WP 2014_07.indb - Wasser
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Nr. 7/2014 Johnny Winter (1944 -2014) Helden des Blues 1: Drink Small Die Wasser-Prawda unterstützt die Veröffentlichung der Biografie der Blueslegende von der Ostküste. • Bobby Womack - Emanuel Young - Aaron Burton • Interviews: Zakiya Hooker - Schorsch Hampel & Dr, Will • Live: Bob Dylan - Giant Sand • Album des Monats: Blind Willies - Every Day Is Judgment Day • Schwerpunkt 1. Weltkrieg: Stefan Zweig, Bilder vom Krieg von Hans Baluschek • Texte von Sonja Voß-Scharfenberg, Kai Pohl, Clemens Schittko 2 I N H A LT Anzeige Wasser-Prawda | Juli 2014 I N H A LT 3 INHALT JUNI 2014 3 5 6 Inhalt Editorial Auf Tour Musik 11 Johnny Winter (1944-2014) 14 Sein letztes Konzert 16 Hörempfehlungen 20 Bobby Womack (1944-2014) 22 German Blues Awards und German Blues Challenge 2014 24 Helden des Blues: Drink Small 27 All-Stars sind die neuen Stars 29 Emanuel Young: Old School Blues in Detroit 31 Aaron Burton: Wenn das Religion ist, dann schwöre ich, will ich keine 33 Howe Gelb: Lagerfeueratmosphäre a la Sonoran Desert 36 Bob Dylan In Rostock: Reife Leistung 39 Zakiya Hooker: Kleine Frau ganz groß 42 Die Lichtgestalten des Münchener Blues: Dr. Will und Schorsch Hampel 49 The Blues Brothers: Ein Kultfilm Entsteht Platten 57 58 60 61 77 Blind Willies - Every Day Is Judgment Day Die Redaktion Empfiehlt Trudy Lynn - Royal Oaks Blues Cafe Rezensionen A bis Z Wiederhören Wasser-Prawda | Juli 2014 4 EDITORIAL Feuilleton 80 UrlaubsSchmöker 82 85 86 87 Kai Pohl: Who is who Kai Pohl: Nach der Sinnflut Clemens Schittko: Im Lyrikamt Sonja Voß-Scharfenberg: Eisblumen (Auszüge) 90 Stefan Zweig: Die ersten Stunden des Krieges von 1914 101 Zwölf Bilder vom Krieg Fortsetzungsroman 114 Die Vestalinnen IMPRESSUM Die Wasser-Prawda ist ein Projekt des Computerservice Kaufeldt Greifswald. Das pdf-Magazin wird in Zusammenarbeit mit dem freiraum-verlag Greifswald veröffentlicht und erscheint in der Regel monatlich. Es wird kostenlos an die registrierten Leser des OnlineMagazins www.wasser-prawda.de verschickt. Wasser-Prawda Nr. 07/2014 Redaktionsschluss: 1. Juli 2014 129 Articles in English REDAKTION: Chefredakteur: Raimund Nitzsche (V.i.S.d.P.) Redaktion: Mario Bollinger, Bernd Kreikmann, Lüder Kriete, Matthias Schneider, Dave Watkins, Darren Weale Mitarbeiter dieser Ausgabe: Howard Glazer, Thilo Hornschild, Thomas Hunfeld, Iain Patience. Holger Schubert Die nächste Ausgabe erscheint am 21. August 2014. Adresse: Redaktion Wasser-Prawda c/o wirkstatt Gützkower Str. 83 17489 Greifswald Tel.: 03834/535664 [email protected] Anzeigenabteilung: [email protected] Wasser-Prawda | Juli 2014 EDITORIAL 5 EDITORIAL VON RAIMUND NITZSCHE geschrieben. Iain Patience war am 14. Juli bei Winters letztem Konzert in Frankreich. Und ich habe in einer langen Hörnacht mir nochmals die bemerkenswertesten Studioalben aus Winters langer Karriere aufgelegt und als Hörempfehlungen in zeitlicher Reihenfolge zusammengestellt. Es gibt Tage, vor denen man sich als Journalist fürchtet: Wie geht man mit dem Tod von Musikern um, die man seit Jahrzehnten verehrt, deren Musik man schon in der Jugend gehört hat? sondern von den Blind Willies aus Kalifornien. Denn wie diese Band um Songwriter Alexei Wajchman sich etwa solch schweren Themen wie der Judenvernichtung in Auschwitz widmen, ist absolut bemerkenswert. Auch wenn es wieder eine Menge großartiger neuer Bluesalben zu Außerdem gibt es in dieser Ausgabe entdecken gab: Damit konnte kein zwei Interviews und Konzertberichte, anderer Künstler mithalten. die im Rahmen des 25. Bluesfestes in Aus Zeitgründen fehlt in unserem Ingolstadt entstanden sind: Sprechen Heft der Blueskalender für den konnten wir dort mit Zakiya Hooker August. Diesen Monat werden wir und mit den Brüdern Schorsch in vier Wochen nachreichen. Hampel und Dr. Will aus München. Mit einem Beitrag über Drink Small Im Sprachraum können wir in starten wir eine Reihe über Helden diesem Monat mal wieder einige des Blues. Und auch Howard Glazers Vorabdrucke aus Büchern veröffentzweiter Bericht aus Detroit widmet lichen, die erst im Herbst auf dem sich einem solchen zu Unrecht unbe- Markt erscheinen. Die Beiträge von kannten Blues-Helden: Emanuel Kai Pohl und Clemens Schittko Young begann seine Karriere schon stammen aus dem Sammelband „my in den 50er Jahren und zählt bis degeneration. the very best of WHO heute zu den wichtigen traditionel- IS WHO“. Er erscheint ebenso wie die Erzählung „Eisblumen“ len Bluesmusikern der Stadt. von Sonja Voß-Scharfenberg im Wenn dieses Magazin erscheint, ist Greifswalder freiraum-verlag. die Abstimmung zu den German Für unseren Schwerpunkt zum Blues Awards und für das Finale 1. Weltkrieg haben wir diesmal der German Blues Challenge schon einen Ausschnitt aus „Die Welt wieder vorbei. Wer die Preisträger von gestern“ von Stefan Zweig sein werden, wird im September in und Kriegsbilder des Malers Hans Eutin verkündet. Baluschek ausgewählt. Eigentlich war die Juliausgabe unseres pdf-Magazins schon fertig und bereit für die Korrektur, als am 16. Juli Johnny Winter in einem Hotelzimmer in Zürich verstarb. Er war einer der ersten der Giganten des Blues, der unserem Magazin ein Interview gab. Und für den Herbst hatten wir uns erneut zu einem Gespräch verabredet zu seinem neuen Studioalbum „Step Back“, das ähnlich wie „Roots“ die musikalischen Wurzeln des texanischen Gitarristen mit einer Menge von Gästen feiern soll. Dazu wird es jetzt leider nicht mehr kommen. Innerhalb von wenigen Tagen hat der Kölner Gitarrist und Musikwissenschaftler Thilo Hornschild für uns einen Das Album des Monat stammt biografischen Artikel über Winter diesmal nicht von einer Bluesband Wasser-Prawda | Juli 2014 6 TERMINE Auf Tour 3 Dayz Whizkey 09.08. Pyras/Thalmaessing, Classic Rock Night 30.08. Hameln, Pflasterfest B.B. & The Blues Shacks 11.08. Steinheim-Kleinbottwar, Burg Schaubeck 12.08. Bonn, Jazz im Biergarten 16.08. Hohwacht, Blues Nacht Hohwacht 17.08. Hannover, Maschseefest 19.08. Aglientu, Summer Festival (I) 29.08. Bologna, Blues A Balues (I) 01.09. Binz, Duckstein-Festival 05.09. Lamspringe, Lamspringer September 06.09. Braunschweig, Magnifest 12.09. Lünen, Jazzclub 13. 09. Löhne, Werretalhalle 18. 09. Koblenz-Hüls, Cafe Hahn 19.09. Oberhaching, 6. Oberhachinger Boogieund Bluesnight Big Daddy Wilson 02.08. Clarus, Mittelödi (CH) 07.08. Carolles, Théâtre de la Plage (F) 30.08. Monheim, Klangweiden 05.09. Sins, Seiserkurve ( CH ) 06.09. Elmshorn, City Bluesnight Elmshorn 20.09. Boxmeer, Bluesfestival Blues Alive ( NL ) Blue Note Blues Band 02.08. Langwied/München, S‘Brückerl (Biergarten Blues 14 Uhr) 03.08. Höslwang, Vivarium (Blues Brunch 14 Uhr) 13.08. Berlin, Smilla 14.08. Berlin, White Trash 15.08 Heringsdorf, O‘ Man River 16.08. Zinnowitz, Hotel Baltic: 12 Uhr und 19 Uhr 17.08. Krummin, Pferdetränke (Insel Usedom) 18.08 Hamburg, Cotton Club Wasser-Prawda | Juni 2014 Cologne Blues Club 31.08. Stuttgart, LAB Festival 12.09. Kamen, Natursteinwerk Otto 19.09. Köln, Yard Club Die Croonies Schlager der 20er/30er 06.08. Neu-Ulm, Stadtpark 07.08. Tübingen, Sudhaus 14.09. Schwäbisch Gmünd, Landesgartenschau Engerling 15.08. Pudagla, Schloss 16.08. Klein Trebbow, Hofkonzerte 17.08. Gingst, Museumshof 22.08. Zickra, Kulturhof 23.08. Erfurt, Heiligen Mühle 29.08. Halle, Laternenfest 30.08. Magdeburg, Festung Mark Georg Schroeter & Marc Breitfelder 01.08. Heiligenhaus, Museum Abtsküche 02.08. Marburg, Spiegelslustturm 06.08. Hohwacht, Hohwachter Folk und Bluesfestival (feat. MayaMo & Miguel) 08.08. Pinneberg, Summer Jazz 18.08. Hohwacht, Seaside Lounge (mit Abi Wallenstein, Micha Maas & Henry Heggen) 19.08. Kiel, Kai City (Spirit of the Blues feat Abi Wallenstein) 28.08. Bredenbek, Festwiese 07.09. Molfsee, Thomaskirche Schulensee Greyhound George 01.08. Bielefeld, Neue Schmiede 08./09.08. Sulingen, Resonatorfestival 05.09. Hückeswagen, Kulturhaus Zach 06.09. Wuppertal, Bandfabrik (m. Andy Grünert) 20.09. Herford, Marienkirche 27.09. Gütersloh, A Tasca (m. Poor Howard Stith u. Andy Grünert) TERMINE 28.09. Herford, Musikschule Lenze (m.Poor Howard Stith u. Andy Grünert) Hamburg Blues Band 01.08. Gaildorf, Sommerfest 02.08. Erftstadt, zum Schwan 05.09. A-St. Veit an der Glan, Burgkulturfestival 06.09. Lehrte, Bluesfestival 12.09. Oldenburg, „Charlys“ 13.09. Aukrug, Tivoli Henning Pertiet 15.08. Verden, St Johannis Kirche [mit: Normen Schindowski (Didgeridoo)] 16.08. Templin, Kirche (Orgelimprovisationen ) 17.08. Berlin-Köpenick, Ratskeller (Boogie Session mit: Henry Heggen, Micha Maass, Frank Muschalle) 24.08. Wildeshausen, Rathaussaal (11 Uhr) 29./30.08. Isernhagen, Kulturkaffe Rautenkranz, 25 Jahre Blues & Boogie mit Henning Pertiet, Jean-Pierre Bertrand, Axel Zwingenberger, Martin Pyrker, Chris Conz u.a. Jay Ottaway Band 07. 08. Norderstedt, MusicStar 08. 08. Kappeln, PALETTE (Kehrwider 1) 09. 08. Havetoftloit/Torsballig, Land-Art (Nordscheide 4) 14. 08. Bamberg, 8. Tucher Blues- & Jazzfestival, Bühne am GABELMANN, Grüner Markt 15. 08. Bamberg, Live-Club (8. Tucher Blues- & Jazzfestival) 16. 08., Köln, TV-Terassen, Mielenforsterstr. 40 Jessy Martens & Jan Fischer‘s Blues Support (mit Jan Fischer - Piano / Ralf Böcker - Sax / Christian Kolf - Drums) 13.08. Celerina, Hotel Cresta Palace (CH) 14.08. Giswil, Kronegarten Open Air (CH) 16.08. Berlin, 20 Jahre Ratskeller Köpenick 29.08. Greven, Grevener Bluesfestival 7 Jimmy Reiter 02.08. Ibbenbüren, Heiß und Heftig 10.08. Garbsen, Blues Matinee 23.08. Biggesee Olpe, Riverboat Shuffle 28.08. Schmallenberg, Schmallenberger Woche 29.08. Bremen, Haus am Walde Marius Tilly Band 06.09. Kamen, Open-Air 19.09. Köln, Yard Club 26.09. Unna, Lindenbrauerei (CD-Release) Mike Seeber 01.08. Dieskau, Open Air 23.08. Bad Salzungen, Open Air Nick Moss Band 06.08. Bremen, Meisenfrei 07.08. Braunschweig, Barnaby‘s Blues Bar 08.08. Forst, Manitu 09.08. Hamburg, Downtown Bluesclub 10.08. Enschede, Nix en Meer (NL) Rad Gumbo 09.08. Großmehring Bluesfestival (mit Barbara Morisson) Reverend Rusty 11.10. Bräunlingen, Bregtäler 25.10. Runding, Robinson 31.10. Postbauer-Heng. KiSH 07.11. Haiming, Gewölbe 29.12. St. Gallen, Hotel Walhalla (CH) Royal Southern Brotherhood 05.09. Amsterdam, North Sea Jazz Club (NL) 06.09. Tegelen, Bluesrock Festival (NL) 07.09. Monaghan, Harvest Time Blues Festival (Irland) 08.09. Edinburgh, Jam House (UK) 10.09. Aschaffenburg, Colos-Saal Wasser-Prawda | Juni 2014 8 TERMINE 11.09. Dortmund, Piano 12.09. Berlin, Quasimodo 13.09. Hannover, Blues Garage 14.09. Nürnberg, Hirsch 15.09. Hamburg, Downtown Blues Club 16.09. Tampere, Tampere-Talo (Finnland) 17.09. 17.09. Göteburg, Nefertiti Club (S) 18.09. Malmö, KB (S) 19.09. Karlshamn, Bellevueparken Folkets Park (S) 20.09. Mandal, Blues Club (N) 22.09. Salzburg, Rockhouse (Au) 23.09. Bonn, Harmonie Schneider - Schwarznau 04.09. Gingst, Alte Post 05.09. Heringsdorf, O´Man-River 06.09. Feldberg, Abendsegler 28.09. Kahla, Frozen Dreams Speiches Monokel 30.08. Gehren, Rock im Wald Festival 13.09. Vollmershain, Open Air ( feat. Peter Schmidt / mit Henrik Freischlader Band/ iNUTERO u.v.a.m.) 20.09. Altdöbern, Schützenhaus (mit Peter Schmidt & Blues Rudi, Jürgen Kerth) 26.09. Affalter, Zur Linde (Engerling & Monokel) 27.09. Torgau, Kulturbastion The Double Vision 02.08. Dieskau, Open Air 16.08. Weimar, Weinhandlung Appenrodt & Hemer 23.08. Zons (Support Letz Zep) 13.09. Vollmershain, Open Air The Dynamite Daze 01.08. Meppen Stadtfest 02.08. Dieskau Open Air 10.08. Lampertheim Morgenjazz Wasser-Prawda | Juni 2014 16.08. CH-Hüntwangen Amphi Blues Festival 22.08 Eisfeld Woodstock Forever Festival 23.08. Laubach Blues Schmus Apfelmus 24.08. Saarbrücken Sonntags am Schloss 10h 24.08. Kaiserslautern, Vogelwoog (15 Uhr!) 29.08. Trebsen, Bluesnight im Rittergut 30./31.08. Chemnitz, Stadtfest 27.09. Baden Baden, Blues Open Air im Altersheim (Bluesclub) The German Blues Project 23.08. Bordesholm, Savoy 29.08. Aachen, Gute Hebescheid 31.08. Saarbrücken, Schlosshof Clubs Bischofsmühle Hildesheim 22.08. Summertime Blues Session 12.09. Jessy Martens & Band 19.09. 4some Blues 26.09. Caladh Nua Blues im Bahnhof Bahnhof Mannheim. Eintritt frei. 05.09. El Ville Blues Band 10.10. Black Cat Bone 07.11. Abi Wallenstein, Dave Goodman, Oliver Spanuth, Steve Baker Bluesgarage Hannover Isernhagen 12.09. Shurman 13.09. Royal Southern Brotherhood 19.09. Klaus „Major“ Heuser Band 20.09. The Clem Clempson Band feat. Chris Farlowe ChaBah Kandern TERMINE 18.08. Dr. Vielgut 24.08. Cherry Pickers Dixieland Band 17.09. Richard Bargel & Dead Slow Stampede Cotton Club Hamburg 31.07. Zydeco Annie & The Swamp Cats 04.08. Have Mercy Reunion 08.08. Magic Bus 11.08. Jo Bohnsack 18.08. Blue Note Blues Band 21.08. Stevie & The Hand Jive 23.08. Friedrich zur Heide, Jan Mohr, Torsten Zwingenberger 25.08. Blueswerft Downtown Bluesclub Hamburg 01.08. Meiselgeier 06.08. The Lost Gang 08.08. Second Life Blues Band 09.08. Nick Moss & Band 13.08. The Go Set 15.08. Eight-O-Five 22.08. Bad News Reunion 30.08. Rockhouse 31.08. Chris Farlowe 03.09. Herbert Hildebrandt 05.09. Mike Seeber Trio 07.09. Jan Mohr & The Backscratchers 10.09. Ben Granfelt 13.09. Blues Package 14.09. Rick Vito & The Lucky Devils 15.09. Royal Southern Brotherhood Extra Blues Bar Bielefeld 30.07. John Montague 28.08. Mary Broadcast Band 12.09. Richard Bargel 18.09. Johnny Rieger Kulturbastion Torgau 15.08. Axel Prahl & sein Inselorchester 9 30.08. Kat Baloun feat. Mr. Leino & Band 27.09. Speiches Monokel Blues Band 02.10. Patricia Vonne Kulturspeicher (Bergstraße, Ueckermünde) 01.08. Malena 22.08. Friedrich & Wiesenhütter 07.09. Strömkarlen Laboratorium Stuttgart 29.08.- 31.08. LAB-Festival 19.09. Los Santos 20.09. Andrea Marcelli Quartett Late Night Blues Loev Hotel Binz/Rügen 07.08. Have Mercy Reunion 26.09. Crazy Hambones Meisenfrei Bremen Hankenstr. 06.08. Nick Moss & Band 08.08. Stingrays 16.08. JJ - Big City Blues 30.08. Scrapyard Bluesgang/Blues Bureau 01.09. Little Caesar 05.09. Billbrook Bluesband Music Hall Worpswede 11.09. Delta Saints 12.09. Steve Westaway & Dave Goodman 19.09. Albert Hammond 20.09. Klaus „Major“ Heuser Band 25.09. Luka Bloom 26.09. Patricia Vonne Musiktheater Piano Dortmund 06.09. Monti Fiori Wasser-Prawda | Juni 2014 10 TERMINE 07.09. Biber Hermann 11.09. Royal Southern Brotherhood 14.09. Thorbjörn Risager & The Black Tornado Musiktheater Rex Bensheim 08.08. Morre 09.08. Gelbsucht 22.08. Just Pink 17.09. The Delta Saints 25.09. Rick Vito & The Lucky Devils 26.09. The Clem Clempson Band O‘ Man River Friedensstraß 27, Ostseebad Heringsdorf 01.08. Andreas Schirneck 05.08. Crazy Hambones (mit Chris Turner) 12.08. Peer Orxon 15.08. Blue Notes Blues Band 19.08. Bearded Rockling 22.08. Die Greenhorns 26.08. Tomasz Gaworek 29. 08. Peter Schmidt ( EBE ) 02.09. Hans Blues & Boogie 05.09. Schneider & Schwarznau 09.09. Eric Lenz Oneman Bluesband 12.09. Tim Eckert 16.09. Peter Schmidt ( EBE ) 19.09. Blue Tales 23.09. Richard Smerin 26.09. Captain Crab und Prince of Harp Savoy Bordesholm 23.08. The German Blues Project 16.09. Rick Vito 20.09. Inga Rumpf 26.09. Eva Jagun Tina Tandler Club Jazz und Blues in Zingst 14.08. Crazy Hambones (Museumshof) 28.08. Kat Baloun & The Tomi Leino Band (Museumshof) Wasser-Prawda | Juni 2014 27.09. Gypsy Gentlemen (Kurhaus) 18.10. Friedemann Benner (Kurhaus) 22.11. Black Patti (Kurhaus) 29. 12. BluesRudy, Peter Schmidt & Tina Tandler Topos Leverkusen 01.08.-03.08.: Streetlife 2014 14.08. Ryan McGarvey 15.08. Black Market III feat Scottie Blinn 20.08. Bastian Korn 28.08. The Sugarhills 29.08. The Real FUNKtion Yorkschlösschen Yorkstr. 15, Berlin 01.08. Chat Noir 06.08. Have Mercy 09.08. Slide Riders 10.08. Desney Bailey sings Billie Holiday 13.08. Kelvin Sholar Trio 15.08. Tanja Siebert Quartet 16.08. The Savoy Satellites 20.08 Niels von der Leyen Trio 21.08. Die Brausen 22.08. Anna Margolina Trio 24.08. Berlin Buskerteers 27.08. Kat Baloun & Friends 29.08. Ginger Fields Quartet 30.08. Helena & The Twilighters Biografie 11 J OHNNY W I N TE R (1944-2014 ) EIN NACHRUF VON THILO HORNSCHILD. Wasser-Prawda | Juli 2014 12 Biografie AM 17. JULI MACHTE MORGENS EINE NACHRICHT WIE EIN LAUFFEUER DIE RUNDE: JOHNNY WINTER SEI IN ZÜRICH AUF TOUR VERSTORBEN. ES DAUERTE NOCH EINE WEILE BIS DIESE TRAURIGE NACHRICHT BESTÄTIGT WERDEN KONNTE, AM FRÜHEN NACHMITTAG WAR ES DANN SOWEIT, DAS GERÜCHT – WENNGLEICH DIE URSACHE BISHER NOCH UNGEKLÄRT IST – WAR SERIOUS AS A HEARTATTACK. Auf Facebook meldeten sich allerhand Musiker zu Wort, von Buddy Guy über ZZ Top, die Allman Brothers bis Jimmie Vaughan: alle Großen hatten nur die wärmsten Worte für die Kunstfertigkeit Winters übrig. Greg Koch schrieb treffend, ob man denn nun wollte oder nicht, man ist als Bluesorientierter Gitarrist heutzutage unweigerlich von Johnny Winter beeinflusst. „Woodstock Rocker tot“. Zu lustig wenn man bedenkt wie wichtig es ihm 1969 war nicht mit dem Event in Verbindung gebracht zu werden und bitte nicht in dem Film zu erscheinen. Es könne schließlich seiner Reputation schaden. Dabei hätte man in Deutschland immer den Aufhänger das Essener Rockpalast Konzert von 1979 heranzuziehen das ihn unwiderruflich auf der europäischen Landkarte etablierte und seiner Musik frischen Aufwind gab. Meine persönlich Begegnung mit Johnny Winter hatte ich als Teenager in den mittleren bis späten 90er Jahren mit „Hey, Where‘s Your Brother?“. Die Pointblank-Alben gelten zwar – warum auch immer – als Karriereknick in Winters Vita, ich fand diese Platte allein schon des Openers immer grandios. Mit dem Refrain von Watsons „Johnny Guitar“ ist witzigerweise lediglich ein Aspekt des Superman Lovers erzählt, aber widerum beinahe die gesamte professionelle Lauf bahn Winters zusammengefasst: they call me Johnny Guitar, I‘ve come to play in your town. Schließlich war Winter nie ein besonders hervorstechender Lyriker oder feinsinniger Beobachter des Zeitgeists, nur bedingt Entertainer, und mit Verlaub kein Model. Nein, die Textzeile oben ist ziemlich genau sein Geschäftsmodell gewesen: you In der Deutschen Medienlandschaft want to eat, move your feet... eben sah es natürlich ein wenig anders ein bluesman durch und durch. aus... Spiegel Online intonierte To u r p l a n war zum Beipiel etwas in Richtung S e i n Wasser-Prawda | Juli 2014 wirklich beeindruckend und hat mit den bei ihm einhergehenden Begleiterschungen sicher den verhältnismäßig frühen Tod begünstigt. Seit er 15 Jahre alt war rauchte er Kette, noch bevor er 30 wurde er wie so viele amerikanische Musiker seiner Generation heroinabhängig, eine Abhängigkeit die weit in sein siebtes Lebensjahrzehnt hineinreichte. Aber das mit dem Karriereknick kann durchaus sein, folgten die oben erwähnten Pointblank-Alben den phänomenalen Bluesplatten auf Bruce Iglauers Alligator Records: „Guitar Slinger“ und „3rd Degree“. Es gab das Budget für die richtigen Begleitmusiker, wobei ich an der Stelle niemanden diskreditieren möchte, und Johnny Winter erhält die Gelegenheit sein immens tiefes Wissen voll auszuspielen. Denn in seinem Spiel fehlte jede Pragmatik, beziehungsweise so trocken er als Mensch gelegentlich daher kam, so on fire war sein Spiel. Die AlligatorAlben, besonders in Verbindung mit seinem mit Abstand erfolgreichsten Jahrzehnt, den 70er Jahren, sicherten ihm 1988 die Aufnahme in die Blues Foundation Hall of Fame. Fortan zog der Illustrated Man weiter seinen rigiden Tourplan durch, beziehungsweise wurde durchgezogen. Ein mehr als windiger Manager namens Teddy Slatus sorgte nämlich dafür dass Winter stets im Opiatnebel und on the road bleibt. Alles steuerte auf ein sehr viel früheres Ableben Winters zu… Enter Paul Nelson. Als neuer M a n a g e r, P r o d u z e nt u n d Biografie Bandmitglied half er Johnny Winter das mit dem Iodine im Kaffee mal sein zu lassen, schickte ihn durch ein Methadonprogramm, sorgte dafür dass Gibson Guitars ihn mal bitte endlich mit einer Signature Firebird würdigt, dass Sony Legacy das brilliante Album „Roots“ veröffentlichte und später das große karriereumfassende Boxset. Achja, besagter Teddy Slatus trank sich selbst relativ fix zu Grabe… Paul Nelsons immenser Einfluss auf Johnny Winters späte Karriere und wichtiger noch, sein Leben, zeigte doch so manche Parallele zu Winters Einfluß auf Muddy Waters in den Siebzigern. Als maßgeblicher Gitarrist seiner Touringband ist er auch als Produzent für die immensen Blues Sky/Sony Alben verantwortlich und schaff te es den milden oder müden McKinley Morganfield wieder hart zu machen. Zu diesen Platten ist nicht viel zu sagen, sie sind perfekt. Und so schaffte es das Team Nelson/ Winter wieder an den Start zu kommen. Die Stimme wurde wieder besser, die Gitarre war wieder sehr sehr dangerous. Johnny Winter war wieder auf dem Weg dahin ganz der Alte zu werden. Im sitzen zwar, aber wer will seinen Weg nochmal gehen? Früher in diesem Jahr wurde in New York eine große Geburtstagsfeier abgerissen, Gäste wie Popa Chubby und Mike Zito ließen sich nicht lange bitten. nicht gesehen habt. Nach einem Konzert kommt ein europäischer Gitarrenbauer in den Bus und möchte Herrn Winter eine maßgeschneiderte Ergänzung zu seinen Erlewine Lazers, Firebirds, Les Pauls, Gs, Flying Vs, Epiphone Wilshires, ganz zum Schluß Deans, und bestimmt noch mehr Firebirds schenken. Ausgepackt wird eine ungefähr Les Paul förmige E-Gitarre mit Resonator die sofort kommentiert wird: „Who would put a resonator on an electric guitar, doesn‘t make much sense...“ 13 „Please Come Home For Christmas“ großartig für die einen, alleine schon weil es ein verhältnismäßig spätes Duett mit Edgar ist. Die Rockpalast Fraktion feiert eventuell „Suzy Q“ ab. Ich persönlich schau mir oft die Session mit Dr. John an, wie die sich gegenseitig subtil antriggern, machmal auch zu foppen versuchen, ist genial. Aber Winter auf einzelne Songs zu reduzieren funktioniert einfach nicht. Man könnte aber zum Beispiel „Captured Live“, das halbe Livealbum von 1976 auflegen und a-hauf-dre-hen. Thilo Hornschild Eh der Fan verprellt sein kann, eilt Nelson dazu, bedankt sich höflich und verschenkt signierte Poster und Plektren... ich bin sicher besagte Gitarre wurde nie wieder angerührt. So treu er dem Blues blieb, selbst auf „Johnny Winter And...“, so erstaunlich ist dass er doch eher als Rocker wahrgenommen wird. Viele jüngere Leute nähern sich Winters 70er Jahre Phase aus der Hardrock- und Metalperspektive. Ich halte ihn für einen archteypischen Bluesgitarristen dessen erste Aufnahme „School Day Blues“ aus dem Jahre 1960 heute eigentlich ein Klassiker im Set eines jeden Rockabilly-DJs sein sollte. Ja, hatte er denn den großen Song Oben schrieb ich daß er wohl gele- der ihn in die kollektive Erinnerung gentlich trocken im Umgang sein von Millionen Musikliebhabern konnte. Dazu fällt mir noch eine hievte? Ehrlich gesagt nein. Sicher ist Anekdote ein die ihr vielleicht Thilo Hornschild studierte Musikwissenschaft, Anglistik und Amerikanistik in Bonn. Er ist Gitarrist der Kölner Bluesbands Cologne Blues Club und Köllefornia Stompers sowie der Rockabillyband The Silverettes. Er lebt und arbeitet in Köln. Wasser-Prawda | Juli 2014 14 Biografie Johnny Winter beim Cahors Blues Festival am 14. Juli 2014 (Foto: MJM Blues) DIE G E I S T E R WART E T E N S CH O N JOHNNY WINTERS LETZTES KONZERT. VON IAN PATIENCE Wasser-Prawda | Juli 2014 Biografie JOHNNY WINTER WAR EINFACH EINER DIESER MENSCHEN, DIE IMMER DICHT VORM TOD WAREN. EINE LEGENDÄRE FIGUR MIT EINEM LEGENDÄREN APPETIT AUF ALLES, WAS GEFÄHRLICH IST, SO LEBTE ER DAS LEBEN IN VOLLEN ZÜGEN. LEIDER WAR SEIN LETZTER AUFTRITT BEIM WUNDERBAR INTIMEN CAHORS BLUES FESTIVAL IN FRANKREICH EINE WENIGER WILDE, DAFÜR ABER ERGREIFENDE PERFORMANCE. DIE GEISTER WARTETEN SCHON AUF IHN. 15 zu sehen und den Zauber seines persönlichen Mojo zu fühlen. Trotz seiner offensichtlichen Freude, auf der Bühne zu sein und seine Gitarre wie ein Kind zu schlagen und zu sliden, erschien er die ganze Zeit wie ein Mensch auf der Grenze: eines Abgrundes, einer musikalischen Klipper, des Lebens selber. Er schaute müde aus, war deutlich bei schlechter Gesundheit. Das Problem für alle, die es beobachteten war: Was war daran neu? Auf vielerlei Weise ist es einfach, so einen Spruch zu sagen: Er war auf seinem letzten Weg. Hier war er traurigerweise wahhr. Bluesmusik ist vollgepackt mit großartigen Zeilen über den Tod, das Ableben, wie Bluesmen of euphemistischerweise sagen. Bei diesem letzten Auftritt Winters klopfte er ganz sicher an der Himmels - oder doch eher: Winter schielte in seiner üblichen Weise ins der Höllen-Tür. Publikum: Ein hingerissenes volles Haus, das Vielleicht war es da passend, dass sein letzter Auftritt den Mann und seine Musik verehrte. Er spielte an einem enorm wichtigen und symbolischen sich durch einen Katalog von herausfordern- Feiertag stattfand: Der 14. Juli ist der französische den rauen Emotionen und stilistischen Staccato- Nationalfeiertag, der Tag des Sturms auf die Bastie. Gitarrenläufen, er umwarb die Menge, zog Da wird die französische Unabhängigkeit gefeiert, erstaunliche Tricks aus seinem berühmten Hut die Stärke, die Befreiung und die Freiheit als solche. mit Gelassenheit - und leider zuweilen auch mit Eine Nacht, wo viele alles bis zum Exzess trieben: Schwierigkeiten. Trinken und Drogen, Sex, Rock&Roll, Blues, Winter hatte sichtbar mit der hohen Luftfeuchtigkeit Fanbewunderung, explosive Feuerwerke. Ein Tag und hohen Temperaturen von 34 Grad Celsius zu voller Festivitäten - so wie der 4. Juli auf Acid. kämpfen. Aber auch die Ansprüche des bewundern- Ich glaube, er hätte diesen Symbolismus und die den Publikums machten ihm zu schaffen. Seine Bedeutung gemocht. Immer natürlich vorausgeKoordination war manchmal wackelig. Aber das setzt, dass er bemerkt hat, wie es um ihn stand. war schon oft so gewesen und ist auch Teil seiner Nach mehreren stürmischen Zugaben, ging Johnny besondern Magie. Seine Stimme war wackelig und Winter das letzte Mal bis an die Grenze.* gedehnt. Aber nochmals: Was ist da neu dran? Der Mann war 70. Wie auch immer: für mehr als eine Stunde hielt er aus unter blitzenden Scheinwerfern und einer Backofenhitze fast ohne Sauerstoff auf seinen zitternden Füßen. Die Menschen vergaben ihm alles, sie waren glücklich, den Mann in Aktion * English version on page 130 Wasser-Prawda | Juli 2014 16 Biografie HÖREM P FE HLU NGE N Lange Jahre hatte Johnny Winter kaum einen Einfluss darauf, was unter seinem Namen veröffentlicht wurde. Ein Biograph meint gar, lediglich 15 Prozent der kommerziell vertriebenen Aufnahmen seien rechtmäßig veröffentlicht worden. Alles andere ginge auf Bootlegs und unautorisierte Wiederveröffentlichung von frühen Aufnahmen zurück. Bevor Winter bei Columbia unterschrieb, hatte er rund 30 Stücke für seinen Ex-Manager und Produzenten Roy Ames aufgenommen, die noch immer in ständig neuen Kombinationen auf den Markt geworfen werden. Bluesklassiker wie „Rollin‘ and Tumblin“, „Help Me“ oder „It‘s My Own Fault“. Im Studio wurde er begleitet von Schlagzeuger Uncle John Turner und Tommy Shannon am Bass. Second Winter Paar Monate nach „Johnny Winter“ legte Columbia gleich das nächste Album vor. „Second Winter“ erschien als Doppelalbum, bei dem lediglich drei Seiten bespielt waren. Musikalisch ist hier der Wandel hin zu den heftigeren Rocksounds zu beobachten: Stücke wie „Memory Pain“ gehen in psychedelische Richtung. Und bei Nummern wie „Johnny B Goode“ oder „I Hate Everybody“ lässt er den Rock & Roller heraushängen. Absoluter Höhepunkt - und bis zuletzt Teil seines Konzertprogramms ist seine Version von Dylans „Highway 61 Revisited“. Winter spielt auf dem Album nicht nur die Gitarre sondern greift zuweilen auch zur Mandoline. Edgar Winter spielt Keyboards, Orgel, Piano und ein wildes Saxophon während Turner und Shannon den passenden Groove liefern. Johnny Winter Nachdem Columbia sich in einem Bieterwettstreit mit der höchsten Vorauszahlung durchgesetzt hatte, wurde 1969 sein „offizielles“ Debüt auf den Markt gebracht. Auch hier steht natürlich das Trio mit Turner und Shannon ganz im Zentrum des Geschehens. Doch der rockende Texasblues wurde bei Bedarf mit The Progressive Blues ExpeBläsern, Background-Sängerinnen riment Die meisten Discografien Winters oder auch Keyboards erweitert. Im beginnen mit seinem 1969 bei Studio waren unter anderem Edgar Columbia veröffentlichten Debüt. Winter (keyb), Big Walter „Shakey“ Doch schon 1968 war bei einem Horton (mharm) und Willie Dixon kleinen Label dieses Album aufge- (b) dabei. Hightlights auf diesem nommen worden. Und hier kann Juwel von einem Bluesalbum sind man erstmals Winters Slide-Spiel „Be Careful With A Fool“ (B.B. bewundern: Noch völlig ohne King) und auch Winters eigene 1970 war es zunächst vorbei mit dem Ausflüge in den Rock der späte- Stücke „Leland Mississippi Blues eingespielten Trio aus der Frühzeit ren Tage spielt sich Winter durch und „I‘m Yours and I‘m Hers“. in Texas. Johnny Winter tat sich Wasser-Prawda | Juli 2014 Biografie mit Rick Derringer zusammen, der als Gitarrist und als Songwriter auf Alben wie „Johnny Winter And“ prägend wurde. Die Rockfans waren begeistert - und klar: trotz heftigem Hardrock sind Winters Blueswurzeln noch immer zu erkennen. 1974 noch „John Dawson Winter III“ und „Saints And Sinners“ auf den Markt, die musikalisch in die gleiche Richtung gingen: Rock & Roll Klassiker, heftig rockend dargeboten und wenige wirklich zu Herzen gehende Bluesnummern. Still Alive And Well Während der Zeit von Johnny Winter And wurde Winter heroinabhängig. Nachdem er sich in Behandlung begeben hatte und von der Sucht loskam, kam er 1973 mit dem auch als Statement zu verstehenden Album „Still Alive And Well“ zurück. Darauf werden die Blueswurzeln und der mit Derringer gespielte Hardrock vermischt. Und Winter greift auch wieder (wie in „Too Much Seconal“) zur Mandoline. Und Jeremy Steig sorgt mit seiner Flöte für klangliche Überraschungen. Höhepunkte auf dem absolut gelungenen Comebackalbum: Die Jagger/ Richards Nummer „Silver Train“, die wesentlich besser gelungen ist als das Original der Stones und „Rock and Roll“, dass Winter und Derringer gemeinsam mit Lou Reed geschrieben haben. Nach „Still Alive And Well“ kamen Nothing But The Blues Erst 1977 besann sich Johnny Winter wieder völlig auf seine Blueswurzeln. Für „Nothing But The Blues“ hat er sich als Begleitung die komplette Band von Muddy Waters ausgeborgt. Und Waters selbst singt auf dem letzten Song „Walking Th ru The Park“. Winter ist mit seinem Idol zusammen - und er hat den Blues wiedergefunden. Selten klang er auf einem Album derartig glücklich. Es gehört eindeutig zu den Alben, die man von ihm in seiner Sammlung haben muss! White Hot & Blue Auch der Nachfolger „White Hot & Blue“ ist noch feinster Chicagoblues. Nur dass hier nicht mehr die Band von Waters spielt sondern Freunde aus Texas. Und statt James Cotton kann man die Harp von Pat Ramsey hören. Edgar Winter ist wieder mit dabei und spielt das Piano bei „Nickel Blues“ ganz im Stile von 17 Pinetop Perkins. Und außer dass Winter „E-Z Rider“ von Taj Mahal nach den Stones klingen lässt, ist hier mehr Blues als alles andere zu hören. Man merkt, dass Winter von der Zusammenarbeit mit Muddy Waters noch sehr inspiriert war, mit dem er seit 1977 als Produzent zusammenarbeitete und ihm damit eines der größten Comebacks der Bluesgeschichte bescherte. Danach kam noch das ziemlich belanglose „Raisin Cain“, bevor Winter für einige Jahre nicht mehr ins Studio ging. Guitar Slinger 1984 erschien mit „Guitar Slinger“ das erste Album Johnny Winters für Alligator Records. Bruce Iglauer fungierte als Produzent. Winter wirkt ähnlich wie bei „Nothing But The Blues“ endlich wieder so, als sei er zu Hause in musikalischer Hinsicht: Er singt und spielt mit einer Intensität, die man zuletzt vermisst hatte. Er spielt wieder nur Blues und lässt all die Rock & Roll-Zutaten fort, die auf Raisin Can so banal rüberkamen. „Guitar Slinger“ ist ein wirklicher Neuanfang. Und auch auf „Serious Business“, dem zweiten Alligator-Album, setzt Wasser-Prawda | Juli 2014 18 Biografie er diese Schiene fort: Elektrischer Blues mit jeder Menge Energie aber ohne aufgesetzt wirkende Versuche, als nächster Jimi Hendrix zu erscheinen. Nein. spätestens jetzt ist Winter wirklich der größte weiße Bluesgitarrist seiner Generation geworden. 3rd Degree Mit dem dritten (und letzten) Album für Bruce Iglauers Alligator Records lieferte Winter eines seiner besten Alben überhaupt ab. Erstmals seit den frühen 70er Jahren kann man ihn hier wieder gemeinsam mit Tommy Shannon und Uncle John Turner hören: Hier klingt Winter wieder so jung und ungestüm wie damals auf „The Progressive Blues Experiment“. Bei anderen Stücken ist Dr. John an der Orgel oder dem Klavier zu erleben. Und Winter greift endlich wieder zur National Steel Gitarre in Bluessongs wie „Evil On My Mind“ und „Bad Girl Blues“: Auf „3rd Degree“ erleben wir Johnny Winter in all seiner Vielseitigkeit und Spielfreude. Ein Pflichtkauf! Warum Winter danach wieder einen Versuch machte, bei einem MajorLabel zu landen? Er hatte mit seinen Alben für Alligator seine Anhänger Wasser-Prawda | Juli 2014 unter den „echten“ Bluesfans gefunden. Und eigentlich niemand wollte von ihm neue Ausflüge in Richtung Mainstream hören. Als solchen muss man „The Winter of ´88“ betrachten, vielleicht gar als Versuch von Produzent Terry Manning, ein Stück vom Hitparadenerfolg von ZZ Top zu profitieren, die damals gerade mit der Einführung von Synthiesounds in ihren Boogie zur weltweiten Sensation geworden waren. Let Me In Neues Label - neue Rückbesinnung auf den Blues: Bei Point Black kam 1991 „Let Me In“ heraus. Hier zelebrierte Winter wieder seinen oftmals auf High-Speed getrimmten Blues und wurde dabei unter anderem von Dr. John und Billy Branch begleitet. Die Spielfreude des Albums ist ansteckend - und wenn Winter bei „Blue Mood“ gar anfängt jazzige Linien auf der Akustikgitarre zu spielen, ist auch noch für die notwendige Überraschung gesorgt. Hey, Where‘s Your Brother? Ein Jahr später veröffentlichte Point Blank dann ein Familientreffen: Im Studio kam es nach langer Zeit mal wieder zur Zusammenarbeit von Johnny und Edgar, der nicht nur Klavier spielt bei einigen Nummern sondern auch das Saxophon eingepackt hatte. Und bei „Please Come Home For Christmas“ singen die Brüder gar im Duett. Aber auch sonst ist das ein rundum gelungenes Bluesalbum. I‘m A Bluesman E i ne S e lb s t ver g e w i s s er u n g ? Eigentlich hätte sie Johnny Winter nicht nötig gehabt. Doch mit seinem neuen Manager, Freund und zweitem Gitarristen Paul Nelson ist Biografie es vielleicht doch gut, die neu gefundene Kraft und Spielfreude auf diese Weise zu zelebrieren. Winters Gitarre ist gut und schnell wie eh und je. Seiner Stimme allerdings hört man das Alter und die gesundheitlichen Probleme an. Und es sind auch nicht die elektrischen Nummern des Albums, die besonders zu Herzen gehen sondern das akustische „That Wouldn‘t Satisfy“, das einem am längsten in Erinnerung bleibt. Hier hört man den vom Leben gebeutelten Bluesman, der letztlich nur seine Musik hat, die ihm die Kraft zum Leben gibt. Roots Wenn man ehrlich ist, waren die großen Zeiten Johnny Winters im Plattenstudio nach „Let Me In“ eigentlich vorbei. Klar, die Fans warteten immer wieder auf neues Material. Und für „I‘m A Bluesman“ hatte Winter 2004 nochmals eine Grammy-Nominierung bekommen. Doch was 2011 unter dem Titel „Roots“ veröffentlicht wurde, war dann doch eine ziemlich gelungene Überraschung: Eine All-Star-Session und eine Lehrstunde zur Geschichte des Blues. Winter hat von Robert Johnson („Dust My Broom“) über T-Bone Walker (T-Bone Shuffle) und Chuck Berry („Maybellene“) bis hin zu Little Walter („Last Night“) und Jimmy Reed („Bright Lights, Big City“) einen Rückblick auf die Musik seiner Jugend zusammengestellt. Und dass er diese Sachen besser als die meisten weißen Gitarristen seiner Zeit spielen kann, ist bekannt. Spannend wird „Roots“ allerdings vor allem - und das kann man als Manko oder als Empfehlung sehen durch die Beiträge der Gastmusiker. Und hier ist die Riege länger als das Album selbst: So gibt Sonny Landreth dem T-Bone-Shuffle seine patentierten Slide-Sounds. Und John Popper lässt Little Walters Ballade „Last Night“ regelrecht erstrahlen. Auch Derek Trucks, Vince Gill oder Produzent Paul Nelson brauchen sich hinter Winters Gitarrenspiel nicht zu verstecken. Insgesamt hat sich Winter selbst für meinen Geschmack ein wenig zu sehr zurückgehalten und den Gästen die Chance gegeben, zu glänzen. Aber auch so ist „Roots“ ein mehr als erfreuliches Album geworden. True To The Blues. The Johnny Winter Story Eine so lange Karriere wirklich angemessen zu würdigen, ist selbst bei einem Boxset nicht wirklich einfach. Aber die Arbeit hat sich gelohnt. Denn hier wurden Aufnahmen von nicht weniger als 27 Alben zusammengesucht, die Winter für die verschiedensten Firmen veröffentlicht hatte im Laufe der Jahrzehnte. Und es werden sowohl Studioaufnahmen als auch eine große Zahl an Live-Mitschnitten versammelt, die Winters unvergleichliche Bühnenpräsenz und sein 19 teils atemberaubendes Gitarrenspiel eingefangen haben. Und das geht vom in Woodstock aufgenommenen „Leland Mississippi Blues“ über das Atlanta Pop Festival 1970 (mit drei bislang noch unveröffentlichten Stücken) bis hin zum 1993er 30th Anniversary Concert von Bob Dylan, wo Winter begleitet von Booker T & The MGs dessen Highway 61 Revisited elf Minuten lang zelebrierte. Auf den vier CDs hat man beide Seiten von Winter: den deftigen, ohne Bremsen und Sicherheitsgurt dahinrasenden Bluesrocker, aber auch den in sich gekehrten Bluesman auf der National Steel, man hört ihn gemeinsam mit Muddy Waters, Rick Derringer und Bruder Edgar ebenso wie mit Derek Trucks. Ja, es ist möglich, die ganze Vielfalt Johnny Winters in eine Box zu packen. Und man hat den Vorteil, dass von den zahlreichen schwächeren Alben, die im Laufe der Jahrzehnte auch veröffentlicht wurden, nur die guten Tracks hier Aufnahme gefunden haben. Wasser-Prawda | Juli 2014 20 Biografie BOBBY WOMACK ( 194 4 - 2 0 1 4 ) FÜR DEN SOMMER HATTE BOBBY WOMACK EINE TOUR DURCH EUROPA GEPLANT. DOCH AM 27. JUNI STARB DER SÄNGER UND SONGWRITER, BEI DEM VOR WENIGEN JAHREN Wasser-Prawda | Juli 2014 ALZHEIMER DIAGNOSTIZIERT WORDEN WAR. Als 2012 nach mehr als zehn Jahren wieder ein Album von Bobby Womack erschien, da jubelte man über eines der großen Comebacks der Soulmusik. Produziert von Damon Albarn, mit dem Womack schon bei den Gorillaz zusammengearbeitet hatte, war „The Bravest Man In The Universe“ keines der Retro-Soul-Werke, die man vielleicht erwarttet hätte. Die vom Leben und zahlreichen Biografie Schicksalsschlägen gezeichnete Stimme wurde kontrastiert von elektronischen Soundteppichen. Die Botschaft Womacks ist allerdings die Gleiche wie schon in den 70er und 80er Jahren: Liebe und Bereitschaft zur Vergebung sind die Kräfte, auf die es in der Welt ankommt. Man kann ihn getrost als Prediger begreifen wie etwa auch Marvin Gaye letztlich einer war und Al Green noch immer einer ist. In genau dieser Linie spielen seine Lieder auch im Jahre 2012. Da macht es überhaupt keinen Unterschied, ob da klassische Gospel wie „Deep River“ oder gegenwärtige Lieder wie „Dayglo Reflection“ erklingen. Geboren wurde Bobby Womack am 4. März 1944 als dritter von fünf Brüdern. Schon bald wurde den musikalischen Eltern das musikalische Talent ihrer Söhne deutlich. So gründete Vater Friendly schon in den 50er Jahren The Womack Brothers. Als deren erste Single „Buffalo Bill“ erschien, war Bobby gerade mal zehn Jahre alt. Sam Cooke entdeckte die Gruppe, als er selbst noch bei den Soul Stirrers sang und wurde zum Mentor der Jungen. Als Cooke dann seine eigene Plattenfirma SAR Records gegründet hatte, nahm er The Womack Brothers unter Vertrag. Unter dem neuen Namen The Valentinos produzierte er mit ihnen ihre erste Hitsingle „Looking for a Love“. Diesen Song hatten sie unter dem christlichen Text „„Couldn‘t Hear Nobody Pray“ schon mal für die Gospelfans aufgenommen. Jetzt bot der Hit die Möglichkeit, gemeinsam mit James Brown auf Tour zu gehen. Bis zum nächsten Hit dauerte es dann ein paar Jahre. Das von Bobby mitverfasste „It‘s All Over Now“ kam 1964 heraus. Allerdings wurde es bekannter durch die Version der Rolling Stones, die damit ihren ersten Nummer 1 Hit hatten. Bobby hatte 1963 begonnen, als Gitarrist mit Cooke auf Tour zu gehen. Auch spielte er seine Gitarre auf Alben wie „Night Beat“ oder „Ain‘t That Good News“. Für ihn und für die Valentinos kam es einem Schock gleich, als im Dezember 1964 Sam Cooke in einem Hotel in Los Angeles erschossen wurde. Vollends zum Stillstand gebracht wurde die Karriere der Valentinos allerdings, als Bobby nur wenige Monate nach Cookes Beerdigung dessen einige Jahre ältere Wittwe heiratete. Die Fans von Cooke vermuteten Abzocke bei Womack, der sich ursprünglich eigentlich nur um die verzweifelte Ehefrau hatte kümmern wollen. Doch sie überredete ihn zur Hochzeit und ließ ihn dabei sogar einen von Cookes Anzügen tragen. The Valentinos nahmen nach dem Ende von SAR einige Singles für Chess auf. Doch auch wenn die musikalische Qualität von Songs wie „I Found A True Love“ oder „Sweeter Than The Day Before“ völlig außer Frage stand, verkauften sich die Stücke nicht. Neben seiner Arbeit als Gitarrist für Ray Charles, Joe Tex oder Aretha Franklin war Womack längst zu einem der ganz wichtigen Songwriter des Soul gewurden. Unter anderem Wilson Pickett brachte seine Lieder 21 in die Hitparaden. Als Solist dauerte es für Womack ein wenig, bis er wieder in die Charts kam. Erst 1968 hatte er mit souligen Versionen von „California Dreaming“ und „Fly Me To The Moon“ wieder Erfolge. Daneben arbeitete er jetzt auch mit Sly and the Family Stone und Janis Joplin zusammen. Der große Erfolg kam dann ab 1972 mit Alben wie „Communication“, „Understanding“ und vor allem mit dem Sountrack zu „Across 110th Street“. Doch ab Mitte der 80er Jahre kam die Karriere vor allem durch Womacks Drogensucht fast zum Stillstand. Jedenfalls so lange, bis er für die Gorillaz „Stylo“ gemeinsam mit Mos Def einsang. Man hatte ihm gesagt, er könne hier alles singen, was ihm durch den Kopf ging. Und so hat er eine wilde Predigt über Liebe und Politik vom Stapel gelassen. Und gleichzeitig die Grundlagen für sein Comeback mit „The Bravest Man On Earth“ gelegt. Weitere Alben sollen in Vorbereitung gewesen sein, so etwa ein Bluesalbum, wo Zusammerarbeiten mit Stevie Wonder, Snoop Dogg und Rod Stewart geplant waren. Allerdings wurde er immer wieder durch gesundheitliche Probleme gebremst. Neben der AlzheimerErkrankung litt Womack in den letzten Jahren unter verschiedenen Krebserkrankungen und diversen anderen Krankheiten. Raimund Nitzsche. Foto: bobbywomack.com. Wasser-Prawda | Juli 2014 22 MUSIK GERMAN BLUES AWARDS UND GERMA N BLUES CHALLENGE 2014 DIE NOMINIERUNGEN VOM 1. BIS ZUM 31. JULI LIEF DIE ONLINEA B S T I M M U N G Ü B E R D I E PREISTRÄGER FÜR DIE DIESJÄHRIGEN GERMAN BLUES AWARDS UND DIE TEILNEHMER AM FINALE DER GERMAN BLUES CHALLENGER 2014, DAS AM 20. SEPTEMBER IN EUTIN STATTFINDEN WIRD. Vergeben werden die Preise in zehn Mike Seeber gewann die GBc 2013 Kategorien. Hinzu kommen noch Ehrenpreise, über deren Vergabe auch in Deutschland gibt es groß- ganz zu schweigen. Klar, dass der Baltic Blues e.V. als Träger artige Musikerinnen und Musiker, man diese regelmäßig unter den die mit ihrer Musik den Blues am Nominierten für Preise finden entscheidet. Leben halten und ihm ihre ganz kann. Aber unter den Vorschlägen, Über Wettbewerbe und Musikpreise eigene Stimme geben können. die rund 100 Journalisten, Musiker, kann man immer wieder treffVeranstalter und andere Fachleute lich streiten. Aber für mich ist das Bands wie B.B. & The Blues Shacks für die German Blues Awards in Sachen Blues eigentlich keine oder das Duo Schroeter/Breitfelder machen, kann man immer wieder Frage mehr: Jede Möglichkeit, den sind mittlerweile auch internati- auch Künstler entdecken, die bislang Blues in den Medien präsenter zu onal sehr erfolgreich. Von einem eher regional erfolgreich sind - die machen, sollte man nutzen. Denn Gitarristen wie Henrik Freischlader aber eigentlich so gut sind, dass man Wasser-Prawda | Juli 2014 MUSIK das schleunigst ändern sollte. So kann man auch in diesem Jahr wieder Greyhound George auf die Liste finden. Auch Christiane Uff holz ist als Sängerin bislang eher im Osten bekannt als überall, ebenso ein großartiger Harpspieler wie Bernd Kleinow. Und wer bitte jenseits der ostdeutschen Braunkohlereviere kennt den Club „Quetsche“ in Weißwasser? Und ein Festival wie das in Hamburg-Volksdorf könnte man als Lehrbeispiel dafür nehmen, wie man mit begrenzten Mitteln über Jahre hinweg ein immer wieder spannendes Programm gestalten kann. Die Entscheidungen für die Teilnehmer bei der German Blues Challenge ist vor allem auch eine über die Live-Qualitäten der Bands oder Musiker: Wie schaffen sie es, in begrenter Zeit vor einer Jury ihre Musik so zu präsentieren, dass es die Leute von den Hockern reisst? Von folgenden zehn Bands werden fünf am 20. September in Eutin um den Sieg kämpfen - und damit um die Chance, als deutsche Vertreter bei der European Blues Challenge und auch der International Blues Challenge in Memphis zu spielen: • Aufstand Alter Männer • Bernd Rinser - RootsRock • Dynamite Daze • It´s M.E. • Jessy Martens Band • Joris Hering Blues Band • Kai Strauss Band • Marius Tilly Band • Schwarzbrenner • Willi Lohmann Kapelle Hier die Liste der Nominierten in sämtlichen Kategorien für die German Blues Awards: • • • • • Kategorie Band BB & The Blueshacks Henrik Freischlader Band Jessy Martens Band Jimmy Reiter Band Kai Strauss Band • • • Kategorie Solo/Duo Abi Wallenstein Georg Schroeter & Marc Breitfelder Greyhound George Ignaz Netzer & Thomas Scheytt Postel & Pötsch • • • • • Kategorie Gitarre Andreas Arlt Hendrik Freischlader Jan Hirte Richie Arndt Timo Gross • • Kategorie Mundharmonika • Adam Sikora • Bernd Kleinow • Chris Kramer • Dieter Kropp • Marc Breitfelder Kategorie Instrument, sonstige • Henning Hauerken, Bass • Mo Fuhrhop, Hammond • Oliver Kraus, Akkordeon • Thomas Feldmann, Saxophon • Tommy Schneller, Saxophon 23 Kategorie Gesang weiblich • Alegra Weng • Christiane Ufholz • Jessy Martens • Martina Maschke • Nina T. Davis • • • • • • • • • • • • • • • Kategorie Tonträger Chicago Blues - Chris Kramer For In My Way It Lies - Jesper Munk Hanging By A Thread - Cologne Blues Club Landmarks - Timo Gross Night Train to Budapest Henrik Freischlader Kategorie Club B a r n a b y s B l u e s B a r, Braunschweig Downtown Bluesclub, Hamburg Harmonie, Bonn Meisenfrei, Bremen Quetsche, Weißwasser Kategorie Festival Blues in Lehrte, Lehrte Blues Schmus Apfelmus, Laubach Gaildorf Blues Festival, Gaildorf Grol sc h Blue s Fe st iva l, Schöppingen Volksdorfer Blues Festival, Hamburg Kategorie Gesang männlich • Abi Wallenstein • Dr. Will • Kai Strauss • Michael Arlt • Todor Todorovic Wasser-Prawda | Juli 2014 24 MUSIK HELDEN DES BLUES: DRINK SMA LL VON BERND KREIKMANN UND GAIL WILSON GIARRATANO Wir haben uns vorgenommen, in unregelmäßigen Zeitabständen diejenigen Frauen und Männer vorzustellen, die bei uns nicht oder kaum bekannt sind, aber einen erheblichen Beitrag zum Blues und seiner Entwicklung geleistet haben und/oder dies noch immer tun. Es sind herausragende Künstler die wir vorstellen werden. Einige von ihnen sind nicht über ihre topographischen Grenzen hinausgekommen, viele haben nicht die notwendige Marketingunterstützung erhalten, manche sind als „Künstler der Künstler“ bekannt geworden. Das ist eine nette Umschreibung dafür, daß sie hervorragende Musiker sind, bei denen die „Großen“ gern und regelmäßig vorbeikommen um sich etwas abzuschauen und dazuzulernen – der wirtschaftliche Erfolg und die breite Anerkennung allerdings ausbleiben. Wir wollten die Reihe mit der großartigen Trudy Lynn beginnen, haben uns aus aktuellem Anlaß dann aber doch dazu entschlossen, daß die South-Carolina Legende Drink Small als Opener auftritt. Richtig gehört: DRINK SMALL, mit anderen Worten – Trink wenig. Das ist sein Name. Wie der entstanden ist, werden wir noch herausfinden. Seinen Beinamen <Blues Doctor> erklärt Lesley Williams in der von der großartigen Gail Wilson Giarratano geschriebenen und weiter unten zu lesenden Drink Small Biographie. Elfi, die mit Drink Small eine sehr enge Freundschaft pflegt und in deren Club er heute noch regelmäßig auftritt, wird über gemeinsame Erlebnisse berichten und weitere Photos beifügen. Drink Small hat ein derart interessantes und abwechslungsreiches Leben geführt, daß ihn seine Freunde gedrängt haben, seine Biographie zu schreiben. Gail Wilson Giarratano hat ihn hierbei unterstützt und das Wasser-Prawda | Juli 2014 Buch geschrieben. Es soll jetzt zunächst in einer 500er Hard-Copy-Auflage erscheinen und wie üblich ist die Frage der Finanzierung zu klären. Gail hat hierzu ein Kickstarter-Projekt angeschoben, das seit wenigen Tagen im Netz zu finden ist. Man kann sich mit einer Spende beteiligen, wie bei Kickstarter üblich, gibt es für bestimmte Beträge die Zusage einer Gegenleistung. Die Einzelheiten sind der Projektbeschreibung zu entnehmen, die Risiken bei Kickstarterprojekten sind nachlesbar. Drink Smalls Biographie: Drink Small wurde 1933 in Bishop SC geboren. Als Kind lernte er das Orgelspiel (zu Hause) und baute sich seine erste Gitarre mit Stahlseilen, die er aus dem Inneren eines alten Autoreifens schnitt. In der Highschool trat er in den Chor ein und gründete bald seine eigene Gospel Gruppe. Als Teenager verbrachte er seine Zeit mit Highschool Gruppen, spielte Klavier und sang im Baptist Church Chor. An den Wochenenden spielte er Bluesmusik auf Parties. 1955 schloss er sich der Gospelgruppe Spiritualaires an, der er bis 1959 angehörte. Er spielte diverse Alben mit ihnen ein und sammelte Tour-Erfahrungen. Nach der Auflösung der Gruppe begann Small mit dem Aufbau seiner eigenen Karriere als Bluesmusiker und spielte erste eigene Aufnahmen ein. Er trat überwiegend auf College-Veranstaltungen auf und entwickelte in dieser Zeit sein Repertoire, seinen Stil und festigte seine Bühnenpräsenz. Das Beherrschen verschiedener Stile des Blues und bluesbasierter Musik trugen ihm den Beinamen „Blues Doctor“ ein. Die Kulturwissenschaftlerin Lesley Williams schreibt in ihren Liner Notes zum Album „Drink Small, Does MUSIK 25 Wasser-Prawda | Juli 2014 26 MUSIK it all“: Small became „a practitioner who would minister to his audience, the Blues Patients. … Diagnosing their particular ailment. Then, selecting from ingredients that include Blues in its many forms – Piedmont, Delta, Chicago, Boogie-Woogie – he can concoct just the right prescription.“ In den letzten vier Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts und bis heute tourte Klein durch Clubs in USA und Europa, spielte auf Festivals und bei verschiedenen Events. Drei Mal trat er beim New Orleans Jazz and Heritage Festival auf, zwei Mal beim King Biscuit Blues Festival, beim Chicago Blues- und Mississippi-ValleyBlues-Festival (hinzu kommen: Smithsonian Folklife Festival, Port Townsend Washington Acoustic Blues Festival, Border Festival in El Paso, Wolftrap Farms, Weltausstellung in Knoxville TN, Lincoln Center, Central Park sowie zahlreiche Stadtfeste, Nachtclubs Wasser-Prawda | Juli 2014 und kleinere Clubs). Small nahm für die Labels wie Ichiban, Mapleshade, Sharp und Erwin auf. Stilistisch bewegt er sich im Blues-, Soul und Funk Genre. Es liegen Alben mit Cover Songs und Eigenmaterial vor. In letzteren verarbeitet er Erlebnisse und Erfahrungen aus seinem Leben in South-Carolina. Sein Album „The Blues Doctor“ wurde 1986 für einen W.C. Handy Award nominiert. 1990 erhielt Small für seine herausragende Rolle bei der Erhaltung des Piedmont Blues den South Carolina Folk Heritage Award und wurde in die South Carolina Hall of Fame aufgenommen. 2003 nahm er dann sein bislang letztes Album mit Piedmont Blues und klaviergestützten Gospel Songs auf. Es verbindet Blues und Gospel mit Smalls eigenen Stil. Gail Wilson Giarratano MUSIK 27 King Size Slim oder doch lieber eine All Star Revue? ALL-STARS SIND DIE NEUEN STARS DARREN WEALE’S 9. BRIEF AUS DEM VEREINIGTEN KÖNIGREICH auszugehen und live gespielt die Musik zu hören, mit denen man aufgewachsen ist. Das ist oftmals ziemlich gut, wenn die originalen Künstler nicht auf Tour oder ihre Karten zu teuer sind. Oder auch wenn man sie Was für Bands gehören live zu den beliebtesten? Im niemals mehr live erleben kann, weil sie schon gestorVereinigten Königreich zumindest sind das Tribute- oder ben sind. Cover-Bands. Gruppen also, die den Leuten erlauben, Das ist verständlich, macht es aber für neue, eigenständige Acts schwierig. Um die alten, eigenständigen * Article in English on page 134. WELCOME TO THE LETTER FROM THE UNITED KINGDOM!* Wasser-Prawda | Juli 2014 28 MUSIK Acts mal gar nicht zu erwähnen! Beide Arten von Künstlern machen großartige neue Musik, bekommen aber nicht das Publikum, dass sie verdienen. Wie viele Generationen von Fans haben so schon verpasst, die nächsten Rolling Stones zu entdecken, die nächsten The Who, den nächsten B.B. King - eben weil sie lieber losgehen und das immer gleiche Alte anschauen? Zu viele. So müssen in Großbritannien Musiker wie Albany Down, Andy Twyman, Kingsize Slime, Zoot Money‘s Big Roll Band oder The Downliners Sect vor kleinem Publikum in kleinen Läden spielen. Viele von ihnen haben wildes aber auch altes Talent, andere sind leuchtende neue Hoffnungen für den Blues. Aber die Coverbands machen mehr Geld und werden von mehr Leuten gesehen. Ist das nicht seltsam? Von dem was ich höre ist es auch in den USA nicht viel anders. Und so können wir Acts wie Moreland & Arbuckle oder Michael Katon hier im Vereinigten Königreich (und auch in Deutschland) erleben, wie sie ihre Brillanz präsentieren. Was machen also eigenständige Bands und Musiker, um mit dem Problem umzugehen? Eine Route, die zur Zeit vielbefahren scheint, ist die Gründung von Super-Groups oder All-Star-Bands. Royal Southern Brotherhood ist schon als Super-Group beschrieben worden, weil ein Sohn von Greg Allman, einer der Neville Brothers und altgediente Musiker wie Mike Zito dazu gehörten. Eine Super-Group? Ich bin mir nicht sicher. Aber einiges von ihrer Musik ist tatsächlich super. Und dann gibt es da die All Stars. Nicht immer bestehen sie aus geläufigen Namen, doch oft gehören zu ihnen einige ernstzunehmende Musiker mit einer beeindruckenden Geschichte. Bei The City Boys Allstars in New York spielen ‚Blue‘ Lou Marini und Tom ‚Bones‘ Malone von der Blues Brothers Band neben Schwergewichten aus Soul und Jazz wie Angel Rissoff und Tony Kadleck in dem 13köpfigen Line-Up. Dann gibt es im Vereinigten Königreich The John O‘Leary/ Alan Glen Allstar Blues Revue, deren Frontleute zeitweise bei Savoy Brown oder den Yardbirds gespielt haben. Letztens hat auch der Bruder von Jool‘s Holland, Chris die Chris Holland All-Star-Band gestartet. Und wiederum gibt es darin Musiker mit beeindruckender Herkunft. Eine andere neue Band aus den Staaten Wasser-Prawda | Juli 2014 ist The Original Legends of the Blues, zu der James ‚Boogaloo‘ Bolden gehört, der 34 Jahre lang die Band von B. B. King geleitet hat. Auch Gitarrist Charlie Dennis hat lange bei King gespielt. Wirklich ein ganz ernstzunehmendes Talent. Weißt Du, was großartig sein kann bei diesen neuen (und alten) All-Star und Super-Gruppen? Klar: Sie spielen bei ihren Auftritten Coverversionen. Aber die meisten von ihnen spielen ihre eigene, neue und eigenständige Musik. Ist das nicht gleichzeitig ironisch und wundervoll? BE PROSPEROUS AND ENJOY YOUR LIVE MUSIC AND ALL THAT IS GERMAN! LINKS Alistair Cooke - www.bbc.co.uk/programmes/ b00f6hbp Original Legends of the Blues - http://originallegendsoftheblues.com/ John O’Leary/Alan Glen Allstar Blues Revue http://www.thebarcodes.co.uk/Pages-Barcodes/ AllstarsRevue.html City Boys Allstars - http://cityboysmike.com/ Royal Southern Brotherhood - http://www.royalsouthernbrotherhood.com/ Andy Twyman - http://andytwyman.com/ Kingsize Slim - http://www.kingsizeslim.com Albany Down - http://www.albanydown.com/ Michael Katon - http://www.katon.com Moreland & Arbuckle - http://www.morelandarbuckle.com/ Laura Holland Band - http://www.laurahollandband. co.uk/ MUSIK 29 Emanuel Young & Howard Glazer EMAN U E L YO U N G : O L D S C HOOL B L U E S I N D E TR O I T HOWARD GLAZER: BLUES, VIEWS & NEWS FROM DETROIT #2 HALLO AUS DETROIT! IN DIESEM MONAT MÖCHTE ICH EUCH EINEN SCHATZ AUS DETROIT VORSTELLEN, DEN GITARRISTEN EMANUEL YOUNG. YOUNG IST 75 JAHRE ALT, ABER NOCH IMMER ERFOLGREICH! ER SINGT UND SPIELT GROSSARTIG. ICH FÜHLE MICH SEHR GEEHRT, DASS ICH MIT IHM SO LANGE GEMEINSAM ARBEITEN KONNTE BEI AUFTRITTEN UND AUF SEINER CD „LIVE IN DETROIT“ (EMANUEL YOUNG WITH HOWARD GLAZER & THE EL 34S).* * english version on page 136 Wasser-Prawda | Juli 2014 30 MUSIK Als ich Emanuel erstmals 1999 traf, spielte er jeden Sonntag in AL‘s New Olympia Bar, die auf der anderen Straßenseite von dem Ort war, wo einmal Detroits altes Olympiastadion war. (Neben Sportveranstaltungen gab es dort auch viele Auftritte von Musikern - inklusive der Beatles.) Wir haben uns von anfang an gut verstanden und hatten immer Spaß dran, gemeinsam zu spielen. Oft „klauen“ wir einander Gitarren-Licks. Er ist wie eine Enzyklopädie von Gitarren-Licks. Und ich fühl mich immer geschmeichelt, wenn ich höre, wie er eins von meinen spielt. Emanuel und ich haben eine einzigartige Arbeitsbeziehung. Wir machen ständig Späße, ich rufe ihn und sage: „Hey Maultier“ und er antwortet mit : „Was geht ab, Dracula?“ und damit beginnt die Konversation. … Wir haben viele Shows gemeinsam gespielt, unter anderem sind wir gemeinsam 2008 nach Großbritannien gefahren, 2012 spielten wir jeden Freitag in Detroits Greektown Casino und 2013 traten wir bei Don Was‘s Detroit All Star Review im Concert of Colours ebenso auf wie bei vielen Bar-Gigs und auf Festivals in und um Detroit. Auch im Radio haben wir gemeinsam live gespielt bei verschiedenen Gelegenheiten. Emanuel griff zur Gitarre in den späten 1950ern und hat sie seither nicht weggelegt. Nicht lange nach seinem Beginn tat er sich mit John Lee Hooker zusammen. Mit Hooker spielte er 1959 und 1960 fast zwei Jahre lang zusammen. Aus der Zeit hat er einige großartige Geschichten, eine meiner liebsten beginnt, als sie eine Pause bei einem Auftritt hatten und John Lee ihm sagte: „Nimm mein Auto und hole meine Freundin ab!“ … Emanuel hatte keine Ahnung, dass Hooker verheiratet war. Als er mit Hookers „Freundin“ beim Gig ankam, war Hookers Frau Maudy aufgetaucht. (Vielleicht kennt ihr Hookers Song „Maudy“!) Und sie war so wütend, dass sie ihre Knarre rausholte und Emanuel, Hooker & seine Freundin eine Gasse runterjagte und auf sie schoss. Zum Glück war sie keine gute Schützin! In jenen Tagen bekamen die Musiker etwa elf Dollar die Nacht und ein Bier kostete nur 30 Cent. Laden 2005 dicht machte. Das ist eines der am längsten laufenden Programme in der Musikgeschichte von Detroit. Wenn die Bluesgrößen nach Detroit kamen, dann kamen sie dorthin und jammten mit ihm: Albert King, Howlin‘ Wolf und viele andere. 2007 trat ich mit Emanuel in The Halligan Bar in Detroit auf. The Halligan (benannt nach der Brechstange, die Feuerwehrleute benutzen um Dinge aufzubrechen, wenn sie Feuer bekämpfen) war ein Treff punkt für Detroiter Polizisten und Feuerwehrleute. Ich brachte meine Aufnahmegerätschaften mit und machte einen Live-Mitschnitt. Daraus wurde „Live In Detroit“ von Emanuel Young with Howard Glazer & the EL 34s (so hieß meine Band damals). Die CD wurde von Random Chance Records in New York veröffentlicht und erhielt fantastische Kritiken und wurde rund um die Welt im Radio gespielt. Das Album kam bis auf Platz 10 der National Living Blues Charts. Wir hoffen, bald eine neue CD von Emanuel Young zu veröffentlichen und hoffen ebenso, nach Europa zurück zu kommen. Schaut aus nach Emanuel Young, Howard Glazer und Harmonica Shah, die als „Detroit Legends of the Blues“ auf Tour gehen werden. „Live In Detroit“ ist noch immer erhältlich, allerdings in begrenzten Stückzahlen, denn beim Label ist es vergriffen. Wenn Ihr es seht, solltet Ihr die Chance nutzen! Emanuel hat keine Webseite, man kann ihn aber über [email protected] kontaktieren.* Mit seinen Old School Blues-Rhythmen und dem aus den 50ern stammenden Sinn für Melodien ist für jeden Blues- oder Musikliebhaber klar: Die Musik dieses Mannes muss man hören, er fängt darin die Zeit ein, als sich der Blues zu etwas entwickelte, was zum frühen Rock & Roll wurde, was man heute ziemlich vergessen hat! Ich hoffe, wenn Ihr das gelesen habt, nehmt Ihr Euch Zeit, um sowohl Emanuel Young auf youtube zu suchen als auch seine CD zu bestellen. Es gibt nur noch sehr wenige Bluesmusiker der Alten Schule in Detroit. Und wir sind sehr glücklich, dass Emanuel Young einer von Emanuel spielte mit vielen der Legenden, unter anderem ihnen ist. etwa mit Jimmy Reed und Albert King. Und er veranstaltete die Bluesnächte jeden Freitag und Samstag in Cooley‘s Lounge in Detroits Osten von 1978 bis der * Eine Rezension des Albums ist auf Seite 71 zu finden. Wasser-Prawda | Juli 2014 MUSIK 31 Aaron Burton mit Robert Jr. Lockwood in Helena Arkansas (Foto: Mari Vega) WENN DAS RELIGION IST, DANN SCHWÖRE ICH , W I L L I CH K E I N E GARY BURNETT ÜBER AARON BURTON UND DIE RELIGION. Wasser-Prawda | Juli 2014 32 MUSIK Aaron Burtons 2013 erschienenens Album „The Return of Peetie Whitestraw*“ (nicht zu verwechseln mit dem frühen Bluesman Peetie Wheatstraw), ist ein fantastisches Album mit Country-Blues, angetrieben von Burtons exzellenten Slide- und akustischen Gitarren und seinem sicheren und verständlichen Gesang. Mit vierzehn selbstgeschriebenen Liedern ist das Album ein Vergnügen. Behandelt werden traditionelle Bluesthemen von untreuen Liebhabern, dem Dahintreiben lassen und dem Trinken. Ein besonders interessanter Song findet sich in der Sammlung: „If That‘s Religion“. Darin setzt sich Burton mit einer Anzahl biblischer Themen oder Interpretationen von der Bibel auseinander. “The world was created in only seven days? And Abraham’s willing to sacrifice his son?” singt er. Also, “if that’s religion, I swear I don’t want none.” Wir können wahrscheinlich mit Burtons Schwierigkeiten sympathisieren und auch mit dem Widerspruch, den er in seinem Lied äußert, dass Ereignisse wie 9-11 ein Hinweis auf die „letzten Tage“ seien. Sicher gibt es Schwierigkeiten beim Lesen der Bibel, wenn man annimmt, dass dieser altertümliche Text perfekt mit der Wissenschaft des 21. Jahrhunderts in Übereinstimmung gebracht werden kann - und wenn das nicht funktioniert, dass wir dann unsere Wissenschaft verleugnen müssen. Oder auch mit Lesarten, die davon ausgehen, dass die Bibel etwas sagen muss über Ereignisse zu unseren Lebzeiten. Die Bibel war nie dafür gedacht, uns etwas über Wissenschaft zu sagen oder über spezielle Ereignisse in unserer eigenen Geschichte. Und das zu versuchen und sie in diese Rolle zu pressen, ist sowohl wenig hilfreich und außerdem lenkt es vom echten Verstehen ihrer Botschaft ab. Das ist eine von Liebe und Gerechtigkeit. Die Bibel erzählt die Geschichte von einer Welt, die sich in die falsche Richtung entwickelt, eine Welt voll von Leiden und Ungerechtigkeit. Und die Geschichte von Gottes Plan, die Dinge richtig zu machen, seine Welt zu erlösen und zu erneuern. Auch erzählt sie von der uns geboteten Möglichkeit, bei dieser Geschichte mitzumachen, Gott zu erlauben, sie zu unserer eigenen Geschichte zu * Rezension auf Seite 55 , version in English on page 138 Wasser-Prawda | Juli 2014 machen und danach für Erneuerung und Gerechtigkeit in Gottes Welt zu wirken. All dies wurde durch Leben, Tod und Auferstehung von Jesus möglich. Doch Burton findet die Vorstellung, dass Jesus von den Toten auferstand zu weit hergeholt, um sie zu schlucken. Eine schwierige Idee, schon klar. Tote Menschen stehen nicht auf. Aber wie auch immer wir die Geschichten des Alten Testaments von der Schöpfung oder von Abraham und Isaak oder der ethnischen Säuberung des Landes durch Josua auch interpretieren: Alles steht oder fällt mit der Wahrhaftigkeit dieser einen zentralen Geschichte von der Auferstehung. Paulus schreibt, dass wenn der Messias nicht auferweckt wurde, dann gäbe es keinen Grund zu glauben, wir könnten genauso gut essen und trinken und es uns gut gehen lassen. Für ihn, einen jüdischen Gelehrten und Eiferer, der die Lehren der neuen christlichen Gruppe hasste, brauchte es solide Beweise. Er hatte solche seinem Gefühl nach im Überfluss von den Zeugnissen vieler Menschen, die den auferstandenen Jesus gesehen hatten und in seinem eigenen Erlebnis auf der Straße nach Damaskus. Wenn es bei Religion nur darum geht, die schwierigen Geschichten des Alten Testaments irgendwie in ein modernes wissenschaftliches Weltbild zu pressen, dann hat Aaron Burton Recht: „if that‘s religion, I swear I don‘t want none.“ Aber wenn Jesus wirklich vom Tode auferstanden ist, dann befindet sich die Welt im Prozess der Verwandlung, und wir können teilnehmen an diesem Prozess. Wenn das Religion ist, dann will ich auch welche. MUSIK 33 Howe Gelb (alle Fotos: Holger Schubert) LAGERFEUERATMOSPHÄRE A LA SONORAN DESERT HOWE GELB & BAND AM 26. JUNI 2014 IM JAZZCLUB TONNE ZU DRESDEN. EINE NACHBETRACHTUNG VON HOLGER SCHUBERT Idealer kann man wohl kaum sitzen. Howe Gelb aus der glühend heißen Wüstenmetropole Tucson/Arizona im Südwesten der U.S. of A. agiert direkt vor mir. Seinen Hut wie immer zu seiner „Abschirmung“ tief ins Gesicht gezogen/geschoben, weiß er genau, was er tut. Wir kennen uns nämlich recht gut! Zum einen von meinen Besuchen in jener so bezauberten Region der Staaten und damit natürlich auch verbundenen Konzertbesuchen bei ihm und vielen anderen. Zum zweiten von diesem unvergesslichen Highlight im Mai 2012: Rich Hopkins Wasser-Prawda | Juli 2014 34 MUSIK Links: Gabriel Sullivan, Rechts: Maggie Bjorglund mit Band spielt im Berliner Comet Club und Howe Gelb promotet gleichzeitig im Magnet Club solo sein neuestes Album „Tucson“ (als Giant Giant Sand) nebenan. Praktisch nur durch eine Wand getrennt! Beide sind vor ihren jeweiligen Shows zu Gast bei Radio Eins in der Sendung „Live aus dem Admiralspalast“. Howe Gelb um 19 und Rich Hopkins 19.30 Uhr. Und der Situation gebührend und angepasst: Nach der Radiopromotion haben wir schließlich beide auf der Rückbank unseres MB sitzen! Genial! Zu erkennen gibt sich Howe freilich hier in Dresden nicht gleich (erst nach dem Konzert). Macht nichts! Schließlich ist Howe ein (introvertierter) SkorpionGeborener wie ich! Nun jedoch zurück zum Geschehen im Jazzclub Tonne – sehr einladend, in einem der Nobelviertel Wasser-Prawda | Juli 2014 der sächsischen Landeshauptstadt gelegen und vom Gelbschen Managment recht spät dazugebucht. Denn in den diversen Kulturmagazinen der Stadt und Umgebung kam ein Howe Gelb für diesen Tag nicht vor! Schick gekleidet schaut sich der grau melierte EndFünfziger Howe Gelb immer wieder nach einem Scheinwerfer um, der ihm wohl mächtig einheizt. Ist es doch in dem kleinen kaum 100 Personen fassenden Club recht schwülwarm – trotz im Außen herrschender Temperaturen, die mehr an Frühling als an Sommer erinnern. Ersteres veranlasst ihn doch einige Male darauf aufmerksam zu machen, dass es doch hier viel zu heiß sei und es doch bestimmt besser wäre, outside on fresh air weiter zu performen. Als ich jedoch einwerfe, dass die Temperature „but not like in Tucson“ sei, entgegnet Howe freundlich, aber bestimmt: „Thank you!“ Ja, MUSIK Howe Gelb -großväterlicherseits aus Österreich abstammend- ist schon etwas Besonderes. In jeder Hinsicht! Musikalisch mit der heutigen abendlichen Bandbreite von Swing, über Rainer-Ptacek-Accords, Country-esk, gehaucht bis ausufernd rockig. Alles ist dabei und fasziniert immer wieder auf’s Neue. Auch seine Bandmembers sind wie immer „handverlesen“ und förmlich in jeder Sekunde auf den Meister fokussiert. Man weiß ja nie, was dem Genius gerade mal wieder spontan einfällt. Ob er das Tempo wechselt oder gar im Song kurz innehält, um dann wieder -als sei das Normalität- den Faden aufzunehmen und bis zum Ende abzuspulen. Plötzlich stört ihn doch am hauseigenen Klavier –das bekanntermaßen mit zu seinen Lieblingsinstrumenten zähltder Notenständeraufsatz. Kurzerhand wird er entfernt und liebevoll als eine Art Schrein an der Stagerückwand wieder aufgebaut. Denn darum -„nur“ darum geht esjetzt kann Howe auch die mit den Klaviertasten verbundenen Strings im Innenleben erreichen, um sie immer mal wieder mit seinem rechten Zeigefinger anzuschlagen und so wird/werden der Song/die Songs stilistisch überzeugend modifiziert. Genial! Im Tross seines Tour-„Gefolges“ spielt dieses Mal (wie auch schon im März in Berlin) Gabriel Sullivan (der auch diesen Abend als Support eröffnet) an der AkustikGitarre, am Schlagzeug und als Backing Vocalist aus -ebenfalls- Tucson. An der Slide und den BackgroundVocals findet sich auf diesem Tourabschnitt die Dänin Maggie Bjorglund. Außerdem ist auch eine gewisse Marcela Watson dabei, die ich bereits seit mindestens 2008 von meinen Besuchen in den Staaten kenne. Sie ist die Tochter von Winston Watson - Drummer bei Bob Dylan Mitte der 90er Jahre und aktuell in die Aufnahmesessions zum neuen Album von Howe Gelb/Giant Sand integriert. Trotzdem bin ich für den Moment etwas irritiert, da Howe sie für seine Tochter ausgibt. Wer ihn jedoch näher kennt, weiß um diesen Joke und er meint bestimmt „seine Tochter im Geiste“. Marcella wohnt wohl gegenwärtig in Berlin und da Howe direkt von dort kommt (Day off in einem der zahllosen Hauptstadt-Studios), hat er sie gleich einmal zeitweise mit in die Band integriert. Bei 2 oder 3 Songs übernimmt sie nämlich das Drumplay, was jedoch mehr einer Übungseinheit gleichkommt. Aber auch 35 das ist Howe Gelb! Übungseinheit? Und das bei einem Howe Gelb, wo man nie weiß … Aber das hatten wir schon! Trotzdem kommt das Ganze sympathisch! Howe möchte -so mein Eindruck- Marcela wohl fördern, damit sie später möglicherweise in die großen Fußstapfen ihres Vaters treten kann. Schließlich sitzt besonders in den Staaten eine Unmenge an Frauen hinter Drums und tätigt einen prachtvollen Job. Da kann man Marcela nur Glück wünschen! Talent jedenfalls hat sie. Auch wenn der Abend ein ganz klein wenig zu kurz gerät, überzeugt hat Howe Gelb nicht zum ersten Mal und bei seiner Arbeitsintensität (er hat bisher mehr als 60 Alben in den verschiedensten Konstellationen veröffentlicht) bestimmt nicht zum letzten Mal. Ein schöner unterhaltsamer Abend in „Lagerfeuer“-Atmosphäre, so wie man ihn sich auch sehr gut bei Sonnenuntergang in der Wüste Arizonas vorstellen kann. Wasser-Prawda | Juli 2014 36 MUSIK Bob Dylan im Spectrum Oslo 30. März 2007 (Foto: Tore Utheim) REIFE LEISTUNG BOB DYLAN & HIS BAND, STADTHALLE ROSTOCK, 7. JULI 2014. VON THOMAS HUNFELD. ALS ICH MIT 13 MEINE ERSTE GITARRE BEKAM, WAR “BLOWIN´IN THE WIND“ (IN C-DUR – LOGISCH) DAS ERSTE LIED WAS ICH AM LAGERFEUER EINIGERMASSEN BEGLEITEN KONNTE. Als ich 16 war kam Robert Zimmermann a.k.a Bob Dylan das erste Mal nach langer Zeit nach Europa – im Gepäck Eric Clapton. Ein Freund von mir hatte `ne Karte für das Festival übrig und rief meine Mama an – die lehnte ab mit dem Hinweis, ich hätte ein Wasser-Prawda | Juli 2014 Tennisturnier zu spielen: … Jaja Pubertät ist die Zeit in der Eltern sich seltsam verhalten. … Später wurde Dylan dann in meine GeschmacksMottenkiste gepackt – ging nicht wirklich ab, die Mucke, but don´t think twice – it´s allright. Als ich jetzt das Plakat sah, dachte ich : naja, bevor er abtritt sollte er in der Sammlung „hab ich mal live gesehn“ nicht fehlen. Mit also eigentlich gar keiner Erwartung in Bezug auf MUSIK 37 ein besonderes Erlebnis fuhr ich dann, mit zwei genau bietet, bin ich nicht sauer. so alten Zauseln wie ich, nach Rostock und siehe da, die Sache schien tatsächlich zu einer Ü-50 Party zu werden. Abgesehen von einigen Teenagern die ihre Eltern beaufsichtigten (und zwar mit derselben Begeisterung wie beim sonntäglichen Spaziergang). Bob Dylan – hey, mußt Du sehn … - Alta! Aber: „Things have changed“! Mit diesem Eröffnungsstück machte der Meister klar, daß man mit 73 auf einer „never ending tour“ wirklich noch was zu bieten hat. Schummerige Clubbeleuchtung, viel akkustisches Instrumentarium (ich hätte dieses Konzert soooo gerne in einem kleinen Theater gesehn - „The Last Waltz“ sei erinnert) und eine fantastische Band sowie ein, dem Mixer sei‘s gedankt, unerwartet guter Sound. Das waren natürlich Ingredienzien für einen Konzertabend zum Genießen. Und außerdem hatte ich den Eindruck, dass Dylan wirklich, wie man so sagt, gut drauf war: Er sang mit viel Verve und haute in die Tasten (aus unerfindlichen Gründen hat er die Gitarre beiseite gelegt), verschonte uns Connaisseurs sogar weitgehend vor Hamonikagejaule, gab dem Abend noch eine gute Prise Blues dazu – Muddy Waters Style – und für mich war‘s wirklich ganz groß. Dylan ist nicht in den Sechzigern stehengeblieben, er ist gereift, hat immer noch was zu sagen (nicht zu wiederholen) und gießt seine (eigentlich immer wunderbaren) Texte in ein Bad bester traditioneller amerikanischer Musik ohne altbacken zu klingen. Dabei hilft ihm seine Band: Schlagzeug, zwei Gitarren, Bass und ein Multiinstrumentalist mit wechselweise Pedal Steel oder Banjo. Die Namen dieser Leute kann man nachlesen, ich kann nur sagen: Charly Sexton an der Leadgitarre und Du weißt Bescheid. (Alle anderen Bandmitglieder hatten aber mindestens sein Niveau!) Das Programm besteht aus vielen wunderbaren Perlen wie „Working Man´s Blues“, „Forgetful Heart“, „Simple Twist of Fate“, also nicht unbedingt die Schlager von damals – Danke! Als er dann als Zugabe mit „All Along the Watchtower“ und - herrje - „Blowing in the Wind“, am Ende noch zwei tatsächliche Neuinterpretationen seiner selbst Thomas Hunfeld ist Kinder-Orthopäde auf der Insel Rügen. Als Dr. T. zählt er unter Kennern zu den besten Bluesgitarristen in Deutschland. Wasser-Prawda | Juli 2014 38 INTERVIEW Wasser-Prawda | Juni 2014 INTERVIEW 39 KLEINE FRAU GANZ GROSS ZAKIYA HOOKER AUF DEM 25. INGOLSTÄDTER BLUESFEST 2014. TEXT: MARIO BOLLINGER. FOTOS: GERD LÖSER, MARIO BOLLINGER Am Abend des 13. Juni stand Zakiya Hooker mit ihrer Show „Boogie with the Hook“ auf der Bühne der „Neuen Welt“ in Ingolstadt. Begleitet wurde sie von ihrem Mann Chris James und Lee Sanders & Rad Gumbo. Zum Soundcheck hatte ich die Möglichkeit, Zakiya Hooker ein paar Fragen zu stellen. WP: Wie oft bist Du in Europa? Zakiya Hooker: Ich bin regelmäßig in Europa, aber leider nicht letztes Jahr. Das Andenken an meinen Vater öffnet viele Türen für mich. WP: Wo kann man Dich demnächst noch hören? Zakiya Hooker: Wir haben Shows in Österreich und Kroatien. Auf Split freue ich mich schon, weil das eine sehr schöne Stadt ist. Da ich nun nach 22 Jahren Gerichtsarbeit seit einem guten Jahr in Rente bin, habe ich mehr Zeit, um Konzerte zu geben. Vorher war ich maximal 6 Mal im Jahr für ca 2 Wochen auf Tour. akzeptiert und es gibt für mich ein konstantes Feedback von hier. Der Blues ist vor allem in Spartenradios des Internets präsent. WP: Deine letzte CD stammt aus dem Jahr 2009. Kannst Du uns ein bisschen mehr über Deine letzten Produktionen erzählen? Zakiya Hooker: Nach dem Tod meines Vaters John Lee Hooker (NB: 21. Juni 2001) gab es erst mal neun Erben, die befriedigt werden mussten. Das hat mich sehr viel Zeit und Kraft gekostet. Dann veröffentlichte ich 2004 das „Face to Face“-Album als Reminiszenz an meinen Vater. Dort hatte John Lee noch einige Songs selbst eingespielt. Mit „Keeping it real“ möchte ich das Erbe meines Vaters weiter hochhalten. WP: Wann können wir etwas Neues von Dir erwarten? Zakiya Hooker: Ich denke, ich werde Ende des Jahres 2014 eine neue JLH- Tribute-CD herausbringen. Ich fühle mich als Erbin dazu verpflichtet, ohne ihn dabei zu kopieren. Das ist eh unmöglich ist. Sein Stil ist zu einzigartig. John Lee Hooker Foundation. Meine Aufgabe ist, Geld für die Stiftung zu sammeln. Wir möchten Kinder unterstützen, die in schwierigen Umfeldern leben und denen wir mit Musik eine Stütze geben wollen. Wir haben mit einer Ortsgruppe in der Bay-Area von Kalifornien und in Buenos Aires gestartet und wir versuchen jetzt, eine Ortsgruppe im Mississippi-Delta zu öffnen. Wir unterstützen Kinder mit Musikinstrumenten, Seminaren und Gesangscoaching. Es gibt sogar einen John Lee Hooker Gospel Chor. Wir möchten den Kindern ein musikalisches Rüstzeug mitgeben. Denn wir glauben, dass Musik helfen kann, depressive Phasen zu überwinden und Positives zu erfahren und zu reflektieren. Mit selbstgemachter Musik kann man sich wohlfühlen und das Selbstwertgefühl steigern. WP: Was empfiehlst Du jungen Musikern? Zakiya Hooker: Seid konzentriert und voller Hingabe bei dem, was Ihr macht! Musik bereichert Euer Leben. Räumt der Musik daher eine Priorität im Leben ein! WP: Wie steht Deiner Meinung der Blues in USA aber auch weltweit da? Zakiya Hooker: Die USA ist ein verhältnismäßig junges Land, da gibt es WP: Du bist in sozialen Projekten W P: Wie nahe oder wie weit sehr viele verschiedene Strömungen. engagiert. Um was geht es da? entfernt bist Du von John Lee In Europa ist der Blues sehr Zakiya Hooker: Ich arbeite in der Hookers Musik? Wasser-Prawda | Juni 2014 40 INTERVIEW Zakiya Hooker: Ich bin der Musik meines Vaters immer noch sehr nahe. Es ist für mich immer noch einerseits zeitgenössische oder gegenwärtige Musik. Auf der anderen Seite lässt sie mich an die Wurzeln der Bluesmusik zurückkehren. Ich fühle mich als Erbin der Musik von John Lee Hooker. Man kann ihn nicht kopieren, da er einzigartig war, aber ich möchte das Gefühl seiner Musik vermitteln. WP: Wie positionierst Du Deine Musik? Zakiya Hooker: Ich lebe und musiziere in der Tradition meines Vaters. Ich bin damit aufgewachsen, ich saß immer in der ersten Reihe bei seinen Konzerten. Wenn ich Musik im Kopf habe, dann sind es die Riffs meines Vaters. W P: Welche musika lischen Einf lüsse hattest Du noch in Deinem musikalischen Leben? Zakiya Hooker: Ich mag Ella Fitzgerald und Sarah Vaughan. Ich mag auch Billie Holiday, aber weniger ihre Stimme, sondern mehr ihre Art zu singen. WP: Kannst Du uns Deine Band von heute Abend vorstellen? Zakiya Hooker: Nun, da ist mein Mann Chris James. Er hat viel mit meinem Vater Musik gemacht und ist eigentlich Bassist. Heute singt er. Hm, und dann.. (NB: Nach einer kleinen Denkpause musste Zakiya Hooker zugeben, die Support Band Rad Gumbo gerade mal mit dem Vornamen der Musiker zu kennen, da sie gerade mal seit ein paar Tagen zusammen sind. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt: Robert „Dackel“ Wasser-Prawda | Juni 2014 Hirmer - acc, vocals + Gerhard Spreng - drums + Erwin Schmidl bass + Frank Folgmann - guitars + John Lee Sanders- vocals, keyboard and sax) W P: Spielst Du auch ein Instrument oder bist Du nur Sängerin: Zakiya Hooker: Eigentlich bin ich nur Sängerin aber seit einiger Zeit nehme ich Gitarrenunterricht. Ich habe eine Baby Taylor und vielleicht bringe ich sie das nächste Mal schon mit. WP: Wir möchten in der WasserPrawda ein Projekt starten. Ich habe die Vinylversion von „Hooker‘n‘Heat“ und seit neuesten auch die CD-Ausgabe. Diese Aufnahmen sind voll mit Gesprächsfetzen zwischen JLH und Canned Heat vor oder nach einem Song. Kannst Du uns helfen, die Texte und Gespräche sinngemäß zu verstehen, damit wir sie übersetzen können? Zakiya Hooker: Das mache ich gerne. Du darfst mich gerne dazu kontaktieren. (Anmerkung von Zakyias Ehemann Chris James: JLH konnte weder lesen noch schreiben. Er hat sein Leben mündlich erzählt und daher sind solche aufgezeichneten Unterhaltungen sehr wichtig für die Nachwelt. Das Konzert: Die „ Neue Welt“ ist ei n kleines Lokal in Ingolstadt mit Gasthausatmosphäre. Der Saal fasst rund 100 Sitzplätze und war ausverkauft. Das Ingolstädter Bluesfest Das Ingolstädter Bluesfest hat dieses Jahr ein Jubiläum zu feiern. Walter Haber hat das 25. Bluesfest organisiert und auch dieses Jahr eine illustere Schar von Bluesprominenz und Bluesexotik engagiert: So gab es bereits RJ Micho zu hören, am 17.6. stand Zakiya Hooker mit ihrer Show Boogie with the Hook auf der Bühne und am 24.7. ist Otis Taylor zu bewundern. Der dramatische Gesundheitszustand von Walter Trout macht sein Konzert natürlich unmöglich. Wir wünschen ihm von hier beste Genesung. Zu den Bluesexoten gehören etwa die Foghorn String Band und BabaJack. Auch darf das Lokalkolorit mit Willy Michl und den Hampel Brüdern nicht fehlen. Zehn Jahre dauert es manchmal, bis die Verträge mit einzelnen Musikern unterschrieben sind, erzählt mir Walter Haber. Er verfolgt keine spezielle Linie bei der Auswahl, da das Erscheinen der Musiker zum Bluesfest letztendlich von deren Tourkalender abhängt. Profitabel ist das Ganze so und so nicht, man muss mit Herz und Seele dabei sein und eine Möglichkeit finden, das Ganze gegen zu finanzieren. INTERVIEW Als Opener gehen John Lee Sanders und Rad Gumbo auf die Bühne. Rein optisch erinnert John Lee erst mal an Stevie Ray Vaughan. Und als er dann mit Singen anfängt, hört man gleich seine Beziehung zum Louisiana Sound. Hier läßt Dr. John grüßen. Zu Beginn spielen sie ein paar Stücke aus der neuen CD „John Lee Sanders meets Rad Gumbo“. Dann kommt Chris James dazu und singt John Lee Hookers „Boom Boom Boom“ als Einstieg. Diese Version klingt nun leider eher wie „Green Onions“. Aber man bekam an diesem Abend keine Coverversionen von John Lee Hooker zu hören, sondern eigenständige Interpretationen seiner Songs ganz nach dem Stil der jeweiligen Sänger. Hier standen im Endeffekt drei Sänger und eine Sängerin auf der Bühne und machten daraus eine sehr spannende Angelegenheit. Im ersten Teil waren John Lee und Robert „Dackel“ Hirmer mit ihrem Zydeco-Sound zu hören. Chris James kommt ursprünglich aus der Soulund R&B-Ecke. Der Headliner des Abends ist aber die zierliche Zakiya Hooker und auch ihre Stimme hat ihren eigenen Charakter. Sie singt den Blues mit einer jazzigen Färbung, die von ihren Vorbildern wie Ella Fitzgerald beeinflusst ist. Der ganze Abend steht unter dem Motto „Boogie with the Hook“ und Zakiya und ihre Mitstreiter ziehen neue und alte Songs von JLH aus dem Hut: „Dangerious Mood“, „In the Mood“ etwa. Doch auch eine superfunky Version von Robert Johnsons „Crossroad“ wird gespielt. Zakyia und Chris erzählen viele Anekdoten aus dem Leben von John Lee Hooker, z.B. dass er nicht lesen und schreiben konnte oder gelegentlich stotterte, dass sein Haus immer voll mit Menschen war und er die Frauen liebte. Der Song „Let me be your little wheel“ ist eine der vielen versteckten sexuellen Andeutungen im Blues, vor allem wenn man den Nachsatz bedenkt: ...until your big wheel comes back...“ - Der Aufruf zum Ehebruch! Da es nicht ohne neuere Songs geht, gab es auch „The Healer“ zum hören - spannend kombiniert mit Carlos Santanas „Oye come va“. Wir erinnern uns: John Lee Hooker hat sehr geschickt Gastmusiker zu seinen CD-Sessions eingeladen und war damit kommerziell erfolgreich. 41 „Crawling King Snake“ kam in der guten R&B Version, während die Version von „One Bourbon One Scotch One Beer“ doch ziemlich glattgebügelt daherkam. Wer das Original kennt, weiß aber, dass man das einfach nicht Kopieren kann. Als Schlußsong des 2. Sets sang Zakiya „This is hip“ mit einer tollen Jazzfärbung in ihrer Stimme. Als Zugabe gab es mit Chris James Jimmy Reeds „Big boss man“ wobei Zakiya mit ihre Körpergröße kokettierte. Überhaupt ist Zakiya eine sehr offenen und lustige Frau, die ohne jegliche Berührungsängste aus ihrem Lebensschatz erzählt. Als ultimativen letzen Song des Abends präsentierte Zakiya Hooker das Duett „Healing Game“, das ihr Vater einst mit Van Morrison gesungen hatte. „Boogie with the Hook“ ist kein Coverabend mit JLH Songs sondern die Synthese von unterschiedlichen Gesangstalenten, welche den Songs von JLH immer einen eigenen Stempel verpassten. Zakiya möchte das Erbe von JLH in Ehren halten und nachfolgenden Generationen nahebringen. Wasser-Prawda | Juni 2014 42 INTERVIEW Schorsch Hampel (links) und sein Bruder Dr. Will (Mitte und rechts) DIE L I C HT G E S TA LTE N DES MÜ NC HEN E R BLUES : D R . W I L L U N D SCH OR S C H H A MP E L TEXT: MARIO BOLLINGER. FOTOS: GERD LÖSER Wasser-Prawda | Juni 2014 INTERVIEW IM RAHMEN DER 25. INGOLSTÄDTER BLUESFEST 2014 TRATEN DIE HAMPELBRÜDER ALS DIE „BAYERISCHEN BLUES BROTHERS“ IN DER KLEINKUNSTBÜHNE NEUE WELT AUF. DA DIE KOMBINATION VON BLUES UND BAYERISCHER SPRACHE ERKLÄRUNGSBEDÜRFTIG IST, HAT DIE WASSER-PRAWDA KURZERHAND SCHORSCH HAMPEL UM EIN INTERVIEW GEBETEN. ALS ERKLÄRUNG SEI GESAGT, DASS ICH DEN SCHORSCH JETZT DOCH SCHON EINE WEILE KENNE UND WIR EIN INTERVIEW SEIT LANGER ZEIT GEPLANT HABEN. SOWOHL SCHORSCH HAMPEL WIE AUCH SEIN BRUDER DR. WILL SIND IN BAYERISCHEN RAUM KEINE UNBESCHRIEBENEN BLÄTTER. 43 einen sehr guten Überblick über die gemeinsame Arbeit der ungleichen Brüder. Die CD wird an andere Stelle der Wasser-Prawda noch mal separat rezensiert. Das Interview WP: Für unsere nichtbayerischen Leser: Wer sind die Hampelbrüder und wo kommen sie musikalisch her? Schorsch: Wir kommen aus Münchens Neuhausen. Ich selbst war jetzt über 10 Jahre mit der Bagasch zusammen. Will: Ich habe mit 15 Jahren angefangen. Am Anfang standen da New Wave Bands, in den 90ern kam dann New Orleans dazu und seit 10 Jahren bin ich als Dr. Will aktiv. Schorsch: Es waren 10 Jahre bayerischer Blues mit Schorsch hatte über 10 Jahre in der Formation Schorsch der Bagasch und es war ein viel gute Zeit dabei, aber und die Bagasch gespielt und Dr. Will ist mit seiner in den letzten 2-3 Jahren hat es stagniert. Außerdem Gruppe Dr. Will & the Wizards unterwegs. Mit der ist es so, dass man in unserer Liga mit 5 Musikern CD Schorsch H. & Dr. Will - Together bekommt man nichts mehr verdienen kann und den Aufstieg in die Wasser-Prawda | Juni 2014 44 INTERVIEW Bundesliga haben wir mit bayerischen Texten nicht schaffen können. Englische Texte möchte ich eigentlich nicht mehr machen. Es haben sich auch einige Nummern bei mir angesammelt, die nicht in die Bagasch passten und wo ich mir gedacht habe, dass ich da mal eine Soloplatte machen muss, welche ich zur Zeit auch mache. Außerdem ist eine Herausforderung, weil ich vor dem Solo-Spielen am meisten Schiss habe. Ich habe mir gedacht, jetzt bin ich über 60 Jahre alt, und da muss ich es auch schaffen, ein Zeitlang alleine zu spielen. Heute spielen wir als Trio. Wenn wir es uns leisten können, nehmen wir auch einen Bassisten mit. Es macht halt mehr Spaß, wenn mal einer Solo spielt und man hinten ein bisschen Bass im Hintern spürt. WP: Wie kommt es, dass die beiden Lichtgestalten des Münchner Blues gemeinsame Sache machen? Schorsch: Der Williams und Ich? (Bemerkung: Eigentlich dachte ich an seinen Bruder Dr. Will, aber der Schorsch drehte unbewusst das Gespräch in eine andere Richtung). Das hat sich einfach so ergeben: Erst hat es geheißen, dass nur einer von uns in den Film reinkommt, weil noch der Willy Michl in den Film reingekommen wär. WP: Der Boom-Boom Film? Schorsch: Nein, da kommt jetzt ein Film, der heißt Bavarian Vista Club und der geht über bayerische Musiker. Da sollten auch bayerische Musiker vertreten sein und es wäre der Willy Michl dabei gewesen und es hieß, dass entweder der Schorsch Hampel oder der Williams dabei ist. Unser Plattenpräsident von BSC (gemeint war Christoph Bühring-Uhle, Geschäftsführer) hatte dann die gute Idee, etwas zusammen zu machen. es auch. Da ist mal eine Tom Waits Nummer dabei und auch ein Stück von den Stones. Für mich ist der Blues eh ein bissel offen. Bis auf ein Stück vom Will sind es alles Coverstücke. Von mir stammt noch der „Boandlkramer“ und „Neili Früa am Moing“ und vom Will „The moon is full again“ WP: Das Boom-Boom Video ging ja herum wie ein Lauffeuer. Hat Euch das geholfen? Will: Das ist schwer zu sagen. Ich weiß ja nicht, was passiert wäre, wenn wir es nicht gemacht hätten. Es gab viel Komplimente und wir werden oft darauf angesprochen. WP: Sollen wir das Video mal Zakyia Hooker vorstellen? Schorsch: Konnst scho macha! WP: Ihr gebt Euch ja bewusst sprachlich bayerisch … Schorsch: Moment! Ich mach ja bayerisch und der Will macht nach wie vor englisch, weil der kann englisch und ich nicht. WP: Und wie macht Ihr das im Duo? Will: Da muss es durcheinander gehen Schorsch: Da muss der Will mal deutsch singen und ich englisch. WP: Könnt Ihr Eure bayrischen Texte Eurem Publikum auch Englisch nahebringen oder ist es für Dich wichtig, dass es auf bayerisch gesagt wird? Schorsch: Für mich ist es auf bayerisch wichtig. Ich habe deshalb auf bayerisch angefangen, weil ich mit den Texten dem Publikum näher sein wollte. Das hat WP: Wie ist bei Euch im Duo die Aufgabenteilung? seine Vor- und Nachteile. Wir sind dann zwar lokal Schorsch (lacht laut): Keine Ahnung! Auf alle Fälle ist etwas eingeschränkt, aber wir haben auch ein paar Mal es so, dass mein Bruder die Produzentenseite hat. Das im Norden gespielt, die finden das immer exotisch und machte er schon bei meiner letzten Bagasch-CDs und toll. Das ist jetzt auch nicht so das Problem. auch jetzt bei meiner neuen Solo-Platte. Dafür hat er WP: Kann man eine neue CD erwarten? das totale Händchen. Bei der Schorsch H & Dr. Will: Schorsch: Im Frühjahr 2015 kommt meine Solo-CD Together haben wir uns einfach zusammengesetzt und raus. gesagt, dass wir unsere Lieblingslieder aufnehmen. WP: Ist Bluesmusik für Euch Lebensunterhalt oder WP: Ihr singt beide und der Will macht Drums? Lebenselixier? Schorsch: Ja, Percussion. Ich habe die ganzen Klampfen Schorsch: Ab und zu ist sie drei Tage lang unterhaltgespielt, aber auch bissel Mundharmonika und Saxofon. sam und Lebenselixier ist sie soundso. Wir haben das Blues und Roots genannt, und das triff t Wasser-Prawda | Juni 2014 INTERVIEW WP: Könnt Ihr von der Musik leben? Schorsch: Nein, nicht ausschließlich. Ich gebe noch Gitarrenunterricht und arbeite für den Funk (NB: Bayerischer Rundfunk). Wenn man zu Fünft unterwegs bist, kannst froh sein, wennst den Sprit zahlen kannst. Im Trio geht es schon eher, aber dann ist das blöd den beiden Anderen gegenüber, die zu Hause bleiben müssen WP: Eine Frage, die wir allen in- und ausländischen Musikern stellen - Wie würdet Ihr den Blues in Deutschland positionieren? Schorsch: Was heißt „positionieren“? Es ist halt eine Nischenmusik, wie sie es immer war 45 Hochphase und auch die letzte Platten von John Lee Hooker sind ja wirklich gelaufen. Ich denke, der Blues wird immer sein Publikum haben. Das ist aber klein und damit muss man halt leben. WP: Derek Trucks redet von einer 15-jährigen Welle. Wo stecken wir heute, oben oder unten? Schorsch: Schwer zu sagen. Ich glaube, dass so was wie Derek Trucks oder die Tedeschi Trucks Besetzung eine Ausnahmeerscheinung ist und sie machen ja nicht wirklich nur Blues, sondern da ist ja auch Soul und Rhythm‘n‘Blues dabei, ist ja wunderschön. Der Mann ist ein Supervirtuose und man darf auch nicht vergessen, dass er mit 13 Jahren schon angefangen hat. WP: Gibt es ups and downs? Schorsch: Ja klar, es hat halt immer Revivals gegeben. WP: Wo kann man Euch demnächst hören? Bei mir hat das ja auch das Ende der 60er angefan- Schorsch (Lacht): Du, in 2 Stunden! gen, wo das London Blues Revival war. Für mich war einer der wichtigsten der Peter Green und als Stevie WP: Und danach? Ray Vaughan aufgetaucht ist, war wieder eine kleine Schorsch: Am 3. August sind wir auf dem Festival von D‘Amato, eine schöne Kneipe als ehemaliger Wasser-Prawda | Juni 2014 46 INTERVIEW Sportgaststätte mit großen Garten und Zelt zusammen WP: Was erwartet uns heute Abend? mit 2 anderen bayerischen Acts. Schorsch: Das ist eben das Blues und Roots Repertoire von Will und mir. Wahrscheinlich kommt der San2 WP: Du wärst mir von ca. 2 oder 3 Jahren beinahe noch vorbei und spielt ein bisschen mit. Das geht dann schon mal in Hamburg über den Weg gelaufen. so hin und her - Englisch und Boarisch! Geht Ihr aus Bayern raus und werdet Ihr da auch verstanden? Das Konzert: Schorsch: Nein, wir sind zwar mal zu einem Wettbewerb hinter Kiel gevotet worden und haben vorher in Vor dem Konzert gesellte sich noch der Dritte im Bunde, Hamburg auf einem Schiff gespielt. Ich mache auch Uli Kümpfel zu mir. Uli ist der Bassist, spielt in der öfters was mit dem Krimiautor Friedrich Ani zusam- Veterinary Street Jazz Band und macht hauptberuflich men, wo wir mal in Hamburg ein Krimiliteraturfestival Filmmusik. Ebenso wie die Hampel-Brüder hat er eine mit Musik gemacht haben: Mit der Bagasch haben wir lange Vita im Dienste der Musik hinter sich. Heute ein paar Mal beim Blues und Schmuss gespielt. Das war Abend spielt Uli Kümpfel Kontrabass. sehr schön. Was das Nette ist, wenn wir oberhalb der Im Saal der Kleinkunstbühne Neue Welt sind ca. 50 Weißwurschtäquators sind - Die Leute hören intensi- Zuhörer versammelt, als Schorsch H.& Dr. Will mit einer ver zu, die wollen dann hören und verstehen, um was Coverversion von Howlin‘ Wolf‘s Little Red Rooster“ es geht. Die Leute fragen dann auch: „Was war denn anfangen. Dr. Will kommt dabei dem Original verdas“ oder „Ich habe das nicht ganz so verstanden“. Ich dammt nahe. Nach englischsprachigen Stücken kommt denke, in Bayern sieht man eher darüber hinweg, weil das Unvermeidliche, das Besondere und Faszinierende: das verstehen die ja eh. Das hat dann schon seinen Reiz Schorsch Hampel singt auf Bayerisch: Schleich di, Boandlkramer. Dr. Will kommentiert hier eine leichte für alle Beteiligten. Fehlinterpretation des Worts. Boandlkramer wäre von WP: Will, wo kommst Du denn musikalisch her? einem Nichtbayern als Gebeinekramer übersetzt worden. Will: Aus Neuhausen, aber genaugenommen habe ich In der Realität ist der Boandlkramer aber der Tod, mit ja mit 15 Jahren schon Blues gemacht, zwischendurch dem der Schorsch ein Zwiegespräch hält ähnlich wie es hab ich New Wave gespielt. Eine Zeitlang habe ich in der Brandner Kasper getan hat. London gelebt, wo ich Indi-Gitarrenmusik gemacht In der Tat birgt das Bayerische viele Vermischungen habe. In London bin ich aber am Anfang der 90er und Verwechslungsmöglichkeiten mit dem Englischen: wieder zum Blues und da speziell zum New Orleans Crossover Blues kommt zur Schafkopfkarte Gras Ober Blues gekommen. genau so wie Fadisma kein arabischer Name ist, sondern die mentale Zustandsäußerung „Fad is ma“ oder „Mir WP: Gibt es noch Dr. Will & the Wizards? ist langweilig“. Ich bin überzeugt, dass der Klang der Will: Wir feiern Ende dieses Jahr unser Zehnjähriges, bayerischen Sprache sich ideal mit dem Blues ergänzt uns gibt es noch. und der Gemütszustand eines Urbayern einfach in das Deltafeeling transponiert werden kann. Nicht umsonst WP: Wer von Euch Beiden ist der Ältere? Schorsch: Jetzt hat der Will das ja mit New Wave haben die Spider Murphy Gang und der Willy Michl als Bayern solche Erfolge gefeiert. Der bayrisch orientierte verraten. Schorsch und der sprachlich eher gemäßigte Dr. Will Will: Du hast auch mal NDW gemacht! liefern sich im Laufe des Abends witzige Dialoge, um WP: Will, bist Du privat auch so wild, wie Du Dich die Songs anzusagen. Die Songs stammten zum großen Teil aus der gemeinsamen CD „Together“, ergänzt durch in der Öffentlichkeit gibst? Will (denkt kurz nach): Ich bin der Extrovertiertere Nummern wie „Route 66“, die sich die Beiden eigentlich hätten sparen können. Da ist „IKO IKO“ schon wesentvon uns Beiden. lich interessanter. Dr. Will zeichnet eine weite Begabung Wasser-Prawda | Juni 2014 INTERVIEW aus, alle möglichen Instrumente zu spielen. Bei „IKO IKO“ nutzt er eine Steeldrum, um die Identität dieses New Orleans Song herauszukehren. John Lee Hookers „Boom Boom“, nur mit den 3 Musikern gespielt, ist eine auf das Notwendigste reduzierte und spannende Version. Diese Nummer haben die Hampelbrüder ja bereits als Video veröffentlicht und damit mehr als nur einen Achtungserfolg erzielt. In dem Video zeigt sich Dr. Wills eigentliches Geschick: Dinge interessant zu produzieren. Wie im Film gibt Dr. Will auch bei diesem Stück die Beatbox mit einer Dynamik von ganz laut bis ganz leise. Und weiter geht es mit „You got to move“ mit Slidegitarre by Schorsch Hampel und A-Cappella Gesang. Damit werden die Zuhörer erst mal in die Pause entlassen. was mir noch mal die Gelegenheit gibt, mit dem Bluesfestorganisator Walter Haber zu reden. Was den seine Favoriten des Festival sei? Er fand Sarah Mac Dougall ganz toll aber besonders freut er sich auf Otis Taylor, weil dieser Musiker in seinen Augen die größte Entwicklung durchgemacht hat. Er findet es schade, dass im der Kultur der Bereich des Cabarets extrem favorisiert wird, während die Musikveranstaltungen wie z.B. durch die zusätzlichen finanziellen Belastungen durch Lizenzgeber leicht ins Abseits rücken. Fazit: Cabaret ist billiger als Musik. Der zweite Teil des Konzerts von Schorsch H.&Dr. Will beginnt, wie der erste Teil aufgehört hat: Stücke aus der CD „Together“ mit einer Mischung aus Blues und Roots, also den musikalischen Wurzeln der beiden Musiker. Englische Coverversionen wie „Blues Stay away from me“ oder „Neili Früa am Morgen“, einem Song, der die bayerische Eigenschaft des Grantigseins erläutert. Dr. Will erklärt das Grantigsein mit „Ich freue mich nach innen“. Wenn man den 3 Musikern mit geschlossenen Augen zuhört und die bayerischen Inhalte auf sich wirken lässt, kann man sich an einen Juke Joint bei New Orleans versetzt fühlen. Das ist es auch, was die beiden Brüder mit der langen Erfahrung und ihrem bayerisch-kulturellen Hintergrund vermitteln wollen und können. Beide beherrschen das Minimalistische des Blues kombiniert mit exotischer Instrumentierung und dem Duettgesang. Bei Dr. Wills Schlagzeugsolo (Er steht übrigens am Drumset!) muss auch der Bühnenholzboden oder der Mikrofonständer herhalten. 47 Als Gast bitten die Brüder dann San2 auf die Bühne. San2 ist ein junger, in Ingolstadt geborener Rhythm & Bluessänger, Songwriter und Grafik-Designer. Und schon nimmt der Blues noch mal Fahrt auf. San2 an der Harp beim Texas Shuffle oder der Let‘s Work Together Version „Alle Mitnander“.* Als Zugaben gab es dann noch zwei fantastische Bluessongs, auch wieder mit San2 an der Harp. Mit „See you Alligator“ verabschiedeten sich die Musiker von der Bühne. Das Fazit: Bleibt die Frage, ob die Hampel-Brüder ihre bayerisch-englischen Texte im restlichen Deutschland an den Mann resp. an die Frau bringen und was sie damit transportieren: Wenn ein deutscher Dialekt überhaupt in der Lage ist, den Blues dazustellen, das ist es das Bayerisch. Schorsch singt nicht von bayerischen Traditionen sondern von einem Leben auf bayerisch. Sicher: Sie kokettieren oft mit dem bayrisch-englischen, aber genau das macht es für Nichtbayern interessant, zuzuhören und etwas von der bayerischen Mentalität mitzubekommen. NB: Der Autor ist trotz seines italienischen Namens ein gebürtiger Bayer. * Eine Schwierigkeit des Artikels ist es übrigens, das uns geläufige Bayrisch der Songs und Texte, aber auch des Interviews in ein allgemein verständliches Deutsch zu vermitteln. Wasser-Prawda | Juni 2014 48 MUSIK n o i s s i M r e h c s i l a k i s u M f Au Wasser-Prawda | Juni 2014 MUSIK 49 TEIL 3: EIN KULTFILM ENTSTEHT VON DARREN WEALE BIS 1979 HATTEN DIESE MUSIKALISCHEN FILOUS, DIE BLUES BROTHERS, IHR DEBÜT GEMACHT UND FERNSEHZUSCHAUER BEI DER IN AMERIKA POPULÄREN SHOW SATURDAY NIGHT LIVE BEEINDRUCKT. IRONISCHERWEISE, SO MERKTEN SOWOHL ROBERT CRAY ALS AUCH CURTIS SALGADO AN, GEHÖRTEN ZU DEN ZUSCHAUERN KAUM MUSIKER. DENN DIE WAREN UNTERWEGS UND SPIELTEN, WÄHREND DIE SHOW AUSGESTRAHLT WURDE. Sie hatten weitergemacht und seit ihren ersten Auftritten in Los Angeles Konzertbesucher umgehauen, als die komplette Band dabei war, zu der erstklassige Musiker gehörten, unter ihnen Steve Cropper, Matt Murphy, Paul Shaffer und eine kraftvolle Hornsection. Wo konnte der Act als nächstes gehen? Tatsächlich geradewegs in einen bekannten Debütfilm mit dem einfachen Titel „The Blues Brothers“. Als er herauskam, war die Zahl der Kinobesucher gering. Die Kritiken waren abweisend. Das große Budget wurde nicht wieder eingenommen. Wie auch immer: Mit diesem ersten Film war die teure Saat für einen Kultstatus ausgebracht. Unsterbliche Redewendungen waren geprägt worden wie Ray Charles‘ Einführung zu einem Piano, das er verkaufen will1: „2000 bucks and it‘s yours. You can take it home with you. As a matter of fact, I‘ll throw in the black keys for free” und der Spruch der Brüder: 1 Die englischen Filmzitate lasse ich hier unübersetzt. Wer sie nicht versteht, sollte sich den Film mal wieder anschauen. Es gibt an einigen Stellen deutliche Unterschiede zwischen dem Original und der deutschen Synchronfassung. (R.N.) Wasser-Prawda | Juni 2014 50 MUSIK Illustriert wird dieser Artikel mit Promofotos für „The Blues Brothers“ aus dem Jahr 1980. Wasser-Prawda | Juni 2014 MUSIK 51 Die Blues Brothers Band vor den Kulissen von Ray‘s Music Exchange. Doch auf Befehl vom „Pinguin“ das Geld für das Waisenhaus eingealias Schwester Stigmata dürfen zahlt werden muss, heftig verfolgt. sie bei der Beschaffung des Geldes Elwood fasst den Rest des Films so nicht auf Verbrechen zurückgreifen. zusammen: Sie holen ihre alte Band, The Blues Brothers, zusammen und spielen Der Plot des Films ist einfach genug. ein Benefizkonzert. Auf dem Weg Eine bluesliebende Waise, Jake dahin machen sie sich einige Feinde: Blues, wird aus einem Chicagoer Nazis aus Illinois, eine Country & Gefängnis entlassen, nachdem er Western Band namens die Good die Zeit für seine letzten Taten Ole Boy, den Besitzer von „Bob‘s abgesesen hat. Abgeholt wird er Country Bunker“, die Staatspolizei, von seinem ebenso bluesliebenden die Nationalgarde, ein SWAT Team, Bruder, Elwood Blues, in einem ehe- und wir sollten auch nicht Jakes maligen Polizeiwagen (eingetauscht Ex-Verlobte, gespielt von Carrie für ein Mikrophon). Die zwei stehen Fisher, vergessen. Die hat auf seine vor der Herausforderung, Geld auf- Entlassung gewartet, um ihn zu zutreiben, um das Waisenhaus zu töten. Nach dem Konzert werden retten, in dem sie aufgewachsen sind. sie auf dem Weg zu dem Büro, wo “We‘re on a mission from God!” “It‘s 106 miles to Chicago, we got a full tank of gas, half a pack of cigarettes, it‘s dark and we‘re wearing sunglasses.” Wasser-Prawda | Juni 2014 52 MUSIK Posaunist Tom Malone erzählte uns, wie John Belushi und Dan Aykroyd sicherstellten, dass der Film (entgegen den Konventionen von Hollywood) den Musikern zu Gute kam, die bis dahin bei der Band waren. „Danny begann, ein Drebuch für einen Film zu schreiben und interviewte die Band. Ich erzählte ihm eine Story über Gigs, bei denen in Mississippi Maschendrahtzaun vor der Bühne gespannt war. Und Steve [Cropper] erzählte ähnliches von seinen Erfahrungen in Arkansas. Danny brachte sein Script zu Universal, sie kauften es. Und der Rest ist Geschichte. Normalerweise machen bei Filmen die Musiker den Soundtrack und Schauspieler spielen die Musiker im Film. Aber Danny und John bestanden darauf, dass die Wasser-Prawda | Juni 2014 Band im Film dabei ist. Und so kam es.“ Auch wenn es die Absicht gab, an der Besetzung der Blues Brothers Band festzuhalten, waren Änderungen nötig. Bassist Donald Dunn, die Gitarristen Steve Cropper und Matt Murphy, Trompeter Alan Rubin, Posaunist Tom Malone und Saxophonist Lou Marini standen zur Verfügung und wurden für den Film gebucht. Schlagzeuger Willie Hall erinnert sich an die Umbesetzung. Willie war Musiker beim Stax-Label und spielte bei The Bar-Kays und der Band von Isaac Hayes The Movement. Willie sagte: „Sie riefen mich an, als der Blues Brothers Film noch auf ein Budget wartete. Paul Shaffer [Keyboads], Tom Scott [Trompete] und Steve Jordan [Drums] waren für ein Jahr am Broadway mit der Comedian Gilda Ratner. Sie konnten ihre Verträge nicht brechen. Wer sollte sie ersetzen, wenn das Grüne Licht kam? Duck und Steve waren im Büro des Produzenten [Robert K.] Weiss. Der Name der ihnen einfiel war Willie Hall. Zu der Zeit war es schwer, mich telefonisch zu erreichen. Aber sie versuchten es weiter und erreichten mich über einen Freund von Weiss‘ Büro aus. Steve und Duck meinten: Willist Du im Film dabei sein? Sicher, Mann! Sie schickten einen Vertrag und ich flog nach Chicago und wir setzten uns zusammen. Ich muss Steve und Duck dafür danken! So passierte es, Gott sei Dank.“ MUSIK Pau l Sha f fer w u rde du rch Schauspieler Murphy Dunne ersetzt. Dunne hatte schon in einem Film mitgespielt, bei dem John Landis Regie führte. Der sollte auch Regisseur des Blues Brothers Films sein. Murphy war auch ein Freund von John Belushi und des Musikers Willie Dixon. Er hatte geholfen, Willie bei einem Blues Festival in Chicago unter zu bringen. Murphy erzählt: „Ich hatte Booker T and the MG‘s gebucht und traf ihn und Al Jackson und Cropper und Dunne. Diese Typen waren meine Helden! Später, als Paul Shaffer nicht bei The Blues Brothers mit machen konnte, rief mich John an. Und als wir uns trafen, erinnerten sie sich: Oh mein Gott, Du bist das! Der Zufall hat sich für mich sehr glücklich ausgezahlt.“ Duck Dunn und Guitar Murphy wurde beschlossen, dass wir alle einen Spitznamen brauchten. Ich kam also mit Bones an und sie liebten es. John schlug ‚Mr. Fabulous‘ für Alan Rubin vor, er hatte so eine elitäre Attitüde und Humor, so dass es passte. John kam außerdem mit ‚The Cornel‘ für Steve Cropper an. Es passte, weil Steve immer das Kommando haben wollte - nach ein paar Drinks. ‚Blou‘ Lou - Lou wählte sich seinen eigenen Namen. John wählte ‚Triple Scales‘ für Tom Scott.“ Obwohl Tom natürlich gar nicht im Film auftauchte. Matt Murphy hatte seinen Spitznamen damals schon. „Mein Spitname ‚Guitar‘, Memphis Slim hat mir den verpasst. Er sagte, die Gitarre sei wie eine Erweiterung Dann gab es noch die Gast-Stars. meines Körpers.“ Willie ‚Too An einen erinnert sich Matt Murphy Big‘ Hall war bei seinem Namen besonders gut. „Ich spielte mit etwas verschwiegener. Er meinte: Aretha Franklin, und sie sang sich „Das kommt in das Buch, was ich den Arsch ab.“ Andere Gast-Stars, schreibe.“ die sich ihre Ärsche absangen waren etwa Ray Charles, John Lee Hooker, Dann gab es auch noch einen mechanischen Mitspieler im Film, Cab Calloway und James Brown. den Ex-Polizei-Dodge, mit dem Bevor der Film gedreht wurde, die Blues Brothers herumfuhren. hielt man es für wichtig, den Zunächst verachtete Jake verständliBandmitgliedeern Blues-Namen zu cherweise das Auto, mit dem er vom verpassen. Elwood Blues war, typisch Knast abgeholt wurde und warf den in seiner Knappheit, Elwood J Blues. Zigarettenanzünder weg, bevor das Jake Blues wurde „Joliet“ Jake Blues. Fahrzeug über eine sich öff nende Zugbrücke springt. Das führt zu Und der Rest der Band? Tom Malone folgendem Dialog: erinnert sich an seinen eigenen Spitznamen: „Mein Spitzname ‚Bones‘? In der Highschool war ich sechs Fuß und zwei einhalb Inches lang und dünn mit 145 Pfund. So verpassten mir meine Schulfreunde den Namen. Später in der Band mit Elwood: “It‘s got a cop motor, a 440 cubic inch plant. 53 It‘s got cop tires, cop suspensions, cop shocks. It‘s a model made before catalytic converters, so it‘ll run good on regular gas. What do you say? Is it the new Bluesmobile or what?” Jake: “Fix the cigarette lighter.” Wie entstand dieser Charakter? Judith Belushi erklärt: „Mein größter Beitrag am Anfang bestand darin, in unserem Wohnzimmer zu sitzen und Artwork von Animal House wegzuräumen, darunter ein Bild des Leichenwagens aus dem Film. Dan und John hatten eine `63er Dodge bestellt. Ich sagte zu ihnen: Ich gehe los und hole das Bluesmobil. Beide schauten mich an, und Danny meine: Ja. Das war die erste Erwähnung des Namens Bluesmobil.“ Der Blues Brothers Film war voll von kultigen Szenen. Hier erinnert sich die Band an einige ihrer Lieblingsmomente. Jake und Elwood brauchten nur sehr wenig Zeit, um in Schwierigkeiten Wasser-Prawda | Juni 2014 54 MUSIK zu kommen. Sie überfahren eine rote Ampel und rasen davon, als die Polizei mitbekommt, dass Elwoods Führerschein ungültig ist. Tom Malone erinnert an die sich daraus ergebende Szene, bei der das Bluesmobil in ein Einkaufszentrum rast und es schrottet. Bei dem Einkaufszentrum handelte es sich um The Dixie Square Mall in Harvey, Illinois. „Es stand seit sieben oder acht Jahren leer. Die Filmfirma mietete ist, setzte neue Scheiben und Produkte rein und schrieb Autohändler an, um den Parkplatz mit neuen Autos zu füllen. Sie und das Einkaufszentrum wurden in einer Aufnahme abgewrackt, die ein paar Minuten dauerte. Es gab eine Menge Verfolgungsjagden. Die Filmgesellschaft hatte einen Handel über 200 Polizeiwagen von Illinois abgeschlossen, verschrottete aber Wasser-Prawda | Juni 2014 nur 100. Eine Werkstatt war die ganze Nacht geöffnet, so dass Autos repariert werden konnten, um am nächsten Tag erneut geschrottet zu werden.“ Als die Band an verschiedenen Orten zusammengesucht wurde, verlassen in einer Szene Blue Lou und Matt Murphy ihre Jobs im „Soul Food Café“ und Matts Frau (gespielt von Aretha Franklin), nachdem sie „Think“ gesungen hat. Blue Lou, der grade abgewaschen hatte, spielt das Saxophon auf dem Tresen des Cafés. Da war es passend, dass letztens bei einem Auftritt der Original Blues Band vorgestellt wurde als „Der tanzende Tellerwäscher“. monkey suits“ bis die Blues Brothers nach ihnen rufen. Judith Belush erinnert sich: „Ich hatte eine Sprechrolle im ersten Film, die niemals gefilmt wurde, aber ich spielte eine Kellnerin im Hiliday Inn, wo Murph and the Magic Tones spielten. Ich fuhr auf dem Rücksitz eines der Wagen bei einer Verfolgungsjad mit und war in der Menge, als die Blues Brothers Werbung für ihre Show mit Mikrophon und Lautsprecher machten.“ Tom Malone stellt den Ansatz vor, der verfolgt wurde, die Musik aufzunehmen und zu filmen. „Die gesamte Musik für den ersten Film wurde (bis auf John Lee Hooker auf der Maxwell Street) wurde vorher Murphy ‘Murph’ Dunne, Tom aufgenommen. Wir machten diese Malone, Steve Cropper und Willie Aufnahmen im Juli 1979 in den Hall spielen als Murphy And the Universal Studios. Ich erinnere Magic Tones in ihren „candy ass mich, dass die einen großen Saal MUSIK hatten, der heute aber nicht mehr vorhanden ist. James Brown nahm dort „It‘s a Man‘s World“ dort auf. Den Film drehten wir in Hollywood und wir bewegten die Lippen zur vorher aufgenommenen Musik. Der ganze Film wurde in LA gefi lmt. Bob‘s Country Bunker war auf dem Hinterhof der Universal Studios. Das Innere war eine Sound Stage in LA. Kasten nach Kasten von Flaschen aus Zuckeglas wurden an dem Draht zerschlagen. Wir waren einige Tage da drin. Auch in den Universal Studios entstand die RestaurantSzene, wo wir Mr. Fabulous abholten. Das Konzert im Palace Hotel Ballroom wurde im Hollywood Palladium gefilmt. Sechshundert der Zuschauer waren bezahlte Statisten von der Schauspielergewerkschaft, 55 die anderen waren Arbeitslose, die Country Bunker“, bei der die Band ein paar Dollar und freien Lunch den Platz der verspäteten Good Ole bekamen.“ Boys einnehmen, um ihren ersten Gig zu spielen hinter dem berühmtDie neuformierte Band braucht berüchtigten Hühnerdraht und Ausrüstung und fährt zu Ray‘s einem Hagel von Flaschen, bis sie Music Exchange, wo Ray dicht etwas spielen, was mehr oder weniger neben einen Möchtegern-Gitarren- Country war. „Ausgangspunkt war, Dieb schießt, um ihn zu vertreiben dass John sich den Weg in den Laden und „Shake A Tail Feather“ singt. gelogen hatte, ein Ort, wo sie nur Tom Malone erinnert sich: „Das Country Musik spielten war ziemlich traumatisch, wie sie das gemacht haben. Auch wenn sie die Pistole mit Platzpatronen geladen hatten. Sie wiederholten es immer und immer wieder. So gab es eine Menge Optionen für den Schnitt. Gemacht wurde die Szene in Hollywood.“ Als also die Band die Set-Liste sieht, Tom erinnert sich auch noch an schaut sie nicht passend aus. Als andere Details der Szene in „Bob‘s John die Peitsche in Bob‘s Country ‘we play both kinds, Country and Western’. Wasser-Prawda | Juni 2014 56 MUSIK Bunker einsetzte, war das ein wenig beängstigend. Er durfte alles machen, und er war voller Energie. Die Szene war nicht im Originalfilm. Der war 107 Minuten lang, die Anniversary Edition 134 Minuten. Da war eine Menge mehr drin. Die erste Version war kurz, so dass mehr Vorführungen pro Tag in den Kinos gezeigt werden konnten, um mehr Geld zu machen. Eine Szene, die sie rausgelassen hatten, hatte 50000 Dollar gekostet. Da gehen sie zu der Tankstelle, und als John losfährt, lässt er sein Streichholz in eine Benzinpfütze fallen und es jagt einen Benzintank und eine Telefonzelle in die Luft.“ Elwood: “I know all about that stuff. I have been exploited all my life.” In der nächsten Folge: Die Blues Dan Aykroyd bestätigt: Die Zeile Brothers gehen auf ihre „Road To mit der Ausbeutung kam von mir Ruin“-Tour bevor ihr zweiter Film und Landis und einem von den entsteht. Bandmitgliedern, Blue Lou Marini.“ Im Rückblick haben die Musiker, die nach dem Willen von Aykroy und Belushi im Film auftraten, dem Blues einen großen Gefallen Um den Ort für das große getan. Willie Hall erinnert sich, Benefizkonzert für das Waisenhaus was es für ihn bedeutet hat. „Das zu bekommen, musste Promoter Schauspielen, das hatte ich noch nie Maurice Sline in einem Dampfbad zuvor gemacht, Zeilen zu sagen und ein wenig erpresst werden. Einige Markierungen zu treffen, aber es hat Sätze dieses Dia logs gehen mir Spaß gemacht. Landis meinte: folgendermaßen: Du hast Deinen Stoff wirklich gut rübergebracht.“ Maury Sline: “Hold it, hold it. Tomorrow night? What are you talking about? A gig like that, you gotta prepare the proper exploitation.” Wasser-Prawda | Juni 2014 Alter-Egos, großartige Charaktere. Landis hat das Drehbuch verändert, um Verfolgungsjagden einzufügen. Und der größte Kampf ging um die Sonnenbrillen, die Produzenten des Films konnten Figuren nicht verstehen, die niemals aufhörten, ihre Sonnenbrillen zu tragen. Doch es zahlte sich aus in der Tunnel-Szene.“ Der resultierende Film hat eine langanhaltende Qualität, es wenn seine Produzenten nicht immer genau wussten, was sie da abbildeten. Judith Belushi fasst es folgendermaßen zusammen und verweist auf die Szene, in der Jake Blues Auge in Auge seiner mörderischen Ex-Verlobten gegenüber tritt, die es nicht mehr fertig bringt, ihn zu töten, nachdem sie seine babyblauen Augen gesehen hat, die er den Rest des Filmes hinter den Gläsern der Ray-Ban verborgen hat: „John und Dan haben echte Charaktere erschaffen, nicht nur A L B U M D E S M O N A T S 57 B LIND W I L L I E S - E V E RY DAY IS JUDGMENT DAY ALBUM DES MONATS JULI 2014 Vom kalifornischen Songwriter Alexei Wajchman sollte man keine leichte Kost erwarten. Schon das 2011 veröffentlichte Album seiner Band Blind Willies zeichnete ein düsteres Bild von Wahnsinnigen, Nutten und ihren Zuhältern und den dunklen Seitenstraßen von San Francisco. „Every Day Is Judgement Day“ ist zeitweise ebenso dürster. Aber die Lieder über Freiheit im weitesten Sinne sind kämpferischer und politischer. Völkergruppen und Angehöriger bestimmter Schichten auf, die im Laufe der Jahrhunderte Opfer von Massenmorden wurden: Juden und Palästinenser, Armenier, Zigeuner und Angehöriger afrikanischer Völker, Sklaven - und ganz zum Schluss: „and Jesus too“. Ganz langsam baut das von einem einfachen Rhythmus begleitete und durch die Tonarten sich nach oben schraubende Gitarrenriff eine Spannung auf, die sich erst in einem wütenden Solo der verzerrten E-Gitarre entladen kann. „Ladies and Gentlemen, this way to the gas.“ Ein scheinbar geschmackloser Vers. Wie kann man über den Schrecken von Auschwitz einen Tango schreiben? Doch Alexei Wajchman hat gerade diese Zeile vom Titel autobiografischer Erinnerungen eines Überlebenden entlehnt. Und er ließ sich vom Ort des Massenmordes selbst inspirieren: „Cremo Tango“ ist ein verstörender Song geworden, einer der den Schrecken fühlbar macht, auch durch den scheinbar harmlos dahinswingenden Tangorhythmus. Auch der nächste Song des Albums zählt zu denen, die einen zunächst sprachlos da sitzen lassen: In „42 Jews“ zählt er ohne Kommentar Musikalisch sind die Musiker im Laufe der Jahre wesentlich vielseitiger geworden: von einfachen Folkmelodien, von Blueseinflüssen und Americana im weitesten Sinne bis zu wütendem Rock reicht das Spektrum. Doch die Musik ist hier immer nur das Transportmittel für die gnadenlos genauen und niemals von ironischer Distanzierung abgeschwächten Beobachtungen eines unwahrscheinlich beeindruckenden Songwriters. Erst beim letzten Song „Big City“, durch das Wajchman durch seine langjährige Arbeit mit Kindern inspiriert wurde, wird ein wenig von der düsteren Atmosphäre dieses Albums hinweggenommen und entlässt den Hörer mit positiven Gedanken. Selten in den letzten Jahren sind mir politische Lieder begegnet, die textlich und musikalisch so gut zusammenpassten - die Blind Willies werden damit kaum die Charts erobern. Denn dort ist ja meist nur die gleiche geistlose Banalität zu Ein Album über Freiheit? Hier finden. Für denkende Musikhörer ist kein optimistischer Hurra- allerdings dürfte „Everyday Is Patriotismus zu hören. Die Lieder Judgment Day“ auf der Liste der der Blind Willies schauen eher beeindruckendsten Alben des Jahres dahin, wo im politischen und per- landen. (Bandcamp) sönlichen Umfeld die Freiheit fehlt Raimund Nitzsche und was sich daraus entwickelt. Wasser-Prawda | Juni 2014 58 P L AT T E N DIE REDAKTION EMPFIEHLT JULI 2015 AL BASILE - WOKE UP IN MEMPHIS Im zeitgenössischen Blues gibt es kaum jemanden, der wie er literarisch und musikalisch gleichsam anspruchsvoll und eingängig seine Geschichten erzählen kann. BLACK KAT & KITTENS - GYPSY LIFE Großartig ist, dass auf diesem Album aber nicht nur die alten Meister in eigenen Bearbeitungen gespielt werden. Auch die eigenen Songs atmen ganz den Geist dieser Zeit. Aber sie spielen dann halt auf dem Arbeitsamt oder auf den Straßen hierzulande. THE BLACK TONGUED BELLS EVERY BELL HAS A TALE TO TELL Die Band verbindet Alabama Muscle Shoals Sound mit Memphis Grooves, Swamp Blues, ein wenig Gospel und nennt das ganze „American Swamp“. Es ist ein unglaublich erdiger, starker und mitreißender Stilmix. Wasser-Prawda | Juli 2014 Memphis Soul im Stile der 60er Debüt des britischpolnisch-deutschen Trios aus Berlin American Swamp aus Kalifornien P L AT T E N PAUL KARAPIPERIS - ONE SIN IN SEVEN PARTS Ein Konzeptalbum? Eine Blues-Suite wie John Mayalls „Bare Wires“? Paul Karapiperis hat einen Text auf sieben Songs verteilt, die den Willkommensgruß an einen neuen Erdenbürger entstehen lassen. CROSBY STILLS NASH & YOUNG LIVE 1974 Nach Woodstock und dem grandiosen Album “Deja vue” dauerte es einige Jahre, bis Crosby Stills Nash & Young wieder gemeinsam auf Tour waren. Auf drei CDs und einer DVD wird rekonstruiert, wie die Konzerte 1974 waren. BRIDGET KELLY BAND - FOREVER IN BLUES Die selbstgeschriebenen Songs sind voller Selbstvertrauen, ebenso wie auch in der Darbietung derselben. Zeitweise fühlte ich mich erinnert an die frühen und vielleicht die besten - Arbeiten von Johnny Winter. FO’REEL - HEAVY WATER Auf „Heavy Water“ kocht der Blues mit gehörig Funk. Zeitweilig macht die Musik Ausflüge in Richtung Swing oder Latin. Ehrlich: diese Scheibe passt so richtig zum schwülheißen Sommerwetter. 59 Psychedelische Blues-Suite aus Griechenland Konzertdokument einer der besten Bands der 70er Jahre Zweites Album der Band aus Florida Was Neues aus New Orleans Wasser-Prawda | Juli 2014 60 C o l l e c t o r ’ s C h o i c e T RUDY LYNN - R OYA L OAKS BLUES CAFE FAST EINE REZENSION VON BERND KREIKMANN Bevor ich Trudy Lynns neueste CD „Royal Oaks Blues Cafe“1 vorstelle, einige Worte zu Trudy. Für mich unverständlich, daß eine der begnadetsten Sängerinnen unserer Tage zumindest in Deutschland so gut wie unbekannt ist. Sie wurde vor etwa sechzig Jahren In Houston Tx. geboren und begann ihre Karriere in den 60ern als Sängerin bei Albert Collins. Trudy Lynn bewegt sich im breiten Spektrum von Blues, R&B, Soul und Jazz. Ihren Durchbruch auf Platte erlebte sie Ende der 80er mit dem Album „Trudy sings the Blues“. Und wie sie den singt. Es folgten viele großartige Alben. Ich habe Trudy zum ersten (und bislang leider letzten) Mal im Lionel Hampton Jazz Club Paris erlebt. Nun gehöre ich zu den Menschen, die seit langen Jahren regelmäßig Live Konzerte besuchen und viele tolle und beeindruckende Acts erlebt haben, aber dieser Abend ist für mich unvergeßlich. Trudy ist ein Naturereignis. Eine zierliche und temperamentvolle Frau, eine Lady im eigentlichen Sinn, singt, schreit, schluchzt und brüllt den Blues. Da gibt es keine 1 Review in English on page 143 Wasser-Prawda | Juli 2014 geglätteten Emotionen, das ist pure Leidenschaft – überwältigend. Etwa ein Jahr später wurde ein Mitschnitt des Konzerts als „Trudy’s Blues“ veröffentlicht (Album: Blues Power: Trudy‘s Blues, Label: Isabel, Release Date: August 10, 2004). Eine unglaublich dichte und intensive CD, die zu meinen meistgehörten Alben zählt. Sehr empfehlenswert ist auch die bereits früher erschienene CD „U Don‘t Know What Time It Is“ (Ruf, 1997, Bestellnummer: 2177467, Erscheinungstermin: 6.3.2000). Im Dezember 2013 hat Trudy Lynn mit „Royal Oaks Blues Cafe“ ihr bislang letztes Album vorgelegt. Sie präsentiert zeitlose Songs, zum Teil aus alten Tagen. Über Songmaterial und Musiker rede ich nicht, das ist durchgängig vom Feinsten. Auf Trudy’s Alben findet jeder seine Lieblingsstücke. In Trudy’s Version wäre selbst „Hänschen klein“ ein mitreißendes Erlebnis. Ich hoffe, dass uns diese große Lady des Blues noch viele Alben schenkt und endlich auch den Weg zu uns findet. Bis dahin müssen wir uns mit ihren CDs begnügen – ich habe ungehört alle Alben die ich erhalten konnte gesammelt; eine Enttäuschung habe ich nie erlebt. Label: Cd Baby Bestellnummer: 3812439 Erscheinungstermin: 1.10.2013 P L AT T E N 61 REZENSIO NEN A BIS Z Eli „Paperboy“ Reed - Nights Like This 62 Mick Simpson - Unfinished Business 68 Emanuel Young, Live in Detroit 71 P Al Basile - Woke Up In Memphis 55 F B Fo‘Reel - Heavy Water 63 Paul Karapiperis - One Sin In Seven Parts 69 Barrelhouse Chuck & Kim Wilson‘s Blues All Stars - Driftin‘ From Town To Town 56 G A Aaron Burton - The Return of Peetie Whitestraw 55 R Robin Banks - Modern Classic 69 Bert Deivert - Kid Man Blues 56 Gregg Allman: All my friends celebrating the songs & voice of Gregg Allman 63 Black Kat & Kittens - Gypsy Life 57 H V Harmonicadave - Box Full of Blues 64 Various - Atomic Platters. Single Warhead Edition With Bonus Tracks 72 Black Tongued Bells - Every Tongue Has A Tale To Tell 57 Bobby Patterson - I Got More Soul! 58 Brian Setzer - Rockabilly Riot! All Original 59 Bridget Kelly Band - Forever in Blues 59 Harpoonist & The Axe Murderer - A Real Fine Mess 64 Schorsch H. & Dr. Will - Together 72 Various - The Best of 2 Tone 73 Henri Pierre Noel - One More Step 71 I Impala Ray - Old Mill Valley 65 C J Chuck E. Weiss - Red Beans and Weiss 60 Jamie Bernstein - WhoonDang 65 Crosby Stills Nash & Young - CSNY 1974 60 John Hiatt - Terms Of My Surrender 66 D K David Blair - Stronger, Higher, Faster 61 Kleeberg & Genossen - das alles nennt sich leben 67 Deanna Bogart - Just A Wish Away 61 L Delta Moon - Turn Around When Possible 62 M E S Jay Ottaway - Carry On 66 Lee Fields - Emma Jean 67 Malcolm Holcombe - Pitiful Blues 68 Wasser-Prawda | Juli 2014 62 P L AT T E N Aaron Burton - The Return of Pee e Whitestraw* Aaron Burton stammt aus Texas, einem Staat mit einer langen Geschichte meisterhafter Bluesmusik. Lightnin Hopkins beispielsweise war sicherlich keine Niete. Das ist Burtons fünftes Album bis heute, selbst produziert und selbst promotet umfasst es 14 selbstgeschriebene Songs. Der Südstaatenakzent ist heftig und das Picking auf der akustischen Gitarre ist entspannt. Dieses Album ist in der Tat so laid back, dass das Gitarrenspiel manchmal in der Gefahr steht, übersehen zu werden. Ein Fehler, denn das Picking, wenn auch zurückhaltend, klingt einzigartig gefühlvoll und kunstfertig und trägt mühelos zu einem fein ausbalancierten Sound bei, der über die ihm zugrundeliegende Komplexität hinwegtäuscht. Burton ist einer, der sich alles selbst beigebracht hat, ein Autodidakt, der in den Bars und Clubs des Lone Star State gespielt hat und interessantes Material produziert, das all die üblichen Bereiche umfasst von Liebe * English version on page 140 Wasser-Prawda | Juli 2014 und Herzschmerz bis zu Tod und Elend,. in anderen Worten die komplette Skala des Blues in Gedanken und Gefühlen, untermalt von großartiger Gitarrenarbeit und einer herrlich grollenden und fauchenden Stimme. Mit vierzehn Stücken zur Auswahl ist hier es eigentlich unmöglich, keines zu finden, das den Geschmack eines Bluesliebhaber befriedigen könnte. Das ist ein Musiker und eine CD, die eine echte Überraschung und eine wirkliche Entdeckung sind - ein Künstler und Material von eigenständiger Qualität, wonach man wirklich ausschauen sollte. Burton soll in den nächsten Monaten sein Nachfolgealbum aufnehmen. Und ich zumindest, bin schon gespannt drauf, seine nächsten Stücke zu hören. Ian Patience Al Basile - Woke Up In Memphis Manche nennen den Songschreiber und Kornettisten Al Basile einen Barden des Blues. Im zeitgenössischen Blues gibt es kaum jemanden, der wie er literarisch und musikalisch gleichsam anspruchsvoll und eingängig seine Geschichten erzählen kann. Bei „Woke Up In Memphis“ zelebriert Basile seine Liebe zum klassischen Soulsound aus Memphis der 60er Jahre. Das macht nun wirklich nur jemand wie Basile: Ein Bluessong, der auf einer Fabel von Äsop basiert: „One More Stone In The Pitcher“ spielt auf die Geschichte von der durstigen Krähe an, die so lange Steine in einen Krug wirft, bis sie das Wasser mit ihrem Schnabel erreichen kann: One more stone in the pitcher one more shot on the bar you‘re the best one yet but that ain‘t gonna to get you far Doch nicht immer sind es die großen literarischen Anspielungen, die hier ins Ohr springen. Ein Lied wie „Big Like Elvis“ ist mit seinem Humor einfach unvergleichlich und man fühlt sofort mit mit diesem Träumer, der hofft, eines Tages allen seinen Freunden große Autos schenken zu können und selbst in einem palastartigen Haus zu wohnen. Es finden sich 14 Songs auf dem Album - und eigentlich jeder ist eine kleine Kostbarkeit, erzählt eine Geschichte, der man gerne zuhört mit einer Musik, die wunderbar ist. Ganz abgesehen davon: Schon die Besetzung dieses Albums ist ein Fest für jeden Bluesfan. Duke Robillar hat nicht nur das Album produziert sondern setzt mit seiner Gitarre die gewohnt großartigen Akzente. Die Saxophonisten Rich Lataille und Doug James sorgen für den fetten Bläsersound. Und Schlagzeuger Mark Teixeira liefert für alles zwischen swingendem Rhythm & Blues und funkigen Ausflügen den perfekten Groove. Und dann war P L AT T E N auch noch die umwerfende Sista Monica Parker, die bei „Make A Little Heaven“ die nötige Portion Gospelsound beisteuert. Selten war ein Albumtitel in letzter Zeit so treffend: Ob es sich um Blues, Soul oder Gospel handelt: Basile und seine Begleiter spielen nicht einfach im Stil der Stadt nein, hier muss man wirklich sagen: sie zelebrieren die Musik regelrecht. „Woke Up In Memphis“ ist ein Traum von einem Bluesalbum! Nathan Nörgel Barrelhouse Chuck & Kim Wilson‘s Blues All Stars* - Dri in‘ From Town To Town Wenn zwei alte Bekannte zusammenkommen haben sie viel zu erzählen. Oder aber sie spielen ein Album ein. So geschehen mit Barrelhouse Chuck und Kim Wilson. Beide sind Urgesteine der Bluesmusik. Barrelhouse Chuck Goering gilt als einer der herausragenden traditionellen BluesPianisten und Sänger. Seine Lehrer waren u.a. Sunnyland Slim und Little Walter Montgomery. Kim Wilson kennen wir als AusnahmeHarper und Sänger aus seiner langen * Zusammenarbeit mit den Fabulous Thunderbirds. Mit dabei sind die Blues All-Stars bestehend aus Jeremy Johnson (guitar), Richard Innes (drums), Larry Taylor (bass), Billy Flynn (guitar) und Sax Gordon (sax.). Die Herren sind viele Jahre im Geschäft und gehören jeweils zu den Spitzen ihrer Zunft. Sie können sich einzeln und als Band mit jeder mir bekannten Band messen und sind wahre All-Stars. Für Freunde des traditionellen Chicago Blues hat sich ein Dreamteam zusammengefunden. Ich würde viel darum geben, diese Truppe live zu erleben. Sie hatten bestimmt viel Spaß bei den Aufnahmen. So lebendig und leicht klingt die CD. Dazu kommt die qualitativ einwandfreie Aufnahme und Produktion. Natürlich gibt es auf dem Album auch Songs. Es geht mit Barrelhouse Chuck’s „The big Push“ los. Chuck legt am Klavier los und singt, Wilson zieht das ganze Register seines Könnens. Mit Songs wie Floyd Jones „Stockyard Blues“ und Sunnyland Slim’s „She’s got a thing going on“ geht es weiter. Kim Wilson brilliert als Sänger in Howlin’ Wolf ’s „I’m leaving you“ (Chuck legt richtig los, es gibt ein bemerkenswertes Gitarrensolo). Es sind noch weitere Songs zu entdecken. Mir gefällt Chuck Berry’s „Thirty Days“ und Willie Dixon’s „Three hundred Pounds of Joy“ ist auch nicht zu verachten. Ein Album wie dieses entsteht nicht jeden Tag. Allein die Aufgabe, die Musiker zur gleichen Zeit in ein Studio zu bekommen, wird 63 schwer zu lösen gewesen sein. Dem Produzenten Steven B. Dolins sei hiermit gedankt. Ich möchte die Band gern live erleben – hoffentlich bleibt es kein Traum. (The Sirens Records SR5021) Bernd Kreikmann Bert Deivert - Kid Man Blues Bert Deivert ist ein Bluesman aus den Vereinigten Staaten, der in Skandinavien lebt, wo ein großer Teil dieses sehr guten Albums mit zwölf Titeln aufgenommen und produziert worden ist. Doch auch wenn er seit rund 40 Jahren in Schweden lebt, bleibt Deivert im Herzen ein echter US-amerikanischer AkustikBlues-Picker. Und das kann man ganz deutlich auf dieser großartigen CD erkennen. Das Material reicht von einigen Eigenkompositionen zu einem Stapel exzellent interpretierter Standards von Musikern wie RL Burnside und Sun House bis zu Sleepy John Estes und Skip James. Für mich ist Deiverts Version dieses wunderbaren alten Standards „Come Back Baby“ eines der besten und eindrücklichsten Stücke. Das wird hier in einer neuen erfrischenden und absolut interessanten English Version on page Wasser-Prawda | Juli 2014 64 P L AT T E N Weise gespielt. Auch der Titelsong ist ein kleineres Meisterstück, bei der Deiverts von Yank Rachell inspirierten Resonator-Mandoline ihren vollen Klang entfalten kann. Überall auf der CD sind es die Resonator-Instrumente, die neben Deiverts leichtfüßigem und hochklassigem Spiel sowohl auf Gitarre als auch auf der Mandoline auffallen. Doch das ist kein Album, das von Slide-Spiel dominiert wird. Es ist wunderschön produziert und ist voller subtilem und emotionalem Spiel. Auch der Gesang ist gut mit Deiverts voller und kehliger Stimme und einem deftigen Groove, dem man den Spaß an der Musik anhört. Brian Kramer, ein weiterer in den USA geborener und in Stockholm lebender Resonator-Fan hat auf dem Album mitgespielt und auch Background-Vocals beigesteuert, die genau auf den Punkt genau passend sind. Deiverts Version von Skip James‘ „Cypress Groove“ ist ohne Fehl und Tadel und macht dieses Album zu einer vollen fünf Sterne-Schönheit. Iain Patience Black Kat & Ki ens - Gypsy Wasser-Prawda | Juli 2014 Life Blues ist eine Weltsprache. Kaum eine andere Band in Deutschland hat das in letzter Zeit so deutlich gemacht wie das in Berlin beheimatete Trio „Black Kat & Kittens“: Sängerin Lorraine Lowe stammt ursprünglich aus London, Bluesharpspieler Adam Sikora aus Polen und Gitarrist Simon Dahl ist Deutscher. Etwas mehr als einem Jahr nach seiner Gründung hat das Trio jetzt sein Debüt veröffentlicht, das neben Klassikern des Vorkriegsblues auch beeindruckende eigene Songs beinhaltet. Sie selbst nennen ihren Stil „Blues & Roots“. Aber man kann es sich auch einfacher machen: Black Kat & Kittens spielen traditionellen akustischen Blues, der ganz stark von den Spielweisen des Vorkriegsblues vor allem im Mississippi beeinflusst ist. Vorbilder sind (wenn man mal einfach von den Covern auf „Gypsy Life“ ausgeht) Musiker wie Sleepy John Estes, Sonny Terry, Blind Willie Johnson oder John Henry Barbee aber auch die Stringbands der 20er Jahre. Zuweilen machen sie musikalisch auch Ausflüge in die Region der North Mississippi Hills oder die Bayoos in Louisiana. Großartig ist, dass auf diesem Album aber nicht nur die alten Meister in eigenen Bearbeitungen gespielt werden. Auch die eigenen Songs atmen ganz den Geist dieser Zeit. Aber sie spielen dann halt - wir sind schließlich mehr als hundert Jahre später und in Deutschland - auf dem Arbeitsamt oder auf den Straßen, auf denen man als Bluesmusiker hierzulande unterwegs ist. Oder Lowe singt vom Bluesman mit der großen Nase, der ihr alles beibringt, was es vom Blues zu wissen gibt. Lorraine Lowe ist eine faszinierende Sängerin und Geschichtenerzählerin. Adam Sikoras Harp liefert immer wieder spannende Kommentare. Und ob nun akustisch oder auch elektrisch sind die Gitarren und Mandolinen von Simon Dahl immer prägnant und spannend. Aber besonders gut sind Black Kat & Kittens immer dann, wenn sie alle drei ihre Stimmen vereinen „Gypsy Life“ ist ein wunderbares Debütalbum, das man allen Freunden des akustischen Blues nur wärmstens empfehlen kann. Raimund Nitzsche The Black Tongued Bells Every Tongue Has A Tale To Tell Wahrscheinlich habe ich einen Hang zu Gruppen und Musikern aus Los Angeles. Dort treffen sich kreative Künstler aus allen Regionen und verschmelzen ihre ursprünglichen Stile häufig zu etwas Anderem und Neuem. Für mich unvergessen die einmaligen Imperial Crowns und die Wahnsinnsblueser/-rocker von Rhino Bucket, die in den letz- P L AT T E N ten Jahren regelmäßig bei uns zu Gast waren.* Über die Black Tongued Bells bin ich regelrecht gestolpert. Dabei existiert die Gruppe bereits seit 13 Jahren. Eine Indie Band, die bislang nur im Raum L. A. zu hören war, sich durchgekämpft hat und nun international antreten möchte. Das Zeug dazu hat sie. Die Band verbindet Alabama Muscle Shoals Sound mit Memphis Grooves, Swamp Blues, ein wenig Gospel und nennt das ganze „American Swamp“. Wie auch immer, es ist ein ungewöhnlicher aber unglaublich erdiger, starker und mitreißender Stilmix - nur das zählt. Die Bandmitglieder stammen aus den unterschiedlichsten Gegenden der USA. Um den Sänger, Gitarristen und Songschreiber D. Miner, gruppieren sich der Bassist und Sänger Anthony Cook und der Drummer Ray Herron (alle drei Gründungsmitglieder). Hinzu kommen weitere hochklassige und erfahrene Top Musiker. Interessieren täte mich, was D. Miner zum Erhalt seiner Stimme einsetzt (ausgeprägtes Alleinstellungsmerkmal). In einem Text heißt es hierzu „his (D.Miner’s) distinctive bariton sounds as if it’s been soaked in whisky for a century and then dragged down an endles gravel road …“ Die vorliegende selbstproduzierte CD ist die erste der Band. Wie bei vielen guten Bands sind die Mittel knapp. Es entstand ein Album, daß in einem Mississippi Juke Joint aufgenommen worden sein könnte. Die Musik baut auf Swamp Rhythmen auf. Neben Gitarre, Bass und Schlagzeug, sorgen Keyboard, Percusssion, Harp, Klavier, Saxophone und Trombone für einen leicht hypnotischen Klang. Der Opener „Coming back for more“ ist eher funky und berichtet von einem Arztbesuch. „Long Way to Go“ ein eher langsames Stück erzählt von dem langen Weg zum Himmelstor. „Gimme that Rise“ ist ein klassischer Swamp Song, eine Frau berichtet von ihrem unerfüllten Leben. Neben den Eigenkompositionen gibt es eine äußerst eigenständige Interpretation des Merle Travis Land Klassikers „Sixteen Tons“ der bei youtube auch als Video vorliegt – mitreißend! Die Texte sind allesamt nicht kalifornisch leicht, sie beschreiben das Leben in seinen Facetten. Allerdings gibt es auch den Party Song „Rattle Some Bones“, der so vital ist, dass er Tote erwecken könnte (so im Songtext). Mich hat die CD nicht losgelassen. In meiner Sammlung steht sie in der (kleinen) Ecke für Besonderes. Wer sich schwertut sie zu erhalten, wende sich bitte an die Redaktion. (Rankoutsider Records) Bernd Kreikmann 65 Bobby Pa erson - I Got More Soul! In den 60ern nannte man Sänger/ Songwriter Bobby Patterson schon mal den „Dallas‘ No. 1 soul brother“. Heute ist der Texaner zwar schon 70 Jahre alt. Seine Stimme aber und seine Songs sind im besten Sinne zeitlos. Nachzuhören ist das auf Pattersons erstem Album seit vielen Jahren mit dem mehr als zutreffenden Titel „I Got More Soul“. Er habe die klassischen Sachen von Patterson neu erschaffen wollen, meint Produzent Zach Ernst. Zu sehr haben ihn die Live-Shows des Texaners beeindruckt, als dass er jetzt moderne Experimente machen wollte. Und so ist „I Got More Soul“ vom Cover bis zu den einzelnen Songs ein Fest für jeden Fan klassischer Soulsounds der 60er. Die meisten der Songs hat Patterson selbst geschrieben - als Songwriter war er in der Vergangenheit schon für alle zwischen Albert King und den Fabulous Thunderbirds tätig. Sorgsam ausgewählte Cover wie Sly Stones „Poet“ (vom legendären Album „There‘s A Riot Goin On“) passen nahtlos in das Konzept. * version in English on page Wasser-Prawda | Juli 2014 66 P L AT T E N Kein Wunder, dass Patterson Anfang des Jahres beim SXSW-Festival zu den Sensationen zählte! Dieser Soulbrother hat es noch immer drauf, mit jugendlichem Überschwang und ohne Alterungserscheinungen sein Publikum zum Soul zu bekehren! (Omnivore Rec.) Raimund Nitzsche Eigentlich ist er immer der Mann mit der Rock & Roll Gitarre. Und darin ist er gut wie eh und je. Und Produzent Peter Collins (der auch schon „Vavoom“ und „Dirty Boogie“ produziert hatte), setzt ganz auf den puren Drive dieses Quartetetts mit Mark Winchester (b), Kevin McKendress (p) und Schlagzeuger Noah Levy. „Rockabilly Riot! All Original“ ist gleichzeitig frisch, wild und absolut retro. Zwölf Songs, die selbst Halbtote zum Tanzen bringen können. (Surfdog/Membran) Nathan Nörgel Brian Setzer - Rockabilly Riot! All Original Drei Jahre nach „Setzer Goes InstruMental“ ist Brian Setzer wieder ins Studio gegangen. Und er ist musikalisch ungefähr wieder dort angekommen, wo er mit dem Debüt der Stray Cats war: Beim puren Rockabilly mit seiner wilden Gitarre und Songs über große Motoren, Frauen und wilde Tanzparties. Die Tolle sitzt, die Drums treffen ins Bauchfell , das Piano spielt den Boogie und die Finger jagen über die Gitarre: Hier ist Brian Setzer 2014. Songs wie der Opener „Let‘s Shake“ zitieren die ganze Geschichte des Rock & Roll. Auch wenn die Songs alle neu sind: Wer von Brian Setzer eine musikalische Revolution erwartet, kennt diesen Gitarristen schlecht. Ob er nun Rock oder Swing mit seiner Big Band spielt. Wasser-Prawda | Juli 2014 Bridget Kelly Band - Forever in Blues „Forever In Blues“* ist das zweite Album der aus Florida stammenden Bridget Kelly Band. Die Gruppe hat einen vollen, satten Sound, in dem die großartigen Gitarrenlinien von Tim Fik im Mix klar zu hören sind. Kelly‘s Stimme ist stark, kraftvoll und voller Soul. Bei diesem Album bekommt man auf jeden Fall was für sein Geld geboten: 15 Songs, alle stark und ohne Füllmaterial sind hier zu finden. Das ist einfach ein sehr gutes * English version on page Album, dass die Aufmerksamkeit schon von den ersten Takten an gefangen nimmt und mit Elan und Kühnheit mitreißt. Wenn es vorbei ist, ist man traurig, aber glücklicherweise kann man es ja erneut abspielen, immer und immer wieder. Die Bridget Kelly Band ist eine fein aufeinander eingespielte Gruppe mit einem guten Gespür für die Musik und einer Reife, die man nur durch jahrelanges Spiel in den Clubs, Juke Joint und Bars der Stüdstaaten der USA erwerben kann. Die selbstgeschriebenen Songs sind voller Selbstvertrauen, ebenso wie auch in der Darbietung derselben. Zeitweise fühlte ich mich erinnert an die frühen - und vielleicht die besten Arbeiten von Johnny Winter. Insgesamt fällt es schwer, etwas an diesem Album zu bemängeln. Es steigert sich von Stück zu Stück mit feinem Tempo und Emotionen. Hervorheben sollte man die Fähigkeiten der vier beteiligten Musiker. Das ist ein Album für diejenigen, „who liker their blues to rock their boat.“ (Alpha Sun Records) Iain Patience P L AT T E N Chuck E. Weiss - Red Beans and Weiss Angefangen hat Chuck E. Weiss in den 60ern als Schlagzeuger für Lightnin‘ Hopkins. Später war er auch mit Willie Dixon, Muddy Waters oder Dr. John auf der Bühne oder im Studio. Dann aber schloss er Freundschaft mit Tom Waits und zog von Denver nach Los Angeles, wo er mit ihm gemeinsam im Tropicana Motel wohnte. 1981 veröffentlichte er als Debüt eine Sammlung von Demos unter dem Titel „The Other Side of Town“. Doch statt eine eigentliche Karriere zu starten, spielte er jahrelang wöchentlich in einem Nachtclub. Dann überredete er Johnny Depp dazu, aus dem Central den Viper Room zu machen. Erst 1999, 2001 und 2007 erschienen weitere Alben. Wenn jetzt Tom Waits und Johnny Depp öffentlich das Lob von Weiss‘ neuem Album singen, dann hat das natürlich auch persönliche Gründe (und nicht nur die, dass beide als Executive Producers eines der schrägsten Alben im Bluesumfeld 2014 geführt werden). Aber auch musikalisch und vom Songwriting her ist die Scheibe mit dem blödsinnigen Titel eine echte Empfehlung wert. Denn Weiss hat hier Songs geschrieben, die vom Classic-Blues der 20er Jahre bis hin zu den versoffenen Bar-Blues-Nummern des jungen Waits und dem abgedrehten Bluesrock von Captain Beefheart reichen. Wer formale Zwölftaktigkeit und strenges Festhalten an eingefahrenen Klischees erwartet, dürfte schockiert werden. Gerade diese Klischees werden durch den Wolf gedreht und mit teils absurdem Humor, teils voller Blödsinn in den Texten serviert. Manches geht dabei gehörig in die Hose (eine Nummer wie „Willy‘s in the Pee Pee House“ ist so dämlich, dass sie einfach nicht mehr cool sein kann), aber anderes ist ein intellektueller Spaß auf höchstem Niveau (großartig, wie „Oo Poo Pa Do In The Rebop“ hier den Blues gegen schräge Jazzrhythmen setzt). Und der von den Stones selbst nicht veröffentlichte „Exile on Main Street Blues“ ist mehr als ein Hören wert, versetzt er die Jagger/Richards-Nummer doch erst in die Vorkriegszeit, bevor die komplette Band mit fettem Saxophon draus eine deftige Rhythm & BluesNummer macht. Johnny Depp meint, dass wäre das Album, das man in diesem Jahr unbedingt kaufen sollte. Ich meine: Auf jeden Fall anhören und dann entscheiden, ob einem der Sinn nach einem derartigen musikalischen Spaß steht. Ich hab mich köstlich amüsiert. (anti-) Raimund Nitzsche 67 Crosby S lls Nash & Young - CSNY 1974 31 Konzerte in 24 Städten gaben Crosby Stills Nash & Young im Sommer 1974. Aus den Mitschnitten von neun der Konzerte haben Graham Nash und Joel Bernstein jetzt eine Box mit drei CDs und einer DVD zusammengestellt, die in ihrem Ablauf versucht, ein typisches Konzert jener Tour zu dokumentieren. Musikalische Legenden ranken sich um diese Tour. Von Unmengen Koks ist die Rede, die die Musiker konsumiert haben sollen. Neil Young soll sich andauernd über den miesen Sound der Stadionkonzerte beschwert haben. Doch die Kritiken damals vor 40 Jahren waren eigentlich einhellig positiv bis begeistert. Und das nicht zu Unrecht, was man jetzt endlich nachhören kann. Da die vier Musiker kein neues Album gemeinsam gemacht hatten, standen viele neue Solonummern auf dem Programm, die damals teilweise noch nicht veröffentlicht waren. Vor allem die Nummern von Neil Young bringen in ihrer Härte einen guten Kontrast zur Hippieseligkeit der älteren Stücke. Als er etwa „On Wasser-Prawda | Juli 2014 68 P L AT T E N The Beach“ anstimmt, da verdunkelt dieses Stück die ganze vorherige helle Atmosphäre. Sein Gitarrensolo explodiert förmlich. Die Stücke von Nash setzen dagegen den optimistischeren Gegenpart. „Our House“ oder „Teach Your Children“ wirken in ihrem Optimismus schon hart an der Grenze zum Kitsch. Doch mir sind besonders Stücke wie „Militäry Madness“ aufgefallen, die sonst nicht auf den Hitsamplern zu finden sind. Bei allem Zwist, bei allen Drogennebeln: CSNY 1974 ist ein überragendes Live-Album ein Dokument einer Tournee vor 40 Jahren. Die Box mit einem umfangreichen Booklet ist ein großartiges Sammlerstück, das die Zeit vor 40 Jahren nochmals zum Leben erwecken vermag. (Rhino) Raimund Nitzsche David Blair - Stronger, Higher, Faster Songwriter David Blair stammt aus Kanada, hat aber inzwischen Deutschland als Wohnsitz gewählt. Um bekannter zu werden, hat er für seine erste Veröffentlichung Wasser-Prawda | Juli 2014 hierzulande Songs aus seinen bislang drei Alben zusammmengefasst. 18 Poprocksongs zwischen sehnsuchtsvollen Balladen bis zu grovenden Rockern mit Hiphopeinflüssen finden sich auf „Stronger, Higher, Faster“. In seiner Heimat kam David Blai bei „Canada‘s Got Talent“ bis ins Halbfinale. Und auch in den Vereinigten Staaten ist man schon auf den Mulitiinstrumentalisten aufmerksam geworden. Schon mehrfach wurde er für den Billboard Songwriter Award nominiert. Doch mittlerweile hat er Berlin als Wahlheimat für sich entdeckt und tourt vor allem durch die kleinen Clubs des Landes. Und mit seinem Repertoire könnte ihm eigentlich der große Durchbruch gelingen. Melodisch einfallsreich sind die Lieder und überraschen immer wieder mit unerwarteten Wendungen. Songs wie „I Hate Liking You“ sind Liebeslieder, die angenehm aus den oft klischeebeladenen Schnulzen herausstechen. Und bei Liedern wie „Stay In Touch“ kann man Blairs Liebe zum Soul hören. Und quasi als Zugabe macht er uns dann noch einen Vorschlag für eine neue Geburtstagshymne. „Stronger, Higher, Faster“ ist das richtige Album für Freunde des melodischen Poprock, eine Empfehlung vor allem für die ruhigeren Stunden des Tages. Nathan Nörgel Deanna Bogart - Just A Wish Away Beim Blueslabel Blind Pig gehört Songwriterin/Pianistin Deanna Bogart ein wenig zu den Außenseitern. Denn ihre Musik lässt sich nun mal nicht einfach auf den Blues festlegen sondern bedient sich aus allem zwischen Blues, Jazz, Pop, Country und Soul. Wenn es radiofreundliche Musik im besten Sinne gibt, also Musik, die ich gerne zwischendurch im Radio hören würde, dann gehören die Lieder von Deanna Bogart auf jeden Fall dazu. Ob es sich um losrockende Nummern wie den Opener „If It‘s Gonna Be Like This“ handelt oder um einen Country-Schmachtfetzen wie „If You Have Crying Eyes“ handelt, um zärtliche Balladen wie „Back And Forth Kid“ oder eine von Bläsern vorangetriebene funkige Nummer wie „Collarbone“: Bogart schreibt Songs, denen man auch nebenbei gerne zuhören mag, die aber ihren Glanz auch nicht verlieren, wenn man sich aufmerksam in sie versenkt. Gemeinsam mit Produzent Joe Michaels hat sie sich für die Sessions P L AT T E N Musiker zusammengesucht, die ansonsten bei Bruce Springsteen und Royal Southern Brotherhood ebenso spielen wie bei Harry Connick Jr. Das Ergebnis ist kein stilloser Mischmasch sondern ganz im Gegenteil eine faszinierende Popscheibe voller Blues und Soul. (Blind Pig) Nathan Nörgel lichen von den Gitarristen und Frontleuten Mark Johnson und Tom Gray geschrieben, Eingeschlossen sind aber auch der alte Klassiker „Shake `Em On Down“ von Fred McDowell, Skip James‘ eindringlicher „Hard Times Killing Floor Blues“ und eine überraschende Version des Mantras „Nightclubbin“ von David Bowie & Iggy Pop. Egal welches Lied: der Sound ist immer eindeutig Delta Moon, das fabelhafte Spiel der Zwillingsgitarren, fast immer von den Slides angetrieben, gibt der Band einen vollen, runden Sound, der über die häufiger zu hörenden Doppelgitarren hinausreicht. Insgesamt ist das eine exzellente Veröffentlichung, ein Muss für jeden, der Slide-Gitarren liebt und den runden Sound mit dem starken Delta Moon - Turn Around Feeling des Südens, den man von When Possible Delta Moon gibt es jetzt schon einer Band aus Atlanta, Georgia, eine ganze Weile, eine klasse Band erwarten kann, einer Band, die tief mit Stil, Fähigkeiten und Qualität verwurzelt ist im Süden. im Überfluss. Das ist ihr neuesIain Patience tes Album, eine Live-Aufnahme, die während der Europatour 2013 mitgeschnitten wurde. Die meisten Aufnahmen entstanden dabei in Deutschland. Es ist ein hervorragendes Album, dass den Geist ihrer Konzerte einfängt und voll ist vom atemberaubenden, mitreißenden, prickelnden Spiel der Band auf zwei elektrischen Slide-Gitarren. Dieser Ansatz gibt ihnen einen charakteristischen treibenden Sound, der von einem eingängigen Bassspiel von Franher Joseph und verdammt Eli „Paperboy“ Reed - Nights perfekten Drumming von Darren Like This Weil sein Produzent Mike Elizondo Stanley perfekt abgerundet wird. Die zehn Tracks wurden im wesent- einen Job als Stammproduzent bei 69 Warner Bros. bekam, wechselte der Retro-Soul-Star 2012 mit ihm zum Major-Label. Und jetzt kommt als Ergebnis „Nights Like This“ auf den Markt und zeigt einen Eli Paperboy Reed, der seine eingängigen Soulsongs mit Loops und anderer Elektronik kombiniert. „Shit is getting real now“, singt Reed in seinem Song „Grown Up“. Es ist ziemlich programmatisch für das Album des Songwriters: Es geht um den Mainstream, den ganz großen Erfolg. Der Major-Deal als Zeichen des Erwachsenwerdens. Reed spricht in Interviews davon, dass er keinen Druck davon verspürte außer dem, sich aus der selbst gewählten RetroNische zu befreien. Klar: die Gute-Laune-Melodien, die man von Reed kennt und liebt, sind immer noch da. Doch der Soul wird nicht mehr mit der rauhen Energie der Vorgängeralben präsentiert, sondern erscheint immer wieder durchsetzt von Elektronik und Popsounds. Man kann das als künstlerische Weiterentwicklung betrachten. Auf mich wirken diese Zutaten nicht wirklich überzeugend. Schrieb Reed seine Songs früher mit der Gitarre und seiner Stimme im Zentrum, so merkt man ihnen jetzt an, dass sie um Samples und Loops herum konstruiert wurden. Und das ist für mich das Ende des überzeugenden Soulsängers und der Beginn eines für mich weniger interessanten Popstars unter vielen. Die guten Songs werden von den neuen Zutaten erschlagen. Und die Stimme des Sängers versinkt darinSchade drum! Nathan Nörgel Wasser-Prawda | Juli 2014 70 P L AT T E N Denn das Album überzeugt auch ohne ein derartiges Label. Schon der Opener, der Klassiker „Breaking Up Somebody‘s Home“ macht die Richtung klar: Der Groove ist deftiger Funk, das Feeling tiefster Blues und der Gesang reinster Soul. Zur Unterstützung ist eine komplette Hornsection im Studio dabei. Auch die eigenen Songs der Band (teils von Love und Domizio, teils auch von Domizio mit dem Gastsänger Rick Lawson oder allein verfasst) Fo‘Reel - Heavy Water Was neues aus New Orleans. Auf gehen ganz in diese Richtung. Und „Heavy Water“ kocht der Blues mit bei Instrumentalnummern wie gehörig Funk. Zeitweilig macht die „Tater“ oder „Gate“ kommen dann Musik Ausflüge in Richtung Swing auch die Jazzfans auf ihre Kosten. oder Latin. Ehrlich: diese Scheibe Fo‘Reel ist eine Band die man sich passt so richtig zum schwülheißen auf jeden Fall merken sollte. Und Sommerwetter. Aber wer bitte ist „Heavy Water“ ist ein Pflichtkauf für alle Freunde des funkigen Blues Fo‘Reel? Sammler rarer Soul- und Funk- aus dem Süden. (cdbaby) Nathan Nörgel Singles kennen C.P. Love (Carrollton Pierre Love) vor allem wegen dem bei Malaco in den frühen 70ern veröffentlichten Single „I Found All This Things“. Doch der am 1. Mai 1945 in New Orleans geborene Sänger verschwand lange aus dem Bewusstsein, war hauptsächlich in seiner Heimatstadt musikalisch aktiv. Jetzt ist er Sänger bei der von Gitarrist Mark Domizio gegründeten Band, zu der auch noch Johnny Neel (keyb) und Bassist David Hyde gehören. In den Südstaaten geht diese Truppe schon als Supergroup Gregg Allman: All my friends durch. Klar: Neel gehörte lange zu - celebra ng the songs & den Allman Brothers. Und Doimizio voice of Gregg Allman wird von Fans und Kritikern aus Mit dem Ausscheiden von Derek New Orleans als einer der besten Trucks und Warren Haynes war das Bluesgitarristen überhaupt gefeiert. Ende der Allman Brothers eigentlich Also kann man das so stehen lassen. besiegelt. Eigentlich! Aber Gregg Aber es ist eigentlich nicht nötig. Allman machte aus der Not eine Wasser-Prawda | Juli 2014 Tugend, ließ im Januar 2014 im Fox Theatre in Atlanta eine bombastische Show organisieren und sich und seine Songs ausgiebig feiern. Zwar ist das Ende der Allman Brothers Band mit der Show nicht ganz in Relation zu setzen, aber dieses Tributalbum hält auf alle Fälle die Erinnerung wach. Best-of und Compilations sind normalerweise nicht mein Fall, aber hier ist die Intention eine andere. Das Gesamtwerk steht im Vordergrund. Statt der Linie innerhalb einer CD gibt es phantastisches Line-up von Freunden, die das ihrige beitragen, um Gregg Allmans Lebenslinie mit seinen Songs zu untermalen. Diese Show wurde nun in Form einer doppelten Audio-CD und einer Video DVD veröffentlicht. Zu finden sind nahezu nur Songs aus der Feder oder mit Beteiligung von Gregg Allman. Die Liste der Freunde zeigt die große Bandbreite, mit der Gregg Allmann Songs geschrieben hat. Aus der Neuzeit stammen Songs, wo Warren Haynes und Derek Trucks schon Lead gespielt haben aber ebenso findet man schöne Stücke mit Dr. John oder ganz alte Coverversionen von Muddy Waters. Die Auswahl der Stücke und der Sänger zeichnet eine authentische Spur von Soul mit Sam Moore bis Country mit Vince Gill, Martina Mc Bride oder Pat Monahan. Fulminant auch die Versionen von „Dreams“ und „Whipping Post“ der kompletten Allman Brothers Band, wo ein perfektes Weaving von Sologitarren, Drums und Bass gespielt wird. Gregg Allman selbst tritt insgesamt P L AT T E N nur sechs Mal in Erscheinung, ansonsten lässt er seinen Freuden den Vortritt. Mit Jackson Brown singt er dann aber die Songs „These Days“ und „Melissa“ und mit Taj Mahal gibt es den „Statesboro Blues“ zu hören. Insgesamt gibt es 26 Songs auf Audio CD oder Video DVD samt einem Booklet mit Bildern. Nicht zu vergessen die All Star Band mit Topmusikern wie Chuck Leavall und Jimmy Hall, nur um 2 von 12 Musikern zu nennen. Die DVD als Ergänzung zu den beiden Audio CDs ist eine bombastische Bereicherung, weil das Fox Theatre eine fantastische Location ist. Viele seiner Weggefährten kommen zu Wort und äußern sich über Gregg Allman und über die Zusammenarbeit mit ihm. Dass Dickey Betts nicht zu den Freunden gehört, ist fast schade. Das übliche Gruppenbild mit Gesang zu „Will the Circle be unbroken“ zeigt noch mal die ganze Bandbreiten von Gregg Allmans Wirken und musikalischen Einflüssen und Beeinflussungen. Das Album ist als Livemitschnitt fast zu sauber und glatt produziert ist und doch: Für Allman Brother Band oder Gregg Allman Fans ein Muss, auch wenn die Freundesliste sich mit Eric Claptons Crossroads 2013 deutlich überlappt. Mario Bollinger 71 Labelkollegen Mick Simpson - von Littlewood reichlich rauh und direkt produziert. Das ist genau der Sound, die diese Songs und die zupackende Harp von Hunt (und auch seine rotzige Stimme) braucht. Harmonicadave mag kein Virtuose auf der Harp sein - kein Vergleich etwa zur jüngeren Generation um Will Wilde - doch die Kombination von diesen heftigen Riffs, dem stoischen Groove und der rauhen Stimme macht aus „Box Full of Blues“ ein Album, dass nicht Harmonicadave - Box Full of nur bei Bikertreffen Spaß macht. Blues L a n g e l e b t e u n d s p i e l t e Zupackend und niemals langweilig! Nathan Nörgel Harmonicadave hauptsächlich in Spanien und war dort besonders in der Bikerszene beliebt. Mittlerweile hat Dave Hunt seinen Wohnsitz wieder nach Großbritannien verlegt und eine musikalische Heimat bei Mad Ears Production gefunden, wo sein neues Album „Box Full of Blues“ entstand. Irgendwie ist das von Andy Littlewood geleitete Label Mad Ears Production eine große musikalische Familie. Regelmäßig sind The Harpoonist & The Axe die Musikerinnen und Musiker wie Murderer - A Real Fine Mess Malaya Blue, Mick Simpson oder Mit ihrem dritten Album haben Littlewood selbst auf den Alben The Harpoonist & The Axe der Kollegen zu hören. Und auch Murderer ihr striktes Duoder seit den 70ern beständig tou- Konzept aufgelöst. Auf „A Real rende Harmonicadave machte seit Fine Mess“ kommen zu Bluesharp, 2012 einige Gastauftritte etwa bei Gitarre und Fußpercussion noch Simpson oder Mockingbird Hill mit eine Backgroundsängerin, ein seiner deftigen Harp. Keyboarder und einmal sogar eine Sein eigenes Album ist eine Hornsection hinzu. Musikalisch S a m m l u n g v o n d e f t i g e n bleibt zum Glück der Blues ganz im Bluesrockern und Songs, die eher Zentrum dieser einzigartigen kananach den Bayous von Louisiana dischen Band. als nach britischer Großstadt klin- Bin ich froh, dass ich mir grad gen. Alles ist - anders als etwa beim die Haare habe schneiden lassen. Wasser-Prawda | Juli 2014 72 P L AT T E N Ansonsten könnte ich auf Grund der heftigen Kopfbewegungen nicht mehr lesen, was ich gerade tippe: Die Rhythmen bei Songs wie bei „Days We Call Black“ sind nicht nur für Bluesliebhaber äußerst aufmunternd. Auch Headbanger haben daran ihre helle Freude. Aber das war bei Shawn Hall (voc, mharm) und Matthew Rogers (g, perc) ja schon immer so. Ihr Bluesrock ist höchstens noch funkiger geworden beim neuen Album. Und man merkt den Songs an, dass im Hintergrund auch die Sehnsucht nach dem perfekten Popsong, der aber ohne Verrat am eigenen Stil gesucht wird. Hilfreich dabei die durchgängig eingesetzten Backgroundsängerinnen aber auch die Keyboards, die diesmal von einem Gastmusiker gespielt werden. Dadurch werden die schweren Grooves immer wieder aufgelockert. Der rauhe Gesang Halls macht immer mal wieder Ausflüge in Richtung von Soulballaden. Mit diesem Album sollten sich die Musiker von den ewigen Vergleichen mit den Black Keys freigeschwommen haben. Was allerdings bleiben wird ist die geistige Verwandschaft zu den White Stripes. Gerade durch die Ausflüge hin zu Pop und Soul ist eine Musik entstanden, die das Erbe dieses Duos in würdiger Weise (und ohne zuviel Verweise auf Led Zeppelin) fortschreibt. Eine tolle Scheibe für Leute ohne Scheuklappen! Raimund Nitzsche Wasser-Prawda | Juli 2014 Impala Ray - Old Mill Valley Jamie Bernstein - WhoonDang Kalifornische Sommer in den bayrischen Bergen: In den Liedern von Impala Ray verbindet sich der amerikanische Folk mit bayrischer Folklore. Er nennt seine Musik BayFolk und das ist im doppelten Sinne zu verstehen und beide Bedeutungen treffen zu, wenn man sein aktuelles Album „Old Mill Valley“ als Beleg heranzieht. Da singt er von weißen Palmen ebenso wie von seinem Urgroßvater dem Schmied, von Seeleuten und ihren wartenden Frauen, vom Umschlagen der Tide und der Sehnsucht nach zu Hause. Und die Melodien aus dem kalifornischen Folkrock werden plötzlich mit einer urbayrischen Tuba europäisiert, während im Hintergrund die Geräusch zu erahnen sind, die in der Natur rund um die Hütte in den Bergen macht, in der „Old Mill Valley“ produziert wurde. Das ist so Folk so richtig passend für den Sommer, wenn man eigentlich schon gerne in die Ferne gefahren wäre, aber dennoch in der Heimat bleiben muss. Nathan Nörgel Eigentlich stammt Songwriter Jamie Bernstein ja aus den Appalachen. Doch seit 20 Jahren lebt er jetzt schon in New Orleans. Auf seinem neuen Album ist davon allerdings recht wenig zu hören. „WhoonDang“ klingt eher nach Mainstream-Country als nach dem Jazz, Blues und Funk, der dort gespielt wird. Wer sich fragt, was „WhoonDang“ bedeutet, der bekommt hier eine wirklich nette Geschichte zu hören. Wenn man Jamie Bernstein glauben will, dann inspierierte dieses Geräusch einer Kette, die gegen einen alten Ford Model T schlägt, Professor Longhair zum Rhythmus seines legendären Hits „Tipitina“. Der Rest des Albums hat leider nur wenig, was mit dieser Geschichte mithalten kann. Denn die durchweg in mittlerem Tempo gehaltenen Songs erzählen ziemlich klischeehafte Geschichten eines Countryboys in der Stadt. Nur bei „Feel What I Play“ kocht dann doch noch mal der Funk ein wenig über und erinnert daran, wo diese Scheibe entstand. P L AT T E N Nathan Nörgel Songwriter seit vielen Jahren hierzulande live zu erleben und tourt mit deutschen Musikern. Und so nimmt es nicht Wunder, dass ein Lied wie „Old Messiah“ auf dem urdeutschen „Lindenbaum“ von Wilhelm Müller basiert. Aber auch das passt: Die deutsch-romantische Unruhe und Naturverbundenheit verträgt sich gut mit Liedern über das Leben on the road und die Unsicherheit in Beziehungen. Und so eine vom Sound her typische Country-Nummer wie „Old Jay O away - Carry On World Wine“ spielt nicht nur mit Mal rockig, mal mehr in Richtung den Klischees von Alter und Neuer Country - aber immer eingän- Welt - sie wurde auch gemeinsam gig und perfekt produziert kom- von Ottaway mit dem deutschen men die Songs auf „Carry On“ Gitarristen Julian Müller und dem daher. Entstanden ist das zweite irischen Texter Michael Cummins Album des aus Boston stammenden gemeinsam verfasst. Songwriters für das deutsche Label Gewidmet ist das ganze Album Cactus Rock Records in Boston, den Opfern des Bombenanschlags Nashville und Köln. beim Boston Marathon im letzten So international die Entstehung Jahr. Mit diesem Ereignis setzt sich und die Herkunft der beteilig- besonders „Even Moses Is Crying“. ten Musiker: Die Musik von Jay Insgesamt ist „Carry On“ ein perOttaway ist so typisch amerikanisch, fekt produziertes Songwriteralbum wie überhaupt nur denkbar. Man zwischen Rock und Country. Die hört in seinen Liedern immer wie- durchweg intelligenten Lieder könnder Anklänge an die Heartbreakers ten für meinen Geschmack oftmals von Tom Petty, an Folkrock in der ein wenig mehr „Dreck“ vertragen. Nachfolge der Byrds, an aktuellen Aber so ist das Album wahrscheinCountry-Pop und ab und zu auch an lich viel eher auch mal im Radio zu Blues oder Jazz. Mal wird es rocki- hören. Und das haben die Lieder ger und klingt zuweilen auch nach eindeutig verdient. (Cactus Rock Songs von Springsteen, häufig sind Records) es Balladen, die das Tempo rausnehRaimund Nitzsche men und die mit Pedal Steele und Geige in jeden Country-Schuppen passen können. Aber wenn man genauer hinhört, dann entdeckt man auch die Einflüsse aus Deutschland. Schließlich ist der 73 John Hia - Terms Of My Surrender John Hiatt muss man nicht vorstellen. Einer der besten Singer/ Songwriter in der Welt der Americana-Musik, steht er seit Jahren an der Spitze der CountrySzene, ist ein Favorit in Nashvill und ein Dauerbrenner bei Festivals in den Vereinigten Staaten, der sowohl Horden von Fans anzieht als auch immer für solide Albumverkäufe gut ist. Im Laufe der Jahre waren Hiatts Songs von Künstlern, die so verschieden sind wie Bob Dylan, Bonnie Raitt („Thing Called Love“), Iggy Pop und der Jeff Healey Band (um nur einige von vielen zu nennen) aufgenommen worden. Interessanterweise ist dieses Album gleichermaßen besinnlich wie faszinierend. Mit „Terms Of My Surrender“ kehrt Hiatt zu seinen Wurzeln und seiner Basis zurück mit einem äußerst reduzierten meist akustischem Album voller kehligem Gesang und vom Blues beeinflusster Stücke, die die echte Liebe zu dieser Musikform widerspiegeln: Das ist der Mann, der „Riding With The Wasser-Prawda | Juli 2014 74 P L AT T E N King“ geschrieben hat, ein Stück das zum Titelsong für das mit dem Grammy ausgezeichnete Album von BB King und Eric Clapton geworden ist. Das Album ist ein Triumph mit Hiatts cleveren Texten, die eine große Zahl vertrauter Themen abdecken: Erlösung, das Altern, Beziehungen, Kummer und Schmerz. Also die klassischen Themen des Blues. Elf Songs bilden die CD, jeder einzelne ist ein kleines Meisterstück auf seine Art. Es ist ein vollendetes Beispiel für Showmanship und Eleganz in der Form mit genial gespielter Bluesgitarre von einem echten amerikanischen Meistes des Geschichtenerzählens und einem großartig goovenden Gitarristen. (New West Records) Iain Patience die ihre Berechtigung hat! Wenn etwas die Musik in der DDR ausgezeichnet hat, war es die lyrische Vielschichtigkeit der Lieder, einerseits ganz im Alltag verankert, doch zwischen den Zeilen blieben sie im besten Falle offen für das Wegträumen aus dem grauen Alltag. Genau das kann man jetzt bei Liedern wie „Fantasie“, „Musik der Sterne“ oder „Auf dem Weg zur Sonne“ machen. Man spürt den Liedern von Kleeberg aber nicht nur die Liebe zu ostdeutschen Klängen an sondern auch Einflüsse von Songwritern wie Konstantin Wecker und anderen. Nachan Nörgel Lee Fields - Emma Jean Kleeberg & Genossen - das alles nennt sich leben Songwriter-Pop trifft auf rockende Ausbrüche. Die Würzburger Band Kleeberg & Genossen allerdings nennt ihre Musik „Ostrock“. Grund für die in einer Studenten-WG entstandene Band: Songwriter Benjamin Kleeberg stammt aus dem sächsischen Grimma. Endlich mal eine Genre-Zuordnung, Wasser-Prawda | Juli 2014 Ähnlich wie George Bradley oder Sharon Jones hat sich Lee Fields mit seiner Begleitband The Expressions in den Jahren seit 2009 als einer der besten Soulsänger der Zeit etablieren können. Die Bezeichnung „Retro“ trifft auf ihn nicht zu, denn er macht seine Soulmusik schließlich schon seit den 70er Jahren. Mit dem aktuellen Album „Emma Jean“ präsentiert sich der Sänger zudem noch als ein überzeugender Songwriter. „Du kannst einfach nicht gewinnen“ - versuch, was Du willst. Aus dem Kreislauf der Armut kommt man so nicht hinaus. Der Soulblues, mit dem Lee Fields das seiner verstorbenen Mutter gewidmete Album beginnt, macht klar: Soulmusik ist eben nicht nur die hippe Untermalung für Parties von Jugendlichen, die in der Vergangenheit die passende Musik für heute gefunden haben. Soul ist im eigentlichen Sinne wie auch der Blues eine Musik, die nicht im luftleeren Raum existieren kann, sondern immer den Kontakt zum realen Leben braucht, um lebendig und echt zu sein. Lee Fields hat für „Emma Jean“ daher Songs geschrieben, die von Liebesschmerz und -freude bis hin zu den Tücken des Alltags und der Erinnerung an schwere Zeiten in der Vergangenheit handeln. Musikalisch kann man dieses Album schwer einordnen: Fields hat es geschafft, die verschiedensten Spielweisen von James Brown Funk über Southern Soul, Blues und Anklängen an die großen Sänger der 70er zu seinem ganz eigenen Stil zu vereinen. „Emma Jean“ ist wahrscheinlich bei den Hörern, die zunächst Material für ihre Tanzparties suchen, weniger erfolgreich. Doch wer sich auf den Geschichtenerzähler Fields einlässt, der stellt schnell fest: Das hier ist ein Soulalbum, wie man es nur selten finden kann! Raimund Nitzsche P L AT T E N Vom Titelsong, mit dem das Album beginnt bis zu seinem Ende holen Holcombes mitreißende Texte und seine zeitweise wie aus dem Grab klingende Stimme das Album aus den Schatten ins Licht und verschaffen ihm mit Leichtigkeit einen Platz in der Sammlung jedes Liebhabers akustischer Bluesmusik. Das ist ein Mann, der immer interessant ist, der es sich traut, unterschiedlich Malcolm Holcombe - Pi ful zu sein und sich fernzuhalten vom Blues Mainstream-Blues. Das ist Holcombes zehnte Schon allein für die kolossalen Veröffentlichung bislang. Wie die Basslinien und die klirrenden Soli vorherigen wird seine rauhe Stimme mit den schleppenden Vocals auf gepaart mit gutem akustischen dem Titelsong lohnt sich der Kauf Gitarren-Picking. Für mich ist das des selbstproduzierten „Pitiful wahrscheinlich sein bislang bestes Blues“. (www.malcombeholcome. Album. com) Beheimatet in der Piedmont Iain Patience Region von North Carolina reflektiert Holcombes Gitarrenspiel die Art und den treibenden Stil seiner Mick Simpson Unfinished Business Heimat in den Appalachen zusammen mit einem gekonnten Mix von Picking im Stil der 1930er Jahre mit Einflüssen aus Americana und Bluegrass. Das Ergebnis ist vom Sound und dem Feeling her eine Art von „Hinterwäldler Blues“, die Art Musik, die man an einem heißen, schwülen Tag auf einem verschlafenen Hof im Süden erwartet. Wie immer bei diesem Künstler sind die Texte stark und gefühlsgeladen. Mick Simpson - Unfinished Das ganze Album mit seinen zehn Business Liedern ist rappelvoll mit kraftvollen Im Spiel von Mick Simpsons Gitarre und rauen Gefühlen, der reduzierte kann man Einflüsse von Mark Sound springt einen von der CD Knopfler und Eric Clapton ebenso an und packt einen an der Kehle. hören wie von Gary Moore. Gerade Holcombe ist keiner, den man igno- letzterer Gitarrist wird auf dem akturieren sollte. Sowohl seine Stimme ellen Ablum „Unfinished Business“ als auch sein Spiel verlangen und des britischen Bluesrockers besonrechtfertigen jede Aufmerksamkeit. ders gewürdigt. 75 2005 spielte Gitarrist Mick Simpson zum 80. Geburtstag von B.B. King in dessen New Yorker Blues Bar. In der Zeit war er auch mit Gary Moore und Snowy White unterwegs in aller Welt. Doch erst 2010 veröffentlichte er sein Debüt als Solist unter dem Titel „Hard Road“. „Unfinished Business“ ist die richtige Bluesrockscheibe für diejenigen, für die Gary Moore einer der wichtigsten weißen Bluesgitarristen war. Zwischen balladesken Sounds, die gut ins mitternächtliche Radioprogramm passen bis hin zu treibenden Rockern reicht das Spektrum des Briten hier. Für mich sind vor allem das treibende „50 Miles from Memphis“ oder der Opener „Trouble Brewing“ empfehlenswert. Gary Moore Fans allerdings werden angesichts von „Drwoning In My Tears“ in selbige ausbrechen: Neun Minuten lang wird hier a la Moore gespielt, dass manche Kritiker sich verwundert die Ohren säuberten, ehe die spontane Idee einer unveröffentlichten Aufnahme Moores sich verflüchtigte: Diese Ballade zeigt die ganze Meisterschaft Simpsons als lyrischer Gitarrist aufs Feinste. Wäre es nicht ausdrücklich als Tribut an den Verstorbenen gekennzeichnet, müssten die Urheberrechtsanwälte in Aktion treten. Begleitet wird Simpson auf dem Album unter anderem von Produzent/Labelchef Andy Littlewood an Keyboards und Bassgitarre und von Schlagzeuger Alan Young. (Mad Ears Productions) Nathan Nörgel Wasser-Prawda | Juli 2014 76 P L AT T E N Lieder entwickeln einen psychedelischen Sog, verweigern sich strikten Formen und fließen dahin und ineinander über, so dass dieses Album tatsächlich zu einem einzigen Song verschmilzt. Slideund andere Gitarren wechseln sich mit Instrumenten wie der Lyra, Cimbalon oder Metallophon ab und schaffen atmosphärische Sounds. Und auch wenn man sich manchmal auf „sicherem“ Blues-Terrain zu befinden glaubt: Hier ist nichts so, wie es in den ersten Takten angePaul Karapiperis - One Sin In kündigt wird. Seven Parts Mit seiner Band Small Blues Insgesamt ist „One Sin In Seven Trap aber auch als Solist hat Parts“ eines der anregendsten der griechische Songwriter Bluesexperimente der letzten Jahre. und Multiinstrumentalist Paul Karapiperis, der einen Großteil der Karapiperis in den letzten Jahren Instrumente selbst gespielt hat, verschiedene Alben veröffentlicht. hat hier ein Werk veröffentlicht, Sein jüngstes Werk „One Sin Seven das man wohl am ehesten wirkParts“ kann man kostenlos auf sei- lich mit solchen Blues-Suiten wie „Bare Wires“ vergleichen kann. ner Webseite herunter laden. Was ist das jetzt? Ein Konzeptalbum? Auch wenn er als Sänger viel eher an Eine Blues-Suite wie John Mayalls Captain Beefheart oder auch Tom „Bare Wires“? Paul Karapiperis hat Waits erinnert. Faszinierend! Raimund Nitzsche einen Text auf sieben Songs verteilt, die innerhalb einer reichlichen halben Stunde den Willkommensgruß an einen neuen Erdenbürger entstehen lassen. Diese Welt, so der Dichter ist eine der verrücktesten, die man kennenlernen kann. Und auch wenn es Zeiten der Geborgenheit gibt, ist doch oft die einzige Chance des Überlebens die Flucht und die Suche nach geheimen Verstecken. Und sei es ein Versteck für all die Erinnerungen, die einen jagen. Robin Banks - Modern Classic Nicht verwunderlich, wenn Kollegen Soul, Blues und Jazz als klassische bei der Musik Verbindungen zu Musik von heute? Die im kanadiden frühen Pink Floyd ziehen: die schen Toronto lebende Sängerin Wasser-Prawda | Juli 2014 und Songwriterin Robin Banks hat mit „Modern Classic“ ein Album veröffentlicht, dass mit seiner swingenden Eleganz auch gut in die großen Konzerthäuser passen würde. Verantwortlich dafür ist sicherlich auch Produzent/Gitarrist Duke Robillard, der als Verstärkung zu seiner eigenen Band auch die Bläser von Roomful of Blues ins Studio geholt hat. Schon der Opener „A Man Is Just A Man“ bringt das Konzept auf den Punkt: Mit ihrer Jazzstimme singt sie voller Soul zu swingenden Rhythmen einer entspannt und doch auf den Punkt groovenden Band. Das ist nicht der Soul der Vorstadt-Joints, sondern der von eleganten Tanzbars oder der großen Festivalbühnen. Das ist Musik, die gut in die großen Fernsehshows am Samstagabend passen würde aber auch in einem Jazzkeller prima funktioniert. Die Themen sind die kleinen Geschichten aus dem Alltag über menschliche Unzulänglichkeiten, Beziehungsfrust und -freude, über Sehnsucht nach ein Stück vom Himmel oder die Angst, ein Wort zuviel zu sagen. „Modern Classic“ ist ein passender Albumtitel. Robin Banks und Duke Robillard ist ein wunderbar leichtes Soul- und Swingalbum gelungen, das gerade an schwülen Sommerabenden genau passend ist. Nathan Nörgel P L AT T E N 77 WIEDERHÖREN KLASSIKER, RARITÄTEN, WIEDERVERÖFFENTLICHUNGEN Emanuel Young - Live in Detroit Es macht eine Menge Sinn, parallel zu diesem Review Howard Glazers monatliche Kolumne in der Wasser Prawda zu lesen. Er beschäftigt sich mit Emanuel Young und seiner langjährigen Zusammenarbeit mit ihm. Es ist das ewige Geheimnis der Bluesmusik, dass sich Männer wie Emanuel Young weitgehender Unbekanntheit erfreuen. Emanuel ist ein Mann in den Siebzigern, der seit frühester Jugend in seiner Heimatstadt Detroit als Gitarrist und Sänger Bluesmusik spielt. Er blickt auf langjährige Zusammenarbeit mit bekannten Größen wie John Lee Hooker, Martha Reeves, Albert King, Jimmy Reed und anderen zurück. In den letzten Jahren tritt er häufig mit Howard Glazer und seinen El 34s auf. Einer dieser Auftritte wurde 2008 in der Halligan Bar in Detroit mitgeschnitten und als „Live in Detroit“ veröffentlicht. Emanuel Young spielt klassischen Blues, sparsam und akzentuiert. Seine Stimme ist rau, sein Gesang einfühlsam. Da offenbar auf jegliches Overdubbing verzichtet wurde, ist die CD eines der raren Dokumente ursprünglichen Blueses im 21. Jahrhundert. Egal welchen Song Emanuel spielt, es klingt authentisch. Er wird dezent und einfühlsam von Howard Glazers Gitarrenspiel begleitet und unterstützt. Es verwundert auch nicht, dass wir den alten Bekannten wie „The Outskirts of Town“, „Give me back my Wigs“, „I’m in the Mood“ oder auch dem ewigen „Back Door Man“ begegnen. Emanuel hat für jedes der 11 Stücke seine eigene Interpretation – er spielt Emanuel Young, nicht John Lee Hooker oder Albert King und erst recht keinen Bluesrock. In Detroit ist Emanuel Young eine Ikone und Legende des Blues. Ich hoffe sehr, dass wir ihn in absehbarer Zeit auch auf unseren Bühnen sehen können. Musiker: Emanuel Young (vocals, guitar); Bob Godwin, Steve Glazer (bass guitar); Billy Renya (drums); Howard Glazer (guitar). (Random Chance Records 2008) Bernd Kreikmann Henri Pierre Noel - One More Step Die funkigen Sounds von seiner Heimat Haiti kann man in der Musik des Pianisten Henri Pierre Noel ebenso hören wie Jazz, Funk und Disco. Das 1980 in Kanada in kleinster Auflage veröffentlichte Album „One More Step“ wurde jetzt von Wah Wah 45s von den originalen Masterbandern neu abgemischt und auf den Markt gebracht. Bei ihm wird das Klavier fast zu einem Perkussionsinstrument (ok, es gibt natürlich Schlaumeier, die es genau als solches bezeichnen, aber das ist eine andere Geschichte). Hektisch und treibend drängen sich bei Henri Pierre Noell die Noten nach vorn, unterstützen Wasser-Prawda | Juli 2014 78 P L AT T E N (wie in „Afro Funk Groove“) die Rhythmusgruppe und bauen eine unwahrscheinliche Spannung auf. Hier treffen Jazz, die Rhythmen Afrikas oder Lateinamerikas und karibische Einfüsse aufeinander und ergeben in der Melange eine instrumentale Tanzmusik, deren Groove man sich nicht entziehen kann. Das ist Dancefloor-Jazz im besten Wortsinne! Nathan Nörgel Schorsch H. & Dr. Will Together Together ist ein gemeinsames CD Projekt der ungleichen Brüder Schorsch Hampel und Dr. Will. Es erschien bereits 2011, aber dadurch dass die beiden Hampel-Brüder mit dem Programm der Together CD gemeinsam auftreten, ist es wieder sehr aktuell und muss besprochen werden. Im Interview nennen sie es ein Blues und Roots Album, weil ihre gemeinsamen Wurzel der Blues ist und weil sie Lieblingssongs aus ihre gesamten Musikerära spielen wollten. Die CD beinhaltet 16 Songs, wobei 2 Songs von den Brüdern selbst beigesteuert wurden. Das Album ist in zweierlei Hinsichten interessant: Wasser-Prawda | Juli 2014 Schorsch hält an seinem Konzept fest, seine Songs auf bayerisch zu singen und Dr. Will arrangierte die Songs der anderen Autoren so genial, dass sie weit mehr als nur Coverversionen sind. Schleich di Boandlkramer ist das Zwiegespräch von Schorsch Hampel mit dem Tod, dass er sich doch bitte etwas gedulden möchte und Neili Früa am Moing beschreibt das Gefühl, (Zitat aus dem Covertext:) „wenn Du am Morgen aufwachst und feststellst, dass die Frau neben Dir nicht mehr da ist“ und es „bleibt nur die Erinnerung und der Blues“. Wie an andere Stelle schon gesagt, agieren das Boarisch und der Blues Hand in Hand und spiegelt eine Stimmung und Lebenseinstellung wieder, wie sie in New Orleans oder in Delta genau so anzutreffen wäre. Als Videoproduktion gab es auch den JLH Song Boom Boom. Ein typisches Beispiel von Dr. Will goldenem Händchen für das Arrangieren und Produzieren von interessanter Musik. Loops, Sounds und seine körpereigenen Beatbox werden mit Traditionals oder Songs von den Stones, Tom Waits oder dem Dreamteam Leiber/Stoller verwendet und machen Songs wie Little Sister oder Iko Iko wieder aktuell und hörbar. Die CD erschien zusammen mit einem Booklet, in welchem sowohl Schorsch Hampel wie auch Dr. Will Song für Song ihre Intention oder Hintergrundinformationen wiedergeben. Interessant zu wissen, dass bei „The moon is full again“ der Text sowohl hier auf der CD wie auch schon mal in einem Cajun-Walzer von Ludwig Seuss verwendet wurde. Alle Stimmen und Instrumente wurden von den Hampel-Brüdern selbst eingespielt, bei Boom Boom und Iko Iko gab es Unterstützung von The Voodoo Dolls. Erschienen ist bei bei BSC Music und Produziert hat des Dr. Will selbst. Mein Favoriten auf der CD sind „Schleich Di Boandlkramer“ und „Neili früa am Moing“, die Traumkombination von Blues und Boarisch auch für Nichtbayern oder Zuagroaste! Mario Bollinger Various - Atomic Pla ers. Single Warhead Edi on With Bonus Tracks 2005 hatte Bear Family eine voluminöse Box mit „Cold War Music from the Golden Age of Homeland Security“ heraus. 2014 legt das Label jetzt eine einzelne CD mit Stücken der Box und diversen Bonutracks vor. Johnny Cash, Groucho Marx und Connie Francis in Werbespots zur Vorbereitung auf den Atomkrieg. Und dazu Songs über Erlebnisse im Atombunker, über Atom Babies oder fallende Atombomben: In den frühen Jahren des Kalten Kriegs entstanden eine Menge Songs, die P L AT T E N heutzutage teils Sprachlosigkeit machen teils die Lachmusikulatur strapazieren. Für Musikhistoriker war schon die Box mit dem für Bear Family typischen umfangreichen Begleitbuch und einer DVD eine unfassbar umfangreiche Fundgrube zum Thema: Popmusik, Zeitgeschehen und Propaganda. Doch wie immer sind derartige Boxen des Labels nichts für den gelegentlichen Konsumenten: Der Preis ist für den Spontankäufer einfach zu hoch. Da aber Die Stücke zwischen Blues, Jazz, Rockabilly und Country viel zu gut sind, um sie bloß den Experten zukommen zu lassen, ist die Idee mit der „Single Warhead Edition“ eine gute Idee. Es ist Musik, bei der einem das eine oder andere Mal das Lachen im Halse stecken bleibt. Und als jemand, der in den 70/80er Jahren aufgewachsen ist, kommen einem die Ratschläge von damals ebenso schwachsinnig vor wie die Unterrichtseinheiten in Zivilverteidigung in der DDR. Nur dass damals die Musik wesentlich weniger peppig war. Der Untertitel mit dem Verweis auf die Goldenen Zeiten der Homeland Security ist gleichzeitig noch ein weiterer Hinweis auf die Terrordebatte in der Gegenwart. Popmusik heute ist nur noch selten derartig politisch in ihren Texten und noch viel seltener stellen sich Künstler eindeutig in den Dienst der Propaganda. Wie jede Veröffentlichung von Bear Family ist auch diese CD wieder mit einem äußerst umfangreichen und informativen Booklet ausge- stattet. So kann man die Biografien der unbekannteren Künstler ebenso nachvollziehen wie etwa Entstehung der absonderlichen Werbespots noch heute berühmter Musikerinnen und Musiker. (Bear Family) Raimund Nitzsche 79 tig für ausgelassene Sommerparties. Diese Musik ist noch heute so frisch wie damals und eigentlich ist der einzige etwas melancholischer Song „The Boiler“ von Rhonda with The Special AKA. Der Rest ist wild fröhlicher Ska mit dem typisch britischen Blick auf die Welt. Wer einen umfassenderen Einstieg in die Musik von 2 Tone sucht, sollte Ausschau halten nach der bereits 1993 veröffentlichten Box „The Compact 2 Tone Story“. (Parlaphone/Warner) Nathan Nörgel Various - The Best of 2 Tone Das 2 Tone Label stand im Zentrum des britischen Ska in den 70er und 80er Jahren. Bands wie The Specials, Madness oder The Beat brachten den Ska aus der Karibik zusammen mit Punk und typisch britischem Pop und haben damit den Ska bis heute entscheidend geprägt. Ein Label wie 2 Tone kann man eigentlich nicht auf einer CD umfassend vorstellen. Und wenn man sich „The Best of“ genauer anschaut, dann stammen die Hälfte der Tracks von The Specials. Und das wiederum lässt wenig Raum für Bands wie The Beat, The Selector und andere. Madness taucht mit ihrer ersten Single „The Prince“ auf. Das geht völlig in Ordnung, schließlich hatten sich diese Herren schnell vom Label getrennt. Insgesamt bleibt aber zu sagen: Dieses Album kommt genau richWasser-Prawda | Juli 2014 80 BÜCHER URLA U B S S CH MÖ K E R JULI 2014 Kai Blum - Hoffnung ist ein weites Feld/Man erntet, was man sät will Blum die Geschichte dieser Menschen bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg nachzeichnen. Und verknüpft die Schilderungen vom Überleben als Bauern in einer unbarmherzigen Landschaft mit Verbrechen im privaten und politischen Umfeld. Was behäbig beginnt, steigert sich vor allem im zweiten Teil der Serie zu einem spannenden Krimi mit jeder Menge kleinen und größeren Gaunern. Eine gute Empfehlung nicht nur für Mecklenburger und nicht nur für den Urlaub. Kai Blum - Hoffnung ist ein weites Feld Booquel 2013 ISBN: 978-3943176599 Kai Blum - Man erntet, was man sät Booquel 2014 ISBN: 978-3943176612 Raimund Nitzsche Historische Krimis gibt es schon, auch die Regionalkrimis sind schon fast wieder ein alter Hut. Warum sollte man nicht beide Subgenres verbinden und gleichzeitig Mecklenburg und Amerika zusammenbringen? Der in Rostock geborene lebende Kai Blum hat mit „Hoffnung ist ein weites Feld“ eine Krimireihe begonnen, für die er das Label „Auswanderer-Krimi“ geprägt hat. Wie kann man in der Prärie von Dakota überleben? Und wenn das heute schon so einsam und hart ist - wie haben das Auswanderer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschaff t, die mit wenig Geld ihr Mecklenburg oder auch Dörfer der Wolgadeutschen verlassen hatten, um sich ein neues Leben aufzubauen? Mit seinen Auswandererkrimis Christa Faust - Hardcore Angel Wasser-Prawda | Juni 2014 Was tut ein deutscher Verlag, wenn er ein Buch vor sich hat, dessen Heldin eine Pornodarstellerin ist? Man macht das sofort im Titel deutlich. Im amerikanischen Original heißt Christa Fausts Roman wesentlich weniger explizit „Money Shot“. Angel, die eigentlich nicht mehr als Darstellerin in Erscheinung treten will, und ihr Geld mit einer Agentur für Pornodarstellerinnen und Striptease-Tänzerinnen verdient, tut einem alten Freund einen Gefallen und tritt nochmals vor die Kamera. Doch das Ganze war eine Falle und sie endet fast als Leiche in einem Kofferraum. Ganz im Stile der großen Vorbilder aus dem Bereich der Pulp Fiction läuft die Geschichte jetzt ab mit jeder Menge lakonischer Sprüche, mit Gewalt, Toten - und mit der Schilderung der Abgründe der Pornoindustrie nicht nur im Dunstkreis von Hollywood. Die Rachegeschichte von Christa Faust ist kraftvoll und erbarmungslos, wo nötig. Aber gleichzeitig voller Mitgefühl für die Frauen, die gezwungen werden von skrupellosen Händlern, ihren Körper als Prostituierte zu verkaufen. Erschienen ist „Hardcore Angel“ bereits 2008 in der Reihe „Hard Ca se Crime“ des RotbuchVerlags. Und diese Reihe glänzt mit Covergestaltungen, die an BÜCHER die Trashhefte der 50er bis 70er Jahre erinnern. Und natürlich mit Romanen, die an die großen Traditionen von Hammett und Chandler anknüpfen und eine angenehme Abwechslung bieten zu all den politisch scheinbar korrekten Kriminalromanen in der Nachfolge Skandinaviens. „Hardcore Angel“ ist Pulp Fiction im besten Sinne. Christa Faust - Hardcore Angel Rotbuch Verlag 2008 ISBN: 978-3867890489 Taschenbuch: 9,90 Euro Raimund Nitzsche befahrenen Seerouten, Handelsplätze und Städte ist eingebettet in eine Geschichte von Wachsen und Reifen, Erkenntnissen und Zweifeln, von Liebe und Hass. Der Leser begleitet den jungen Händler ans Ende der damals bekannten Welt, lernt Götter und Lebensweisen fern der unseren kennen und kann erfahren, dass die Ängste und Nöte gar nicht soweit von den unseren entfernt sind - trotz dazwischen liegender Jahrtausende... Wer mehr über die Zeit Hammurabis erfahren will findet hier einen gut recherchierten Unterhaltungsroman: Besondern hervorzuheben ist, dass das Buch über einen guten Anhang verfügt der zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema einlädt. Hans Kneifel (1936 - 2012) wurde als Autor von Science Fiction und Fantasy bekannt. So schrieb er lange für das Team der „Perry Rhodan“Heftserie und verfasste die Bücher zu „Raumpatroullie Orion“. Janine Metzner Hanns Kneifel - Babylon. Das Siegel des Hammurabi 1700 vor Christus: Babylon ist eine der ältesten Hochkulturen der Welt. Der Tempelschüler Daduschu wird Zeuge und Überlebender eines Nomadenüberfalls auf sein Elternhaus. Sein Weg vom heimatlichen Hof hinaus in die Welt, mit Aufträgen zum Handeln, zur Erkundung und zur fast schon geheimdienstlichen Spionage ist Thema dieses Romans. Eine dichte Beschreibung der damaligen Welt und Umwelt, der Mickey Spillane - Das Ende der Straße Vor allem mit der Figur des Mike Hammer gehört der 2006 gestorbene 81 Mickey Spillane zu den erfolgreichsten Kriminalschriftstellern des letzten Jahrhunderts. „Das Ende der Straße“ (Dead Street) konnte er nicht mehr fertigstellen. Für die Veröffentlichung hat Max Allen Collins die fehlenden drei Kapitel nach Notizen und Gesprächen mit Spillane ergänzt. Es ist eine Stimmung des Abschiedes: Die gewohnten Straßen in New York verschwinden und machen schicken Neubauten statt. Die im Rückblick schon fast ehrenhaft wirkenden Mafiosi sind blindwütigen Terroristen gewichen. Und statt Drogen werden inzwischen Materialien zum Bau von Atombomben geschmuggelt. In dieser Welt lebt der pensionierte Polizist Jack Stang. Doch wo das New York, wie er es kannte, zu sterben scheint, macht sich der als „Shooter“ berüchtigte Bulle nochmals auf, um ein neues Leben in Florida zu beginnen mit der Frau, die er 20 Jahre für tot gehalten hat. Doch zuvor muss er nochmals mit seinen Ermittlungsmethoden und seiner Knarre dafür sorgen, dass die Bösen ihre Strafe erhalten. „Das Ende der Straße“ ist melancholisch und ein wenig altmodisch. Aber gerade deshalb fasziniert dieser heftige und gleichzeitig romantische Polizisten-Krimi so. Mickey Spillane - Das Ende der Straße Rotbuch Verlag 2008 ISBN: 978-3867890496 Raimund Nitzsche Wasser-Prawda | Juni 2014 82 SPRACHRAUM Who i s w h o KAI POHL Kai Pohl, geb. 1964 in Wittenburg, lebt in Berlin. Redakteur der Zeitschriften Abwärts und floppy myriapoda, Herausgeber der Lyrikreihe Schock Edition. Die Zeil heißt jetzt Robbie Williams Avenue, Madonna heißt jetzt Esther, Verona heißt jetzt nicht mehr Feldbusch, sondern Pooth; Bon Jovi heißt jetzt Bonji und lebt in Baden-Baden. D2 heißt jetzt Vodafone, VIAG Interkom heißt jetzt O2, Ruhrgas heißt jetzt e.on, BKK Holzmann heißt jetzt Salus BKK, Leica-Mechanik heißt jetzt Polymeca, Neusiedler heißt jetzt Mondi Business Paper, Post heißt jetzt Deutsche Post World Net, Deutsche Aerospace heißt jetzt EADS Militärflugzeuge, Hankison International heißt jetzt SPX Air Treatment, Schoellerbank Inflationsfonds Plus heißt jetzt Realzins Plus, Aldi heißt jetzt Hofer, Hertie heißt jetzt Karstadt, Preussag heißt jetzt TUI, Pillsbury heißt jetzt General Mills, Firebird heißt jetzt Firefox, Jaguar heißt jetzt Red Bull, Roxio heißt jetzt Napster, Napster heißt jetzt Snocap, Virgin heißt jetzt Avalon, Geigy heißt jetzt Novartis, Raider heißt jetzt Twix, Yahoo heißt jetzt Yisou – zumindest in China. OpenBeOS heißt jetzt Haiku, x-blender heißt jetzt yooga, Borlands Latte heißt jetzt Open JBuilder, Cooledit Pro heißt jetzt Adobe Audition, Hydra heißt jetzt SubEthaEdit, OnBlockCanGet heißt jetzt OnDataReceived, moBlog heißt jetzt the daily Mo, Kung-Log heißt jetzt ecto und kostet 16 Euro, Wiki heißt jetzt Pengupedia, Trinon heißt jetzt Data Moda, Bloom heißt jetzt Opera Deluxe, Incognito heißt jetzt Metropolis, Eurobahn heißt jetzt Rhenus Keolis, WineX heißt jetzt Cedega, Commerzo JS heißt jetzt TommyShop, Opto22 heißt jetzt Hy-Line, Elzzup heißt jetzt Wasgij, Apfel-K heißt jetzt Control-Tab, Network Design heißt jetzt Noxum, Netsupport heißt jetzt enteo, Wasser-Prawda | Juli 2014 Kramer/ Mießner/ Pohl/ Schittko u. a.: my degeneration. the very best of WHO IS WHO Willkommen an der Schwelle zur Verzweiflung. Die Umbenennung der GEZ in ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice macht eine Umstellung einiger wissenschaftlicher Namen erforderlich. So heißt Rose Ausländer jetzt Rosa mit Migrationshintergrund. Pipis Papa heißt jetzt in Deutschland nicht mehr Negerkönig, sondern Südseekönig und spricht nicht mehr die Negersprache, sondern die Taka-Tuka-Sprache. Das ist keine Satire, das ist bitterer Ernst. Dieses Buch sorgt für die Notration Namedropping, damit die No-Name-Konkursmasse Bescheid weiß über die Prominenz im Koma. Dieses Buch bedient (hoffentlich nicht) das uns allen gemeinsame Bedürfnis, übereinstimmender Meinung zu sein. Die angedeuteten semantischen Verwerfungen werden schon bald ein linguistisches Erdbeben auslösen. Dann wird DAS WORT, mit dem alles anfing, sein gerechtes Ende finden. my degeneration. the very best of WHO IS WHO erscheint im Herbst 2014 im Greifswalder freiraum-verlag. Die Texte von Kai Pohl und Clemens Schittko erscheinen hier als exklusiver Vorabdruck aus diesem Buch. SPRACHRAUM New-Fill heißt jetzt Sculptra, LuraTech heißt jetzt Algo Vision, SeCon heißt jetzt ServiCon, MobiliX heißt jetzt TuxMobil, Bitoogle heißt jetzt Yotoshi, UpGrades heißt jetzt XETA.iT, Kawa-Point heißt jetzt RF-Biketech, RSL Com heißt jetzt Telco Services, MPSA heißt jetzt Simpay, Sapler heißt jetzt Apentia, DEMCOM heißt jetzt Steganos, Meditext heißt jetzt Semfinder, Kaufhaus Rot-Tor heißt jetzt Manor, InfoOffice heißt jetzt RedDot, 3000 Solutions heißt jetzt Flamme Rouge, Rubin heißt jetzt Superfly, PurpleBackgammon heißt jetzt Omar Sharif Backgammon, PurpleReversi heißt jetzt Reversi, PurpleCheckers heißt jetzt Checkers, Innovum heißt jetzt tecorange, CMS-W3 heißt jetzt smartBLU, WECA heißt jetzt WiFi Alliance, BVA heißt jetzt Adexa, Playfair heißt jetzt Hymn, Quadro heißt jetzt MoveAndStic, bioshock.co.uk heißt jetzt Bioshock Nation, itx heißt jetzt IT-Plus, Deep Sea Tycoon heißt jetzt AquaZots, Aida32 heißt jetzt Everest, PropertyGate. com heißt jetzt Immonet, Maennerwitze.de heißt jetzt Fun4Woman, IT-Media heißt jetzt Avitos, Can Uetam SL heißt jetzt Miko Reservations, TI Aldiscon heißt jetzt Logica, Night-Flight heißt jetzt Nite-Ride – sonst ändert sich nix, TUCnet heißt jetzt SaXeed, Riftrunner heißt jetzt Beyond Divinity, Dieter Wildfang heißt jetzt Neoperl, Carnivore heißt DCS1000, Scour heißt jetzt C-star und wird kostenpflichtig. 83 jetzt CAD-Konstruktion mit OneSpaceDesigner im Bereich der Blechverarbeitung. Enigma heißt jetzt endgültig DaVinci-Code. Tagebau Frechen heißt jetzt Marienfeld, Gdansker Flughafen heißt jetzt Lech Walesa, Estadio Chile heißt jetzt Victor Jara, Blankeneser Bahnhofsplatz heißt jetzt Erik Blumenfeld, die Straße 518 in Düppel heißt jetzt Robert von Ostertag, Grundschule Rockenberg heißt jetzt Sandrosenschule, Port Elizabeth heißt jetzt Nelson Mandela, Riedstädter Psychatrie heißt jetzt Picard, Kreis der Älteren heißt jetzt sonniger Herbst, Blindenmission heißt jetzt Licht für die Welt. Börsenball hat ausgedient, er heißt jetzt Finanzplatz-Gala. UMTS heißt jetzt TM3, FBVA heißt jetzt BFW, TCPA heißt jetzt TCG und aus Palladium wurde NGSCB, TIA heißt jetzt TTIC, BFA heißt jetzt IMES, TOMO heißt jetzt VEDEStomo, BAFL heißt jetzt BAMF, ADA heißt jetzt DIA, DDA heißt jetzt GDA, DStZ/A heißt jetzt DStZ, DStZ/E heißt jetzt StED, HHB/ORT heißt jetzt HHB/STD, NUM/PVK heißt jetzt NUM/POV, KSZE heißt jetzt OASE (Benennung kann noch geändert werden). Man nehme »Total« und mache »Terrorist« daraus, aus »Information« werde »Integration«, Schinken heißt jetzt Jamon, Wodka heißt jetzt Schnaps, Müll heißt jetzt Wertstoff, Pizza amerikanische Art heißt jetzt Big Pizza, Weizen-Cola heißt jetzt Qowaz, die alte Biskuithalle heißt jetzt Keksdose, Animonda Carny Kitten 6 x 200 g Fleisch Menü Plus heißt jetzt Carny, die neue Adresse heißt uitgesondert.de. Die Route 66 heißt jetzt B 14, § 11 AGB heißt jetzt § 309 BGB, Chrysanthemum leucanthemum heißt jetzt Leucanthemum vulgare, Glucometer heißt jetzt Ascensia, Fernsehen heißt jetzt Aquos, Jugoslawien heißt jetzt Serbien-Montenegro, Local Heroes heißt jetzt New Sensation, Mono (früher Bizzcross) heißt jetzt Revolver, Philotuxie heißt jetzt Tuxosophie, Hays Ascena heißt Gleichstellung heißt jetzt Gender Mainstreaming, Mundpropaganda heißt jetzt Viral Marketing, Rendezvous heißt jetzt OpenTalk, Reisebegleiter heißt jetzt Care & Wellness Manager, Seilspringen heißt jetzt Rope Skipping, das Science Center heißt jetzt Odysseum, Öffentlichkeitsarbeit heißt jetzt Kommunikation, Erziehungsurlaub heißt jetzt Elternzeit, Haushalt heißt jetzt Bedarfsgemeinschaft, das Amt heißt jetzt Agentur, Wasser-Prawda | Juli 2014 84 SPRACHRAUM Saufpark heißt jetzt Biermassaker, Krieg heißt jetzt Friedenssicherung, Angriffskrieg heißt jetzt Verteidigung vitaler Interessen, Destroy heißt jetzt Erase, das Wesen der Dinge verstehen heißt jetzt Erkennen der Aura. Athanor Rosen-Gesichts-Körper-Milch heißt jetzt Biokosma Basic Bodymilk. Das Modernisieren schreitet fürbaß, auch an der See: Pension »Zum Seehund« heißt jetzt »Zur Robbe« – wegen des Marktsegments. Kohl heißt jetzt Schröder, Blüm heißt jetzt Clement, Rüttgers heißt jetzt Berninger und wohnt als Kastrat in München. Spülbürste, Brot, Bier, Handtücher waschen. Mädchenflow. Panel heißt jetzt Roundtable. Einfacher, kürzer, knackiger. Kuna heißt jetzt Luna und lebt in Stuttgart. Flugwacht Stuttgart 71 heißt jetzt Christoph 51, Flugwacht Mannheim 71 heißt jetzt Christoph 53. Athene heißt jetzt Dora. Benita heißt jetzt Bonnie, Carlsen heißt jetzt Gringo, Chimera heißt jetzt Camino, Soraya heißt jetzt Sita, Monchie heißt jetzt Cheri, Rosetta heißt jetzt Philae, Uranos heißt jetzt Stratos, Homo Ludens heißt jetzt phlizz, Amélie heißt jetzt Angélique, Katharina heißt jetzt Ayse, Vera heißt jetzt Morena, Lilly heißt jetzt Lucy, Bunny heißt jetzt Bonny, Beresowski heißt jetzt Jelenin, Taiga heißt jetzt Chinook und Wolf heißt jetzt Taiga, Walter Jenzer heißt jetzt Maria. Karli heißt jetzt Wolle und lebt in Hürth. Goldi heißt jetzt Supernase, Nariz heißt jetzt Merlin, Putzi, die Besucherin in der Nacht der Trostlosigkeit, heißt jetzt Honey. Max wird ein Job als Barkeeper und eine neue Identität zugewiesen, er heißt jetzt Paul. So heißt jetzt Erwin nicht mehr Erwin, sondern Klaus, da er den Namen Klaus gezogen hat. Reiner Leins aus Albstadt Truchtelfingen heiratet Birgit Baur. Birgit Baur heißt jetzt Birgit Leins und wohnt in Albstadt Truchtelfingen. Bilbo Beutlin heißt jetzt Charlie und lebt in Würzburg. Bernardo heißt jetzt Curtis und lebt in Siegen. Thai Emilio heißt jetzt kurz und schmerzlos Mio und wohnt bei Yvonne. Miro heißt jetzt Jerry und lebt bei Familie Ulrich in Bergkamen. Mira heißt jetzt Shira und es geht ihr blendend. Mario heißt jetzt Beauty, Tina heißt jetzt Jamie und lebt bei Ottweiler im Saarland. Phillip heißt jetzt Knolle und lebt in Winsen bei Familie Klingemann. Wasser-Prawda | Juli 2014 Rosi heißt jetzt Nellie und wohnt bei Familie Andresen in Adelheidsdorf. Horst heißt jetzt Hansa Avatar, Guido ist Gaura Nataraj, Victor und Alexander aus Schweden sind Vasudeva und Brahma Samhita. Lony ist ins Saarland vermittelt und heißt jetzt Luna. ALLES BLEIBT WIE ES IST – NUR DER NAME ÄNDERT SICH: Kiepert heißt jetzt Thalia, Head Hunter heißt jetzt Kopfgeldjäger; es ist ein altes Elend. Dimitroff heißt jetzt Danziger. (Erstveröffentlichung in: Gegner, Heft 16, Berlin 2005.) SPRACHRAUM 85 Nach der Si n n f l u t KAI POHL unerklärlicher bzw. überfälliger Remix nach Christoph Bruckner toter vater rotzt in notbuch: der hunger ein reiszweck das schicksal ein scheusal voll gefälschte biograffiti wahren relationshit mit sicheren trittstaaten dank gähntechnik überragende stalagtitten eipott und mehlbox im backwahn marcel »heim ins reich« vranitzky trifft blumengroup im verstandesamt zu zusammenführung von hugenutten sowie bundesligasthenikern in pisseria schülerlaotse moe trucker mit umfangreicher olympischer spüle sucht dieter-thomas-heck-aufkleber BREMSE NUR ZUM KOTZEN (2011) Wasser-Prawda | Juli 2014 86 SPRACHRAUM Im Ly ri kam t CLEMENS SCHITTKO Clemens Schittko, geb. 1978 in Berlin (Ost), Gebäudereiniger und Schriftsteller, lebt in Berlin. Lauter niemand Preis für politische Lyrik 2010. (Mein Name ist) Schittko, Clemens Schittko. Clemens mit C am Anfang und mit S am Ende. Und Schittko buchstabiert sich S, C, H, I, Doppel-T, K, O. Nein, ich wurde von niemandem ausgeknockt, noch nicht einmal angezählt. Und das, obwohl ich als Kind drei Jahre in einem Boxverein war. Also noch einmal: S, C, H, I (ja I und nicht Ü), Doppel-T, K und O. S wie Siegfried, C wie Cäsar (oder Clemens) H wie Heinrich, I wie Ida, T wie Theodor, T wie Theodor, K wie Konrad (wobei mein Bruder Conrad mit C geschrieben wird) und O wie Otto. Siegfried wie Siegfried und Roy, Cäsar (oder Clemens) wie Julius Cäsar (oder Clemens Schittko), Heinrich wie Heinrich von Kleist, Ida wie Ida Dehmel, Theodor wie Theodor W. Adorno und Theodor wie Theodor Kramer, Konrad wie Konrad Bayer und Otto wie Otto Rehhagel. Ja, Schittko ohne W am Ende und Clemens mit C am Anfang. (Erstveröffentlichung: Perspektive Nr. 72/73, Graz 2013.) Wasser-Prawda | Juli 2014 SPRACHRAUM 87 EISBLU M E N ( 3 A U S Z Ü GE ) SONJA VOSS-SCHARFENBERG (FOTO: ALEXANDER HADLER) [… ] Und in Theas zwölftem Jahr erklärte Karin ihr die geheimnisvolle Angelegenheit der Menstruation und wie man die Sache diskret behandelt und sauber verpackt. Thea war entsetzt, reihte sich aber auch wichtigtuerisch bei den Freundinnen ein, die im Sportunterricht gern mal auf der Bank Platz nahmen, sich den Bauch hielten und zusahen, wie die ungelenken Kameradinnen beim Bodenturnen versuchten, eine gute Figur zu machen. Außer dass Thea jetzt an Mutters Nachtschrank durfte, weil dort die Hygieneartikel für die Frau verstaut, richtiger wohl, versteckt, waren, sprach die Mutter mit ihr über die Angelegenheit kein Wort. Sie gehörte zu der Generation der verklemmten Mütter, die mit ihren Körpern nicht klarkamen, sie für etwas Unanständiges hielten, die ihre Eltern nie nackt gesehen haben, und ihren Kindern gern weisgemacht hätten, sie selbst seien schon bekleidet auf die Welt gekommen. Thea wundert es zuweilen, dass sie sich überhaupt vermehrt haben. Ihre Schwester jedenfalls war noch vollkommen überrascht worden von Bauchschmerzen und verschmutzter Unterwäsche. Die hatte noch gedacht, sie sei plötzlich unheilbar krank und müsste sterben. Die war verzweifelt in die Wäscherei PGH Edelweiß, in der die Mutter arbeitete, gelaufen. Und die Mutter hatte sie beiseite genommen und geflüstert, das wäre nichts Schlimmes, sie hätte jetzt ihre Tage, und in Mutters Nachtschrank wären Binden. Und Karin, die bislang nur Binden kannte, die man sich ums aufgeschlagene Knie wickelte oder um die verstauchte Hand, stand hilflos im elterlichen Schlafzimmer. Allein, verheult, verängstigt, und vor allem verschämt. Später haben sie wohl über diese Begebenheit gelacht, aber Thea findet, angesichts der Tatsache, dass so etwas noch Anfang der 1960er Jahre möglich war, es ist eine der traurigsten und unglaublichsten Episoden zwischen einer Mutter und einer Tochter in der Frauengeschichte der angeblich zivilisierten Welt. Irgendwann zu der Zeit, als solcherart Frauenangelegenheiten sich in Theas Leben drängten, hörte sie auf, sich bei Kreisspielen auf der Straße von stolzen Königen lieb und warm halten, küssen und scheiden zu lassen. Sie ging mit Lothar Brandt aus der Parallelklasse und schrieb in der Bodenkammer ins Tagebuch: Ich liebe Herrn Sperlich. Deutsch. … Wasser-Prawda | Juli 2014 88 SPRACHRAUM […] hat die Mutter das alles noch am selben Abend angesagt. Thea wollte zu Oma und Opa, jedenfalls landete sie Aus familienorganisatorischen Gründen, damals hieß dort. Ob sie das wirklich entschieden hatte, weiß sie es, der Vater müsste „auf Schule“, weshalb die Mutter nicht mehr. Oma und Opa wohnten in Altentreptow nun eine Arbeit annehmen wollte, hatte Thea zweiein- an der Tollense, fünf lange Zugstunden von Schwerin halb wichtige Jahre bei den Großeltern gelebt und war entfernt. Man fuhr dort nicht hin, um am Wochenende erst, als sie eingeschult wurde, wieder in die Familie wieder nach Hause zu kommen. … zurückgekehrt. „Auf Schule“ bedeutete in Wirklichkeit das Gefängnis, in dem der Vater einsaß, weil er versucht hatte, Geld zu unterschlagen. Knapp tausend Mark wohl. Thea hielt das nie für ein Kavaliersdelikt, aber das Urteil von zwanzig Monaten ohne Bewährung erscheint ihr, seit sie darüber Bescheid weiß, unverhältnismäßig. Der damals junge sozialistische Staat war vermutlich mehr beleidigt, als dass er geschädigt war. Er entließ den Familienvater in Unehren aus den Reihen der Volkspolizei, schickte ihn „auf Schule“ und hatte danach einen gebrochenen, ewig beschämten Bürger, der es sich selbst versagte, jemals wieder auf einen grünen Zweig zu kommen. Natürlich war für Theas Mutter eine Welt zusammengebrochen. Sie war die Frau eines schneidigen Polizisten von Offiziersrang, die zu Hause sorgfältig die Wohnung und ihre drei Kinder gleichermaßen in Schuss hielt. Sie war angesehen in der Straße, in der die Familie lebte. Sie genoss es, wenn der Vater gelegentlich sogar ein Auto mit Chauffeur vor die Haustür schickte, die Mutter zum Friseur zu fahren. Der Erdrutsch in die Position der Frau eines gemeinen Diebes, die nun mit drei Kindern für knapp zwei Jahre allein dastand, hätte gewaltiger nicht sein können. Aber Theas Mutter muss diese Situation unvermittelt akzeptiert und tatkräftig in die Hand genommen haben. Es ist die für Thea am weitesten zurückliegende Erinnerung, derer ihre Gedanken habhaft sind. Sie ist viereinhalb Jahre alt, zwei Polizisten sind zu Besuch, was nicht ungewöhnlich ist, und sprechen mit der Mutter allein im Wohnzimmer. Als die Mutter zu ihren Kindern kommt, sieht sie verweint aus, sagt, dass der Vater ganz lange „auf Schule“ müsse und es würde sich hier einiges ändern. „Auf Schule“ war für die Kinder bis dahin ein Begriff für die Abwesenheit des Vaters. Zu Thea sagt die Mutter, sie müsse arbeiten gehen, solange der Vater nicht da sei, Thea solle sich aussuchen, ob sie in den Kindergarten wolle oder zur Oma. In Theas Erinnerung Wasser-Prawda | Juli 2014 SPRACHRAUM 89 […] Aber ganz ablassen vom eigenen Leben konnte Thea auch nicht, denn zu offensichtlich war die Endlichkeit des Daseins in ihr Bewusstsein gerückt. Und der monotone Kreislauf der Generationsablösungen, der sich immer dann deutlich in den Vordergrund spielt, wenn die Vor- und Nachfahren der Familie in weißen Blusen und Hemden zu runden Geburtstagen antanzen und sich freundlich zu Schnappschüssen ewiger Erinnerungen vereinen, als sei das des Lebens Sinn, langweilt und ängstigt sie gleichermaßen. Erst neulich, als Thea ihre Mutter zu einem Familientreffen fuhr, und hinten im Auto noch Conny und deren Tochter saßen, dachte sie plötzlich: Vier Generationen sitzen jetzt hier zusammen. Eine Matrjoschka hat die andere hervorgebracht. War das denn nötig? Thea hat oft so seltsame Gedanken. Vielmals solche, die sich zu denken nicht gehören. Das ist ihr Schicksal seit langem. Und Thea glaubt, schlimmer ist nur dran, wer hellsehen muss. Manchmal hatte sie sich gewünscht, sie hätte eine von diesen Furienmüttern werden können, die ständig die Arme ausbreiten, ihre Brut selbstgerecht an die große Brust zu holen und die nie den geringsten Zweifel an der Unschuld ihrer Kinder hegen, die lauthals und flügelschlagend alle und alles angreifen, was ihren Gören zu nahe tritt und die das unbedingt für Liebe halten. Aber auch dafür war Thea nicht geeignet. Nicht für die mit Blindheit geschlagene Übermutter und nicht für die konsequente, weitsichtige Erzieherin. Sie hätte klug daran getan, auf Mutterschaft zu verzichten. Auch das ist so ein Gedanke für den Giftschrank, obwohl er eigentlich nichts mehr anrichten kann, denn es sind da nun zwei Menschen unterwegs, die sich anschicken, beim großen Staffellauf bald an der Reihe zu sein, was nichts über die Qualität ihres Lebens aussagt, sondern nur benennt, dass etwas im Fluss geblieben ist, und dass einer weiß, wem er vorauslief und wem hinterher. Mehr nicht. Und nicht weniger. … In der langen Nacht bevor ihr Jüngster von Zuhause auszieht, schaut Thea auf ihr Leben zurück. Es erscheint ihr wie im Spiegel des Zeitgeistes. In der Kindheit und als junge Erwachsene rieb sich sich an den Visionen und Gespenstern vergangener Generationen – denen der Eltern, der Großmutter und des Onkels – auf. Immer wieder bestimmten Aufbau und Zusammenbruch der DDR ihr Schicksal in Schwerin. Thea erinnert sich an ihre gescheiterte Ehe, erklärt sich ihr Verhältnis zu ihren Kindern und lässt schließlich die Liebe ihres Lebens zu. Was folgt jetzt im Alter – Krankheit und Tod? Schnörkellos erzählt Thea mit innerlicher Stimme ihre Lebensgeschichte, die mit den gesellschaftsrelevanten Themen im Wandel der Zeit eng verknüpft ist. Die Schweriner Schriftstellerin Sonja VoßScharfenberg absolvierte 1984 das Leipziger Literaturinstitunt. 1990 erschien ihr erster Prosaband “Gegenwind” im Verlag Neues Leben. Seither veröffentlichte sich unter anderem “Neue Farm der Alten Tiere. Ein Märchen?” (1994). Die Erzählung “Eisblumen” wird im Herbst 2014 im Greifswalder freiraum-verlag erscheinen. Wasser-Prawda | Juli 2014 90 SPRACHRAUM DIE E R S T E N S TU N D E N DES K R IE G E S V O N 1 9 1 4 STEFAN ZWEIG (AUS: DIE WELT VON GESTERN) Jener Sommer 1914 wäre auch ohne das Verhängnis, das er über die europäische Erde brachte, uns unvergeßlich geblieben. Denn selten habe ich einen erlebt, der üppiger, schöner, und fast möchte ich sagen, sommerlicher gewesen. Seidenblau der Himmel durch Tage und Tage, weich und doch nicht schwül die Luft, duftig und warm die Wiesen, dunkel und füllig die Wälder mit ihrem jungen Grün; heute noch, wenn ich das Wort Sommer ausspreche, muß ich unwillkürlich an jene strahlenden Julitage denken, die ich damals in Baden bei Wien verbrachte. Ich hatte mich zurückgezogen, um in diesem kleinen romantischen Städtchen, das Beethoven sich so gerne zum Sommeraufenthalt wählte, diesen Monat ganz konzentriert der Arbeit zu widmen und dann den Rest des Sommers bei Verhaeren, dem verehrten Freunde, in seinem kleinen Landhaus in Belgien zu verbringen. In Baden ist es nicht nötig, das kleine Städtchen zu verlassen, um der Landschaft sich zu erfreuen. Der schöne, hügelige Wald dringt unmerklich zwischen die niederen biedermeierischen Häuser, die die Einfachheit und Anmut der Beethovenschen Zeit bewahrt haben. Man sitzt in Cafés und Restaurants überall im Freien, kann sich je nach Belieben unter das heitere Volk der Kurgäste mengen, die im Kurpark dort Korso abhalten oder sich auf den einsamen Wegen verlieren. Schon am Vorabend jenes 29. Juni, den das katholische Land Österreich als ›Peter und Paul‹ immer feiertäglich hielt, waren viele Gäste aus Wien gekommen. In hellen Sommerkleidern, fröhlich und unbesorgt, wogte die Menge im Kurpark vor der Musik. Der Tag war lind; wolkenlos stand der Himmel über den Wasser-Prawda | Juli 2014 breiten Kastanienbäumen, und es war ein rechter Tag des Glücklichseins. Nun kamen für die Menschen, die Kinder bald die Ferien, und sie nahmen mit diesem ersten sommerlichen Feiertag gleichsam schon den ganzen Sommer voraus mit seiner seligen Luft, seinem satten Grün und seinem Vergessen aller täglichen Sorgen. Ich saß damals weiter ab vom Gedränge des Kurparks und las ein Buch – ich weiß heute noch, welches es war: Mereschkowskijs ›Tolstoi und Dostojewski‹ – las es aufmerksam und gespannt. Aber doch war der Wind zwischen den Bäumen, das Gezwitscher der Vögel und die vom Kurpark herschwebende Musik gleichzeitig in meinem Bewußtsein. Ich hörte deutlich die Melodien mit, ohne dadurch gestört zu sein, denn unser Ohr ist ja so anpassungsfähig, daß ein andauerndes Geräusch, eine donnernde Straße, ein rauschender Bach nach wenigen Minuten sich völlig dem Bewußtsein eingepaßt und im Gegenteil nur ein unerwartetes Stocken im Rhythmus uns aufhorchen läßt. So hielt ich unwillkürlich im Lesen inne, als plötzlich mitten im Takt die Musik abbrach. Ich wußte nicht, welches Musikstück es war, das die Kurkapelle gespielt hatte. Ich spürte nur, daß die Musik mit einemmal aussetzte. Instinktiv sah ich vom Buche auf. Auch die Menge, die als eine einzige flutende helle Masse zwischen den Bäumen promenierte, schien sich zu verändern; auch sie stockte plötzlich in ihrem Auf und Ab. Es mußte sich etwas ereignet haben. Ich stand auf und sah, daß die Musiker den Musikpavillon verließen. Auch dies war sonderbar, denn das Kurkonzert dauerte sonst eine Stunde oder länger. Irgend etwas mußte dieses brüske Abbrechen veranlaßt haben; nähertretend bemerkte ich, SPRACHRAUM daß die Menschen sich in erregten Gruppen vor dem Musikpavillon um eine offenbar soeben angeheftete Mitteilung zusammendrängten. Es war, wie ich nach wenigen Minuten erfuhr, die Depesche, daß Seine kaiserliche Hoheit, der Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gemahlin, die zu den Manövern nach Bosnien gefahren waren, daselbst einem politischen Meuchelmord zum Opfer gefallen seien. Immer mehr Menschen scharten sich um diesen Anschlag. Einer sagte dem andern die unerwartete Nachricht weiter. Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben: keine sonderliche Erschütterung oder Erbitterung war von den Gesichtern abzulesen. Denn der Thronfolger war keineswegs beliebt gewesen. Noch von meiner frühesten Kindheit erinnere ich mich an jenen andern Tag, als Kronprinz Rudolf, der einzige Sohn des Kaisers, in Mayerling erschossen aufgefunden wurde. Damals war die ganze Stadt in einem Aufruhr ergriffener Erregung gewesen, ungeheure Massen hatten sich gedrängt, um die Aufbahrung zu sehen, überwältigend sich das Mitgefühl für den Kaiser und der Schrecken geäußert, daß sein einziger Sohn und Erbe, dem man als einem fortschrittlichen und menschlich ungemein sympathischen Habsburger die größten Erwartungen entgegengebracht hatte, im besten Mannesalter dahingegangen war. Franz Ferdinand dagegen fehlte gerade das, was in Österreich für eine rechte Popularität unermeßlich wichtig war: persönliche Liebenswürdigkeit, menschlicher Charme und Umgänglichkeit der Formen. Ich hatte ihn oftmals im Theater beobachtet. Da saß er in seiner Loge, mächtig und breit, mit kalten, starren Augen, ohne einen einzigen freundlichen Blick auf das Publikum zu richten oder die Künstler durch herzlichen Beifall zu ermutigen. Nie sah man ihn lächeln, keine Photographie zeigte ihn in aufgelockerter Haltung. Er hatte keinen Sinn für Musik, keinen Sinn für Humor, und ebenso unfreundlich blickte seine Frau. Um diese beiden stand eine eisige Luft; man wußte, daß sie keine Freunde hatten, wußte, daß der alte Kaiser ihn von Herzen haßte, weil er seine Thronfolger-Ungeduld, zur Herrschaft zu kommen, nicht taktvoll zu verbergen verstand. Mein fast mystisches Vorgefühl, daß von diesem Mann mit dem Bulldoggnacken und den starren, kalten Augen irgendein Unglück ausgehen würde, war also 91 durchaus kein persönlicher, sondern weit in der ganzen Nation verbreitet; die Nachricht von seiner Ermordung erregte deshalb keine tiefe Anteilnahme. Zwei Stunden später konnte man kein Anzeichen wirklicher Trauer mehr bemerken. Die Leute plauderten und lachten, spät abends spielte in den Lokalen wieder die Musik. Es gab viele an diesem Tag in Österreich, die im stillen heimlich aufatmeten, daß dieser Erbe des alten Kaisers zugunsten des ungleich beliebteren jungen Erzherzogs Karl erledigt war. Am nächsten Tage brachten die Zeitungen selbstverständlich ausführliche Nekrologe und gaben der Entrüstung über das Attentat gebührenden Ausdruck. Nichts aber deutete an, daß dies Ereignis zu einer politischen Aktion gegen Serbien ausgewertet werden sollte. Für das Kaiserhaus schuf dieser Tod zunächst eine ganz andere Sorge, die des Zeremoniells seiner Beerdigung. Nach seinem Rang als Thronfolger und insbesondere, da er in Ausübung seines Dienstes für die Monarchie gestorben war, wäre sein Platz selbstverständlich in der Kapuzinergruft gewesen, der historischen Begräbnisstätte der Habsburger. Aber Franz Ferdinand hatte nach langen, erbitterten Kämpfen gegen die kaiserliche Familie eine Gräfin Chotek geheiratet, eine hohe Aristokratin zwar, aber nach dem geheimnisvollen vielhundertjährigen Hausgesetz der Habsburger ihm nicht ebenbürtig, und die Erzherzoginnen behaupteten bei den großen Zeremonien gegenüber der Thronfolgersgattin, deren Kinder nicht erbberechtigt waren, hartnäckig den Vortritt. Aber selbst gegen die Tote wandte sich noch der höfische Hochmut. Wie? – eine Gräfin Chotek in der habsburgischen Kaisergruft beisetzen? Nein, das durfte nicht geschehen! Eine mächtige Intrige begann; die Erzherzoginnen liefen Sturm bei dem alten Kaiser. Während man von dem Volk offiziell tiefe Trauer forderte, spielten in der Hofburg die Rankünen wild durcheinander, und wie gewöhnlich behielt der Tote unrecht. Die Zeremonienmeister erfanden die Behauptung, es sei der eigene Wunsch des Verstorbenen gewesen, in Artstetten, einem kleinen österreichischen Provinzort, begraben zu werden, und mit dieser pseudopietätvollen Ausflucht konnte man sich um die öffentliche Aufbahrung, den Trauerzug und alle damit verbundenen Rangstreitigkeiten sacht herumdrücken. Die Särge der Wasser-Prawda | Juli 2014 92 SPRACHRAUM beiden Ermordeten wurden still nach Artstetten gebracht und dort beigesetzt. Wien, dessen ewiger Schaulust man damit einen großen Anlaß genommen, begann bereits den tragischen Vorfall zu vergessen. Schließlich war man in Österreich durch den gewaltsamen Tod der Kaiserin Elisabeth, des Kronprinzen und die skandalöse Flucht von allerhand Mitgliedern des Kaiserhauses längst an den Gedanken gewöhnt, daß der alte Kaiser einsam und unerschütterlich sein tantalidisches Haus überleben würde. Ein paar Wochen noch, und der Name und die Gestalt Franz Ferdinands wären für immer aus der Geschichte verschwunden. Aber da begannen nach ungefähr einer Woche plötzlich Plänkeleien in den Zeitungen, deren Crescendo zu gleichzeitig war, um ganz zufällig zu sein. Die serbische Regierung wurde des Einverständnisses beschuldigt, und es wurde mit halben Worten angedeutet, daß Österreich diesen Mord seines – angeblich so geliebten – Thronfolgers nicht ungesühnt lassen dürfe. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich irgendeine Aktion publizistisch vorbereite, aber niemand dachte an Krieg. Weder Banken noch Geschäfte und Privatleute änderten ihre Dispositionen. Was ging es uns an, dieses ewige Geplänkel mit Serbien, das, wie wir alle wußten, im Grunde nur über ein paar Handelsverträge wegen serbischen Schweineexports entstanden war? Meine Koffer waren für die Reise nach Belgien zu Verhaeren gepackt, meine Arbeit in gutem Zuge, was hatte der tote Erzherzog in seinem Sarkophag zu tun mit meinem Leben? Der Sommer war schön wie nie und versprach noch schöner zu werden; sorglos blickten wir alle in die Welt. Ich erinnere mich, wie ich noch am letzten Tage in Baden mit einem Freunde durch die Weinberge ging und ein alter Weinbauer zu uns sagte: »So ein‘ Sommer wie den haben wir schon lange nicht gehabt. Wenn‘s so bleibt, dann kriegen wir einen Wein wie nie. An den Sommer werden die Leut‘ noch denken!« Aber er wußte nicht, der alte Mann in seinem blauen Küferrock, welch ein grauenhaft wahres Wort er damit aussprach. herrschte die gleiche Sorglosigkeit. Die Urlaubsfreudigen lagen unter ihren farbigen Zelten am Strande oder badeten, die Kinder ließen Drachen steigen, vor den Kaffeehäusern tanzten die jungen Leute auf der Digue. Alle denkbaren Nationen fanden sich friedlich zusammen, man hörte insbesondere viel deutsch sprechen, denn wie alljährlich entsandte das nahe Rheinland seine sommerlichen Feriengäste am liebsten an den belgischen Strand. Die einzige Störung kam von den Zeitungsjungen, die, um den Verkauf zu fördern, die drohenden Überschriften der Pariser Blätter laut ausbrüllten: »L‘Autriche provoque la Russie«, »L‘Allemagne prépare la mobilisation«. Man sah, wie sich die Gesichter der Leute, wenn sie die Zeitungen kauften, verdüsterten, aber immer bloß für ein paar Minuten. Schließlich kannten wir diese diplomatischen Konflikte schon seit Jahren; sie waren immer in letzter Stunde, bevor es ernst wurde, glücklich beigelegt worden. Warum nicht auch diesmal? Eine halbe Stunde später sah man dieselben Leute schon wieder vergnügt prustend im Wasser plätschern, die Drachen stiegen, die Möwen flatterten, und die Sonne lachte hell und warm über dem friedlichen Land. Aber die schlimmen Nachrichten häuften sich und wurden immer bedrohlicher. Erst das Ultimatum Österreichs an Serbien, die ausweichende Antwort darauf, Telegramme zwischen den Monarchen und schließlich die kaum mehr verborgenen Mobilisationen. Es hielt mich nicht mehr länger in dem engen, abgelegenen Ort. Ich fuhr jeden Tag mit der kleinen elektrischen Bahn nach Ostende hinüber, um den Nachrichten näher zu sein; und sie wurden immer schlimmer. Noch badeten die Leute, noch waren die Hotels voll, noch drängten sich auf der Digue promenierende, lachende, schwatzende Sommergäste. Aber zum erstenmal schob sich etwas Neues dazwischen. Plötzlich sah man belgische Soldaten auftauchen, die sonst nie den Strand betraten. Maschinengewehre wurden – eine sonderbare Eigenheit der belgischen Armee – von Hunden auf kleinen Wagen gezogen. Ich saß damals in einem Café mit einigen belgischen Auch in Le Coq, dem kleinen Seebad nahe bei Ostende, Freunden zusammen, einem jungen Maler und dem wo ich zwei Wochen verbringen wollte, ehe ich wie all- Dichter Crommelynck. Wir hatten den Nachmittag bei jährlich Gast in dem kleinen Landhause Verhaerens war, James Ensor verbracht, dem größten modernen Maler Wasser-Prawda | Juli 2014 SPRACHRAUM Belgiens, einem sehr sonderbaren, einsiedlerischen und verschlossenen Mann, der viel stolzer war auf die kleinen schlechten Polkas und Walzer, die er für Militärkapellen komponierte, als auf seine phantastischen, in schimmernden Farben entworfenen Gemälde. Er hatte uns seine Werke gezeigt, eigentlich ziemlich widerwillig, denn ihn bedrückte skurrilerweise der Gedanke, es möchte ihm jemand eines abkaufen. Sein Traum war eigentlich, wie mir die Freunde lachend erzählten, sie teuer zu verkaufen, aber doch zugleich dann alle behalten zu dürfen, denn er hing mit derselben Gier am Gelde wie an jedem seiner Werke. Immer, wenn er eines abgegeben, blieb er ein paar Tage verzweifelt. Mit all seinen merkwürdigen Schrullen hatte dieser geniale Harpagon uns heiter gemacht; und als gerade wieder so ein Trupp Soldaten mit dem hundebespannten Maschinengewehr vorüberzog, stand einer von uns auf und streichelte den Hund, sehr zum Ärger des begleitenden Offiziers, der befürchtete, daß durch diese Liebkosung eines kriegerischen Objekts die Würde einer militärischen Institution geschädigt werden könnte. »Wozu dieses dumme Herummarschieren?« murrte einer in unserem Kreise. Aber ein anderer antwortete erregt: »Man muß doch seine Vorkehrungen treffen. Es heißt, daß die Deutschen im Falle eines Krieges bei uns durchbrechen wollen.« »Ausgeschlossen!« sagte ich mit ehrlicher Überzeugung, denn in jener alten Welt glaubte man noch an die Heiligkeit von Verträgen. »Wenn etwas passieren sollte und Frankreich und Deutschland sich gegenseitig bis auf den letzten Mann vernichten, werdet ihr Belgier ruhig im Trockenen sitzen!« Aber unser Pessimist gab nicht nach. Das müsse einen Sinn haben, sagte er, wenn man in Belgien solche Maßnahmen anordne. Schon vor Jahren hätte man Wind von einem geheimen Plan des deutschen Generalstabs bekommen, im Falle einer Attacke auf Frankreich trotz allen beschworenen Verträgen in Belgien durchzustoßen. Aber ich gab gleichfalls nicht nach. Mir schien es völlig absurd, daß, während Tausende und Zehntausende von Deutschen hier lässig und fröhlich die Gastfreundschaft dieses kleinen, unbeteiligten Landes genossen, an der Grenze eine Armee einbruchsbereit stehen sollte. »Unsinn!« sagte ich. »Hier an dieser Laterne könnt ihr mich aufhängen, wenn die Deutschen in Belgien einmarschieren!« Ich muß meinen 93 Freunden noch heute dankbar sein, daß sie mich später nicht beim Wort genommen haben. Aber dann kamen die allerletzten kritischen Julitage und jede Stunde eine andere widersprechende Nachricht, die Telegramme des Kaisers Wilhelm an den Zaren, die Telegramme des Zaren an Kaiser Wilhelm, die Kriegserklärung Österreichs an Serbien, die Ermordung von Jaurès. Man spürte, es wurde ernst. Mit einemmal wehte ein kalter Wind von Angst über den Strand und fegte ihn leer. Zu Tausenden verließen die Leute die Hotels, die Züge wurden gestürmt, selbst die Gutgläubigsten begannen jetzt schleunigst ihre Koffer zu packen. Auch ich sicherte mir, kaum daß ich die Nachricht von der österreichischen Kriegserklärung an Serbien hörte, ein Billett, und es war wahrhaftig Zeit. Denn dieser Ostendeexpreß wurde der letzte Zug, der aus Belgien nach Deutschland ging. Wir standen in den Gängen, aufgeregt und voll Ungeduld, jeder sprach mit dem andern. Niemand vermochte ruhig sitzen zu bleiben oder zu lesen, an jeder Station stürzte man heraus, um neue Nachrichten zu holen, voll der geheimnisvollen Hoffnung, daß irgend eine entschlossene Hand das entfesselte Schicksal noch zurückreißen könnte. Noch immer glaubte man nicht an den Krieg und noch weniger an einen Einbruch in Belgien; man konnte es nicht glauben, weil man einen solchen Irrwitz nicht glauben wollte. Allmählich näherte der Zug sich der Grenze, wir passierten Verviers, die belgische Grenzstation. Deutsche Schaffner stiegen ein, in zehn Minuten sollten wir auf deutschem Gebiet sein. Aber auf dem halben Wege nach Herbesthal, der ersten deutschen Station, blieb plötzlich der Zug auf freiem Felde stehen. Wir drängten in den Gängen zu den Fenstern. Was war geschehen? Und da sah ich im Dunklen einen Lastzug nach dem andern uns entgegenkommen, offene Waggons, mit Plachen bedeckt, unter denen ich undeutlich die drohenden Formen von Kanonen zu erkennen glaubte. Mir stockte das Herz. Das mußte der Vormarsch der deutschen Armee sein. Aber vielleicht, tröstete ich mich, war es doch nur eine Schutzmaßnahme, nur eine Drohung mit Mobilisation und nicht die Mobilisation selbst. Immer wird ja in den Stunden der Gefahr der Wille, noch einmal zu hoffen, riesengroß. Endlich kam das Signal ›Strecke frei‹ der Wasser-Prawda | Juli 2014 94 SPRACHRAUM Zug rollte weiter und lief in der Station Herbesthal ein. Ich sprang mit einem Ruck die Stufen hinunter, eine Zeitung zu holen und Erkundigungen einzuziehen. Aber der Bahnhof war besetzt von Militär. Als ich in den Wartesaal eintreten wollte, stand vor der verschlossenen Tür abwehrend ein Beamter, weißbärtig und streng: niemand dürfe die Bahnhofsräume betreten. Aber ich hatte schon hinter den sorgfältig verhängten Glasscheiben der Tür das leise Klirren und Klinkern von Säbeln, das harte Niederstellen von Kolben gehört. Kein Zweifel, das Ungeheuerliche war im Gang, der deutsche Einbruch in Belgien wider aller Satzung des Völkerrechts. Schaudernd stieg ich wieder in den Zug und fuhr weiter, nach Österreich zurück. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr: ich fuhr in den Krieg. Augenblick miterlebten und daß jeder aufgerufen war, sein winziges Ich in diese glühende Masse zu schleudern, um sich dort von aller Eigensucht zu läutern. Alle Unterschiede der Stände, der Sprachen, der Klassen, der Religionen waren überflutet für diesen einen Augenblick von dem strömenden Gefühl der Brüderlichkeit. Fremde sprachen sich an auf der Straße, Menschen, die sich jahrelang auswichen, schüttelten einander die Hände, überall sah man belebte Gesichter. Jeder einzelne erlebte eine Steigerung seines Ichs, er war nicht mehr der isolierte Mensch von früher, er war eingetan in eine Masse, er war Volk, und seine Person, seine sonst unbeachtete Person hatte einen Sinn bekommen. Der kleine Postbeamte, der sonst von früh bis nachts Briefe sortierte, immer wieder sortierte, von Montag bis Samstag ununterbrochen sortierte, der Schreiber, der Schuster hatte plötzlich eine andere, eine romantische Möglichkeit in seinem Leben: er konnte Held werden, und jeden, der eine Uniform trug, feierten schon die Frauen, grüßten ehrfürchtig die Zurückbleibenden im voraus mit diesem romantischen Namen. Sie anerkannten die unbekannte Macht, die sie aus ihrem Alltag heraushob; selbst die Trauer der Mütter, die Angst der Frauen schämte sich in diesen Stunden des ersten Überschwangs, ihr doch allzu natürliches Gefühl zu bekunden. Vielleicht aber war in diesem Rausch noch eine tiefere, eine geheimnisvollere Macht am Werke. So gewaltig, so plötzlich brach diese Sturzwelle über die Menschheit herein, daß sie, die Oberfläche überschäumend, die dunklen, die unbewußten Urtriebe und Instinkte des Menschtiers nach oben riß, das, was Freud tiefsehend ›die Unlust an der Kultur‹ nannte, das Verlangen, einmal aus der bürgerlichen Welt der Gesetze und Paragraphen auszubrechen und die uralten Blutinstinkte auszutoben. Vielleicht hatten auch diese dunklen Mächte ihren Teil an dem wilden Rausch, in dem alles gemischt war, Opferfreude und Alkohol, Abenteuerlust und reine Gläubigkeit, die alte Magie der Fahnen und der patriotischen Worte – diesem unheimlichen, in Worten kaum zu schildernden Rausch von Millionen, der für einen Augenblick dem größten Verbrechen unserer Zeit einen wilden und fast hinreißenden Schwung gab. Am nächsten Morgen in Österreich! In jeder Station klebten die Anschläge, welche die allgemeine Mobilisation angekündigt hatten. Die Züge füllten sich mit frisch eingerückten Rekruten, Fahnen wehten. Musik dröhnte, in Wien fand ich die ganze Stadt in einem Taumel. Der erste Schrecken über den Krieg, den niemand gewollt, nicht die Völker, nicht die Regierung, diesen Krieg, der den Diplomaten, die damit spielten und blufften, gegen ihre eigene Absicht aus der ungeschickten Hand gerutscht war, war umgeschlagen in einen plötzlichen Enthusiasmus. Aufzüge formten sich in den Straßen, plötzlich loderten überall Fahnen, Bänder und Musik, die jungen Rekruten marschierten im Triumph dahin, und ihre Gesichter waren hell, weil man ihnen zujubelte, ihnen, den kleinen Menschen des Alltags, die sonst niemand beachtet und gefeiert. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß ich bekennen, daß in diesem ersten Aufbruch der Massen etwas Großartiges, Hinreißendes und sogar Verführerisches lag, dem man sich schwer entziehen konnte. Und trotz allem Haß und Abscheu gegen den Krieg möchte ich die Erinnerung an diese ersten Tage in meinem Leben nicht missen: Wie nie fühlten die Tausende und Hunderttausende Menschen, was sie besser im Frieden hätten fühlen sollen: daß sie zusammengehörten. Eine Stadt von zwei Millionen, ein Land von fast fünfzig Millionen empfanden in dieser Stunde, daß sie Weltgeschichte, daß sie einen nie wiederkehrenden Die Generation von heute, die nur den Ausbruch des Wasser-Prawda | Juli 2014 SPRACHRAUM Zweiten Weltkriegs mitangesehen, fragt sich vielleicht: warum haben wir das nicht erlebt? Warum loderten 1939 die Massen nicht mehr in gleicher Begeisterung auf wie 1914? Warum gehorchten sie dem Anruf nur ernst und entschlossen, schweigsam und fatalistisch? Galt es nicht dasselbe, ging es eigentlich nicht noch um mehr, um Heiligeres, um Höheres in diesem unseren gegenwärtigen Kriege, der ein Krieg der Ideen war und nicht bloß einer um Grenzen und Kolonien? Die Antwort ist einfach: weil unsere Welt von 1939 nicht mehr über so viel kindlich-naive Gläubigkeit verfügte wie jene von 1914. Damals vertraute das Volk noch unbedenklich seinen Autoritäten; niemand in Österreich hätte den Gedanken gewagt, der allverehrte Landesvater Kaiser Franz Joseph hätte in seinem vierundachtzigsten Jahr sein Volk zum Kampf aufgerufen ohne äußerste Nötigung, er hätte das Blutopfer gefordert, wenn nicht böse, tückische, verbrecherische Gegner den Frieden des Reichs bedrohten. Die Deutschen wiederum hatten die Telegramme ihres Kaisers an den Zaren gelesen, in denen er um den Frieden kämpfte; ein gewaltiger Respekt vor den ›Oberen‹, vor den Ministern, vor den Diplomaten und vor ihrer Einsicht, ihrer Ehrlichkeit beseelte noch den einfachen Mann. Wenn es zum Kriege gekommen war, dann konnte es nur gegen den Willen ihrer eigenen Staatsmänner geschehen sein; sie selbst konnten keine Schuld haben, niemand im ganzen Lande hatte die geringste Schuld. Also mußten drüben im anderen Lande die Verbrecher, die Kriegstreiber sein; es war Notwehr, daß man zur Waffe griff, Notwehr gegen einen schurkischen und tückischen Feind, der ohne den geringsten Grund das friedliche Österreich und Deutschland ›überfiel‹. 1939 dagegen war dieser fast religiöse Glaube an die Ehrlichkeit oder zumindest an die Fähigkeit der eigenen Regierung in ganz Europa schon geschwunden. Man verachtete die Diplomatie, seit man erbittert gesehen, wie sie in Versailles die Möglichkeit eines dauernden Friedens verraten; die Völker erinnerten sich zu deutlich, wie schamlos man sie um die Versprechungen der Abrüstung, der Abschaffung der Geheimdiplomatie betrogen. Im Grunde hatte man 1939 vor keinem einzigen der Staatsmänner Respekt, und niemand vertraute ihnen gläubig sein Schicksal an. Der kleinste französische Straßenarbeiter spottete über Daladier, in 95 England war seit München – ›peace for our time!‹ – jedes Vertrauen in die Weitsicht Chamberlains geschwunden, in Italien, in Deutschland sahen die Massen voll Angst auf Mussolini und Hitler: wohin wird er uns wieder treiben? Freilich, man konnte sich nicht wehren, es ging um das Vaterland: so nahmen die Soldaten das Gewehr, so ließen die Frauen ihre Kinder ziehen, aber nicht mehr wie einst in dem unverbrüchlichen Glauben, das Opfer sei unvermeidlich gewesen. Man gehorchte, aber man jubelte nicht. Man ging an die Front, aber man träumte nicht mehr, ein Held zu sein; schon fühlten die Völker und die einzelnen, daß sie nur Opfer waren entweder irdischer, politischer Torheit oder einer unfaßbaren und böswilligen Schicksalsgewalt. Und dann, was wußten 1914, nach fast einem halben Jahrhundert des Friedens, die großen Massen vom Kriege? Sie kannten ihn nicht, sie hatten kaum je an ihn gedacht. Er war eine Legende, und gerade die Ferne hatte ihn heroisch und romantisch gemacht. Sie sahen ihn immer noch aus der Perspektive der Schullesebücher und der Bilder in den Galerien: blendende Reiterattacken in blitzblanken Uniformen, der tödliche Schuß jeweils großmütig mitten durchs Herz, der ganze Feldzug ein schmetternder Siegesmarsch – »Weihnachten sind wir wieder zu Hause«, riefen im August 1914 die Rekruten lachend den Müttern zu. Wer in Dorf und Stadt erinnerte sich noch an den ›wirklichen‹ Krieg? Bestenfalls ein paar Greise, die 1866, gegen Preußen, den Bundesgenossen von diesmal, gekämpft, und was für ein geschwinder, unblutiger, ferner Krieg war das gewesen, ein Feldzug von drei Wochen und ohne viel Opfer zu Ende, ehe man erst Atem geholt! Ein rascher Ausflug ins Romantische, ein wildes und männliches Abenteuer – so malte sich der Krieg 1914 m der Vorstellung des einfachen Mannes, und die jungen Menschen hatten sogar ehrliche Angst, sie könnten das WundervollErregende in ihrem Leben versäumen; deshalb drängten sie ungestüm zu den Fahnen, deshalb jubelten und sangen sie in den Zügen, die sie zur Schlachtbank führten, wild und fiebernd strömte die rote Blutwelle durch die Adern des ganzen Reichs. Die Generation von 1939 aber kannte den Krieg. Sie täuschte sich nicht mehr. Sie wußte, daß er nicht romantisch war, sondern barbarisch. Sie wußte, daß er Jahre und Jahre dauern Wasser-Prawda | Juli 2014 96 SPRACHRAUM würde, unersetzliche Spanne des Lebens. Sie wußte, daß man nicht mit Eichenlaub und bunten Bändern geschmückt dem Feind entgegenstürmte, sondern verlaust und halb verdurstet wochenlang in Gräben und Quartieren lungerte, daß man zerschmettert und verstümmelt wurde aus der Ferne, ohne dem Gegner je ins Auge gesehen zu haben. Man kannte im voraus aus den Zeitungen, aus den Kinos die neuen technisch-teuflischen Vernichtungskünste, man wußte, daß die riesigen Tanks auf ihrem Weg den Verwundeten zermalmten und die Aeroplane Frauen und Kinder in ihren Betten zerschmetterten, man wußte, daß ein Weltkrieg 1939 dank seiner seelenlosen Maschinisierung tausendmal gemeiner, bestialischer, unmenschlicher sein würde als alle früheren Kriege der Menschheit. Kein einziger der Generation von 1939 glaubte mehr an eine von Gott gewollte Gerechtigkeit des Krieges, und schlimmer: man glaubte nicht einmal mehr an die Gerechtigkeit und Dauerhaftigkeit des Friedens, den er erkämpfen sollte. Denn man erinnerte sich zu deutlich noch an alle die Enttäuschungen, die der letzte gebracht: Verelendung statt Bereicherung, Verbitterung statt Befriedigung, Hungersnot, Geldentwertung, Revolten, Verlust der bürgerlichen Freiheit, Versklavung an den Staat, eine nervenzerstörende Unsicherheit, das Mißtrauen aller gegen alle. Das schuf den Unterschied. Der Krieg von 1939 hatte einen geistigen Sinn, es ging um die Freiheit, um die Bewahrung eines moralischen Guts; und um einen Sinn zu kämpfen, macht den Menschen hart und entschlossen. Der Krieg von 1914 dagegen wußte nichts von den Wirklichkeiten, er diente noch einem Wahn, dem Traum einer besseren, einer gerechten und friedlichen Welt. Und nur der Wahn, nicht das Wissen macht glücklich. Darum gingen, darum jubelten damals die Opfer trunken der Schlachtbank entgegen, mit Blumen bekränzt und mit Eichenlaub auf den Helmen, und die Straßen dröhnten und leuchteten wie bei einem Fest. hatte mich somit überzeugen können, daß die großen Massen in Belgien genau so friedlich und ahnungslos gewesen wie unsere eigenen Leute. Außerdem hatte ich zu lange kosmopolitisch gelebt, um über Nacht eine Welt plötzlich hassen zu können, die ebenso die meine war wie mein Vaterland. Ich hatte seit Jahren der Politik mißtraut und gerade in den letzten Jahren in unzähligen Gesprächen mit meinen französischen, meinen italienischen Freunden den Widersinn einer kriegerischen Möglichkeit erörtert. So war ich gewissermaßen geimpft mit Mißtrauen gegen die Infektion patriotischer Begeisterung, und vorbereitet wie ich war gegen diesen Fieberanfall der ersten Stunde, blieb ich entschlossen, meine Überzeugung von der notwendigen Einheit Europas nicht erschüttern zu lassen durch einen von ungeschickten Diplomaten und brutalen Munitionsindustriellen herbeigeführten Bruderkampf. Innerlich war ich demzufolge vom ersten Augenblick an als Weltbürger gesichert; schwer war es, die richtige Haltung als Staatsbürger zu finden. Obwohl erst zweiunddreißig Jahre alt, hatte ich vorläufig keinerlei militärische Pflichten, da ich bei allen Assentierungen als untauglich erklärt worden war, worüber ich schon seinerzeit herzlich froh gewesen. Erstens ersparte mir diese Zurückstellung ein mit stupidem Kommißdienst vergeudetes Jahr, außerdem schien es mir ein verbrecherischer Anachronismus, im zwanzigsten Jahrhundert eingeübt zu werden in der Handhabung von Mord Werkzeugen. Die richtige Haltung für einen Mann meiner Überzeugung wäre gewesen, in einem Kriege mich als ›conscientious objector‹ zu erklären, was in Österreich (im Gegensatz zu England) mit den denkbar schwersten Strafen bedroht war und eine wirkliche Märtyrerfestigkeit der Seele forderte. Nun liegt – ich schäme mich nicht, diesen Defekt offen einzugestehen – meiner Natur das Heldische nicht. Meine natürliche Haltung in allen gefährlichen Situationen ist immer die ausweichende gewesen, und nicht nur bei diesem einen Anlaß mußte ich vielleicht mit Recht den Anwurf der Daß ich selbst diesem plötzlichen Rausch des Unentschiedenheit auf mich nehmen, den man meinem Patriotismus nicht erlag, hatte ich keineswegs einer verehrten Meister in einem fremden Jahrhundert, besonderen Nüchternheit oder Klarsichtigkeit zu verdan- Erasmus von Rotterdam, so häufig gemacht. Anderseits ken, sondern der bisherigen Form meines Lebens. Ich war es wieder unerträglich, in einer solchen Zeit als verwar zwei Tage vorher noch im ›Feindesland‹ gewesen und hältnismäßig junger Mensch abzuwarten, bis man ihn Wasser-Prawda | Juli 2014 SPRACHRAUM herausscharrte aus seinem Dunkel und an irgendeine Stelle warf, an die er nicht gehörte. So hielt ich Umschau nach einer Tätigkeit, wo ich immerhin etwas leisten konnte, ohne hetzerisch tätig zu sein, und der Umstand, daß einer meiner Freunde, ein höherer Offizier, im Kriegsarchiv war, ermöglichte mir, dort eingestellt zu werden. Ich hatte Bibliotheksdienst zu tun, wofür ich durch meine Sprachkenntnisse nützlich war, oder stilistisch manche der für die Öffentlichkeit bestimmten Mitteilungen zu verbessern –, gewiß keine ruhmreiche Tätigkeit, wie ich willig eingestehe, aber doch eine, die mir persönlich passender erschien, als einem russischen Bauern ein Bajonett in die Gedärme zu stoßen. Jedoch das Entscheidende für mich war, daß mir Zeit blieb nach diesem nicht sehr anstrengenden Dienst für jenen Dienst, der mir der wichtigste in diesem Kriege war: der Dienst an der künftigen Verständigung. Schwieriger als die amtliche erwies sich meine Stellung innerhalb meines Freundeskreises. Wenig europäisch geschult, ganz im deutschen Gesichtskreis lebend, meinten die meisten unserer Dichter ihr Teil am besten zu tun, indem sie die Begeisterung der Massen stärkten und die angebliche Schönheit des Krieges mit dichterischem Appell oder wissenschaftlichen Ideologien unterbauten. Fast alle deutschen Dichter, Hauptmann und Dehmel voran, glaubten sich verpflichtet, wie in urgermanischen Zeiten als Barden die vorrückenden Kämpfer mit Liedern und Runen zur Sterbebegeisterung anzufeuern. Schockweise regneten Gedichte, die Krieg auf Sieg, Not auf Tod reimten. Feierlich verschworen sich die Schriftsteller, nie mehr mit einem Franzosen, nie mehr mit einem Engländer Kulturgemeinschaft haben zu wollen, ja mehr noch: sie leugneten über Nacht, daß es je eine englische, eine französische Kultur gegeben habe. All das sei gering und wertlos gegenüber deutschem Wesen, deutscher Kunst und deutscher Art. Noch ärger trieben es die Gelehrten. Die Philosophen wußten plötzlich keine andere Weisheit, als den Krieg zu einem ›Stahlbad‹ zu erklären, das wohltätig die Kräfte der Völker vor Erschlaffung bewahre. Ihnen zur Seite traten die Ärzte, die ihre Prothesen derart überschwenglich priesen, daß man beinahe Lust hatte, sich ein Bein amputieren zu lassen, um das gesunde durch solch 97 ein künstliches Gestell zu ersetzen. Die Priester aller Konfessionen wollten gleichfalls nicht zurückbleiben und stimmten ein in den Chor; manchmal war es, als hörte man eine Horde Besessener toben, und all diese Männer waren doch dieselben, deren Vernunft, deren formende Kraft, deren menschliche Haltung wir vor einer Woche, vor einem Monat noch bewundert. Das Erschütterndste an diesem Wahnsinn aber war, daß die meisten dieser Menschen ehrlich waren. Die meisten, zu alt oder körperlich unfähig, militärischen Dienst zu tun, glaubten sich anständigerweise zu irgendeiner mithelfenden ›Leistung‹ verpflichtet. Was sie geschaffen hatten, das schuldeten sie der Sprache und damit dem Volk. So wollten sie ihrem Volk durch die Sprache dienen und es das hören lassen, was es hören wollte: daß das Recht einzig auf seiner Seite sei in diesem Kampf und das Unrecht auf der andern, daß Deutschland siegen werde und die Gegner schmählich unterliegen – völlig ahnungslos, daß sie damit die wahre Mission des Dichters verrieten, der Wahrer und Verteidiger des Allmenschlichen im Menschen zu sein. Manche freilich haben bald den bitteren Geschmack des Ekels vor ihrem eigenen Wort auf der Zunge gespürt, als der Fusel der ersten Begeisterung verraucht war. Aber in jenen ersten Monaten wurde am meisten gehört, wer am wildesten tobte, und so sangen und schrien sie hüben und drüben in wildem Chor. Der typischste, der erschütterndste Fall einer solchen ehrlichen und zugleich unsinnigen Ekstase war für mich der Ernst Lissauers. Ich kannte ihn gut. Er schrieb kleine, knappe, harte Gedichte und war dabei der gutmütigste Mensch, den man sich denken konnte. Noch heute erinnere ich mich, wie ich die Lippen fest zusammenbeißen mußte, um ein Lächeln zu verstecken, als er mich das erste Mal besuchte. Unwillkürlich hatte ich mir diesen Lyriker als einen schlanken, hartknochigen jungen Mann vorgestellt nach seinen deutschen, markigen Versen, die in allem die äußerste Knappheit suchten. Herein in mein Zimmer aber schwankte, dick wie ein Faß, ein gemütliches Gesicht über einem doppelten Doppelkinn, ein behäbiges Männchen, übersprudelnd vor Eifer und Selbstgefühl, sich überstotternd im Wort, besessen vom Gedicht und durch keine Gegenwehr abzuhalten, seine Verse immer wieder zu zitieren und Wasser-Prawda | Juli 2014 98 SPRACHRAUM zu rezitieren. Mit allen seinen Lächerlichkeiten mußte man ihn doch liebgewinnen, weil er warmherzig war, kameradschaftlich, ehrlich und von einer fast dämonischen Hingabe an seine Kunst. Er stammte aus einer vermögenden deutschen Familie, war im Friedrich-Wilhelms-Gymnasium in Berlin erzogen worden und vielleicht der preußischste oder preußisch-assimilierteste Jude, den ich kannte. Er sprach keine andere lebende Sprache, er war nie außerhalb Deutschlands gewesen. Deutschland war ihm die Welt, und je deutscher etwas war, um so mehr begeisterte es ihn. Yorck und Luther und Stein waren seine Helden, der deutsche Freiheitskrieg sein liebstes Thema, Bach sein musikalischer Gott; er spielte ihn wunderbar trotz seiner kleinen, kurzen, dicken, schwammigen Finger. Niemand kannte besser die deutsche Lyrik, niemand war verliebter, verzauberter in die deutsche Sprache – wie viele Juden, deren Familien erst spät in die deutsche Kultur getreten, war er gläubiger an Deutschland als der gläubigste Deutsche. Als dann der Krieg ausbrach, war es sein erstes, hinzueilen in die Kaserne und sich als Freiwilliger zu melden. Und ich kann mir das Lachen der Feldwebel und Gefreiten denken, als diese dicke Masse die Treppe heraufkeuchte. Sie schickten ihn sofort weg. Lissauer war verzweifelt; aber wie die andern wollte er nun Deutschland wenigstens mit dem Gedicht dienen. Für ihn war alles verbürgteste Wahrheit, was deutsche Zeitungen und der deutsche Heeresbericht meldeten. Sein Land war überfallen worden, und der schlimmste Verbrecher, ganz wie es die Wilhelmstraße inszeniert hatte, jener perfide Lord Grey, der englische Außenminister. Diesem Gefühl, daß England der Hauptschuldige gegen Deutschland und an dem Kriege sei, gab er in einem ›Haßgesang gegen England‹ Ausdruck, einem Gedicht – ich habe es nicht vor mir –, das in harten, knappen, eindrucksvollen Versen den Haß gegen England zu dem ewigen Schwur erhob, England nie sein ›Verbrechen‹ zu verzeihen. Verhängnisvollerweise wurde bald offenbar, wie leicht es ist, mit Haß zu arbeiten (dieser feiste, verblendete kleine Jude Lissauer nahm das Beispiel Hitlers voraus). Das Gedicht fiel wie eine Bombe in ein Munitionsdepot. Nie vielleicht hat ein Gedicht in Deutschland, selbst die ›Wacht am Rhein‹ nicht, so rasch die Runde gemacht Wasser-Prawda | Juli 2014 wie dieser berüchtigte ›Haßgesang gegen England‹. Der Kaiser war begeistert und verlieh Lissauer den Roten Adlerorden, man druckte das Gedicht in allen Zeitungen nach, die Lehrer lasen es in den Schulen den Kindern vor, die Offiziere traten vor die Front und rezitierten es den Soldaten, bis jeder die Haßlitanei auswendig konnte. Aber nicht genug an dem. Das kleine Gedicht wurde, in Musik gesetzt und zum Chor erweitert, in den Theatern vorgetragen; unter den siebzig Millionen Deutschen gab es bald keinen einzigen Menschen mehr, der den ›Haßgesang gegen England‹ nicht von der ersten bis zur letzten Zeile kannte, und bald kannte ihn – freilich mit weniger Begeisterung – die ganze Welt. Über Nacht hatte Ernst Lissauer den feurigsten Ruhm, den sich ein Dichter je in diesem Kriege erworben – freilich einen Ruhm, der später an ihm brannte wie ein Nessushemd. Denn kaum daß der Krieg vorüber war und die Kaufleute wieder Geschäfte machen wollten, die Politiker sich ehrlich um Verständigung bemühten, tat man alles, um dieses Gedicht zu verleugnen, das ewige Feindschaft mit England gefordert. Und um die eigene Mitschuld abzuschieben, prangerte man den armen ›Haßlitanei‹ als den einzigen Schuldigen an der irrsinnigen Haßhysterie an, die in Wirklichkeit 1914 alle vom ersten bis zum letzten geteilt. Jeder wandte sich 1919 ostentativ von ihm ab, der ihn 1914 noch gefeiert. Die Zeitungen druckten nicht mehr seine Gedichte; wenn er unter den Kameraden erschien, entstand ein betroffenes Schweigen. Aus dem Deutschland, an dem er mit allen Fasern seines Herzens hing, ist der Verlassene dann von Hitler ausgetrieben worden und vergessen gestorben, ein tragisches Opfer dieses einen Gedichts, das ihn so hoch nur emporgehoben, um ihn dann um so tiefer zu zerschmettern. So wie Lissauer waren sie alle. Sie haben ehrlich gefühlt und meinten ehrlich zu handeln, diese Dichter, diese Professoren, diese plötzlichen Patrioten von damals, ich leugne es nicht. Aber schon nach kürzester Zeit wurde erkennbar, welches fürchterliche Unheil sie mit ihrer Lobpreisung des Krieges und ihren Haßorgien anstifteten. Alle kriegführenden Völker befanden sich 1914 ohnehin schon in einem Zustand der Überreizung; das übelste Gerücht verwandelte sich sofort in Wahrheit, die SPRACHRAUM absurdeste Verleumdung wurde geglaubt. Zu Dutzenden schworen in Deutschland die Menschen, sie hätten mit eigenen Augen knapp vor Kriegsausbruch goldbeladene Automobile von Frankreich nach Rußland fahren sehen; die Märchen von den ausgestochenen Augen und abgeschnittenen Händen, die prompt in jedem Kriege am dritten oder vierten Tage einsetzen, füllten die Zeitungen. Ach, sie wußten nicht, diese Ahnungslosen, welche solche Lügen weitertrugen, daß die Technik, den feindlichen Soldaten jeder denkbaren Grausamkeit zu beschuldigen, ebenso zum Kriegsmaterial gehört wie Munition und Flugzeuge, und daß sie regelmäßig in jedem Kriege gleich in den ersten Tagen aus den Magazinen geholt wird. Krieg läßt sich mit Vernunft und gerechtem Gefühl nicht koordinieren. Er braucht einen gesteigerten Zustand des Gefühls, er braucht Enthusiasmus für die eigene Sache und Haß gegen den Gegner. Nun liegt es in der menschlichen Natur, daß sich starke Gefühle nicht ins Unendliche prolongieren lassen, weder in einem einzelnen Individuum noch in einem Volke, und das weiß die militärische Organisation. Sie benötigt darum eine künstliche Aufstachelung, ein ständiges ›doping› ‹‹ der Erregung, und diesen Aufpeitschungsdienst sollten – mit gutem oder schlechtem Gewissen, ehrlich oder aus fachlicher Routine – die Intellektuellen leisten, die Dichter, die Schriftsteller, die Journalisten. Sie hatten die Haßtrommel geschlagen und schlugen sie kräftig, bis jedem Unbefangenen die Ohren gellten und das Herz erschauerte. Gehorsam dienten sie fast alle in Deutschland, in Frankreich, in Italien, in Rußland, in Belgien der ›Kriegspropaganda‹ und damit dem Massenwahn und Massenhaß des Krieges, statt ihn zu bekämpfen. Die Folgen waren verheerend. Damals, da die Propaganda sich nicht schon im Frieden abgenützt hatte, hielten die Völker trotz tausendfachen Enttäuschungen alles, was gedruckt war, noch für wahr. Und so verwandelte sich der reine, der schöne, der opfermutige Enthusiasmus der ersten Tage allmählich in eine Orgie der schlimmsten und dümmsten Gefühle. Man ›bekämpfte‹ Frankreich und England in Wien und Berlin, auf der Ringstraße und der Friedrichstraße, was bedeutend bequemer war. Die französischen, die englischen Aufschriften auf den Geschäften mußten verschwinden, sogar ein Kloster ›Zu 99 den Englischen Fräulein‹ den Namen ändern, weil das Volk sich erregte, ahnungslos, daß ›englisch‹ die Engel und nicht angelsächsisch meinte. Auf die Briefumschläge klebten oder stempelten biedere Geschäftsleute ›Gott strafe England‹, Frauen der Gesellschaft schworen (und schrieben es den Zeitungen in Zuschriften), daß sie zeitlebens nie mehr ein Wort französisch sprechen würden. Shakespeare wurde von den deutschen Bühnen verbannt, Mozart und Wagner aus den französischen, den englischen Musiksälen, die deutschen Professoren erklärten, Dante sei ein Germane, die französischen, Beethoven sei ein Belgier gewesen, bedenkenlos requirierte man geistiges Kulturgut aus den feindlichen Ländern wie Getreide und Erz. Nicht genug, daß sich täglich wechselseitig Tausende friedliche Bürger dieser Länder an der Front töteten, beschimpfte und begeiferte man wechselseitig im Hinterland die großen Toten der feindlichen Länder, die seit Hunderten Jahren stumm in ihren Gräbern lagen. Immer absurder wurde die Geistesverwirrung. Die Köchin am Herd, die nie über ihre Stadt hinausgekommen und seit der Schulzeit keinen Atlas aufgeschlagen, glaubte, daß Österreich nicht leben könne ohne den ›Sandschak‹ (ein kleines Grenzbezirkchen irgendwo in Bosnien). Die Kutscher stritten auf der Straße, welche Kriegsentschädigung man Frankreich auferlegen solle, fünfzig Milliarden oder hundert, ohne zu wissen, wieviel eine Milliarde ist. Keine Stadt, keine Gruppe, die nicht dieser grauenhaften Hysterie des Hasses verfiel. Die Priester predigten von den Altären, die Sozialdemokraten, die einen Monat vorher den Militarismus als das größte Verbrechen gebrandmarkt, lärmten womöglich noch mehr als die andern, um nicht nach Kaiser Wilhelms Wort als ›vaterlandslose Gesellen‹ zu gelten. Es war der Krieg einer ahnungslosen Generation, und gerade die unverbrauchte Gläubigkeit der Völker an die einseitige Gerechtigkeit ihrer Sache wurde die größte Gefahr. Allmählich wurde es in diesen ersten Kriegswochen von 1914 unmöglich, mit irgend jemandem ein vernünftiges Gespräch zu führen. Die Friedlichsten, die Gutmütigsten waren von dem Blutdunst wie betrunken. Freunde, die ich immer als entschiedene Individualisten und sogar als geistige Anarchisten gekannt, hatten sich über Nacht in fanatische Patrioten verwandelt und aus Wasser-Prawda | Juli 2014 100 SPRACHRAUM Patrioten in unersättliche Annexionisten. Jedes Gespräch endete in dummen Phrasen wie: »Wer nicht hassen kann, der kann auch nicht richtig lieben« oder in groben Verdächtigungen. Kameraden, mit denen ich seit Jahren nie einen Streit gehabt, beschuldigten mich ganz grob, ich sei kein Österreicher mehr; ich solle hinübergehen nach Frankreich oder Belgien. Ja, sie deuteten sogar vorsichtig an, daß man Ansichten wie jene, daß dieser Krieg ein Verbrechen sei, eigentlich zur Kenntnis der Behörden bringen sollte, denn ›Defaitisten‹ – das schöne Wort war eben in Frankreich erfunden worden – seien die schwersten Verbrecher am Vaterlande. Da blieb nur eins: sich in sich selbst zurückziehen und schweigen, solange die andern fieberten und tobten. Es war nicht leicht. Denn selbst im Exil – ich habe es zur Genüge kennengelernt – ist es nicht so schlimm zu leben wie allein im Vaterlande. In Wien hatte ich meine alten Freunde mir entfremdet, neue zu suchen war jetzt nicht die Zeit. Einzig mit Rainer Maria Rilke hatte ich manchmal ein Gespräch innigen Verstehens. Es war gelungen, ihn gleichfalls für unser abgelegenes Kriegsarchiv anzufordern, denn er wäre der unmöglichste Soldat gewesen mit seiner Überzartheit der Nerven, denen Schmutz, Geruch, Lärm wirkliche physische Übelkeit schufen. Immer muß ich unwillkürlich lächeln, wenn ich mich an ihn in Uniform erinnere. Eines Tages klopfte es an meine Tür. Ein Soldat stand ziemlich zaghaft da. Im nächsten Augenblick erschrak ich: Rilke – Rainer Maria Rilke in militärischer Verkleidung! Er sah so rührend ungeschickt aus, beengt von dem Kragen, verstört von dem Gedanken, jedem Offizier die Ehrenbezeigung mit zusammengeklappten Stiefeln erweisen zu müssen. Und da er in seinem magischen Zwang zur Vollendung auch diese nichtigen Formalitäten des Reglements vorbildlich genau ausführen wollte, befand er sich in einem Zustand fortwährender Bestürztheit. »Ich habe«, sagte er mir mit seiner leisen Stimme, »dieses Militärkleid seit der Kadettenschule gehaßt. Ich glaubte, ihm für immer entkommen zu sein. Und jetzt noch einmal, mit fast vierzig Jahren!« Glücklicherweise waren hilfreiche Hände da, ihn zu schützen, und er wurde bald dank einer gütigen medizinischen Untersuchung entlassen. Noch einmal kam er, um Abschied zu nehmen – nun schon wieder im Zivilkleid in mein Zimmer, ich möchte Wasser-Prawda | Juli 2014 fast sagen hereingeweht (so unbeschreiblich lautlos ging er ja immer). Er wollte mir noch danken, weil ich durch Rolland versucht hatte, seine in Paris beschlagnahmte Bibliothek zu retten. Zum erstenmal sah er nicht mehr jung aus, es war, als hätte das Denken an das Grauen ihn erschöpft. »Ins Ausland«, sagte er, »wenn man nur ins Ausland könnte! Krieg ist immer Gefängnis.« Dann ging er. Ich war nun wieder ganz allein. Nach einigen Wochen übersiedelte ich, entschlossen, dieser gefährlichen Massenpsychose auszuweichen, in einen ländlichen Vorort, um mitten im Kriege meinen persönlichen Krieg zu beginnen: den Kampf gegen den Verrat der Vernunft an die aktuelle Massenleidenschaft. SPRACHRAUM 101 Z WÖ L F B IL D E R V O M K R I E G HANS BALUSCHEK Im Jahre 1915 gab der Verband der deutschen KrankenPflegeanstalten eine Mappe unter dem Titel „Der Krieg 1914-1916“ heraus. Enthalten darin ein Text des konservativen Historikers Richard Du Moulin-Eckart und Bilder und Zeichnungen von Hans Baluschek (18701935). In der Kombination des patriotischen Pathos des Historikers und nüchternen Zeichnungen von modernem Kriegsgerät scheint die Veröffentlichung auf den ersten Blick lediglich eine von vielen zu sein, die die patriotische Kriegsbegeisterung anfeuern sollten. Doch vor allem die zwölf farbigen Bildtafeln zeigen sich in ihrer schockierenden Nüchternheit heute fern jeglicher Kriegsbegeisterung: Der Mensch im Schützengraben ist einem grausamen Untergang geweiht. Und auch wenn am Ende der Serie zwei Bilder die Arbeit des Roten Kreuzes im Kriege darstellt: In diesem Krieg, so machen es Baluscheks Bilder deutlich, gibt es keine Chance des Entrinnens für den Einzelnen. Und egal ob im Osten oder an der Westfront: Immer wieder sind es auch die Zivilisten, die unter diesem Krieg zu leiden haben. Ohne den Text Moulin-Eckarts sind die zwölf Bilder vom Krieg heute noch eine beeindruckende Mahnung vor den Schrecken des modernen Krieges. Tafel 1: Der Sturm Tafel 2: Die Strafe (Franktieurs) Tafel 3: Der Untergang Tafel 4: Die Vernichtung Tafel 5: Hände hoch! Tafel 6: Eingeschneit Tafel 7: Dezember Tafel 8: Die Gefangenen Tafel 9: Der gute Kamerad Tafel 10: Das Kirchenfenster Tafel 11: Auf der Suche Tafel 12: Die Hilfe Wasser-Prawda | Juli 2014 102 SPRACHRAUM Wasser-Prawda | Juli 2014 SPRACHRAUM 103 Wasser-Prawda | Juli 2014 104 SPRACHRAUM Wasser-Prawda | Juli 2014 SPRACHRAUM 105 Wasser-Prawda | Juli 2014 106 SPRACHRAUM Wasser-Prawda | Juli 2014 SPRACHRAUM 107 Wasser-Prawda | Juli 2014 108 SPRACHRAUM Wasser-Prawda | Juli 2014 SPRACHRAUM 109 Wasser-Prawda | Juli 2014 110 SPRACHRAUM Wasser-Prawda | Juli 2014 SPRACHRAUM 111 Wasser-Prawda | Juli 2014 112 SPRACHRAUM Wasser-Prawda | Juli 2014 SPRACHRAUM 113 Wasser-Prawda | Juli 2014 114 SPRACHRAUM DIE VESTALINNEN Eine Reise um die Erde. Abenteuer zu Wasser und zu Lande. Erzählt nach eigenen Erlebnissen. Band 1. Von Robert KraŌ 13. ELLENS VERHAFTUNG Bald hatten sich Gruppen unter den Beteiligten gebildet, wie Freundschaft, Neigung oder Gelegenheit es mit sich brachten. Entweder ritt eine Dame neben einem Herrn oder zwei Herren nebeneinander, denn es waren ja mehr Herren als Damen vertreten. Williams, der ein entsetzlich mageres, struppiges und steifbeiniges Tier ritt, das wahre Zerrbild eines Esels, hatte dieses sofort an die Seite von Miß Thomson gelenkt, denn bei keiner Gelegenheit unterließ er es, dieser Dame Beweise seiner Verehrung für sie zu geben, allerdings immer in der ihm eigentümlichen, drastischen Art. »Sir Williams,« begann sie, »warum haben Sie sich gerade das häßlichste Tier ausgesucht? Sie als englischer Baronet sollten doch mehr Geschmack entwikkeln. Ich schäme mich schon, wenn dieses Ungeheuer sich an meiner Seite befindet.« »Urteilen Sie nicht vorschnell,« erklärte Charles mit einer ernsthaften Miene, die ihm gar nicht stehen wollte, »die unscheinbarste Schale enthält oft den süßesten Kern. Sehen Sie zum Beispiel einmal mich an. Auch ich bin nur ein kleiner, bescheidener, unansehnlicher Mensch, wenn Sie aber in mein Inneres sehen könnten, ich sage Ihnen, Sie würden staunen, was da für Schätze verborgen liegen. Nicht wahr, mein Tierchen?« Wasser-Prawda | Juni 2014 fragte er seinen Esel. »Y–y–ah,« antwortete dieser. »Sehen Sie wohl, er bejaht es.« Miß Thomson lachte hell auf. »Was würde ich denn da zu sehen bekommen?« »Vor allen Dingen, in einem großen, goldenen Rahmen, Ihr Bild, und dann – –« »Und was dann?« – »Und dann noch einmal Ihr Bild.« »O, Sie Schmeichler.« »Ja, fragen Sie meinen Esel. Nichtwahr?« – »Y–y–ah,« brüllte dieser wieder. »Was ist denn das nur mit Ihrem Esel, der antwortet wohl auf Kommando?« »Er ist ein sehr verständiger Esel, fast ebenso klug wie ich und versteht jedes Wort. Ist das wahr oder nicht?« – »Y–y–ah.« »Sehen Sie wohl, wie unrecht Sie ihm vorhin gethan haben?« Auf diese Weise schwatzte er unaufhaltsam fort und ließ seinen Esel nach jeder kühnen Behauptung bejahend brüllen. Er hatte das Tier nur genommen, weil ihm sein Treiber verraten hatte, daß es, wenn man ihm stark die Schenkel gab, schrie. Miß Thomson kam aus dem Lachen nicht heraus. Unterdessen fand an der Spitze des Zuges ein anderes Gespräch zwischen Lord Harrlington und Ellen statt, SPRACHRAUM 115 Plan zu nichte machen, und dabei einen guten Zweck im Auge haben. Es ist dies doch etwas anderes, als wenn man bei Wetten nur aus Ehrgeiz seine Geschicklichkeit zeigt sein Leben aufs Spiel setzt.« »Gewiß,« bestätigte Harrlington, »und besonders bei uns, denen der wagehalsige Sport zur Liebhaberei geworden ist, wird viel gegen die menschliche Natur gefrevelt. Doch was geht dort vor? Eine Menschenmenge hat sich angesammelt und versperrt uns den Weg.« An einer Kreuzung von vier Straßen staute sich ein dichter Knäuel von Menschen, hauptsächlich Mohamedanern, die querlaufende Straße war frei gelassen worden, als ob auf ihr etwas erwartet würde; aber der Weg, auf dem die Gesellschaft kam, war vollständig für den Verkehr gesperrt, sodaß bereits eine Unmenge von Passanten, Reitern und Wagen harrte, bis der Durchgang wieder frei würde. »Was ist hier los? Wird jemand erwartet?« fragte Ellen ihren Eseltreiber. Dieser, ein verschmitzt aussehender Bursche, erkundigte sich bei den Umstehenden und sagte dann: »Ja, Miß, der General Raham-el-Haschir, der ruhmvolle Sieger über den Mahdi, wird gleich hier vorbeikommen.« hinter denen Johanna und Sulima in Begleitung einiger »Raham-el-Haschir, der immer so ruhmvoll vor dem Herren, darunter Lord Hastings, ritten. Mahdi ausgerissen ist! Was kümmert uns der?« »Sie gestehen also,« fragte Ellen, »daß Sie es waren, der »Es war Allahs Wille.« die Ueberlistung des Mädchenhändlers durch uns hier »Können wir denn nicht durchkommen? Ich habe keine in der englischen Zeitung geschildert hat?« Lust, hier einige Stunden zu warten; lieber wollen wir »Ich war es. Wir beobachteten Ihre Heldenthat von umkehren,« sagte Ellen unwillig. dem Inselchen aus, von dem die ›Vesta‹ nicht weit ent- Aber auch dazu war keine Möglichkeit vorhanden, denn fernt lag. Zürnen Sie mir, weil ich nicht verschwiegen hinter der Gesellschaft hatten sich bereits wieder andere gewesen bin? Ich glaubte, Ihnen und allen Vestalinnen Reiter und Equipagen angesammelt, und als jetzt die damit eine Freude zu bereiten.« zuerst Stehenden von einigen ägyptischen Soldaten mit »Das haben Sie auch, und wir sind Ihnen sogar dankbar Stockhieben zurückgedrängt wurden, wurde jeder eindafür.« zelne der Gesellschaft derart eingepreßt, daß er weder »Dann ist mir eine Zentnerlast vom Herzen genom- vor- noch rückwärts konnte. men,« rief Harrlington freudig aus. »Ich machte mir »Ich werde schon sehen, ob ich Ihnen die Passage nicht zuletzt doch Vorwürfe darüber, ohne Ihre Einwilligung verschaffen kann,« sagte Ellens Bursche mit pfiffigem gehandelt zu haben.« Lächeln. »Den Schlauen liebt Allah.« »Wir sehnen uns förmlich darnach, jeden Tag ein ähn- Er ergriff sein Tier am Zügel und versuchte, es ein wenig liches Abenteuer zu bestehen,« begann Ellen nach einer vorwärts zu drängen. kleinen Pause wieder. »Man fühlt sich als ein anderer Fast schien es, als ob die vor ihm stehenden Araber seine Mensch, kann man so seine Kraft gegen die eines Absicht unterstützen wollten, denn willig drückten sie anderen sehen, durch seinen Geist einen verderblichen sich zur Seite, sodaß eine kleine Lücke entstand, in die Wasser-Prawda | Juni 2014 116 SPRACHRAUM der Bursche schnell den Esel hineinschob. Lord Harrlington, der durch einen fremden Reiter von Ellen getrennt worden war, versuchte das gleiche Manöver, aber wie eine Mauer standen vor ihm die Muhamedaner – sie wankten und wichen nicht, sondern murrten vielmehr, daß ein Franke, ein verfluchter Ungläubiger, sie zur Seite stoßen wollte. »Führe meinen Esel auch durch,« herrschte er den Treiber seines Tieres an. Eine unnennbare Angst erfaßte ihn, als er sah, wie sich Miß Petersen weiter und weiter von ihm entfernte, immer der diesseitigen Grenze der Menschenmenge, also der offenen Straße zu. »Es geht nicht, Effendi,« entgegnete der Eseljunge, der sich wirklich bemüht hatte, die Leute zum Platzgeben zu bewegen. Schon hatte Ellen die offene Straße erreicht und ritt hinüber, um abermals ins Gewühl einzudringen. »Um Gottes willen, Miß Petersen,« schrie Harrlington, »bleiben Sie, daß wir Sie wenigstens nicht aus den Augen verlieren.« Aber sein Ruf ward schon nicht mehr gehört. Die Menge brach plötzlich in lauten Jubel aus. Vorreiter kamen gesprengt und fegten die Straßen leer, ein unabsehbarer Haufe von Kindern drängte sich plötzlich heran, und Janitscharenmusik ward in der Ferne hörbar. Jetzt war es zu spät, der Reiterin zu folgen. Sie war auf der anderen Seite eingelassen worden und hatte sich den Augen des Lords entzogen. Eine innere Angst, die er sich selbst nicht zu deuten wußte, wühlte in ihm. Ratlos sah er um sich und bemerkte, daß auch Johanna Lind über das Verschwinden Ellens sich benuruhigt fühlte. Aber dieses Mädchen trat weit energischer auf, als er. Ein Blick überzeugte sie, daß jetzt kein Durchkommen mehr möglich sei. »Kannst du mich auf einem anderen, freien Weg nach der Seite drüben bringen?« fragte sie hastig den Wasser-Prawda | Juni 2014 Burschen. »Wohl, Miß, in fünf Minuten.« »Dann thue es, aber schnell. Für jede Minute weniger bekommst du ein Geldstück mehr.« »Es geht nicht, Miß, und wenn ich alle Schätze des Sultans dafür erhielte.« In der That, die Esel standen ganz eingezwängt, sie konnten keinen Schritt machen. Ohne ein Wort weiter zu sagen, sprang Johanna aus dem Sattel, ergriff das Tier mit der einen Hand beim Zügel, drückte ihm mit der anderen die Nüstern zu und drängte es mit unwiderstehlicher Gewalt zurück. Ein unwilliges Rufen erhob sich zu Seiten des Mädchens, aber dieses ließ sich nicht in seinem Vorhaben stören; weiter und weiter schob Johanna den Esel zurück, alles rücksichtslos zur Seite stoßend. Jetzt kam Leben in die Menge, hier und da entstand etwas Raum. Johanna kam an Sulimas Tier vorüber, faßte dessen Zügel und drängte es gleichermaßen rückwärts. »Mir nach,« rief sie mit heller Stimme, die selbst noch das Jubeln der Menge und die Musik der anrückenden Soldaten übertönte. Nur sehr wenige der übrigen Herren und Damen hatten das Verschwinden Ellens auf der anderen Seite überhaupt wahrgenommen; aber als jetzt Harrlington, Williams, Miß Murray und andere dem Beispiele Johannas folgten, schlossen sich ihnen alle anderen Glieder der Gesellschaft an. Kaum hatte Johanna den offenen Platz erreicht, so setzte sie ihren Esel in Galopp und sprengte dem voranrennenden Jungen nach, der sie durch einige Gäßchen führte, ihnen folgten die anderen, welche inzwischen den Grund zu dieser Eile erfuhren und mehr oder minder über den Zwischenfall bestürzt waren. In weniger als fünf Minuten stand die Gesellschaft auf der anderen Seite der Straße, aber wie man auch umherspäte, von Ellen war nichts zu sehen. Sir Hendricks stellte sich sogar aufrecht in den Sattel – auch er schüttelte verneinend den Kopf. Miß Petersen war nicht unter den Reitern oder Reiterinnen zu erblicken, welche noch immer wie eingekeilt das Passieren des Regiments SPRACHRAUM 117 Wasser-Prawda | Juni 2014 118 SPRACHRAUM abwarten mußten. Die Zuschauer wurden gefragt, ob sie nicht eine Dame zu Esel gesehen hatten, welche von der gegenüberliegenden Seite nach dieser geritten sei. Ellens Aussehen wurde ganz genau beschrieben, aber die Gefragten antworteten entweder gar nicht, denn sie schauten dem kriegerischen Schauspiel zu, oder sie stellten neugierige Gegenfragen. Nur einer der Araber bejahte und sagte, er habe gesehen, daß eine solche Dame vor einigen Minuten diese Straße dort hinaufgeritten ist. Er wies dabei auf eine nach Westen führende Chaussee. »Dann schnell ihr nach,« rief Lord Harrlington. »Was mag sie nur veranlaßt haben, nicht wenigstens auf uns zu warten?« Er wandte den Esel der angegebenen Richtung zu, und seine Gefährten folgten ihm. »Halt,« ließ sich da Johannas durchdringende Stimme vernehmen, »es ist nicht wahr. Nie glaube ich, daß Miß Petersen ohne weiteres allein fortgeritten ist, ohne uns wenigstens Nachricht zu geben.« In diesem Augenblicke, trat ein Herr, allem Anschein nach ein Engländer, an Harrlington heran und fragte ihn: »Sie suchen eine Dame, die einen Esel ritt?« – »Ja,« entgegnete der Lord hastig.« »Trug Sie ein hellgraues Kleid mit roter Schärpe?« – »Sie war es, wo haben Sie die Dame gesehen?« »Als sie diese Seite erreichte, trat ihr sofort ein egyptischer Offizier entgegen, der sie erst sehr höflich begrüßte, dann ihr Tier beim Zügel faßte und es durch die Menschenmenge führte, wobei ihm arabische Soldaten Platz verschaff ten.« »Und was dann?« fragte Harrlington atemlos. »Ließ die Dame das ruhig geschehen?« »Anfangs, ja. Aber ich bemerkte dann, wie die Dame, als der freie Platz erreicht worden war, dem auf sie einredenden Offi zier, der sehr gebieterisch aufzutreten schien, heftig entgegnete, sich mehrmals umwandte Wasser-Prawda | Juni 2014 und nach der anderen Seite hinüberwinkte.« »Was geschah weiter?« »Schließlich ritten alle davon, und es fiel mir auf, daß die Soldaten die Dame zwischen sich nahmen.« »Haben Sie nicht gehört, was gesprochen wurde?« »Der Offizier sprach sehr leise, die Dame dagegen laut, aber französisch, was ich leider nicht verstehe.« »Können Sie sich nicht erklären, was alles das zu bedeuten haben mag?« »Offen gestanden, es glich fast einer Verhaftung.« »Verhaftet!« riefen alle wie aus einem Munde. »Meine Ahnung!« flüsterte Johanna und sann einen Augenblick nach. Dann rief sie laut: »So folgen Sie mir! Ich kenne den Weg nach der Polizeipräfektur. Oder nein, ich bitte Sie alle, sich sofort nach dem Hotel du Nil zu begeben und dort auf Bescheid zu warten. Miß Murray, Lord Harrlington und Sie, Sir Williams, begleiten mich, wir sind genug, um als Zeugen auftreten zu können, Lord Hastings, ich mache Sie für die Sicherheit Sulimas verantwortlich.« Das Mädchen traf diese Anordnungen so energisch, daß sich alle sofort und ohne Widerrede ihm fügten. Die Straße war jetzt wieder frei, sodaß die Gesellschaft, von trüben Gedanken gepeinigt, den kurzen Weg nach dem Hotel zurückritt, während Johanna in Begleitung der von ihr genannten Personen so schnell als möglich dem Polizeigebäude zustrebte. »Die Sache ist mir unerklärlich,« sagte Harrlington unterwegs zu Johanna, »Miß Petersen verhaftet!« »Es wird nicht so schlimm sein, wenn überhaupt etwas Wahres daran ist, was ich noch selber bezweifle. Im schlimmsten Falle bedeutet es eine Vernehmung wegen jener Befreiung der Sklavinnen, die Sie, Mylord, so voreilig veröffentlicht haben.« »So tadeln Sie dieses von mir?« »Durchaus; doch da sind wir vor dem Polizeigebäude, wir werden gleich alles Nähere erfahren.« Die vier stiegen ab, gaben die Zügel den Jungen zu halten und betraten den Vorhof des Gebäudes, auf dem egyptische Soldaten herumlungerten. In Egypten giebt es keine Schutzleute, sondern das Militär sorgt für die öffentliche Sicherheit. Die Kriminalpolizei dagegen liegt in den Händen der SPRACHRAUM Engländer, welche Detektive unterhalten. An den Pfosten des Thores lehnte ein Soldat im Drillichanzug und rauchte phlegmatisch eine Cigarette. Es war der erste, an welchem Lord Harrlington, der vorausschritt, vorbeikam. »Wo ist der Polizeidirektor von Kairo zu sprechen?« fragte er den jungen Burschen auf gut Glück in englisch, denn dieser sah wie ein Europäer, etwa wie ein Südösterreicher aus, wie überhaupt in der egyptischen Armee Leute aus aller Herren Ländern, meist Abenteurer, dienen. »In seinem Zimmer,« entgegnete der junge Mensch, ebenfalls auf englisch, aber mit stark italienischem Accent, »was wollen Sie von ihm, Signor?« »Ihn sprechen. Wie meldet man sich bei ihm an? Aber sofort! Wir haben durchaus keine Zeit zu verlieren.« »Was wollen Sie von ihm?« fragte der neugierige Bursche weiter, ohne seine bequeme Stellung zu verändern. »Halte uns nicht weiter auf, das rate ich dir,« entgegnete 119 Williams in drohendem Tone, »sonst giebt es etwas.« Dabei drückte er dem Soldaten ein großes Geldstück in die Hand, denn er wußte schon, daß man den Zutritt zu einem hohen, türkischen Beamten nur erhält, wenn man eine offene Tasche besitzt – je mehr es klingt, desto schneller kommt man zum Ziele. Jetzt nahm der Soldat die Cigarette aus dem Munde und sagte lächelnd: »Danke vielmals, aber Zweck hat es nicht gehabt, der Polizeidirektor hat keine Ahnung von dem, was Sie von ihm wissen wollen.« »Was weißt du davon?« sagte Jessy in geringschätzendem Tone. »Vielleicht ebensoviel und noch mehr als Sie, Signora,« entgegnete der Soldat und betrachtete schmunzelnd das Silberstück. »Gehen Sie ruhig nach dem Hotel und warten Sie alles ab.« Lord Harrlington wurde stutzig. »Weißt du etwa, welche Angelegenheit uns hierhergeführt hat, was uns passiert ist?« fragte er. »Nein, aber ich sage nochmals, der Polizeidirektor hat keine Ahnung davon, daß irgend eine Dame verhaftet worden ist. Folgen Sie meinem Rate, gehen Sie ins Hotel zurück, trinken Sie eine gute Flasche Wein und warten Sie getrost die kommenden Dinge ab – ich mache es ebenso – adieu, meine Herrschaften!« Der Soldat drehte sich um und schritt langsam über den Hof. Lord Harrlington blickte verblüff t Charles an, der eben wieder eine andere Silbermünze bereit hielt, und Jessy wandte sich ebenfalls verwundert nach Johanna um, die sonderbarerweise sich gar nicht an dem Gespräche beteiligt, sondern nur immer aufmerksam den Soldaten beobachtet hatte. Jetzt schickte sie ihm noch einen prüfenden Blick und sagte: »Wenn der Polizeidirektor nichts davon weiß, dann brauchen wir ihn allerdings nicht erst zu fragen. Kommen Sie, meine Herren!« Sie drehte sich um und ging zu ihrem Esel. Aber Lord Harrlington eilte ihr nach und hielt sie zurück. »Aber, Miß Lind, Sie werden doch nicht dem ersten Besten Glauben schenken, der etwas von Ellens Verhaftung erfahren hat und uns nun belügt, um keine Wasser-Prawda | Juni 2014 120 SPRACHRAUM Arbeit mit uns zu haben?« »Bitte helfen Sie mir in den Sattel,« sagte da Johanna ruhig und hob das Füßchen. Während der vollständig frappierte Harrlington ihr willfahrte, flüsterte sie ihm unmerklich etwas zu, wobei der Lord hoch aufhorchte. »So kommen Sie denn!« winkte er den beiden zu und stieg selbst auf seinen Esel. »Wirklich, es ist das beste, im Hotel die Erklärung des Vorfalls abzuwarten.« »Miß Lind hat uns schon zu oft einen guten Rat gegeben, als daß ich ihn diesmal ausschlüge, obgleich ich nicht weiß, was das alles heißen soll,« meinte Jessy. Auch sie stieg auf, desgleichen Charles. »Daraus werde ein anderer klug,« meinte letzterer kopfschüttelnd und gab seinem elenden, steifbeinigen Tiere die Schenkel zu fühlen, »in mein kleines Gehirn geht es nicht hinein.« »Y–y–ah!« bestätigte der verständige Esel. Kaum waren sie im Hotel du Nil angekommen und hatten die sie mit Fragen bestürmenden Herren und Damen einigermaßen beruhigt, als ein atemloser arabischer Junge gerannt kam, nach Lord Harrlington fragte und diesem ein versiegeltes Couvert gab. Er riß es auf und las: »Seien Sie ohne Sorge, ich habe Miß P. nicht aus dem Auge verloren. Noch lasse ich sie in den Händen ihrer Entführer, um einige neue Gesichter und Pläne zu entdecken. Heute abend wird sie spätestens im Hotel sein. N. S.« Aus dem Ritte nach den Pyramiden wurde unter diesen Umständen natürlich nichts. – – – – Es hatte sich wirklich alles so zugetragen, wie jener Herr es dem Lord Harrlington geschildert hatte. Als Ellen die jenseits der Straße stehende Zuschauerlinie erreichte, wurde sie sofort von einem egyptischen Offizier angeredet, der sie fragte, ob er ihr behilflich sein dürfte. Ellen glaubte, er meinte, ob er sie durch das Gewühl bringen solle, und fest überzeugt, daß ihr die anderen unmittelbar folgten, ließ sie es ruhig geschehen, daß der Offizier die Zügel ergriff und das Tier weiterführte. Da plötzlich gewahrte sie, daß ihre Begleiter zurückgeblieben waren, und sofort versuchte sie, ihr Tier Wasser-Prawda | Juni 2014 umzulenken; vergebens, der Offi zier hielt die Zügel fest in der Hand und ließ sie nicht los. »Geben Sie den Esel frei,« rief Ellen, »ich will nicht weiter, sondern hier auf meine Begleiter warten.« Doch der Offizier schien bei dem Anerbieten, Ellen zu helfen, etwas anderes im Sinne gehabt zu haben. »Habe ich das Vergnügen, Miß Ellen Petersen vor mir zu sehen?« fragte er in sehr höflichem Tone. »Ich bin es,« entgegnete Ellen, »aber jetzt lassen Sie mein Tier los! Ich sage Ihnen, daß ich hierbleiben will.« »Sie sind die Kapitänin der ›Vesta‹?« »Ja. Warum müssen Sie dies alles so genau wissen? Zum letzten Mal, mein Herr, lassen Sie die Zügel los!« Jetzt blieb der Offizier stehen und gab das Tier frei, aber es drängten sich – Ellen konnte dies nicht verstehen, denn es war doch kein Grund zu einem Auflauf vorhanden – eine große Anzahl von Arabern um sie, sodaß sie gar nicht daran denken konnte, ihren Esel umzulenken. »Dann bedaure ich, Ihnen Unannehmlichkeiten bereiten zu müssen,« fuhr der Offizier immer noch in höflichem Tone fort. »Ich bin von der Regierung beauftragt, Sie zu verhaften.« »Verhaften? Mich?« Ellen fing an zu lachen. »Ich bediente mich allerdings eines unpassenden Ausdrucks,« sagte der Offizier schnell, »Sie sollen nur verhört werden.« »Aber, ich bitte Sie, worüber denn?« »Auf Ihren Befehl ist ein Schiff, welches gefangene Mädchen an Bord hatte, angehalten worden, und Sie haben dieselben mit Hilfe jener Damen Ihrer Begleitung befreit. Ist das nicht so?« »Gewiß verhält sich das so. Im übrigen bin ich im Hotel du Nil zu sprechen und nicht auf der Straße. Platz da!« rief sie jetzt mit ärgerlicher Stimme und versuchte, sich durch das Gewühl zu drängen. Einen Moment verlor der Offizier die Fassung. Er hatte wahrscheinlich geglaubt, das Mädchen würde äußerst erschrocken oder doch erstaunt über den Haftbefehl sein und ihm niedergeschlagen folgen; dagegen lachte Ellen ihn aber aus und trat auf, als hätte sie hier zu befehlen. Dann aber, als es ihr fast gelungen war, sich Raum zu schaffen, griff er wieder in die Zügel und sagte in SPRACHRAUM 121 Wasser-Prawda | Juni 2014 122 SPRACHRAUM herrischem Tone: »Versuchen Sie keinen Widerstand, Miß Petersen. Ich habe den Befehl erhalten, Sie sofort, wenn ich Sie zu sehen bekomme, nach der Präfektur zu führen, und dies ist für mich als Offizier unwiderruflich. »Glauben Sie mir,« fuhr er in treuherzigem Tone fort, »es fällt mir dieser unangenehme Auftrag furchtbar schwer, ich würde lieber sonst etwas thun, aber ich bin gezwungen, falls Sie mir nicht gutwillig folgen wollen, Gewalt anzuwenden. Ich wäre natürlich außer mir, wenn ich jene Soldaten dort zu Hilfe rufen müßte, um Sie nach dem Polizeigebäude zu bringen.« Ellen blickte sich um. Sie sah, daß nicht alle der Zuschauer Araber mit Turbanen waren, sondern, daß die ihr zunächst Stehenden die Uniform der egyptischcn Soldaten trugen. Sie schaute zurück, sie glaubte, auf der anderen Seite Lord Hastings‘ hohe Gestalt wahrzunehmen und winkte mit der Hand, aber in diesem Augenblicke kamen die ersten Sektionen des Regiments mit fl iegenden Fahnen vorbeimarschiert, die Musik setzte ein, und jede Verständigung war unmöglich gemacht. »So warten Sie wenigstens, bis ich meine Kameradinnen noch einmal gesprochen habe.« »Das geht nicht, Miß Petersen. Ich bitte Sie, zwingen Sie mich nicht zum Aeußersten. Außerdem dauert es ja nur zehn Minuten, Sie brauchen nur ein Protokoll zu unterschreiben, daß auf Ihr Anstiften jene rühmliche That geschah, und ich werde Sie sicher hierher oder auch gleich auf die andere Seite bringen; es dauert doch noch einige Zeit, ehe dns Regiment vorbeimarschiert ist, und einen anderen Weg, um hinüberzukommen, giebt es nicht.« »Meinen Sie?« »Wahrhaftig, auf mein Ehrenwort!« »So führen Sie mich, aber möglichst schnell!« Ellen war sehr ärgerlich, sie wußte nicht, ob über sich, weil sie trotz des Mahnrufes Harrlingtons über die Straße geritten war, oder über ihre Gefährten, weil diese ihr nicht gefolgt waren. Doch sah sie jetzt keine Möglichkeit, der Aufforderung des Offiziers auszuweichen, denn nirgends konnte sie einen Europäer sehen; alle waren Araber oder Türken, welche natürlich den Wasser-Prawda | Juni 2014 egyptischen Offizier unterstützen würden. Dieser selbst, ein französisch sprechender Araber, machte keinen ungünstigen Eindruck auf sie, und so beschloß sie denn, dem Willen desselben Folge zu leisten. Das Verhör sollte ja nur einige Minuten währen. Sofort bestieg, der Mann einen bereitgehaltenen Esel, die Menge teilte sich, und beide ritten davon. Ellen merkte wohl, daß etwa acht Soldaten ihnen folgten, aber sie that, als sähe sie das nicht. Dieselben gehörten zu dem Offizier und mußten natürlich mit diesem zugleich auf der Polizei eintreffen, um sich zu melden. Nach einigen Minuten deutete ihr Begleiter auf den Thorweg eines großen, stattlichen Gebäudes und sagte: »Wir reiten durch diesen Durchgang, und gleich sind wir da.« In der Mitte des Hofes hielt er, stieg ab und zeigte auf eine emporführende Treppe. »Wir sind am Ziele! Bitte, steigen Sie ab!« »Das ist das Polizeigebäude?« fragte Ellen überrascht und zweifelnd. »Wohin bringen Sie mich?« »Hier befindet sich das Bureau des Beamten, bei welchem Sie das Protokoll unterschreiben müssen,« beschwichtigte sie der Offizier. »Nur eine halbe Minute; dann ist alles geschehen, und ich bringe Sie wieder zurück. Ihr Esel bleibt einstweilen unter der Obhut eines Soldaten.« Ellen war vollkommen beruhigt; sie folgte dem Offizier in die erste Etage. Das Haus war nach europäischem Stile gebaut; auf jedem Flur befanden sich zwei Thüren, und an einer derselben klingelte der Offizier. Ein Mädchen, vielleicht eine Italienerin oder Griechin, öffnete und ließ beide eintreten. »Bitte, bemühen Sie sich einstweilen hier hinein,« sagte der Offizier, »sofort wird der Polizeibeamte kommen.« Ellen trat ein, sprang aber in demselben Moment hastig wieder zurück und griff nach der Klinke, der schnell hinter ihr sich schließenden Thür – sie hatte vernommen, wie leise von außen ein Riegel vorgeschoben wurde. Aber, so plötzlich sie auch gehandelt hatte, es war zu spät, die Thür war geschlossen, alles Rütteln SPRACHRAUM half nichts. Das Mädchen griff sich an die Stirn. »In die Falle gegangen!« murmelte es. »O, du schlaue Ellen!« Ihre nächste Bewegung war, in die Tasche zu greifen, doch plötzlich überzog sich ihr Gesicht mit fahler Blässe. Wie sie auch suchte und suchte, erst in der rechten, dann in der linken, alles war darin, die Börse, ein Ledertäschchen, Schlüssel, ein Messerchen; aber der geladene Revolver war verschwunden. Er mußte ihr, während sie von den Arabern umdrängt wurde, entwendet worden sein, natürlich mit dem Einverständnisse des Offiziers, der sie hierhergelockt hatte. Ja, es blieb ihr kein Zweifel mehr, alles war ein wohlüberlegter Plan; sie sollte von den übrigen Vestalinnen getrennt und hierhergeführt werden. Sie wußte wohl, von wem sie bedroht wurde. Jene von dem Banditen in Konstantinopel verlorene Photographie, deren Besitzer sie kannte, hatte es ihr verraten. Aber, was hatte man mit ihr vor, was sollte ihr ferneres Schicksal sein? Tod oder ewige Gefangenschaft? Doch Ellen war nicht das Weib, welches beim ersten Schicksalsschlage gebrochen niedersank, sie hatte schon oft dem Tode ins Auge gesehen, ohne mit den Wimpern zu zucken. Aber hier hatte sie gegen schurkische Heimtücke zu kämpfen, und dieser, das fühlte sie deutlich, war sie nicht gewachsen. Einen Trost besaß sie. Die Vestalinnen, ihre Freundinnen, Johanna, Lord Hastings, alle diese verwegenen, englischen Herren würden nicht eher ruhen, als bis sie die Vermißte wiedergefunden hatten, sei es tot oder lebendig. Spurlos verschwinden konnte sie nicht. Sie fühlte den scharf geschliffenen Dolch noch auf dem Busen und steckte ihn in die Tasche. Diese Waffe sollte ihr nicht gestohlen werden. Ellen sah sich im Zimmer um. Es war elegant mit Tisch, Diwan und gepolsterten Stühlen möbliert; auffallend war nur, daß das Fenster dicht unter der Decke lag und vergittert war. Sie setzte einen Stuhl auf den Tisch, schwang sich hinauf und spähte hinaus. Richtig, ein vollständiges Gefängnis! Innen war das Fenster vergittert, und außen zeigte es ein Drahtgeflecht, durch welches man nicht einmal ein Zettelchen hätte 123 werfen können. Dies wäre übrigens ganz unnütz gewesen, denn unten lag ein völlig öder Hof, auf dem kein Mensch zu sehen war. Was nun beginnen? Sollte sie dem ersten, der in böser Absicht das Zimmer betrat, den Dolch ins Herz stoßen? Auch das hätte nichts genutzt. Durch Schlauheit war sie überlistet worden, durch Schlauheit mußte sie sich wieder befreien. Gewalt half hier nichts, ebensowenig Schreien und Pochen. Sie untersuchte aufmerksam den Raum. Sie lüftete den Teppich, aber die Diele darunter war völlig glatt. Sie verschob die Bilder an der Wand, es war keine verborgene Thür oder etwas Aehnliches zu entdecken. Aber da, als sie den Diwan leise, vorsichtig, um ja kein Geräusch zu machen und so ihre Thätigkeit zu verraten, beiseite rückte, entdeckte sie unten in der Wand ein Loch, eben groß genug, daß sie ihre schmale Hand Wasser-Prawda | Juni 2014 124 SPRACHRAUM hineinstecken konnte. Offenbar war es ein Rohr; wahrscheinlich diente es zur Ventilation. Ellen kümmerte sich nicht weiter darum. Sie setzte sich etwas niedergeschlagen auf den Diwan und überlegte. Was mochte man nur mit ihr vorhaben? Verschwinden wollte ihr Feind sie lassen, aber auf welche Weise? Sollte es verhungern? Nein, die Thür war kein so großes Hindernis für sie, einem derben Anlauf konnte es doch nicht widerstehen. Plötzlich sprang Ellen auf und sog aufmerksam die Luft ein. Was war denn das? Roch es nicht auf einmal merkwürdig süßlich im Zimmer? Wieder untersuchte sie. Heiliger Gott, sie kannte dieses Aroma; es war Chloroform. Die Röhre! Schnell den Diwan wieder von der Wand gerückt, das Taschentuch zusammengeballt und hineingestopft, tief, so weit, wie es die Dicke des Armes zuläßt! Dann noch für den Fall, daß das Tuch nicht völlig schließt, einen breiten Saum vom weißen Unterkleid abgerissen und nachgestopft, immer so weit nach hinten wie möglich. Aufgeregt schritt Ellen im Zimmer auf und ab. Also das war es! Sie sollte durch Chloroform betäubt und dann wahrscheinlich forttransportiert werden. Hätte sie getötet werden sollen, so würde man ein anderes, giftiges Mittel angewendet haben! Also der Tod war ihr noch nicht beschieden! Aber wie lange würde es dauern, und ihre Entführer merkten die Vereitelung ihres Planes. Sicher wußten sie noch ein anderes Mittel, um ihr Opfer stillschweigend zu beseitigen. Sie hatte nur einen Aufschub erzielt. Plötzlich blieb sie stehen und sah nachdenklich vor sich hin. Ja, das war das einzige Mittel, eine Flucht möglich zu machen. Zum dritten Male rückte Ellen das Polstergestell von der Wand ab, noch vorsichtiger als zuerst, drehte einen Stuhl um und drückte mit dessen Bein die Tücher noch tiefer und fester in das Rohr hinein als zuvor. Sie überzeugte sich, daß nichts von ihnen zu sehen war, und daß auch kein Chloroform mehr eindrang, dann rückte sie alles wieder an Ort und Stelle. Darauf legte sie sich nachlässig auf den Diwan, nachdem sie zuvor den Dolch wieder im Busen hatte verschwinden lassen, gähnte Wasser-Prawda | Juni 2014 recht laut und schloß die Augen. »Aber um Gottes willen nicht einschlafen,« sagte sie sich immer und immer wieder, »sonst bin ich verloren.« Es war noch nicht genug Chloroform ins Zimmer gedrungen, um die starken Nerven des Mädchens zu erschüttern. Zwar mußte sie mehrmals ihre ganze Energie anwenden, der Müdigkeit nicht zu unterliegen, aber der Gedanke, welche furchtbaren Folgen dies für sie haben könnte, vermochte doch immer wieder, sie wachzuhalten. So harrte sie der kommenden Dinge. Ellen wußte nicht, wie viele Stunden sie bereits in dieser Lage zugebracht hatte, als auf dem Korridor ein leises Knacken, nur ein einziges Mal und fast unhörbar, ertönte. Gleich darauf war es Ellen, als ob an der Thür ein Geräusch entstände, etwa so, wie wenn ein hölzernes Brettchen zurückgeschoben würde. Die Gefangene blinzelte mit keinem Auge. Nach einigen Minuten erscholl draußen ein schwerer Männerschritt, der vor der Thür innehielt, es wurde an der Klinke gerüttelt, und eine tiefe Stimme rief: »Ich glaube gar, das Fräulein ist eingeschlossen worden! Miß Petersen, sind Sie noch darin?« Keine Autwort. Jetzt hörte man vor der Thür lauten Spektakel, Entschuldigungen erklangen, dazwischen Flüche und Verwünschungen, bis endlich ein Riegel zurückgeschoben wurde, und mehrere Personen ins Zimmer drangen. »Entschuldigen Sie, Miß Petersen, daß Ihnen dies passieren mußte – eine Vergeßlichkeit,« rief die tiefe Stimme fast überlaut wieder. »Ach, Sie schlafen?« fuhr sie in fragendem Tone fort, aber so, als gälte es, ein Regiment Soldaten zu kommandieren. Ellen wurde am Arm gefaßt und gerüttelt, aber sie verstellte sich weiter. »Sie ist betäubt, es ist gelungen!« flüsterte eine andere Stimme. »Habt Ihr auch nicht zu viel Chloroform einströmen lassen, daß sie nicht etwa stirbt?« sagte die tiefe Stimme, aber jetzt ganz leise. »Wie soll ich wohl bei meiner langjährigen Praxis, hihihi,« lachte ein anderer. »Seht doch nur, wie ruhig sich ihre Brust hebt und senkt. Und außerdem ertrüge die wohl noch eine ganze Portion mehr als andere. Sie SPRACHRAUM 125 ausgezeichnet gespielt.« »Nicht wahr? Er ist überhaupt ein brauchbarer Mensch und weiß alle Kniffe. Er ist so eine Art verkommener Student.« Wieder ertönten Schritte auf dem Korridor, mehrere Personen kamen ins Zimmer, und Ellen hörte, wie ein Gegenstand auf den Boden gesetzt wurde, vermutlich die Bahre. Ein Grausen erfaßte das junge Mädchen, als es jetzt von harten Fäusten angefaßt, emporgehoben und auf die Trage gelegt wurde, aber mit keinem Muskel verriet es, daß es bei vollem Bewußtsein war; den aufgehobenen Arm ließ es kraftlos wie eine Schlafende oder Tote wieder fallen. Ellen hörte noch, wie ein Vorhang am Kopfende der Trage zugezogen wurde, dann hoben die Männer dieselbe auf und schritten die Treppe hinunter auf die Straße. »Nur schnell, meine Burschen, daß sie nicht eher aufwacht, als bis wir die Stadt hinter uns haben. In der ist ein kräftiges Mädel.« Wüste mag sie schreien, wenn sie Lust hat, dort will »Das ist es eben, darum schnell, daß wir sie fortbrin- ich schon mit ihr fertig werden,« sagte der Führer der gen, ehe sie erwacht und Lärm schlägt.« Leute, ein Mann mit eisgrauem Haar und scharfer »Ihr kleidet sie aber doch erst um?« Habichtsnase, der bekannte Seewolf. Er gab die einzu»Nein, nichts! So wie sie ist, wird sie fortgeschaff t. schlagende Richtung an und schritt, manchmal argSie möchte zimperlich in derartigen delikaten wöhnisch um sich spähend, eilig voran. Angelegenheiten sein. Auch könnte sie dabei aufwachen, und die angebrochene Dunkelheit ist unserem »So, jetzt hier rechts ab! Bald sind wir draußen in der Vorhaben günstig.« Wüste. Ein Glück, daß die Nacht nicht fern ist.« »Wie bringt Ihr sie fort?« Sie bogen in eine breite Straße ein, welche in die dicht »Ein famoser Plan, die neueste Idee vom Meister. Wir an Kairo grenzende Wüste führt. arbeiten fast nur noch in Uniform, und belästigt uns »Kapitän, ich muß absetzen und wechseln, die Hand, jemand in unserem Geschäft, so arretieren wir ihn auch an der ich die Wunde habe, schmerzt mich zu sehr.« noch und lassen ihn nur gegen ein gehöriges Trinkgeld Der Seewolf stieß einen Fluch aus. laufen. Hahaha!« »Halt aus! Noch fünf Minuten bloß.« »Also die Soldaten sollen sie tragen, Seewolf?« »Ich kann nicht mehr, ich lasse die Trage fallen.« »Ja, auf einer Bahre, als trügen sie einen Verunglückten. »Zum Teufel, so setzt hin und wechselt!« rief der Seewolf Deswegen nehmen wir auch den Weg nach dem unwillig. »Ihr seid doch nur Schwächlinge!« Krankenhaus, biegen aber kurz vor diesem rechts ab Die Träger bückten sich und stellten die Bahre nieder. in die Wüste. Kamele stehen bereit, uns nach Port Said Da schnellte von dieser plötzlich eine Gestalt hoch, in zu bringen, wo der ›Friedensengel‹ liegt. Alles ist schon der erhobenen Hand einen blitzenden Dolch, bereit, vorbereitet, diesmal glückt‘s mir.« den ersten, der ihr nahte, aus dem Wege zu räumen. »Das gebe der Teufel und seine Großmutter, ich Mit einem furchtbaren Fluche stürzte der Seewolf gönn‘s Euch. Der Offi zier hat seine Rolle wirklich hinzu, um die Fliehende zu halten, fuhr aber mit einem Wasser-Prawda | Juni 2014 126 SPRACHRAUM Schmerzensschrei zurück; nur der Dunkelheit hatte er es zu verdanken, daß statt des Herzens nur seine Schulter von Ellens Dolch getroffen worden war. Die vier Träger wichen scheu vor der zum tödlichen Stoße erhobenen Waffe zurück, und das Mädchen jagte zwischen ihnen durch, die Straße zurück. Aber nach wenigen Schritten ereilte sie ein neues Unglück, sie verwickelte sich in ihr langes Kleid und stürzte. Ehe sie sich wieder aufraffen konnte, hatte sich schon ein Mann über sie geworfen. »Mord!« gellte es noch aus Ellens Munde, dann preßte eine Faust ihr den Hals zusammen. »Was geht hier vor?« fragte da eine Baßstimme, und plötzlich stand eine hohe Gestalt mitten unter den Leuten. »Eine Wahnsinnige, die wir nach dem Hospital bringen wollen und die uns entsprungen ist,« rief der Seewolf, der, den Messerstich nicht weiter beachtend, sich über das Mädchen geworfen hatte. »Kümmern Sie sich nicht um Angelegenheiten der Polizei,« fügte er in grobem Tone hinzu. »Ich kenne dich, du maskierter Seeräuber!« donnerte jedoch der Fremde, faßte ihn, riß ihn hoch und schleuderte ihn einige Meter weit weg. Dann beugte er sich zu Ellen, um ihr aufzuhelfen, ward aber dabei von zweien der verkleideten Soldaten von hinten um den Leib gefaßt. Doch blitzschnell wandte er sich um, und zwar mit solcher Kraft, daß die beiden ihn nicht halten konnten, packte mit jeder Hand einen bei der Brust und warf sie auf den noch vom Sturze halbbetäubten Räuber. Ellen konnte sich unterdessen erheben. Noch eine andere Gestalt hatte sich gleich einem Schatten von der Häuserwand abgelöst, eine schlanke, schmächtige Figur, und war auf die beiden letzten Träger zugesprungen. Der eine erhielt einen Fußtritt in den Leib, daß er ächzend zu Boden sank, den anderen, der ihm schon einen Revolver entgegenhielt, warf er mit einem Faustschlage zu Boden. Im nächsten Moment kniete die schlanke Gestalt auf dem Besiegten und bog Wasser-Prawda | Juni 2014 sich über diesen. »Dich brauche ich nicht,« rief er und sprang wieder auf. »Wo ist der See– der Seehund?« »Dort laufen sie eben um die Ecke,« sagte der Große mit dem Bart. »Na meinetwegen, Kapitän, ich führe die Mannschaft zurück. Gute Nacht, Miß Petersen! Schöner Abend heute, nicht?« Nach diesen Worten verschwand er in der Dunkelheit. Noch immer hielt der Herr die vor Aufregung zitternde Ellen umfaßt. Die letzte Szene war selbst für das kräftige Mädchen zu viel gewesen. »Ich danke Ihnen, Herr Hoffmann, die Schwäche wird gleich vorübergehen,« sagte sie jetzt und machte sich sanft aus den Armen des deutschen Ingenieurs, denn dieser war es, frei. Er wartete, bis sie sich so weit erholt hatte, daß sie neben ihm herschreiten konnte; aber den ihr angebotenen Arm schlug sie aus. »Wo sind die Damen, die Vestalinnen? Wo Lord Harrlington und seine Freunde?« begann sie nach einer kleinen Weile mit leiser Stimme. »Sie sind im Hotel du Nord und warten auf Ihre Rückkunft.« »Wie?« rief Ellen halb erstaunt, halb unwillig. »Sie warten sorglos auf mich und machen keine Anstrengungen, mich wiederzufinden? Das kränkt mich sehr.« »So hätten Sie lieber gesehen, wenn ein anderer, als ich, Sie aus den Händen dieser Elenden befreit hätte?« »Verzeihen Sie mir, Herr Hoff mann, wenn ich die Wahrheit bekenne. Ja, ich hoff te und hoff te immer, daß einer meiner Freunde meine Spur wiederfinden würde, und als ich Sie vorhin zuerst erblickte, glaubte ich, Lord Harrlington zu sehen.« »Mein liebes Fräulein,« sagte der Ingenieur in väterlichem Tone zu Ellen, welche sehr niedergeschlagen schien, »wenn Sie glauben, daß Ihre Freundinnen und die englischen Herren über Ihr Schicksal nicht sehr besorgt gewesen sind, so thun Sie ihnen sehr, sehr unrecht. Nicht ich bin es, dem Sie Ihre Befreiung zu verdanken haben, sondern Lord Harrlington. Ich bin nur sein Werkzeug gewesen.« »Das verstehe ich nicht. Wenn er wußte, auf welchem Wege ich fortgetragen wurde, warum sprang er nicht SPRACHRAUM selbst dazwischen, mich zu retten, sondern schickte einen anderen?« Ueber die männlich schönen Züge des Ingenieurs flog ein leichtes Lächeln, welches Ellen in der herrschenden Finsternis nicht bemerkte; dann sagte er, wieder ernst: »Er durfte nicht. Jeder seiner Schritte, jede Handlung der Damen und Herren wurden von Helfershelfern der Räuber beobachtet; um also Argwohn zu vermeiden, mußten jene sich den Anschein geben, als ob sie im Hotel Ihre Rückkunft abwarteten, denn vor dem Polizeigebäude war ihnen mitgeteilt worden, daß Sie wegen Vernehmung in Sachen jener Mädchenbefreiung vom Polizeidirektor für einige Stunden in Anspruch genommen würden.« Dies war allerdings nicht wahr. Der an der Thür stehende Soldat hatte bekanntlich den nach dem Polizeidirektor Fragenden eine ganz andere Antwort gegeben. »Dennoch wußte Sie Lord Harrlington in Gefahr,« fuhr der Erzähler fort, »und wie ich schon sagte, haben Sie es nur ihm zu danken, daß die Absicht Ihrer Entführer, Sie nach Port Said zu schleppen, vereitelt wurde. Sie sehen, der Lord ist ziemlich gut in die Pläne Ihrer Feinde eingeweiht; deshalb bitte ich Sie innig, liebe Miß Petersen, richten Sie sich mehr nach seinen Ratschlägen. Wären Sie hübsch an seiner Seite geblieben und nicht eigensinnig weitergeritten, so hätten Sie sich viele Angst und großen Kummer ersparen können.« Ellen hatte bei diesen freundlichen, aber ernsten Worten ihren ganzen Stolz verloren. Beschämt senkte sie das Köpfchen; es war ihr, als ob ein liebevoller Vater sie strafe und tadle. »Uebrigens schätzen Sie meine That ja nicht zu hoch; hinter dem Hause dort stand die Hälfte meiner Mannschaft, bis an die Zähne bewaffnet. Ein Pfiff von mir hätte genügt, und die Leute wären zur Hilfe herbeigeeilt. Jener Matrose, welcher allein vortrat, hat sie bereits wieder in ihr Quartier geführt.« Dieser deutsche Ingenieur schien auch jetzt wieder nur darauf bedacht zu sein, seine Handlungsweise in den Augen anderer möglichst unbedeutend erscheinen zu lassen. »Was machen meine Mädchen in Alexandrien? Sind sie auch sicher, wenn Sie nicht an Bord Ihres Schiffes sind, 127 Herr Hoffmann?« fragte Ellen. »Beruhigen Sie sich über dieselben! Gedenken Sie meines Versprechens, daß ihnen kein Haar gekrümmt werden soll. Meine Leute sind so zuverlässig, daß ich ihnen unbedenklich das Liebste, was ich auf der Welt besitze, anvertrauen würde. Doch biegen wir hier in die Muski ein; gleich werden wir im Hotel sein.« Das war ein Jubel, als Ellen wieder in der Mitte ihrer Freundinnen erschien. Aber die an sie gerichteten Fragen beantwortete sie nicht, sie zog sich, nachdem sie erklärt hatte, morgen das Hotel nicht verlassen, dafür aber übermorgen sofort mit Sulima nach Fayum aufbrechen zu wollen, in ihr Zimmer zurück, um nach diesem aufregenden Tage der Ruhe zu pflegen. Unterdes hatte Hoffmann mit Harrlington eine lange Unterredung, und obgleich der letztere anfangs etwas ungehalten über eine Forderung des ersteren schien, gelang es doch dem Ingenieur, ihn von der Richtigkeit des Planes, nach dem die Errettung Ellens vor sich gegangen war, zu überzeugen. Auch der Lord gab zu, daß eine kleine Strafe dem eigensinnigen Mädchen nichts schaden könnte, doch, meinte er, diese sei zu hart gewesen. Wasser-Prawda | Juni 2014 128 SPRACHRAUM Wasser-Prawda | Juni 2014 ENGLISH 129 Johnny Winter at the Cahors Blues Festival on July 14th 2014 (Foto: MJM Blues) The ghosts were waiting in the wings JOHNNY WINTERS LAST CONCERT. BY IAIN PATIENCE Johnny Winter was simply one of those guys who was always fixin‘ to die. A legendary figure, with a legendary appetite for everything that is dangerous, he lived life to the full. Sadly, his last gig, at the wonderfully intimate Cahors Blues Festival in France saw a less than wild, stirring performance. The ghosts were waiting in the wings. Winter squinted, in his usual way, at the audience, a rapturous full-house turn out that worshipped the man and his music. Running through a back catalogue of challenging, raw emotion and stylistic, staccato guitar, he wooed the crowd, pulling tricks from his amazing, famous hat with aplomb and clearly, and sadly at times, difficulty. Winter was clearly struggling with the high humid temperatures - 34 Celsius - and the demands of an adulating, admiring audience. His coordination was at times shaky - but it has often been that way, part of his special magic. His voice was also rocky and stretched. But again, what‘s new? The guy was seventy. Nevertheless, he managed well over an hour under flashing strobes and baking, airless heat on his trembling feet. People were forgiving, happy to see the guy in action, to taste his old personal mojo Wasser-Prawda | Juli 2014 130 ENGLISH magic. Despite his evident pleasure at being onstage, slamming and sliding his guitar like a kid, he always had the appearance of a guy on the edge - of an abyss, a musical cliff top, of life itself. He looked tired, clearly in poor health. The problem for everyone watching was: what‘s new? In many ways it‘s easy to say, a throwaway line, he was on his last legs. Sadly a truism. Blues music is jam-packed with great lines about death, ‚passing‘ as bluesmen are oft wont to euphemistically say. On this, Winter‘s final gig, he was certainly ‚Knockin‘ on Heaven‘s - or more likely. Hell‘s - Door‘. It‘s perhaps fitting that his last gig was on an enormously important and symbolic day of celebration: July 14, France‘s national day - Bastille Day. A celebration of French independence, strength, liberation and freedom. A night when many took everything to excess, drink, drugs, sex, rock&roll, blues, fanworship, explosive firework displays. Full on festivities. Like July 4 on acid. I think he‘d have loved the symbolism and significance. Always assuming that he realised what was going down, of course. After repeated, rapturous encores, Johnny Winter took it to the limit one last time. Wasser-Prawda | Juli 2014 ENGLISH 131 Heroes of the Blues: Drink Small BY BERND KREIKMANN & GAIL WILSON GIARRATANO We intend to present at irregular intervals those women and men who are not with us or not well known, but have made a significant contribution to the blues and its development and / or continue to do so. There are outstanding artists which we will present. Some of them have not gone beyond their topographical boundaries, many have not received the necessary marketing support, some have become known as <Artist of the Artists>. That‘s a nice way of saying that they are excellent musicians the well known people like to visit regulary for to learn and copy - but they fail to economic success and wide recognition. We wanted to start the series with the grand Trudy Lynn, but last minute we have decided – because of actuel happenings - that the South Carolina legend Drink Small will be the opener of the series. That‘s right: DRINK SMALL, in other words - „Trink Wenig“. That‘s his name. How this has arisen, we will find out. His nickname „Blues Doctor“ is explained by the wonderful Gail Wilson Giarratano. She has written the Drink Small short Bio you will find below. Elfi, which has maintained a close friendship with Drink Small will report on shared experiences and add more photos. Small is playing her club regularly. Drink Small has led such an interesting and varied life that his friends have pushed him to write his biography. Gail Wilson Giarratano has assisted him and wrote the book. A 500-piece hard copy edition is planned to be printed. As usual the question of funding is to be clarified. Some days ago Gail has started a Kickstarter project. One can make a donation to participate. As usual with Kickstarter, there are certain amounts set for the promise of a return. The details are given in the project description, the risks of Kickstarter projects are known. Drink Small Biographical Summary: Drink Small was born in Bishopville, SC, in 1933, and as a child he learned to play the family’s pump organ and made his own guitar from strings cut from a tire’s Wasser-Prawda | Juli 2014 132 ENGLISH inner tube. In high school he joined the glee club and formed his own gospel group. The teenage Small divided his time between the high school groups, playing piano and singing for his Baptist Church Choir, and playing blues at parties on Friday and Saturday nights. In 1955 Small joined a gospel group known as the Spiritualaires, recording and touring with the group until 1959. When the group disbanded, Small began recording and performing blues. Performing at college shows and fraternity parties, Small developed his repertoire to satisfy a wide variety of audience tastes. He performed various styles of blues and blues-based music and began to develop his skill for improving songs for each performance occasion. It was also during this time that Small earned his reputation as the “Blues Doctor.” As folklorist Lesley Williams describes in her liner notes to Drink Small Does It All, Small became “a practitioner who would minister to his audience, the ‘blues patients’ … diagnosing their particular ailment. Then, selecting from ingredients that include blues in its many forms--Piedmont, Delta, Chicago, boogie-woogie--he can concoct just the right prescription.” For the last four decades of the twentieth century and into the twenty-first, Small, toured the United States and Europe, performing at nightclubs, blues festivals, and other venues. He has performed three times at the New Orleans Jazz and Heritage Festival, twice at the King Biscuit Blues, the Chicago Blues, and the Mississippi Valley Blues Festivals, and at the Smithsonian Folklife Festival, the Port Townsend Washington Acoustic Blues Festival, the Border Festival in El Paso, Wolftrap Farms, the World’s Fair in Knoxville, TN, Lincoln Center, Central Park, and countless community festivals, nightclubs, and small venues. Small recorded for Ichiban, Mapleshade, Sharp, and the Charleston-based Erwin Music, performing covers of blues, funk, and soul songs and his original compositions, which often draw on his personal experiences and his life in South Carolina. In 1986, Small’s Recording The Blues Doctor was nominated for a W.C. Handy Award. In 1990 Small was awarded the South Carolina Folk Heritage Award, which recognized Wasser-Prawda | Juli 2014 the musician’s important role in preserving Piedmont Blues, and in 1999 he was inducted into the South Carolina Hall of Fame. In 2003 he recorded an album of Piedmont Blues and piano gospel songs, illustrating both the commonalities between the two genres and Small’s own musical roots. Gail Wilson Giarratano ENGLISH 133 King Size Slim or an All Star Revue? All Stars are the new stars LETTER FROM THE UK NO 9. BY DARREN WEALE This is understandable, but tough on new, original acts. Not to mention old, original acts! Both kinds of act may make marvellous new music, but not get the AUS DEM VEREINIGTEN audience they deserve. How many generations of fans have missed seeing the next Rolling Stones, the next KÖNIGREICH. Who, the next BB King, because they prefer to go and What bands are among the most popular to see live? see the same old, same old? Too many. So in the UK, In the UK, at least, tributes and cover bands. Acts that acts like Albany Down, Andy Twyman, Kingsize Slim, allow people to go and hear music they grew up with Zoot Money’s Big Roll Band, The Downliners Sect, played live, often rather well, when the original artists many who have ferocious but older talent, or are bright might not be touring, might be too expensive to see, new hopes for the Blues, can play to small audiences or be forever unavailable through having passed away. in small places. Yet the cover groups make more money and get seen by bigger audiences. Isn’t that strange? WILLKOMMEN ZUM BRIEF Wasser-Prawda | Juli 2014 134 ENGLISH From what I hear, the US isn’t much better, so we get the likes of Moreland & Arbuckle and Michael Katon showing their brilliance here in the UK, and indeed Germany. So what do original acts and musicians do to deal with this problem? Well one route that looks well travelled now is creating super-groups or All Star bands. Royal Southern Brotherhood has been described as a super group, with a son of Greg Allman, a Neville brother, and seasoned musicians like Mike Zito in there. A super group? Not sure. But some of their music is, in fact, super. Then there are the All Stars. Not always comprised of household names, but they can contain some serious musicians with stunning history to them. The City Boys Allstars in New York places ‘Blue’ Lou Marini and Tom ‘Bones’ Malone from the Blues Brothers Band alongside some serious Jazz and Soul power in Angel Rissoff and Tony Kadleck in a 13-piece line up. Then there is The John O’Leary/Alan Glen Allstar Blues Revue in the UK, who have frontmen who have history in Savoy Brown and The Yardbirds, for example. Recently, Jool’s Holland’s brother Chris has started The Chris Holland All-Star Band, and again, there are musicians with real pedigree in his band. Then there is another new band in the US, The Original Legends of the Blues, featuring BB King’s bandleader of 34 years James ‘Boogaloo’ Bolden and fellow BB King band member, guitarist Charlie Dennis. Serious, serious talent. Do you know the thing that can be really great about these new (and old) all star and super-groups? Sure, they play covers in their sets. Yet most of them play their own, new, original music. Isn’t that both ironic and wonderful? SEID GLÜCKLICH UND ERFREUT EUCH AN EURER LIVE-MUSIK UND ALLEM WAS DEUTSCH IST! Wasser-Prawda | Juli 2014 LINKS Alistair Cooke - www.bbc.co.uk/programmes/ b00f6hbp Original Legends of the Blues - http://originallegendsoftheblues.com/ John O’Leary/Alan Glen Allstar Blues Revue http://www.thebarcodes.co.uk/Pages-Barcodes/ AllstarsRevue.html City Boys Allstars - http://cityboysmike.com/ Royal Southern Brotherhood - http://www.royalsouthernbrotherhood.com/ Andy Twyman - http://andytwyman.com/ Kingsize Slim - http://www.kingsizeslim.com Albany Down - http://www.albanydown.com/ Michael Katon - http://www.katon.com Moreland & Arbuckle - http://www.morelandarbuckle.com/ Laura Holland Band - http://www.laurahollandband. co.uk/ ENGLISH Howard Glazer: Blues, Views & News from Detroit #2 HELLO FROM DETROIT! THIS MONTH I WOULD LIKE TO INTRODUCE YOU TO A DETROIT TREASURE, GUITARIST EMANUEL YOUNG. MR. EMANUEL YOUNG IS 75 YEARS OLD AND GOING STRONG! HE IS SINGING AND PLAYING GREAT! I AM VERY HONORED TO HAVE SPENT SO MUCH TIME WORKING WITH HIM, PLAYING GIGS AND ON HIS CD “LIVE IN DETROIT” EMANUEL YOUNG W/ 135 HOWARD GLAZER & THE EL 34S. When I first met Emanuel in 1999 he was playing every Sunday at AL’s New Olympia Bar, which was across the street from where Detroit’s old Olympia Stadium used to be (aside from sports events, many great musical acts performed there as well – including The Beatles). We immediately hit it off and always enjoy playing together, we often “steal” guitar licks from each other. He is like an encyclopedia of guitar licks, and I am always flattered when I hear him playing one of mine. Emanuel & I have a unique working relationship, we are always joking around I call him up and say “hey Mule” and he responds with “what’s going down Dracula?” and the conversation goes from there….. We have done many shows together….including going to the UK in 2008, in 2012 we played every Friday at Detroit’s Greektown Casino and in 2013 we performed at Don Was’s Detroit All Star Review at the Concert of Colors as well as many Wasser-Prawda | Juli 2014 136 ENGLISH bar gigs and festivals in and around Detroit. We have also performed live on the radio several times together. Emanuel picked up the guitar in the late 1950’s and has never put it down! Not long after he started playing he joined up with John Lee Hooker. He played with Hooker for almost 2 years in 1959 & 60. He has some great stories, one of my favorites was the time they were on break at a gig and John Lee asked him “ to take my car and go and pick up my girlfriend”…little did Emanuel know that Hooker was married…when he arrived back at the gig with Hooker’s “girlfriend” Hooker’s wife Maudy had showed up (You may be familiar with John Lee Hooker‘s song „Maudy“) and she was so mad she pulled out her gun..she chased Emanuel, Hooker & his to be touring as the “Detroit Legends of the Blues”. girl friend down an alley shooting at them…luckily she wasn’t a good shot!! Back in those days the musicians “Live In Detroit” by Emanuel Young with Howard pay was about $11 a night and a beer was only 30 cents!! Glazer & the EL 34s is still available (in limited amounts, it is out of print so get them while you can!) he does not Emanuel played with many of the legends including: have a website but can be contacted at eyoungblues @ Jimmy Reed, Albert King among others. Holding down aol.com. what has to be one of the longest runs in Detroit music history Emanuel hosted the blues night every Friday With his old school blues rhythms and a fifties sense and Saturday at Cooley’s Lounge on Detroit’s far east of melody, Emanuel shines, for any blues or music afiside from 1978 until it closed in 2005. When the blues cionado this man’s music must be heard, he captures greats came to Detroit, they would come there and listen the time when blues was developing into what would and jam with him, Albert King, Howlin’ Wolf….and be early rock and roll, which has all but been forgotmany others. ten today! In 2007 I performed with Emanuel at The Halligan Bar in Detroit. The Halligan (named for the crow-bar that firefighters use to pry things open when fighting fires) was a hangout for Detroit Police officers & Fire fighters. I brought out my recording equipment and made a live recording. This turned into “Live In Detroit” by Emanuel Young with Howard Glazer & the EL 34s (my band name at the time). The CD was released on Random Chance Records in NYC and received rave reviews and airplay around the world. It charted at # 10 on the National Living Blues Charts. We hope to release a new Emanuel Young CD soon and look forward to coming back to Europe as well, look for Emanuel Young, Howard Glazer and Harmonica Shah Wasser-Prawda | Juli 2014 I hope upon reading this you’ll take the time to search out Emanuel Young both on youtube and order his CD. There are very few old school blues musicians left in Detroit and we are very lucky Emanuel Young is one of them. Please enjoy the following video “Emanuel Young & Howard Glazer” from Don Was’s 2013 Detroit All Star Revue. ENGLISH 137 Aaron Burton mit Robert Jr. Lockwood in Helena Arkansas (Foto: Mari Vega) If that’s religion, I swear I don’t want none BY GARY BURNETTE Aaron Burton’s 2013 release, The Return of Peetie number of biblical themes or interpretations of the Bible. Whitestraw (not to be confused with early bluesman Peetie Wheatstraw), is a terrific album of country blues, “The world was created in only seven days? And driven by Burton’s excellent slide and acoustic chops, Abraham’s willing to sacrifice his son?” he sings. and his assured, well-phrased vocals. With fourteen Well then, “if that’s religion, I swear I don’t want original tracks, the album is a delight, with a range none.” of traditional blues subjects tackled, from unfaithful We perhaps can sympathize with Burton’s difficulties lovers to travelling and drifting to drinking. here, as with the disagreement he has in his song that There’s one particularly interesting song in the collec- events like 9-11 point to the “last days.” There are, to be tion – If That’s Religion, where Burton takes issue with a sure, difficulties in readings of the Bible which assume this ancient text should perfectly align with 21st century Wasser-Prawda | Juli 2014 138 ENGLISH science – and if it doesn’t, that we should abandon our science. Or with readings that assume that it must have something to say about events in our own lifetimes. The Bible was never meant to tell us about science or about specific events in our own history. And to try and shoehorn it into that role is both unhelpful and distracting from properly understanding its message. Which is one of love and justice. The Bible tells the story of a world gone wrong, a world full of suffering and injustice. And the story of God’s plan to make things right, to redeem and renew his world. And the opportunity for us to join in with this story, to allow God to make it our own story and then to work for newness and change and justice in God’s world. All this made possible through the life, death and resurrection of Jesus. But Burton finds the idea that “Jesus rose from the dead” too far-fetched to swallow. A difficult idea, to be sure. Dead men don’t get up. But however we might interpret the Old Testament stories of the creation or Abraham and Isaac or the ethnic cleansing of the land by Joshua – everything stands or falls on the veracity of this one central story of the resurrection. St. Paul said that if the Messiah wasn’t raised, then there was no point in having faith, we might as well eat, drink and be merry. For him, a Jewish scholar and zealot, who hated the ideas of the new Christian group, solid evidence was needed – which he felt he had in spades from the witness of numerous people who had seen the risen Jesus, and in his own experience on the Damascus road. If religion’s all about trying to make difficult Old Testament stories somehow fit a modern scientific world view, then Aaron Burton’s right – “if that’s religion, I swear I don’t want none.” But if Jesus really is risen from the dead, then the world is in the process of being transformed and we can share in that process. If that’s religion, then I want some of that. Wasser-Prawda | Juli 2014 Your ad could be here: One Column (89*220 mm). Price: 50 Euro/Month or 500 Euro/Year. Ask for a special offer: [email protected]. ENGLISH Reviews Aaron Burton - The Return of Pee e Whitestraw Arron Burton hails from Texas, a State with a long history of blues music mastery - Lightnin‘ Hopkins was certainly no slouch, after all. This is Burton‘s fifth album to date, self-produced and promoted, it features fourteen self-penned tracks. Strong on southern drawl and laidback acoustic guitar picking, this album is indeed so laid back that the guitar work at times comes close to being overlooked - a mistake, because the picking, though understated, is singularly soulful, sound and skillful, contributing effortlessly to a very finely honed sound that belies its own underlying complexity. Burton is a guy who is self-taught, an autodidact with a background playing the bars and clubs of the Lone Star State and producing interesting material that touches all of the usual areas from love and heartache to death and misery. In other words a typical blues gamut of thought and emotion, underpinned by great guitar-work and a fine rambling, rumbling, drawling voice. With fourteen tracks to choose from here, it‘s impossible not find something that should satisfy a blues lover‘s taste. This is a guy and a CD that is real surprise and a true discovery - an artist and material of genuine quality, well worth seeking out. Burton is due to record his next album over the next few months and I, for one, look forward to hearing his next offering. Ian Patience Barrelhouse Chuck & Kim Wilson‘s Blues All Stars Dri in‘ From Town To Town When two old friends get together, they have much to tell. Or they record an album. This is what happened with Barrelhouse Chuck and Kim Wilson. Both are veterans of the blues. Barrelhouse Chuck Goering is one of the outstanding traditional blues pianists and singer. His teachers were, inter alia, Sunnyland Slim and Little Walter Montgomery. Kim Wilson we know as an exception-Harper and singer from his long collaboration with the Fabulous Thunderbirds. Included are the Blues All-Stars consisting of Jeremy Johnson (guitar), Richard Innes (drums), Larry Taylor (bass), Billy Flynn (guitar) and Sax Gordon (Sax). These gentlemen are many years in the business and each of them belongs to the tips of their guild. They can compete individually and as a band with every famous musician or band I know - so they are true All-Stars. For lovers of traditional Chicago blues a dream team has come true. I would give much to experience this band live. They surely have had a lot of fun during the recording sessions. As vivid and easily sounds the CD. Add to this the impeccable quality recording. Of course there are also songs to find on the album. Here we go with Barrelhouse Chuck‘s <The big Push>. Chuck puts on the piano and sings. Wilson pulls all the stops to offer. With songs like Floyd Jones <Stockyard Blues> and Sunnyland Slim‘s <She‘s got a thing 139 going on> it goes on. Kim Wilson shines as a singer in Howlin ‚Wolf ‘s <I‘m leaving you> (Chuck gets going right, there is a remarkable guitar solo). There are yet to discover many other songs. I like Chuck Berry‘s <Thirty Days> and Willie Dixon‘s <Three hundred Pounds of Joy> is not to be despised. An album like this does not come every day. It must have been difficult to get these musicians the same time in a studio. The producer Steven B. Dolins is hereby acknowledged. Hopefully it is more than a dream that I might see the guys performing on stage one day. (The Sirens Records SR5021) Bernd Kreikmann Bert Deivert - Kid Man Blues Bert Deivert is a US bluesman living in Scandinavia, where much of this very fine twelve-track album was recorded and produced. Despite living in Sweden for around forty years, Deivert remains a true US acoustic blues picker at heart. And it shows and shines clearly on this great CD. Material ranges from some owncompositions to a raft od excellently interpreted old standards from the likes of RL Burnside and Son House to Sleepy John Estes and Skip James. For me, one of the finest and most striking tracks is Deivert‘s take on that old wonderful blues standard ‚Come Back Baby‘, here done in a new, refreshing and genuinely interesting way. The title track is also a minor masterpiece, featuring Deivert‘s Yank Rachell-inspired resonator mandolin work to full effect. Throughout this CD, resonators Wasser-Prawda | Juli 2014 140 ENGLISH feature strongly with Deivert playing both Guitar and Mandolin with ease and class. But this is not an album dominated by slide - it‘s beautifully produced with subtle emotive playing. Even the vocals are fine, with Deivert throaty and full of gutsy groove, clearly enjoying the whole performance. Stockholm based, Us-born bluesman Brian Kramer - another big resonator fan - also plays in support here and the backing, support vocals are pitched just right. Deivert‘s take on Skip James‘s Cypress Grove is faultless, contributing to make this album a full five-star beauty. Iain Patience Black Tongued Bells - Every Tongue Has A Tale To Tell I probably have a penchant for bands and musicians from Los Angeles. There are creative artists from all regions meeting and merging their original styles. Often they create something different and new. Unforgettable for me, the unique „Imperial Crowns“ and Bluesrockers of „Rhino Bucket“ playing our clubs in the last years. I stumbled literally about the „Black Tongued Bells“. The group is existing since 13 years. They are an indie band that was previously only heard in the LA area. The Black Tongued Bells has fought it’s way and now they want to compete internationally. The band is in favour for that! The Black Tongued Bells combine Alabama Muscle Shoals Sound with Memphis grooves, swamp blues, a little gospel and calls the whole „American Swamp“. Wasser-Prawda | Juli 2014 Anyway, it is an unusual but incredibly earthy, strong and intoxicating mix of styles - this is all that counts. The band members come from different areas of the USA. Around the singer, guitarist and song writer D. Miner, there are the bassist and vocalist Anthony Cook and the drummer Ray Herron (all three founding members). There are also other high-class and experienced musicians. I would be interested, what Mr. Miner is using to keep his voice alive (pronounced USP). Somebody said „his (D.Miner‘s) distinctive baritone sounds as if it‘s been soaked in whiskey for a century and then dragged down to endles gravel road …“ The self-produced CD is the first of the band. As with many good bands resources are scarce. The result was an album that could have been recorded in a Mississippi juke joint. The music is built on Swamp rhythms. In addition to guitar, bass and drums keyboard, percusssion, Harp, Piano, Saxophone and Trombone provide for a slightly hypnotic sound. The opener <Coming back for more> is rather funky and tells of a visit to the doctor. „Long Way to Go“ a rather slow songh tells of the long road to the Pearly Gates. „Gimme That Rise“ is a classic Swamp Song -, a woman talks of her unfulfilled life. In addition to original compositions, there is a very unique interpretation of the Merle Travis Land classic „Sixteen Tons“ which is also present as a video on youtube - exciting! The lyrics are not all California light, they describe life in all its facets. However, there is also the party song „Rattle Some Bones“, which is so vital that he could raise the dead (as in the lyrics). I was not let go of the CD. In my collection it is in the (small) corner for special ones. If you should have difficulties to get a copy, please contact the editorial office. (Rankoutsider Records (Outsider 44), 2013) Bernd Kreikmann Bridget Kelly Band - Forever in Blues Forever In Blues is the second album by the Bridget Kelly Band. Floridabased, the band has a full, rich sound with some great guitar playing by Tim Fik clearly to be heard in the mix while Kelly‘s voice is strong, powerful and full of soul. You sure get your money‘s worth with this one. Fifteen tracks, all strong with no dead-weight to be found here. This is simply a very good album that grabs the attention from the opening bars and rips along boldly with panache and clarity. You‘ll be sad when it reaches the end but fortunately it can always be replayed - time and time again. The Bridget Kelly Band is a finely balanced ensemble that has a firm grasp of the music and a maturity that only comes from years of experience playing the clubs, juke-joints and bars of the US South. There‘s a great confidence in the self-written material and in its soulful delivery. At times, I was reminded of early perhaps the best - work of Johnny Winter. Overall, it would hard to fault anything about this release. It fair ENGLISH romps along from track to track with fine pacing and emotion. Highlighting the skill of the four musicians featured. An album for those who like their blues to rock their boat. (Alpha Sun Records) Iain Patience guitar and a whole rounded sound with a strong southern background feel, which is what you‘d expect from an Atlanta, Georgia-based outfit. A band with its feet firmly planted in the South. Iain Patience Delta Moon - Turn Around When Possible Emanuel Young, Live in Detroit Delta Moon have been around for some time now, a class act with style, ability and quality in spades. This is their latest release, a live recording done while on the band‘s European tour of 2013 and mostly recorded in Germany. It‘s a cracking album that captures the spirit of their live performances and is fuelled by the band‘s stunning, stirring, tingling use of twin electric slide guitars. This is an approach that gives them a distinctive, driving sound ably rounded out by some really neat Bass work from Franher Joseph and dropdead perfect drumming by Darren Stanley. The ten tracks here are mostly written by guitarists and band frontmen Mark Johnson and Tom Gray; they also include the old Fred McDowell classic, ‚Shake ‚Em On Down‘ and Skip James haunting ‚Hard Times Killing Floor Blues‘, and a surprising take on the Bowie/Iggy Pop mantra ‚Nightclubbing‘. Whatever the track, the sound is always uniquely Delta Moon; the fabulous twin guitar-work, almost always slide propelled, gives the band a full, rounded sound that eclipses the more usual two guitar band capacity and feel. Overall, this is an excellent release, a must for anyone who loves slide 2008, Random Chance Records (RCD35) It makes a lot of sense, to read parallely to this review Howard Glazer‘s monthly column in <Wasser Prawda>. Howard talks about Emanuel Young and his many years of working with him. It is the eternal mystery of the blues that men as Emanuel Young don’t have great publicity worldwide. Emanuel is a man in his seventies who plays fhe blues in his hometown Detroit. He is a guitar player and singer since his early years. Emanuel is looking back on many years of cooperation with well-known names such as John Lee Hooker, Martha Reeves, Albert King, Jimmy Reed, and others. In recent years he frequently occurs with Howard Glazer and his El 34s. One of these gigs was recorded in 2008 in The Halligan Bar in Detroit and published on CD as <Live in Detroit>. Emanuel Young plays classic blues, economical and accentuated. His voice is rough, his singing empathetic. Since there is no overdubbing, the CD is one of the rare documents of original blues recorded in the 21st century. No matter what song Emanuel plays, it sounds 141 authentic. He is discreetly and sensitively accompanied and supported by Howard Glazer‘s guitar playing. It is not surprising that the CD contains songs like <The Outskirts of Town>, <Give me back my Wigs>, <I‘m in the Mood> or the eternal <Back Door man>. Emanuel has developed for each of the 11 pieces his own kind of interpretation - he plays Emanuel Young not John Lee Hooker or Albert King. In Detroit Emanuel Young is an icon and legend of the blues. I very much hope that we can see him in the foreseeable future on our stages. Musicians: Emanuel Young (vocals, guitar); Bob Godwin, Steve Glazer (bass guitar); Billy Renya (drums); Howard Glazer (guitar). Bernd Kreikmann John Hia - Terms Of My Surrender John Hiatt needs no introduction. One of the best singer-songwriters in the world of Americana music, he has been at the top of the countrymusic tree for many years, always a favourite in Nashville and a US festival evergreen guaranteed to attract hordes of fans and solid album sales. Interestingly this release is reflective and intriguing in equal measure. Over the years, Hiatt‘s material has been recorded by artists as diverse as Bob Dylan, Bonnie Raitt (Thing Called Love), Iggy Pop and the Jeff Healy Band, among many others. With Terms Of My Surrender, Hiatt returns to both his roots and basics with a stripped-bare mostly acoustic album locked in gravel-throated vocals and blues influenced material which mirrors his own genuine love Wasser-Prawda | Juli 2014 142 ENGLISH for the blues as a musical form: this is the man who wrote ‚Riding With The King‘ , a track that spawned the Grammy award-winning album of the same name by BB King and Eric Clapton. The album is a triumph, with Hiatt‘s clever lyricism covering a host of old familiar subjects: redemption, ageing, relationships and heartache and pain. Pretty standard blues fare really. Eleven tracks make up the CD‘ every one is a little masterpiece in its own right. A consummate example of showmanship and elegance in form, and a bravura performance of blues-bending genius from a true American master storyteller and gorgeously groovy guitarist. (New West Records) Iain Patience Malcolm Holcombe - Pi ful Blues This is Holcombe‘s tenth release so far. Like those before, it features his rasping vocal delivery coupled with good, strong acoustic guitar picking. For me, it‘s probably his best offering to date. Based in North Carolina‘s Piedmont region of the USA, Holcombe‘s guitar-work reflects the quality and driving style of his home-area in the Appalachians with a skilful mix of 1930s style picking and cross-over Americana and Bluegrass influences. A sort of ‚backwoods blues‘ in sound and feel, the kind of thing you might expect to find being played on a sleepy southern porch on a hot, steamy day. As always with this guy, the lyrics are strong and emotive. The entire tentrack album is chock-full of powerful Wasser-Prawda | Juli 2014 and raw emotion, stripped-down sounds that jump from the disc to grab you by the throat. Holcombe is not a man to be ignored. Both the voice and playing demand and warrant attention. From the opening title track to the close of the album, Holcombe‘s stirring lyrics and at times dirge-like vocals carry this album out of the shadows into the light and easily earns it a place on any acoustic blueslover‘s collection. This is a guy who is always interesting, daring to be different and staying well clear of the mainstream blues world. Pitiful Blues would be worth having for the wonderful thumping guitar bass runs and jangling treble solos with the drawling vocal delivery evident on the eponymous title track alone. (www.malcombeholcome.com) Iain Patience Trudy Lynn - Royal Oaks Blues Cafe Paris. I am one of those people that regularly attend live concerts since many years. I have experienced many great and impressive acts, but this evening is unforgettable for me. Trudy is a natural phenomenon. A petite and vivacious woman, a lady singing the blues in its true sense. She screams, sobs and shouts. There are no smoothed emotions, it is pure passion - overwhelming. About a year later, a recording of the concert was released as „Trudy‘s Blues“ (Album: Blues Power: Trudy‘s Blues Label: Isabel, Release Date: August 10, 2004). An incredibly intensive CD, one of my most listened albums at all. Highly recommended is also the previously released CD „U Do not Know What Time It Is“ (Ruf, 1997, Order No.: 2177467, Publication date: 6.3.2000). In December 2013 Trudy Lynn has presented her latest album with „Royal Oaks Blues Cafe“. It presents timeless songs some forgotten ones from the past. About song material and musicians I do not talk. Both is consistently at its best. In Trudy‘s albums everyone can find his favorite songs. Even Trudy‘s version of „Hänschen klein1“ would be a thrilling experience. I hope that this great lady of the blues will give us many more albums in future and hopefully she will join us in our venues. Until then, we must be content with her CDs - I have collected all albums that I could get; I have never been disappointed. Before introducing Trudy Lynn‘s latest CD „Royal Oaks Blues Cafe“, here a few words about Trudy. For me it is incomprehensible that one of the most gifted singers of our days is virtually unknown in Germany at least. She was born about sixty years ago in Houston Tx. and started her career in the 60s as a singer with Albert Collins. Trudy Lynn moves in the broad spectrum of blues, R & B, soul and jazz. Her breakthrough on record she had in the late 80s with the album „Trudy sings the Blues“. It was followed by many great albums. I have seen Trudy for the first (and so Bernd Kreikmann far, unfortunately, last) time on stage 1 “Hänschen klein“ is an old German in the Lionel Hampton Jazz Club in nursery rhyme