschehen in der Bluesmusik einige interessante Neuerungen. Musiker haben Loops eingesetzt, legen verschiedene Beats übereinander, rappen die Texte, setzen einzigartige Instrumente ein, die man normalerweise nicht mit dem Blues assoziiert und schreiben interessante und gar nicht traditionelle Arrangements. Darüber hab ich mich sehr gefreut. Noch ist der Blues sehr lebendig, und er entwickelt sich! WP: Du warst in Memphis als Preisrichter bei der International Blues Challenge. Wie wichtig ist Deiner Meinung nach dieser Wettbewerb für Musiker und die Blues Community? Ich glaub, dass Wettbewerb gesund ist. Wir machen das die ganze Zeit in unserem Leben und auch der Musik. Wir stehen im Wettbewerb und Jobs, Geliebte, Schulnoten, Musikstipendien, Auftritte, usw. Wir beobachten andere Musiker, um zu sehen und zu hören, was sie machen. Und dann gehen wir heim und üben, um unsere Fertigkeiten zu verbessern. Das hält uns bei der Sache und bringt uns dazu, so gut zu werden, wie wir können. Allerdings glaub ich, dass jeder Wettbewerb mit dem Geist der Kameradschaft angegangen werden sollte, dem Wissen, dass wir neue Fans erreichen können, die sonst nie von uns gehört hätten - und dem Ziel, das Genre voranzubringen. Einen Wettbewerb zu gewinnen sollte niemals das ultimative Ziel sein. Grundsätzlich sollten Musikwettbewerbe als Forum angesehen werden, Dein Talent zu präsentieren und Netzwerke mit anderen Musikern, mit Musikprofis und mit Fans auszubauen. Ich finde, dass die größten Gewinner in einem Musikwettbewerb oft nicht der Musiker oder die Band ist, die die Trophäe für den 1. Platz gewonnen hat. Stattdessen sind es die Musiker oder Bands, die vielleicht noch nicht mal das Finale erreicht haben stattdessen aber den wahren Sinn dieser Wettbewerbe wirklich verinnerlicht haben. WP: „Im Blues ist kein Geld.“ Das sagte mir ein Musiker aus Deutschland in einem I n t e r v i e w. H i e r z u l a n d e ist es ziemlich schwierig, als Bluesmusiker seinen Unterhalt zu verdienen. Es gibt zu wenig Clubs, nur noch einige Online-Medien schreiben regelmäßig über den Blues, die großen RadioStationen spielen diese Musik nicht mehr. Wie ist die Situation in Kanada? Meiner Meinung nach ist die Bluesszene in Kanda lebendig und in guter Verfassung. Und es gibt unter jüngeren Zuhörern ein wachsendes Interesse an der Bluesmusik. Generell könnte man sagen, dass Kanadier den Blues mögen. Allerdings ist es noch immer sehr schwierig, seinen Unterhalt als Bluesmusiker zu verdienen. Aber ich glaub, dass trifft auch für andere Genres zu. Am Ende 19 geht es aber doch darum, das zu tun, was Du liebst und Deiner Leidenschaft zu folgen. Und wenn Du Glück hast, kannst Du davon leben. WP: Hast Du Pläne, bald ein neues Album zu veröffentlichen? Und wirst Du es mit Deinem neuen Power-Trio einspielen? Ich hab schon Lieder für ein neues Album geschrieben, allerdings ist die Entscheidung noch nicht gefallen, was für ein Album es sein soll. Am Ende will ich eine musikalische Landkarte erschaffen. Mein Leitbild beim Schreiben, Aufnehmen und Spielen der Musik ist es, Spaß zu haben und die Musik fließen zu lassen. Ich weiß niemals, wohin dieses musikalische Abenteuer mich bringen wird, bis zu dem Moment, wo ich das Aufnahmestudio betrete. Wofür ich mich auch immer entscheide: Originalität ist für mich sehr wichtig. Und ich will, dass meine Fans sagen und sich deshalb an mich erinnern, weil ich etwas Neues in den Blues gebracht habe. Meine Musik soll einen einzigartigen Sound haben und soll Menschen dazu bringen, sich gut und weniger allein in dieser Welt fühlen. So müssen wir einfach abwarten und sehen, wohin mich meine Muse tragen wird. Wasser-Prawda | Mai 2014 20 Musik “Why I Love The Blues” mit: Jay Sieleman – Präsident der Blues Foundation Betsie Brown – Publizistin (Blind Raccoon) Eddie Turner – Musiker Bob Corritore - Musiker Tas Cru – Musiker Son Jack Jr. – Musiker Vinny Marini – Moderator von „Music On The Couch“ Dennis “Big D” Shaibly – Bluesmoderator bei WWOZ John “Blues Hammer” Hammer – Bluesmoderator bei KRUE 1170 am u.v.a. Links: https://www.facebook.com/WhyILoveTheBlues https://twitter.com/WhyILoveBlues Wasser-Prawda | Mai 2014 Musik 21 Wasser-Prawda | Mai 2014 22 Interview Nächste Auftritte in Deutschland: 12. Juli Frankfurt 14. Juli Stuttgart mit Jimmie Vaughan 15. Juli Hamburg mit Jeff Beck Wer in 3 Jahren 3 CDs auf den Markt bringt, hat was zu sagen. Mit der CD “made up mind” haben die Eheleute Susan Tedeschi und Derek Trucks zusammen mit ihrer Band manifestiert, dass es auf dem amerikanischen Soul- und Bluessektor Fortschritt gibt. Wir haben zum Konzert der Tedeschi Trucks Band am 25. April 2014 in der Münchner Tonhalle die Gelegenheit am Schopf gepackt, ein paar Dinge zu fragen, die sich zwangsläufig ergeben, wenn man die Fusion der Derek Trucks Band mit der Bluessängerin Susan Tedeschi sich im Detail anschaut. Wasser-Prawda | Mai 2014 Interview 23 FR AU T ED E S CH I UND H E R R TRUCKS GEBEN SI CH D I E E H R E INTERVIEW: MARIO BOLLINGER. FOTOS: CHRISTOPHE RASCLE, TTB & WIKIPEDIA. Wir trafen die Beiden im Münchener Sheraton Hotel ca. 2 Stunden vor den Soundcheck. In der Lounge des Hotels trafen wir ein freundliches Pärchen, denen überhaupt nicht anzusehen war, dass sie in ca 4 Stunden vor dem Münchner Publikum eins von drei Konzerten hinlegen werden. Der Empfang war sehr nett, geduldig wurden auch die üblichen Signaturen und VIPPics abgearbeitet und vorformulierte Videobotschaften von Pressekollegen aufgenommen, aber dann ging es zur Sache. WP: Ihr habt in 3 Jahren 3 CDs inklusive dem letzten erfolgreichen Album “Mind up mind” aufgenommen. Können wir 2014 was Neues erwarten? Derek Trucks: Wir arbeiten schon daran. Ende des Monats fangen wir mit dem Schreiben an, und im Mai möchten wir in unseren Studio in Florida mit den Aufnahmen beginnen. Wir nehmen uns die Zeit, die wir brauchen und möchten dann auch experimentieren. Wir waren das letzte Jahr viel unterwegs, aber wenn wir jetzt nach Hause gehen, kommen wir und die Band ein bisschen runter und dann werden Susan und ich werden anfangen, aufzunehmen und Sachen anzuhören und einzustudieren. Stück für Stück kommt die restliche Band dazu. Chorus, Rhythmussektion, die Leute kommen und gehen je nach dem. Das ist der Vorteil, wenn man das Studio zu Hause hat. WP: Wie kommt es, dass zeitgleich die beiden Leadgitarristen der Allman Brothers Band aus dieser Supergruppe ausscheiden? Derek Trucks: Ich denke schon länger (Susan lacht: seit 10 Jahren) daran, auszusteigen. Warren und ich waren uns einig, dass, wenn ich aussteige, er auch aussteigt. Seit meinem vierzigsten Geburtstag (Susan: also seit 5 Jahren) denke ich darüber nach, den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg zu finden. Mein Wasser-Prawda | Mai 2014 24 Interview Endpunkt sollte mein fünfundvierzigster Geburtstag sein. Je näher wir an den Punkt kamen, um so weiter schob jeder außer mir den Termin hinaus, bis ich endlich Warren informierte, dass es jetzt der richtige Zeitpunkt ist und ich das veröffentlicht habe. WP: Auf manchen veröffentlichten Bildern erscheint es, dass Susan die Autorität im Hintergrund ist. Ist der Eindruck richtig? Derek Trucks: Oh ja, Susan ist mitverantwortlich, wir sind Co-Chefs. Susan: Ich habe da meine e i g e n e M e i n u n g d a zu . Derek und ich teilen viele Gemeinsamkeiten. Eines der Dinge, die ich in dieser Band liebe, ist, dass Derek viel von der Verantwortung übernimmt und mir den Rücken frei hält, meine Dinge zu lernen und mich auf meine Dinge zu konzentrieren. Wenn ich eine Idee habe, ist letztendlich Derek sehr offen und ebenso wenn also unser Bassspieler oder der Drummer eine Idee haben, können wir damit zu Derek kommen. Jeder in der Band ist persönlich sehr engagiert, um das Beste zu geben. Jeder hat sein Leben eingebracht. Wir sind uns aber einig, dass Derek eine starke Vision hat, um uns zusammenzuhalten, um dort hinzukommen, wo er hinmöchte. WP: Wie entwickeln sich Blues und Soul in der USA? Tedeschi/Trucks: Es geht auf und ab in Wellen, alle 10-15 Jahre wechselt das. Es gibt eine lebendige Szene. Doch es bleibt die Frage, ob es neue Musiker gibt, die Musik in diese Richtung machen oder sie nur die alte Wasser-Prawda | Mai 2014 Interview 25 Musik nehmen, bis sie komplett verschwindet. Wie lange gibt es lebende Legenden wie Buddy Guy und B.B. King noch? Bei ihm können wir ja nicht wissen, wie lange er das noch macht. Im Endeffekt reduziert es sich auf die Frage nach der nächsten Generation: Es gibt sie, und die Musik entwickelt sich. Musiker wie die Wood Brothers oder die Scrapomatics mit Mike Mattison spielen Folk, Blues und traditionelle Musik. Es ist vielleicht nicht gerade der 12-Takt-Blues, den wir gewohnt sind, aber es ist im Sinne dieser Musik. Das bringt die Sache weiter, das ist relevant. WP: Mike Mattison war für lange Zeit und für 8 CDs der Leadsänger der Derek Trucks Band. Wie hat er diese Herausforderung angenommen, in der neuen Tedeschi Trucks Band im Background zu singen. Derek Trucks: Wir haben vorher darüber gesprochen, ob wir nicht 2 Frontsänger haben sollten, aber es war seine Idee, 2 männliche Backgroundsänger zu haben. Er will lieber im Hintergrund bleiben und steuert von dort aus vieles bei. Dort ist er sozusagen unser stiller Partner. WP: Derek, du hast einmal erwähnt, dass Du einen Musiklehrer kennst, der seinen Schülern erst das Singen und da nn da s Instrumentenspielen beibringt. Wie schaut es mit Deiner Sangeskunst aus? Derek Trucks: Nein, nein, ich singe nie in der Öffentlichkeit. Ich bin umringt von guten Sängern. Wasser-Prawda | Mai 2014 26 Interview Kofi Burbridge WP: Ab welchem Zeitpunkt war Dein Gitarrenstil so, wie Du heute Deine Gitarre spielst? Derek Trucks: Wenn ich mir alte Aufnahmen anhöre, was ich manchmal noch mache, sehe ich, dass etwas davon immer schon da war. Ich hoffe, dass ich mich immer noch entwickle, aber ich kann nicht genau sagen, wann ich begonnen habe, so wie heute zu spielen. Irgendwie war es von dem ersten Augenblick da, als ich die erste elektrische Gitarre in einen Verstärker steckte. Dagegen kann man nicht ankämpfen. WP: Wie bereitest Ihr Euch vor, wenn Ihr auf ein Festival wie das Crossroads Festival ohne Eure Band geht? Derek Trucks: Das hängt vom Gig ab. Zum Crossroads gehe ich ganz offen hin und schau, welchen Beitrag ich leisten kann. Mit Sonny Landreth habe ich einen Tag geprobt. Mit Blake Wasser-Prawda | Mai 2014 Mills habe ich mich 10 Minuten vor dem Auftritt abgesprochen. Er fragte mich einfach, ob ich etwas dagegen hätte, mit ihm zu spielen. Susan und seine Frau haben noch kurz vorher gescherzt und schon stand ich mit Blake Mills auf der Bühne. WP: Ein schnelles FrageAntwort Spiel: Doyle Bramhall II: Susan: Erstaunlich, ich liebe die Art wie er spielt, singt und komponiert und sein Tuning, weil er ja ein Linkshänder ist. Derek: Er ist ein weiteres Bandmitglied, sozusagen ein Ehrenbandmitglied Johnny Winter: Derek: Er ist einer meiner Lehrer, ein amerikanischer Schatz. Mike Matthison zu spielen. Er hat mein Leben verändert. Susan: Er ist mein all time favorite. WP: Susan, hast Du europäische Wurzeln? Susan: Ja, der Name ist italienisch und heißt “Deutscher” oder “deutscher Soldat”. Mein Vater ist halb Italiener und halb Engländer, meine Mutter hat irische, englische und deutsche Wurzeln. Meine Großmutter hieß Masters. Also bin ich ein bisschen irisch, englisch und deutsch. Ich spreche ein bisschen italienisch und spanisch und selbst ein paar Brocken japanisch. Mein Finanzberater spricht deutsch (er lebte in Budapest) und in der Band spricht einer französisch. So kann ich mit mindestens 10 Personen in Fremdsprachen sprechen. Eric Clapton: Derek: Ein weiterer Lehrer. Er war sehr großzügig mit der Zeit, WP: Ihr kommt öfter nach die er mit Doyle und mir ver- Deutschland? bracht hat, um vor den Leuten Susan: Ja wir haben 2011 in Interview Doyle Bramhall II 27 Johnny Winter Bonn gespielt und kommen im Juli wieder zurück. Wir sind am 12. Juli in Frankfurt, am 14.7. in Stuttgart und am 15.7. in Hamburg mit Jeff Beck. Die Tedeschi Trucks Band stellt sich als große Familie dar. Es gilt 11 Musiker unter einen Hut zu bringen. Derek und Susan verraten uns, dass diese große Familie auch die Tourausflüge gemeinsam bestreiten und man sich viele Städte gemeinsam anschaut. Die Reisen zwischen den Konzerten verbringen sie in 2 Tourbussen. An Schlafen ist da nicht zu denken. Es passiert einfach, das einer der Musiker seinen Ipod anmacht und dann hört man die ganze Nachtfahrt über Musik. Gerne kommen sie auch nach Deutschland, weil dort ein sachkundiges Publikum in die Konzerte kommt. Das ganze ist natürlich ein logistischer Kraftakt, der von Derek Trucks gemeistert werden muss ebenso die große Anzahl von Musikern, die in die Band eingebunden werden müssen. Dazu gehören beispielsweise 2 Drummer, 3 Blechbläser und 2 Backgroundsänger. Da aber alles Profis sind, findet jeder seine Aufgabe und Position. Auch wenn Dereks Eindruck beim Interview und bei den Aufritten immer den Eindruck des hochtalentierten jungen Gitarristen hinterlässt: Er gibt den Ton auf seiner Gibson SG und den Takt der Band an. Als besonderes Bonbon verlost die Wasser-Prawda eine von Susan Tedeschi und Derek Trucks signierte CD “made up mind” auf der Facebookseite. Bitte die Hinweise beachten. Wasser-Prawda | Mai 2014 28 Interview DIE JACKSONVILLE CON N E C T I ON I N MÜ N CH EN TEDESCHI TRUCKS BAND UND JJ GREY & MOFRO IN DER TONHALLE Lange angekündigt und mit Spannung erwartet: Das Konzert der Tedeschi Trucks Band am 25. April 2014 in der Münchener Tonhalle. Nicht sonderlich beachtet und daher völlig als Support act unterschätzt: JJ Grey & Mofro. Das Konzert der amerikanischen Soul, Blues und R&B Supergruppe Tedeschi Truck Band TTB war mit der Frage verknüpft, ob sie den Sound und Groove der 11 Mann starken Band in der ca 2000 Personen fassenden Tonhalle rüberbringen. Als Pressevertreter hat man den Vorteil, dass man sich auch im Wasser-Prawda | Mai 2014 Backstagebereich tummeln darf. In der Tonhalle war das ein sehr offener Bereich zwischen der Bühne und den Räumlichkeiten des VIP-Bereichs. Die Halle füllte sich innerhalb einer Stunde. Pünktlich erschien JJ Grey & Mofro auf der Bühne und es war ab der ersten gespielten Note Stimmung in der vollen Tonhalle. Mit den 2 Bläsern wurde klar, wo JJ Grey seine Wurzeln hat. Seine rauhe, brüchige Stimme, ein minimales, aber effizientes Schlagzeug, sehr trocken gehaltenen Gitarren und Bass und ein Keyboarder brachten Soul und R&B auf die Bühne, wie es heißer fast nicht geht. Der Gitarrist glänzte an einer Lapsteel, deren Schrammen und Kerben nicht nur vom engagierten Spielen stammt, sondern vom Einsatz an den Schlagzeugbecken. JJ Grey selbst fügte neben dem Gesang noch gutes Gitarrenspiel bei. Schnell war uns klar, dass hier mehr als ein Opener oder ein Support Act auf der Bühne steht. Und tatsächlich gab JJ Grey selbst die Erklärung, warum gerade er mit einer solch groovenden Band auf der Bühne steht: Er und Derek Interview 29 Die Gitarren von Derek Trucks Trucks kennen sich aus beider Heimatstadt Jacksonville und daher freut es ihn natürlich, für Derek den Opener zu machen. In der Tat findet man sehr viele Parallelen zwischen den beiden Bands, obwohl JJ Grey & Mofro doch eine Spur erdiger und rauer als die Band seines Kumpels Derek ist. Ich habe mir spontan nach dem Konzert einige CDs besorgt und bin Im Backstage-Bereich der Tonhalle trafen wir Bobby Tis, den Gitarrenbeauftragten von Derekt Trucks. Er wartet und pflegt Dereks Gitarren. Im Allgemeinen spielt Trucks Gibson SG in diversen Varianten. Um so überraschender war es, als Bobby uns erzählte, dass nur Replicas von Dereks alten SG mit auf der Reise waren: Orginalgetreu nachgebaut, auf Vintage getrimmt, mit original nachgewickelten PAE PUs und superleichten AluTailpieces, die ebenso künstlich gealtert wurden wie der Rest des Instruments. Derek mag es sehr leicht, daher die Wahl der leichten Aluteile. Auf den Reisemodellen findet man die identischen Befestigungslöcher des abgeschraubten Maestro Vibrolas und den abgewetzten Hals. Die teuren alten Instrumente benutzt Derek nur selten zu Hause in den USA, wo der Transportweg sicher ist. seitdem ein JJ Grey & Mofro Fan. Auch im Crossroad Cafe vom 98.1 ist JJ Grey & Mofro gespielt worden, wobei mir das positiv im Unterbewusstsein hängen blieb. Déjà-vu oder besser: Deja-ecouté. Das Publikum war altersmäßig gut gemischt. Ein Mann der Security hatte seinen Filius dabei, der begeister t im Backstagebereich Photos Bobby Tis & Mario Bollinger Wasser-Prawda | Mai 2014 30 Interview Nächste Auftritte von JJ Grey & Mofro in Deutschland: 1. August Düsseldorf 2. August Fulda schießen durfte. Der Vater sagte lachend: Wenn mein Sohn mit 18 Jahren solche Musik hört, dann kann nichts falsch sein. Ein anderer Musikfan erzählte mir, er hätte von 10 Jahren schon die Derek Trucks Band in München gesehen. Damals waren es aber nur ca. 30 Gäste und Derek kam noch zum Gespräch mit Fans von der Bühne. Im Publikum sieht man ausnehmend viele Fans mit Allman Brothers Band T-Shirts, die sich wohl im Zusammenhang mit Derek Trucks mehr an dem Southern Rock der ABB erinnert fühlen wollen. Nicht zu vergessen: Derek Trucks und Warren Haynes haben der ABB gerade einen quasi Todesstoß versetzt und da muss man als Fan schon schauen, wo man bleibt. Nach dem Opening wurde es unruhig im Backstagebereich. Es erschienen einer nach dem anderen die elf Musiker der TTB. Ich traf Susan Tedeschi nach dem Interview noch mal am Wartungsstand von Bobby Tis beim Stimmen ihrer Gitarren. Meinen Zuruf “have a good Show” quittierte sie mit einem zuckersüßen “Thank you”. Derek geisterte auch schon mit seiner frisch präparierten Gibson SG herum. Wasser-Prawda | Mai 2014 Als schließlich alle Musiker der Tedeschi Trucks Band auf der Bühne waren, setzten sie die von JJ Grey & Mofra hinterlassene Stimmung fort, in dem sie am Anfang gleich mal “Don’t let me slide“und “Rollin’ & Tumblin’“ spielten. Das Stück mit Susan Tedeschi als Sologitarristin kennen wir ja schon von der Live CD “Everybody’s talkin’“ . Es zeigt, dass Susan nicht nur Soul in der Stimme hat, sondern den Blues auch auf der Gitarre zelebrieren kann. Es waren viele Songs von den vergangenen Alben aber natürlich vornehmlich von “Made up Mind” zu hören. Im Interview sagte Derek, dass die Band auf der Bühne sehr viel improvisiert genau so wie es die alten Blues- und Jazzbands gemacht haben. Jeder in der Band hört genau zu und kann sofort in eine Improvisation einsteigen. Derek Trucks führt das Zepter, während er in seiner bekannten Art fast unbeweglich auf der Bühne steht. Er verteilt Solos, er bestimmt, wo es lang geht an diesem Abend. Es gibt zwar eine Setliste, aber wenn es der Band gefällt, wird die Liste umgestellt oder ganz neue Nummern gespielt. So gab es im Laufe des Abends es mehrere Nummern, die mir nicht von den Alben bekannt waren. Intros wurden ebenso improvisiert, was der Spielfreude der Band Ausdruck verleiht. Unveröffentlichte Nummern wie “Leavin’ trunk” gaben dem Keyboarder Freiheiten, im Sound zu experimentieren. Interview “Same old Blues” und “Palace of the King” waren auch Überraschungsnummern, die man bisher auf keinem Studioalbum findet. Überhaupt scheinen die Konzerte der TTB Familienfeste zu sein. Alle Musiker stehen permanent im Blickkontakt, lachen und werfen sich Kommentare zu. Der Drummer von JJ Grey fegte völlig angetan und groovend im Backstageraum herum, die Bläser kamen runter, witzelten und kamen wieder zum Einsatz auf die Bühne. Leider ist der Sound für eine so große Band in der Tonhalle nicht ausreichend differenziert genug, so dass es ein ziemlich breiiges Konzert wurde. Die Bläser konnte man nur erahnen, auch die Solos von Derek Trucks gingen ein wenig im Klangsumpf unter. Das einzige Soundhighlight waren die Stimmen vornehmlich von Susan Tedeschi, aber auch vom Backgroundsänger Mike Mattison. Meiner Meinung nach ist Mike Mattison mit seiner selbstgewählten Position im Background unterschätzt und um so mehr waren die 2 Songs mit ihm als Leadsänger eine Bereicherung. Als Zugabe gab es eine lange Improvisation über “Take you Higher” von Sly and the Family Stone. Und gerade das Thema spaltet die Fans: Die Einen kamen mehr, um Derek Trucks als Erben der Allman Brothers Band zu hören und waren vom 31 neuen Soul der TTB maßlos enttäuscht. Die Anderen wollen genau diesen Soul, Blues und R&B, wie er von der Tedeschi Trucks Band, aber auch von JJ Grey&Mofro neu inszeniert wurde. Wenn der Sound besser gewesen wäre, hätten wir einen echten Leckerbissen gehabt. Text: Mario Bollinger. Fotos: Christophe Rascel Wasser-Prawda | Mai 2014 32 Musik The Blues Brothers, Joliet Jake und Elwood Blues, sind erfundene Figuren, aber erfundene Figuren, die durch Fernsehauftritte, zwei Filme und Live-Auftritte für zahllose Menschen in aller Welt real geworden sind. Eine Artikelserie von Darren Weale. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von “Blues Matters”. Fotos: Warner Brothers & Blues Brothers Official Wasser-Prawda | Mai 2014 Musik 33 TH E B LU E S BR O T H E R S : A U F MU S I K A LI S C H E R MI S S I O N TEIL 1: WURZELN UND FRÜCHTE I n den Jahrzehnten seit sie zuerst ihre schwarzen Hüte und dunklen Sonnenbrillen aufsetzten, sind die Blues Brothers nicht wirklich wegen ihrer Musik oder ihren Einfluss auf den Blues und auf Bluesmusiker wahrgenommen worden. Warum? Dan “Elwood” Aykroyd und John “Jake” Belushi waren Comedians, die die Blues Brothers in der amerikanischen TV-Show Saturday Night Live der Öffentlichkeit vorstellten. Warum sollte man zwei lustige Typen, die Späße machten, ernst nehmen? Warum sollte man annehmen, sie seien mehr als zwei Kerle, die die Idee für einen ComedyAct hatten, der eine enorme Popularität erlangte? Die Blues Brothers wurden von einigen als Betrüger beschimpft, die aus der Musik und ihrer Geschichte ein Possenspiel machten. Es ist Zeit, dass man klarlegt, dass die Blues Brothers ihr eigenes sehr spezielles Kapitel in der Geschichte des Blues verdienen. Früchte Von Anfang an respektierten die beiden Comedy-Schauspieler Dan Aykroyd und John Belushi die Musiker, die sie inspiriert hatten, sie erwähnten Songwriter in Shows und forderten die Leute auf, so viele Blues-Alben zu kaufen, wie sie nur könnten. Ein früher Test ihrer Integrität kam, als sie eingeladen wurden, ihr erstes Album „Briefcase Full Of Blues“ aufzunehmen. Dan Aykroyd erinnert sich: „Als wir loszogen, um ‚Briefcase Full Of Blues‘ zu machen, schlug uns die Plattenfirma vor, dass wir die Songschreiber wie Floyd Dixon und Donnie Walsh von der Downchild Blues Band und Isaac Hayes und Steve Cropper kontaktieren sollten, um uns 50 Prozent der Veröffentlichungsrechte Wasser-Prawda | Mai 2014 34 Musik Chicagoer Blues Festivals. Er sagte: Ich hab alles auf Pferde verwettet. Mann, hatte ich eine schöne Zeit! Das da ist ein echter Blues Brother! That‘s the real shit!.“ Wir erzählten Dan Aykroyd die Geschichte. Er sagte: „Das wusste ich noch nicht, er hat seine Tantiemen bekommen? Ich bin sehr zufrieden.“ zusichern zu lassen. John und ich weigerten uns, was in der Zeit ziemlich ungewöhnlich war. Wir bekamen keinen Anteil an irgendwelchen SongwriterTantiemen auf den acht Alben. Wir bekamen ein paar Tantiemen für die mechanische Verbreitung der Aufnahmen, also für den Gesang, aber das ist nur ein Hungerlohn, seit Steve Jobs und Apple den Wert der Musik zerstört haben und alles digital ist. Alle Veröffentlichungs-Tantiemen gingen an die usprünglichen Künstler. Wir hätten einen Teil davon besitzen können, haben uns aber nichts davon angeeignet. Das wäre nicht Recht gewesen.“ in den frühen Tagen der Blues Brothers. So groß war sie, dass die Rolle von Cab Calloway im ersten Film nach ihm benannt wurde. Curtis erzählte uns eine Geschichte über Floyd Dixon, der „Hey Bartender“, den zweiten Song auf „Briefcase Full Of Blues“ geschrieben hat. „Das Album der Blues Brothers, das sich zwei Millionen Male verkaufte, war mir gewidmet, das rührt mich wirklich. In den Neunzigern kommt Floyd Dixon zu mir und dankt mir für den größten Tantiemen-Scheck in meiner Karriere. Das bedeutet mir so viel.‘ Mir schnürte es den Hals zu. Ich sagte: Es geht mich zwar nichts an, aber wie viel hast Du bekommen? Floyd meinte: Achtundsiebzig Was bedeutet dieses noble Tausend Dollar, die größte Verhalten für die Musiker? Den Summe, die ich je erhielt. Ich amerikanischen Sänger und denk bei mir: Genug, um ein Musiker Curtis Salgado hat Haus zu kaufen. Und ich fragte: man als den „originalen Blues Was hast Du damit gemacht? Brother“ beschrieben und er Er schaut in den Himmel. Es hatte eine große Bedeutung war auf der Hauptbühne des Wasser-Prawda | Mai 2014 Delbert McClinton, dessen Song „B Movie Box Car Blues“ auch auf „Briefcase Full of Blues“ gecovert wurde, liefert weitere Beweise dafür, was diese Haltung für Musiker bedeutete. „Ich hatte mit John Belushi gesprochen und ging zu seinem Apartement im Plaza Hotel. Er wusste, dass ich in die Stadt kommen würde und hatte mich angerufen, dass er alle Songs hören wollte, die ich aufgenommen hatte. Ich packte also all die Platten, die ich hatte und brachte sie zu ihm. Kurze Zeit später informierte er mich, dass „B Movie“ auf dem Programm stehen würde. Ob es auf dem Programm oder dem Album sein würde, das macht für mich keinen großen Unterschied. Ich hab mich auch so riesig gefreut. Ich bekam Tantiemen, ich wurde dafür bezahlt. Sie achteten darauf, dass jeder, der irgendwie musikalisch involviert war, etwas Geld verdiente. Das hatte man von Plattenfirmen noch nie gehört. Die hätten es dir immer noch abgezockt. Es ist eine miese Welt. Damals im Musikgeschäft, die Künstler waren einfach keine Leute, die einen Vertrag lesen und studieren würden. Man gab ihnen einen „Standard-Vertrag“ und sie unterschrieben ihn. Ich hab in meinen Zwanzigern Musik einen ga nzen Haufen Veröffentlichungsrechte mit einer Unterschrift weggegeben.“ Weitere Belege für den persönlichen Einfluss auf die Karriere von Musikern kommt vom Saxophonisten der Blues Brothers, „Blue“ Lou Marini. Er erzählt: „Der erste Film wurde von den Kritikern lautstark verrissen. Er war weder finanziell noch kritisch ein Erfolg und wurde dafür kritisiert, Abzocke am Blues zu betreiben. Einmal ging ich, nachdem ich Alt-Sax geübt hatte in den benachbarten Trailer. Dort sah ich John Lee Hooker, der meinte, er würde gern so spielen können wie ich. Ich traf ihn Jahre später. Da sagte er: Ich kann Dir gar nicht sagen, wie viel der Film für meine Buchungszahlen und das Geschäft getan hat. und vielen anderen. Donnie Walsh von der kanadischen Band Downchild war ein weiterer Künstler, der Musik beisteuerte, der von den Blues Brothers auf „Briefcase Full of Blues“ gecovert wurde. Zum Programm von Downchild gehörten Big Joe Turners „Flip Flop & Fly“ und ihre eigenen Nummern „Shot Gun Blues“ und „(I Got Everything In Need) Almost“. Was meint Donnie über die Blues Brothers? „Aykroyd im Besonderen, Johnny Winter und Paul Butterfield brachten den Blues zu einem weißen Publikum, das war eine große Sache, aber die Blues Brothers waren noch mehr! Sie brachten den Blues zu jedem, überall hin - sie waren die größte Sache, die dem Blues jemals passiert ist! The Blues Brothers haben alle im Blues mit nach oben geholt. Einen ähnlichen wohltätigen Schub hatte „The Blues Brothers“ für die Karrieren von Es ist passend, dass die Blues Aretha Franklin, Ray Charles Brothers ebenso besessen sind 35 von ihrer Musik wie von ihren Performances. Curtis Salgado - damals spielte er mit der Robert Cray Band - holte bei einem Gig John Belushi für einen Song auf die Bühne. Er war schockiert, dass Belushi in der Art von Joe Cocker auftrat. Für seine Parodien war Belushi bei Saturday Night Live bekannt. Curtis stieß Belushi in den Bauch und teilte dem jungen Comedian mit, gefälligst er selbst zu sein, wenn er mit einer Bluesband singe. Curtis, der 2013 gleich mit drei Blues Music Awards ausgezeichnet wurde, ist genau in der richtigen Position, um die Ergebnisse seines Ratschlags ebenso zu beurteilen wie die fantastische Band, die die Brüder begleitete. Curtis fasst seine Sicht folgendermaßen zusammen: „The Blues Brothers waren die echten Blues-Brüder. Auf der Bühne waren sie Killer. Sie waren großartige Frontmen. Ihre Show war umwerfend. Die Musiker waren absolute Profis, Wasser-Prawda | Mai 2014 36 Musik eine knallharte Band, da gibt es keinen Zweifel. Sie haben es echt gebracht, und ich bin stolz, ein Teil dieser Geschichte zu sein. Wie kamen diese großartigen Frontmen eigentlich zum Blues? Bitte weiterlesen! Wurzeln Der Blues hatte große Tage und Zeiten seit seinem rasanten Wachstum auf den Baumwollplantagen und Dämmen am Mississippi und seiner Ausbreitung nach Chicago, Memphis, New Orleans und darüber hinaus. In den 1970ern allerdings schienen diese großen Tage vorüber zu sein. Und das wiedererweckte Interesse an der Musik in den 60ern in Folge der British Blues Explosion war nur noch eine Erinnerung. Glam Rock, Disco und andere Formen der Musik waren bestimmen. Blues Ikonen wie Muddy Waters waren gezwungen, mit anderen Stilen zu experimentieren, um wieder wahrgenommen zu werden und ihre stagnierenden Karrieren wieder in Gang zu bringen. So wie die Idee von den Blues Brothers allein mit den beiden Blues-Brüdern Jake und Elwood beginnt, sollten wir uns jetzt auf Wasser-Prawda | Mai 2014 die Entwicklung ihrer Schöpfer Dan Aykroyd und John Belushi konzentrieren. Diese beiden Männer verfolgten Karrieren in der Comedy in Kanada (Aykroyd) und den Vereinigten Staaten (Belushi). Dan Aykroyd hatte den Blues schon in jungen Jahren. In Ottawa besuchte er regelmäßig einen Club namens Le Hibou und erlebte dort Musiker wie James Cotton, Otis Spann, Pinetop Perkins und Muddy Waters. Im Ergebnis hat Dan ein ganz spezielles Verständnis vom Blues und warum Leute ihn hören sollten. „Zunächst mal, weil da jede Menge Humor in der Musik ist. Der Blues wird oft als Klage beschrieben, ein Stöhnen über die Probleme mit Liebe, Suche nach Arbeit und wie trügerisch die Liebe sein kann. Aber Lieder von Musikern wie Wnonnie Harris‘ „Good Morning Judge“ und „All She Wants To Do Is Rock“ sind humorvoll und haben jede Menge Anzüglichkeit in sich. So auch Willie Dixons „Dead Presidents“ und Junior Wells‘ „Messin With The Kid“. Sie sind lustig, erbaulich und handeln von guten Zeiten. Zweitens ist der Blues die Wurzel von allem in der heutigen Musik. Der Blues bezieht alles mit ein von der Hammond Musik B3 bis zur Mandoline. Nimm etwa Gatemouth Brown er sagte immer, er sei kein Bluesman, er sei Musiker. Der Blues ist voller Humor, Rhythmus und Musikalität. Es macht so viel Freude, eine LiveShow zu sehen. Das ist die Art, wie die Blues die sozialen Störungen und die Kultur behandelt - und er ist eine Reflexion unserer Existenz und des Lebens. Er ist an der Wurzel jeder Musik. Es gibt großartige junge Talente. Und es gibt die präzise wie durch Diamant schneidende Gitarre von Freddie King, Albert King, Lil‘ Jimm King, BB King - all die Könige - und von den jungen Künstlerinnen Joanne Shaw Taylor und Ana Popovic. Einige dieser Ladies sind spektakulär. Und bei den jungen Männern gibt es Leute wie Quinn Sullivan, den Protegé von Buddy Guy - er ist erst 14 Jahre alt - und Monster Mike Welsh.“ Im Gegensatz dazu kam der Blues wesentlich langsamer zum Chicagoer John Belushi. Wir fragten Judith Belushi, Witwe des Frontman nach ihren Erinnerungen. „Die Geburt der Blues Brothers geschah meiner Meinung nach in verschiedenen Phasen. In der ersten Nacht, wo sich John und Dan trafen (in Toronto nach einer Show von Second City), entdeckten sie, dass sie neben anderen Dingen beide Musik liebten - und sie wurden schnell Freunde. Scheinbar sollen sie sogar erwogen haben, eine Band zu gründen. Dan war aber mehr am Blues orientiert, während John nicht viel vom Blues wusste, dafür aber mehr für Rock & Roll übrig hatte. Was zu dem Zeitpunkt keiner von ihnen erkannt hatte, war, dass Johns Rock&Roll Heroes stark vom Blues beeinflusst waren: Chuck Berry, The Rolling Stones, Erick Clapton und Cream, The Animals, Led Zeppelin, Van Morrison, John 37 Lennon. Spulen wir schnell vorwärts nach Eugene (Oregon) zu den Filmarbeiten von „Animal House“ („Ich glaub, mich knutscht ein Elch“), der John Belushi an den Kinokassen in aller Welt zum Star machte. Nachdem er eine lokale Blues Band im Eugene Hotel gehört hatte (zu der der Gitarrist der Filmband Otis Day and The Knights“, Robert Cray, gehörte), freundete er sich mit dem Leadsänger Curtis Salgado an. Nach den Filmarbeiten kam Curtis mit wundervollen alten Bluesplatten in unser Haus. John und er tauchten tief ein in die Geschichte und Musikologie des Blues. Als der Film abgedreht war, hatte John einen riesigen Wortschatz über und eine tiefe Leidenschaft für den Blues.“ Mehr darüber und über die Wurzeln der Blues Brothers wird es im zweiten Teil dieser Artikelreihe geben. Wasser-Prawda | Mai 2014 38 Musik H A NS THEESSIN K : EIN L EBEN IM BLUES EIN INTERVIEW VON GARY BURNETT Hans Theessink ist einer der besten akustischen Bluesmusiker nicht nur in Europa. Gerade erschien das anlässlich seines 65. Geburtstags entstandene Live-Album „65 Birthday Bash“. Gary Burnett führte für seinen Blog „Down At The Crossroads“ mit dem in Wien lebenden Niederländer ein Interview. Die Fotos von Michael Holzinger und Johannes Wahl entstanden im April 2013 während des Geburtstagskonzertes in Wien. GB: Hans, Du spielst den Blues, veröffentlichst Alben und unterhältst die Menschen jetzt seit mehr als 40 Jahren. Wenn man Deine Musik anhört, dann ist es klar, dass Du eine tiefe Bewunderung und Liebe für den Blues hast. Wie hat das angefangen? Wie hat es diese Musik geschafft, eine derartig tiefgehende Verbindung zu Dir aufzubauen. Besonders für jemanden aus den Niederlanden nicht aus irgend einem Südstaat der USA. Tatsächlich feiere ich in diesem Jahr schon „50 Years On The Road“! Meine musikalische Reise begann, als mein Vater mir eine Mandoline schenkte. Ein paar Jahre später bekam Wasser-Prawda | Mai 2014 ich meine erste Gitarre und liebte es. Ich mochte die Songs, die ich zu hören bekam, als der Skiffle-Wahnsinn Europa befiel. Aufregende Musik; erst später lernte ich, dass sie eigentlich Adaptionen von südlichem Folk und Blues waren (etwa von Leadbelly). Mir war die Existenz des Blues als musikalisches Genre unbekannt; ich liebte es einfach, mit dem herumzuspielen, was ich konnte. In einer Nacht hörte ich Big Bill Broonzy im Radio - für mich eine Offenbarung, die mich berührte und mir Schauer den Rücken herunter laufen ließ. Großartiges Gitarrenspiel und eine Stimme voller Emotionen. Big Bill Broonzy schickte mich auf meine Blues Reise. Im Laufe der Jahre traf ich eine ganze Menge Kollegen in verschiedenen Teilen der Welt, die ein ähnliches Schlüsselerlebnis hatten. Vielleicht geht es nur darum, Deine Fühler/Antennen auszustrecken und auf das Signal einzustellen! Für ein Kind aus den Niederlanden war diese Musik exotisch, neu und aufregend. Ich nehme an, wenn du irgendwo im Süden aufgewachsen wärst, dann wäre es wahrscheinlich eine alltägliche Sache gewesen. Vielleicht wäre der Typ von nebenan ein großer Bluesman gewesen, aber du hättest nicht soviel davon gehalten, wenn du nicht deine Antenne ausgefahren und darauf abgestimmt hättest. Natürlich bin ich durch Mississippi und Musik andere Südstaaten gefahren, um den Blues in seiner originalen Umgebung zu erfahren. Das war für mich wie der BluesHimmel - ich hab alles in mich aufgesaugt. Als ich mit dem Tubaspieler Jon Sass zu arbeiten begann, einem afrikanischstämmigen Amerikaner, sagte er: „Mein Großvater in West Virginia hat so gespielt.“ Das war seine natürliche Familienverbindung, musikalisch aber hatte er klassischen Unterricht gehabt und stand mehr auf James Brown, Steely Dan und Jazz. Der Blues kam zu ihm zurück über Europa. So ist es meiner Meinung nach inzwischen ein Zwei-WegeSystem geworden. GB: Der Blues entstand im Kontext der Erfahrungen der Schwarzen und des Leidens in den Südstaaten Anfang des 20. Jahrhunderts. Wie stark ist Dir das bewusst, wenn Du die Lieder singst, die Du singst? Natürlich stammt der Blues aus dem Kontext der Farbigen im Süden, wo Elend und Leiden zu den täglichen Erfahrungen gehörten. Aber genau das ist höchstwahrscheinlich auch der Grund, warum diese Musik so dynamisch ist und so viele Menschen überall anspricht, die auch ihren Anteil an Sorgen hatten. Die meisten Menschen können Kontakt zu einem Menschen/Musiker herstellen, der all das Elend durch die Kraft 39 seiner/ihrer Musik überlebt hat. Die Musik fühlt sich herrlich an und erreicht jeden, der auch nur irgendeine Art von Sensibilität hat. Vielleicht tendieren Menschen in Europa (und auch in Nordamerika) zuweilen dazu, die schwarze Blues Experience zu romantisieren. Ich hab über die Jahre eine Menge Old-Timer des Blues getroffen und mit ihnen gespielt. Sie alle hatten eine Sache gemeinsam: Einen großartigen Sinn für Humor und ihre eigene Lebensphilosophie und Lebensweisheit. Es ist großartig, mit diesen Menschen zusammen zu sein. Für alle von ihnen gilt: „Blues is a feeling“. Es geht nicht um eine Million Noten, sondern allein um das Feeling und die Emotion in Wasser-Prawda | Mai 2014 40 Musik der Musik. Und ihre Auftritte waren jederzeit 100%ig. Wenn Du es fühlen kannst und ehrlich dabei bist, dann kannst Du es machen: ob schwarz, gelb oder weiß, jung oder alt. Ich bin kein Sharecropper aus Mississippi oder ein Baumwollpflücker aus Louisiana - in Bezug auf diesen Teil der Blues-Erfahrungen bin ich ein Ausländer. Aber es gibt viele andere Bereiche des menschlichen Lebens: Liebe, Tod, Elend, Freude usw. Die verstehe ich sehr wohl als allgemeine menschliche Erfahrungen. So hab ich ene Menge Dinge, über die ich aus meinen eigenen Erfahrungen singen kann. Und ich ich nutze das Vehikel Country-Blues als musikalische Wasser-Prawda | Mai 2014 Kunstform. Ich liebe den Klang des Blues einfach. Er erinnert mich an die Zeit, als ich ein Kind war und Big Bill Broonzy im Radio hörte - für mich eine Schlüsselerfahrung - und so nehme ich an, dass ich einfach die Musik mache, die ich liebe und habe Spaß dran. Seit den frühen Neunzigern habe ich mit Terry Evans, einer der großen amerikanischen Stimmen, zusammengearbeitet. Er stammt aus Vicksburg (Mississippi) und ist alt genug, um tatsächlich Erfahrungen im Baumwollpflücken zu haben. Auf unserem letzten Duo-Album „Delta Time“ sang Terry eine ergreifende Version von J.B. Lenoirs „Down In Mississippi“, dass die Zuhörer überall auf der Welt zum Schweigen bringt: Die Menschen spüren die Wahrheit und den Druck von harten Zeiten und des Vorurteils, von dem der Song erzählt. GB: Wie oft kannst Du in den Vereinigten Staaten spielen und wie hat man Dich dort aufgenommen? Einige meiner früheren Aufnahmen waren in den späten 80ern auf dem Flying Fish Label in Chicago herausgekommen. (Unglücklicherweise stoppte Flying Fish seine Aktivitäten nach dem unerwarteten Tod des Labelchefs Bruce Kaplan.) Diese Platten machten einigen Eindruck und ich bekam wirklich gute Rezensionen, die zu Einladungen von Clubs Musik und Festivals in Nordamerika führten. Seit der Zeit bin ich regelmäßig dorthin gefahren. Die Aufnahme war immer sehr gut, und für mich war es ein echter Bonus, einen amerikanischen Musikstil über Europa zurück in die USA zu bringen. Auf dem New Orleans Jazzfest und beim Chicago Blues Festival zu spielen waren Highlights und eine wundervolle Erfahrung für mich. GB: Wenn Du Dich umschaust: Wie gesund ist der Blues in Europa sowohl im Blick auf die auftretenden Künstler als auch auf den Appetit der Zuhörer? Ich glaub, er schaut ziemlich gesund aus. Vielerorts haben 41 sich Blues-Gesellschaften etabliert und sind gut darin, die Neuigkeiten zu verbreiten. Auch scheinen viele jüngerer Musiker vom Blues oder einer bluesbasierten Musik angezogen zu werden. Es gibt ein Publikum hier, besonders wenn Du - wie ich - über die Jahre eine Fanbasis aufgebaut hast. Junge Musiker könnten das wahrscheinlich ein wenig härter finden, sich einen Namen zu machen. Meine Art von akustischer Musik zieht ein Publikum an, das aufmerksam zuhört. Die Musik steht im Mittelpunkt - sei es in kleinen intimen Clubs oder auf großen Festivals. Musik und Dein Gitarrenspiel nennen könntest - gibt es da einige, die besonders herausstechen? Es gibt so viele, aber ich sollte wahrscheinlich Broonzy erwähnen, Mississippi John Hurt, Yank Rachell (Mandoline), Sleepy John Estes, Fred McDowell, Brownie McGhee, Mance Lipscomb, Blind Willie Johnson… Ich hatte das Vergnügen mit Yank Rachell, Honeyboy Edwards, Louisiana Red, Champion Jack Dupree, John Jackson, Sam Chatmon, Odet ta, Wilsson Picket t, Luther Allison, Bo Diddley, Son Thomas, Taj Mahal, Henry Townsend (um nur einige zu GB: Ich bin sicher, dass Du nennen) Zeit verbringen und viele Einflüsse auf Deine mit ihnen spielen zu dürfen. Wasser-Prawda | Mai 2014 42 Musik Ich glaube, sie haben mich alle mehr in Bezug auf das Feeling und das Verständnis der Musik als in Sachen Gitarrenlinien und Noten beeinflusst. Aber natürlich nimmst Du links und rechts Dinge auf. Ich hab mir das Spielen selbst beigebracht. Und Spielen zu lernen war nicht einfach im Osten Hollands in den frühen 60ern - keine Lehrer, Bücher oder Videos. Brownie McGhee war der erste Bluesman, den ich live im Konzert sah. Ich saß in der ersten Reihe und schaute aufmerksam darauf, was er machte - meine Einführung ins FingerPicking: Daumen + 2 Finger. Ganz plötzlich war ich in der Lage, einige Dinge hinzubekommen, ein echter Augenöffner, der mir die Richtung zeigte. GB: Bei Dir sieht das Gitarrenspiel immer so leicht und ohne Anstrengung aus. Kannst Du aufstrebenden Akustikblues-Spielern irgendeinen Rat geben? Spielen, spielen, spielen - das ist alles, was ich sagen kann. Geh los und schau anderen guten Pickern beim Spielen zu und musiziere mit anderen Leuten. Wenn Du engagiert bist und die Musik und Dein Instrument liebst, wird sich eines Tages alles zusammenfügen. GB: Glückwunsch Hans zu Deinem Album „Wishing Well“. Die Hälfte des Albums sind traditionelle Songs, die andere sind Deine eigenen Kompositionen, von denen einige (wie „Early This Morning Blues“) wie traditionelle Bluessongs klingen. Erzähl uns was über Dein Songschreiben, ist das etwas, Wasser-Prawda | Mai 2014 Hans Theessink & Meena Cryle was Dir einfach, wie natürlich, zufällt? Eigentlich hab ich schon ein weiteres Album rausgebracht: „65 Birthday Bash“, live aufgenommen 2013, veröffentlicht im April 2014! „Wishing Well“ ist aus dem letzten Jahr und ein ziemlich entspanntes Album. Es sind Lieder, die mich in meiner musikalischen Karriere begleitet haben. Brownie McGhees „Living With The Blues“ etwa schnappte ich auf, als ich Brownie bei meiner ersten Erlebnis mit Live-Blues sah. Oder „Wayfairing Stranger“ hab ich zuerst von Johnny Cash gehört in der Gaderobe vor einem Konzert - ich war damals der Support Act. Songschreiben ist bei mir fast eine natürliche Angelegenheit. Ich schreibe nicht die ganze Zeit. Aber ich hab warscheinlich 3-400 Songs über die Jahre komponiert. Und immer, wenn ich eine gute Idee oder eine besondere Erfahrung habe, die eines Liedes würdig ist, fang ich an. Ich glaub, das ist ein guter Weg, um seinen eigenen Ausdruck zu finden. Ich hab ein paar Texte beigelegt: „Big Bill‘s Guitar“ (darüber, wie ich Broonzy hörte und in Chicago seine Gitarre spielte) und „Mississippi“ (geschrieben nach meinem ersten Trip in den Bundesstaat. GB: Wenn Du Gospel-Blues Songs oder Lieder mit geistlichem Inhalt spielst oder aufnimmst, scheinst Du richtig zu Hause zu sein. Dein Album „Jedermann“ ist voll von solchen Songs, sei es „Satan Your Kingdom Must Come Down“ oder „Sinner Man“ oder auch „Way Down in the Hole“. Auch haben einge der Stücke von dem gemeinsamen Musik Album mit Terry Evans ein Gospelfeeling, nicht nur „Heaven‘s Airplane“. Wie passen diese Lieder insgesamt ins Bluesgenre? Und wie gut kannst Du Dich mit ihnen identifizieren? Musikalisch ist das mehr oder weniger das gleiche Idiom und beide sind eng verwandt. Der Gospel nimmt „Gott“ oder „The Lord“, wo der Blues „My Baby“ verwendet - nur als Beispiel. Bluesmen wie Fred McDowell haben das gleiche musikalische Vehikel genommen, um sowohl Material im Gospelstil als auch Blues zu singen und zu spielen. Ich mag beim Gospelsound besonders den Gesang mit seinen Emotionen und den großartigen Harmonien und der Spiritualität. Besonders auf unserem letzten gemeinsamen Album „Delta Time“ wurden wir neben Ry Cooder an der Gitarre von Willie Greene und Arnold McCuller unterstützt. 43 Mit ihren großartigen GospelBlues-Stimmen bekamen wir einen vom Gospel inspirierten Sound. Terry, Arnold und Willie haben alle in ihrer Kindheit in Kirchen gesungen und wissen, wie sie ihre Stimmen um einen Song herumwickeln. Trotzdem versuchten wir keinen religiösen Standpunkt einzunehmen, wir hatten nur Freude am gemeinsamen Singen. Und das passt meiner Meinung nach gut zum Blues. In meiner Band arbeite ich mit drei Sängern aus Simbabwe - das ist ein ähnliches Ding: reiche Harmonien mit einem afrikanischen Twist. Für mich ist die menschliche Stimme das großartigste Instrument und mit anderen zu singen ist eine inspirierende und wundervolle Erfahrung. Da s A lbum „ Jederma nn Remixed“ ist mit seinem geistlichen Inhalt wesentlich spezieller. Ich wurde gefragt, den Soundtrack zu diesem Film zu machen, der auf einem mittelalterlichen Lehrstück beruht, wo der Kampf zwischen Gut und Böse, Gott und dem Teufel eine große Rolle spielt. Birthday Bash zum 65. von Hans Theessink trafen sich so unterschiedliche Musikerinnen und Musiker wie Ernst Molden, Willi Resetarits, Schiffkowitz, Champagne Charlie, Knud Møller, Meena Cryle und Chris Fillmore. Ein Abend zwischen Blues und Folk, Country und Wiener Liedern war das, was die Besucher am 5. April im Wiener „Metropol“ erleben konnten. Hans Theessink - 65 Birthday Hans Theessink spielte Lieder Bash aus seiner mittlerweile 50jähriWenn ein Musiker so viele gen Bühnenkarriere, ob eigene Jahre lang unermüdlich seine oder sich zu Eigen gemachte Musik spielt und damit zahlrei- zwischen Woody Guthrie, che Kollegen beeinflusst, dann Johnny Cash und den Rolling kann ein Geburtstagskonzert Stones. schon zu einer sehr bunten Man fühlt sich zurückversetzt Veranstaltung werden. Beim in die Zeit des Folkrevivals: Da sitzen Musikerinnen und Musiker mit ihren Instrumenten auf der Bühne, erzählen Geschichten und bringen das Publikum zum Mitsingen. Für mich am Überraschendsten an dem Album: Wie gut Theessink mit der „The Valentinos“ genannten Band harmoniert. Ich hätte kaum erwartet, dass Meena Cryle und Chris Fillmore auch im Bereich des akustischen Blues so gut sein könnten. Und die düster dahin groovende Version von „This Train“ mit deutschem Text „Der Zug“. Ein schönes Geburtstagsalbum, dass man auch als Einstieg in das musikalische Werk von Hans Theessink nur empfehlen kann. Raimund Nitzsche GB: Zum Schluss: Was hält 2014 für Dich noch bereit? Ich hatte gerade (am 5. April) meinen 66. Geburtstag, wo wir zwei großartige „Birthday Bash“ Konzerte mit mir und musikalischen Freunden in Wien hatten, wo ich wohne. Ich versuche, ein wenig weniger zu arbeiten, wenn ich älter werde, kann aber schlecht „Nein“ sagen und spiele noch immer viele Konzerte in ganz Europa in diesem Jahr. Ich mach viele Solo-Gigs, aber auch Auftritte im Duo oder mit Band. Das hält es interessant und abwechslungsreich. Für dieses Jahr hab ich keine Pläne für Nordamerika, aber vielleicht komme ich 2015 wieder rüber. Wasser-Prawda | Mai 2014 44 Musik D I E MOJO B LUES B A ND IM GESPRÄCH MIT ERIK TRAUNER Eher seltene Gäste in Deutschland sind wohl die Mojo Blues Band um den Gründer Erik Trauner herum. Am 15. März ergab sich bei der dritten Puchheimer Musiknacht die Gelegenheit, Erik zur Mojo Blues Band und dem Blues in Europa zu befragen. Natürlich waren auch ein paar Fragen an den Organisator der Musiknacht Peter Krause aka Peter Crow C fällig. Interview: Mario Bollinger. Fotos: Christophe Rascle. Seit 1977 spielt die Mojo Blues Band in verschiedenen Besetzungen den Blues. Damals waren sie die einzige Bluesband in Wien und wurden daher immer wieder als Begleitung für tourende Musiker aus den Staaten verpflichtet. Diese haben dann auf vielen Alben der Band als Gäste mitgewirkt. Die aktuelle Besetzung: Erik Trauner (voc, g, mharm), Siggi Fassl (voc, g), Charlie Furthner (p), Didi Mattersberger (dr), Herfried Knapp (b). Wasser-Prawda | Mai 2014 Musik Für einen Redakteur gibt es keinen besseren Glücksfall, als mit Erik Trauner zu reden, da er auf eine langjährige, internationale und absolut authentische Erfahrung zurückblickt und diesen Erfahrungsschatz auch gerne teilt. Dazu gehört auch, das Erik sich nach dem Konzert dem Publikum abseits der Bühne stellt, Fragen beantwortet und sich mit den Fans fotografieren lässt. Leider hört man die MBB sehr selten in Deutschland, was Erik damit begründet, dass sich die Band selbst managt und somit sich auch um alles kümmern muss. Sie haben kein Vorortmanagment und sind daher auf Eigeninitiative oder Ak tionen wie Peter Krauses Bluesnacht angewiesen. Erik betont, dass sie jederzeit Einladungen annehmen möchten, wenn der Rahmen passt. Auf die Frage hin, warum selbst in Wikipedia die neue CD nicht gelistet ist, entschuldigt sich Erik und erzählt, dass er sich seit einiger Zeit von Plattformen wie Facebook fernhält und selbst noch über 500 SMS unbeantwortet lassen musste. Er fühlt sich ein bisschen in der Bringschuld, aber momentan geht es nicht anders. Der in der Öffentlichkeit laut gewordenen Vorwurf an die Presse, dass das Bluesgenre und damit auf die Aktivitäten der MBB ins Hintertreffen geraten, bejaht Erik Trauner. Die verantwortlichen Redakteure hätten einfach heute nicht mehr die Freiheit, Akzente in der kulturellen Berichterstattung zu setzen. Nach seiner Erfahrung ist das Verhalten der Großpresse völlig widersprüchlich zum Besucherverhalten der Fans bei den Konzerten. Wie auch die 3. Bluesnacht in Puchheim sind viele Konzerte ausverkauft. Die neuen Medien wie OnlineMagazine oder Internet Radios werden von Erik Trauner derzeit nicht intensiv genug angesprochen, weil er sich nach einer so langen Karriere diesen Medien nicht aufdrängen muss. 45 Mario Bollinger im Gespräch mit Erik Trauner und Peter Crow C Die neue CD „Walk the Bridge“ kam 2013 raus. Somit waren es im neuen Jahrtausend lediglich 4 Veröffentlichungen der MBB. Darauf angesprochen, lachte Erik Trauner und meinte, so hat er das noch gar nicht betrachtet. letztendlich möchte sich die Band aber auch nicht dem Druck aussetzen, regelmäßig CDs zu veröffentlichen. Man muss ja auch was zu erzählen haben, wenn man veröffentlicht. Letztendlich sei sein Herzinfarkt ja auf Grund der Überlastung in dieser Zeit passiert. Erik hat sich da nach eigenen Angaben etwas zu viel zugemutet. Wenn man nun den Titel „Walk the Bridge“ betrachtet, drängen sich Schlüsse auf, auch wenn der Titel Monate vor dem Wasser-Prawda | Mai 2014 46 Musik Ereignis gemacht wurde. Aus den angebotenen Alternative „Übergang Tod“, „Übergang zu einem neuen Leben“ oder „Abschied von alten Suchten und Gewohnheiten“ entschied sich Erik für das Letztere, was man deutlich an seinem gesunden Äußeren sieht, auch wenn er sich immer noch das Bier genehmigt oder gönnt. Als Erik Trauner kurz nach dem Aufenthalt im Krankenhaus sich öffentlich zu Wort gemeldet hat, klang das sehr nach der Aussendung von Warnsignalen an Freunde, um dem gleichen Schicksal zu entgehen. Erik Trauner entkräftete diese Meinung, weil er eigentlich nur allen Freunden und Bekannten auf einfache Art und Weise sagen wollte, dass es ihm gut geht und wie das Ganze passiert ist. Dass sich viele Freunde das trotzdem zu Herzen genommen hatten und sich kardiomäßig untersuchen ließen, war eine unbeabsichtigte, aber erfolgreiche Konsequenz aus seiner Offenheit. WP: Ist eine neue CD in Planung? Erik möchte gerne eine Solo CD machen und dazu, wie derzeit sehr oft praktiziert, Freunde des gemeinsamen Wegs einladen. Das Ganze minimalistisch in Mono oder maximal mit 2 Mikrofonen aufgenommen. Neben der MBB ist Erik Trauner noch mit einem akustischen Blues Duo unterwegs. nicht möglich): Petra Toyfl/Gesang: nomen est omen? Nein, die Petra ist die Schwester des Ex-Gitarristen der MBB und somit der Band seit langer Zeit verbunden. Lilli Kern/Gesang: Sie war eine wunderbare Ergänzung zu Petra Toyfl und ist uns i n d e r M u s ik s zen e a l s Crossoversängerin aufgefallen. Martina Kucera/Gesang: Sie ist eigentlich keine Bluessängerin im herkömmlichen Sinne, sondern kommt aus dem Singer/Songwriter-Bereich und hat eine faszinierende und ausdrucksstarke Stimme. Paul Chuey/Bra s s: Ka m durch Zufall zur Band, weil er wegen eines künstlerischen Engagement seiner Frau in Wien war und eigentlich ein WP: Auf der CD „Walk the ausgestiegener Rechtsanwalt Blues“ sind 4 Gastmusiker ist. Leider ist er inzwischen zu hören. Ich bat Erik Trauner, wieder zurück in den USA. jeden Musiker mit einem Satz vorzustellen (Was per Als sich dann Peter Crow Definition bei Erik Trauner C dazugesellt, konzentriert Wasser-Prawda | Mai 2014 sich das Gespräch auf die Puchheimer Bluesnacht, derer Initiator Peter Crow C ist. Sie findet nun zum dritten Mal statt, an diesem Abend eben mit dem Headliner, der Mojo Blues Band aber eben auch mit Peters Duoformation Black Patti, einer Rootsbluesformation mit Ferdi „Mr. Jelly Roll“ Kraemer. Bei den anderen beiden Bluesnächten waren u. A. Abi Wallenstein, die beiden Hambones Henry Hegen und Micha Maass und die beiden Brüder Schorsch und Dr. Will Hampel zu hören. Obwohl die Bluesnacht immer ausverkauft ist, bemängelt Peter Crow C das öffentliche Interesse der Medien an solchen Spektakel. Er haut damit in die gleiche Kerbe, die bereit Erik Trauner aufgeschlagen hat. Die öffentliche Presse besitzt nach Eriks Meinung nicht mehr die Eigenständigkeit und Dynamik, um auf solche kulturellen Ereignisse, die nicht im Mainstream oder Fokus stehen, einzugehen. Peter Crow C entschuldigte sich aber auch Musik 47 man sofort hopp, wenn es den Leuten gefällt, aber ebenso verschwindet man schnell in der Gleichgültigkeit. Ein sehr schwerer Akt als Musiker, hier die Spannung zu halten. gleich dafür, die neuen Medien wie online Magazine oder Internetradios nicht genügend anzusprechen oder einzubinden. Peter Crow C ist regelmäßig im Münchner Alfonso‘s, demnächst aber ab mit Black Patti ab dem 1.5. auf dem Kemptener Jazzfrühling mit dem Bassisten Uli Lehmann zu hören. So ganz nebenbei hat Peter Crow C noch einen Workshop in Kroatien organisiert, um Gitarristen und Harpern das richtige Gefühl für Timing beim Spielen zu geben. Pünktlich um 20 Uhr steigen Peter Crow C und Mr. Jelly Roll als Black Patti die Bühne. Das Duo macht Roots Blues und kombiniert auf phantastische Weise akustische Gitarren und den Mandolinensound von Ferdi Kraemer. Da die Mandoline nicht das typische Bluesinstrument ist, drängen sich erst mal akustische Bilder wie italienische Volksmusik auf. Ferdi widerlegt das aber. Mit seiner Mandoline setzt er einen emotionalen Gegenpol zu Peter Crow C und seinen Slide- und Resogitarren. Auch Johnny Winter verwendete in seinem Song „Bad Luck and Trouble“ auf der LP „Progressive Blues Experiment“ die eher seltene Mandoline. Das verhaltene Puchheimer Publikum der älteren Generation quittiert diese spannende und mit Stomprythmus unterlegte Musik mit Tanzeinlagen auf den Durchgängen. Die beiden Musikern spielen dann Blues und Spirituals und Songs aus der Feder von Sonny Terry and Brownie McGee. Immer wieder unterstreicht die Mandoline von Ferdi Kraemer die Traurigkeit des Blues. Im Laufe des Auftritts kommen gelegentlich die Musiker der MBB dazu, um an Bass oder Piano auszuhelfen. Trotz der wirklich witzigen Unterhaltung von Peter Crow C lässt sich aber weiterhin das Publikum nur schwer aus der Reserve locken. Hängt das vielleicht am Phänomen „Blues und Alter“? Eine Tatsache, die Erik Trauner auch bereits im Vergleich zu amerikanischem Publikum erwähnt hat. Dort ist Dann steht der Headliner auf der Bühne. Die Mojo Blues Band aus Österreich gibt sich die Ehre. Und sie spannt einen ganz weiten Bogen, der musikalisch aus der eigenen Vergangenheit über Sonny Boy Williamson zu T-Bone Walker und natürlich zur neuen CD „Walk the Blues“ führt. Wie bereits oben erwähnt ist Erik Trauner ein Füllhorn voll Erfahrungen und Geschichten um den Blues. So erzählt er die Geschichte über den Whiskey der Schwarzbrenner, der nachts bei Mondschein gebrannt wird und daher Shine heißt und über die falschen Freunde Johnny Walker und Jack Daniels. Nach Boogienummern wie „I ain‘t funny that way“ kann ich immer noch nicht verstehen, wie 230 Zuhörer auf den Stühlen förmlich festgeklebt sein können. Erik Trauner berichtet von der Cajun Music und von seinem Lieblingsmusiker Clifton Chenier und dem Song „I‘m coming home“ der neuesten CD. Hier spürt man New Orleans Sound, den Swamp Blues aus den Sümpfen am Mississippi und dem Zydeko, also der Musik, die vertriebene Franzosen nach Louisiana gebracht haben. Eine weitere Geschichte, die Erik Trauner zum Besten gibt, handelt von einer einsamen Radiostation in Greenwood im Mississippi-Delta, wo er den lokalen DJ kennenlernte und ihm aushelfen musste. Bei der folgenden Nummer spannte Trauner den Bogen von Wasser-Prawda | Mai 2014 48 Musik akustischen Delta Blues hin zum elektrifizierten Chicago Blues, genau so, wie ihn die Musiker damals vom Mississippi nach Chicago transportiert haben. Und dann ist da noch die amüsante und unterhaltsame Geschichte über das Huhn, das sich am Bahndamm verlaufen hatte und mit dem heranrasenden Zug kollidierte; Großartig, wie Trauner diese Tragödie mit seinem Slide-Gitarrenspiel untermalte. Zum Schluss dieses phantastischen Abends treffen sich die Mojo Blues Band und Black Patti noch mal auf der Bühne, um in einer Jamsession zusammen den Blues zu zelebrieren, den die beiden Formationen auf die jeweils sehr persönliche Art repräsentieren: Roots Blues von Black Patti und den Delta Blues der Mojo Blues Band. Wer das Konzert verpasst hat: Am 26.09.2014 tritt die Mojo Blues Band im Veranstaltungsforum Fürstenfeld in Fürstenfeldbruck auf. Am 25. und 25. Oktober ist sie in der Stacher Musikbühne in Staudach-Egerrndach zu erleben. Wasser-Prawda | Mai 2014 Musik 49 DET R OIT CITY BL UES IM GESPRÄCH MIT HOWARD GLAZER Detroit City: Jimmy Thackery singt über „Detroit Iron“, Albert King setzt der „Cadillac Assembly Line“ ein musikalisches Denkmal, John Lee Hooker verbrachte Jahre seines Lebens in der Motor City. Und Motown erfand seinen ganz eigenen Sound. Und auch Mitch Ryder erzählt auf Tourneen immer von seiner Heimatstadt Detroit, der Stadt so großartiger Bluesmusiker wie Big Maceo, Eddie Burns, Johnny Bassett und vieler mehr. Das ist vorbei. Detroit hat sich über die Jahre verändert. Die stolze Stadt der Schwer- und Autoindustrie ist bankrott, das Leben ist hart, aber der Blues ist noch immer da. Wir hatten das Vergnügen, Detroits derzeit besten Bluesgitarristen zum Interview zu treffen. Howard Glazer ist ein großer Mann in seinen besten Jahren. Er hat lange blonde Haare und ein gewinnendes Lächeln. Die Fragen stellte Bernd Kreikmann. Wasser-Prawda | Mai 2014 50 Musik WP: Vielen Dank, dass Du unseren Wunsch nach einem Interview akzeptiert hast, Howard. Es ist mir ein Vergnügen, ich bin sehr froh, mit Dir zu reden. WP: Wie fühlst Du dich ein paar Tage nachdem Du den Detroit Blues Award bekommen hast? Ich bin noch immer sehr überrascht. Aber natürlich ist das eine große Ehre. Ich hatte mich gegen einige sehr gute Spieler von Weltklasseniveau durchgesetzt! Eine sehr heftige Konkurrenz. Leute aus der Musik-Community in Detroit schlagen online vor, wer nominiert werden sollte. Dann gibt es ein Online-Voting, wer letztlich Wasser-Prawda | Mai 2014 nominiert wird. Und eine weitere Online-Abstimmung sucht dann die Gewinner heraus. Eigentlich (so scheint es mir zumindest) ist das ein sehr komplizierter Prozess. Aber klar: Ich bin sehr stolz und geehrt! WP: Das war sicher eine große Party? Ja, die Party war großartig, ich konnte nicht zu lange bleiben, weil ich am Samstagmorgen um 11 Uhr einen Gig hatte. Aber alles ist gut! Ich hatte viel zu tun mit Gigs und Aufnahmen seit den Awards. WP: Howard, Du wurdest geboren und aufgezogen in Detroit City - ich nehm mal an, dort schauten alle nach gut bezahlten Jobs in der Autoindustrie. Du bist beim Blues gelandet. Wie konnte das passieren? Ich hab das mit dem Blues nicht geplant, nur das mit der Musik. Meine beiden Eltern waren Musiker. Mein Vater war professioneller Saxophonist bei Don Pablo & His Orchestra und meine Mutter unterrichtete Musik in Schulen von Detroit. Ich sah immer, wie mein Vater im Anzug mit seinem Saxophonkoffer zu den Gigs loszog und dachte bei mir: Wenn ich groß bin, will ich auch zu Gigs gehen. Du kannst also gerne sagen, dass ich schon von einem sehr jungen Alter an mit Musik infiziert war. Als ich meine ersten Gigs hatte, war ich glaube ich Musik etwa 11 Jahre alt. WP: So bist Du also ein Kind von Rock und Blues seit frühen Tagen? Ich wuchs in den 60ern mit Rock auf. Mein älterer Bruder Steve brachte mich auf lokale Detroiter Bands ebenso wie auf die britischen Bluesbands und Johnny Winter. Er brachte mir auch „Hooker & Heat“ (John Lee Hooker with Canned Heat) nahe. Das ist ein Doppel-Album, auf dessen erster Scheibe John Lee Hooker hauptsächlich Solo spielt und verschiedene Bandmitglieder von Canned Heat einsteigen. Bis heute hört sich dieses Album für mich großartig an, besonders die erste Platte mit viel Solo-Musik von Hooker… Aus vielen Gründen war die Platte für mich sehr bedeutend. Einer war, dass ich mit 10 oder 11 Jahren niemanden finden konnten, mit dem ich Musik spielen konnte (jedenfalls nicht auf meinem Level). So hörte ich immer wieder, wie John Lee Hooker solo spielte und versuchte, in dem Stil zu spielen. Bis heute mache ich viele Soloauftritte und ich denke, dass all das Hören auf Hooker geholfen hat! Johnny Winter war immer einer meiner liebsten Gitarristen, Johnny und auch Kim Simmonds (Savoy Brown). Durch Johnny kam ich zu Muddy Waters, Sonny Terry … und das wiederum führte zu Howlin Wolf … und so geht es immer weiter. Ich bin so glücklich, dass sowohl Johnny Winter als auch Kim Simmonds noch immer gut dabei sind! 51 Du von der deutschen BluesKultur denkst. Über die deutsche Blues-Kultur würd ich gern mehr lernen. Es ist lange her, seit ich in Deutschland war. Wir spielten beim Dresdner Blues Festival und einige BarGigs. Ich hatte die Ehre, ein Set in Ulm mit Louisiana Red zu spielen. Das war großartig. Ich war in Ostdeutschland, aber jeder, den ich traf, schien ziemlich auf Blues zu stehen! WP: Hast Du Pläne, in Europa zu touren und beim nächsten Mal speziell auch in Deutschland? Vielleicht mit Deiner eigenen Band, um Dein letztes Album „Stepchild To The Blues“ zu promoten, das ein großer Erfolg ist? Ich würde gerne in Deutschland und Europa Konzerte mit meiner eigenen Band geben, um „Stepchild of the Blues“ vorzustellen. Zur Zeit arbeite ich an einer neuen CD. So hab ich vielTeil der Welt schon auf leicht, wenn ich komme zwei Tour warst. Was sind Deine neue Alben vorzustellen … auf Eindrücke von Tourneen in jeden Fall aber „Stepchild“. Europa? Ich liebe es, in Europa auf WP: Du hast erwähnt, dass Tour zu sein. Ich hatte groß- man ich Griechenland eine artige Zeiten, lustige Gigs und Custom Gitarre für die baut? hab viele nette Menschen Ja, darauf freue ich mich schon getroffen. Ich war noch nicht sehr. Ich hoffe, dass ich sie in allen Teilen Europas, aber rechtzeitig bekomme, um sie immerhin in einigen Ländern: nach Finnland mitzunehmen D e u t s c h l a n d , F i n n l a n d , und auf meiner neuen CD Großbritannien, Italien, Schweiz, zu spielen. Olympus Custom Schweden, Holland, Norwegen, Guitars hat angeboten, mir ein Dänemark, Lettland, Polen, Instrument zu bauen. Wir haben der Tschechischen Republik, bei einigen zusammengearbeiSlowakei und Griechenland. tet und unter anderem vereinIch hoffe, ich hab da nieman- bart, dass es eine halbresonante Gitarre wird. Ich freu mich den vergessen! wirklich drauf, sie zu spielen, zu WP: Es ist beeindruckend, WP: Unsere deutschen Leser sehen und zu hören. Sie wird dass Du in einem so großen würden gerne wissen, was großartig klingen! Wasser-Prawda | Mai 2014 52 Musik WP: Erzähl uns doch bitte wenn Du magst ein wenig mehr über Deine Pläne. Ist Detroit heutzutage der richtige Ort für einen erfolgreichen Bluesman? Meine Pläne? Ich plane, neue CDs zu veröffentlichen und meine Karriere voranzubringen. Ich würde wirklich gern mehr in den USA und außerhalb auf Tour gehen. Und wenn Du tourst, ist es nicht wichtig, wo Du herkommst. Ist es der richtige Ort … wer kann jemals sagen, ob es der richtige Ort ist? Wer hätte jemals gedacht, dass eine Band aus Liverpool es so weit bringen würde, wie sie es geschafft hat. Ich habe Familie und meine Wurzeln hier. Ich mag es hier. Ich will nur mehr auf Reisen gehen… WP: Deine Bindung an Detroit Wasser-Prawda | Mai 2014 ist beeindruckend, Howard. Ist es nicht schwer als ein Bluesmusiker in einer Stadt zu überleben, die bankrott ist? Ja, das ist es … aber wenn Du nicht auf Tour bist und dabei wenigstens halbwegs gut bist, ist es überall schwer, als Bluesmusiker zu überleben. WP: Vielen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast, uns dieses Interview zu geben. Ich freu mich drauf, dich schon bald auf den Bühnen in Deutschland und Europa zu sehen. Alles Gute für Deine Tour durch Skandinavien und Deine Pläne überhaupt. Kein Problem! Jederzeit gerne wieder! Ich freu mich schon sehr drauf, Dich bald in Deutschland und Europa zu sehen (sehr bald, denke ich!). Vielen Dank auch für die Wünsche zur Skandinavien-Tour, die wird sicher lustig. In Finnland spiele ich zusammen mit einer Band namens The Lazy Moose. Unser letzter Auftritt wird beim 10jährigen Geburtstag des Kaavi Blues Festivals sein. Das wird schon das dritte Mal, dass ich auf diesem Festival auftreten werde. Album des Monats 53 PASS OVER BL UES : THE … ALBUM DES MONATS MAI 2014 Meist lyrisch verhalten, mal knurrig rockend, ab und zu durchaus auch witzig - aber immer einzigartig. Pass Over Blues gehören in der deutschen Bluesszene für mich mit zu den besten Geschichtenerzählern. Zehn neue Songs aus der Feder der Musiker um Gitarrist Roland Beeg und Sänger/Harpspieler Harro Hübner finden sich auf ihrem einfach „the …“ betitelten Album. Hinzu kommt das Cover von „My Guitar Gently Weeps“, was die Band schon früher veröffentlichen wollte, von den deutschen Rechteinhabern aber keine Genehmigung erhielten. Doch dann legten Harrisons Erben Einspruch ein und wollten, dass diese Fassung veröffentlicht wird. Es sind die kleinen und die großen Dinge, die einem jeden Tag zu denken geben. Hat man einen Fehler gemacht, als man loszog? Ist sie wirklich die Eine, ohne die nichts mehr geht im Leben? Da sitzt man dann da, trinkt was und singt den Blues. Oder man ist in Gedanken schon dabei, sich auf seine letzte Reise vorzubereiten und hofft, dass der Tod ohne Schmerzen und Schwierigkeiten kommen wird. Aber trotz aller Schwierigkeiten ist es ein gutes Leben. Man kann sich eigentlich nicht beklagen. Genau solche Geschichten, persönliche, politische, poetische oder auch romantische sind es, die für mich den eigentlichen Reiz am Blues heute ausmachen. Nur wenn ich eine innere Beziehung zum Künstler aufnehmen kann in seiner Musik, wenn ich dir Erlebnisse und Beobachtungen nachvollziehen kann, dann erreicht mich die Musik. Es geht nicht um die Noten, um die Technik. Es geht im Blues und Soul noch immer um Feeling, um Ehrlichkeit und Risikobereitschaft. Die Songs kommen teils folkig daher mit akustischen Instrumenten, teils funkig oder auch als grad aus gespielter elektrischer Blues. Die knarzige Stimme von Harro Hübner kann die Stimmung von melancholisch bis humorvoll ohne Brüche variieren. Und seine Harp trifft immer die richtigen Klänge dazu. Dazu kommen die immer zielsicheren Rhythmen von Lutz Mohri und Michiel Demeyere und bei Bedarf noch die Hammond von Andy Geyer, eine singende Säge und ab und zu auch ein Akkordeon. Produziert wurde das live im Studio eingespielte Album von Roland Leisegang (ex Keimzeit). Wer Songs von Songschriebern wie Timo Gross oder Richard Bargel mag, von Richard Townend, Greyhound George oder auch von “Sir” Olliver Mally, der sollte das neue Album von Pass Over Blues unbedingt anhören. Es dürfte ihm gefallen. Allen anderen sei gesagt: “the …” ist 2014 für mich eines der besten Alben aus deutschen Landen bisher. Erhältlich ist die im eigenen Sinnstift-Verlag erschienene CD über passoverblues.de Raimund Nitzsche Wasser-Prawda | Mai 2014 54 P L AT T E N DIE REDAKTION EMPFIE HLT MAI 2015 MICHELLE WILSON - FORTUNE COOKIE Wer Abstand vom Blues Rock gewinnen möchte, wer Jazz mag, wer bereit ist zuzuhören und eine großartige Künstlerin entdecken möchte, ist mit Michelle Willsons neuem Album hervorragend bedient. THE BOB LANZA BLUES BAND - ‘TIL THE PAIN IS GONE Mehr als gelungene Mixtur von eigenen Stücken und Coverversionen, die die Band sich vollkommen zu Eigen gemacht hat. Und da ist es egal, ob man dem Chicagoblues huldigt, dem akustischen Pianoblues oder dem heftigen West Side Blues. THE HALLEY DEVESTERN BAND FABBO! BOFFO! SMASHO! Diese Platte mit ihrem heftigen FunkBlues-Rock wurde andernorts schon mit einem Schlag in die Weichteile verglichen! Wenn Halley De Vestern loslegt, dann macht sie weder musikalisch noch textlich irgendwelche Gefangenen. Wasser-Prawda | Mai 2014 Seit ihrer letzten CD von 2001 („Wake Up Call“) gab es nichts Neues von einer der talentiertesten und gereiftesten Bluessängerinnen unserer Zeit. Zweites Album des ehemaligen Bandleaders von Floyd Philipps. Wer die Janis-JoplinKarte zieht, hat‘s nicht kapiert. Halley DeVestern kann man eher mit Funk-Ladies wie Betty Davis vergleichen. P L AT T E N JASON VIVONE & THE BILLY BATS EDDIE ATE DYNAMITE Er mag es, wenn man ihn als “Orson Welles des Blues” bezeichnet. Doch ebenso wichtig sind literarische Vergleiche: Die Songs zitieren Shakespeare oder erinnern an die Humoristen in der amerikanischen Literatur. ROB HERON & THE TEA PAD ORCHESTRA - TALK ABOUTH THE WEATHER Die Musik ist die der 20er bis 40er Jahre. Die Geschichten sind aus dem Großbritannien von heute: Swingend, humorvoll und britisch exzentrisch. RAOUL & THE BIG TIME HOLLYWOOD BLVD Der kanadische Harpspieler und Sänger Raoul Bhaneja liebt den Blues von der Westküste. Und so hat er neben seiner Band The Big Time eine Menge Gastmusiker aus der Szene zu der Live-Session im Studio eingeladen. BETH HART & JOE BONAMASSA LIVE IN AMSTERDAM Wie Hart & Bonamassa im Konzert das fast komplette Programm ihrer zwei Alben präsentieren, das macht gewaltigen Spaß. 55 Wer Spaß an humorvoller Musik und an klassischen Bluessounds hat, sollte hier unbedingt reinhören. Western-Swing trifft auf Blues, Americana und britische Music Hall. Hier wird inspiriert von Vorbildern wie Charles Brown, T-Bone Walker eine ganz heutige Version des West Coast Blues zelebriert. Zwischen Swing, Soul und treibendem Bluesrock. Wasser-Prawda | Mai 2014 56 P L AT T E N REZ E NSI O NEN A BIS Z A 57 P Arthur Migliazza - Laying It Down 53 Freddie King - Freddie King Is A Blues Master 67 Polly O‘Keary & The Rhythm Method - Compass 62 G R Grainne Duffy - Test of Time 58 Raoul & The Big Time - Hollywood Blvd 62 B Back Pack Jones - Betsy‘s Kitchen 53 Beth Hart & Joe Bonamassa - Live In Amsterdam 53 Bob Corritore - Taboo 54 Bob Lanza Blues Band - `Til The Pain Is Gone 54 H Halley De Vestern Band - Fabbo Boffo Smasho 58 Hat Fitz & Cara Robinson - Do Tell 58 J Bumper Jacksons - Sweet Mama, Sweet Papa, Come In 55 Jason Vivone & The Billy Bats Eddie Ate Dynamite 59 C City Boys Allstars - Blinded By The Night 55 D Dan Bubien - Empty Roads 56 Josh Hoyer & The Shadowboxers s.t. 60 King Size Slim - Milk Drunk 60 Lol Goodman Band - Tautology 61 Dixie Peach - Blues With Friends 56 M E Michelle Wilson - Fortune Cookie 61 Eddie Cotton - Here I Come 57 N F Neal Black & The Healers - Before Daylight 62 Franc Robert - Ride The Iron Road Wasser-Prawda | Mai 2014 R.E.M. Unplugged: The Complete 1991 and 2001 Sessions 67 Reverend Rusty - Struggle 64 Rob Heron & The Tea Pad Orchestra - Talk About The Weather 63 T The Sharpees - Mississippi Thrill 65 K L Dirty Loops - Loopified 56 Rebekka Bakken - Little Shop of Poison 63 Third Coast Kings - West Grand Boulevard 65 P L AT T E N Street Parade” oder die selbstkomponierte Nummer “Love You Mama”, ein schöner Chicagoblues. Nein, hier wird keine Einheitskost serviert: Boogie Woogie steckt überall drin, im klassischen Jazz ebenso wie im Rock & Roll, im Blues ebenso wie im Swing. Highlight der absolut gelungenen Scheibe ist allerdings eine wild drauflos swingende Fassung von Louis Primas “Sing Sing Sing”, das Migliazza Arthur Migliazza - Laying It mit dem “Bumble Boogie” verDown schmilzt und damit wahrscheinZum Blues fand er durch einen lich jeden Saal zum Kochen Film über Jerry Lee Lewis. Und bringt. Nathan Nörgel seine Klavierlehrerin gab ihm schon als Kind jede Menge alte Aufnahmen zu hören. Heute sieht es Pianist Arthur Migliazza als seine Aufgabe an, den Boogie Woogie zurück in die Öffentlichkeit zu holen. Boogie Woogie ist für viele hoffnungslos altmodisch. Ebenso altmodisch ist die Kunst, ein Konzert oder eine Oper mit einer Overtüre zu beginnen. Allerdings ist die bei Arthur Migliazza keineswegs altmodisch: Hier treffen New Orleans Grooves auf Jazz und klassische Musik, Gitarrenriffs mit Wah-WahPedal auf Hintergrundchöre. Danach geht es freilich meist Back Pack Jones - Betsy‘s traditioneller zu. Der Pianist Kitchen spielt Klassiker wie den “Boogie Woogie Stomp” von Albert Schon zwei Mal war die 2012 Ammons ebenso wie Hersal gegründete Band Back Pack Thomas’ “Suitcase Blues” oder Jones bei der International W.C. Handys “St. Louis Blues” Blues Challenge dabei und und “Rockin Pneumonia & the schaffte es bis ins Halbfinale. Boogie Woogie Flu” von Huey Warum? Die Antwort darauf kann man sich in der Küche von “Piano” Smith. Am meisten Spaß machen mir Betsy anhören. die Aufnahmen mit kompletter Für Musik wie diese wurde Band, etwa seine Version von wahrscheinlich die Schublade Fats Dominos “I’m Ready” als “Contemporary Blues” erfunjugendlicher Elvis, die klassi- den: bei Back Pack Jones treffen sche Jazz-Nummer “Bourbon klassische Shuffles auf funkigen 57 Soulblues, eine schneidende Gitarre auf Harmoniegesang, der von ferne an die Holmes Brothers erinnern mag. Für ihr Debütalbum verstärkte sich die Band noch mit einem fetten Bläsersatz. Und dadurch kommen sowohl fetzig-funkige Nummern wie “I’m Just A Man” als auch die langsameren Blues und Balladen zu einer Intensität, die selten geworden ist. Gerade die langsameren Stücke scheinen mir die Stärke von Back Pack Jones zu sein: Hier fleht man mit der Power eines Predigers zu Gott angesichts von Schulmassakern (“Even God Sings The Blues”) oder erzählt die Geschichte von Reichen und Armen, Glücklichen und Traurigen angesichts des nahen Endes der Zeiten hin. “Soon their lives will end. But if they see their fates, and change their minds, with love their hearts will mend.” Auch bei einer Nummer wie dem witzigen “Hey Diddle Riddle”, dessen Rhythmus die Füße zum Wippen bringt, ist eine gewisse Schwermut nicht zu überhören. Aber genau das ist Blues, der direkt aus dem Herzen kommt. Ein faszinierendes Debüt! (cdbaby) Raimund Nitzsche Beth Hart & Joe Bonamassa Live In Amsterdam Zwischen Swing, Soul und treibendem Bluesrock: Wie Hart & Bonamassa im Konzert das fast komplette Programm ihrer zwei Alben präsentieren, das macht gewaltigen Spaß. Stimme und Gitarre werden von einer großartigen Band mit einer deftigen Hornsection unterstützt. Und so wird selbst ein Swingklassiker wie „Them There Eyes“ zu Wasser-Prawda | Mai 2014 58 P L AT T E N einem neuen Klangerlebnis. neues Soloalbum „Taboo“ hat sich der Maestro unter anderem die Gitarristen Junior Watson und Jimmy Vaughan eingeladen, mit denen er in zwölf Instrumentals einen Streifzug durch die verschiedenen Stile des Harpspiels und des Blues überhaupt macht. Irgendwann hatten sich die regionalen Spielarten des Blues fast erledigt. Doch heute kann man beobachten, wie sich rund um bestimmte Musiker oder Lokalitäten neue Szenen und Spielweisen entwickeln. Bob „Can‘t Let Got“ bildet als Corritores Rhythm Room in Bluesrocker den Gegenpol Phoenix gehört da sicherlich dazu. Und „Somethings Got A dazu. Hier treffen sich Musiker Hold On Me“ ist live ein absolu- aus Chicago und Texas mit ter Soulkracher, bei dem Hart denen von der Westküste. Und mal wieder unter Beweis stellt, wenn Corritore ruft, dann entdass sie eine der variabelsten steht daraus etwas faszinierend Sängerinnen zwischen Rock, Neues. Junior Watsons Gitarre Blues & Soul ist, die heutzutage und das Piano von Fred Kaplan zu erleben ist. sorgen für den jazzigen Drive Über Bonamassas Gitarrenspiel und werden von Doug James‘ muss man hier kein Wort ver- Saxophon dabei unterstützt. lieren: er spielt sein technisch Doch allein mit seiner Harp brilliantes Programm mit jeder kann Bob Nummern wie den Menge Druck und ohne angezo- „Potato Stomp“ nach Chicago gene Handbremse. (Provogue/ versetzen. Beim Titelsong fühlt rough trade) man sich an Soundtracks zu Nathan Nörgel Spaghetti-Western erinnert. „Harmonica Watusi“ könnte auch von einer frühen GaragenBand der 60er stammen. Und „Harp Blast“ ist eine BoogieWoogie-Tour de Force für Corritore. Reine Instrumentalalben können ja leicht langweilig werden. Doch hier ist jede einzelne Nummer in sich so spannend zu hören, erzählen die Musiker allein mit ihren Instrumenten so mitreißende Geschichten, Bob Corritore - Taboo dass man Sänger zu keinem Im letzten Jahr tauchte die Harp Zeitpunkt vermisst. (Delta von Bob Corritore auf diversen Groove/in-akustik) großartigen Alben auf. Für sein Raimund Nitzsche Wasser-Prawda | Mai 2014 Bob Lanza Blues Band - `Til The Pain Is Gone Blues zu spielen braucht Zeit, um wirklich zu reifen, um die ganze Bandbreite der Emotionen ausloten zu können. Jemand wie Gitarrist/Sönger Bob Lanza könnte man da als Beispiel nehmen. Jahrelang war er Bandleader von Floyd Phillips. Später spielte er mit seiner Band unter anderem für James Cotton und Dave Perkins. Erst 2009 veröffentlichte er sein Debüt als Solist. Und erst jetzt erscheint mit „Till The Pain Is Gone“ das zweite Album. Doch es ist mehr als gerechtfertigt, dass Lanza diese Scheibe als Produkt seiner Band verkauft. Denn hier ist kein Solist im Brennpunkt, sondern das Zusammenspiel von gleichberechtigten Musikern. Da gehört schon einiges dazu, wenn man den Opener eines Albums gleich mal den Gästen überlässt: Die heftige Gitarre bei „Maudie“ gehört nicht Bob Lanza sondern stammt von seinem Sohn Joe. Und auch am Gesangsmikro teilt sich Lanza die Zeit mit Joe Cerisano. Doch genau diese Kombination macht aus der von Mike Butterfield geschriebenen Nummer eine P L AT T E N ger in Konzertsälen als in Tanzschuppen gespielt werden. Doch zum Glück gibt es immer wieder Musikerinnen und Musiker, für die Jazz zuallererst mal eine heiße Tanzmusik für wilde Parties ist. So auch die Bumper Jacksons aus Washington, die auf ihrem aktuellen Album eine Mixtur aus Western Swing, Ragtime. Jumpblues, New Orleans Jazz und Old Timey Country abfeuern. Nach einigen Jahren in New Orleans war Frontrau Jess Eliot Myhre so sehr von der Musik in der Stadt infiziert, dass sie ihre seit Jahren ungenutzte Klarinette rausholte und außerdem ein Waschbrett zu spielen begann. Gemeinsam mit Chris Ousley bildet sie den Kern der Bumper Jacksons. Ousley kommt als Banjospieler und Gitarrist eigentlich aus der Bluegrass-Ecke. Aber das ist bei der Musik des Duos eigentlich nur von wenig Bedeutung. Denn die Musik, die sie spielten, kommt aus einer Zeit, wo stilistische Unterscheidungen wie die zwischen Jazz und Blues, Swing und Country und Ragtime erst rein akademisch war. Und genauso gehen Bumper Jacksons an ihre Songs heran. Hier treffen Klassiker auf Songs von Waits und eigene Stücke. Und alle sind von einer Spielund Lebensfreude, dass man mit ihnen wohl auch akadeBumper Jacksons - Sweet misch verbildete Jazzfans zum Mama, Sweet Papa, Come In Tanzen bringen kann. Sehr gut! Nathan Nörgel Ja zz mag heute häuf i perfekte Eröffnung für ein Album feinster Bluesmusik. Der von Lanza geschriebene Titelsong lässt Piano (Ed „Doc“ Walls) und Bluesharp (David „Snakeman“ Runyan) Raum, um den im Text erwähnten Zug bedrohlich in Fahrt zu bringen. Überhaupt: David Runyan ist ein Harpspieler, den man sich unbedingt merken sollte! Noch ein Beispiel gefällig: „Snake Byte“ ist ein Instrumental, das an Meisterschaft kaum zu übertreffen ist. Hier hört man die Schule von James Cotton. „Til The Pain Is Gone“ ist eine mehr als gelungene Mixtur von eigenen Stücken und Coverversionen, die die Band sich vollkommen zu Eigen gemacht hat. Und da ist es egal, ob man dem Chicagoblues huldigt mit dem unvermeidlichen „Mojo“ oder „I‘m Ready“, dem akustischen Pianoblues a la Memphis Slim („Lonesome“) oder dem hef tigen West Side Blues von Magic Sam („Every Night & Every Day“). Empfehlenswert! Raimund Nitzsche 59 City Boys Allstars - Blinded By The Night Als The Blues Brothers zur Band wurden, da kombinierten Jake und Elwood Blues den Rhythmus aus Memphis, Chicagoer Bluesgitarre und New Yorker Bläser. Zwei der Mitglieder, Blue Lou Marini und Tom Malone spielen in New York bei den City Boys Allstars. Jetzt hat die Gruppe um den Gitarristen „City Boy“ Mike Marola ihr erstes LiveKonzert seit 17 Jahren als CD veröffentlicht. Spaßbands sind nur dann wirklich gut, wenn die Musiker ihren Job richtig ernst nehmen. Bei den Musikern aus dem Umfeld der legendären Blues Brothers kann man dieses Wissen getrost voraussetzen. Schon The Enzymes mit Murphy Dunne hatten Ende 2013 eines der unterhaltsamsten Alben des Jahres veröffentlicht. Dass ich erst jetzt auf die City Boys Allstars aus New York aufmerksam wurde, ist schade. Denn diese Soul-Funk-Jazz-Truppe könnte man eigentlich getrost mit den Tower of Power zu ihren besten Zeiten vergleichen. Jedenfalls stand 2013 bei dem Wasser-Prawda | Mai 2014 60 P L AT T E N Konzert im Cutting Room eine Truppe auf der Bühne, die vor Spielfreudigkeit nur so strotzte: Eine fette Hornsection, zu der neben Malone und Marini auch der Jazztrompeter Lew Soloff gehört, spielt treibende Riffs und improvisiert zwingend. Die Gitarre von Mike Merola hält den Laden zusammen. Und die Vokalisten Bil Kurz, Angel Rissoff und Horace Scott II liefern zwischen deftigem Funk, Rhythm & Blues und epischen Jazzausflügen immer die richtigen Nuancen. Ein tolles Live-Album! Raimund Nitzsche Blues“. Und dann ist da noch der sanfte Balladensänger, der Smokey Robinson zu seinen großen Vorbildern zählt. Leider ergibt die Summe für mich kein wirklich in sich stimmiges Album. Es gibt gute Lieder aber für meine Ohren auch ein paar Durchhänger. Doch das Reinhören lohnt auf jeden Fall. Nathan Nörgel paar Cover, die irgendwie zum Markenzeichen der Dirty Loops geworden sind. Mit dabei: „Roller Coaster“ (Justin Bieber), „Circus“ (Britney Spears) und Adeles „Rolling In the Deep“ als deftiger Funk mit knallenden Bässen. Raimund Nitzsche Dixie Peach - Blues With Friends Dirty Loops - Loopified Dan Bubien - Empty Roads Mal funkig wie Little Feat, mal hoffnungslos romantisch, mal rockend: Songwriter/Gitarrist Dan Bubien zeigt auf seinem Debüt “Empty Roads” seine musikalische Vielseitigkeit. Funk als politische Rede: Wenn Dan Bubien in “Fight Club” loslegt, dann ist das ein Aufruf zum Kampf. “Don’t let ‘em take the fight out of you. Don’t let ‘em take away the things you love to do…” Doch das ist nur eine Seite dieses Musikers aus dem Westen von Pennsylvania. Auf der anderen Seite ist der traditionelle Blueser wie in „Exile Wasser-Prawda | Mai 2014 Angefangen haben die drei Schweden mit aufgedrehten Coverversionen. Und auch auf ihrem Album „Loopified“ drehen sie wieder einige Songs durch ihren Wolf. Der Elektro-Pop ist mittlerweile nicht nur in Japan extrem angesagt. Das ist nicht die Musik, die in der „Wasser-Prawda“ normalerweise Aufmerksamkeit bekommt: Hier tref fen Funkbässe auf BoygroupSounds, jazzige Loops, die sich reichhaltig aus dem Fusionsound der 70er bedienen auf Popleichtigkeit, wie sie Michael Jackson zu seinen besten Zeiten hatte. Das Ergebnis: Ziemlich perfekter Pop, der niemals die Verwandschaft zum Jazz verschwinden lässt. Und dann sind da natürlich noch ein Dixie Peach aus Ohio wurde ursprünglich 1972 von SlideGitarrist Ira Stanley gegründet. Nach einem Album löste sich die Band schon 1975 wieder auf. Doch seit 1998 sind die Southern Rocker fast in ursprünglicher Besetzung wieder aktiv. „Blues With Friends“ ist ein Hörtipp nicht nur für Fans der Allmans oder von Gov‘t Mule. Auch das Fehlen von Schweinekotletts kann einem den Blues bringen - hier mit Bläserrif fs und sägenden Gitarren. Oder geht es gar nicht um leckere Fleischstücke? Sollte hier tatsächlich ein äußerst bösartiger Vergleich mit einer Geliebten vorliegen? Stanley wurde bei diesem Kracher von Jack Pearson und Lee Roy Parnell an weiteren Gitarren P L AT T E N kämpfen muss: seine Stimme nimmt einen ebenso gefangen wie die als Kommentare oder Ergänzungen gespielten Linien seiner Gitarre. Die Spannung ist hier in jeder Note spürbar, das ist Musik, wie ich sie eigentlich seit Jahren von Robert Cray erwartet hätte, der aber inzwischen zu sehr in seinem Wohlklang eingetaucht ist, und mich damit nicht mehr berühren kann. Man spürt, dass Eddie Cotton ganz dicht dran ist, an der Kirchenmusik, mit der er aufgewachsen ist. Soulblues ist eben mehr, als nur ein Wiederkäuen der großen Vorbilder aus der Staxzeit. Erst wenn man seine eigenen Geschichten erzählt mit der gleichen Ehrlichkeit, wie man sie vom Pfarrrer auf der Kanzel erwarten würde, funktioniert es. „Get Your Own“ ist eine funkig dahinjagende Soulnummer, die einfach nur perfekt ist. Auch das stoisch stampfende „My Boo“ oder „Pay To Play“ sind Eddie Co on - Here I Come Soulblues ganz konzentriert auf Höhepunkte eines überradas Miteinander einer singen- schenden Albums. den Gitarre und eine eindrückRaimund Nitzsche lichen Stimme: Eddie Cotton hat sein drittes Album „Here I Franc Robert - Ride The Iron Come“ auf dem Label seines Road Kollegen Grady Champion veröffentlicht, der auch als Gast an Nach dem „Mulligan Stew“ mit seinen Boxcar Tourists 2012 der Bluesharp mitspielt. Bass und Schlagzeug hal- hatte ich beim neuen Album ten sich zurück, die Orgel legt von Franc Robert eigentlich wiezurückhaltend ihren Teppich der mit einer ähnlichen Scheibe aus. Denn hier geht es eigentlich gerechnet. Doch das auf Blue nur um einen Mann und seine Chihuahua Records veröffentGitarre. Ob Eddie Cotton nun lichte „Ride The Iron Road“ von der Liebe einer Frau singt, ist ein klassischer Fall für: Ein die ihn immer dazu bringt, trotz Mann, seine Gitarre und der aller Schmerzen durchzuhalten, Blues. Und der klingt in jeder ob er von Niederlagen berich- Note nach dem Mississippi tet oder davon, dass man immer Delta in der Frühzeit gesewieder aufstehen und weiter- hen durch die Augen eines unterstützt. Höhepunkte des unterhaltsamen Albums sind für mich das gospelarige „Don‘t Want to Wait“, bei dem Stanley im Duett mit Etta Britt singt und die großartige Instrumentalnummer „Bottle Hymn of the Republic“, wo aus „Amazing Grace“ eine wilde Slide-Show von Stanley, Pearson und Parnell wird, die auch den Allmans gut gefallen dürfte. (cdbaby) Nathan Nörgel 61 Nachgeborenen. Besonders klar wird das natürlich bei den drei Klassikern des Albums: Die gefühlt 17493. Fassung von St. James Infirmary kommt daher als Kreuzung von Folkrevival und Hippiesehnsucht. Der „Mississippi Blues“ und der „Railroad Blues“ sind ebenso mehr historisch korrekt als radikal erneuert. Heute sind die Probleme natürlich andere: So hat Franc Robert keine Chance, sich gegen den Hund auf dem Schoß der Geliebten durchzusetzen, auch wenn er vom Ritt auf dem Stahlross singt, denkt man eher an Bikes oder Trucks als an das Rattern der Güterzüge. Und heute ist selbst der reisende Bluesman nicht mehr davor sicher, sein hart erarbeitetes Geld mit dem Finanzamt teilen zu müssen („Tax Time Blues“). Was „Ride The Iron Road“ für Gitarrenfans besonders interessant macht, ist die reiche Auswahl historischer Instrumente, die Robert hier einsetzt. Von diversen Dobros bis hin zu historischen Gitarren von Martin aus den 20er Jahren reicht sie. Und Robert ist als Picker ebenso wie mit dem Wasser-Prawda | Mai 2014 62 P L AT T E N Slide ein großartiger Spieler. Eine Empfehlung für Freunde des Akustikblues und von Musikern wie Bottleneck Joe, Greyhound George oder den Klassikern zwischen Son House und Robert Johnson. Nathan Nörgel Halley DeVestern Band Fabbo! Boffo! Smasho! Grainne Duffy - Test of Time Schon 2011 brachte die irische Gitarristing und Songwriterin Grainne Duffy Ihr Album „Test of Time“ heraus. Doch hierzulande blieb das Album mit elf Songs zwischen Bluesrock, Soul und poppigen Klängen weitgehend unbeachtet. Teils bittersüß, teils rockend - man hört, dass Duffy ihre Inspirationen vom Brit-Blues der 60er ebenso bekam wie von amerikanischen Songwriterinnen wie Linda Ronstadt bekommt. Das Album ist perfekt produziert und bildet eine erfrischende Abwechslung zur „normalen“ Bluesrockszene. Für mich die besten Songs: „Let Me In“, „Rockin Rollin Stone“. Grainne Duffy könnte in paar Jahren in der gleichen Liga wie Dani Wilde oder Meena Cryle spielen. Nathan Nörgel Wasser-Prawda | Mai 2014 Vorwarnung: Diese Platte mit ihrem heftigen Funk-Blues-Rock wurde andernorts schon mit einem Schlag in die Weichteile verglichen! Wenn Halley De Vestern loslegt, dann macht sie weder musikalisch noch textlich irgendwelche Gefangenen. Es geht gleich gut los: “Remember when I loved you and how we kissed, then I think of how you hurt me and my hands are fists” - ein heftig rockender Funkgroove knallt einem in die Ohren. Und die wütende Sängerin macht klar, dass mit ihr nicht zu spaßen ist. Auch „Kangaroo Mama“ zeigt Halley als kämpfende Powerfrau, während sie bei „Money Ain‘t Time“ den Geldliebhabern vorhaltungen macht: Der Weg zum Himmel ist lang, wenn Du soviel aufgehäuft hast. Und bedenke: Irgendwann ist es vorbei - für immer. Und bis dahin musst Du die Prioritäten klar gemacht haben. Aber nein: mit den alltäglichen Christen, die meistenteils Heuchler sind, hat sie nichts zu tun: “The Jesus I know he don’t watch too much TV. The Jesus I know don’t care who you love, as long as you love somebody. The Jesus I know, he says ‘Be and let be.’” Bei „Boil“ ist Rassismus das Ziel für ihren gesungenen, fast geschrieenen Zorn. „American Pain“ beklagt die Versprechen des schnellen Geldes, mit dem Las Vegas zahllose Menschen anlockt. Und in „Code 9“ geht es um die alltägliche und allumfassende Überwachung unseres privaten Lebens. Was für eine Sängerin, was für eine Songwriterin - Bislang war mir Halley De Vestern aus New York noch nicht bekannt. Doch ab sofort steht sie bei mir ganz oben bei den großartigen und einzigartigen Stimmen im Blues und Rock. Und die Band ist die genau richtige Ergänzug dafür: laut rockend und treibend wenn nötig. Und zurückgenommen und bedrohlich groovend und sich in die Ausbrüche steigernd, die die gesungenen, geschrieenen oder gerappten Songs der Sängerin brauchen. Wer hier die Janis-Joplin-Karte zieht, hat‘s nicht kapiert. Halley DeVestern kann man eher mit Funk-Ladies wie Betty Davis vergleichen. Meinethalben auch mit Beth Hart oder mit einer zum Blues bekehrten Nina Hagen. Raimund Nitzsche Hat Fitz & Cara Robinson - Do Tell Auf dem Papier ist das eine ziemlich geniale Kombination: Ein australischer Root-Blueser und eine irische Soulsängerin vereinen ihre Stimmen und Instrumente. Doch leider sind längst nicht alle Songs auf dem neuen Album „Do Tell“ wirklich gelungen. Es beginnt Freitagnacht in irgendeiner Kneipe: Ob nun P L AT T E N im Opener „Friday Night“ oder beim nachfolgendenden „Stray Hat“ fühlte ich mich zu Hause: Guter Blues mit einer faszinierenden Sängerin und einem knurrigen Bluesman mit jeder Menge Charisma. Wenn das Album so weiter gehen würde, wäre ich schlicht begeistert. Doch dann das: „Gotta Love“ mit seinem E-Gitarrenriff ohne Überzeugungskraft und einer schief daneben liegenden Sängerin lässt nur eine Reaktion zu: weiterzappen, ganz schnell! Und leider kommt später mit „Shakedown“ noch so ein Totalausfall. Hier haben die Musiker oder das Label schlichtweg die Qualitätskontrolle versäumt. Das ist wirklich schade, denn die übrigen Songs des Albums haben alle ihren Reiz. Nur ist der Kontrast so stark, dass er mir insgesamt die Freude ganz schön verdorben hat. Nathan Nörgel und Gitarrist Jason Vivone literarische Vergleiche, schafft er es doch, in seinen Songs Geschichten erzählen, die mal nach Shakespeare klingen, mal die große Tradition amerikanischer Humoristen zitieren. Mit seinen Billy Bats hat er jetzt das zweite Album veröffentlicht. Lecker: Dynamit mit ordentlich Senf drauf! Das Cover gibt einem schon mal einen Vorgeschmack darauf, was einen auf “Eddie Ate Dynamite” erwartet: Blues mit jeder Menge schrägem Humor. Der Titelsong etwa schildert den nicht sehr hellen Eddie, der nach dem Verspeisen von Dynamit auch noch nach einem Streichholz fragt. Entstanden ist diese absurde Story aber aus dem Titel. Denn Eddie Ate Dynamite (Good Bye Eddie) ist die amerikanische Eselsbrücke, mit der man sich die Stimmung der einzelnen Gitarrensaiten merkt. Bei “Methinks the Lady Doth Protest Too Much” bringt er das Jason Vivone & The Billy Bats Kunststück fertig, einen feinen Slow-Blues mit der Sprache - Eddie Ate Dynamite Shakespeares zu singen. Auch Er mag es, wenn man ihn als wenn er diese seiner Freundin “Orson Welles des Blues” in den Mund legt: “She cried bezeichnet. Doch ebenso ‘A horse, a horse, my kingdom wichtig sind bei Songwriter for a horse’ when her pale blue 63 Honda ran off course”. Wer jetzt meinen sollte, das Album wäre mehr was für die Comedy-Fraktion und hätte mit Blues nichts zu tun, der irrt sich gewaltig. Vom swingenden Opener „Cut Those Apron Strings“ über den funkigen NewOrleans-Groove von „Where Did The Day Go“ bis zur gospelartigen Ballade „I Can Never Say Goodbye“ ist das feinster Blues und Rhythm & Blues. Vivone und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter lieben die klassischen Sounds zwischen Louis Jordan und Jimmy Reed (oder alles aus der Zeit vor der Digitalisierung). Und es gibt natürlich auch ernste Themen, die hier verhandelt werden. „Mean“ etwa ist eine Story über häusliche Gewalt und die Ausreden, die Opfer und Täter immer wieder dafür suchen. „Analog“ ist ein Loblied auf das Knistern und Knacken alter Bluesplatten. Jason Vivone bedauert die Leute, die Jimmy Reed erst auf CD entdecken und ist der Meinung, dass sein Gehirn eigentlich komplett analog funktioniert. Und dann gibt es natürlich noch „The Blues & The Greys“, das den Vergleich mit Orsen Wells verständlich macht. Das ist eine Blues-Oper über die Landung von Aliens vor dem Weißen Haus. Das Hören von Bluessendern hatte sie angelockt. Ob das nun eher Wells‘ „Krieg der Welten“ oder Ed Woods „Plan 9 from Outer Space“ ist, mag jeder selbst entscheiden. Auf jeden Fall ist das ein großartiger musikalischer Spaß mit absolutem Seltenheitswert. Wer Spaß an humorvoller Musik und an klassichen Bluessounds hat, sollte hier unbedingt rein- Wasser-Prawda | Mai 2014 64 P L AT T E N hören. Humorlose Menschen sollten aber vorher ihren Arzt konsultieren. Raimund Nitzsche Josh Hoyer & The Shadowboxers - s.t. Soul & Funk vom Feinsten spielen Josh Hoyer & The Shadoboxers auf ihrem selbstbetitelten Debüt. Vor allem der Frontmann und Keyboarder steht mit seiner deftigen Stimme ganz im Zentrum der Songs, für die man eigentlich das Label „street credibility“ wieder aus der Schublade holen müsste. Im Roman und auch im Film „The Commitments“ wird Soul als Musik der Arbeiter bezeichnet, der Groove sowohl als Rhythmus der Fabrik als auch des Sex. Viele Soulbands heutzutage klingen leider weniger nach Fabrik als nach Kunstatelier. Josh Hoyer aber könnte man als Bruder im Geiste der Dubliner Soulband bezeichnen: Die Shadowboxer legen mit Power und jeder Menge Herzblut los und schrecken nicht vor rauhen Ecken und Kanten zurück. Die Bläser sind fett und dreckig, der Rhythmus hart. Und hier geht es auch in den Balladen handWasser-Prawda | Mai 2014 fest zur Sache. Hier ist nicht ein Gospelprediger am Mikro, sondern jemand, der genausogut heftigen Rock shouten könnte. Einen gewaltigen Unterschied zu den Commitments gibt es allerdings: Josh Hoyer & The Shadowboxer singen nicht die Klassiker nach. Josh Hoyer hat sämtliche acht Songs des Debüts selbst geschrieben. Und da findet sich kein Lied, das schwach wäre. Und die Shadowboxers schrecken nicht vor ausgedehnten Soloeinlagen zurück. Bei „Dirty World“ jammt die Band vor sich hin, der Gitarrist kann endlich zeigen, dass er großartig ist. Und selbst der Drummer bekommt sein Solo. Das ist Soul und Funk für die Kneipe an der Ecke, Musik, um das Wochenende einzutanzen oder den miesen Arbeitsalltag für paar Stunden hinter sich zu lassen. Tolles Debüt! Nathan Nörgel King Size Slim - Milk Drunk Er kommt aus Brighton in Großbritannien. Doch seine musikalische Sprache ist der Blues in der Nachfolge von Charley Patton, John Lee Hooker und des North Mississippi County. 2013 ver- öffentlichte Toby Barelli aka King Size Slim mit „Milk Drunk“ sein Debüt und rückt damit in eine Liga von Musikern wie Reverend Peyton, „Sir“ Oliver Mally und Seasick Steve auf. Ich bin kein Fan davon, Musik oder andere Kunst nach ihrer Relevanz zu beurteilen. Relevanz ist kein objektiver Maßstab sondern lediglich ein subjektiver, der mehr für die Meinung des Rezensenten als für die Musik an sich steht. Für mich zählen bei der Frage danach, ob ich ein Album empfehlen kann, meist andere Kriterien, auch wenn diese oft ähnlich subjektive Maßstäbe sind. Eines ist die Frage danach, ob der Künstler bereit ist, gerade in einer eigentlich historischen Form über die tradierten Klischees hinaus zu denken und sie zur Betrachtung unserer heutigen Zeit zu machen. Kein Bluesmusiker aus Europa kann für sich guten Gewissens das Label „Roots Blues“ in Anspruch nehmen und sich verzweifelt an Texten über Baumwollfelder, Mojos oder die Dämme des Mississippi festklammern, ohne sich der Lächerlichkeit preiszugeben. In Stücken wie „Rising Spring“ singt King Size Slim von der Notwendigkeit, die Gesellschaft zu verändern. Er singt davon, die Stadt mit seinem Boogie aufzuwecken. Hier ist kein Leisetreter a la Keb‘ Mo an der Gitarre, sondern einer, den man sich gut auch als Kopf einer Punkband in den 80ern hätte vorstellen können: Blues als Protest, als Widerspiegelung einer gesellschaftlichen Unzufriedenheit. Die Musik dazu? Mal hört man die stoischen Rhythmen von John Lee Hooker, mal einen P L AT T E N ganz eigenen zur Trance verleitenden Blues, der an die Hügel im nördlichen Mississippi erinnert. Meist spielt Slim allein auf dem Album, singt mit sich im Chor und sorgt für die Rhythmen. Nur ab und zu holt er sich ein paar Mitstreiter hinzu. Insgesamt: Ein wirklich überzeugendes Debüt! Raimund Nitzsche Nathan Nörgel Michelle Wilson - Fortune Cookie Lol Goodman Band Tautology Wenn ein Konzept in den letzten Jahrzehnten in der Gefahr steht, zum Klischee zu gerinnen, dann ist es das des Power-Trios in der Gefolgschaft von Cream und all den Nachfolgern. Auch Sänger/ Gitarrist Lol Goodman und seine Kollegen aus Manchester erfinden auf „Tautology“, dem zweiten Album der aktuellen Bandbesetzung, das Format nicht neu. Doch ihr klassischer Bluesrock macht dennoch Spaß. Höhepunkte für mich: Songs wie „Work To Live“, „Here Come The Cougars“ (mit schön rollendem Piano und einem lüsternen Saxophon zur Ergänzung des Bandsounds) und „Off The Floor“. Entgegen der landläufigen Meinung, daß Frauen den Männern nur Ungemach bereiten (ich bitte die Damen um Entschuldigung, es ist selbstverständlich ein dummes Klischee im Blues), verspürte ich deutliche Glückshormone als ich gestern Michelle Willsons neue CD „Fortune Cookie – Live at Scullers“ beim Hauptzollamt in Empfang nehmen durfte. Das ist schon ein Ereignis. Seit ihrer letzten CD von 2001 („Wake Up Call“) gab es nichts Neues von einer der talentiertesten und gereiftesten Bluessängerinnen unserer Zeit. In der Boston Area geboren und aufgewachsen sang sie schon als Teenager in diversen Bands. Ihre Musik orientierte und orientiert sich stark an Größen wie Dinah Washington und Ruth Brown, als „Evil Gal“ begann sie ihre Solokarriere 1994. Sie veröffentlichte vier großartige Alben, war weltweit auf Tour und nahm eine Auszeit. Die neue CD landete gleich auf der Rückfahrt in meinem CD-Spieler im Auto. Ich bin nicht sicher, was ich eigent- 65 lich erwartet habe, das was ich hörte, war mehr. Die CD ist ein Livemitschnitt aus einem der angesagtesten Bostoner Jazz Clubs, dem Scullers. Da gibt es kein Overdubbing oder andere technische Gimmicks, das ist Michelle Willson pur. Das Publikum reagiert begeistert auf den Mix aus Jump Blues, Swing und R&B. Gleich das erste Stück „Relax Max“ kommt mit südamerikanischen Rhythmen total relaxt herüber. Bis auf das Titelstück „Fortune Cookie“ hat Michelle tief in den Archiven des Blues gewühlt und bringt eine großartig abwechslungsreiche Mixtur auf die Bühne. Nach sehr ruhigen und nachdenklichen Stücken wie „Stranger on Earth“ und „Weed Smokers Dream“ gibt sie im letzten Stück „Racehorse“ noch einmal alles und bringt den Club zum Siedepunkt. Sie ist emotional, sie ist ruhig, sie schreit, sie lockt und ist durchgängig spürbar begeistert. Der Gesang variiert zwischen sanft schnurrendem Kätzchen und fauchender Wildkatze, die Band ist vom Feinsten (Zac Casher – drums, Sven Larson – bass, Mike Mele – guit., Shinichi Otsu – piano, Scot Shetler – horns). Michelle Willson legt ein Album vor das etwas schafft, das selten auf Musikträgern gelingt – beim Anhören der CD fühlt man sich anwesend im Club und wird von der Künstlerin und ihrer hervorragenden Band eingefangen - ich habe mich dabei ertappt, dass ich fast mit dem Publikum applaudiert hätte. Das war natürlich nicht beim Autofahren der Fall sondern zu Hause beim Abspielen auf einer guten Anlage. Wasser-Prawda | Mai 2014 66 P L AT T E N Wer Abstand vom Blues Rock gewinnen möchte, wer Jazz mag, wer bereit ist zuzuhören und eine großartige Künstlerin entdecken möchte, ist mit Michelle Willsons neuem Album hervorragend bedient. Ganz dicker Tipp! (Evilgal music 2013) Bernd Kreikmann Neal Black & The Healers Before Daylight Zwischen Texasboogie und Country-Melancholie: „Before Daylight“ von Neal Black & The Healers ist musikalisch ein feiner Bluesrock (auf der ersten Silbe betont!). Textlich wird ein Songzyklus erzählt, den man am besten in einer schlaflosen Nacht allein im Bett oder auf der Autobahn genießen kann. „Manchmal brauchst Du einfach eine höhere Macht, um durchzuhalten“, meint Neal Black im Opener „Jesus & Johnny Walker“. Doch sowohl die Bibel als auch der Alkohol sind für ihn am Ende Lügner: Neal Black erzählt nicht die einfachen Geschichten, leuchtet eher die düsteren Ecken des Lebens aus. Der amerikanische Traum ist längst schäbig geworden, Wasser-Prawda | Mai 2014 beim alten Galgenbaum spuken die Geister der Vergangenheit. Und eigentlich ist es nur die Nacht, die einem ein wenig Frieden schenken kann in der Hektik der Tage. Immer wieder merkt man, dass Black nicht nur ein großer Geschichtenerzähler, sondern auch ein famoser Gitarrist ist. Er hat es nicht nötig, mit endlosen Solokaskaden zu glänzen, weil einfach jede Note sitzt. Und mit Bako Mikaelian hat er einen Harper an der Seite, der genau den richtigen Kontrast zur Gitarre setzt. Manchmal erreichen die Songs fast die Dringlichkeit und Überzeugungskraft von Tom Waits Epen aus der Welt der Eckkneipen. Etwa wenn Black barmt, dass wir alle die gleiche Farbe haben, wenn uns der Blues packt. Nur dass dann die Gitarre doch wieder mit einem glänzenden Ton die Gosse verlässt. Eine faszinierende Reise durch die Dunkelheit - und eine willkommene Abwechslung im heutigen Bluesrock. Nathan Nörgel besten Bluessängerinnen. Auch wenn sie schon seit einigen Jahrzehnten in der Szene aktiv ist, ist „Compass“ doch erst das dritte Album. Am Anfang steht ein deftiger Funk-Rocker: O‘Keary fährt stimmlich die Krallen aus und Clint „Seattle Slim“ Nonnemaker jagt die Gitarre gehörig durchs Wah-Wah-Pedal. Nächster Song, nächster Stil: „Summer“ ist treibender Pop mit jagenden Gitarrenlinien und jeder Menge Sonnenschein im Herzen. „Nothing Left To Say“ führt nach Mexico mit passender Trompete und genug Drama in der Stimme für eine Neuverfilmung der „Glorreichen Sieben“. Slims Gitarre gibt dann noch ein paar Surfsounds dazu. So geht es munter weiter: Rhythm & Blues, Bluesrock, selbst radiotaugliche Popnummern gibt es auf „Compass“. Dass dem Album eine einheitliche Linie zu fehlen scheint, macht nichts. Denn die Lieder machen Spaß, O‘Keary ist eine Sängerin, der man gerne zuhört. Slims Gitarre ist mindestens ebenso wandlungsfähig wie die Stimme der Sängerin. Und die zahlreichen Gäste im Studio sorgen für die klanglichen Sahnehäubchen. Nathan Nörgel Raoul & The Big Time Hollywood Blvd Der kanadische Harpspieler und Sänger Raoul Bhaneja liebt den Blues von der Westküste. Und so hat er neben seiner seit 1998 aktiven Band The Big Polly O‘Keary & The Rhythm Time eine Menge Gastmusiker aus der Szene zu der LiveMethod - Compass Session im Studio eingeladen. Im Staate Washington zählt die Fred Kaplan, Junior Watson und Bassistin Polly O‘Keary zu den Rusty Zinn spielen ebenso mit P L AT T E N wie Curtis Salgado und Johnny Sansone. Dieser Boulevard in Hollywood ist ein Fest für Freunde des swingenden Blues mit einer großartigen Harp. Das Piano von Fred Kaplan kann man immer erkennen. Und auch die jazzige Gitarre von Junior Watson ist sofort herauszuhören: „Left Coast Fred“ ist genau die Art von Bluesnummer, die klar macht, wie sehr man die Verwandschaft zwischen Blues und Jazz an der amerikanischen Westküste noch immer pflegt. Das ist kein Blues für die rockenden Clubs von Chicago sondern eher Musik für ausgelassene Swingparties. Andere Songs auf „Hollywood Blvd“ verbreiten den relaxten Groove von New Orleans, etwa „Why Am I Treated So Bad“ (ursprünglich von den Staple Singers) oder „In The Shadow Of The Pine“. Doch Raoul kann auch anders. Bei „Amphetamine“, einem weiteren Instrumental, versetzt er den Hörer akustisch in einen Speedrausch. Das ist absolute virtuose Spitzenklasse an der Harp. Raoul ist auch als Sänger eine absolute Entdeckung: Voller Soul, teils rauh, teils elegant und einschmeichelnd wie Charles Brown singt er die eigenen Stücke und Nummern von Allain Toussaint, J. Green oder Pops Staples. Man hört dem Album zweierlei an: Es ist eine Live-Session, bei der sich Freunde getroffen haben, die musikalisch ganz auf einer Länge liegen und Spaß am gemeinsamen Musizieren haben. Und alle haben ganz eigene Nuancen zu einer großartigen Bluesmusik beizutragen. Da ist in einem Stück die elegante Gitarre von Junior Watson zu hören, in der nächsten die ganz andere von Rick Holstrom oder die von Rusty Zinn. Und immer dabei natürlich auch Darren Gallen, Stammgitarrist von The Big Time. Hier wird inspirier t von Vorbildern wie Charles Brown, T-Bone Walker und anderen eine ganz heutige Version des West Coast Blues zelebriert. Absolut empfehlenswert! (Big Time Records) Raimund Nitzsche Rebekka Bakken - Li le Shop of Poison Tom Waits mit Big Band? Jazzsängerin Rebekka Bakken hat gemeinsam mit der hr-Bigband ein Album mit Songs des 67 Musikpoeten vorgelegt. Hier klingen die Lieder von Waits plötzlich rein und elegant, wenn auch nicht ganz von dem Gift gereinigt, dass von Anfang an in ihnen schlummert. Am Anfang war eine gehörige Portion Skepsis: Wie bitte schön soll Rebekka Bakken mit ihrer schönen und klaren Stimme mit den gebrochenen Songwelten von Tom Waits klarkommen? Und dann gleich noch in Arrangements für die ganz große Bühne? Doch glücklicherweise waren meine Vorurteile nicht wirklich berechtigt. Die Lieder aus den verräucherten Eckkneipen, den dunklen Straßenecken und von gescheiterten Existenzen sind so stark, dass sie selbst eine solche Behandlung vertragen und dabei ganz neue Sichtweisen ermöglichen. Rebekka Bakken singt hier wie eine Kreuzung aus klassischer Blues-Queen und JamesBond-Chanteuse. Melancholie, Einsamkeit und ein klein wenig Verruchtheit legt sie in jede Note. Und die Bigband des Hessischen Rundfunks liefert dazu Klangwelten, die zwischen Samstagabendshow, New Orleans Funeral, Chanson und Thriller-Jazz liegen. Insgesamt ein faszinierendes Jazzalbum einer erstaunlich wandlungsfähigen Sängerin. Nathan Nörgel Rob Heron & The Tea Pad Orchestra - Talk About The Weather Ob in den USA oder in Großbritannien: Die swingenden Sounds der 20er bis 40er Jahre sind wieder absolut im Trend. Britisch exzentrisch Wasser-Prawda | Mai 2014 68 P L AT T E N und voller Humor geht es beim diejenigen, die bei Songwritern neuen Album von Rob Heron & nicht immer nur an schlechtgelaunte einsame Menschen mit The Tea Pad Orchestra zu. Gitarren denken wollen. Raimund Nitzsche Das miese englische Wetter, Küchenutensilien, andauerndes Spielen oder die Angst vor einem neuen Schnellzug: Bei Rob Heron sind die Themen seiner Songs so britisch, wie die Musik amerikanisch ist. Mit seinem Tea Pad Orchestra spielt er zwischen Ragtime, Country, Mambo, Blues und Swing ganz im Stile der klassischen Zeiten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und das mit großer Raffinesse: Zu dieser im weitesten Sinne dem Jazz und (Western-)Swing zugehörigen Musik gehören immer auch fantastische Musiker, die in ihren Soloeinlagen glänzen ohne auch nur eine Sekunde zu verschwenden. Seine Lieder aber - bei aller Satire und Unterhaltsamkeit sind nicht von gestern. So wie Pokey LaFarge (als dessen Support Herons Orchester schon durch das Vereinigte Königreich tourte) nutzt er die beschwingten Klänge für typisch britische Alltagsbeobachtungen und Selbstreflexionen. Und das macht aus „Talk About The Weather“ nicht nur eine große Empfehlung für alle Swingfreunde sondern auch für Wasser-Prawda | Mai 2014 Reverend Rusty - Struggle Nach fünf Jahren Abstinenz gibt es eine neue CD vom Reverend Rusty, die am 11. Mai 2014 in der Einstein Kultur in München präsentiert wird. Wir haben vorab eine Version von „Struggle“ hören dürfen. Auf der CD befinden sich 13 Songs und ein Intro. Laut Sänger Rusty Stone hat er Elemente des Blues, Jazz, Country und Rock in seine eigene Version des deutschen Blues verwandelt. Beim ersten Hinhören fallen einem sehr eingängige Riffarrangements und Gesangssätze auf, die weniger auf amerikanischen Rootsblues als vielmehr auf deutschstämmige Mitsinglieder schließen lassen. Texte und Melodien sind eingängig und werden hervorragend zu Reverend Stones Liveauftritten passen. „Struggle“ enthält wirklich viele Elemente der oben genannten Genres zusammen mit einer nicht minder tollen Auswahl an Instrumenten. Bei „Don‘t look back“ verwendet er eine Mandoline als Soloinstrument. Sie scheint sich wohl langsam wieder also Soloinstrument im Blues zu etablieren: Schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen ist sie mir jetzt bei Bluesmusikern über den Weg gelaufen! Meine Favoriten auf der CD sind Songs wie das leider mit 35 Sekunden viel zu kurze Intro auf einer Slidegitarre gespielt und Songs wie „Come on“, wo das Riff locker und im Stil der 70er daher kommt. Die Hommage „Cooder“ entschädigt für das zu kurze Intro durch gefühlvolles Slide- und Akustikgitarrenspiel. Auch „Always On My Mind“ ist eine schöne Ballade über die Bivalenz des Lebens. Die Band besteht neben dem Gründer, Sänger und Gitarristen Rusty Stone, dem Bassist C.P., der auch den Upright Bass beherrscht und dem Drummer Al Wood, der auch mit „bloßen Händen“ spielt, sprich die Cajon bearbeitet. „Struggle“ muss man definitiv mehrmals hören, um es nicht fälschlich als deutschen Mitsingblues abzutun. Es hat aber definitiv einen deutlichen Touch à la „Made in Germany“ und ist damit ein sehr authentisches Werk von Reverend Rusty. Mario Bollinger The Sharpees - Mississippi Thrill Sie nennen sich eine „Maximum R n B Band“ und machen damit schon mal die Richtung klar, in die ihre Musik geht: Die Sharpees spielen einen Bluesrock, der ganz klar in den späten 60er/frühen 70er Jahren seine Herkunft hat. P L AT T E N In Sidney ist ein Sharpee ein mieser Typ, ein unerfreulicher Charakter, ein Rowdy oder Gangster. Wenn man sich „Mississippi Thrill“ anhört, dann ist da von Rabaukentum nicht unbedingt viel zu merken. Ihre Lieder erzählen Geschichten, die das Herz der Musiker offenbaren. Klar singen sie vom Leben auf Tour (in den letzten Jahren war die Band fast ununterbrochen unterwegs zwischen den britischen Inseln, Frankreich, den Niederlanden, Deutschland und Griechenland), vom Alkohol und verrückten Frauen. Doch mit Songs wie dem Titelsong über die Ausbeutung einer farbigen Frau wird das soziale Gewissen der Band deutlich. The Sharpees erfinden nichts neu in der Musik. Doch wer auf ihre Geschichten hört, wird an „Mississippi Thrill“ seine Freude haben. Und danach drauf warten, dass die Band auf ihrer Tour in der Nähe vorbeikommt. Nathan Nörgel seinen Sitz hatte. Doch der Funk der Third Coast Kings klingt eher nach Memphis oder New Orleans. Genau so muss man Soul und Funk (oder so ziemlich jede andere Musik) produzieren: Die ganze Band spielt live zusammen in einem Raum. Nur so wenige Mikrophone und Effekte wie nötig werden eingesetzt. Und auf nachträgliche Bearbeitungen wird weitest gehend verzichtet. Nur so kommt die schiere Energie der Musik direkt beim Hörer an, wird die Seele der Künstler in all ihren Emotionen und Verletzungen fühlbar. 69 Sean Ike singt, ist durchaus ein gefährliches. Und wenn er in „I‘m a Man“ die Geschichte des legendären Jack Johnson in der amerikanischen Hymne erzählt, dann ist er von soviel Kraft und Würde erfüllt, wie James Brown in den frühen 60ern. Ebenso überzeugend ist er als SoulCrooner, wenn er von den „Birds and Bees“ singt. Und seine Kollegin Michelle „The Belle“ Camilleri treibt bei „Just Move“ auch noch die letzten Muffel auf die Tanzfläche. War schon das selbstbetitelte Debüt 2012 ein absoluter Kracher für Fans von Soul und Funk, haben die Third Coast Kings hier noch deutlich einen draufgesetzt. Ihre Mixtur aus atmosphärischen Instrumentals und überzeugenden Soul- und Funksongs ist ein großartiges Denkmal für die Vitalität ihrer Heimatstadt Detroit City. Nathan Nörgel Produziert von Nate Goldentone (Dojo Cuts, The Liberators), setzen die Third Coast Kings ihrer schwer gebeutelten Heimatstadt ein musikalisches Denkmal. Ob sie wie im Titelsong einer legendären Straße oder wie in „Errol Flynns“ einem Club Tribut zollen oder einfach das Lebensgefühl nachzeichnen: Das Detroit von Third Coast Kings - West heute ist noch immer eine harte Stadt, die zuweilen glänzen Grand Boulevard mag, aber man muss diese Sie kommen aus Detroit und Schönheiten suchen und darf nennen ihr aktuelles Album sich nicht von den rauhen Ecken nach der Straße, wo das legen- abschrecken lassen. däre Headquarter von Motown Das „Sporting Life“, von dem Wasser-Prawda | Mai 2014 70 P L AT T E N W IED ERHÖREN Freddie King - Freddie King Is A Blues Master Es hatte lange gedauert, bis Freddie King nicht nur als großer Gitarrenstilist, sondern auch als vergleichbar guter Bluessänger wahrgenommen wurde. 1969 erschien das von King Curtis produzierte „Freddie King Is A Blues Master“, dass das zu ändern versuchte. Jetzt wurde das Album mit dem programmatischen Titel in einer remasterten Version neu veröffentlicht. Diese Gitarre kann durch jegliches Material hindurch schneiden. Sie dringt durch deftige Horn-Arrangements ebenso leicht hindurch, wie sie scheinbar schwerelos über der Begleitung einer „normalen“ Bluesband zu schweben scheint. Das hier ist eine der drei den Blues prägendende Gitarre der Kings. Schon in den 50er Jahren hatte der aus Texas nach Chicago Wasser-Prawda | Mai 2014 gezogene Freddie King gemeinsam mit Muddy Waters oder Sonny Boy Williamson, mit Leadbelly und Howlin Wolf auf den Bühnen der Clubs gestanden. Doch seine meist bei kleinen Labels erschienenen Aufnahmen sorgten nicht für einen wirklichen Durchbruch für den Gitarristen. So zog er 1959 nach Texas zurück. Und dann dauerte es, bis John Mayall und Eric Clapton seine Musik in Großbritannien ebenso bekannt machten wie in den USA. Jetzt plötzlich interessierten sich auch die größeren Label für „The Texas Cannonball“ und seine Gitarre. Was King Curtis im Auftrag von Atlantic mit King im Studio veranstaltete, dürfte Bluespuristen ein wenig verstören. Denn hier wird geklotzt: Ganz im Sinne des Soul treibt hier eine Band mit kompletter Hornsection, mit schreiender Orgel und funkigen Rhythmen die Gitarre voran. Auch wenn der Opener „Play It Cool“ heißt: Cool ist hier nur die Gitarre. Der Rest ist extrem heißer Soulblues, wie ihn auch Stax damals mit Albert King und Little Milton auf den Markt brachte. Für die Neuveröffentlichung hat man dem Album lediglich die Single-Versionen von „Play It Cool“ und „Funky“ hinzugefügt. Und das ist völlig ausreichend. Das ist ein absoluter Pflichtkauf für jeden, der das originale Album noch nicht in seiner Sammlung hat. Und es ist für die jüngere Generation der Bluesfans eine großartige Möglichkeit, einen leider vielerorts noch immer unterschätzten Gitarristen und Bluessänger neu zu entdecken. Raimund Nitzsche R.E.M. Unplugged: The Complete 1991 and 2001 Sessions Erst war es ein „Vinyl only“Geschenk zum Record Store Day 2014. Auf vier LPs wurden die beiden bei MTV aufgezeichneten Unplugged Sessions veröffentlicht. am 23. Mai erscheinen die Aufnahmen mit 11 damals nicht gesendeten Songs auch auf Doppel-CD. R.E.M. hatte gerade das siebente Studioalbum „Out Of P L AT T E N Time“ veröffentlicht, was durch Songs wie „Losing My Religion“ oder „Shiny Happy People“ zum weltweiten Hit wurde. Da die Band mit dem Album nicht auf Tour ging, kam eine erste Session für „Unplugged“ gerade richtig. Sechs der 17 aufgezeichneten Songs stammten aus dem Album oder entstanden während der Aufnahmesessions. Das akustische Setting macht noch mehr deutlich, wie stark die Band begonnen hatte, ihren Rocksound immer deutlicher auch in Richtung Folk und Country zu entwickeln. „It‘s The End Of The World As We Know It“ stürmt anfangs etwa dahin wie die Predigt eines atemlosen Country-Predigers. „Loosing My Religion“ war durch die Mandoline schon von vornherein auf ein derartiges Format großartig vorbereitet. Insgesamt haben diese Sessions eine rela xte Atmosphäre, bringen die leise Melancholie zum Tragen, die viele der Songs eh schon auszeichnete. Lediglich bei „Love Is All Around“ ist die Stimmung fröhlich und unbeschwert. Zehn Jahre später kam „Reveal“ heraus und sorgte bei Kritikern zu Vergleichen mit „Automatic for the People“, dem Nachfolger von „Out Of Time“. Die Band hatte nach diversen letztlich gescheiterten Experimenten zurück zu ihrem Sound gefunden. Vor allem in europäischen Ländern stürmte die Scheibe auf Platz eins in den 71 Hitparaden. Der zweite Auftritt bei „Unplugged“ erinnert mehr an die Rockkonzerte der Band als an die melancholische Lagerfeuerstimmung zehn Jahre zuvor. Das mag auch an Songs wie „All The Way To Reno“ einfach wesentlich sonniger daherkommen. Paar Jahre nach der Auflösung der Band kann man mit dem „Unplugged“-Album sich nochmals an die prägende Band der 80er und 90er Jahre zurückerinnern, besonders an ihre besten Zeiten als Major-Band, die immer ihre IndependendGesinnung beibehalten hatte. (Rhino) Raimund Nitzsche Wasser-Prawda | Mai 2014 72 S iPl R F mAeC H R A U M SECHS STUN DEN H O B BITS KOMA-GLOTZEN 2. VON RAIMUND NITZSCHE I ch liebe dieses Buch: Seit ich vor mehr als 25 Jahren erstmals “Der Hobbit” in die Hand nahm, bin ich schon mehrfach mit Bilbo Beutlin, Gandalf und den Zwergen auf die Reise durch Mittelerde gegangen. Und nie wurde mir dabei langweilig. Doch als Regisseur Peter Jackson ankündigte, dass Wasser-P p rr aa w w dd aa || M M aa ii 22 00 11 44 er auch dieses Buch in drei monumentalen Filmen auf die Leinwand bringen wollte, wurde mir mulmig. Beim “Herrn der Ringe” war mir klar, dass hier viel Zeit für viel Literatur nötig war. Neun Stunden oder mehr für diesen Roman? Für mich kein Problem. Selbst eine Dauersession mit den erweiterten Fassungen aus diversen DVD-Boxen könnte mich nicht schrecken. Aber der “Hobbit”? Dieses kleine Büchlein, diese überschaubare Geschichte? Was um aller Welt hat Peter Jackson da nur geritten? EINE UNERWARTETE REISE Bislang war ich noch nicht im Kino. Und Teil 1 des Hobbitfilms steht seit Jahr und Tag fast un-gesehen SPRACHR F iAl U mM e im Regal. Jetzt aber ist der zweite Teil als DVD angekommen. Und ich muss mir ein Herz fassen: Heute muss es sein! Es ist Sonntagnachmittag, draußen verschwindet die Frühlingssonne immmer wieder hinter grauen Wolken. Also auf nach Mittelerde in der Version von Peter Jackson. Zwei Stunden und 48 Minuten später: “Eine unerwartete Reise” ist vorbei. Bislang war ich jedes Mal eingeschlafen, sobald Bilbo Beutlin vor Furcht ohnmächtig geworden war: Mehr als 45 Minuten waren einfach nicht auszuhalten in ihrer Langatmigkeit. Wo Tolkien einfach beginnt: In einer Höhle lebte ein Hobbit, brauchte Jackson vorher noch zehn Minuten, um schon den Drachen, den Arkenstein und die Zwietracht zwischen Elben und Zwergen anzusprechen und paar Massenszenen mit jeder Menge Spezialeffekten unter zu bringen. Später kommt die Geschichte doch noch ein wenig mehr in Fahrt. Nur schade, dass immer wieder das Ansinnen des Regisseurs deutlich wird, das Wiedererstarken von Mordor zum eigentlichen Subtext der ganzen Reise zu machen. Und die Feindschaft zwischen den Orks und der Gefolgschaft von Thorin Eichenschild muss auch noch großartig ausgemalt werden. Warum nur fühlt sich Peter Jackson dazu berufen, sämtliche Legenden rund um Mittelerde in seine Filme zu packen? Warum muss er eine kleine bezaubernde Geschichte derartig aufblasen? Ok, die Szenen mit dem Koboldkönig und seiner Gefolgschaft sind witzig - und man hat mal wieder die Chance, eine wilde Schlacht 73 “Der Hobbit” ist eine der schönsten Abenteuergeschichten des 20. Jahrhunderts. Noch ganz ohne den Tiefsinn des “Herrn der Ringe” erzählt J.R.R. Tolkien einfach die Geschichte einer Schatzsuche in Mittelerde. Peter Jackson konnte sich nicht bremsen und machte ein weiteres endloses Filmepos draus. auf der Flucht im Berge zu filmen. Genug davon. Auch ist es nicht schlecht, wenn man außer Gandalf und Saruman auch den dritten Zauberer Radegast den Braunen kennenlernt. Auch wenn es eigentlich nicht zur Geschichte gehört. Der Magen knurrt und jetzt ist erst Halbzeit. Es kommen noch paar Stunden mit Zwergen, Elben, Zauberern und Hobbits. Und natürlich dem Drachen Smaug. SMAUGS EINÖDE Nacht ist’s draußen geworden. Smaug lebt noch immer und er will seinen Angriff auf Seestadt starten. Zweieinhalb Stunden Film: prächtige Landschaften, schöne Elben, grässliche Spinnen im Düsterwald und heldenhafte Zwerge. Jacksons zweiter Streich ist wieder mehr eigener Recherche im Umfeld der hinterlassenen Schriften Tolkiens als einer getreuen Umsetzung des Hobbits entsprungen. Diesmal hab ich es geschafft und bin trotz gewaltiger Längen nicht mal nahe am Einschlafen gewesen. Denn “Smaugs Einöde” ist komischerweise der spannendere und überzeugendere der bislang beiden Filme geworden: Die Charaktere der Zwerge und Elben sind klarer gezeichnet. Selbst die Konflikte innerhalb der Bevölkerung von Seestadt sind gut ausgemalt. Und der Humor der auf Fässern reitenden Zwerge kommt nicht zu kurz. Höhepunkt des visuellen Spektakels ist allerdings der Drache selbst, der zu keinem Zeitpunkt wie ein digitales Machwerk sondern wie ein wirkliches Wesen wirkt. Wenn ich den Streifen ein visuelles Spektakel nenne, dann meint das für mich: Hier ist große spektaktuläre Action zu sehen, bombastische Bilder und Gemetzel. Typisch für Jacksons in Neuseeland angesieldelte Version von Mittelerde. Die Frage allerdings bleibt: Warum hatte er kein Vertrauen zur Buchvorlage? Warum macht er aus einer Geschichte, die man gut seinen Kindern als Gute-Nacht-Geschichte vorlesen kann, ein bedeutungsschwangeres Monster von einem Mehrteiler? Warum versucht er schon hier den Beginn des Ringkrieges zu erfinden, indem er kleinste Andeutungen über den Nekromanten gleich in die Erweckung nicht nur der Ringgeister sondern auch dem Auftreten Saurons münden lässt? Damit zerstört er nicht nur den “Hobbit”, sondern macht auch gleich seine eigene Verfilmung des “Herrn der Ringe” an einigen Stellen unglaubwürdig. Ich liebe das Buch - doch meine Skepsis in Bezug auf Jacksons Arbeiten haben zugenommen. Halbwegs verziehen W W aa ss ss ee rr -- P prawda | Mai 2014 74 S iPl R F mAeC H R A U M hatte ich ihm den unerträglich schmalzigen und unglaublich langen Schluss des dritten Ring-Films. Doch mit dem “Hobbit” hat er für mich ein Werk geschaffen, was es trotz großartiger Schaueffekte niemals mit dem Buch aufnehmen kann. PS.: Es sind nicht ganz sechs Stunden Hobbits. Aber warten wir mal die Extended Versions ab … Wasser-P p rr aa w w dd aa || M M aa ii 22 00 11 44 SFPERUAICLH LR EA TU OM N 75 JÜ RGEN LAN DT: S ECHS GEMÄ LDE ALS DAS DASEIN SICH VERPFIFF (2010) W W aa ss ss ee rr -- P prawda | Mai 2014 76 S FE PR UA I LCLHERTAOUNM DER SONNENKÜSSER (2010) Wasser-P p rr aa w w dd aa || M M aa ii 22 00 11 44 SFPERUAICLH LR EA TU OM N 77 VERKEHR VORERST GESTOPPT (2010) W W aa ss ss ee rr -- P prawda | Mai 2014 78 S FE PR UA I LCLHERTAOUNM DER MANN ISST SEINER FRAU DAS EIS WEG (2010) Wasser-P p rr aa w w dd aa || M M aa ii 22 00 11 44 SFPERUAICLH LR EA TU OM N 79 DIE WELT GEHT DURCH UNS (2010) W W aa ss ss ee rr -- P prawda | Mai 2014 80 S FE PR UA I LCLHERTAOUNM RUMMELBUMMLER Wasser-P p rr aa w w dd aa || M M aa ii 22 00 11 44 SPRACHRAUM 81 KAMER AD LEVI THEODOR LESSING (1914/15) 1914 verhinderte die Zensur das Erscheinen der Erzählung “Kamerad Levi”. So konnte Theodor Lessing sie erstmals 1923 in dem Band “Feind im Land” veröffentlichen. Die Bilder, die wir als Illustration eingefügt haben, stammen von George Edmund Butler (1872 - 1936), der als Kriegsmaler der Neuseeländischen Regierung auf den Schlachtfeldern des 1. Weltkriegs unterwegs war. ls der große europäische Krieg ausbrach, war Siegfried Levi, der 26 Jahre alte Sproß eines Althändlers in Hannover, zu mehreren Militärärzten gegangen, um seine Kriegsuntauglichkeit sich bestätigen zu lassen; da aber diese gegen sein Erwarten erklärten, daß sein Körper vollkommen gesund und schwerlich Aussicht vorhanden sei, daß man bei der Einziehung der ungedienten Ersatzreservisten ihn übergehen oder entlassen werde, so hatte Levi sogleich die Überzeugung gewonnen, daß eine sofortige Meldung als Kriegsfreiwilliger seine Stellung im Heere günstiger beeinflussen werde, als wenn er erst abwarte, bis man ihn pflichtgemäß zum Kriegsdienste heranzog; wobei er ohnehin noch eine lange bange Wartezeit vor sich gehabt hätte. Nur durch eine List war es ihm schließlich gelungen, als Kriegsfreiwilliger mitgenommen zu werden, denn als nach zahllosen vergeblichen Bewerbungen ihm der Bescheid wurde, daß die 1. Kompagnie des I. Ersatzbataillons zum LinieninfanterieRegiment 124 noch fünfzig Freiwillige einstellen werde, da fand Levi, obwohl er zwei Stunden früher als zur festgesetzten Stunde im Hofe der Regimentskaserne erschienen war, die Treppen, Gänge und Tore des weitläufigen Gebäudes von wenigstens dreihundert jungen Leuten besetzt, deren jeder darauf hoffte, daß man just ihn zum Regiment einkleiden werde. Levi versuchte gar nicht, auf die zum Musterungssaale führende Treppe zu gelangen, sondern blieb in dem menschenleeren Hofe, und da einige Fenster des A obersten Stockwerkes offenstanden, irgendwo aber eine von den Maurern stehengelassene Leiter anlehnte, so stieg er sofort an einer beliebigen Stelle in die Kaserne ein, hielt sich bis zur anberaumten Stunde in einer Zelle des dritten Stockes verborgen, tappte dann bis zum Zimmer des Obersten und stand plötzlich als erster vor der Ausmusterungskommission. Auf die verwunderte Frage des Vorsitzenden: »Was wollen denn Sie hier?« rief Levi: »Fürs Vaterland sterben!« mit einer so lebendigen hellen und zum Herzen gehenden Stimme, daß die Herren, welche sich erstaunt und zweifelnd anblickten, auf die überreichten Atteste der Militärärzte hin, den Mann in die Stammrolle des Regiments einschrieben. Und so war er denn Soldat geworden, nachdem er bisher jenes von Vater und Großvater ererbte Geschäft in der Burgstraße innegehabt hatte, aus welchem dank seiner Tüchtigkeit ein in der ganzen Stadt angesehener » Salon d‘antiquités« erstanden war, welcher nach Ausbruch des Krieges ein neues Firmenschild erhielt und seither als »Deutsches Haus für Altertümer« wohlbekannt ist. Da er nun frisch und fröhlich in den gewaltigen Krieg einrücken sollte, erschien er unter den hellbegeisterten blonden norddeutschen Jungen wie ein kostbares und feines, aber etwas verstaubtes Altertum aus einer fernen Vorzeit; in der Haltung ohne die martialische Straffheit; im Gang, was man latschig nennt, im ewig sorgenvollen und verloschenen Antlitz die verdrossene Gleichgültigkeit vieler über nichts mehr verwunderter Jahrhunderte, Wasser-Prawda | Mai 2014 82 SPRACHRAUM und die Beine endlich so unheilbar krumm, daß jeder Offizier oder Unteroffizier, der uns im Exerzieren ausbildete, unfehlbar seine tägliche Kasernenhofblüte von Kamerad Levis Beinen pflückte, wie etwa: die schwere Artillerie werde durch Levis Beine durchzielen, oder diese Beine bildeten das Loch in der deutschen Front, durch welches die Malefizfranzosen eines Tages in Deutschland eindringen würden, und dergleichen Späße und Spassetteln mehr. Levi nahm solche Ausstellungen mit einer unerschütterlichen Gemütsruhe entgegen, ja erzählte witzige Bemerkungen über seine Beine gerne selber und lächelte dazu wehmütig anerkennend, soweit in seinem alteingekauftem Gesicht das fröhliche Lachen zu Hause war, denn man hat ihn Wasser-Prawda | Mai 2014 nur selten lachen gesehen. Während der zwei Monate unserer Ausbildung tat er, was eben befohlen wurde, aber niemals einen Handgriff mehr, und da er jede unnötige Bewegung verabscheute und dem Feldwebel beständig mit Zeugnissen aufwartete, welche ihn heute vom Reckturnen »wegen Schmerzen in der Kniekehle«, morgen vom Exerzieren »wegen Entzündung eines Nagels« befreiten, so galt er als »der größte Drückeberger« in der Kompagnie und genoß unsere allgemeine Mißachtung. Denn wir anderen waren jung und fröhlich, mit Begeisterung und Zorn wie mit Elektrizitäten geladen und im überschwänglichen Augenblick unseres Lebens zum Ausflug in den Himmel des Mutes bereit; und so wirkte solch ein Kamerad SPRACHRAUM wie Bleigewicht an ausgespannten Flügeln. War es also verwunderlich, daß wir alle ihn mieden, als wenn der Teufel in ihm wäre? Leutnant von Lieven pflegte zu sagen: »Sein Gesicht verdirbt mir das ganze Vergnügen am Kriege!« Ja mehr als einer schwur heimlich, daß diesem Spötter im Felde kein langes Leben beschieden sein werde. Vor allem der Offizierstellvertreter Kracht, ein kolossaler Mann von deutschen Schrot und Korn, ein blonder Riese, der den Beinamen »der Germanenkönig« führte, konnte den lächerlichen Soldaten nicht sehn und nicht riechen und äußerte gemütlich unter Kameraden: »Ich werde ihn draußen auf eine Patrouille schicken, die das deutsche Heer von einem unnützen Mitesser befreit.« Vier Wochen später brachen wir auf. Es war der 27. September. Erst im Eisenbahnwagen, zu vielen Tausenden verladen, wurde mitgeteilt, wohin unsere Bestimmung führe; nicht, wie wir alle geglaubt hatten, zum Kampf gegen Frankreich, sondern ins nördliche Belgien, wo, nachdem Brüssel und Gent soeben von den Deutschen besetzt waren, ein heftiger Kampf um Antwerpen und um die Küste der Nordsee geführt werden mußte. Auf der endlos langen Bahnfahrt, wo wir an ganz kleinen Stationen stundenlang liegen blieben, bis wir schließlich, nach fast vierstündiger Fahrt, in Aachen landeten, saß Levi, ohne Waffenrock, in Hemdsärmeln in einem Winkel des großen Viehtransportwagens und erteilte strategische Auskünfte. Es war erstaunlich. Sein Gehirn besaß die merkwürdigste Kenntnis aller möglichen Personalverbindungen. Wenn man ihn nach dem Standort eines Regiments befragte, so wußte er nicht nur zu sagen, wo das Regiment gegenwärtig stünde, sondern schnurrte die Namen der Führer her; wußte in der Beförderungsgeschichte Klucks, Hindenburgs, Emmichs Bescheid, brachte fertig, sämtliche v. Bülows und v. Moltkes der Rangliste auseinander zu halten, indem er Verwandtschafts- und Personalbeziehungen, Heirats- und Erbschaftsangelegenheiten eines jeden kannte, welche doch jeden andern Menschen vollständig gleichgültig lassen. Der junge Leutnant von Lieven, der mit uns reiste, rief ein über das andere mal: »Teufel! Woher weiß er das?«, als Levi, ruhig in seiner Ecke kauernd und mit einem Bleistift Konturen von Stammbäumen durch die Luft ziehend, darlegte, daß die Lievens 83 mit v und die mit f verschiedenen Ursprungs seien, daß der Hauptmann v. Lieven in Stargard und der Major Liefen in Königsberg unmöglich verwandt sein könnten, und daß die Familie des Leutnants mit jener fürstlichen Familie verwandt sei, welche vor hundert Jahren, wie er selber Levi geheißen habe, aber beim Übertritt geadelt worden sei. Der kleine Leutnant, auf solche Dinge zum ersten Male hingewiesen und von Levis überzeugenden Kenntnissen ganz überwältigt, begann den Vielwisser »unheimlich« zu finden, und erzählte mit Grauen, daß der Mann an Stelle der Soldatenbibel eine mit weißem Papier und vielen Bleistiftnotizen durchschossene Rangliste im Tornister trage. Nach unserer Ausladung in Belgien begannen jene furchtbaren Märsche an den Feind heran, auf welchen wir Tag für Tag auf den großen Beginn der »Feuertaufe« warteten. Ich hielt mich nun absichtlich in der Nähe Levis, nicht nur, weil dieser Mann mich lebhaft interessierte, sondern weil seine Nachbarschaft aus dem schweren Marsche mir viele Erleichterungen brachte. Er hatte zunächst die Gewohnheit, beständig Opern- und Operettenmelodien vor sich hinzubrummeln, nach deren Rhythmen er übrigens genau wie auf dem Kasernenhof dahinschlurfte. »Meine Herren«, sagte er zu seiner Umgebung, »jeder menschliche Körper hat bestimmte Takte und Zählzeiten, nach denen er sich am leichtesten bewegen läßt; das muß man ausprobieren; was mich betrifft, so ziehe ich gegenwärtig vor die Melodien: »O teure Mutter, du darfst nicht sterben!« und »Ich hab um sechs ein Rendezvous, mit dem Schatz, mit dem Fratz, mit der Erika«; weil es Melodien sind, die der Einstellung meiner Pedale am besten entsprechen.« Dieses mechanische Dahinstolpern nach einer Million Male wiederholten Melodie schien seine Kraft zusammenzuhalten, und noch heute geschieht es, daß, wenn ich irgendeine Opernmelodie höre, wieder das Bild des wunderlichen Kameraden vor mir auftaucht, wie er in gleichmütigster Seelenruhe und mit einer fachlichen Verdrossenheit die langen sumpfigen oder hartgefrorenen Landstraßen dahinschlürft. Dabei sog er beständig an unauflöslichen Gummibonbons, von denen er freigebig allen Nachbarn abgab. »Diese Gummistangen, meine Herren«, sagte er, »habe ich sogleich nach Ausbruch des Krieges in großen Posten aus Amerika importieren lassen, denn man kann Wasser-Prawda | Mai 2014 84 SPRACHRAUM Wasser-Prawda | Mai 2014 SPRACHRAUM nicht wissen, wie lange sie noch zu haben sind. In Deutschland fabrizieren wir nichts Ähnliches, denn sie haben die Eigenschaft, daß man sie nicht verschlucken kann und viele Stunden lang saugen muß, ehe sie sich aufzulösen beginnen; dadurch kann man auf dem Marsche seinen Gaumen feucht erhalten; denn sehn Sie, meine Herren, was ist es für ein verkehrtes Zeugs, was die andern Herren kauen. Manche rauchen auf dem Marsche Zigaretten, das werden sie bereuen, denn es verdirbt vorzeitig die feinen Kanäle der Bronchien und die Gefäße; auch führen einige von Ihnen Kolapastillen bei sich, die anderen Zucker, wobei man in wenigen Sekunden den Bonbon auflöst, und dann hat man das Gift im Blute. Sehr vernünftig ist Herr Offizierstellvertreter Kracht, welcher getrocknete Pflaumen hat. Diese, die ich Ihnen zeige, ist die gewöhnliche Katarinenpflaume, die bessere heißt Sultanspflaume; es sollen noch bessere in der Umgebung von Tours in Frankreich wachsen, welche man Königspflaume nennt, aber am besten dienlich sind Bismarckpflaumen; man spürt nichts vom Staub der Chaussee und kann stundenlang an einer trocknen Pflaume kauen und zuletzt am Kern, der einen ganz 85 angenehmen Bittermandelgeschmack hinterläßt. Dagegen hat Kamerad Bokelberg sein schönes Geld für Hirths Elektrische Regenerinpastillen ausgegeben, einen großen Schwindel, und Herr Leutnant v. Lieven kaut Pralinee und verdirbt seine Zähne, die, wie Sie sehen können, schon teilweise plombiert sind; das ist alles Gift, aber diese amerikanische Gummistange, höchstens zwei am Tage, das ist das Richtige.« Es geschah auch bald, daß die Levi‘sche »amerikanische Gummistange« bei der Kompagnie beliebt wurde, und alle Augenblicke kam jemand und sagte herablassend: »Du, Levi, haste noch ‚ne Stange?« worauf dieser aus seiner unerschöpflichen Hoseninnentasche neue Quanten des klebrigen Gummis holte ... Aber schon am folgenden Tage erwies sich Levis strategische Brauchbarkeit in einem höheren Glanze. Das geschah in jenem großen Pferdestall, wo wir im Stroh das Nachtlager bezogen, nachdem wir uns am Mittag in dem Dorf, welches, wenn ich nicht irre, Nachtigall hieß, mit den auf andern Wegen herangeführten Regimentsteilen vereinigt hatten. Jetzt befand sich der Stab, an seiner Spitze der Oberst, bei der Truppe, und die Herren verbrachten die Nacht, Wasser-Prawda | Mai 2014 86 SPRACHRAUM während schon ferne Geschütze dumpf erdröhnten, in einem Gehöfte, zu welchem auch unsere Stallung gehörte. Der alte Oberst kam von der vorderen Bauernstube, darinnen er übernachtete, wiederholt in die Ställe, um an ihrem anderen Ende plötzlich ins Freie zu verschwinden. Es war uns aufgefallen, daß, bevor das geschah, regelmäßig der Regimentsadjutant kam und die ruhig daliegenden Mannschaften fragte, ob ihm jemand ein paar Zeitungen zum Lesen geben könne, und die guten Jungen, nicht viel nachdenkend, brachten alles, was sie an Lesestoff hatten, bis kein Bogen Papier mehr aufzutreiben war. Gegen 11 Uhr nachts, als alle schliefen, kommt wieder der Adjutant mit der Stalllaterne und purrt die Unteroffiziere um Lektüre an; keiner aber hat dergleichen, so daß er wetternd und fluchend die Stallung verläßt. Gleich darauf erscheint ein höherer Offizier, unsicher schwankend, den Mittelgang zwischen den Pferdeabteilen entlang, während wir im Stroh liegen und niemand sich stören läßt. Es ist unser Oberst, genannt »der Alte«, mit seiner elektrischen Taschenlaterne, gebückt hinhuschend, zur Ausgangstür nach dem Acker. Plötzlich steht Levi vor ihm und überreicht wohlzusammengefältelt mit einer Wasser-Prawda | Mai 2014 diskreten Verbeugung ein Päckchen des feinsten Toilettepapiers, worauf der übelgelaunte Oberst die demütig dastehende Figur überfliegend, unangenehm berührt zusammenzuckt, dann aber plötzlich den Humor der Lage empfindend, dem Manne auf die Schulter klopft: »Wie heißt er?« Und dieser antwortet: »Siegfried Levi«, ohne sich von der Seite des Obersten, der im Gang vorüberschreiten will, zu entfernen. Diesem scheint die Begleitung peinlich zu sein, aber Levi mit zäher Grausamkeit benutzt diesen Augenblick, um dem Herrn eine vorher sorglich im Kopfe zurechtgelegte Rede zu halten. »Herr Oberst«, beginnt er, »der Wagen mit den Generalstabskarten.« – »Jetzt ist nicht Zeit!« Aber Levi fährt unerbittlich fort: »Der Wagen mit den Generalstabskarten muß von einem Manne bedient werden, welcher sich auf Karten und Nachschlagewerke versteht und den literarischen Apparat, den das Regiment mitführt, in Ordnung hält.« »Was kümmert Sie das?« unterbricht der Oberst, bemüht, den Mann loszuwerden, andererseits aber durch die gebildete Ausdrucksweise wie durch die Annahme des Geschenkes sich verpflichtet fühlend: »Wenden Sie sich an den nächsten Vorgesetzten; wer ist das?« »Herr Feldwebel Kracht.« »Schere er SPRACHRAUM sich«, befiehlt nun der Oberst barsch in dienstlicher Tonart; aber Levi, dem keine Disziplin in den Knochen sitzt, erwidert vertraulich: »Dann darf ich mich beim Herrn Offizierstellvertreter Kracht auf den Herrn Oberst berufen?« Jetzt wird dieser zornig, brüllt: »Abtreten!« und Levi schlurft in das Stroh zurück. »Mensch«, sage ich, »wie konntest du? Jetzt hast du verspielt; der Oberst ist wütend.« Er aber wiegt, wie wenn er die Chancen einer Rechnung hüben und drüben nachwöge, sein kleines schwarzes Gaunerköpfchen und sagt; »Der Eindruck sitzt.« »Wie denn?« flüsterte ich zurück (im Dämmergrau des Pferdestalles rührten sich im Halbschlaf unsere Nachbarn). »Der Oberst wird mich nie mehr ansehn, ohne an dies da zu denken.« Dann schliefen wir ein. Wirklich stand Levi schon am nächsten Morgen im günstigen Augenblick vor dem Germanenkönig und erklärte, der Oberst habe ihn geheißen, sich beim nächsten Vorgesetzten für die Stelle des Kartenordners zu melden. Aus dieser Meldung konnte Kracht nicht klug werden (weil der Oberst allein solche Stellen zu besetzen hatte); es wäre ihm gar nicht eingefallen, für den »Schandfleck der Kompagnie« sich zu bemühen, wenn nicht der alte Oberst, der sich übertags allmählich erheiterte, auf dem Marsche den Germanenkönig gelegentlich ans Pferd herangewinkt und gefragt hätte, ob ein Mann namens Levi bei der Kompagnie sei, und ob dieser sich wohl für den topographischen Dienst eigne, woraus Kracht, der das Wort »topographisch« nicht kannte, aber herausfühlte, daß Levis Stern irgendwie im Steigen sei, von der Gelehrsamkeit des Mannes zu reden begann, welche Rede Leutnant v. Lieven, der immer nur daran dachte, daß er eigentlich selber Levi heißen solle, lebhaft bestätigte, und da dem alten Oberst von Krosigk, so oft sein Blick zufällig wieder fiel auf den nach der Melodie: »O süße Mutter, du darfst nicht sterben« dahinschlürfenden Soldaten, die peinliche Nachtszene wieder auftauchte, so war Ergebnis, daß Levi die Stelle beim Kartenwagen erhielt; und man hätte keinen besseren »geistigen Marketender« finden können; zunächst begann er eine Neuordnung des gesamten Nachschlagematerials nach einem von ihm ersonnenen vereinfachendem System, so daß für jede gewünschte Auskunft jede verfügbare Karte und jedes Nachschlagewerk sogleich zur Hand war ... Nun begannen die furchtbaren Tage, die 87 schrecklichen, in denen die Lust, die man atmet, eine einzige Welle kleingehackten und geschmolzenen Bleies ist, durch die man voran und immer vorangetrieben wie eine Herde halbblinder, halb irrsinniger Tiere, nichts mehr wahrzunehmen vermag als Blut und wieder Blut und jenen niemals abreißenden Schrei aus Raserei und Schmerz, welcher die Himmel erfüllt. Aber das Unsagbare werde ich nicht durch leichten Bericht über den komisch-tragischen Kameraden entweihn; müßte ich doch erzählen vom Heldentode so vieler Herrlicher ... Doch die Erinnerungen der nächsten Monate sind so voll von Bildern des Grauens, daß ich um so lieber die harmlosen Erinnerungen wieder aufnehme, die mir vom Musketier Levi geblieben sind. Zunächst geschah, wer hätte es gedacht? das Wunder der Verbrüderung des »Germanenkönigs« mit Levi. Kracht, der Hüne, der schönste Mann, den ich je gesehen habe, gegen Levi bis zum Ekel voreingenommen, erwies sich in seinem Element, sobald das Dreinschlagen begann, während er den banalen Alltagssorgen hilflos gegenüberstand. Derselbe Mann, der den Drachen totschlug, war im Kampfe gegen Mücken ahnungslos, und dieses machte sich Levi so zunutze, daß zuletzt jene Periode eintrat, wo wir uns an Levi wendeten, wenn wir bei Kracht etwas erreichen wollten, weil dieser, wie übrigens auch der kleine Lieven nichts tat, ohne Levi zu hören. Das begann mit einer merkwürdigen Stiefelgeschichte, bald nach dem ersten Nachtgefecht. Plötzlich waren die Herbstfröste eingetreten, welche unter anderem die Wirkung hatten, daß die Soldaten, wenn sie über Nacht die Stiefel auszogen, am Morgen nicht mehr in das Leder hineinkommen konnten. Viele litten unter dem Druck des Stiefelleders so sehr, daß sie am Abend im Quartier der Versuchung, den Stiefel vom geschwollenen Fuß zu ziehen, nicht widerstanden, obwohl sie wußten, daß, sobald Weitermarsch befohlen war, der Stiefel nicht über den Ballen ging, weil der inzwischen warmgewordene Fuß sich gedehnt, das Leder aber zusammengezogen hatte. Levi brachte zunächst eine Flasche Kollodium herbei und überpinselte unsern Leuten die Zehe, so daß sich eine Glasur bildete, unter deren Schutz der Druck der Stiefel nicht so schmerzhaft war, dennoch blieb das Stiefelanziehen am kalten Morgen eine der Torturen des Krieges. Da aber verfiel er auf eine einfache Auskunft. Er stopfte Wasser-Prawda | Mai 2014 88 SPRACHRAUM Stroh und Zeitungspapier in die enggefrorenen Stiefel, zündete es an, und im selben Augenblick, wo das Papier und Stroh anbrannte, fuhr man mit dem Fuß in die Flamme und trat sie aus. Der Stiefel saß wie angegossen, und die Wärme wirkte wohltuend ... Den eigentlichen Glanzpunkt aber im Kriegsleben unseres Kameraden bildete unsere Erstürmung des Schlosses Chaudfontaine. Dies war das Schloß eines belgischen Edelmannes, aus dessen Kellerfenstern und Dachluken auf eine sehr hinterlistige Weise auf die arglos gemachten und scheinbar wohl aufgenommenen deutschen Soldaten geschossen worden war, weswegen nun ein Detachement, bei welchem auch ich und Levi waren, den Befehl erhalten hatte, das von Franktireurs besetzte alte Gebäude rücksichtslos zu säubern. Unsere mit Recht erbitterten Leute benutzten diese Gelegenheit, um in Säcken, Kisten und Kasten fortzuschleppen, was nicht niet- und nagelfest war, und wovon sie hofften, daß sie vom nächsten Rastort aus es in die Heimat an Weiber oder Eltern gelangen lassen konnten; aber, da damals eine tadellose Zucht bei unserer Truppe herrschte und das ›Requirieren‹ aus eigene Faust streng bestraft wurde, so wurden auch dieses Mal alle bestraft, welche Wertsachen aus dem Schlosse mitnahmen, die Sachen aber, soweit sie nicht auf den folgenden beschwerlichen Märschen einfach fortgeworfen wurden und liegen blieben, zuletzt dem rechtmäßigen Besitzer getreulich zurückgegeben. Da war es nun wahrhaft belustigend und lehrreich zu beobachten, wie bei der Erstürmung des Schlosses eigentlich jeder ein Andenken mitzunehmen versuchte und trotz des vierzigpfündigen Tornisters irgendeinen nutzlosen Gegenstand sich auflud, den er für wertvoll hielt und gerne mit nach Hause gebracht hätte. Levi aber inmitten alle dieses gierigen und wüsten Aufruhrs durchschlurfte in aller Seelenruhe das Parkett der Säle nach der Melodie der nicht sterbendürfenden süßen Mutter, blieb anerkennend hie und da vor einem alten Gemälde stehen, begutachtete und beaugenscheinigte die Bronzen, Ahnenbilder und Gobelins und erläuterte uns die Bedeutung der Kunstgegenstände und Altertümer, von denen er eigentlich als einziger von uns etwas verstand, ohne aber die mindeste Gier nach ihrem Besitz zu zeigen oder den Wunsch, etwas mitzunehmen, bis er in einem Seitengemach einen alten Wasser-Prawda | Mai 2014 kleinen Nähtisch erspähte, auf den er zustürzte und dessen Schubladen er öffnete, worauf er mit einem wahren Freudengeheul herausnahm und in seiner großen Hosentasche verschwinden ließ: eine Rolle weißen und eine schwarzen Zwirns, viele Stecknadeln, Hosenknöpfe und eine Schere. Dieses war die ganze Beute, die er aus Chaudfontaine mit sich führte, und er war der einzige, der leicht an ihr trug und sie behalten durfte, da sie sich in der Folge als hochnützlich erwies und eigentlich der einzig positive Ertrag war, den die stolze Erstürmung von Chaudfontaine uns eingebracht hatte. – Durch solche kleine Brauchbarkeiten entschädigte das schwarze Schaf der Kompagnie für seine vollständige Unbrauchbarkeit in Feuergefecht und Handgemenge. Ich habe ihn nie in Ruhe sein Ziel nehmen sehn, und als ich im Graben neben ihm liegend, einen in der Ferne auftauchenden Engländer fallen sah, und um Levi ein Vergnügen zu machen, sagte: »Den hast du getroffen«, da wurde dieser bleich wie ein Linnen und ließ sich von mir noch mehrere Tage nachher immer wieder bestätigen, daß ich mich geirrt haben müsse und nicht er jenen Engländer getroffen habe. Bevor ich erzähle, wie es endete, muß ich noch einer Episode gedenken, die das nüchterne Wesen des von unmittelbarer Nützlichkeit voll ausgefüllten Menschen lebhaft mir vor die Seele stellte. Die 10. November-Nacht brachte den blutigsten Kampf, dessen ich mich entsinne. Wir hatten uns eben in die frostharte Erde eingegraben, als vom General der Befehl kam, das in kurzer Entfernung gelegene Dorf, welches von Engländern und Franzosen, vor allem aber von Engländern besetzt war, bis zum Morgen durch Sturmangriff zu nehmen. Dieser Befehl war in so schneidiger Form gehalten, daß dem Oberst von Krosigk, der das Wagnis der Erstürmung des an einen Wald angelehnten befestigten Lagers ohne genügenden Schutz durch Artillerie richtig beurteilte (denn unsere Geschütze konnten erst am Morgen zur Stelle sein), wohl die paar noch übrigen weißen Haare zu Berge standen. Der General hatte den Offizieren des Regiments als Ort des Stelldicheins für den nächsten Morgen das Dorf Grootschoote bezeichnet, ohne ein Wort darüber zu verlieren, daß dieses doch vorläufig noch in Feindeshänden war. Dieser Befehl war nicht mißzuverstehen, und wir sahen durch die SPRACHRAUM Feldstecher mit Staunen wunderliche massige Bauten, hinter denen Maschinengewehre aufgefahren waren; im Feuerschein der Nacht entpuppten sie sich als kolossale Lehmpyramiden, dergleichen ich weder vorher noch nachher gesehen habe. Zu diesem Sturmangriff standen nur unsere beiden Kompagnien zur Verfügung, doch war für uns beruhigend, daß das Regiment Goslarer Jäger in der letzten Nacht unsere früheren Quartiere, eine Viertelstunde von unseren Gräben entfernt, bezogen hatte, allerdings so übermüdet nach neuntägigen Gefechten, daß wir bei diesem uns auferlegtem Sturm von Grootschoote nicht auf ihre Hilfe rechnen sollten. Das Unternehmen erwies sich verwickelter, als der General gedacht hatte. Zwar gelang es, von drei Seiten her die Truppen um Grootschoote zusammenzuziehen und in der Nacht zu stürmen, aber dann stellte sich heraus, daß der Feind im Schutze der unheimlich im Sternenlicht ragenden Pyramiden den Geschützpark gerettet und hinterm Walde zusammengezogen hatte. Furchtbare Straßenkämpfe mit den rasenden 89 Einwohnern zwangen die Unsrigen, jedes Haus einzeln zu stürmen, indessen die Engländer dasselbe Dorf, in welchem sie eben selber gesessen hatten, rücksichtslos in Trümmer schossen. Der Schrei des gepeinigten Viehs in den Flammen, die Angst der Pferde an den Ketten, das Geheul der Hunde durch die Nacht, das Geknister Einsturz drohender Balken, schwarze Wolken überm spärlichen Mond, rauher Ost, der das Feuer schnell in Speicher und Strohdiemen, Dächer und Balken treibt, die brennende Kirche, ihr Glockenturm, tausendjährig, wie mit einem Schlage plötzlich in die wahnsinnige Nacht stürzend, Stimmen rund herum, man weiß nicht wo und wohin ... alles steht vor mir nur als eine chaotische Wahrnehmung, so wahnwitzig, so sinnlos, als stürze die irre Welt im Höllenfeuer zusammen; und in den Straßen zwischen den brennenden Häusern stauten sich menschliche Leiber so dicht, daß die Nachrückenden einfach die Bajonette gebrauchten und in das Knäuel von Mensch und Tier hineinstachen, um über aufgetürmte Hindernisse, wie an Springstangen, hinwegzukommen. Nun Wasser-Prawda | Mai 2014 90 SPRACHRAUM war von unsern Patrouillen gemeldet, daß gewaltige Artillerie hinterm Walde stehe, und während wir Stunde auf Stunde auf unsere eignen Geschütze warteten, welche zu spät nachrückten, konnten die Engländer im Schutze des Waldes mit Granaten und Schrapnells uns überschütten, ohne daß die Eroberung von Grootschoote viel nützte. Hauptmann Krüger, ein ruhig besonnener Mann, der jeden unnötigen Aufwand an Menschenmaterial vermied, wäre gern in die alte Position zurückgegangen, aber der Befehl des Generals lautete: »Dorf halten, bis Geschütze kommen.« Eine Kette von 30 Mann hielt die rückwärtige Verbindung mit den Goslarern aufrecht, indem alle 50 Meter ein Mann lag bis zum Meierhof Montjoie, wo die Jäger lagen, und die Kette entlang lief wie an einem Telegraphendraht der Wunsch: »Kommt, kommt endlich!« Obwohl unsere Leute auf dem Bauch über nächtliche Sturzäcker gleich Schlangen krochen, konnten sie sich ohne Deckung nicht halten; die Luft war Flammensud. Mitten im Feld an der dünnen Böschung, wo zwei Chausseen kreuzen, stand Wasser-Prawda | Mai 2014 eine schwarz geteerte Baracke, welche der Oberst zum Mittelpunkt der Operation machte, denn als wir das Haus stürmten, fanden wir aufgeschichtet bis zum Dache über 300 englische und französische Schwerverwundete, welche man Hals über Kopf im Stich gelassen hatte. Grauenhaft zusammengepfercht in einer von Eiter und Fieberschweiß stickenden Luft lagen sie von einem jungen Unterarzt, einem ratlosen blassen Menschen, und zwei erschöpften Wärtern notdürftig bedient; aber kaum war diese Hölle Menschenelend in unsern Händen, als der Oberst rücksichtslos anordnete, sämtliche Feinde ins Freie zu tragen, weil die Baracke, die vom Walde her nicht beschossen wurde, für den Stab oder für unsere eigenen Verwundeten nötig war. Kaum hatten die Aufräumearbeiten der wimmernden, unverständliche Laute lallenden Halbtoten begonnen, als eine ungeheure Granate das Dach des gräßlichen Hauses glatt hinwegrasierte und ein Staubmeer von Balken und Splittern über Freund und Feind schüttete: jeder suchte sich aus dem Trümmerhaufen zu SPRACHRAUM retten, und in dem neuentstandenen Chaos im Chaos verklang jedes Kommando. Jetzt wartete alles auf die Jäger. Nachdem Botschaft auf Botschaft zu ihnen geschickt war, laufen ich und Levi als freiwillige Ordonnanzen, um den Oberst der Goslarer zum Sturm auf den Wald, genannt forêt d‘ août, anzutreiben. Die Antwort: »Eine Stunde noch Ausdauer, dann sind die Goslarer nahe genug, um in Aktion zu treten.« Wir weinen beinah. Die Jägeroffiziere fluchen, man habe nicht Lust, die schwermitgenommene Truppe für uns zu exponieren; der Sturm sei zu früh erfolgt, man möge sich in die alte Stellung zurückziehen, am Morgen nochmals stürmen; und so lauter vernünftige Ratschläge, nur dem Befehl des Generals zuwider. Man befahl uns nun, in eine Scheune zu treten, wo wir 39 Infanteristen beisammen finden, des Aufbruchs harrend. Aber die Jäger, bleichwangig, übernächtig, schlafen oder liegen herum, mitten in der Feldschlacht, während der Brand von Grootschoote herüberleuchtet und unsere Kameraden auf Hilfe warten. Endlich kommt der Bescheid von der Artillerie. Jeder ist ruhlos. Levi hat sich in der Nähe quer über einen Ameisenhügel geworfen, Gesicht nach unten, er will nichts sehen und nichts hören. Plötzlich klingt das Signal: Los zum Sturm! Eine Ordonnanz des Obersten kommt in unsere Scheune, schreit gellend: »Alle Jäger zum Sturm!« und ist wieder draußen. Hörner setzen ein; überall hinter Zaun und Wand kommen die Leute hervor und schnell geordnet drängt der ganze Zug vorwärts gegen das brennende Dorf. Die wenigen Infanteristen wollen sich anschließen: Bokelberg hat die Führung, als Levi aufspringend, wütend, stoßweise ruft: »Sind wir denn Jäger?« Die Frage wirkt. Jeder ist sich klar, daß es ein Sophisma ist, denn der Oberst hat uns das Kommando: »Alle Jäger zum Sturm« geschickt, damit wir wissen, wir haben uns anzuschließen. Aber da der Wortlaut des Befehls eben nur die Jäger nannte, so konnte keiner uns einen Vorwurf machen, wenn wir ihn auslegten, als seien die 39 Infanteristen ausgeschlossen. Bis auf den ehrgeizigen Bokelberg und zwei Kameraden erklärten alle: »Wir bleiben liegen, wo wir liegen«, und dieser Entschluß rettete uns das Leben, denn jene Unternehmung mißlang. Jetzt will ich noch kurz sagen, wie Levi zwei Tage vor seinem Tode zum Eisernen Kreuz vorgeschlagen wurde. Man hatte nämlich allen Überlebenden 91 aus diesem Sturm eine Auszeichnung zugedacht, denn der Oberstkommandierende hatte kein ganz reines Gewissen bezüglich jenes voreiligen Befehls, der vielen tapferen Männern ohne Notwendigkeit das Leben kostete. Man suchte förmlich nach Verdienst, um den einzelnen Kämpfern »Trösterchens« geben zu können. Levi aber war von so extremer Nüchternheit, daß er auch dem wohlwollendsten Vorgesetzten schwer machte, eine Handlung zu entdecken, die, wie wir uns damals ausdrückten, »nach Heldentum roch«. Da geschah folgendes: Wir lagen vor Weihnacht in Gräben auf der Wacht, als in unserer Verpflegung Schwierigkeit eintrat. Wir waren auf Fleischnahrung angewiesen, aber den verarmten Dörfern fehlte Viehfutter. Gräßliches Grauen, wenn Hunde und Katzen, Geflügel, Schafe, die Rinder in zerstörten Dörfern heimatlos, langsam verhungernd, zwischen Trümmern irren, zuletzt sich wechselweise zerfleischend und an Wegrändern verrecken. In unsern Dörfern waren zahllose Schweine, aber nicht genug Rinder. Dann ganze Herden waren zusammengetrieben und im Vorrücken vor uns hergejagt zum Schutz gegen die Minen. Ein plötzlicher gräßlicher Aufschrei, eine furchtbare Detonation, und wir konnten über die Trümmer einer vielhundertköpfigen Herde ungefährdet den Marsch nehmen ... Aber die Schweine verwildern in den Dörfern und wagen sich an Lebende und Tote. Nun tagte eine Kommission, der auch unser Oberst v. Krosigk angehörte, um die Frage zu lösen, wie man ohne Korn, Küchenabfälle, Treber und Kleie die Schweine nutzbar mache. Plötzlich steht Levi mit der ihm eigenen ruhigen Unverschämtheit bei den Offizieren. »Sieh da«, sagt unser Oberst, »Levi, wie geht‘s?« Und die Antwort lautet: »Wie soll‘s gehen, man lebt noch.« »Ja, ja, ich erinnere mich«, sagt der Alte, verlegen vor den beiden Stabsärzten, »eine Nacht im Oktober«. »Nu, ich erinnere mich auch«, sagt Levi. Was will er nur? denkt der Oberst, ungnädig werdend, als Levi herausplatzt: »Leichenfütterung«. Die Herren sehen einander an, denn der Mann sagt da etwas, was jeder schon gedacht hatte; aber ausgesprochen hätte das keiner ohne Empörung. Mißtrauisch, den Schnurrbart kauend, den Blick starr auf Levi gerichtet, fragt der Oberst kurz: »Was meinen Sie?«, worauf dieser, tastend, wie weit er sich vorwagen solle, erwidert: »Feindesleichen«. Der Oberst spuckt verächtlich aus. Der jüngere Wasser-Prawda | Mai 2014 92 SPRACHRAUM Stabsarzt sagt: »Christenehre, Soldatengrab«, darauf überreicht ihm Levi ein Blatt Papier und man liest: »Der unterzeichnete Infanterist bestimmt, daß, wenn er fällt, sein Körper zum Nutzen des Vaterlandes zum Schweinefüttern ...« und so weiter, mit Name und Datum. Der Oberstabsarzt klopft ihm die Schulter und sagt: »Brav, Sie sind ein gut vaterländischer Mann.« »Wieso vaterländisch?« entgegnet Levi erstaunt, »wenn ich doch mal tot bin.« Am selben Tage sammelte er Unterschriften, und es waren fast dreihundert Leute, welche sagten, daß, wenn sie fielen oder stürben, es ihnen ganz gleichgültig sei, wie man mit den Körpern verfahre. Aber diese letztwilligen Verfügungen wurden nicht angenommen, und da die beiden Geistlichen mit Recht empört waren, so gab es einen Kampf der Geister, und Levi erntete Verachtung; immerhin sagte unser Oberst, die Tat Levis, der als rechtgläubiger Jude sich zur Schweinefütterung bestimmte, sei ein Beweis von Vaterlandsliebe und des Eisernen Kreuzes wert. Aber inzwischen war Levi gestorben. Die näheren Umstände waren diese: Wir waren den Tag durch Maschinengewehre und Minenwerfer belästigt, ober ohne Erfolg. Am Abend wurden wir für mehrere Tage abgelöst und bezogen Quartier in einem Elektrizitätswerk, das ganz weihnachtlich und heimatlich hergerichtet war. Doch nein: jetzt fällt mir ein, es war eine Papierfabrik, aber wir hatten in den Zimmern elektrisches Licht und sogar Läutewerk angelegt. Wir waren in sehr guter Stimmung. Die Gräben der Engländer waren nicht weit, und wir glaubten vom Fenster der hochgelegenen Fabrik die Schanzen zu erkennen. Die Nacht war kalt und klar. Viele Sterne am Himmel. Über Weihnachten sollte Waffenstillstand sein. Wir wickelten uns in Pelze. Manche hatten einen Schlafraum allein; ich teilte den meinen mit Levi. Plötzlich, ich lag schon im Halbschlaf, tönt aus der Ferne ein einzelner Schrei, ganz gräßlich. Das Zimmer ist mondhell, und ich sehe Levi lauschend im Bett aufsitzen. Was ist denn? Irgendein sterbendes Pferd; es schreit und schreit. Die Klage kommt herüber von den Schanzen der Engländer her. Plötzlich seh ich Levis Körper von einem Weinkrampf geschüttelt, und ich kehre mich zur Wand und sage nichts. Wir kennen alle diese Stunden, da wissen wir: Jetzt denkt er an sein Mädchen oder an die kleinen Geschwister zu Haus. Wir helfen einander, indem wir das nicht bemerken. Was Wasser-Prawda | Mai 2014 auch ließe sich sagen; wir fühlen alle das gleiche: Grauenhaft und unvermeidlich. Aber Levi brüllt los: »Vieh, Lumpe, Schufte!« »Mensch, Mensch, was ist in dich gefahren?« »Tiere, Bestien«, brüllt er weiter. »Wer denn? Die Engländer?« »Die Menschen, Ihr!«, und da ich beleidigt zurückgebe: »Habe ich etwa den Krieg gemacht?«, sagt er etwas beruhigter: »Du bist auch aus Hannover, eine schöne Stadt und alt.« Währenddes steht er auf und beginnt sich gemächlich anzukleiden. »Wohin denn?« frage ich; aber er fährt nur fort in seinem Gedankengang. »Flötjepipen«, sagt er. »Euer verfluchter Heldentod. Ist ja doch alles Schwindel.« Ich denke: der ist krank geworden, aber kann mich unter den Fellen nicht rühren. Er nimmt seinen Revolver und sagt dabei noch einmal: »Ich pfeife auf Heldentod.« Und draußen ist er. Ich war so taumelig vor Müdigkeit, daß ich nur dachte: Immer nur unnützes Gerede; lassen wir ihn. Ich lausche in die Nacht. Nichts regt sich. Leise kommt der Schlaf. Gegen Mitternacht fahre ich empor, denn hinter dem Walde knattern Schüsse. Erst ein einzelner, dann eine ganze Reihe, auf der Seite der Engländer, alsbald von hüben bei den Unsern beantwortet. Ich schlafe weiter, hin- und hergeworfen von gräßlichen Träumen wie alle Nacht draußen. Am Morgen erst fällt mir die Sache mit Levi wieder ein. Er fehlt beim Appell. Keiner weiß Auskunft; einige meinen, er hat die Waffe gegen sich selbst gekehrt. Zwei Tage später erklärte sich sein Verschwinden. Man fand ihn, als das nördliche Ende der englischen Stellungen von uns genommen wurde, neben einem riesigen Pferdekadaver, von mehreren Kugeln durchbohrt. Wenn ich jetzt den Vorgang jener Nacht vergegenwärtige, so höre ich wieder den Schrei des Pferdes und darin die ganze Qual und das Elend der irdischen Kreatur. Diesem Notschrei folgte er rasend über alle, die ihn anhören und schlafen konnten. Das Pferd lag nahe den englischen Gräben, aber es muß ihm trotzdem gelungen sein, im Schutze der Schneenacht sich heranzuschleichen. Er gab dem Pferd den Gnadenschuß und machte dadurch den Feind aufmerksam, und als er zurückwollte, hat man ihn mit ein paar Schüssen hingestreckt. Es ist merkwürdig, daß ein Mensch, der aus lauter Berechnung zusammengesetzt war, einen so sinnlosen Tod gestorben ist. SPRACHRAUM 93 TAG E IM AU GUST ERICH MÜHSAM: AUS DEN TAGEBÜCHERN 1914 M ONTAG/DIENSTAG, D. 3./4. AUGUST 1914 Es ist ein Uhr nachts. Der Himmel ist klar und voll Sternen, aber über die Akademie ragt der Rand einer weißen, in dicken Schichten gehäuften Wolke, in der es unaufhörlich blitzt. Unheimlich grelle, lang sichtbare, in horizontaler Linie laufende Blitze. Und es ist Krieg. Alles Fürchterliche ist entfesselt. Seit einer Woche ist die Welt verwandelt. Seit drei Tagen rasen die Götter. Wie furchtbar sind diese Zeiten! Wie schrecklich nah ist uns allen der Tod! Immer und immer hat mich der Gedanke an Krieg beschäftigt. Ich versuchte, mir ihn auszumalen mit seinen Schrecken, ich schrieb gegen ihn, weil ich seine Entsetzlichkeit zu fassen wähnte. Jetzt ist er da. Ich sehe starke, schöne Menschen einzeln und in Trupps in Kriegsbereitschaft die Straßen durchziehen. Ich drücke Dutzenden täglich zum Abschied die Hand, ich weiß nahe Freunde und Bekannte auf der Reise ins Feld oder bereit auszuziehen – Körting, Kutscher, Bötticher, v. Jacobi, beide Söhne von Max Halbe und viele mehr –, weiß, daß viele nicht zurückkehren werden, lese Depeschen und Nachrichten, die – jetzt schon, ehe noch die Katastrophe eingesetzt hat – einem das Herz aufschreien machen, ich sehe alles schaudervoll nahe und viel schlimmer noch in der Realität, als die theoretisierende Phantasie es ausdachte. Und – ich, der Anarchist, der Antimilitarist, der Feind der nationalen Phrase, der Antipatriot und hassende Kritiker der Rüstungsfurie, ich ertappe mich irgendwie ergriffen von dem allgemeinen Taumel, entfacht von zorniger Leidenschaft, wenn auch nicht gegen etwelche »Feinde«, aber erfüllt von dem glühend heißen Wunsch, daß »wir« uns vor ihnen retten! Nur: wer sind sie – wer ist »wir«? Aber der Gedanke ist doch grauenhaft, daß die Russen ins Land kommen könnten, Barbaren? Immerhin Menschen anderer Art, ohne Achtung vor unserer Welt, ohne Rücksicht auf unsere Gefühle mordend und sengend, Frauen und Kinder mißhandelnd und mit unseren Kulturgütern Kosakenspäße treibend. Und wie furchtbar ist es zu lesen, daß heut ein französischer Arzt mit zwei Offizieren in Metz versucht hat, einen Brunnen mit Cholerabazillen zu vergiften! Vorgestern haben die Hände eines Chauvinisten Jaures gemordet, den Mann, der den Frieden wollte, der eigentlich verkörperte, was wir als die überlegene französische Kultur verehren. Und nun fahren französische Flieger über das Land und werfen Bomben. Da verlassen einen die Theorien, man wird einer von allen, mit den Instinkten aller, aber mit erhöhtem Leid, weil die Kritik unter dem Gefühl wirksam bleibt und weil alle Parteinahme den Opfern, nicht den Machern gilt. Die Massen sind durch die Aufregungen dieser Tage in wahre Hysterie geraten. Überall werden Spione gewittert. Dann rennen die Menschen in Haufen zusammen, mißhandeln die Unglücklichen und übergeben sie der Polizei. Manchmal sollen ja wirklich schon russische Bombenwerfer abgefaßt sein. (...) Heut früh sah ich ein etwas ausländisch aussehendes Paar von erregtem Volk gehetzt durch die Straßen eilen. Was draus wurde, weiß ich nicht. Und nachmittags in der Sendlingerstraße brachten wieder Hunderte ein Mädchen zum Schutzmann, von dem behauptet wurde, es sei ein verkleideter Mann. Wilde Gerüchte laufen um, unkontrollierbar, da die Behörden über fast alles Schweigen bewahren. Danach sollen gestern und heute hier eine ganze Menge Serben und Russen standrechtlich erschossen sein. Sie sollen die Hauptpost, den Bahnhof, den Pulverturm bei Wasser-Prawda | Mai 2014 94 SPRACHRAUM MOBILMACHUNG IN BERLIN (FOTO: BUNDESARCHIV/WIKIPEDIA) Freimann haben in die Luft sprengen wollen. Heut früh wurde ausgesprengt, das Leitungswasser sei vergiftet. Offiziere riefen es warnend aus – ich selbst war Zeuge davon –, die Häuser wurden einzeln benachrichtigt. Es stellte sich als leeres Gerede heraus. Man hört – ganz heimlich – von massenhaften Soldatenselbstmorden etc. Aber doch ist die Einmütigkeit des Gefühls, eine gerechte Sache zu führen, bei aller Verblendung, ergreifend. Man ist sehr ernst, aber doch sichtlich gehoben. Wäre bloß nicht schon überall eine üble Gesinnungsriecherei bemerkbar! Vorgestern nacht traf ich Köhler, Turati, v. Maaßen und Bötticher im großen Raum der Torggelstube. Mein Erscheinen bewirkte das Mißtrauen umsitzender nationaler Studenten, die uns belauschten und, obwohl kein Wort, das Gefühle hätte verletzen können, fiel, denunzierten. Es gab böse Auseinandersetzungen. Wasser-Prawda | Mai 2014 Maaßen teilte Ohrfeigen aus. Schließlich wurde Bötticher – am Tage vor seiner Abfahrt zur Marine! – abgeführt (freilich noch auf der Straße freigelassen), und ich beschimpft und bedroht. Ohne ein politisches Wort gesprochen zu haben! Heut habe ich eine Erklärung an die Leser des ›Kain‹ herausgegeben, in der ich begründe, daß ich das Blatt während der Kriegsdauer eingehen lasse. Ferner habe ich mich beim Schwabinger Krankenhaus als Hilfsarbeiter in der Registratur gemeldet. Wo alles schwankt, ich vielleicht morgen nicht weiß, wovon leben, will ich nicht müßig sein. Bekomme ich keine oder eine ablehnende Antwort, dann gehe ich morgen zum Magistrat und frage nach Beschäftigung im humanitären Zivildienst: bei Kranken, Irren oder der Feuerwehr. Vielleicht kann mir da mal meine alte Apothekererfahrung nützlich werden. Um Jenny bin ich sehr besorgt. Die letzte SPRACHRAUM 95 Ludwigstraße her, tönen lärmende Jubelrufe und Hurrageschrei – jetzt auch Gesang herüber. Der Zug nähert sich und wird gleich dicht bei mir am Siegestor sein. – Nein, sie kamen von der Türkenstraße, und eben zogen sie – vielleicht 300 Mann – unter unserem Fenster vorbei, die Akademiestraße entlang. Singen können vor solchen Nachrichten! Arme Menschen! Vielleicht sind viele unter ihnen, die selbst mit müssen in den Krieg, die gar nicht oder als Krüppel wiederkehren. Krieg mit England! Der ist der schlimmste! Wie das ertragen werden kann – ich habe graue Zweifel. Heut sind im Reichstag die Kriegskredite sämtlich bewilligt worden. Die Sozialdemokraten haben für alle Forderungen gestimmt und auf Kaiser und Vaterland mit Hurra! gebrüllt. Was sollten sie auch tun? Sie haben die Suppe einbrocken helfen. Nun stehen sie dem fait accompli gegenüber. – Aber was jetzt werden soll? Krieg! Tod! Nacht über die Welt! Es ist schaurig, es ist unausdenkbar. Ich bin maßlos traurig. Ich zwinge mich zu Friedenshoffnungen. Aber die Zweifel sind stärker. Ich kann nicht glauben, daß mit den Mächten von England, Frankreich und Rußland jetzt noch von Frieden zu sprechen ist. (...) Heut passierte ein heiterer Zwischenfall. Ich saß mit Nonnenbruch im Stefanie. Plötzlich liefen die Leute zusammen und starrten gen Himmel. Wir hinaus – ein Flieger. In ganz engen Kurven überflog er in großer Höhe etwa die Türkenkasernen. Das Publikum war in großer Aufregung. Ist es ein deutscher oder ein französischer Aeroplan? fragte man sich. Vielleicht konnte jeden Moment eine Bombe niederfallen. Vielleicht zehn Minuten währte die Spannung, IENSTAG/MITTWOCH, D. 4./5. AUGUST 1914 und immer im gleichen Kreis umflog der Apparat seinen Platz. Plötzlich löste sich die Aufregung Es ist wieder spät nach Mitternacht. Aber in mächtigem Gelächter auf. Die Flügel des heut regnet es und ist trübe und trostlos. Und Apparats bogen sich nach beiden Seiten nieder, alles Unglück scheint ausgegossen über dies der Aeroplan flog mit großer Eile schräg aufrecht arme Land und seine ärmeren Menschen. davon und verschwand sogleich im Äther. Es war Eine entsetzliche Botschaft steht auf den ein unschuldiger Vogel gewesen – vielleicht der Anschlagtafeln: Kurz nach 7 Uhr (also vor noch Unglücksvogel, vor dem das Volk sich ängstigt. nicht sechs Stunden) erschien in Berlin der eng- – Schon ist auch für den 23. August ein Komet lische Botschafter im Auswärtigen Amt, um angesagt. Und man kann abergläubisch werden Deutschland den Krieg zu erklären. in diesen Zeiten. Krieg mit England! Da mit Rußland und ONNERSTAG, D. 6. AUGUST 1914 Frankreich die Kämpfe schon begonnen haben. Aus der Ferne durchs offene Fenster, von der Nachricht erhielt ich am 29. Juli noch aus Eydtkuhnen, das inzwischen von den Russen besetzt ist. Ein Brieftelegramm, in dem sie mich bat, ich solle ihr postlagernd nach Königsberg schreiben. Das tat ich sofort, las aber inzwischen, daß die Bestellung postlagernder Briefe jetzt entweder aufgehoben oder sehr erschwert ist. Nun weiß ich nicht einmal, wo die Geliebte ist und ängstige mich sehr. Ließe mich die allgemeine Spannung zur Besinnung über die Privatangelegenheiten kommen, ich glaube, ich stürbe vor Unruhe. Auch von Lübeck hörte ich nichts. Der Landsturm ist aufgerufen, und ich fürchte, daß meine beiden Schwäger und vielleicht auch mein Bruder ins Feld müssen. Das wäre für unsern alten Vater sehr arg – und Charlotte ist gerade von ihrem dritten Kind entbunden. Aber was sagt das gegen das Los der armen Lucie v. Jacobi, die vor einem halben Jahr ihr einziges Kind verlor und nun den Mann in den Krieg ziehen sieht! Morgen dürfte der Krieg mit Frankreich offiziell beginnen. Es sind Telegramme angeschlagen, daß der Gesandte in Paris aufgefordert sei, seine Pässe zu verlangen, weil die Franzosen völkerrechtswidrig die Grenzen überschritten haben. Libau soll von einem kleinen Kreuzer beschossen sein, der Kriegshafen soll brennen. Das wäre wohl ein Erfolg der Deutschen. Wie das Einmarschieren der Russen in Eydtkuhnen und das der Deutschen in Czenstochau zu bewerten ist, läßt sich noch gar nicht übersehen. Es wird erstmal zu allem Hurra gebrüllt. Rosenthal wollte wissen, daß der Louvre in Paris brenne. Ich glaub‘s nicht. Aber wie scheußlich schon, daß das möglich werden kann! D D Wasser-Prawda | Mai 2014 96 SPRACHRAUM AUGUST 1914: FREIWILLIGE VERLASSEN DEN FÜRTHER BAHNHOF. (...) Emmy sitzt wegen eines Diebstahls, begangen in Hannover an einem nächtlichen Besucher, in Untersuchungshaft am Neudeck. Becher und ich haben ihr den Dr. Kahn als Anwalt bestellt. Aber in der Kriegsaufregung denkt der wahrscheinlich sowenig wie ein anderer an seine Klienten. Nun war ich gestern bei ihr – in der Gitterzelle, wo ich vor Jahren Johannes Nohl besuchte, sprach ich sie. Ich hinter einer, sie hinter der anderen Gitterwand, und dazwischen die Wärterin – übrigens eine gutmütige, nette Frau. Die arme Emmy weinte entsetzlich, klammerte sich mit den Fingern in die Vergitterung und war unermeßlich unglücklich. Ich mußte ihr versprechen, an ihre Mutter zu depeschieren und alles zu versuchen, um sie freizukriegen. Nach etwa zehn Minuten war das Gespräch zu Ende. Ich blieb allein in der Zelle, und ehe ich hinausging, ließ ich den aufschießenden Tränen freien Wasser-Prawda | Mai 2014 Lauf. Wie gräßlich sind die Einrichtungen doch, um deren Erhaltung nun Hunderttausende kräftige, schöne, junge, frohe Menschen ihr Leben lassen! (...) Ganz schlimm ist Henri Bing dran, der, wie er mir heut erzählte, als Franzose schon zweimal fast gelyncht worden wäre. Er verramscht jetzt, um leben zu können, seine Bilder um zwanzig Mark. ›Jugend‹ und ›Simplicissimus‹ benehmen sich erdenklich schlecht gegen ihn. Da lebt er nun seit zehn Jahren hier, fühlt und denkt und spricht deutsch, arbeitet ständig an diesen Blättern mit, und jetzt, da er hilflos und bedrängt dasteht, lassen sie ihn im Stich. Der ›Simplicissimus‹, dies reiche Blatt, hat ihm ganze 50 Mark gegeben, die ›Jugend‹ gar nichts. Seiner Not gegenüber zuckt man die Achseln. Es ist schändlich. Die Post scheint ihren Betrieb ganz eingestellt zu haben. Ich höre und weiß nichts und SPRACHRAUM 97 ERSTER SOLD NACH DER MOBILMACHUNG (FOTO: BUNDESARCHIV/WIKIPEDIA) dabei soll man sich vielleicht gar noch freuen, daß die Befürchtungen unbegründet waren, die ein Telegramm hervorrief, das mittags angeschlagen war und ebenfalls vom offiziösen Wolff-Büro ausgegeben war. Danach hätten deutsche Soldaten einen kühnen Handstreich gegen Lüttich unternommen, der aber mißglückt wäre. Es hieß dann, im Ausland werde man eine große Niederlage der Deutschen daraus machen, aber mit Unrecht, da die Unternehmung für den Verlauf des Krieges ganz belanglos gewesen sei. Natürlich kombinierte jeder, daß sich die Deutschen eine große Schlappe geholt hätten, was nun bemäntelt werden sollte. »Gottlob« ist es anders, und es war ganz nützlich, daß die gute Botschaft gleich hinterherkam, da die moralische Wirkung einer Niederlage sicher die wäre, daß die Leute noch irrsinniger würden. So weit bin ACHT ZUM SONNABEND, d. 8. August 1914 ich nun glücklich, daß mich Siegestelegramme Lüttich ist von den Deutschen im Sturm beruhigen, während mich doch nie die Kritik erobert worden. Es heißt, es seien 600 deutsche verläßt, ein welcher Wahnsinn der Krieg ist, und Pioniere dabei umgekommen. Scheußlich. Und das Wissen, daß tatsächlich die Unfähigkeit der mache mir um Jenny schwere Sorgen. Dabei sind diese Tage gerade solche besonders herzlichen Gedenkens. Vor genau einem Jahr waren wir zuletzt zusammen, in Berlin bei Mutter Stern am Gendarmenmarkt. Das waren Tage – und Nächte! – Ach Jenny, wann werden wir das wieder miteinander erleben? Ich bin sehr traurig und will jetzt mal nach der lieben Frau sehn, die mir seit dreiviertel Jahren nun die Geliebte ersetzt – nach Zenzl Engler, die sich auch seit vier, fünf Tagen nicht mehr gezeigt hat und deren Mann vielleicht auch schon fort ist, um im Kriege Sanitätsdienste zu tun. (…) Vom Magistrat noch keine Antwort, und das Geld geht sehr auf die Neige. Eine Existenz muß ich schaffen, ohne dem Krieg zu helfen! N Wasser-Prawda | Mai 2014 98 SPRACHRAUM “DICKE BERTHA” BEI LÜTTICH. deutschen Diplomatie ihn heraufbeschworen hat. Wenigstens gab Deutschland den tieferen Grund für das fürchterliche Völkermorden, während Österreichs egoistisch-arrogante Rücksichtslosigkeit den äußeren Anlaß schuf. Die Redensart vom »bewaffneten Frieden«, das alte »si vis pacem para bellum« hat furchtbar Bankrott gemacht. Deutschlands Rüsterei, der unstillbare Ehrgeiz, die europäische Militärhegemonie zu sein, hat das Unglück verschuldet. (...) Nun ist also aus dem angeblichen Rachezug Österreichs gegen Serbien wegen der Ermordung des Thronfolgers, in Wahrheit ist es natürlich ein Unterdrückungskrieg gegen die großserbischen Bestrebungen, den die Nachbarmonarchie seit Jahren planmäßig vorbereitet hat – dieser Este [Fußnote] starb ihr sehr gelegen –, ein beispielloser Weltkrieg geworden. In knapp vierzehn Tagen sind die mitteleuropäischen Länder gezwungen worden, sich zugleich gegen Serbien, Rußland, Frankreich, Wasser-Prawda | Mai 2014 Belgien und England zu wehren, und die armen Soldaten, das heißt, das arme Volk muß die Suppe ausessen, die die Diplomaten ihm eingebrockt haben. Ich aber, der Antimilitarist, muß alle meinem Hoffnung dahin wenden, daß das Militär in Deutschland besser sei als die deutsche Staatskunst, sowenig ich den andern wünsche, was ich für die Unsern fürchte. Immer noch kein Brief von Lübeck oder von Jenny und auch keine Antwort vom Magistrat. Wie entsetzlich sind diese Zeiten für jeden Einzelnen! S ONNTAG, D. 9. AUGUST 1914 Eine Postkarte von Hardy, die gestern ankam und am 5. August in Berlin aufgegeben war, zeigt, daß der Postverkehr, wenn auch langsam, doch funktioniert. Um so bewegter warte ich auf Nachrichten, besonders von Jenny. Den letzten Brief schickte ich ihr offen nach Königsberg, postlagernd, mit dem Vermerk, daß er, falls er nach drei Tagen nicht abgeholt SPRACHRAUM 99 ZERSTÖRTE HÄUSER IN BATTICE BEI LÜTTICH. wäre, an mich zurückzuleiten sei. Kriege ich ihn wieder, dann schreibe ich an ihre Freundin, die Tochter des Sozialdemokraten Haase in Berlin. Vielleicht weiß die etwas. In der Zeitung stand heute, daß der Magistrat keine Leute mehr einstellt, da alle Posten besetzt seien. Nun will ich mich an die Geschäftsstelle des Vereins Münchner Apotheker um einen Gehilfenposten wenden. Man will doch schließlich existieren, und mit Literatur ist zur Zeit kein Geschäft zu machen. Die ›Jugend‹, mit der ich seit etwa einem Jahr wieder Verbindung habe, schickte mir einen Stoß Einsendungen zurück, offenbar wollen die Hosenscheißer meinen Namen jetzt doch wieder nicht drucken. – Der Gedanke, wieder Apothekendienst tun zu sollen, amüsiert mich eigentlich. Nach dreizehneinhalbjähriger Unterbrechung! Damals stopfte ich in der Stunde höchster Not und als mir eine gute Vertretung angeboten war, sämtliche Papiere in den Ofen und verbrannte sie, um die Brücken endgiltig hinter mir abzubrechen. Jetzt, wo ich als anerkannter Schriftsteller und bekannte Persönlichkeit provisorisch wieder den Pillenmörser zur Hand nehmen will, weiß ich, daß ich mir nichts mehr damit vergebe. Ich kann mir und ändern nützen – das ist entscheidend. (...) N ACHT ZUM DIENSTAG, D. 11. AUGUST 1914 (...) Bei uns ist jeder Autofahrer als Spion verdächtig. So hat man, was offiziell zugegeben wird, schon deutsche Offiziere in ihren Autos erschossen. Das Menschenleben ist gar nichts mehr wert. Man spricht, daß bei Lüttich 2400 Deutsche gefallen seien. »Nur« heißt es dabei. Heut bringen die Blätter eine Notiz, wonach gestern in München ein zwölfjähriger Junge, der auf ein Wärterhäuschen geklettert war, um die Verladung von Soldaten mit anzusehen, von einem Wächter heruntergeschossen und schwer verwundet wurde. Diese Notiz wird mit keiner Wasser-Prawda | Mai 2014 100 SPRACHRAUM SOLDATENFRIEDHOF AN DER OSTFRONT 1916. kritischen Bemerkung versehen. Es ist ganz selbstverständlich. (...) – In diesen Tagen erwartet man eine Riesenschlacht in Frankreich. Tausende werden dabei zugrunde gehen – vielleicht viele Freunde und Bekannte darunter. Trotzdem ist alle törichte Erwartung darauf gerichtet: Ginge es doch erst ordentlich los! (Um so eher wird‘s aufhören!?) Aber eines muß zugegeben werden. Die Zuversicht der Deutschen, ihre gläubige, starke Anteilnahme ist erschütternd, aber großartig. Es ist jetzt eine seelische Einheit vorhanden, die ich einmal für große Kulturdinge erhoffe. Was wird nur nach dem Krieg kommen? Ich fürchte sehr Böses. Ein schändlicher Materialismus wird um sich greifen und eine wüste Reaktion herbeiführen. Es ist Irrsinn, daß Leute wie Dehmel sich freiwillig gemeldet haben. Gerade diese Männer werden dann nötig sein, um den Geist zu verteidigen. Ich fürchte auch, daß eine einschneidende Spaltung der Geistigkeit Wasser-Prawda | Mai 2014 eintreten wird. Der George-Kreis [Fußnote] soll von wildem Patriotismus ergriffen sein. – Das fehlt nun gerade noch, daß unseresgleichen sich offen der Gegenpartei zuwenden! Ich sehe eine trübe Epoche voraus. (...) N ACHT ZUM DONNERSTAG, D. 13. AUGUST 1914 Die Nachrichten von deutschen Erfolgen häufen sich. Lüttich, Mülhausen, Lagarde: das klingt allen sehr vertrauenerweckend. Für den 15. ist eine große Schlacht prophezeit, vermutlich in der Gegend von Namur. Wer am meisten Menschen mordet, gewinnt. Die Menschenfreunde à tout prix hoffen wie jedermann, daß unsere Landsleute die meisten Menschen töten werden. Denn sonst würde das Elend grenzenlos: Alle Kultur, alle Gesittung, die Deutschland sich seit dem dreißigjährigen Kriege erarbeitet hat, stehe auf dem Spiel. Nicht zu reden von der materiellen Pleite. (Freilich: die andern?) S P R A C H R A U M 101 Bei mir ist die Pleite schon da, und ich sehe noch kein Ende ab. Von meinem Vater kam ein Brief (der eine geschlagene Woche unterwegs war). Natürlich denkt er nicht daran, mir aus der Misere zu helfen. Seine Papiere seien kolossal gefallen. (...) Aber er stellt mir gütigst anheim, zu ihm zu kommen, wo ich wohnen und leben kann (und Vorwürfe hören). Ich habe ihm geantwortet, daß, wenn ich das Reisegeld nach Lübeck hätte, ich schon nicht mehr dorthin zu reisen brauchte. Er möge mir die Beglaubigung über mein Gehilfenexamen von der Medizinalbehörde besorgen und herschicken. (...) Eben bin ich mit zwei Büchern herausgekommen, die nun natürlich kein Mensch kauft. Bei den ›Freivermählten‹ ist das ja zu verschmerzen, aber meine Gedichte, die Cassirer gerade in wirklich anständiger Aufmachung hat erscheinen lassen! Meine gesammelten Gedichte! Der Niederschlag meines besten Lebenswerkes, von dem ich soviel erhofft hatte! Wenigstens die äußere Anerkennung! Wenigstens die Bestätigung, daß ich in die vordere Reihe der gegenwärtigen Dichter gehöre! Und nun kommt, ehe sich noch ein Mensch um das Buch gekümmert hat, dieser schauerliche Krieg, und niemand wird das Buch lesen, niemand es erwähnen, niemand es empfehlen, niemand deswegen von mir reden! Gott meint es wohl redlich schlecht mit mir. S ONNABEND, D. 15. AUGUST 1914 Der ›Simpl‹ treibt‘s aber auch arg. Am Titelkopf das Eiserne Kreuz mit dem W. desselben Wilhelms, den das Blatt in allen Jahren seines Bestehens verhöhnt hat. Und immer der haltloseste Hurrapatriotismus, in dem sich Ludwig Thoma, der große Spötter, am lautesten jetzt hervortut. Diese Stimmung macht sich in allen Blättern breit, eine bramabarsierende Deutschtümelei, die protzig mit der deutschen Schlichtheit renommiert. Blätter vom Schlage der ›Münchner Zeitung‹ wären ohne weiteres fähig, derartige Furchtbarkeiten, wie sie in Belgien gegen Deutsche verübt wurden, gutzuheißen, wenn sie, von den Behörden ungehindert, hier gegen Fremde versucht würden. Auf die Idee, daß in Belgien ein Massenwahnsinn ausgebrochen ist, kommt hier niemand. Denn es will keiner glauben, daß die Leute, die dort so entsetzlich bestialisch gehaust haben, sicher gewöhnlich gute Menschen sind, denen gar nichts ferner liegt, als Wöchnerinnen zu töten und Säuglinge aus den Fenstern zu schleudern. Das sind die berühmten veredelnden Wirkungen des Krieges! Mein Geld ist ganz am Ende. Gestern half mir Lotte Pritzel noch mal mit zwei Mark auf die Beine. Was weiter wird, übersehe ich noch nicht. Aber ich habe wenigstens mein Mittagessen in der Pension. Bei vielen Künstlern und Schriftstellern ist ein Elend eingekehrt, das aller Beschreibung spottet und, da keine Hand sich helfend öffnet, die Not der Arbeitslosen in Friedenszeit weit in den Schatten stellt. (...) Halbe erzählte eine bezeichnende Geschichte. Er wurde auf die Redaktion der ›Neuesten Nachrichten‹ gebeten. Dort empfing ihn der Chefredakteur Mohr: Dr. Hirth wolle ihn sprechen, um von ihm Beiträge zu erbitten. Mohr bereitete Halbe vor: »Schmalz brauchen wir jetzt, Herr Doktor, viel Schmalz!« Als Halbe zu Hirth kam, stellte sich heraus, daß er gar nicht gemeint war und daß man von Heigel das »Schmalz« erwartete, das als öffentliche Meinung nun in der Tat mehr als reichlich verschmiert wird. Von Jenny kein Lebenszeichen. M ÜNCHEN, DIENSTAG, D. 18. August 1914 (...) Seltsam und unwirklich scheint einem manches, was man jetzt sieht, hört und erlebt. Gestern traf ich Lion Feuchtwanger, der in Tunis war, dort vor Ausbruch des Krieges verhaftet wurde, aus der Gefangenschaft auf ein italienisches Schiff entkam und unter vielen Strapazen und nach Verlust all seiner Manuskripte und seines Geldes hier eingetroffen ist. Einen Mitflüchtling holten die Franzosen von dem italienischen Schiff herunter und erschossen ihn vor Feuchtwangers Augen, der sich bei der Durchsuchung unter Seilen versteckt hatte. – Heut früh erhielt ich eine Zustellung vom Polizeipräsidenten, wonach alle Artikel über das Heer oder den Krieg vor Druck dem Kriegsministerium vorzulegen sind. Ich bin froh, daß ich den ›Kain‹ sistiert habe. Wer weiß, was man mir sonst für Scherereien machen würde, und wie lange ich frei herumliefe. (…) Wasser-Prawda | Mai 2014 102 SPRACHRAUM DIE VESTALIN NEN Eine Reise um die Erde. Abenteuer zu Wasser und zu Lande. Erzählt nach eigenen Erlebnissen. Band 1. Von Robert KraŌ 11. EIN AMERIKANISCHER DETEKTIV »Was, Georg, du kommst schon zurück?« fragte der breitschultrige Bootsmann des ›Blitz‹ einen jungen Burschen, der eben, eine Ledertasche um die Schultern gehängt, das Fallreep emporstieg. »Warum nicht?« entgegnete der Angeredete und wischte sich den Schweiß von dem sonnverbrannten, frischen Gesicht, nahm dann die bebänderte Mütze ab, sodaß scharf die Grenzlinie zu sehen war, bis wohin die sengende Sonne und stürmische Winde ihre Wirkung auf die Haut geäußert hatten, und trocknete mit dem Tuche das Futter der Mütze. »Warum nicht?« entgegnete er auf die verwunderte Frage des Bootsmannes. »Vom Hafen von Alexandrien bis zum Postgebäude ist es nicht so weit, und außerdem bin ich mit der Pferdebahn gefahren.« »Das sieht dir gar nicht ähnlich. Sonst schnüffelst du doch in jeder neuen Stadt alle Winkel aus und kannst dann erzählen, wo der beste Wein und das schönste Mädchen zu haben sind.« »Ja,« lachte Georg, »das kommt eben davon, wenn man sich einen Nachtwächter zum Vater ausgesucht hat. Das Spionieren vererbt sich. Aber heute war es mir doch etwas zu heiß dazu. Doch sag‘, Bootsmann, ist der Kapitän im Salon?« »Er wird in seinem Arbeitszimmer sein,« brummte der Bootsmann mürrisch, weil der sonst Wasser-Prawda | Mai 2014 immer Neuigkeiten vom Lande mitbringende Georg heute so karg mit denselben war. Der junge Matrose drehte nachdenklich den kleinen, schwarzen Schnurrbart, warf einen prüfenden Blick über das Deck, auf welchem die Mannschaft mit dem Putzen der Messing- und Eisenteile beschäftigt war, obgleich diese schon in der Sonne blitzten, und schritt dem inmitten des Schiffes stehenden Häuschen zu, in welchem sich die nach der Kajüte führende Treppe befand. Auf dem ›Blitz‹ schien militärische Ordnung zu herrschen, denn unten an der Treppe stand, wie am Fallreep, ein Posten. »Melde mich dem Kapitän, Hans!« sagte Georg zu diesem, ebenso wie vorhin zum Bootsmann deutsch sprechend, und der Mann verschwand in einer Thür. Es war wunderlich, mit welcher Aufmerksamkeit der junge Matrose mit der Brieftasche sich jetzt, als er für eine halbe Minute allein war, umsah. Blitzschnell ließ er seinen Blick durch den halbdunklen Gang schweifen, kein Gegenstand, keine Thür, nicht einmal die Schlösser schienen seinem durchdringenden Auge zu entgehen. Es war fast, als ob Georg, der doch auf dem ›Blitz‹ seine Heimat hatte, seit der stolze Bau zum ersten Male die Fluten des Oceans durchschnitten, hier ein Fremdling wäre. Die Thür öffnete sich wieder, und der Posten winkte Georg, hereinzukommen, während er S P R A C H R A U M 103 selbst seinen alten Platz an der Treppe einnahm. Ein Fremder hätte gestaunt über die prächtige Einrichtung dieses kleinen Gemaches. Obgleich kein Prunk, keine weichen Diwans und unnütze Luxusmöbel zu sehen waren, zeigte doch jeder kleinste Gegenstand die gediegenste Arbeit. Stühle und Tische waren von poliertem Nußbaumholz gefertigt, desgleichen die Bücherschränke und Sekretäre. Ueber dem großen Tisch in der Mitte, welcher mit offenen Atlanten und Büchern bedeckt war, hing ein überaus kostbarer Kronleuchter, dessen Lampen durch Elektrizität zum Leuchten gebracht werden konnten. Diese Kraft schien hier überhaupt eine große Rolle zu spielen. In allen Winkeln, vor jedem Schrank war eine Edison‘sche Glühlampe angebracht, während auf dem Schreibtisch ein kunstvoll gearbeiteter Telegraphenapparat und noch viele andere Instrumente von sonderbarer Konstruktion standen, die sämtlich, wie die von ihnen ablaufenden, grünen Drähte verrieten, durch Elektrizität bedient wurden. Vor dem Schreibtisch saß, eben einen Brief lesend, der Kapitän des ›Blitz‹, jener deutsche Ingenieur, dessen Bekanntschaft der freundliche Leser schon in Konstantinopel gemacht hat. Als er jetzt beim Eintritt der Briefordonnanz aufstand und seine Gestalt dehnte, um die vom Sitzen steifgewordenen Glieder wieder beweglich zu machen, kam in dem kleinen Raum seine mächtige, aber dennoch harmonisch schön gebaute Gestalt zur vollen Geltung. Man glaubte sich beim Anblick dieses Mannes mit dem gekräuselten Vollbart, dem vollen Haar, welches die durch das kleine, runde Fensterchen fallende Sonne goldig erstrahlen ließ, einem jener Helden gegenüber, wie sie uns die germanische Götterlehre zu schildern weiß. Dieses strahlende, blaue Auge schien geschaffen, das tiefste Geheimnis zu ergründen, aber es schien auch, obgleich jetzt gutmütig und sanft, befähigt, den verwegensten Feind durch bloßes Anschauen zu entwaffnen. »Nun, Georg,« sagte er freundlich, »hast du die Post nach meiner Beschreibung gleich gefunden?« »Natürlich,« antwortete der Gefragte selbstbewußt. »Wie können der Herr Kapitän daran zweifeln?« »Das ist es nicht,« meinte der Kapitän Felix Hoffmann, »ich machte mir wirklich Vorwürfe, dich so allein mit Briefen nach der Post geschickt zu haben.« »Wieso, Herr Kapitän?« »Es ist nicht mehr recht geheuer in den Hafenstädten, eine Spitzbubenbande scheint wieder ihr Wesen zu treiben, der die Polizei nicht gewachsen ist.« Die Briefordonnanz nickte unmerklich mit dem Kopfe. »Hast du Briefe mitgebracht?« »Einige,« entgegnete Georg und schüttete den Inhalt der Tasche auf den Tisch. »Aus Deutschland, Amerika, ich glaube, aus Mexiko, und ein paar von hier, doch wahrscheinlich Bitten, den ›Blitz‹ besichtigen zu dürfen.« Jede Briefordonnanz ist gewissermaßen eingeweiht in die Korrespondenz ihres Herrn, und Georg war es auf dem ›Blitz‹ mehr als irgend ein anderer. »Sonst etwas Neues?« fragte der Kapitän, während er gleichgiltig die Briefe durchflog und sortierte. »Ja, sehr viel,« sagte mit pfiffigem Lächeln Georg. »Ich machte vorhin die Bekanntschaft eines jungen Mannes, welcher durchaus an Bord des ›Blitz‹ kommen möchte.« »So, das möchten wohl noch mehrere. Aber das geht nicht, die Besatzung ist voll.« »Können Sie wirklich gar keinen mehr gebrauchen?« Herr Hoffmann warf einen prüfenden Blick auf den Frager. »Was soll dies, Georg? Hast du einen Bekannten getroffen, den du gern an Bord haben möchtest?« Georg blieb lange Zeit eine Antwort schuldig, während sich der Kapitän wieder in die Briefe vertiefte. »Es geht wirklich nicht, Georg, ich nehme keinen Fremden an Bord,« sagte letzterer dann nach einer Weile. »Auch nicht, wenn ihn Fräulein Johanna Lind empfohlen hat?« klang es etwas spöttisch zurück. Der Kapitän horchte auf; langsam drehte er das verwunderte Gesicht der Ordonnanz zu, sprang aber dann plötzlich mit allen Zeichen eines namenlosen Erstaunens auf. Was war denn das? Träumte oder wachte er? Das war doch nicht mehr sein Georg, die Ordonnanz? Weg war der Schnurrbart, die braune Gesichtsfarbe; die Stirn war höher geworden, selbst der Mund schien sich Wasser-Prawda | Mai 2014 104 SPRACHRAUM verändert zu haben; derselbe Mund war kleiner und die Lippen schmäler. Der vor ihm Stehende weidete sich mit sichtlichem Ergötzen an dem erstaunten Gesicht des Ingenieurs. Doch nur einige Sekunden hatte diesen die Ueberraschung übermannt, im nächsten Augenblick zog er die weiße Stirn in drohende Falten und sagte in ernstem Tone: »Was soll das? Sie sind nicht meine Ordonnanz! Wozu diese Maskerade, und wie kommen Sie als Fremder in den Anzug meines Burschen? Antwort, oder –« Der Ingenieur streckte langsam die Hand nach einem auf dem Tisch stehenden Apparat aus, die Augen fest auf den jetzt bartlosen, jungen Menschen gerichtet, der sich durchaus nicht aus der Fassung bringen ließ, sondern lächelnd entgegnete: »Hat Sie nicht Fräulein Lind davon benachrichtigt, daß sich Ihnen ein Herr vorstellen wird? Sie glaubte bestimmt, daß Sie ihr die Bitte nicht abschlagen würden, welche sie Ihnen vortrug.« »Ah,« sagte der Kapitän und zog die Hand zurück, »so sind Sie dieser Abgesandte? Dann ist es allerdings etwas anderes. Sie sind mir willkommen. Aber, erklären Sie mir, auf welche sonderbare Weise stellen Sie sich mir vor, und hier in Alexandrien, da ich Sie doch schon in Konstantinopel erwartet hatte?« »Diese Karte wird Sie etwas darüber aufklären,« antwortete der Fremde, immer lächelnd, zog eine Brieftasche hervor und reichte dem Wasser-Prawda | Mai 2014 Ingenieur eine Visitenkarte. »Nikolas Scharp,« las dieser, sann eine Sekunde lang nach und richtete dann seine Blicke mit unverkennbarer Überraschung auf den jungen Mann. »Wie,« fuhr er fort, »Sie sind Nick Scharp, der Detektiv, von dem man schon soviel gehört hat, den die Gaunerwelt das Chamäleon nennt, weil er in jeder Stunde ein anderes Aussehen annimmt?« »Ich habe die Ehre, mich Ihnen als Nick Scharp vorzustellen,« sagte der junge Mann einfach. »Das konnte ich allerdings nicht ahnen, es erklärt mir aber Ihre seltsame Einführung. Seien Sie mir herzlich willkommen! Bitte, setzen Sie S P R A C H R A U M 105 sich.« Der Ingenieur bot dem Fremden höflich einen Stuhl an, auf welchem dieser gemächlich mit übergeschlagenen Beinen Platz nahm. »Fräulein Lind schrieb Ihnen oder bat Sie vielmehr,« begann er, »da auch Sie nur auf einer Vergnügungsfahrt begriffen wären, die ›Vesta‹ zu begleiten. Die Gründe hat sie Ihnen jedenfalls auch mitgeteilt?« »Allerdings! Sie sagte, Miß Ellen Petersen – doch ich weiß nicht, ob ich davon sprechen darf,« unterbrach sich der Ingenieur. »Ich bin in den ganzen Plan eingeweiht und spielte von Anfang an die Hauptrolle,« entgegnete der Detektiv. »Doch nun kommt es darauf an, ob Sie gewillt sind, auf Fräulein Linds und auf meinen Vorschlag einzugehen, das heißt, der ›Vesta‹ zu folgen und mich an Bord Ihres Schiffes zu behalten, mir aber die völlige Freiheit über meine Handlungen zu gestatten, auch daß ich an Bord und von Bord gehen kann, wann ich will, kurz so, wie Ihnen Miß Lind schrieb.« »Gewiß bin ich damit einverstanden,« rief der Ingenieur, »es freut mich sogar ungemein, solch‘ einen ausgezeichneten Mann an Bord meines Schiffes zu haben. Außerdem ersuchte mich Johanna – Miß Lind, wollte ich sagen – den Ratschlägen des von ihr abgesandten Vertrauensmannes Gehör zu schenken. Tauchten mir hinsichtlich dieser Bitte anfangs Zweifel auf, so sind diese jetzt, seit ich weiß, daß dieser Herr Nick Scharp, der amerikanische Detektiv ist, völlig geschwunden. Ich erkenne Ihre Ueberlegenheit in verschiedenen Angelegenheiten an.« Der Detektiv verbeugte sich leicht. »Aber,« fuhr der Ingenieur fort, »wie kommt es, daß Sie mich nicht bereits in Konstantinopel aufsuchten, wie es ausgemacht war?« »Ich habe es doch gethan,« bemerkte lächelnd der Detektiv. »Aber nicht so, daß ich dessen bewußt wurde.« »Nein, allerdings nicht. Ich war jener Bootsführer, der Ihnen den Brief von Fräulein Lind brachte. Außerdem benutzte ich die Zeit in Konstantinopel, mich nach und nach mit dem gesamten Personal Ihres Schiffes bekannt zu machen und mir den brauchbarsten unter allen diesen tüchtigen Jungen herauszusuchen, den ich ab und zu verwenden werde, natürlich mit Ihrer Erlaubnis.« »Auf wen ist Ihre Wahl gefallen?« »Auf Georg, die Briefordonnanz.« »In der That, er ist ein intelligenter, treuer und zugleich pfiffiger Geselle, manchmal etwas zu neugierig. Doch à propos, wo steckt er denn jetzt?« »Er sitzt in meinem Hotelzimmer und raucht als Master Pollok meine Cigarren. Hoffentlich wird es ihm nicht unangenehm sein.« »Das wird ihm passen; so etwas Abenteuerliches ist nach seinem Geschmack. Und wie soll er wieder herkommen?« »Ganz auf dieselbe Weise. Ich gehe zu ihm als Ordonnanz, und er kommt als solche an Bord zurück, während ich als Master Pollok an Land bleibe.« »Wozu diese Vorsicht? Konnten Sie mich nicht in Ihrer eigentlichen Gestalt aufsuchen?« »Nein. Es war mir, als ob ich beobachtet würde, und wenn ich als Detektiv erkannt und gesehen worden wäre, daß ich auf den ›Blitz‹ gegangen bin, so hätte ich viele Mühe gehabt, meine Beobachter wieder auf eine falsche Spur zu bringen. Außerdem wollte ich Sie erst noch fragen, ob man sich auf Ihre Matrosen betreffs Verschwiegenheit verlassen kann, daß sie mir nicht einmal durch Schwatzen einen Streich spielen.« Der Ingenieur schüttelte energisch den Kopf. »Lernen Sie erst meine Besatzung kennen; jeder Mann ist treu wie Gold und verschwiegen wie das Grab.« »Sie haben sich ja eine wahre Musterkarte von Farben angelegt, ich kalkuliere, alle Nationen der Erde sind auf Ihrem Schiffe vertreten!« »Ja, es hat mir viele Mühe gekostet, ehe ich sie nach und nach zusammengebracht habe, aber ein jeder von ihnen ist auch ein Original, eine Spezialität in seinem Fache. Doch, bitte, sagen Sie mir, woher kennen Sie Fräulein Lind? Dieses Mädchen ist mir ein Rätsel. Die Besatzung der ›Vesta‹ soll aus den vornehmsten Damen Nordamerikas bestehen, und doch traf ich Fräulein Lind am Oberonsee, als –« »Herr Hoffmann,« unterbrach ihn der Detektiv rasch, »Ihnen hat Miß Lind also nicht selbst erzählt, wie dies kommt?« – »Nein.« – »Dann halte auch ich mich keinesfalls für berechtigt, über ihre Verhältnisse zu sprechen. Fühlen Sie sich durch diese meine Offenheit beleidigt?« Der Ingenieur schwieg eine Weile. Dann faßte Wasser-Prawda | Mai 2014 106 SPRACHRAUM Wasser-Prawda | Mai 2014 S P R A C H R A U M 107 er die Hand des ihm gegenüber Sitzenden und schüttelte sie herzlich. »Ein anderer würde es vielleicht thun,« sagte er in warmem Ton, »aber ich schätze einen solchen Charakter wie den Ihrigen, und freue mich, Sie auf meinem Schiffe zu wissen.« Der Amerikaner verbeugte sich dankend. »Nun zu Ihren anderen Fragen; ich wollte eher nach Alexandrien kommen, als Sie, um mich über diese Stadt und einiges andere vorher orientieren zu können, und schiffte mich deshalb auf einem Schnelldampfer ein. Zu meiner Verwunderung fand ich aber Ihr Schiff bereits hier liegen. Wie in aller Welt kommt das?« »Wenn Sie Ihre Geheimnisse haben,« meinte der Ingenieur lächelnd, »so lassen Sie mir auch die meinen. Sie werden noch schnell genug dahinterkommen.« »Hm, hm,« brummte der Detektiv nachdenklich. Er ließ seine Blicke über den Apparat auf dem Tisch und dann über den Fußboden schweifen, bückte sich und befühlte diesen. »Isoliert dieser Gummibezug gut gegen elektrische Schläge?« fragte er dann mit schlauem Lächeln. »Die Masse ist kein Gummi, sondern eine eigene Erfindung von mir,« antwortete der Ingenieur ausweichend. – »Hm, hm!« Der Detektiv drehte sich um, besah die Bordwand und klopfte mit dem gebogenen Finger daran. »Voll,« sagte er, »ist sie vielleicht manchmal hohl?« »Dort nicht,« war wieder die unbestimmte Antwort. – »Haben Sie schon von jenem Wunder gehört?« fragte der Detektiv, »welches seit einiger Zeit durch die Meere kreuzen soll? Man erzählt sich die unglaublichsten Dinge von ihm.« – »Mir ist nichts davon bewußt.« – »Kennen Sie Sir Charles Williams?« – »Nein.« – »Es ist einer der Herren an Bord des ›Amor‹. – »Ah so. Ich kenne einige der Herren dem Ansehen nach, aber fast keinen ihrer Namen.« »Es ist ein junger Mann von meiner Statur, kleiner blonder Schnurrbart, trägt einen Siegelring mit springendem Löwen, am vierten Vorderzahn auf Backbordseite fehlt rechts ein Stückchen.« »So genau habe ich mir wirklich noch keinen der Engländer angesehen,« lachte der Ingenieur. »Doch was ist mit diesem?« »Dieser Williams hatte gestern in einer italienischen Trattoria einige seiner Landsleute, alles Landratten, zusammengetrommelt, die er mit Wein traktierte, und welche dafür seine Abenteuer zur See mit anhören mußten. Als der ›Amor‹ durch den griechischen Archipel fuhr, erzählte er, hätten sie plötzlich ein Schiff gesehen, das mit furchtbarer Eile dahergekommen sei. Als eine Insel seinen Lauf gehemmt, hätte es plötzlich mit den Segeln wie mit Flügeln geschlagen und sei durch die Luft über das Eiland hinweggeflogen. Dann sei es direkt auf den ›Amor‹ zugefahren, kurz vor ihm ins Wasser getaucht und auf der anderen Seite wieder hochgekommen. Der Erzähler habe schnell eine Kanone nach ihm abgefeuert, aber die Kugel wäre wie durch Zauberei, kurz vor dem Ziel ins Wasser gefallen, und wenn diese Geschichte nicht wahr sei, dann wolle er, der Erzähler, nicht Sir Charles Williams heißen und kein Baronet von England sein.« Der Ingenieur lachte laut auf. »Dieser Engländer muß ja ein furchtbarer Aufschneider sein.« »Das ist er, aber sonst ein braver, tüchtiger Mensch.« »Nun sagen Sie mir, wie kommt es eigentlich, daß Sie nicht mehr im Dienste der amerikanischen Polizei stehen, sondern sich einem Privatmann zur Verfügung gestellt haben?« fragte der Ingenieur nach einer Pause. »Das kam folgendermaßen: Sie haben doch gewiß in den Zeitungen gelesen, wie ich einen unschuldig Verurteilten dadurch rettete, daß ich die Beweisführnng eines meiner Vorgesetzten glänzend widerlegte?« »Ich entsinne mich,« lachte der Ingenieur, »es war jene köstliche Geschichte, wo Sie, Nikolas Scharp, sich in San Franzisko unter Beisein einer großen Menschenmenge zur Bekräftigung Ihrer Behauptung, daß ein Gehängter sich selbst befreien könne, öffentlich aufhängen ließen.« – »Ja – ein Kniff, den ich einem Indianerstamme Südamerikas abgelauscht habe. Well, seit jener Zeit wurde ich fortgesetzt von meinen Vorgesetzten schikaniert, welche sich darüber ärgerten, daß ein Detektiv einen hohen Gerichtsbeamten so blamiert hatte. Ich war schon lange unwillig darüber, daß mir in allen meinen Unternehmungen die Hände gebunden wurden, daß ich Vorschriften bekam, deren Verkehrtheit klar zu Tage lag. Und endlich kündigte ich dem Staate meine Dienste. Trotz aller Wasser-Prawda | Mai 2014 108 SPRACHRAUM Versuche, mich zu halten, reiste ich nach NewYork, um meine Talente auf eigene Faust zu verwerten. Hier traf ich Lord Harrlington, den Kapitän des ›Amor‹, welcher mich für seine Absichten zu gewinnen wußte. Es galt, Miß Ellen Petersen, die Kapitänin der ›Vesta‹, während ihrer Fahrt um die Erde zu begleiten, um sie zu bewachen, das heißt, inkognito, ohne daß sie es wissen durfte. »Well,« fuhr der Detektiv in seiner Erzählung fort, »das hätte gar nicht besser in meine Pläne passen können. Der Lord stellte mir Mittel zur Verfügung, von denen mir die reichste Regierung nicht den zehnten Teil bewilligt hätte. Ich habe infolgedessen ein System zu Gebote stehen, mittels dessen es mir ein Leichtes ist, jederzeit zu erfahren, wo sich Miß Petersen befindet, was sie unternimmt, ja auch, wenn sie sich einmal, mit Respekt zu sagen, zu außergewöhnlicher Zeit die Nase putzt. So lange sich also meine Schutzbefohlene in Städten aufhält, ist sie wie in Engelshänden aufgehoben, und auf See oder in Wildnissen, wo meine Macht zum Teil aufhört, wird eben auf Ihren Beistand gerechnet, Herr Hoffmann.« Der Ingenieur nickte beistimmend. »Well, doch diese Beobachtung betreibe ich nur als Nebensache, hauptsächlich habe ich ein anderes Ziel im Auge. Wie Sie vorhin schon andeuteten, muß eine Bande von Verbrechern existieren, welche sich über alle Hafenstädte verbreitet, vielleicht sogar über die ganze Erde, und die sich gegenseitig in die Hände arbeitet. »Solche Schandthaten, wie das Verschwinden von einzelnen Personen, wie von ganzen Schiffsbesatzungen mehren sich in schrecklicher Weise, und die Polizei zeigt sich ihnen gegenüber ohnmächtig. Und warum? Weil sie die Sache nicht richtig anfaßt. Bei jedem neuen Verbrechen wird ein anderer Detektiv auf die Fährte gehetzt, und kommt dieser einmal zufällig auf eine richtige Spur, so darf er dieselbe nicht etwa weiter verfolgen, sonst gerät er ins Gehege eines Nebenbuhlers, der ihn vor Neid kaltmachen möchte. Das ist eben der Fehler, an dem alles scheitert. Ich aber werde der Sache auf den Grund kommen, ganz allein, auf eigene Faust.« »Wie wollen Sie dies anfangen?« fragte der aufmerksam zuhörende Ingenieur. »Well. Alle Fäden dieses verbrecherischen Gewebes müssen in irgend einer Hauptstadt zusammenlaufen, ich vermute in London oder Wasser-Prawda | Mai 2014 in New-York. Dort selbst kann ich nichts machen. Der Kerl, der alles dirigiert, ist ebenso, vielleicht noch schlauer als Nick Scharp, der doch auch nicht auf den Kopf gefallen ist. Nein, ich fange von den äußersten Enden der Fäden an und taste mich vorsichtig nach dem Centrum hin, alle mir unterwegs begegnenden Verbrechen übersehe ich, suche sie höchstens zu vereiteln, aber nicht etwa, wie alle meine Kollegen thun, die Uebelthäter festzunehmen und gegen eine Prämie auszuliefern; dadurch werden die Burschen nur kopfscheu gemacht, und ihre Aufmerksamkeit wird auf meine Person gelenkt. Vielmehr bemühe ich mich, selbst in die Bande einzutreten, und habe ich erst die in der Mitte des Netzes sitzende Spinne erreicht, dann zertrete ich ihr den Kopf, und dann ist es mir ein Leichtes, die ganze Sippschaft mit einem Male zu fangen.« »Wird es aber möglich sein, daß Sie, während Sie Miß Petersen bewachen sollen, sich selbst als Räuber zeigen lassen?« »Warum nicht? Sehen Sie einmal, wie schön das ist« fuhr der Detektiv mit scherzhaftem Ernst fort, »wenn ich mich dazu anwerben lasse, den Nick Scharp zu ermorden, und wenn ich mich dann selbst töte. Das ist nicht etwa eine Unmöglichkeit. Aehnliches habe ich schon anders gemacht. Durch mein Auftreten in der Maske verschiedener Personen bin ich dazu in stand gesetzt.« »Wie haben Sie sich eigentlich diese Talente zum Detektiv erworben?« fragte der Ingenieur lächelnd. »Angeboren,« war die lakonische Antwort. »Mein Vater hat in seiner Jugend lange in der Welt umhergeabenteuert, meist als Taschenspieler, heiratete dann eine Schauspielerin, uud diese, in meinem Vater Talente vermutend, lockte ihn auf die Bühne. In der That wurde er eine gefeierte Größe doch trat er unter dem Namen seiner Frau auf, aber ich schweife ab. Wir Kinder –« – »So haben Sie Geschwister?« »Ja,« antwortete der Detektiv kurz, »wir Kinder lernten von unserem Vater so nebenbei die Taschenspielerkniffe und hatten außerdem von unseren Eltern das Schauspielertalent ererbt. Mein Vater besaß eine wunderbare Kombinationsgabe, und da er bald merkte, daß auch ich eine solche Anlage besaß, gab er sich während aller seiner Freistunden mit mir ab, lehrte mich, wie man nach Systemen richtige S P R A C H R A U M 109 Schlüsse ziehen und wie man mit möglichen Erfolgen rechnen muß. Ich hatte darin bald meinen Vater übertroffen.« »Wie kamen Sie aber darauf, Detektiv zu werden?« »Well. Ich war ein unbändiger Junge, wollte gern zur See, aber meine Eltern ließen es nicht zu, weil sie aus mir einst etwas Großes zu machen hofften. So lief ich eines Tages davon, fiel aber einem Schornsteinfegermeister in die Hände, der mich zu sich in die Lehre nahm. Doch bald behagte mir das Klettern in den Schornsteinen nicht mehr, und ich lief bei der ersten Gelegenheit wieder davon, kam aber diesmal glücklicherweise auf ein Schiff. Einige Jahre fuhr ich als Matrose, bis ich in einem kleinen Hafen an der Westküste Südamerikas heimlich von Bord floh, um einmal mein Glück an Land zu versuchen. Ich abenteuerte umher, arbeitete bald dieses, bald jenes, aber das, wozu ich mich eignete, fand ich nicht. Da zerbrachen sich einmal die Herren Polizeidirektoren den Kopf über einen rätselhaften Mord, ich erfuhr von der Sache, erkundigte mich über die Einzelheiten, und das, was den Herren unklar blieb, erschien mir so hell wie Sonnenlicht. Ich ersuchte den Polizeipräfekten um eine Audienz, erhielt sie und – mein Glück war gemacht. Der Beamte gab damals zwar meine Weisheit für die seinige aus, aber ich wurde doch als Detektiv engagiert. Später wandte ich mich nach den Vereinigten Staaten, und hier wurde mein Name bald berühmt oder doch bekannt. »Alles das,« fuhr der Detektiv fort, »was ich einst von meinem Vater erlernt, die Taschenspielerkniffe, die Verstellungskunst und hauptsächlich ein System, nach welchem er mich Schlüsse zu ziehen gelehrt hatte, machten mich zum Detektiven wie geschaffen. »In kurzer Zeit hatte ich es so weit gebracht, daß ich schon wußte, was meine Kollegen erst ahnten, und daß ich die genauen Umstände kannte, ehe sie nur eine leise Vermutung besaßen. Das fortwährende Spekulieren und Kalkulieren ging mir in Fleisch und Blut über. Es ist merkwürdig, aber ich versichere Sie, ich kann schon auf einige Schritt riechen, ob ein Mensch ein Spitzbube ist oder nicht und zu welcher Klasse von Gaunern er zählt. So hat sich meine Spürnase im Laufe der Zeit ausgebildet. Und was meine Verstellungskunst anbetrifft,« schloß Nick Scharp lächelnd, »so weiß ich fast selbst nicht mehr, wie ich eigentlich aussehe. Der Spiegel zeigt mir immer ein neues Gesicht.« Er stand auf und hing sich die Brieftasche um. »Wohin wollen Sie jetzt?« »Mister Pollok, oder vielmehr Ihre Ordonnanz ablösen, der Bursche raucht sonst alle meine Cigarren auf.« »Und was haben Sie dann vor?« Der Detektiv war vor einen Spiegel getreten, zog ein Fläschchen aus der Tasche, befeuchtete sein Taschentuch und rieb sich damit im Gesicht herum. »Vorläufig muß ich heute abend noch ein Gespräch belauschen. Die Vestalinnen wollen übermorgen einen Ausflug nach Kairo unternehmen, um sich erst die Stadt zu besehen und dann weiter nach Süden gehen. Wenn ich mich nicht ganz täusche, so soll in Kairo gegen sie der zweite Streich geführt werden. Den Plan dazu muß ich erfahren, um Vorbereitungen zu seiner Vereitelung treffen zu können, wenn ihn die englischen Herren oder Sie nicht zu Schanden machen können; à propos, wissen Sie auch, daß Sie damals, als Sie die Herren in Konstantinopel zur Befreiung der drei Damen veranlaßten, mir einen Strich durch meine Rechnung machten?« »Ich? Nein! Wie soll ich?« »Ja, ich hatte etwas anderes vor, hoffte einen Schlupfwinkel der Schufte dadurch ausspionieren zu können. Doch davon heute abend noch! Geben Sie mir ein Stichwort, daß ich zu jeder Zeit der Nacht und unter jeder Verkleidung an Bord kommen kann.« Der Ingenieur überlegte. Dann sagte er: »Fragen Sie nach Kapitän Hoffherr, ich werde den Posten am Fallreep darüber instruieren.« »All right,« erwiderte der Detektiv am Spiegel mit plötzlich veränderter Stimme. Er wandte sich um, und der Ingenieur hätte schwören können, seine Ordonnanz Georg vor sich zu sehen, so täuschend wußte der Detektiv Aussehen, Stimme, Haltung und die kleinste Bewegung dieses Matrosen nachzuahmen. »In einer halben Stunde haben Sie Georg wieder,« sagte Nick Scharp, als er dem Ingenieur zum Abschied die Hand schüttelte. »Also bis heute abend.« Er schritt zur Thür hinaus. Wasser-Prawda | Mai 2014