WP 2014_07.indb - Wasser

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WP 2014_07.indb - Wasser
Nr. 7/2014
Johnny Winter
(1944 -2014)
Helden des Blues 1: Drink Small
Die Wasser-Prawda unterstützt die Veröffentlichung der Biografie der Blueslegende von der Ostküste.
• Bobby Womack - Emanuel Young - Aaron Burton
• Interviews: Zakiya Hooker - Schorsch Hampel & Dr, Will
• Live: Bob Dylan - Giant Sand
• Album des Monats: Blind Willies - Every Day Is Judgment Day
• Schwerpunkt 1. Weltkrieg: Stefan Zweig, Bilder vom Krieg von Hans
Baluschek
• Texte von Sonja Voß-Scharfenberg, Kai Pohl, Clemens Schittko
2
I N H A LT
Anzeige
Wasser-Prawda | Juli 2014
I N H A LT
3
INHALT
JUNI 2014
3
5
6
Inhalt
Editorial
Auf Tour
Musik
11 Johnny Winter (1944-2014)
14 Sein letztes Konzert
16 Hörempfehlungen
20 Bobby Womack (1944-2014)
22 German Blues Awards und German Blues
Challenge 2014
24 Helden des Blues: Drink Small
27 All-Stars sind die neuen Stars
29 Emanuel Young: Old School Blues in Detroit
31 Aaron Burton: Wenn das Religion ist, dann
schwöre ich, will ich keine
33 Howe Gelb: Lagerfeueratmosphäre a la Sonoran
Desert
36 Bob Dylan In Rostock: Reife Leistung
39 Zakiya Hooker: Kleine Frau ganz groß
42 Die Lichtgestalten des Münchener Blues: Dr. Will
und Schorsch Hampel
49 The Blues Brothers: Ein Kultfilm Entsteht
Platten
57
58
60
61
77
Blind Willies - Every Day Is Judgment Day
Die Redaktion Empfiehlt
Trudy Lynn - Royal Oaks Blues Cafe
Rezensionen A bis Z
Wiederhören
Wasser-Prawda | Juli 2014
4
EDITORIAL
Feuilleton
80 UrlaubsSchmöker
82
85
86
87
Kai Pohl: Who is who
Kai Pohl: Nach der Sinnflut
Clemens Schittko: Im Lyrikamt
Sonja Voß-Scharfenberg: Eisblumen (Auszüge)
90 Stefan Zweig: Die ersten Stunden des Krieges von 1914
101 Zwölf Bilder vom Krieg
Fortsetzungsroman
114 Die Vestalinnen
IMPRESSUM
Die Wasser-Prawda ist ein Projekt
des Computerservice Kaufeldt
Greifswald. Das pdf-Magazin wird
in Zusammenarbeit mit dem freiraum-verlag Greifswald veröffentlicht und erscheint in der Regel
monatlich. Es wird kostenlos an
die registrierten Leser des OnlineMagazins www.wasser-prawda.de
verschickt.
Wasser-Prawda Nr. 07/2014
Redaktionsschluss: 1. Juli 2014
129 Articles in English
REDAKTION:
Chefredakteur: Raimund Nitzsche
(V.i.S.d.P.)
Redaktion: Mario Bollinger,
Bernd Kreikmann, Lüder Kriete,
Matthias Schneider, Dave Watkins,
Darren Weale
Mitarbeiter dieser Ausgabe:
Howard Glazer, Thilo Hornschild,
Thomas Hunfeld, Iain Patience.
Holger Schubert
Die nächste Ausgabe erscheint am
21. August 2014.
Adresse:
Redaktion Wasser-Prawda
c/o wirkstatt
Gützkower Str. 83
17489 Greifswald
Tel.: 03834/535664
[email protected]
Anzeigenabteilung:
[email protected]
Wasser-Prawda | Juli 2014
EDITORIAL
5
EDITORIAL
VON RAIMUND NITZSCHE
geschrieben. Iain Patience war am
14. Juli bei Winters letztem Konzert
in Frankreich. Und ich habe in einer
langen Hörnacht mir nochmals die
bemerkenswertesten Studioalben aus
Winters langer Karriere aufgelegt
und als Hörempfehlungen in zeitlicher Reihenfolge zusammengestellt.
Es gibt Tage, vor denen man sich als
Journalist fürchtet: Wie geht man
mit dem Tod von Musikern um, die
man seit Jahrzehnten verehrt, deren
Musik man schon in der Jugend
gehört hat?
sondern von den Blind Willies aus
Kalifornien. Denn wie diese Band
um Songwriter Alexei Wajchman
sich etwa solch schweren Themen wie
der Judenvernichtung in Auschwitz
widmen, ist absolut bemerkenswert.
Auch wenn es wieder eine Menge
großartiger neuer Bluesalben zu
Außerdem gibt es in dieser Ausgabe entdecken gab: Damit konnte kein
zwei Interviews und Konzertberichte, anderer Künstler mithalten.
die im Rahmen des 25. Bluesfestes in Aus Zeitgründen fehlt in unserem
Ingolstadt entstanden sind: Sprechen Heft der Blueskalender für den
konnten wir dort mit Zakiya Hooker August. Diesen Monat werden wir
und mit den Brüdern Schorsch in vier Wochen nachreichen.
Hampel und Dr. Will aus München.
Mit einem Beitrag über Drink Small Im Sprachraum können wir in
starten wir eine Reihe über Helden diesem Monat mal wieder einige
des Blues. Und auch Howard Glazers Vorabdrucke aus Büchern veröffentzweiter Bericht aus Detroit widmet lichen, die erst im Herbst auf dem
sich einem solchen zu Unrecht unbe- Markt erscheinen. Die Beiträge von
kannten Blues-Helden: Emanuel Kai Pohl und Clemens Schittko
Young begann seine Karriere schon stammen aus dem Sammelband „my
in den 50er Jahren und zählt bis degeneration. the very best of WHO
heute zu den wichtigen traditionel- IS WHO“. Er erscheint ebenso
wie die Erzählung „Eisblumen“
len Bluesmusikern der Stadt.
von Sonja Voß-Scharfenberg im
Wenn dieses Magazin erscheint, ist Greifswalder freiraum-verlag.
die Abstimmung zu den German Für unseren Schwerpunkt zum
Blues Awards und für das Finale 1. Weltkrieg haben wir diesmal
der German Blues Challenge schon einen Ausschnitt aus „Die Welt
wieder vorbei. Wer die Preisträger von gestern“ von Stefan Zweig
sein werden, wird im September in und Kriegsbilder des Malers Hans
Eutin verkündet.
Baluschek ausgewählt.
Eigentlich war die Juliausgabe
unseres pdf-Magazins schon fertig
und bereit für die Korrektur, als am
16. Juli Johnny Winter in einem
Hotelzimmer in Zürich verstarb. Er
war einer der ersten der Giganten
des Blues, der unserem Magazin ein
Interview gab. Und für den Herbst
hatten wir uns erneut zu einem
Gespräch verabredet zu seinem
neuen Studioalbum „Step Back“,
das ähnlich wie „Roots“ die musikalischen Wurzeln des texanischen
Gitarristen mit einer Menge von
Gästen feiern soll. Dazu wird es jetzt
leider nicht mehr kommen. Innerhalb
von wenigen Tagen hat der Kölner
Gitarrist und Musikwissenschaftler
Thilo Hornschild für uns einen Das Album des Monat stammt
biografischen Artikel über Winter diesmal nicht von einer Bluesband
Wasser-Prawda | Juli 2014
6
TERMINE
Auf Tour
3 Dayz Whizkey
09.08. Pyras/Thalmaessing, Classic Rock Night
30.08. Hameln, Pflasterfest
B.B. & The Blues Shacks
11.08. Steinheim-Kleinbottwar, Burg Schaubeck
12.08. Bonn, Jazz im Biergarten
16.08. Hohwacht, Blues Nacht Hohwacht
17.08. Hannover, Maschseefest
19.08. Aglientu, Summer Festival (I)
29.08. Bologna, Blues A Balues (I)
01.09. Binz, Duckstein-Festival
05.09. Lamspringe, Lamspringer September
06.09. Braunschweig, Magnifest
12.09. Lünen, Jazzclub
13. 09. Löhne, Werretalhalle
18. 09. Koblenz-Hüls, Cafe Hahn
19.09. Oberhaching, 6. Oberhachinger Boogieund Bluesnight
Big Daddy Wilson
02.08. Clarus, Mittelödi (CH)
07.08. Carolles, Théâtre de la Plage (F)
30.08. Monheim, Klangweiden
05.09. Sins, Seiserkurve ( CH )
06.09. Elmshorn, City Bluesnight Elmshorn
20.09. Boxmeer, Bluesfestival Blues Alive ( NL )
Blue Note Blues Band
02.08. Langwied/München, S‘Brückerl (Biergarten Blues 14 Uhr)
03.08. Höslwang, Vivarium (Blues Brunch 14
Uhr)
13.08. Berlin, Smilla
14.08. Berlin, White Trash
15.08 Heringsdorf, O‘ Man River
16.08. Zinnowitz, Hotel Baltic: 12 Uhr und 19
Uhr
17.08. Krummin, Pferdetränke (Insel Usedom)
18.08 Hamburg, Cotton Club
Wasser-Prawda | Juni 2014
Cologne Blues Club
31.08. Stuttgart, LAB Festival
12.09. Kamen, Natursteinwerk Otto
19.09. Köln, Yard Club
Die Croonies
Schlager der 20er/30er
06.08. Neu-Ulm, Stadtpark
07.08. Tübingen, Sudhaus
14.09. Schwäbisch Gmünd, Landesgartenschau
Engerling
15.08. Pudagla, Schloss
16.08. Klein Trebbow, Hofkonzerte
17.08. Gingst, Museumshof
22.08. Zickra, Kulturhof
23.08. Erfurt, Heiligen Mühle
29.08. Halle, Laternenfest
30.08. Magdeburg, Festung Mark
Georg Schroeter & Marc Breitfelder
01.08. Heiligenhaus, Museum Abtsküche
02.08. Marburg, Spiegelslustturm
06.08. Hohwacht, Hohwachter Folk und Bluesfestival (feat. MayaMo & Miguel)
08.08. Pinneberg, Summer Jazz
18.08. Hohwacht, Seaside Lounge (mit Abi Wallenstein, Micha Maas & Henry Heggen)
19.08. Kiel, Kai City (Spirit of the Blues feat Abi
Wallenstein)
28.08. Bredenbek, Festwiese
07.09. Molfsee, Thomaskirche Schulensee
Greyhound George
01.08. Bielefeld, Neue Schmiede
08./09.08. Sulingen, Resonatorfestival
05.09. Hückeswagen, Kulturhaus Zach
06.09. Wuppertal, Bandfabrik (m. Andy Grünert)
20.09. Herford, Marienkirche
27.09. Gütersloh, A Tasca (m. Poor Howard Stith
u. Andy Grünert)
TERMINE
28.09. Herford, Musikschule Lenze
(m.Poor Howard Stith u. Andy Grünert)
Hamburg Blues Band
01.08. Gaildorf, Sommerfest
02.08. Erftstadt, zum Schwan
05.09. A-St. Veit an der Glan, Burgkulturfestival
06.09. Lehrte, Bluesfestival
12.09. Oldenburg, „Charlys“
13.09. Aukrug, Tivoli
Henning Pertiet
15.08. Verden, St Johannis Kirche [mit: Normen
Schindowski (Didgeridoo)]
16.08. Templin, Kirche (Orgelimprovisationen )
17.08. Berlin-Köpenick, Ratskeller (Boogie Session
mit: Henry Heggen, Micha Maass, Frank Muschalle)
24.08. Wildeshausen, Rathaussaal (11 Uhr)
29./30.08. Isernhagen, Kulturkaffe Rautenkranz,
25 Jahre Blues & Boogie mit Henning Pertiet,
Jean-Pierre Bertrand, Axel Zwingenberger, Martin
Pyrker, Chris Conz u.a.
Jay Ottaway Band
07. 08. Norderstedt, MusicStar
08. 08. Kappeln, PALETTE (Kehrwider 1)
09. 08. Havetoftloit/Torsballig, Land-Art (Nordscheide 4)
14. 08. Bamberg, 8. Tucher Blues- & Jazzfestival,
Bühne am GABELMANN, Grüner Markt
15. 08. Bamberg, Live-Club (8. Tucher Blues- &
Jazzfestival)
16. 08., Köln, TV-Terassen, Mielenforsterstr. 40
Jessy Martens & Jan Fischer‘s Blues
Support
(mit Jan Fischer - Piano / Ralf Böcker - Sax
/ Christian Kolf - Drums)
13.08. Celerina, Hotel Cresta Palace (CH)
14.08. Giswil, Kronegarten Open Air (CH)
16.08. Berlin, 20 Jahre Ratskeller Köpenick
29.08. Greven, Grevener Bluesfestival
7
Jimmy Reiter
02.08. Ibbenbüren, Heiß und Heftig
10.08. Garbsen, Blues Matinee
23.08. Biggesee Olpe, Riverboat Shuffle
28.08. Schmallenberg, Schmallenberger Woche
29.08. Bremen, Haus am Walde
Marius Tilly Band
06.09. Kamen, Open-Air
19.09. Köln, Yard Club
26.09. Unna, Lindenbrauerei (CD-Release)
Mike Seeber
01.08. Dieskau, Open Air
23.08. Bad Salzungen, Open Air
Nick Moss Band
06.08. Bremen, Meisenfrei
07.08. Braunschweig, Barnaby‘s Blues Bar
08.08. Forst, Manitu
09.08. Hamburg, Downtown Bluesclub
10.08. Enschede, Nix en Meer (NL)
Rad Gumbo
09.08. Großmehring Bluesfestival (mit Barbara
Morisson)
Reverend Rusty
11.10. Bräunlingen, Bregtäler
25.10. Runding, Robinson
31.10. Postbauer-Heng. KiSH
07.11. Haiming, Gewölbe
29.12. St. Gallen, Hotel Walhalla (CH)
Royal Southern Brotherhood
05.09. Amsterdam, North Sea Jazz Club (NL)
06.09. Tegelen, Bluesrock Festival (NL)
07.09. Monaghan, Harvest Time Blues Festival
(Irland)
08.09. Edinburgh, Jam House (UK)
10.09. Aschaffenburg, Colos-Saal
Wasser-Prawda | Juni 2014
8
TERMINE
11.09. Dortmund, Piano
12.09. Berlin, Quasimodo
13.09. Hannover, Blues Garage
14.09. Nürnberg, Hirsch
15.09. Hamburg, Downtown Blues Club
16.09. Tampere, Tampere-Talo (Finnland) 17.09.
17.09. Göteburg, Nefertiti Club (S)
18.09. Malmö, KB (S)
19.09. Karlshamn, Bellevueparken Folkets Park
(S)
20.09. Mandal, Blues Club (N)
22.09. Salzburg, Rockhouse (Au)
23.09. Bonn, Harmonie
Schneider - Schwarznau
04.09. Gingst, Alte Post
05.09. Heringsdorf, O´Man-River
06.09. Feldberg, Abendsegler
28.09. Kahla, Frozen Dreams
Speiches Monokel
30.08. Gehren, Rock im Wald Festival
13.09. Vollmershain, Open Air ( feat. Peter
Schmidt / mit Henrik Freischlader Band/ iNUTERO u.v.a.m.)
20.09. Altdöbern, Schützenhaus (mit Peter
Schmidt & Blues Rudi, Jürgen Kerth)
26.09. Affalter, Zur Linde (Engerling & Monokel)
27.09. Torgau, Kulturbastion
The Double Vision
02.08. Dieskau, Open Air
16.08. Weimar, Weinhandlung Appenrodt & Hemer
23.08. Zons (Support Letz Zep)
13.09. Vollmershain, Open Air
The Dynamite Daze
01.08. Meppen Stadtfest
02.08. Dieskau Open Air
10.08. Lampertheim Morgenjazz
Wasser-Prawda | Juni 2014
16.08. CH-Hüntwangen Amphi Blues
Festival
22.08 Eisfeld Woodstock Forever Festival
23.08. Laubach Blues Schmus Apfelmus
24.08. Saarbrücken Sonntags am Schloss 10h
24.08. Kaiserslautern, Vogelwoog (15 Uhr!)
29.08. Trebsen, Bluesnight im Rittergut
30./31.08. Chemnitz, Stadtfest
27.09. Baden Baden, Blues Open Air im Altersheim (Bluesclub)
The German Blues Project
23.08. Bordesholm, Savoy
29.08. Aachen, Gute Hebescheid
31.08. Saarbrücken, Schlosshof
Clubs
Bischofsmühle
Hildesheim
22.08. Summertime Blues Session
12.09. Jessy Martens & Band
19.09. 4some Blues
26.09. Caladh Nua
Blues im Bahnhof
Bahnhof Mannheim. Eintritt frei.
05.09. El Ville Blues Band
10.10. Black Cat Bone
07.11. Abi Wallenstein, Dave Goodman, Oliver
Spanuth, Steve Baker
Bluesgarage
Hannover Isernhagen
12.09. Shurman
13.09. Royal Southern Brotherhood
19.09. Klaus „Major“ Heuser Band
20.09. The Clem Clempson Band feat. Chris Farlowe
ChaBah
Kandern
TERMINE
18.08. Dr. Vielgut
24.08. Cherry Pickers Dixieland Band
17.09. Richard Bargel & Dead Slow Stampede
Cotton Club Hamburg
31.07. Zydeco Annie & The Swamp Cats
04.08. Have Mercy Reunion
08.08. Magic Bus
11.08. Jo Bohnsack
18.08. Blue Note Blues Band
21.08. Stevie & The Hand Jive
23.08. Friedrich zur Heide, Jan Mohr, Torsten
Zwingenberger
25.08. Blueswerft
Downtown Bluesclub
Hamburg
01.08. Meiselgeier
06.08. The Lost Gang
08.08. Second Life Blues Band
09.08. Nick Moss & Band
13.08. The Go Set
15.08. Eight-O-Five
22.08. Bad News Reunion
30.08. Rockhouse
31.08. Chris Farlowe
03.09. Herbert Hildebrandt
05.09. Mike Seeber Trio
07.09. Jan Mohr & The Backscratchers
10.09. Ben Granfelt
13.09. Blues Package
14.09. Rick Vito & The Lucky Devils
15.09. Royal Southern Brotherhood
Extra Blues Bar
Bielefeld
30.07. John Montague
28.08. Mary Broadcast Band
12.09. Richard Bargel
18.09. Johnny Rieger
Kulturbastion Torgau
15.08. Axel Prahl & sein Inselorchester
9
30.08. Kat Baloun feat. Mr. Leino &
Band
27.09. Speiches Monokel Blues Band
02.10. Patricia Vonne
Kulturspeicher
(Bergstraße, Ueckermünde)
01.08. Malena
22.08. Friedrich & Wiesenhütter
07.09. Strömkarlen
Laboratorium
Stuttgart
29.08.- 31.08. LAB-Festival
19.09. Los Santos
20.09. Andrea Marcelli Quartett
Late Night Blues
Loev Hotel Binz/Rügen
07.08. Have Mercy Reunion
26.09. Crazy Hambones
Meisenfrei
Bremen Hankenstr.
06.08. Nick Moss & Band
08.08. Stingrays
16.08. JJ - Big City Blues
30.08. Scrapyard Bluesgang/Blues Bureau
01.09. Little Caesar
05.09. Billbrook Bluesband
Music Hall Worpswede
11.09. Delta Saints
12.09. Steve Westaway & Dave Goodman
19.09. Albert Hammond
20.09. Klaus „Major“ Heuser Band
25.09. Luka Bloom
26.09. Patricia Vonne
Musiktheater Piano
Dortmund
06.09. Monti Fiori
Wasser-Prawda | Juni 2014
10
TERMINE
07.09. Biber Hermann
11.09. Royal Southern Brotherhood
14.09. Thorbjörn Risager & The Black Tornado
Musiktheater Rex
Bensheim
08.08. Morre
09.08. Gelbsucht
22.08. Just Pink
17.09. The Delta Saints
25.09. Rick Vito & The Lucky Devils
26.09. The Clem Clempson Band
O‘ Man River
Friedensstraß 27, Ostseebad Heringsdorf
01.08. Andreas Schirneck
05.08. Crazy Hambones (mit Chris Turner)
12.08. Peer Orxon
15.08. Blue Notes Blues Band
19.08. Bearded Rockling
22.08. Die Greenhorns
26.08. Tomasz Gaworek
29. 08. Peter Schmidt ( EBE )
02.09. Hans Blues & Boogie
05.09. Schneider & Schwarznau
09.09. Eric Lenz Oneman Bluesband
12.09. Tim Eckert
16.09. Peter Schmidt ( EBE )
19.09. Blue Tales
23.09. Richard Smerin
26.09. Captain Crab und Prince of Harp
Savoy Bordesholm
23.08. The German Blues Project
16.09. Rick Vito
20.09. Inga Rumpf
26.09. Eva Jagun
Tina Tandler Club
Jazz und Blues in Zingst
14.08. Crazy Hambones (Museumshof)
28.08. Kat Baloun & The Tomi Leino Band
(Museumshof)
Wasser-Prawda | Juni 2014
27.09. Gypsy Gentlemen (Kurhaus)
18.10. Friedemann Benner (Kurhaus)
22.11. Black Patti (Kurhaus)
29. 12. BluesRudy, Peter Schmidt & Tina Tandler
Topos
Leverkusen
01.08.-03.08.: Streetlife 2014
14.08. Ryan McGarvey
15.08. Black Market III feat Scottie Blinn
20.08. Bastian Korn
28.08. The Sugarhills
29.08. The Real FUNKtion
Yorkschlösschen
Yorkstr. 15, Berlin
01.08. Chat Noir
06.08. Have Mercy
09.08. Slide Riders
10.08. Desney Bailey sings Billie Holiday
13.08. Kelvin Sholar Trio
15.08. Tanja Siebert Quartet
16.08. The Savoy Satellites
20.08 Niels von der Leyen Trio
21.08. Die Brausen
22.08. Anna Margolina Trio
24.08. Berlin Buskerteers
27.08. Kat Baloun & Friends
29.08. Ginger Fields Quartet
30.08. Helena & The Twilighters
Biografie
11
J OHNNY W I N TE R
(1944-2014 )
EIN NACHRUF VON THILO HORNSCHILD.
Wasser-Prawda | Juli 2014
12
Biografie
AM 17. JULI MACHTE
MORGENS EINE
NACHRICHT WIE EIN
LAUFFEUER DIE
RUNDE: JOHNNY
WINTER SEI IN
ZÜRICH AUF TOUR
VERSTORBEN. ES
DAUERTE NOCH
EINE WEILE BIS
DIESE TRAURIGE
NACHRICHT
BESTÄTIGT
WERDEN KONNTE,
AM FRÜHEN
NACHMITTAG WAR
ES DANN SOWEIT,
DAS GERÜCHT
– WENNGLEICH
DIE URSACHE
BISHER NOCH
UNGEKLÄRT IST –
WAR SERIOUS AS
A HEARTATTACK.
Auf Facebook meldeten sich allerhand Musiker zu Wort, von Buddy
Guy über ZZ Top, die Allman
Brothers bis Jimmie Vaughan: alle
Großen hatten nur die wärmsten Worte für die Kunstfertigkeit
Winters übrig. Greg Koch schrieb
treffend, ob man denn nun wollte
oder nicht, man ist als Bluesorientierter Gitarrist heutzutage
unweigerlich von Johnny Winter
beeinflusst.
„Woodstock Rocker tot“. Zu lustig
wenn man bedenkt wie wichtig es
ihm 1969 war nicht mit dem Event in
Verbindung gebracht zu werden und
bitte nicht in dem Film zu erscheinen. Es könne schließlich seiner
Reputation schaden. Dabei hätte
man in Deutschland immer den
Aufhänger das Essener Rockpalast
Konzert von 1979 heranzuziehen
das ihn unwiderruflich auf der europäischen Landkarte etablierte und
seiner Musik frischen Aufwind gab.
Meine persönlich Begegnung
mit Johnny Winter hatte ich als
Teenager in den mittleren bis späten
90er Jahren mit „Hey, Where‘s Your
Brother?“. Die Pointblank-Alben
gelten zwar – warum auch immer
– als Karriereknick in Winters Vita,
ich fand diese Platte allein schon
des Openers immer grandios. Mit
dem Refrain von Watsons „Johnny
Guitar“ ist witzigerweise lediglich
ein Aspekt des Superman Lovers
erzählt, aber widerum beinahe die
gesamte professionelle Lauf bahn
Winters zusammengefasst:
they call me Johnny
Guitar, I‘ve come
to play in your
town.
Schließlich war Winter nie ein
besonders hervorstechender Lyriker
oder feinsinniger Beobachter des
Zeitgeists, nur bedingt Entertainer,
und mit Verlaub kein Model. Nein,
die Textzeile oben ist ziemlich genau
sein Geschäftsmodell gewesen: you
In der Deutschen Medienlandschaft want to eat, move your feet... eben
sah es natürlich ein wenig anders ein bluesman durch und durch.
aus... Spiegel Online intonierte
To u r p l a n
war
zum Beipiel etwas in Richtung S e i n
Wasser-Prawda | Juli 2014
wirklich beeindruckend und hat
mit den bei ihm einhergehenden
Begleiterschungen sicher den verhältnismäßig frühen Tod begünstigt. Seit er 15 Jahre alt war rauchte
er Kette, noch bevor er 30 wurde er
wie so viele amerikanische Musiker
seiner Generation heroinabhängig, eine Abhängigkeit die weit
in sein siebtes Lebensjahrzehnt
hineinreichte.
Aber das mit dem Karriereknick
kann durchaus sein, folgten die
oben erwähnten Pointblank-Alben
den phänomenalen Bluesplatten auf
Bruce Iglauers Alligator Records:
„Guitar Slinger“ und „3rd Degree“.
Es gab das Budget für die richtigen Begleitmusiker, wobei ich an
der Stelle niemanden diskreditieren
möchte, und Johnny Winter erhält
die Gelegenheit sein immens tiefes
Wissen voll auszuspielen. Denn in
seinem Spiel fehlte jede Pragmatik,
beziehungsweise so trocken er als
Mensch gelegentlich daher kam, so
on fire war sein Spiel. Die AlligatorAlben, besonders in Verbindung mit
seinem mit Abstand erfolgreichsten
Jahrzehnt, den 70er Jahren, sicherten
ihm 1988 die Aufnahme in die Blues
Foundation Hall of Fame.
Fortan zog der Illustrated Man
weiter seinen rigiden Tourplan
durch, beziehungsweise wurde
durchgezogen. Ein mehr als windiger Manager namens Teddy Slatus
sorgte nämlich dafür dass Winter
stets im Opiatnebel und on the road
bleibt. Alles steuerte auf ein sehr viel
früheres Ableben Winters zu…
Enter Paul Nelson. Als neuer
M a n a g e r, P r o d u z e nt u n d
Biografie
Bandmitglied half er Johnny Winter
das mit dem Iodine im Kaffee mal
sein zu lassen, schickte ihn durch ein
Methadonprogramm, sorgte dafür
dass Gibson Guitars ihn mal bitte
endlich mit einer Signature Firebird
würdigt, dass Sony Legacy das brilliante Album „Roots“ veröffentlichte
und später das große karriereumfassende Boxset. Achja, besagter Teddy
Slatus trank sich selbst relativ fix zu
Grabe…
Paul Nelsons immenser Einfluss auf
Johnny Winters späte Karriere und
wichtiger noch, sein Leben, zeigte
doch so manche Parallele zu Winters
Einfluß auf Muddy Waters in den
Siebzigern.
Als maßgeblicher Gitarrist seiner
Touringband ist er auch als
Produzent für die immensen Blues
Sky/Sony Alben verantwortlich und
schaff te es den milden oder müden
McKinley Morganfield wieder hart
zu machen. Zu diesen Platten ist
nicht viel zu sagen, sie sind perfekt.
Und so schaffte es das Team Nelson/
Winter wieder an den Start zu
kommen. Die Stimme wurde wieder
besser, die Gitarre war wieder sehr
sehr dangerous. Johnny Winter war
wieder auf dem Weg dahin ganz der
Alte zu werden. Im sitzen zwar, aber
wer will seinen Weg nochmal gehen?
Früher in diesem Jahr wurde in New
York eine große Geburtstagsfeier
abgerissen, Gäste wie Popa Chubby
und Mike Zito ließen sich nicht
lange bitten.
nicht gesehen habt. Nach einem
Konzert kommt ein europäischer
Gitarrenbauer in den Bus und
möchte Herrn Winter eine maßgeschneiderte Ergänzung zu seinen
Erlewine Lazers, Firebirds, Les
Pauls, Gs, Flying Vs, Epiphone
Wilshires, ganz zum Schluß Deans,
und bestimmt noch mehr Firebirds
schenken. Ausgepackt wird eine
ungefähr Les Paul förmige E-Gitarre
mit Resonator die sofort kommentiert wird:
„Who would put
a resonator on an
electric guitar,
doesn‘t make much
sense...“
13
„Please Come Home For Christmas“
großartig für die einen, alleine
schon weil es ein verhältnismäßig spätes Duett mit Edgar ist. Die
Rockpalast Fraktion feiert eventuell
„Suzy Q“ ab. Ich persönlich schau
mir oft die Session mit Dr. John an,
wie die sich gegenseitig subtil antriggern, machmal auch zu foppen versuchen, ist genial. Aber Winter auf
einzelne Songs zu reduzieren funktioniert einfach nicht. Man könnte
aber zum Beispiel „Captured Live“,
das halbe Livealbum von 1976 auflegen und a-hauf-dre-hen.
Thilo Hornschild
Eh der Fan verprellt sein kann, eilt
Nelson dazu, bedankt sich höflich
und verschenkt signierte Poster und
Plektren... ich bin sicher besagte
Gitarre wurde nie wieder angerührt.
So treu er dem Blues blieb, selbst auf
„Johnny Winter And...“, so erstaunlich ist dass er doch eher als Rocker
wahrgenommen wird. Viele jüngere
Leute nähern sich Winters 70er
Jahre Phase aus der Hardrock- und
Metalperspektive. Ich halte ihn für
einen archteypischen Bluesgitarristen
dessen erste Aufnahme „School Day
Blues“ aus dem Jahre 1960 heute
eigentlich ein Klassiker im Set eines
jeden Rockabilly-DJs sein sollte.
Ja, hatte er denn den großen Song
Oben schrieb ich daß er wohl gele- der ihn in die kollektive Erinnerung
gentlich trocken im Umgang sein von Millionen Musikliebhabern
konnte. Dazu fällt mir noch eine hievte? Ehrlich gesagt nein. Sicher ist
Anekdote ein die ihr vielleicht
Thilo Hornschild
studierte Musikwissenschaft,
Anglistik und Amerikanistik
in Bonn. Er ist Gitarrist der
Kölner Bluesbands Cologne
Blues Club und Köllefornia
Stompers sowie der Rockabillyband The Silverettes. Er lebt
und arbeitet in Köln.
Wasser-Prawda | Juli 2014
14
Biografie
Johnny Winter beim Cahors Blues Festival am 14. Juli 2014 (Foto: MJM Blues)
DIE G E I S T E R
WART E T E N S CH O N
JOHNNY WINTERS LETZTES KONZERT. VON IAN PATIENCE
Wasser-Prawda | Juli 2014
Biografie
JOHNNY WINTER WAR
EINFACH EINER DIESER
MENSCHEN, DIE IMMER DICHT
VORM TOD WAREN. EINE
LEGENDÄRE FIGUR MIT EINEM
LEGENDÄREN APPETIT AUF
ALLES, WAS GEFÄHRLICH
IST, SO LEBTE ER DAS
LEBEN IN VOLLEN ZÜGEN.
LEIDER WAR SEIN LETZTER
AUFTRITT BEIM WUNDERBAR
INTIMEN CAHORS BLUES
FESTIVAL IN FRANKREICH
EINE WENIGER WILDE,
DAFÜR ABER ERGREIFENDE
PERFORMANCE. DIE GEISTER
WARTETEN SCHON AUF IHN.
15
zu sehen und den Zauber seines persönlichen Mojo
zu fühlen.
Trotz seiner offensichtlichen Freude, auf der Bühne
zu sein und seine Gitarre wie ein Kind zu schlagen und zu sliden, erschien er die ganze Zeit wie
ein Mensch auf der Grenze: eines Abgrundes, einer
musikalischen Klipper, des Lebens selber. Er schaute
müde aus, war deutlich bei schlechter Gesundheit.
Das Problem für alle, die es beobachteten war: Was
war daran neu?
Auf vielerlei Weise ist es einfach, so einen Spruch
zu sagen: Er war auf seinem letzten Weg. Hier war
er traurigerweise wahhr. Bluesmusik ist vollgepackt mit großartigen Zeilen über den Tod, das
Ableben, wie Bluesmen of euphemistischerweise
sagen. Bei diesem letzten Auftritt Winters klopfte
er ganz sicher an der Himmels - oder doch eher:
Winter schielte in seiner üblichen Weise ins der Höllen-Tür.
Publikum: Ein hingerissenes volles Haus, das Vielleicht war es da passend, dass sein letzter Auftritt
den Mann und seine Musik verehrte. Er spielte an einem enorm wichtigen und symbolischen
sich durch einen Katalog von herausfordern- Feiertag stattfand: Der 14. Juli ist der französische
den rauen Emotionen und stilistischen Staccato- Nationalfeiertag, der Tag des Sturms auf die Bastie.
Gitarrenläufen, er umwarb die Menge, zog Da wird die französische Unabhängigkeit gefeiert,
erstaunliche Tricks aus seinem berühmten Hut die Stärke, die Befreiung und die Freiheit als solche.
mit Gelassenheit - und leider zuweilen auch mit Eine Nacht, wo viele alles bis zum Exzess trieben:
Schwierigkeiten.
Trinken und Drogen, Sex, Rock&Roll, Blues,
Winter hatte sichtbar mit der hohen Luftfeuchtigkeit Fanbewunderung, explosive Feuerwerke. Ein Tag
und hohen Temperaturen von 34 Grad Celsius zu voller Festivitäten - so wie der 4. Juli auf Acid.
kämpfen. Aber auch die Ansprüche des bewundern- Ich glaube, er hätte diesen Symbolismus und die
den Publikums machten ihm zu schaffen. Seine Bedeutung gemocht. Immer natürlich vorausgeKoordination war manchmal wackelig. Aber das setzt, dass er bemerkt hat, wie es um ihn stand.
war schon oft so gewesen und ist auch Teil seiner Nach mehreren stürmischen Zugaben, ging Johnny
besondern Magie. Seine Stimme war wackelig und Winter das letzte Mal bis an die Grenze.*
gedehnt. Aber nochmals: Was ist da neu dran? Der
Mann war 70. Wie auch immer: für mehr als eine
Stunde hielt er aus unter blitzenden Scheinwerfern
und einer Backofenhitze fast ohne Sauerstoff auf
seinen zitternden Füßen. Die Menschen vergaben
ihm alles, sie waren glücklich, den Mann in Aktion
* English version on page 130
Wasser-Prawda | Juli 2014
16
Biografie
HÖREM P FE HLU NGE N
Lange Jahre hatte Johnny Winter
kaum einen Einfluss darauf, was
unter seinem Namen veröffentlicht
wurde. Ein Biograph meint gar,
lediglich 15 Prozent der kommerziell
vertriebenen Aufnahmen seien rechtmäßig veröffentlicht worden. Alles
andere ginge auf Bootlegs und unautorisierte Wiederveröffentlichung
von frühen Aufnahmen zurück.
Bevor Winter bei Columbia unterschrieb, hatte er rund 30 Stücke
für seinen Ex-Manager und
Produzenten Roy Ames aufgenommen, die noch immer in ständig
neuen Kombinationen auf den
Markt geworfen werden.
Bluesklassiker wie „Rollin‘ and
Tumblin“, „Help Me“ oder „It‘s My
Own Fault“. Im Studio wurde er
begleitet von Schlagzeuger Uncle
John Turner und Tommy Shannon
am Bass.
Second Winter
Paar Monate nach „Johnny Winter“
legte Columbia gleich das nächste
Album vor. „Second Winter“
erschien als Doppelalbum, bei dem
lediglich drei Seiten bespielt waren.
Musikalisch ist hier der Wandel hin
zu den heftigeren Rocksounds zu
beobachten: Stücke wie „Memory
Pain“ gehen in psychedelische
Richtung. Und bei Nummern wie
„Johnny B Goode“ oder „I Hate
Everybody“ lässt er den Rock &
Roller heraushängen. Absoluter
Höhepunkt - und bis zuletzt Teil
seines Konzertprogramms ist seine
Version von Dylans „Highway
61 Revisited“. Winter spielt auf
dem Album nicht nur die Gitarre
sondern greift zuweilen auch zur
Mandoline. Edgar Winter spielt
Keyboards, Orgel, Piano und ein
wildes Saxophon während Turner
und Shannon den passenden Groove
liefern.
Johnny Winter
Nachdem Columbia sich in einem
Bieterwettstreit mit der höchsten
Vorauszahlung durchgesetzt hatte,
wurde 1969 sein „offizielles“ Debüt
auf den Markt gebracht. Auch hier
steht natürlich das Trio mit Turner
und Shannon ganz im Zentrum des
Geschehens. Doch der rockende
Texasblues wurde bei Bedarf mit
The Progressive Blues ExpeBläsern, Background-Sängerinnen
riment
Die meisten Discografien Winters oder auch Keyboards erweitert. Im
beginnen mit seinem 1969 bei Studio waren unter anderem Edgar
Columbia veröffentlichten Debüt. Winter (keyb), Big Walter „Shakey“
Doch schon 1968 war bei einem Horton (mharm) und Willie Dixon
kleinen Label dieses Album aufge- (b) dabei. Hightlights auf diesem
nommen worden. Und hier kann Juwel von einem Bluesalbum sind
man erstmals Winters Slide-Spiel „Be Careful With A Fool“ (B.B.
bewundern: Noch völlig ohne King) und auch Winters eigene 1970 war es zunächst vorbei mit dem
Ausflüge in den Rock der späte- Stücke „Leland Mississippi Blues eingespielten Trio aus der Frühzeit
ren Tage spielt sich Winter durch und „I‘m Yours and I‘m Hers“.
in Texas. Johnny Winter tat sich
Wasser-Prawda | Juli 2014
Biografie
mit Rick Derringer zusammen, der
als Gitarrist und als Songwriter auf
Alben wie „Johnny Winter And“
prägend wurde. Die Rockfans waren
begeistert - und klar: trotz heftigem
Hardrock sind Winters Blueswurzeln
noch immer zu erkennen.
1974 noch „John Dawson Winter
III“ und „Saints And Sinners“ auf
den Markt, die musikalisch in die
gleiche Richtung gingen: Rock &
Roll Klassiker, heftig rockend dargeboten und wenige wirklich zu
Herzen gehende Bluesnummern.
Still Alive And Well
Während der Zeit von Johnny
Winter And wurde Winter heroinabhängig. Nachdem er sich in
Behandlung begeben hatte und
von der Sucht loskam, kam er
1973 mit dem auch als Statement
zu verstehenden Album „Still
Alive And Well“ zurück. Darauf
werden die Blueswurzeln und der
mit Derringer gespielte Hardrock
vermischt. Und Winter greift
auch wieder (wie in „Too Much
Seconal“) zur Mandoline. Und
Jeremy Steig sorgt mit seiner Flöte
für klangliche Überraschungen.
Höhepunkte auf dem absolut gelungenen Comebackalbum: Die Jagger/
Richards Nummer „Silver Train“,
die wesentlich besser gelungen ist
als das Original der Stones und
„Rock and Roll“, dass Winter und
Derringer gemeinsam mit Lou Reed
geschrieben haben.
Nach „Still Alive And Well“ kamen
Nothing But The Blues
Erst 1977 besann sich Johnny Winter
wieder völlig auf seine Blueswurzeln.
Für „Nothing But The Blues“ hat er
sich als Begleitung die komplette
Band von Muddy Waters ausgeborgt. Und Waters selbst singt auf
dem letzten Song „Walking Th ru
The Park“. Winter ist mit seinem
Idol zusammen - und er hat den
Blues wiedergefunden.
Selten klang er auf einem Album
derartig glücklich. Es gehört eindeutig zu den Alben, die man von ihm
in seiner Sammlung haben muss!
White Hot & Blue
Auch der Nachfolger „White Hot &
Blue“ ist noch feinster Chicagoblues.
Nur dass hier nicht mehr die Band
von Waters spielt sondern Freunde
aus Texas. Und statt James Cotton
kann man die Harp von Pat Ramsey
hören. Edgar Winter ist wieder
mit dabei und spielt das Piano bei
„Nickel Blues“ ganz im Stile von
17
Pinetop Perkins. Und außer dass
Winter „E-Z Rider“ von Taj Mahal
nach den Stones klingen lässt, ist
hier mehr Blues als alles andere zu
hören. Man merkt, dass Winter von
der Zusammenarbeit mit Muddy
Waters noch sehr inspiriert war,
mit dem er seit 1977 als Produzent
zusammenarbeitete und ihm damit
eines der größten Comebacks der
Bluesgeschichte bescherte. Danach
kam noch das ziemlich belanglose
„Raisin Cain“, bevor Winter für
einige Jahre nicht mehr ins Studio
ging.
Guitar Slinger
1984 erschien mit „Guitar Slinger“
das erste Album Johnny Winters für
Alligator Records. Bruce Iglauer fungierte als Produzent. Winter wirkt ähnlich wie bei „Nothing But The
Blues“ endlich wieder so, als sei er zu
Hause in musikalischer Hinsicht: Er
singt und spielt mit einer Intensität,
die man zuletzt vermisst hatte. Er
spielt wieder nur Blues und lässt all
die Rock & Roll-Zutaten fort, die
auf Raisin Can so banal rüberkamen. „Guitar Slinger“ ist ein wirklicher Neuanfang.
Und auch auf „Serious Business“,
dem zweiten Alligator-Album, setzt
Wasser-Prawda | Juli 2014
18
Biografie
er diese Schiene fort: Elektrischer
Blues mit jeder Menge Energie
aber ohne aufgesetzt wirkende
Versuche, als nächster Jimi Hendrix
zu erscheinen. Nein. spätestens jetzt
ist Winter wirklich der größte weiße
Bluesgitarrist seiner Generation
geworden.
3rd Degree
Mit dem dritten (und letzten) Album
für Bruce Iglauers Alligator Records
lieferte Winter eines seiner besten
Alben überhaupt ab. Erstmals seit
den frühen 70er Jahren kann man
ihn hier wieder gemeinsam mit
Tommy Shannon und Uncle John
Turner hören: Hier klingt Winter
wieder so jung und ungestüm wie
damals auf „The Progressive Blues
Experiment“. Bei anderen Stücken
ist Dr. John an der Orgel oder dem
Klavier zu erleben. Und Winter
greift endlich wieder zur National
Steel Gitarre in Bluessongs wie „Evil
On My Mind“ und „Bad Girl Blues“:
Auf „3rd Degree“ erleben wir Johnny
Winter in all seiner Vielseitigkeit
und Spielfreude. Ein Pflichtkauf!
Warum Winter danach wieder einen
Versuch machte, bei einem MajorLabel zu landen? Er hatte mit seinen
Alben für Alligator seine Anhänger
Wasser-Prawda | Juli 2014
unter den „echten“ Bluesfans gefunden. Und eigentlich niemand wollte
von ihm neue Ausflüge in Richtung
Mainstream hören. Als solchen muss
man „The Winter of ´88“ betrachten, vielleicht gar als Versuch von
Produzent Terry Manning, ein Stück
vom Hitparadenerfolg von ZZ Top
zu profitieren, die damals gerade mit
der Einführung von Synthiesounds
in ihren Boogie zur weltweiten
Sensation geworden waren.
Let Me In
Neues Label - neue Rückbesinnung
auf den Blues: Bei Point Black kam
1991 „Let Me In“ heraus. Hier zelebrierte Winter wieder seinen oftmals
auf High-Speed getrimmten Blues
und wurde dabei unter anderem von
Dr. John und Billy Branch begleitet. Die Spielfreude des Albums ist
ansteckend - und wenn Winter bei
„Blue Mood“ gar anfängt jazzige
Linien auf der Akustikgitarre zu
spielen, ist auch noch für die notwendige Überraschung gesorgt.
Hey, Where‘s Your Brother?
Ein Jahr später veröffentlichte Point
Blank dann ein Familientreffen: Im
Studio kam es nach langer Zeit mal
wieder zur Zusammenarbeit von
Johnny und Edgar, der nicht nur
Klavier spielt bei einigen Nummern
sondern auch das Saxophon eingepackt hatte. Und bei „Please Come
Home For Christmas“ singen die
Brüder gar im Duett. Aber auch
sonst ist das ein rundum gelungenes Bluesalbum.
I‘m A Bluesman
E i ne S e lb s t ver g e w i s s er u n g ?
Eigentlich hätte sie Johnny Winter
nicht nötig gehabt. Doch mit
seinem neuen Manager, Freund und
zweitem Gitarristen Paul Nelson ist
Biografie
es vielleicht doch gut, die neu gefundene Kraft und Spielfreude auf diese
Weise zu zelebrieren. Winters Gitarre
ist gut und schnell wie eh und je.
Seiner Stimme allerdings hört man
das Alter und die gesundheitlichen
Probleme an. Und es sind auch
nicht die elektrischen Nummern des
Albums, die besonders zu Herzen
gehen sondern das akustische „That
Wouldn‘t Satisfy“, das einem am
längsten in Erinnerung bleibt. Hier
hört man den vom Leben gebeutelten Bluesman, der letztlich nur seine
Musik hat, die ihm die Kraft zum
Leben gibt.
Roots
Wenn man ehrlich ist, waren die
großen Zeiten Johnny Winters im
Plattenstudio nach „Let Me In“
eigentlich vorbei. Klar, die Fans
warteten immer wieder auf neues
Material. Und für „I‘m A Bluesman“
hatte Winter 2004 nochmals eine
Grammy-Nominierung bekommen.
Doch was 2011 unter dem Titel
„Roots“ veröffentlicht wurde, war
dann doch eine ziemlich gelungene
Überraschung: Eine All-Star-Session
und eine Lehrstunde zur Geschichte
des Blues. Winter hat von Robert
Johnson („Dust My Broom“) über
T-Bone Walker (T-Bone Shuffle)
und Chuck Berry („Maybellene“) bis
hin zu Little Walter („Last Night“)
und Jimmy Reed („Bright Lights,
Big City“) einen Rückblick auf die
Musik seiner Jugend zusammengestellt. Und dass er diese Sachen besser
als die meisten weißen Gitarristen
seiner Zeit spielen kann, ist bekannt.
Spannend wird „Roots“ allerdings
vor allem - und das kann man als
Manko oder als Empfehlung sehen durch die Beiträge der Gastmusiker.
Und hier ist die Riege länger als
das Album selbst: So gibt Sonny
Landreth dem T-Bone-Shuffle seine
patentierten Slide-Sounds. Und John
Popper lässt Little Walters Ballade
„Last Night“ regelrecht erstrahlen.
Auch Derek Trucks, Vince Gill oder
Produzent Paul Nelson brauchen
sich hinter Winters Gitarrenspiel
nicht zu verstecken. Insgesamt
hat sich Winter selbst für meinen
Geschmack ein wenig zu sehr
zurückgehalten und den Gästen die
Chance gegeben, zu glänzen. Aber
auch so ist „Roots“ ein mehr als
erfreuliches Album geworden.
True To The Blues. The Johnny Winter Story
Eine so lange Karriere wirklich angemessen zu würdigen, ist selbst bei
einem Boxset nicht wirklich einfach.
Aber die Arbeit hat sich gelohnt.
Denn hier wurden Aufnahmen
von nicht weniger als 27 Alben
zusammengesucht, die Winter für
die verschiedensten Firmen veröffentlicht hatte im Laufe der
Jahrzehnte. Und es werden sowohl
Studioaufnahmen als auch eine
große Zahl an Live-Mitschnitten
versammelt, die Winters unvergleichliche Bühnenpräsenz und sein
19
teils atemberaubendes Gitarrenspiel
eingefangen haben. Und das geht
vom in Woodstock aufgenommenen „Leland Mississippi Blues“ über
das Atlanta Pop Festival 1970 (mit
drei bislang noch unveröffentlichten Stücken) bis hin zum 1993er
30th Anniversary Concert von
Bob Dylan, wo Winter begleitet
von Booker T & The MGs dessen
Highway 61 Revisited elf Minuten
lang zelebrierte.
Auf den vier CDs hat man beide
Seiten von Winter: den deftigen,
ohne Bremsen und Sicherheitsgurt
dahinrasenden Bluesrocker, aber
auch den in sich gekehrten Bluesman
auf der National Steel, man hört ihn
gemeinsam mit Muddy Waters, Rick
Derringer und Bruder Edgar ebenso
wie mit Derek Trucks. Ja, es ist
möglich, die ganze Vielfalt Johnny
Winters in eine Box zu packen. Und
man hat den Vorteil, dass von den
zahlreichen schwächeren Alben, die
im Laufe der Jahrzehnte auch veröffentlicht wurden, nur die guten
Tracks hier Aufnahme gefunden
haben.
Wasser-Prawda | Juli 2014
20
Biografie
BOBBY WOMACK
( 194 4 - 2 0 1 4 )
FÜR DEN SOMMER HATTE
BOBBY WOMACK EINE
TOUR DURCH EUROPA
GEPLANT. DOCH AM 27. JUNI
STARB DER SÄNGER UND
SONGWRITER, BEI DEM
VOR WENIGEN JAHREN
Wasser-Prawda | Juli 2014
ALZHEIMER DIAGNOSTIZIERT
WORDEN WAR.
Als 2012 nach mehr als zehn Jahren wieder ein Album
von Bobby Womack erschien, da jubelte man über eines
der großen Comebacks der Soulmusik. Produziert von
Damon Albarn, mit dem Womack schon bei den Gorillaz
zusammengearbeitet hatte, war „The Bravest Man In The
Universe“ keines der Retro-Soul-Werke, die man vielleicht erwarttet hätte. Die vom Leben und zahlreichen
Biografie
Schicksalsschlägen gezeichnete
Stimme wurde kontrastiert von
elektronischen Soundteppichen. Die
Botschaft Womacks ist allerdings die
Gleiche wie schon in den 70er und
80er Jahren: Liebe und Bereitschaft
zur Vergebung sind die Kräfte, auf
die es in der Welt ankommt. Man
kann ihn getrost als Prediger begreifen wie etwa auch Marvin Gaye
letztlich einer war und Al Green
noch immer einer ist. In genau dieser
Linie spielen seine Lieder auch im
Jahre 2012. Da macht es überhaupt
keinen Unterschied, ob da klassische Gospel wie „Deep River“ oder
gegenwärtige Lieder wie „Dayglo
Reflection“ erklingen.
Geboren wurde Bobby Womack am
4. März 1944 als dritter von fünf
Brüdern. Schon bald wurde den
musikalischen Eltern das musikalische Talent ihrer Söhne deutlich. So
gründete Vater Friendly schon in den
50er Jahren The Womack Brothers.
Als deren erste Single „Buffalo Bill“
erschien, war Bobby gerade mal zehn
Jahre alt. Sam Cooke entdeckte die
Gruppe, als er selbst noch bei den
Soul Stirrers sang und wurde zum
Mentor der Jungen. Als Cooke
dann seine eigene Plattenfirma SAR
Records gegründet hatte, nahm er
The Womack Brothers unter Vertrag.
Unter dem neuen Namen The
Valentinos produzierte er mit ihnen
ihre erste Hitsingle „Looking for a
Love“. Diesen Song hatten sie unter
dem christlichen Text „„Couldn‘t
Hear Nobody Pray“ schon mal für
die Gospelfans aufgenommen. Jetzt
bot der Hit die Möglichkeit, gemeinsam mit James Brown auf Tour zu
gehen.
Bis zum nächsten Hit dauerte es
dann ein paar Jahre. Das von Bobby
mitverfasste „It‘s All Over Now“
kam 1964 heraus. Allerdings wurde
es bekannter durch die Version der
Rolling Stones, die damit ihren
ersten Nummer 1 Hit hatten. Bobby
hatte 1963 begonnen, als Gitarrist
mit Cooke auf Tour zu gehen. Auch
spielte er seine Gitarre auf Alben
wie „Night Beat“ oder „Ain‘t That
Good News“. Für ihn und für die
Valentinos kam es einem Schock
gleich, als im Dezember 1964
Sam Cooke in einem Hotel in Los
Angeles erschossen wurde.
Vollends zum Stillstand gebracht
wurde die Karriere der Valentinos
allerdings, als Bobby nur wenige
Monate nach Cookes Beerdigung
dessen einige Jahre ältere Wittwe
heiratete. Die Fans von Cooke vermuteten Abzocke bei Womack, der
sich ursprünglich eigentlich nur
um die verzweifelte Ehefrau hatte
kümmern wollen. Doch sie überredete ihn zur Hochzeit und ließ
ihn dabei sogar einen von Cookes
Anzügen tragen.
The Valentinos nahmen nach dem
Ende von SAR einige Singles für
Chess auf. Doch auch wenn die
musikalische Qualität von Songs
wie „I Found A True Love“ oder
„Sweeter Than The Day Before“
völlig außer Frage stand, verkauften
sich die Stücke nicht.
Neben seiner Arbeit als Gitarrist für
Ray Charles, Joe Tex oder Aretha
Franklin war Womack längst zu
einem der ganz wichtigen Songwriter
des Soul gewurden. Unter anderem
Wilson Pickett brachte seine Lieder
21
in die Hitparaden. Als Solist dauerte
es für Womack ein wenig, bis er
wieder in die Charts kam. Erst 1968
hatte er mit souligen Versionen von
„California Dreaming“ und „Fly
Me To The Moon“ wieder Erfolge.
Daneben arbeitete er jetzt auch mit
Sly and the Family Stone und Janis
Joplin zusammen.
Der große Erfolg kam dann ab 1972
mit Alben wie „Communication“,
„Understanding“ und vor allem mit
dem Sountrack zu „Across 110th
Street“. Doch ab Mitte der 80er
Jahre kam die Karriere vor allem
durch Womacks Drogensucht
fast zum Stillstand. Jedenfalls so
lange, bis er für die Gorillaz „Stylo“
gemeinsam mit Mos Def einsang.
Man hatte ihm gesagt, er könne
hier alles singen, was ihm durch den
Kopf ging. Und so hat er eine wilde
Predigt über Liebe und Politik vom
Stapel gelassen. Und gleichzeitig die
Grundlagen für sein Comeback mit
„The Bravest Man On Earth“ gelegt.
Weitere Alben sollen in Vorbereitung
gewesen sein, so etwa ein Bluesalbum,
wo Zusammerarbeiten mit Stevie
Wonder, Snoop Dogg und Rod
Stewart geplant waren.
Allerdings wurde er immer wieder
durch gesundheitliche Probleme
gebremst. Neben der AlzheimerErkrankung litt Womack in den
letzten Jahren unter verschiedenen
Krebserkrankungen und diversen
anderen Krankheiten.
Raimund Nitzsche. Foto: bobbywomack.com.
Wasser-Prawda | Juli 2014
22
MUSIK
GERMAN BLUES AWARDS
UND GERMA N BLUES
CHALLENGE 2014
DIE NOMINIERUNGEN
VOM 1. BIS ZUM 31.
JULI LIEF DIE ONLINEA B S T I M M U N G
Ü B E R
D I E
PREISTRÄGER FÜR
DIE DIESJÄHRIGEN
GERMAN BLUES
AWARDS UND DIE
TEILNEHMER AM
FINALE DER GERMAN
BLUES CHALLENGER
2014, DAS AM 20.
SEPTEMBER
IN
EUTIN STATTFINDEN
WIRD.
Vergeben werden die Preise in zehn
Mike Seeber gewann die GBc 2013
Kategorien. Hinzu kommen noch
Ehrenpreise, über deren Vergabe auch in Deutschland gibt es groß- ganz zu schweigen. Klar, dass
der Baltic Blues e.V. als Träger artige Musikerinnen und Musiker, man diese regelmäßig unter den
die mit ihrer Musik den Blues am Nominierten für Preise finden
entscheidet.
Leben halten und ihm ihre ganz kann. Aber unter den Vorschlägen,
Über Wettbewerbe und Musikpreise eigene Stimme geben können.
die rund 100 Journalisten, Musiker,
kann man immer wieder treffVeranstalter und andere Fachleute
lich streiten. Aber für mich ist das Bands wie B.B. & The Blues Shacks für die German Blues Awards
in Sachen Blues eigentlich keine oder das Duo Schroeter/Breitfelder machen, kann man immer wieder
Frage mehr: Jede Möglichkeit, den sind mittlerweile auch internati- auch Künstler entdecken, die bislang
Blues in den Medien präsenter zu onal sehr erfolgreich. Von einem eher regional erfolgreich sind - die
machen, sollte man nutzen. Denn Gitarristen wie Henrik Freischlader aber eigentlich so gut sind, dass man
Wasser-Prawda | Juli 2014
MUSIK
das schleunigst ändern sollte.
So kann man auch in diesem Jahr
wieder Greyhound George auf
die Liste finden. Auch Christiane
Uff holz ist als Sängerin bislang eher
im Osten bekannt als überall, ebenso
ein großartiger Harpspieler wie
Bernd Kleinow. Und wer bitte jenseits
der ostdeutschen Braunkohlereviere
kennt den Club „Quetsche“ in
Weißwasser? Und ein Festival wie
das in Hamburg-Volksdorf könnte
man als Lehrbeispiel dafür nehmen,
wie man mit begrenzten Mitteln
über Jahre hinweg ein immer wieder
spannendes Programm gestalten
kann.
Die Entscheidungen für die
Teilnehmer bei der German Blues
Challenge ist vor allem auch eine
über die Live-Qualitäten der Bands
oder Musiker: Wie schaffen sie es,
in begrenter Zeit vor einer Jury ihre
Musik so zu präsentieren, dass es die
Leute von den Hockern reisst?
Von folgenden zehn Bands werden
fünf am 20. September in Eutin um
den Sieg kämpfen - und damit um
die Chance, als deutsche Vertreter
bei der European Blues Challenge
und auch der International Blues
Challenge in Memphis zu spielen:
• Aufstand Alter Männer
• Bernd Rinser - RootsRock
• Dynamite Daze
• It´s M.E.
• Jessy Martens Band
• Joris Hering Blues Band
• Kai Strauss Band
• Marius Tilly Band
• Schwarzbrenner
• Willi Lohmann Kapelle
Hier die Liste der Nominierten
in sämtlichen Kategorien für die
German Blues Awards:
•
•
•
•
•
Kategorie Band
BB & The Blueshacks
Henrik Freischlader Band
Jessy Martens Band
Jimmy Reiter Band
Kai Strauss Band
•
•
•
Kategorie Solo/Duo
Abi Wallenstein
Georg Schroeter & Marc
Breitfelder
Greyhound George
Ignaz Netzer & Thomas Scheytt
Postel & Pötsch
•
•
•
•
•
Kategorie Gitarre
Andreas Arlt
Hendrik Freischlader
Jan Hirte
Richie Arndt
Timo Gross
•
•
Kategorie Mundharmonika
• Adam Sikora
• Bernd Kleinow
• Chris Kramer
• Dieter Kropp
• Marc Breitfelder
Kategorie Instrument, sonstige
• Henning Hauerken, Bass
• Mo Fuhrhop, Hammond
• Oliver Kraus, Akkordeon
• Thomas Feldmann, Saxophon
• Tommy Schneller, Saxophon
23
Kategorie Gesang weiblich
• Alegra Weng
• Christiane Ufholz
• Jessy Martens
• Martina Maschke
• Nina T. Davis
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Kategorie Tonträger
Chicago Blues - Chris Kramer
For In My Way It Lies - Jesper
Munk
Hanging By A Thread - Cologne
Blues Club
Landmarks - Timo Gross
Night Train to Budapest Henrik Freischlader
Kategorie Club
B a r n a b y s B l u e s B a r,
Braunschweig
Downtown Bluesclub, Hamburg
Harmonie, Bonn
Meisenfrei, Bremen
Quetsche, Weißwasser
Kategorie Festival
Blues in Lehrte, Lehrte
Blues Schmus Apfelmus,
Laubach
Gaildorf Blues Festival, Gaildorf
Grol sc h Blue s Fe st iva l,
Schöppingen
Volksdorfer Blues Festival,
Hamburg
Kategorie Gesang männlich
• Abi Wallenstein
• Dr. Will
• Kai Strauss
• Michael Arlt
• Todor Todorovic
Wasser-Prawda | Juli 2014
24
MUSIK
HELDEN DES BLUES:
DRINK SMA LL
VON BERND KREIKMANN UND GAIL WILSON GIARRATANO
Wir haben uns vorgenommen, in unregelmäßigen Zeitabständen diejenigen Frauen und Männer
vorzustellen, die bei uns nicht oder kaum bekannt
sind, aber einen erheblichen Beitrag zum Blues und
seiner Entwicklung geleistet haben und/oder dies
noch immer tun.
Es sind herausragende Künstler die wir vorstellen werden.
Einige von ihnen sind nicht über ihre topographischen
Grenzen hinausgekommen, viele haben nicht die notwendige Marketingunterstützung erhalten, manche sind
als „Künstler der Künstler“ bekannt geworden. Das ist
eine nette Umschreibung dafür, daß sie hervorragende
Musiker sind, bei denen die „Großen“ gern und regelmäßig vorbeikommen um sich etwas abzuschauen und
dazuzulernen – der wirtschaftliche Erfolg und die breite
Anerkennung allerdings ausbleiben.
Wir wollten die Reihe mit der großartigen Trudy
Lynn beginnen, haben uns aus aktuellem Anlaß dann
aber doch dazu entschlossen, daß die South-Carolina
Legende Drink Small als Opener auftritt.
Richtig gehört: DRINK SMALL, mit anderen Worten
– Trink wenig. Das ist sein Name. Wie der entstanden
ist, werden wir noch herausfinden. Seinen Beinamen
<Blues Doctor> erklärt Lesley Williams in der von der
großartigen Gail Wilson Giarratano geschriebenen und
weiter unten zu lesenden Drink Small Biographie.
Elfi, die mit Drink Small eine sehr enge Freundschaft
pflegt und in deren Club er heute noch regelmäßig auftritt, wird über gemeinsame Erlebnisse berichten und
weitere Photos beifügen.
Drink Small hat ein derart interessantes und abwechslungsreiches Leben geführt, daß ihn seine Freunde
gedrängt haben, seine Biographie zu schreiben. Gail
Wilson Giarratano hat ihn hierbei unterstützt und das
Wasser-Prawda | Juli 2014
Buch geschrieben.
Es soll jetzt zunächst in einer 500er Hard-Copy-Auflage
erscheinen und wie üblich ist die Frage der Finanzierung
zu klären. Gail hat hierzu ein Kickstarter-Projekt angeschoben, das seit wenigen Tagen im Netz zu finden ist.
Man kann sich mit einer Spende beteiligen, wie bei
Kickstarter üblich, gibt es für bestimmte Beträge die
Zusage einer Gegenleistung. Die Einzelheiten sind der
Projektbeschreibung zu entnehmen, die Risiken bei
Kickstarterprojekten sind nachlesbar.
Drink Smalls Biographie:
Drink Small wurde 1933 in Bishop SC geboren. Als
Kind lernte er das Orgelspiel (zu Hause) und baute sich
seine erste Gitarre mit Stahlseilen, die er aus dem Inneren
eines alten Autoreifens schnitt. In der Highschool trat
er in den Chor ein und gründete bald seine eigene
Gospel Gruppe. Als Teenager verbrachte er seine Zeit
mit Highschool Gruppen, spielte Klavier und sang im
Baptist Church Chor. An den Wochenenden spielte er
Bluesmusik auf Parties.
1955 schloss er sich der Gospelgruppe Spiritualaires an,
der er bis 1959 angehörte. Er spielte diverse Alben mit
ihnen ein und sammelte Tour-Erfahrungen.
Nach der Auflösung der Gruppe begann Small mit dem
Aufbau seiner eigenen Karriere als Bluesmusiker und
spielte erste eigene Aufnahmen ein.
Er trat überwiegend auf College-Veranstaltungen auf
und entwickelte in dieser Zeit sein Repertoire, seinen
Stil und festigte seine Bühnenpräsenz.
Das Beherrschen verschiedener Stile des Blues und
bluesbasierter Musik trugen ihm den Beinamen „Blues
Doctor“ ein.
Die Kulturwissenschaftlerin Lesley Williams schreibt
in ihren Liner Notes zum Album „Drink Small, Does
MUSIK
25
Wasser-Prawda | Juli 2014
26
MUSIK
it all“:
Small became „a practitioner who would minister
to his audience, the Blues Patients. … Diagnosing
their particular ailment. Then, selecting from
ingredients that include Blues in its many forms
– Piedmont, Delta, Chicago, Boogie-Woogie – he
can concoct just the right prescription.“
In den letzten vier Jahrzehnten des zwanzigsten
Jahrhunderts und bis heute tourte Klein durch Clubs
in USA und Europa, spielte auf Festivals und bei verschiedenen Events.
Drei Mal trat er beim New Orleans Jazz and Heritage
Festival auf, zwei Mal beim King Biscuit Blues
Festival, beim Chicago Blues- und Mississippi-ValleyBlues-Festival (hinzu kommen: Smithsonian Folklife
Festival, Port Townsend Washington Acoustic Blues
Festival, Border Festival in El Paso, Wolftrap Farms,
Weltausstellung in Knoxville TN, Lincoln Center,
Central Park sowie zahlreiche Stadtfeste, Nachtclubs
Wasser-Prawda | Juli 2014
und kleinere Clubs).
Small nahm für die Labels wie Ichiban, Mapleshade,
Sharp und Erwin auf. Stilistisch bewegt er sich im
Blues-, Soul und Funk Genre. Es liegen Alben mit Cover
Songs und Eigenmaterial vor. In letzteren verarbeitet
er Erlebnisse und Erfahrungen aus seinem Leben in
South-Carolina.
Sein Album „The Blues Doctor“ wurde 1986 für einen
W.C. Handy Award nominiert. 1990 erhielt Small
für seine herausragende Rolle bei der Erhaltung des
Piedmont Blues den South Carolina Folk Heritage
Award und wurde in die South Carolina Hall of Fame
aufgenommen. 2003 nahm er dann sein bislang letztes
Album mit Piedmont Blues und klaviergestützten
Gospel Songs auf. Es verbindet Blues und Gospel mit
Smalls eigenen Stil.
Gail Wilson Giarratano
MUSIK
27
King Size Slim oder doch lieber eine All Star Revue?
ALL-STARS SIND DIE
NEUEN STARS
DARREN WEALE’S 9. BRIEF AUS DEM VEREINIGTEN KÖNIGREICH
auszugehen und live gespielt die Musik zu hören, mit
denen man aufgewachsen ist. Das ist oftmals ziemlich
gut, wenn die originalen Künstler nicht auf Tour oder
ihre Karten zu teuer sind. Oder auch wenn man sie
Was für Bands gehören live zu den beliebtesten? Im niemals mehr live erleben kann, weil sie schon gestorVereinigten Königreich zumindest sind das Tribute- oder ben sind.
Cover-Bands. Gruppen also, die den Leuten erlauben,
Das ist verständlich, macht es aber für neue, eigenständige Acts schwierig. Um die alten, eigenständigen
*
Article in English on page 134.
WELCOME TO THE LETTER
FROM THE UNITED KINGDOM!*
Wasser-Prawda | Juli 2014
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MUSIK
Acts mal gar nicht zu erwähnen! Beide Arten von
Künstlern machen großartige neue Musik, bekommen aber nicht das Publikum, dass sie verdienen. Wie
viele Generationen von Fans haben so schon verpasst,
die nächsten Rolling Stones zu entdecken, die nächsten The Who, den nächsten B.B. King - eben weil sie
lieber losgehen und das immer gleiche Alte anschauen?
Zu viele. So müssen in Großbritannien Musiker wie
Albany Down, Andy Twyman, Kingsize Slime, Zoot
Money‘s Big Roll Band oder The Downliners Sect vor
kleinem Publikum in kleinen Läden spielen. Viele von
ihnen haben wildes aber auch altes Talent, andere sind
leuchtende neue Hoffnungen für den Blues. Aber die
Coverbands machen mehr Geld und werden von mehr
Leuten gesehen. Ist das nicht seltsam? Von dem was
ich höre ist es auch in den USA nicht viel anders. Und
so können wir Acts wie Moreland & Arbuckle oder
Michael Katon hier im Vereinigten Königreich (und
auch in Deutschland) erleben, wie sie ihre Brillanz
präsentieren.
Was machen also eigenständige Bands und Musiker,
um mit dem Problem umzugehen? Eine Route, die
zur Zeit vielbefahren scheint, ist die Gründung von
Super-Groups oder All-Star-Bands. Royal Southern
Brotherhood ist schon als Super-Group beschrieben
worden, weil ein Sohn von Greg Allman, einer der
Neville Brothers und altgediente Musiker wie Mike
Zito dazu gehörten. Eine Super-Group? Ich bin mir
nicht sicher. Aber einiges von ihrer Musik ist tatsächlich super. Und dann gibt es da die All Stars. Nicht
immer bestehen sie aus geläufigen Namen, doch oft
gehören zu ihnen einige ernstzunehmende Musiker mit
einer beeindruckenden Geschichte. Bei The City Boys
Allstars in New York spielen ‚Blue‘ Lou Marini und
Tom ‚Bones‘ Malone von der Blues Brothers Band neben
Schwergewichten aus Soul und Jazz wie Angel Rissoff
und Tony Kadleck in dem 13köpfigen Line-Up. Dann
gibt es im Vereinigten Königreich The John O‘Leary/
Alan Glen Allstar Blues Revue, deren Frontleute zeitweise bei Savoy Brown oder den Yardbirds gespielt
haben. Letztens hat auch der Bruder von Jool‘s Holland,
Chris die Chris Holland All-Star-Band gestartet. Und
wiederum gibt es darin Musiker mit beeindruckender Herkunft. Eine andere neue Band aus den Staaten
Wasser-Prawda | Juli 2014
ist The Original Legends of the Blues, zu der James
‚Boogaloo‘ Bolden gehört, der 34 Jahre lang die Band
von B. B. King geleitet hat. Auch Gitarrist Charlie
Dennis hat lange bei King gespielt. Wirklich ein ganz
ernstzunehmendes Talent.
Weißt Du, was großartig sein kann bei diesen neuen
(und alten) All-Star und Super-Gruppen? Klar: Sie
spielen bei ihren Auftritten Coverversionen. Aber die
meisten von ihnen spielen ihre eigene, neue und eigenständige Musik. Ist das nicht gleichzeitig ironisch und
wundervoll?
BE PROSPEROUS AND ENJOY
YOUR LIVE MUSIC AND ALL
THAT IS GERMAN!
LINKS
Alistair Cooke - www.bbc.co.uk/programmes/
b00f6hbp
Original Legends of the Blues - http://originallegendsoftheblues.com/
John O’Leary/Alan Glen Allstar Blues Revue http://www.thebarcodes.co.uk/Pages-Barcodes/
AllstarsRevue.html
City Boys Allstars - http://cityboysmike.com/
Royal Southern Brotherhood - http://www.royalsouthernbrotherhood.com/
Andy Twyman - http://andytwyman.com/
Kingsize Slim - http://www.kingsizeslim.com
Albany Down - http://www.albanydown.com/
Michael Katon - http://www.katon.com
Moreland & Arbuckle - http://www.morelandarbuckle.com/
Laura Holland Band - http://www.laurahollandband.
co.uk/
MUSIK
29
Emanuel Young & Howard Glazer
EMAN U E L YO U N G : O L D
S C HOOL B L U E S I N D E TR O I T
HOWARD GLAZER: BLUES, VIEWS & NEWS FROM DETROIT #2
HALLO AUS DETROIT! IN DIESEM
MONAT MÖCHTE ICH EUCH
EINEN SCHATZ AUS DETROIT
VORSTELLEN, DEN GITARRISTEN
EMANUEL YOUNG. YOUNG IST 75
JAHRE ALT, ABER NOCH IMMER
ERFOLGREICH! ER SINGT UND
SPIELT GROSSARTIG. ICH FÜHLE
MICH SEHR GEEHRT, DASS ICH
MIT IHM SO LANGE GEMEINSAM
ARBEITEN KONNTE BEI AUFTRITTEN
UND AUF SEINER CD „LIVE IN
DETROIT“ (EMANUEL YOUNG WITH
HOWARD GLAZER & THE EL 34S).*
*
english version on page 136
Wasser-Prawda | Juli 2014
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MUSIK
Als ich Emanuel erstmals 1999 traf, spielte er jeden
Sonntag in AL‘s New Olympia Bar, die auf der anderen
Straßenseite von dem Ort war, wo einmal Detroits altes
Olympiastadion war. (Neben Sportveranstaltungen gab
es dort auch viele Auftritte von Musikern - inklusive der
Beatles.) Wir haben uns von anfang an gut verstanden
und hatten immer Spaß dran, gemeinsam zu spielen.
Oft „klauen“ wir einander Gitarren-Licks. Er ist wie
eine Enzyklopädie von Gitarren-Licks. Und ich fühl
mich immer geschmeichelt, wenn ich höre, wie er eins
von meinen spielt. Emanuel und ich haben eine einzigartige Arbeitsbeziehung. Wir machen ständig Späße,
ich rufe ihn und sage: „Hey Maultier“ und er antwortet mit : „Was geht ab, Dracula?“ und damit beginnt
die Konversation. … Wir haben viele Shows gemeinsam gespielt, unter anderem sind wir gemeinsam 2008
nach Großbritannien gefahren, 2012 spielten wir jeden
Freitag in Detroits Greektown Casino und 2013 traten
wir bei Don Was‘s Detroit All Star Review im Concert
of Colours ebenso auf wie bei vielen Bar-Gigs und auf
Festivals in und um Detroit. Auch im Radio haben wir
gemeinsam live gespielt bei verschiedenen Gelegenheiten.
Emanuel griff zur Gitarre in den späten 1950ern und
hat sie seither nicht weggelegt. Nicht lange nach seinem
Beginn tat er sich mit John Lee Hooker zusammen.
Mit Hooker spielte er 1959 und 1960 fast zwei Jahre
lang zusammen. Aus der Zeit hat er einige großartige
Geschichten, eine meiner liebsten beginnt, als sie eine
Pause bei einem Auftritt hatten und John Lee ihm sagte:
„Nimm mein Auto und hole meine Freundin ab!“ …
Emanuel hatte keine Ahnung, dass Hooker verheiratet
war. Als er mit Hookers „Freundin“ beim Gig ankam,
war Hookers Frau Maudy aufgetaucht. (Vielleicht kennt
ihr Hookers Song „Maudy“!) Und sie war so wütend,
dass sie ihre Knarre rausholte und Emanuel, Hooker &
seine Freundin eine Gasse runterjagte und auf sie schoss.
Zum Glück war sie keine gute Schützin! In jenen Tagen
bekamen die Musiker etwa elf Dollar die Nacht und ein
Bier kostete nur 30 Cent.
Laden 2005 dicht machte. Das ist eines der am längsten laufenden Programme in der Musikgeschichte von
Detroit. Wenn die Bluesgrößen nach Detroit kamen,
dann kamen sie dorthin und jammten mit ihm: Albert
King, Howlin‘ Wolf und viele andere.
2007 trat ich mit Emanuel in The Halligan Bar in Detroit
auf. The Halligan (benannt nach der Brechstange, die
Feuerwehrleute benutzen um Dinge aufzubrechen,
wenn sie Feuer bekämpfen) war ein Treff punkt für
Detroiter Polizisten und Feuerwehrleute. Ich brachte
meine Aufnahmegerätschaften mit und machte einen
Live-Mitschnitt. Daraus wurde „Live In Detroit“ von
Emanuel Young with Howard Glazer & the EL 34s (so
hieß meine Band damals). Die CD wurde von Random
Chance Records in New York veröffentlicht und erhielt
fantastische Kritiken und wurde rund um die Welt im
Radio gespielt. Das Album kam bis auf Platz 10 der
National Living Blues Charts.
Wir hoffen, bald eine neue CD von Emanuel Young zu
veröffentlichen und hoffen ebenso, nach Europa zurück
zu kommen. Schaut aus nach Emanuel Young, Howard
Glazer und Harmonica Shah, die als „Detroit Legends
of the Blues“ auf Tour gehen werden.
„Live In Detroit“ ist noch immer erhältlich, allerdings
in begrenzten Stückzahlen, denn beim Label ist es vergriffen. Wenn Ihr es seht, solltet Ihr die Chance nutzen!
Emanuel hat keine Webseite, man kann ihn aber über
[email protected] kontaktieren.*
Mit seinen Old School Blues-Rhythmen und dem aus
den 50ern stammenden Sinn für Melodien ist für jeden
Blues- oder Musikliebhaber klar: Die Musik dieses
Mannes muss man hören, er fängt darin die Zeit ein,
als sich der Blues zu etwas entwickelte, was zum frühen
Rock & Roll wurde, was man heute ziemlich vergessen hat!
Ich hoffe, wenn Ihr das gelesen habt, nehmt Ihr Euch
Zeit, um sowohl Emanuel Young auf youtube zu suchen
als auch seine CD zu bestellen. Es gibt nur noch sehr
wenige Bluesmusiker der Alten Schule in Detroit. Und
wir sind sehr glücklich, dass Emanuel Young einer von
Emanuel spielte mit vielen der Legenden, unter anderem ihnen ist.
etwa mit Jimmy Reed und Albert King. Und er veranstaltete die Bluesnächte jeden Freitag und Samstag in
Cooley‘s Lounge in Detroits Osten von 1978 bis der
* Eine Rezension des Albums ist auf Seite 71 zu finden.
Wasser-Prawda | Juli 2014
MUSIK
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Aaron Burton mit Robert Jr. Lockwood in Helena Arkansas (Foto: Mari Vega)
WENN DAS RELIGION
IST, DANN SCHWÖRE
ICH , W I L L I CH K E I N E
GARY BURNETT ÜBER AARON BURTON UND DIE RELIGION.
Wasser-Prawda | Juli 2014
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MUSIK
Aaron Burtons 2013 erschienenens Album „The
Return of Peetie Whitestraw*“ (nicht zu verwechseln
mit dem frühen Bluesman Peetie Wheatstraw), ist ein
fantastisches Album mit Country-Blues, angetrieben
von Burtons exzellenten Slide- und akustischen
Gitarren und seinem sicheren und verständlichen
Gesang. Mit vierzehn selbstgeschriebenen Liedern
ist das Album ein Vergnügen. Behandelt werden
traditionelle Bluesthemen von untreuen Liebhabern, dem Dahintreiben lassen und dem Trinken.
Ein besonders interessanter Song findet sich in der
Sammlung: „If That‘s Religion“. Darin setzt sich
Burton mit einer Anzahl biblischer Themen oder
Interpretationen von der Bibel auseinander.
“The world was created in only seven days? And
Abraham’s willing to sacrifice his son?” singt er.
Also, “if that’s religion, I swear I don’t want none.”
Wir können wahrscheinlich mit Burtons Schwierigkeiten
sympathisieren und auch mit dem Widerspruch, den
er in seinem Lied äußert, dass Ereignisse wie 9-11
ein Hinweis auf die „letzten Tage“ seien. Sicher gibt
es Schwierigkeiten beim Lesen der Bibel, wenn man
annimmt, dass dieser altertümliche Text perfekt mit der
Wissenschaft des 21. Jahrhunderts in Übereinstimmung
gebracht werden kann - und wenn das nicht funktioniert, dass wir dann unsere Wissenschaft verleugnen müssen. Oder auch mit Lesarten, die davon ausgehen, dass die Bibel etwas sagen muss über Ereignisse
zu unseren Lebzeiten. Die Bibel war nie dafür gedacht,
uns etwas über Wissenschaft zu sagen oder über spezielle Ereignisse in unserer eigenen Geschichte. Und
das zu versuchen und sie in diese Rolle zu pressen, ist
sowohl wenig hilfreich und außerdem lenkt es vom
echten Verstehen ihrer Botschaft ab.
Das ist eine von Liebe und Gerechtigkeit. Die Bibel
erzählt die Geschichte von einer Welt, die sich in die
falsche Richtung entwickelt, eine Welt voll von Leiden
und Ungerechtigkeit. Und die Geschichte von Gottes
Plan, die Dinge richtig zu machen, seine Welt zu erlösen
und zu erneuern. Auch erzählt sie von der uns geboteten Möglichkeit, bei dieser Geschichte mitzumachen,
Gott zu erlauben, sie zu unserer eigenen Geschichte zu
*
Rezension auf Seite 55 , version in English on page 138
Wasser-Prawda | Juli 2014
machen und danach für Erneuerung und Gerechtigkeit
in Gottes Welt zu wirken. All dies wurde durch Leben,
Tod und Auferstehung von Jesus möglich. Doch Burton
findet die Vorstellung, dass Jesus von den Toten auferstand zu weit hergeholt, um sie zu schlucken.
Eine schwierige Idee, schon klar. Tote Menschen stehen
nicht auf. Aber wie auch immer wir die Geschichten des
Alten Testaments von der Schöpfung oder von Abraham
und Isaak oder der ethnischen Säuberung des Landes
durch Josua auch interpretieren: Alles steht oder fällt mit
der Wahrhaftigkeit dieser einen zentralen Geschichte
von der Auferstehung. Paulus schreibt, dass wenn der
Messias nicht auferweckt wurde, dann gäbe es keinen
Grund zu glauben, wir könnten genauso gut essen und
trinken und es uns gut gehen lassen. Für ihn, einen jüdischen Gelehrten und Eiferer, der die Lehren der neuen
christlichen Gruppe hasste, brauchte es solide Beweise.
Er hatte solche seinem Gefühl nach im Überfluss von
den Zeugnissen vieler Menschen, die den auferstandenen Jesus gesehen hatten und in seinem eigenen Erlebnis
auf der Straße nach Damaskus.
Wenn es bei Religion nur darum geht, die schwierigen Geschichten des Alten Testaments irgendwie in
ein modernes wissenschaftliches Weltbild zu pressen,
dann hat Aaron Burton Recht: „if that‘s religion, I
swear I don‘t want none.“ Aber wenn Jesus wirklich
vom Tode auferstanden ist, dann befindet sich die Welt
im Prozess der Verwandlung, und wir können teilnehmen an diesem Prozess. Wenn das Religion ist, dann
will ich auch welche.
MUSIK
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Howe Gelb (alle Fotos: Holger Schubert)
LAGERFEUERATMOSPHÄRE
A LA SONORAN DESERT
HOWE GELB & BAND AM 26. JUNI 2014 IM JAZZCLUB TONNE ZU
DRESDEN. EINE NACHBETRACHTUNG VON HOLGER SCHUBERT
Idealer kann man wohl kaum sitzen. Howe Gelb aus der
glühend heißen Wüstenmetropole Tucson/Arizona im
Südwesten der U.S. of A. agiert direkt vor mir. Seinen
Hut wie immer zu seiner „Abschirmung“ tief ins Gesicht
gezogen/geschoben, weiß er genau, was er tut. Wir
kennen uns nämlich recht gut! Zum einen von meinen
Besuchen in jener so bezauberten Region der Staaten und
damit natürlich auch verbundenen Konzertbesuchen
bei ihm und vielen anderen. Zum zweiten von diesem
unvergesslichen Highlight im Mai 2012: Rich Hopkins
Wasser-Prawda | Juli 2014
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MUSIK
Links: Gabriel Sullivan, Rechts: Maggie Bjorglund
mit Band spielt im Berliner Comet Club und Howe Gelb
promotet gleichzeitig im Magnet Club solo sein neuestes Album „Tucson“ (als Giant Giant Sand) nebenan.
Praktisch nur durch eine Wand getrennt! Beide sind vor
ihren jeweiligen Shows zu Gast bei Radio Eins in der
Sendung „Live aus dem Admiralspalast“. Howe Gelb
um 19 und Rich Hopkins 19.30 Uhr. Und der Situation
gebührend und angepasst: Nach der Radiopromotion
haben wir schließlich beide auf der Rückbank unseres
MB sitzen! Genial!
Zu erkennen gibt sich Howe freilich hier in Dresden
nicht gleich (erst nach dem Konzert). Macht nichts!
Schließlich ist Howe ein (introvertierter) SkorpionGeborener wie ich!
Nun jedoch zurück zum Geschehen im Jazzclub
Tonne – sehr einladend, in einem der Nobelviertel
Wasser-Prawda | Juli 2014
der sächsischen Landeshauptstadt gelegen und vom
Gelbschen Managment recht spät dazugebucht. Denn in
den diversen Kulturmagazinen der Stadt und Umgebung
kam ein Howe Gelb für diesen Tag nicht vor!
Schick gekleidet schaut sich der grau melierte EndFünfziger Howe Gelb immer wieder nach einem
Scheinwerfer um, der ihm wohl mächtig einheizt. Ist
es doch in dem kleinen kaum 100 Personen fassenden
Club recht schwülwarm – trotz im Außen herrschender Temperaturen, die mehr an Frühling als an Sommer
erinnern. Ersteres veranlasst ihn doch einige Male darauf
aufmerksam zu machen, dass es doch hier viel zu heiß
sei und es doch bestimmt besser wäre, outside on fresh
air weiter zu performen. Als ich jedoch einwerfe, dass
die Temperature „but not like in Tucson“ sei, entgegnet Howe freundlich, aber bestimmt: „Thank you!“ Ja,
MUSIK
Howe Gelb -großväterlicherseits aus Österreich abstammend- ist schon etwas Besonderes. In jeder Hinsicht!
Musikalisch mit der heutigen abendlichen Bandbreite
von Swing, über Rainer-Ptacek-Accords, Country-esk,
gehaucht bis ausufernd rockig. Alles ist dabei und fasziniert immer wieder auf’s Neue. Auch seine Bandmembers
sind wie immer „handverlesen“ und förmlich in jeder
Sekunde auf den Meister fokussiert. Man weiß ja nie,
was dem Genius gerade mal wieder spontan einfällt.
Ob er das Tempo wechselt oder gar im Song kurz innehält, um dann wieder -als sei das Normalität- den Faden
aufzunehmen und bis zum Ende abzuspulen. Plötzlich
stört ihn doch am hauseigenen Klavier –das bekanntermaßen mit zu seinen Lieblingsinstrumenten zähltder Notenständeraufsatz. Kurzerhand wird er entfernt
und liebevoll als eine Art Schrein an der Stagerückwand
wieder aufgebaut. Denn darum -„nur“ darum geht esjetzt kann Howe auch die mit den Klaviertasten verbundenen Strings im Innenleben erreichen, um sie immer
mal wieder mit seinem rechten Zeigefinger anzuschlagen und so wird/werden der Song/die Songs stilistisch
überzeugend modifiziert. Genial!
Im Tross seines Tour-„Gefolges“ spielt dieses Mal (wie
auch schon im März in Berlin) Gabriel Sullivan (der
auch diesen Abend als Support eröffnet) an der AkustikGitarre, am Schlagzeug und als Backing Vocalist aus
-ebenfalls- Tucson. An der Slide und den BackgroundVocals findet sich auf diesem Tourabschnitt die Dänin
Maggie Bjorglund. Außerdem ist auch eine gewisse
Marcela Watson dabei, die ich bereits seit mindestens 2008 von meinen Besuchen in den Staaten kenne.
Sie ist die Tochter von Winston Watson - Drummer
bei Bob Dylan Mitte der 90er Jahre und aktuell in
die Aufnahmesessions zum neuen Album von Howe
Gelb/Giant Sand integriert. Trotzdem bin ich für den
Moment etwas irritiert, da Howe sie für seine Tochter
ausgibt. Wer ihn jedoch näher kennt, weiß um diesen
Joke und er meint bestimmt „seine Tochter im Geiste“.
Marcella wohnt wohl gegenwärtig in Berlin und da
Howe direkt von dort kommt (Day off in einem der
zahllosen Hauptstadt-Studios), hat er sie gleich einmal
zeitweise mit in die Band integriert. Bei 2 oder 3 Songs
übernimmt sie nämlich das Drumplay, was jedoch
mehr einer Übungseinheit gleichkommt. Aber auch
35
das ist Howe Gelb! Übungseinheit? Und das bei einem
Howe Gelb, wo man nie weiß … Aber das hatten wir
schon! Trotzdem kommt das Ganze sympathisch! Howe
möchte -so mein Eindruck- Marcela wohl fördern, damit
sie später möglicherweise in die großen Fußstapfen ihres
Vaters treten kann. Schließlich sitzt besonders in den
Staaten eine Unmenge an Frauen hinter Drums und
tätigt einen prachtvollen Job. Da kann man Marcela
nur Glück wünschen! Talent jedenfalls hat sie.
Auch wenn der Abend ein ganz klein wenig zu kurz
gerät, überzeugt hat Howe Gelb nicht zum ersten Mal
und bei seiner Arbeitsintensität (er hat bisher mehr als
60 Alben in den verschiedensten Konstellationen veröffentlicht) bestimmt nicht zum letzten Mal. Ein schöner
unterhaltsamer Abend in „Lagerfeuer“-Atmosphäre, so
wie man ihn sich auch sehr gut bei Sonnenuntergang
in der Wüste Arizonas vorstellen kann.
Wasser-Prawda | Juli 2014
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MUSIK
Bob Dylan im Spectrum Oslo 30. März 2007 (Foto: Tore Utheim)
REIFE LEISTUNG
BOB DYLAN & HIS BAND, STADTHALLE ROSTOCK, 7. JULI 2014.
VON THOMAS HUNFELD.
ALS ICH MIT 13 MEINE
ERSTE GITARRE BEKAM,
WAR “BLOWIN´IN THE WIND“
(IN C-DUR – LOGISCH) DAS
ERSTE LIED WAS ICH AM
LAGERFEUER EINIGERMASSEN
BEGLEITEN KONNTE.
Als ich 16 war kam Robert Zimmermann a.k.a Bob
Dylan das erste Mal nach langer Zeit nach Europa –
im Gepäck Eric Clapton. Ein Freund von mir hatte
`ne Karte für das Festival übrig und rief meine Mama
an – die lehnte ab mit dem Hinweis, ich hätte ein
Wasser-Prawda | Juli 2014
Tennisturnier zu spielen: … Jaja Pubertät ist die Zeit
in der Eltern sich seltsam verhalten. …
Später wurde Dylan dann in meine GeschmacksMottenkiste gepackt – ging nicht wirklich ab, die
Mucke,
but don´t think twice – it´s
allright.
Als ich jetzt das Plakat sah, dachte ich : naja, bevor
er abtritt sollte er in der Sammlung „hab ich mal live
gesehn“ nicht fehlen.
Mit also eigentlich gar keiner Erwartung in Bezug auf
MUSIK
37
ein besonderes Erlebnis fuhr ich dann, mit zwei genau bietet, bin ich nicht sauer.
so alten Zauseln wie ich, nach Rostock und siehe da, die
Sache schien tatsächlich zu einer Ü-50 Party zu werden.
Abgesehen von einigen Teenagern die ihre Eltern beaufsichtigten (und zwar mit derselben Begeisterung wie
beim sonntäglichen Spaziergang).
Bob Dylan – hey, mußt Du
sehn … - Alta!
Aber: „Things have changed“! Mit diesem
Eröffnungsstück machte der Meister klar, daß man mit
73 auf einer „never ending tour“ wirklich noch was zu
bieten hat.
Schummerige Clubbeleuchtung, viel akkustisches
Instrumentarium (ich hätte dieses Konzert soooo gerne
in einem kleinen Theater gesehn - „The Last Waltz“ sei
erinnert) und eine fantastische Band sowie ein, dem
Mixer sei‘s gedankt, unerwartet guter Sound.
Das waren natürlich Ingredienzien für einen
Konzertabend zum Genießen. Und außerdem hatte ich
den Eindruck, dass Dylan wirklich, wie man so sagt,
gut drauf war: Er sang mit viel Verve und haute in die
Tasten (aus unerfindlichen Gründen hat er die Gitarre
beiseite gelegt), verschonte uns Connaisseurs sogar weitgehend vor Hamonikagejaule, gab dem Abend noch eine
gute Prise Blues dazu – Muddy Waters Style – und für
mich war‘s wirklich ganz groß.
Dylan ist nicht in den Sechzigern stehengeblieben, er
ist gereift, hat immer noch was zu sagen (nicht zu wiederholen) und gießt seine (eigentlich immer wunderbaren) Texte in ein Bad bester traditioneller amerikanischer Musik ohne altbacken zu klingen. Dabei hilft
ihm seine Band: Schlagzeug, zwei Gitarren, Bass und ein
Multiinstrumentalist mit wechselweise Pedal Steel oder
Banjo. Die Namen dieser Leute kann man nachlesen, ich
kann nur sagen: Charly Sexton an der Leadgitarre und
Du weißt Bescheid. (Alle anderen Bandmitglieder hatten
aber mindestens sein Niveau!) Das Programm besteht
aus vielen wunderbaren Perlen wie „Working Man´s
Blues“, „Forgetful Heart“, „Simple Twist of Fate“,
also nicht unbedingt die Schlager von damals – Danke!
Als er dann als Zugabe mit „All Along the Watchtower“
und - herrje - „Blowing in the Wind“, am Ende noch
zwei tatsächliche Neuinterpretationen seiner selbst
Thomas Hunfeld
ist Kinder-Orthopäde auf der Insel Rügen. Als Dr. T.
zählt er unter Kennern zu den besten Bluesgitarristen
in Deutschland.
Wasser-Prawda | Juli 2014
38
INTERVIEW
Wasser-Prawda | Juni 2014
INTERVIEW
39
KLEINE FRAU GANZ GROSS
ZAKIYA HOOKER AUF DEM 25. INGOLSTÄDTER BLUESFEST 2014. TEXT:
MARIO BOLLINGER. FOTOS: GERD LÖSER, MARIO BOLLINGER
Am Abend des 13. Juni stand Zakiya
Hooker mit ihrer Show „Boogie with
the Hook“ auf der Bühne der „Neuen
Welt“ in Ingolstadt. Begleitet wurde
sie von ihrem Mann Chris James
und Lee Sanders & Rad Gumbo.
Zum Soundcheck hatte ich die
Möglichkeit, Zakiya Hooker ein
paar Fragen zu stellen.
WP: Wie oft bist Du in Europa?
Zakiya Hooker: Ich bin regelmäßig
in Europa, aber leider nicht letztes
Jahr. Das Andenken an meinen
Vater öffnet viele Türen für mich.
WP: Wo kann man Dich demnächst noch hören?
Zakiya Hooker: Wir haben Shows
in Österreich und Kroatien. Auf
Split freue ich mich schon, weil das
eine sehr schöne Stadt ist. Da ich
nun nach 22 Jahren Gerichtsarbeit
seit einem guten Jahr in Rente bin,
habe ich mehr Zeit, um Konzerte
zu geben. Vorher war ich maximal
6 Mal im Jahr für ca 2 Wochen auf
Tour.
akzeptiert und es gibt für mich ein
konstantes Feedback von hier. Der
Blues ist vor allem in Spartenradios
des Internets präsent.
WP: Deine letzte CD stammt aus
dem Jahr 2009. Kannst Du uns
ein bisschen mehr über Deine
letzten Produktionen erzählen?
Zakiya Hooker: Nach dem Tod
meines Vaters John Lee Hooker
(NB: 21. Juni 2001) gab es erst mal
neun Erben, die befriedigt werden
mussten. Das hat mich sehr viel
Zeit und Kraft gekostet. Dann veröffentlichte ich 2004 das „Face
to Face“-Album als Reminiszenz
an meinen Vater. Dort hatte John
Lee noch einige Songs selbst eingespielt. Mit „Keeping it real“ möchte
ich das Erbe meines Vaters weiter
hochhalten.
WP: Wann können wir etwas
Neues von Dir erwarten?
Zakiya Hooker: Ich denke, ich werde
Ende des Jahres 2014 eine neue
JLH- Tribute-CD herausbringen.
Ich fühle mich als Erbin dazu verpflichtet, ohne ihn dabei zu kopieren. Das ist eh unmöglich ist. Sein
Stil ist zu einzigartig.
John Lee Hooker Foundation.
Meine Aufgabe ist, Geld für die
Stiftung zu sammeln. Wir möchten
Kinder unterstützen, die in schwierigen Umfeldern leben und denen wir
mit Musik eine Stütze geben wollen.
Wir haben mit einer Ortsgruppe in
der Bay-Area von Kalifornien und
in Buenos Aires gestartet und wir
versuchen jetzt, eine Ortsgruppe
im Mississippi-Delta zu öffnen.
Wir unterstützen Kinder mit
Musikinstrumenten, Seminaren
und Gesangscoaching. Es gibt sogar
einen John Lee Hooker Gospel
Chor. Wir möchten den Kindern
ein musikalisches Rüstzeug mitgeben. Denn wir glauben, dass Musik
helfen kann, depressive Phasen zu
überwinden und Positives zu erfahren und zu reflektieren. Mit selbstgemachter Musik kann man sich wohlfühlen und das Selbstwertgefühl
steigern.
WP: Was empfiehlst Du jungen
Musikern?
Zakiya Hooker: Seid konzentriert
und voller Hingabe bei dem, was
Ihr macht! Musik bereichert Euer
Leben. Räumt der Musik daher eine
Priorität im Leben ein!
WP: Wie steht Deiner Meinung
der Blues in USA aber auch weltweit da?
Zakiya Hooker: Die USA ist ein verhältnismäßig junges Land, da gibt es WP: Du bist in sozialen Projekten W P: Wie nahe oder wie weit
sehr viele verschiedene Strömungen. engagiert. Um was geht es da?
entfernt bist Du von John Lee
In Europa ist der Blues sehr Zakiya Hooker: Ich arbeite in der Hookers Musik?
Wasser-Prawda | Juni 2014
40
INTERVIEW
Zakiya Hooker: Ich bin der Musik
meines Vaters immer noch sehr nahe.
Es ist für mich immer noch einerseits zeitgenössische oder gegenwärtige Musik. Auf der anderen Seite
lässt sie mich an die Wurzeln der
Bluesmusik zurückkehren. Ich fühle
mich als Erbin der Musik von John
Lee Hooker. Man kann ihn nicht
kopieren, da er einzigartig war, aber
ich möchte das Gefühl seiner Musik
vermitteln.
WP: Wie positionierst Du Deine
Musik?
Zakiya Hooker: Ich lebe und musiziere in der Tradition meines Vaters.
Ich bin damit aufgewachsen, ich
saß immer in der ersten Reihe bei
seinen Konzerten. Wenn ich Musik
im Kopf habe, dann sind es die Riffs
meines Vaters.
W P: Welche musika lischen
Einf lüsse hattest Du noch in
Deinem musikalischen Leben?
Zakiya Hooker: Ich mag Ella
Fitzgerald und Sarah Vaughan.
Ich mag auch Billie Holiday, aber
weniger ihre Stimme, sondern mehr
ihre Art zu singen.
WP: Kannst Du uns Deine Band
von heute Abend vorstellen?
Zakiya Hooker: Nun, da ist mein
Mann Chris James. Er hat viel mit
meinem Vater Musik gemacht und
ist eigentlich Bassist. Heute singt er.
Hm, und dann.. (NB: Nach einer
kleinen Denkpause musste Zakiya
Hooker zugeben, die Support Band
Rad Gumbo gerade mal mit dem
Vornamen der Musiker zu kennen,
da sie gerade mal seit ein paar Tagen
zusammen sind. Der Vollständigkeit
halber sei erwähnt: Robert „Dackel“
Wasser-Prawda | Juni 2014
Hirmer - acc, vocals + Gerhard
Spreng - drums + Erwin Schmidl bass + Frank Folgmann - guitars +
John Lee Sanders- vocals, keyboard
and sax)
W P: Spielst Du auch ein
Instrument oder bist Du nur
Sängerin:
Zakiya Hooker: Eigentlich bin ich
nur Sängerin aber seit einiger Zeit
nehme ich Gitarrenunterricht. Ich
habe eine Baby Taylor und vielleicht
bringe ich sie das nächste Mal schon
mit.
WP: Wir möchten in der WasserPrawda ein Projekt starten.
Ich habe die Vinylversion von
„Hooker‘n‘Heat“ und seit neuesten auch die CD-Ausgabe.
Diese Aufnahmen sind voll mit
Gesprächsfetzen zwischen JLH
und Canned Heat vor oder nach
einem Song. Kannst Du uns
helfen, die Texte und Gespräche
sinngemäß zu verstehen, damit
wir sie übersetzen können?
Zakiya Hooker: Das mache ich
gerne. Du darfst mich gerne dazu
kontaktieren. (Anmerkung von
Zakyias Ehemann Chris James: JLH
konnte weder lesen noch schreiben.
Er hat sein Leben mündlich erzählt
und daher sind solche aufgezeichneten Unterhaltungen sehr wichtig für
die Nachwelt.
Das Konzert:
Die „ Neue Welt“ ist ei n
kleines Lokal in Ingolstadt mit
Gasthausatmosphäre. Der Saal
fasst rund 100 Sitzplätze und war
ausverkauft.
Das Ingolstädter Bluesfest
Das Ingolstädter Bluesfest hat
dieses Jahr ein Jubiläum zu
feiern. Walter Haber hat das 25.
Bluesfest organisiert und auch
dieses Jahr eine illustere Schar von
Bluesprominenz und Bluesexotik
engagiert: So gab es bereits RJ
Micho zu hören, am 17.6. stand
Zakiya Hooker mit ihrer Show
Boogie with the Hook auf der
Bühne und am 24.7. ist Otis
Taylor zu bewundern. Der dramatische Gesundheitszustand
von Walter Trout macht sein
Konzert natürlich unmöglich.
Wir wünschen ihm von hier beste
Genesung. Zu den Bluesexoten
gehören etwa die Foghorn String
Band und BabaJack. Auch darf
das Lokalkolorit mit Willy Michl
und den Hampel Brüdern nicht
fehlen. Zehn Jahre dauert es
manchmal, bis die Verträge mit
einzelnen Musikern unterschrieben sind, erzählt mir Walter
Haber. Er verfolgt keine spezielle Linie bei der Auswahl, da
das Erscheinen der Musiker zum
Bluesfest letztendlich von deren
Tourkalender abhängt. Profitabel
ist das Ganze so und so nicht, man
muss mit Herz und Seele dabei
sein und eine Möglichkeit finden,
das Ganze gegen zu finanzieren.
INTERVIEW
Als Opener gehen John Lee Sanders
und Rad Gumbo auf die Bühne.
Rein optisch erinnert John Lee erst
mal an Stevie Ray Vaughan. Und
als er dann mit Singen anfängt,
hört man gleich seine Beziehung
zum Louisiana Sound. Hier läßt
Dr. John grüßen. Zu Beginn
spielen sie ein paar Stücke aus der
neuen CD „John Lee Sanders meets
Rad Gumbo“. Dann kommt Chris
James dazu und singt John Lee
Hookers „Boom Boom Boom“ als
Einstieg. Diese Version klingt nun
leider eher wie „Green Onions“.
Aber man bekam an diesem Abend
keine Coverversionen von John Lee
Hooker zu hören, sondern eigenständige Interpretationen seiner Songs
ganz nach dem Stil der jeweiligen
Sänger. Hier standen im Endeffekt
drei Sänger und eine Sängerin auf
der Bühne und machten daraus
eine sehr spannende Angelegenheit.
Im ersten Teil waren John Lee und
Robert „Dackel“ Hirmer mit ihrem
Zydeco-Sound zu hören. Chris James
kommt ursprünglich aus der Soulund R&B-Ecke. Der Headliner des
Abends ist aber die zierliche Zakiya
Hooker und auch ihre Stimme
hat ihren eigenen Charakter. Sie
singt den Blues mit einer jazzigen
Färbung, die von ihren Vorbildern
wie Ella Fitzgerald beeinflusst ist.
Der ganze Abend steht unter dem
Motto „Boogie with the Hook“ und
Zakiya und ihre Mitstreiter ziehen
neue und alte Songs von JLH aus
dem Hut: „Dangerious Mood“, „In
the Mood“ etwa. Doch auch eine
superfunky Version von Robert
Johnsons „Crossroad“ wird gespielt.
Zakyia und Chris erzählen viele
Anekdoten aus dem Leben von John
Lee Hooker, z.B. dass er nicht lesen
und schreiben konnte oder gelegentlich stotterte, dass sein Haus immer
voll mit Menschen war und er die
Frauen liebte. Der Song „Let me be
your little wheel“ ist eine der vielen
versteckten sexuellen Andeutungen
im Blues, vor allem wenn man den
Nachsatz bedenkt: ...until your big
wheel comes back...“ - Der Aufruf
zum Ehebruch!
Da es nicht ohne neuere Songs geht,
gab es auch „The Healer“ zum hören
- spannend kombiniert mit Carlos
Santanas „Oye come va“. Wir erinnern uns: John Lee Hooker hat sehr
geschickt Gastmusiker zu seinen
CD-Sessions eingeladen und war
damit kommerziell erfolgreich.
41
„Crawling King Snake“ kam in der
guten R&B Version, während die
Version von „One Bourbon One
Scotch One Beer“ doch ziemlich
glattgebügelt daherkam. Wer das
Original kennt, weiß aber, dass
man das einfach nicht Kopieren
kann. Als Schlußsong des 2. Sets
sang Zakiya „This is hip“ mit einer
tollen Jazzfärbung in ihrer Stimme.
Als Zugabe gab es mit Chris James
Jimmy Reeds „Big boss man“ wobei
Zakiya mit ihre Körpergröße kokettierte. Überhaupt ist Zakiya eine
sehr offenen und lustige Frau, die
ohne jegliche Berührungsängste aus
ihrem Lebensschatz erzählt. Als ultimativen letzen Song des Abends präsentierte Zakiya Hooker das Duett
„Healing Game“, das ihr Vater einst
mit Van Morrison gesungen hatte.
„Boogie with the Hook“ ist kein
Coverabend mit JLH Songs sondern
die Synthese von unterschiedlichen
Gesangstalenten, welche den Songs
von JLH immer einen eigenen
Stempel verpassten. Zakiya möchte
das Erbe von JLH in Ehren halten
und nachfolgenden Generationen
nahebringen.
Wasser-Prawda | Juni 2014
42
INTERVIEW
Schorsch Hampel (links) und sein Bruder Dr. Will (Mitte und rechts)
DIE L I C HT G E S TA LTE N
DES MÜ NC HEN E R
BLUES : D R . W I L L U N D
SCH OR S C H H A MP E L
TEXT: MARIO BOLLINGER. FOTOS: GERD LÖSER
Wasser-Prawda | Juni 2014
INTERVIEW
IM RAHMEN DER 25. INGOLSTÄDTER
BLUESFEST 2014 TRATEN DIE HAMPELBRÜDER ALS DIE „BAYERISCHEN BLUES
BROTHERS“ IN DER KLEINKUNSTBÜHNE
NEUE WELT AUF. DA DIE KOMBINATION
VON BLUES UND BAYERISCHER SPRACHE
ERKLÄRUNGSBEDÜRFTIG IST, HAT DIE WASSER-PRAWDA KURZERHAND SCHORSCH
HAMPEL UM EIN INTERVIEW GEBETEN. ALS
ERKLÄRUNG SEI GESAGT, DASS ICH DEN
SCHORSCH JETZT DOCH SCHON EINE WEILE KENNE UND WIR EIN INTERVIEW SEIT
LANGER ZEIT GEPLANT HABEN. SOWOHL
SCHORSCH HAMPEL WIE AUCH SEIN BRUDER DR. WILL SIND IN BAYERISCHEN RAUM
KEINE UNBESCHRIEBENEN BLÄTTER.
43
einen sehr guten Überblick über die gemeinsame Arbeit
der ungleichen Brüder. Die CD wird an andere Stelle
der Wasser-Prawda noch mal separat rezensiert.
Das Interview
WP: Für unsere nichtbayerischen Leser: Wer sind die
Hampelbrüder und wo kommen sie musikalisch her?
Schorsch: Wir kommen aus Münchens Neuhausen. Ich
selbst war jetzt über 10 Jahre mit der Bagasch zusammen.
Will: Ich habe mit 15 Jahren angefangen. Am Anfang
standen da New Wave Bands, in den 90ern kam dann
New Orleans dazu und seit 10 Jahren bin ich als Dr.
Will aktiv.
Schorsch: Es waren 10 Jahre bayerischer Blues mit
Schorsch hatte über 10 Jahre in der Formation Schorsch der Bagasch und es war ein viel gute Zeit dabei, aber
und die Bagasch gespielt und Dr. Will ist mit seiner in den letzten 2-3 Jahren hat es stagniert. Außerdem
Gruppe Dr. Will & the Wizards unterwegs. Mit der ist es so, dass man in unserer Liga mit 5 Musikern
CD Schorsch H. & Dr. Will - Together bekommt man nichts mehr verdienen kann und den Aufstieg in die
Wasser-Prawda | Juni 2014
44
INTERVIEW
Bundesliga haben wir mit bayerischen Texten nicht
schaffen können. Englische Texte möchte ich eigentlich nicht mehr machen. Es haben sich auch einige
Nummern bei mir angesammelt, die nicht in die
Bagasch passten und wo ich mir gedacht habe, dass ich
da mal eine Soloplatte machen muss, welche ich zur
Zeit auch mache. Außerdem ist eine Herausforderung,
weil ich vor dem Solo-Spielen am meisten Schiss habe.
Ich habe mir gedacht, jetzt bin ich über 60 Jahre alt,
und da muss ich es auch schaffen, ein Zeitlang alleine
zu spielen. Heute spielen wir als Trio. Wenn wir es uns
leisten können, nehmen wir auch einen Bassisten mit.
Es macht halt mehr Spaß, wenn mal einer Solo spielt
und man hinten ein bisschen Bass im Hintern spürt.
WP: Wie kommt es, dass die beiden Lichtgestalten
des Münchner Blues gemeinsame Sache machen?
Schorsch: Der Williams und Ich? (Bemerkung: Eigentlich
dachte ich an seinen Bruder Dr. Will, aber der Schorsch
drehte unbewusst das Gespräch in eine andere Richtung).
Das hat sich einfach so ergeben: Erst hat es geheißen,
dass nur einer von uns in den Film reinkommt, weil
noch der Willy Michl in den Film reingekommen wär.
WP: Der Boom-Boom Film?
Schorsch: Nein, da kommt jetzt ein Film, der heißt
Bavarian Vista Club und der geht über bayerische
Musiker. Da sollten auch bayerische Musiker vertreten
sein und es wäre der Willy Michl dabei gewesen und
es hieß, dass entweder der Schorsch Hampel oder der
Williams dabei ist. Unser Plattenpräsident von BSC
(gemeint war Christoph Bühring-Uhle, Geschäftsführer)
hatte dann die gute Idee, etwas zusammen zu machen.
es auch. Da ist mal eine Tom Waits Nummer dabei und
auch ein Stück von den Stones. Für mich ist der Blues eh
ein bissel offen. Bis auf ein Stück vom Will sind es alles
Coverstücke. Von mir stammt noch der „Boandlkramer“
und „Neili Früa am Moing“ und vom Will „The moon
is full again“
WP: Das Boom-Boom Video ging ja herum wie ein
Lauffeuer. Hat Euch das geholfen?
Will: Das ist schwer zu sagen. Ich weiß ja nicht, was passiert wäre, wenn wir es nicht gemacht hätten. Es gab viel
Komplimente und wir werden oft darauf angesprochen.
WP: Sollen wir das Video mal Zakyia Hooker
vorstellen?
Schorsch: Konnst scho macha!
WP: Ihr gebt Euch ja bewusst sprachlich bayerisch
…
Schorsch: Moment! Ich mach ja bayerisch und der Will
macht nach wie vor englisch, weil der kann englisch
und ich nicht.
WP: Und wie macht Ihr das im Duo? Will: Da muss
es durcheinander gehen
Schorsch: Da muss der Will mal deutsch singen und
ich englisch.
WP: Könnt Ihr Eure bayrischen Texte Eurem
Publikum auch Englisch nahebringen oder ist es
für Dich wichtig, dass es auf bayerisch gesagt wird?
Schorsch: Für mich ist es auf bayerisch wichtig. Ich
habe deshalb auf bayerisch angefangen, weil ich mit
den Texten dem Publikum näher sein wollte. Das hat
WP: Wie ist bei Euch im Duo die Aufgabenteilung? seine Vor- und Nachteile. Wir sind dann zwar lokal
Schorsch (lacht laut): Keine Ahnung! Auf alle Fälle ist etwas eingeschränkt, aber wir haben auch ein paar Mal
es so, dass mein Bruder die Produzentenseite hat. Das im Norden gespielt, die finden das immer exotisch und
machte er schon bei meiner letzten Bagasch-CDs und toll. Das ist jetzt auch nicht so das Problem.
auch jetzt bei meiner neuen Solo-Platte. Dafür hat er
WP: Kann man eine neue CD erwarten?
das totale Händchen. Bei der Schorsch H & Dr. Will:
Schorsch: Im Frühjahr 2015 kommt meine Solo-CD
Together haben wir uns einfach zusammengesetzt und
raus.
gesagt, dass wir unsere Lieblingslieder aufnehmen.
WP: Ist Bluesmusik für Euch Lebensunterhalt oder
WP: Ihr singt beide und der Will macht Drums?
Lebenselixier?
Schorsch: Ja, Percussion. Ich habe die ganzen Klampfen
Schorsch: Ab und zu ist sie drei Tage lang unterhaltgespielt, aber auch bissel Mundharmonika und Saxofon.
sam und Lebenselixier ist sie soundso.
Wir haben das Blues und Roots genannt, und das triff t
Wasser-Prawda | Juni 2014
INTERVIEW
WP: Könnt Ihr von der Musik leben?
Schorsch: Nein, nicht ausschließlich. Ich gebe noch
Gitarrenunterricht und arbeite für den Funk (NB:
Bayerischer Rundfunk). Wenn man zu Fünft unterwegs
bist, kannst froh sein, wennst den Sprit zahlen kannst.
Im Trio geht es schon eher, aber dann ist das blöd den
beiden Anderen gegenüber, die zu Hause bleiben müssen
WP: Eine Frage, die wir allen in- und ausländischen Musikern stellen - Wie würdet Ihr den Blues
in Deutschland positionieren?
Schorsch: Was heißt „positionieren“? Es ist halt eine
Nischenmusik, wie sie es immer war
45
Hochphase und auch die letzte Platten von John Lee
Hooker sind ja wirklich gelaufen. Ich denke, der Blues
wird immer sein Publikum haben. Das ist aber klein
und damit muss man halt leben.
WP: Derek Trucks redet von einer 15-jährigen Welle.
Wo stecken wir heute, oben oder unten?
Schorsch: Schwer zu sagen. Ich glaube, dass so was
wie Derek Trucks oder die Tedeschi Trucks Besetzung
eine Ausnahmeerscheinung ist und sie machen ja nicht
wirklich nur Blues, sondern da ist ja auch Soul und
Rhythm‘n‘Blues dabei, ist ja wunderschön. Der Mann
ist ein Supervirtuose und man darf auch nicht vergessen, dass er mit 13 Jahren schon angefangen hat.
WP: Gibt es ups and downs?
Schorsch: Ja klar, es hat halt immer Revivals gegeben. WP: Wo kann man Euch demnächst hören?
Bei mir hat das ja auch das Ende der 60er angefan- Schorsch (Lacht): Du, in 2 Stunden!
gen, wo das London Blues Revival war. Für mich war
einer der wichtigsten der Peter Green und als Stevie WP: Und danach?
Ray Vaughan aufgetaucht ist, war wieder eine kleine Schorsch: Am 3. August sind wir auf dem Festival
von D‘Amato, eine schöne Kneipe als ehemaliger
Wasser-Prawda | Juni 2014
46
INTERVIEW
Sportgaststätte mit großen Garten und Zelt zusammen WP: Was erwartet uns heute Abend?
mit 2 anderen bayerischen Acts.
Schorsch: Das ist eben das Blues und Roots Repertoire
von Will und mir. Wahrscheinlich kommt der San2
WP: Du wärst mir von ca. 2 oder 3 Jahren beinahe noch vorbei und spielt ein bisschen mit. Das geht dann
schon mal in Hamburg über den Weg gelaufen. so hin und her - Englisch und Boarisch!
Geht Ihr aus Bayern raus und werdet Ihr da auch
verstanden?
Das Konzert:
Schorsch: Nein, wir sind zwar mal zu einem Wettbewerb
hinter Kiel gevotet worden und haben vorher in Vor dem Konzert gesellte sich noch der Dritte im Bunde,
Hamburg auf einem Schiff gespielt. Ich mache auch Uli Kümpfel zu mir. Uli ist der Bassist, spielt in der
öfters was mit dem Krimiautor Friedrich Ani zusam- Veterinary Street Jazz Band und macht hauptberuflich
men, wo wir mal in Hamburg ein Krimiliteraturfestival Filmmusik. Ebenso wie die Hampel-Brüder hat er eine
mit Musik gemacht haben: Mit der Bagasch haben wir lange Vita im Dienste der Musik hinter sich. Heute
ein paar Mal beim Blues und Schmuss gespielt. Das war Abend spielt Uli Kümpfel Kontrabass.
sehr schön. Was das Nette ist, wenn wir oberhalb der Im Saal der Kleinkunstbühne Neue Welt sind ca. 50
Weißwurschtäquators sind - Die Leute hören intensi- Zuhörer versammelt, als Schorsch H.& Dr. Will mit einer
ver zu, die wollen dann hören und verstehen, um was Coverversion von Howlin‘ Wolf‘s Little Red Rooster“
es geht. Die Leute fragen dann auch: „Was war denn anfangen. Dr. Will kommt dabei dem Original verdas“ oder „Ich habe das nicht ganz so verstanden“. Ich dammt nahe. Nach englischsprachigen Stücken kommt
denke, in Bayern sieht man eher darüber hinweg, weil das Unvermeidliche, das Besondere und Faszinierende:
das verstehen die ja eh. Das hat dann schon seinen Reiz Schorsch Hampel singt auf Bayerisch: Schleich di,
Boandlkramer. Dr. Will kommentiert hier eine leichte
für alle Beteiligten.
Fehlinterpretation des Worts. Boandlkramer wäre von
WP: Will, wo kommst Du denn musikalisch her?
einem Nichtbayern als Gebeinekramer übersetzt worden.
Will: Aus Neuhausen, aber genaugenommen habe ich In der Realität ist der Boandlkramer aber der Tod, mit
ja mit 15 Jahren schon Blues gemacht, zwischendurch dem der Schorsch ein Zwiegespräch hält ähnlich wie es
hab ich New Wave gespielt. Eine Zeitlang habe ich in der Brandner Kasper getan hat.
London gelebt, wo ich Indi-Gitarrenmusik gemacht In der Tat birgt das Bayerische viele Vermischungen
habe. In London bin ich aber am Anfang der 90er und Verwechslungsmöglichkeiten mit dem Englischen:
wieder zum Blues und da speziell zum New Orleans Crossover Blues kommt zur Schafkopfkarte Gras Ober
Blues gekommen.
genau so wie Fadisma kein arabischer Name ist, sondern
die mentale Zustandsäußerung „Fad is ma“ oder „Mir
WP: Gibt es noch Dr. Will & the Wizards?
ist langweilig“. Ich bin überzeugt, dass der Klang der
Will: Wir feiern Ende dieses Jahr unser Zehnjähriges, bayerischen Sprache sich ideal mit dem Blues ergänzt
uns gibt es noch.
und der Gemütszustand eines Urbayern einfach in das
Deltafeeling transponiert werden kann. Nicht umsonst
WP: Wer von Euch Beiden ist der Ältere?
Schorsch: Jetzt hat der Will das ja mit New Wave haben die Spider Murphy Gang und der Willy Michl als
Bayern solche Erfolge gefeiert. Der bayrisch orientierte
verraten.
Schorsch und der sprachlich eher gemäßigte Dr. Will
Will: Du hast auch mal NDW gemacht!
liefern sich im Laufe des Abends witzige Dialoge, um
WP: Will, bist Du privat auch so wild, wie Du Dich die Songs anzusagen. Die Songs stammten zum großen
Teil aus der gemeinsamen CD „Together“, ergänzt durch
in der Öffentlichkeit gibst?
Will (denkt kurz nach): Ich bin der Extrovertiertere Nummern wie „Route 66“, die sich die Beiden eigentlich
hätten sparen können. Da ist „IKO IKO“ schon wesentvon uns Beiden.
lich interessanter. Dr. Will zeichnet eine weite Begabung
Wasser-Prawda | Juni 2014
INTERVIEW
aus, alle möglichen Instrumente zu spielen. Bei „IKO
IKO“ nutzt er eine Steeldrum, um die Identität dieses
New Orleans Song herauszukehren. John Lee Hookers
„Boom Boom“, nur mit den 3 Musikern gespielt, ist
eine auf das Notwendigste reduzierte und spannende
Version. Diese Nummer haben die Hampelbrüder ja
bereits als Video veröffentlicht und damit mehr als nur
einen Achtungserfolg erzielt. In dem Video zeigt sich Dr.
Wills eigentliches Geschick: Dinge interessant zu produzieren. Wie im Film gibt Dr. Will auch bei diesem
Stück die Beatbox mit einer Dynamik von ganz laut bis
ganz leise. Und weiter geht es mit „You got to move“
mit Slidegitarre by Schorsch Hampel und A-Cappella
Gesang. Damit werden die Zuhörer erst mal in die Pause
entlassen. was mir noch mal die Gelegenheit gibt, mit
dem Bluesfestorganisator Walter Haber zu reden.
Was den seine Favoriten des Festival sei? Er fand Sarah
Mac Dougall ganz toll aber besonders freut er sich auf Otis
Taylor, weil dieser Musiker in seinen Augen die größte
Entwicklung durchgemacht hat. Er findet es schade,
dass im der Kultur der Bereich des Cabarets extrem favorisiert wird, während die Musikveranstaltungen wie z.B.
durch die zusätzlichen finanziellen Belastungen durch
Lizenzgeber leicht ins Abseits rücken. Fazit: Cabaret ist
billiger als Musik.
Der zweite Teil des Konzerts von Schorsch H.&Dr. Will
beginnt, wie der erste Teil aufgehört hat: Stücke aus der
CD „Together“ mit einer Mischung aus Blues und Roots,
also den musikalischen Wurzeln der beiden Musiker.
Englische Coverversionen wie „Blues Stay away from me“
oder „Neili Früa am Morgen“, einem Song, der die bayerische Eigenschaft des Grantigseins erläutert. Dr. Will
erklärt das Grantigsein mit „Ich freue mich nach innen“.
Wenn man den 3 Musikern mit geschlossenen Augen
zuhört und die bayerischen Inhalte auf sich wirken lässt,
kann man sich an einen Juke Joint bei New Orleans versetzt fühlen. Das ist es auch, was die beiden Brüder mit
der langen Erfahrung und ihrem bayerisch-kulturellen Hintergrund vermitteln wollen und können. Beide
beherrschen das Minimalistische des Blues kombiniert
mit exotischer Instrumentierung und dem Duettgesang.
Bei Dr. Wills Schlagzeugsolo (Er steht übrigens am
Drumset!) muss auch der Bühnenholzboden oder der
Mikrofonständer herhalten.
47
Als Gast bitten die Brüder dann San2 auf die Bühne.
San2 ist ein junger, in Ingolstadt geborener Rhythm
& Bluessänger, Songwriter und Grafik-Designer. Und
schon nimmt der Blues noch mal Fahrt auf. San2 an der
Harp beim Texas Shuffle oder der Let‘s Work Together
Version „Alle Mitnander“.*
Als Zugaben gab es dann noch zwei fantastische
Bluessongs, auch wieder mit San2 an der Harp. Mit
„See you Alligator“ verabschiedeten sich die Musiker
von der Bühne.
Das Fazit:
Bleibt die Frage, ob die Hampel-Brüder ihre bayerisch-englischen Texte im restlichen Deutschland an
den Mann resp. an die Frau bringen und was sie damit
transportieren: Wenn ein deutscher Dialekt überhaupt in der Lage ist, den Blues dazustellen, das ist es
das Bayerisch. Schorsch singt nicht von bayerischen
Traditionen sondern von einem Leben auf bayerisch.
Sicher: Sie kokettieren oft mit dem bayrisch-englischen,
aber genau das macht es für Nichtbayern interessant,
zuzuhören und etwas von der bayerischen Mentalität
mitzubekommen.
NB: Der Autor ist trotz seines italienischen Namens
ein gebürtiger Bayer.
*
Eine Schwierigkeit des Artikels ist es übrigens,
das uns geläufige Bayrisch der Songs und Texte, aber auch
des Interviews in ein allgemein verständliches Deutsch zu
vermitteln.
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MUSIK
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MUSIK
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TEIL 3: EIN KULTFILM
ENTSTEHT
VON DARREN WEALE
BIS 1979 HATTEN DIESE
MUSIKALISCHEN FILOUS,
DIE BLUES BROTHERS,
IHR DEBÜT GEMACHT UND
FERNSEHZUSCHAUER BEI
DER IN AMERIKA POPULÄREN
SHOW SATURDAY NIGHT
LIVE BEEINDRUCKT.
IRONISCHERWEISE, SO
MERKTEN SOWOHL ROBERT
CRAY ALS AUCH CURTIS
SALGADO AN, GEHÖRTEN
ZU DEN ZUSCHAUERN KAUM
MUSIKER. DENN DIE WAREN
UNTERWEGS UND SPIELTEN,
WÄHREND DIE SHOW
AUSGESTRAHLT WURDE.
Sie hatten weitergemacht und seit ihren ersten Auftritten
in Los Angeles Konzertbesucher umgehauen, als die
komplette Band dabei war, zu der erstklassige Musiker
gehörten, unter ihnen Steve Cropper, Matt Murphy,
Paul Shaffer und eine kraftvolle Hornsection.
Wo konnte der Act als nächstes gehen? Tatsächlich geradewegs in einen bekannten Debütfilm mit dem einfachen Titel „The Blues Brothers“. Als er herauskam,
war die Zahl der Kinobesucher gering. Die Kritiken
waren abweisend. Das große Budget wurde nicht wieder
eingenommen.
Wie auch immer: Mit diesem ersten Film war die teure
Saat für einen Kultstatus ausgebracht. Unsterbliche
Redewendungen waren geprägt worden wie Ray Charles‘
Einführung zu einem Piano, das er verkaufen will1:
„2000 bucks and it‘s yours.
You can take it home with
you. As a matter of fact, I‘ll
throw in the black keys for
free”
und der Spruch der Brüder:
1 Die englischen Filmzitate lasse ich hier unübersetzt. Wer
sie nicht versteht, sollte sich den Film mal wieder anschauen.
Es gibt an einigen Stellen deutliche Unterschiede zwischen
dem Original und der deutschen Synchronfassung. (R.N.)
Wasser-Prawda | Juni 2014
50
MUSIK
Illustriert wird dieser Artikel mit Promofotos für „The Blues Brothers“ aus dem Jahr 1980.
Wasser-Prawda | Juni 2014
MUSIK
51
Die Blues Brothers Band vor den Kulissen von Ray‘s Music Exchange.
Doch auf Befehl vom „Pinguin“ das Geld für das Waisenhaus eingealias Schwester Stigmata dürfen zahlt werden muss, heftig verfolgt.
sie bei der Beschaffung des Geldes Elwood fasst den Rest des Films so
nicht auf Verbrechen zurückgreifen. zusammen:
Sie holen ihre alte Band, The Blues
Brothers, zusammen und spielen
Der Plot des Films ist einfach genug. ein Benefizkonzert. Auf dem Weg
Eine bluesliebende Waise, Jake dahin machen sie sich einige Feinde:
Blues, wird aus einem Chicagoer Nazis aus Illinois, eine Country &
Gefängnis entlassen, nachdem er Western Band namens die Good
die Zeit für seine letzten Taten Ole Boy, den Besitzer von „Bob‘s
abgesesen hat. Abgeholt wird er Country Bunker“, die Staatspolizei,
von seinem ebenso bluesliebenden die Nationalgarde, ein SWAT Team,
Bruder, Elwood Blues, in einem ehe- und wir sollten auch nicht Jakes
maligen Polizeiwagen (eingetauscht Ex-Verlobte, gespielt von Carrie
für ein Mikrophon). Die zwei stehen Fisher, vergessen. Die hat auf seine
vor der Herausforderung, Geld auf- Entlassung gewartet, um ihn zu
zutreiben, um das Waisenhaus zu töten. Nach dem Konzert werden
retten, in dem sie aufgewachsen sind. sie auf dem Weg zu dem Büro, wo
“We‘re on a
mission from
God!”
“It‘s 106 miles
to Chicago, we
got a full tank of
gas, half a pack of
cigarettes, it‘s dark
and we‘re wearing
sunglasses.”
Wasser-Prawda | Juni 2014
52
MUSIK
Posaunist Tom Malone erzählte
uns, wie John Belushi und Dan
Aykroyd sicherstellten, dass der Film
(entgegen den Konventionen von
Hollywood) den Musikern zu Gute
kam, die bis dahin bei der Band
waren. „Danny begann, ein Drebuch
für einen Film zu schreiben und
interviewte die Band. Ich erzählte
ihm eine Story über Gigs, bei denen
in Mississippi Maschendrahtzaun
vor der Bühne gespannt war. Und
Steve [Cropper] erzählte ähnliches von seinen Erfahrungen in
Arkansas. Danny brachte sein Script
zu Universal, sie kauften es. Und der
Rest ist Geschichte. Normalerweise
machen bei Filmen die Musiker den
Soundtrack und Schauspieler spielen
die Musiker im Film. Aber Danny
und John bestanden darauf, dass die
Wasser-Prawda | Juni 2014
Band im Film dabei ist. Und so kam
es.“
Auch wenn es die Absicht gab, an der
Besetzung der Blues Brothers Band
festzuhalten, waren Änderungen
nötig. Bassist Donald Dunn, die
Gitarristen Steve Cropper und
Matt Murphy, Trompeter Alan
Rubin, Posaunist Tom Malone und
Saxophonist Lou Marini standen zur
Verfügung und wurden für den Film
gebucht.
Schlagzeuger Willie Hall erinnert
sich an die Umbesetzung. Willie war
Musiker beim Stax-Label und spielte
bei The Bar-Kays und der Band
von Isaac Hayes The Movement.
Willie sagte: „Sie riefen mich an, als
der Blues Brothers Film noch auf
ein Budget wartete. Paul Shaffer
[Keyboads], Tom Scott [Trompete]
und Steve Jordan [Drums] waren
für ein Jahr am Broadway mit
der Comedian Gilda Ratner. Sie
konnten ihre Verträge nicht brechen.
Wer sollte sie ersetzen, wenn das
Grüne Licht kam? Duck und Steve
waren im Büro des Produzenten
[Robert K.] Weiss. Der Name der
ihnen einfiel war Willie Hall. Zu der
Zeit war es schwer, mich telefonisch
zu erreichen. Aber sie versuchten es
weiter und erreichten mich über
einen Freund von Weiss‘ Büro aus.
Steve und Duck meinten: Willist Du
im Film dabei sein? Sicher, Mann!
Sie schickten einen Vertrag und ich
flog nach Chicago und wir setzten
uns zusammen. Ich muss Steve und
Duck dafür danken! So passierte es,
Gott sei Dank.“
MUSIK
Pau l Sha f fer w u rde du rch
Schauspieler Murphy Dunne ersetzt.
Dunne hatte schon in einem Film
mitgespielt, bei dem John Landis
Regie führte. Der sollte auch
Regisseur des Blues Brothers Films
sein. Murphy war auch ein Freund
von John Belushi und des Musikers
Willie Dixon. Er hatte geholfen,
Willie bei einem Blues Festival in
Chicago unter zu bringen. Murphy
erzählt: „Ich hatte Booker T and the
MG‘s gebucht und traf ihn und Al
Jackson und Cropper und Dunne.
Diese Typen waren meine Helden!
Später, als Paul Shaffer nicht bei The
Blues Brothers mit machen konnte,
rief mich John an. Und als wir uns
trafen, erinnerten sie sich: Oh mein
Gott, Du bist das! Der Zufall hat sich
für mich sehr glücklich ausgezahlt.“
Duck Dunn und Guitar Murphy
wurde beschlossen, dass wir alle
einen Spitznamen brauchten. Ich
kam also mit Bones an und sie
liebten es. John schlug ‚Mr. Fabulous‘
für Alan Rubin vor, er hatte so eine
elitäre Attitüde und Humor, so dass
es passte. John kam außerdem mit
‚The Cornel‘ für Steve Cropper an.
Es passte, weil Steve immer das
Kommando haben wollte - nach
ein paar Drinks. ‚Blou‘ Lou - Lou
wählte sich seinen eigenen Namen.
John wählte ‚Triple Scales‘ für Tom
Scott.“ Obwohl Tom natürlich gar
nicht im Film auftauchte.
Matt Murphy hatte seinen
Spitznamen damals schon. „Mein
Spitname ‚Guitar‘, Memphis Slim
hat mir den verpasst. Er sagte, die
Gitarre sei wie eine Erweiterung
Dann gab es noch die Gast-Stars. meines Körpers.“ Willie ‚Too
An einen erinnert sich Matt Murphy Big‘ Hall war bei seinem Namen
besonders gut. „Ich spielte mit etwas verschwiegener. Er meinte:
Aretha Franklin, und sie sang sich „Das kommt in das Buch, was ich
den Arsch ab.“ Andere Gast-Stars, schreibe.“
die sich ihre Ärsche absangen waren
etwa Ray Charles, John Lee Hooker, Dann gab es auch noch einen
mechanischen Mitspieler im Film,
Cab Calloway und James Brown.
den Ex-Polizei-Dodge, mit dem
Bevor der Film gedreht wurde, die Blues Brothers herumfuhren.
hielt man es für wichtig, den Zunächst verachtete Jake verständliBandmitgliedeern Blues-Namen zu cherweise das Auto, mit dem er vom
verpassen. Elwood Blues war, typisch Knast abgeholt wurde und warf den
in seiner Knappheit, Elwood J Blues. Zigarettenanzünder weg, bevor das
Jake Blues wurde „Joliet“ Jake Blues. Fahrzeug über eine sich öff nende
Zugbrücke springt. Das führt zu
Und der Rest der Band? Tom Malone folgendem Dialog:
erinnert sich an seinen eigenen
Spitznamen: „Mein Spitzname
‚Bones‘? In der Highschool war ich
sechs Fuß und zwei einhalb Inches
lang und dünn mit 145 Pfund. So
verpassten mir meine Schulfreunde
den Namen. Später in der Band mit
Elwood: “It‘s got a
cop motor, a 440
cubic inch plant.
53
It‘s got cop tires,
cop suspensions,
cop shocks. It‘s a
model made before
catalytic converters,
so it‘ll run good on
regular gas. What
do you say? Is it the
new Bluesmobile or
what?”
Jake: “Fix the
cigarette lighter.”
Wie entstand dieser Charakter?
Judith Belushi erklärt: „Mein
größter Beitrag am Anfang bestand
darin, in unserem Wohnzimmer
zu sitzen und Artwork von Animal
House wegzuräumen, darunter ein
Bild des Leichenwagens aus dem
Film. Dan und John hatten eine
`63er Dodge bestellt. Ich sagte zu
ihnen: Ich gehe los und hole das
Bluesmobil. Beide schauten mich
an, und Danny meine: Ja. Das war
die erste Erwähnung des Namens
Bluesmobil.“
Der Blues Brothers Film
war voll von kultigen
Szenen. Hier erinnert
sich die Band an einige
ihrer Lieblingsmomente.
Jake und Elwood brauchten nur sehr
wenig Zeit, um in Schwierigkeiten
Wasser-Prawda | Juni 2014
54
MUSIK
zu kommen. Sie überfahren eine
rote Ampel und rasen davon, als
die Polizei mitbekommt, dass
Elwoods Führerschein ungültig ist.
Tom Malone erinnert an die sich
daraus ergebende Szene, bei der das
Bluesmobil in ein Einkaufszentrum
rast und es schrottet. Bei dem
Einkaufszentrum handelte es sich
um The Dixie Square Mall in
Harvey, Illinois. „Es stand seit sieben
oder acht Jahren leer. Die Filmfirma
mietete ist, setzte neue Scheiben
und Produkte rein und schrieb
Autohändler an, um den Parkplatz
mit neuen Autos zu füllen. Sie und
das Einkaufszentrum wurden in
einer Aufnahme abgewrackt, die
ein paar Minuten dauerte. Es gab
eine Menge Verfolgungsjagden. Die
Filmgesellschaft hatte einen Handel
über 200 Polizeiwagen von Illinois
abgeschlossen, verschrottete aber
Wasser-Prawda | Juni 2014
nur 100. Eine Werkstatt war die
ganze Nacht geöffnet, so dass Autos
repariert werden konnten, um am
nächsten Tag erneut geschrottet zu
werden.“
Als die Band an verschiedenen Orten
zusammengesucht wurde, verlassen
in einer Szene Blue Lou und Matt
Murphy ihre Jobs im „Soul Food
Café“ und Matts Frau (gespielt
von Aretha Franklin), nachdem sie
„Think“ gesungen hat. Blue Lou, der
grade abgewaschen hatte, spielt das
Saxophon auf dem Tresen des Cafés.
Da war es passend, dass letztens bei
einem Auftritt der Original Blues
Band vorgestellt wurde als „Der tanzende Tellerwäscher“.
monkey suits“ bis die Blues Brothers
nach ihnen rufen. Judith Belush erinnert sich: „Ich hatte eine Sprechrolle
im ersten Film, die niemals gefilmt
wurde, aber ich spielte eine Kellnerin
im Hiliday Inn, wo Murph and
the Magic Tones spielten. Ich fuhr
auf dem Rücksitz eines der Wagen
bei einer Verfolgungsjad mit und
war in der Menge, als die Blues
Brothers Werbung für ihre Show
mit Mikrophon und Lautsprecher
machten.“
Tom Malone stellt den Ansatz vor,
der verfolgt wurde, die Musik aufzunehmen und zu filmen. „Die
gesamte Musik für den ersten Film
wurde (bis auf John Lee Hooker auf
der Maxwell Street) wurde vorher
Murphy ‘Murph’ Dunne, Tom aufgenommen. Wir machten diese
Malone, Steve Cropper und Willie Aufnahmen im Juli 1979 in den
Hall spielen als Murphy And the Universal Studios. Ich erinnere
Magic Tones in ihren „candy ass mich, dass die einen großen Saal
MUSIK
hatten, der heute aber nicht mehr
vorhanden ist. James Brown nahm
dort „It‘s a Man‘s World“ dort auf.
Den Film drehten wir in Hollywood
und wir bewegten die Lippen zur
vorher aufgenommenen Musik. Der
ganze Film wurde in LA gefi lmt.
Bob‘s Country Bunker war auf dem
Hinterhof der Universal Studios. Das
Innere war eine Sound Stage in LA.
Kasten nach Kasten von Flaschen
aus Zuckeglas wurden an dem Draht
zerschlagen. Wir waren einige Tage
da drin. Auch in den Universal
Studios entstand die RestaurantSzene, wo wir Mr. Fabulous abholten. Das Konzert im Palace Hotel
Ballroom wurde im Hollywood
Palladium gefilmt. Sechshundert der
Zuschauer waren bezahlte Statisten
von der Schauspielergewerkschaft,
55
die anderen waren Arbeitslose, die Country Bunker“, bei der die Band
ein paar Dollar und freien Lunch den Platz der verspäteten Good Ole
bekamen.“
Boys einnehmen, um ihren ersten
Gig zu spielen hinter dem berühmtDie neuformierte Band braucht berüchtigten Hühnerdraht und
Ausrüstung und fährt zu Ray‘s einem Hagel von Flaschen, bis sie
Music Exchange, wo Ray dicht etwas spielen, was mehr oder weniger
neben einen Möchtegern-Gitarren- Country war. „Ausgangspunkt war,
Dieb schießt, um ihn zu vertreiben dass John sich den Weg in den Laden
und „Shake A Tail Feather“ singt. gelogen hatte, ein Ort, wo sie nur
Tom Malone erinnert sich: „Das Country Musik spielten war ziemlich traumatisch, wie sie
das gemacht haben. Auch wenn
sie die Pistole mit Platzpatronen
geladen hatten. Sie wiederholten es
immer und immer wieder. So gab
es eine Menge Optionen für den
Schnitt. Gemacht wurde die Szene
in Hollywood.“
Als also die Band die Set-Liste sieht,
Tom erinnert sich auch noch an schaut sie nicht passend aus. Als
andere Details der Szene in „Bob‘s John die Peitsche in Bob‘s Country
‘we play both
kinds, Country
and Western’.
Wasser-Prawda | Juni 2014
56
MUSIK
Bunker einsetzte, war das ein
wenig beängstigend. Er durfte alles
machen, und er war voller Energie.
Die Szene war nicht im Originalfilm.
Der war 107 Minuten lang, die
Anniversary Edition 134 Minuten.
Da war eine Menge mehr drin. Die
erste Version war kurz, so dass mehr
Vorführungen pro Tag in den Kinos
gezeigt werden konnten, um mehr
Geld zu machen. Eine Szene, die
sie rausgelassen hatten, hatte 50000
Dollar gekostet. Da gehen sie zu
der Tankstelle, und als John losfährt, lässt er sein Streichholz in eine
Benzinpfütze fallen und es jagt einen
Benzintank und eine Telefonzelle in
die Luft.“
Elwood: “I know
all about that
stuff. I have been
exploited all my
life.”
In der nächsten Folge: Die Blues
Dan Aykroyd bestätigt: Die Zeile Brothers gehen auf ihre „Road To
mit der Ausbeutung kam von mir Ruin“-Tour bevor ihr zweiter Film
und Landis und einem von den entsteht.
Bandmitgliedern, Blue Lou Marini.“
Im Rückblick haben die Musiker,
die nach dem Willen von Aykroy
und Belushi im Film auftraten,
dem Blues einen großen Gefallen
Um den Ort für das große getan. Willie Hall erinnert sich,
Benefizkonzert für das Waisenhaus was es für ihn bedeutet hat. „Das
zu bekommen, musste Promoter Schauspielen, das hatte ich noch nie
Maurice Sline in einem Dampfbad zuvor gemacht, Zeilen zu sagen und
ein wenig erpresst werden. Einige Markierungen zu treffen, aber es hat
Sätze dieses Dia logs gehen mir Spaß gemacht. Landis meinte:
folgendermaßen:
Du hast Deinen Stoff wirklich gut
rübergebracht.“
Maury Sline:
“Hold it, hold
it. Tomorrow
night? What
are you talking
about? A gig like
that, you gotta
prepare the proper
exploitation.”
Wasser-Prawda | Juni 2014
Alter-Egos, großartige Charaktere.
Landis hat das Drehbuch verändert,
um Verfolgungsjagden einzufügen.
Und der größte Kampf ging um die
Sonnenbrillen, die Produzenten des
Films konnten Figuren nicht verstehen, die niemals aufhörten, ihre
Sonnenbrillen zu tragen. Doch es
zahlte sich aus in der Tunnel-Szene.“
Der resultierende Film hat eine
langanhaltende Qualität, es wenn
seine Produzenten nicht immer
genau wussten, was sie da abbildeten. Judith Belushi fasst es folgendermaßen zusammen und verweist
auf die Szene, in der Jake Blues
Auge in Auge seiner mörderischen
Ex-Verlobten gegenüber tritt, die
es nicht mehr fertig bringt, ihn zu
töten, nachdem sie seine babyblauen
Augen gesehen hat, die er den Rest
des Filmes hinter den Gläsern der
Ray-Ban verborgen hat:
„John und Dan haben echte
Charaktere erschaffen, nicht nur
A L B U M D E S M O N A T S 57
B LIND W I L L I E S - E V E RY
DAY IS JUDGMENT DAY
ALBUM DES MONATS JULI 2014
Vom kalifornischen Songwriter
Alexei Wajchman sollte man
keine leichte Kost erwarten.
Schon das 2011 veröffentlichte Album seiner Band Blind
Willies zeichnete ein düsteres
Bild von Wahnsinnigen, Nutten und ihren Zuhältern und
den dunklen Seitenstraßen
von San Francisco. „Every
Day Is Judgement Day“ ist
zeitweise ebenso dürster. Aber
die Lieder über Freiheit im
weitesten Sinne sind kämpferischer und politischer.
Völkergruppen und Angehöriger
bestimmter Schichten auf, die im
Laufe der Jahrhunderte Opfer von
Massenmorden wurden: Juden und
Palästinenser, Armenier, Zigeuner
und Angehöriger afrikanischer
Völker, Sklaven - und ganz zum
Schluss: „and Jesus too“. Ganz
langsam baut das von einem einfachen Rhythmus begleitete und durch
die Tonarten sich nach oben schraubende Gitarrenriff eine Spannung
auf, die sich erst in einem wütenden Solo der verzerrten E-Gitarre
entladen kann.
„Ladies and Gentlemen, this way to
the gas.“ Ein scheinbar geschmackloser Vers. Wie kann man über
den Schrecken von Auschwitz
einen Tango schreiben? Doch
Alexei Wajchman hat gerade diese
Zeile vom Titel autobiografischer
Erinnerungen eines Überlebenden
entlehnt. Und er ließ sich vom Ort
des Massenmordes selbst inspirieren: „Cremo Tango“ ist ein verstörender Song geworden, einer
der den Schrecken fühlbar macht,
auch durch den scheinbar harmlos
dahinswingenden Tangorhythmus.
Auch der nächste Song des Albums
zählt zu denen, die einen zunächst
sprachlos da sitzen lassen: In „42
Jews“ zählt er ohne Kommentar
Musikalisch sind die Musiker im
Laufe der Jahre wesentlich vielseitiger geworden: von einfachen
Folkmelodien, von Blueseinflüssen
und Americana im weitesten Sinne
bis zu wütendem Rock reicht das
Spektrum. Doch die Musik ist hier
immer nur das Transportmittel für
die gnadenlos genauen und niemals
von ironischer Distanzierung abgeschwächten Beobachtungen eines
unwahrscheinlich beeindruckenden
Songwriters. Erst beim letzten Song
„Big City“, durch das Wajchman
durch seine langjährige Arbeit mit
Kindern inspiriert wurde, wird ein
wenig von der düsteren Atmosphäre
dieses Albums hinweggenommen
und entlässt den Hörer mit positiven Gedanken.
Selten in den letzten Jahren sind mir
politische Lieder begegnet, die textlich und musikalisch so gut zusammenpassten - die Blind Willies
werden damit kaum die Charts
erobern. Denn dort ist ja meist nur
die gleiche geistlose Banalität zu
Ein Album über Freiheit? Hier finden. Für denkende Musikhörer
ist kein optimistischer Hurra- allerdings dürfte „Everyday Is
Patriotismus zu hören. Die Lieder Judgment Day“ auf der Liste der
der Blind Willies schauen eher beeindruckendsten Alben des Jahres
dahin, wo im politischen und per- landen. (Bandcamp)
sönlichen Umfeld die Freiheit fehlt
Raimund Nitzsche
und was sich daraus entwickelt.
Wasser-Prawda | Juni 2014
58
P L AT T E N
DIE REDAKTION
EMPFIEHLT
JULI 2015
AL BASILE - WOKE UP IN MEMPHIS
Im zeitgenössischen Blues gibt es kaum
jemanden, der wie er literarisch und musikalisch gleichsam anspruchsvoll und
eingängig seine Geschichten erzählen
kann.
BLACK KAT & KITTENS - GYPSY LIFE
Großartig ist, dass auf diesem Album
aber nicht nur die alten Meister in eigenen Bearbeitungen gespielt werden.
Auch die eigenen Songs atmen ganz
den Geist dieser Zeit. Aber sie spielen
dann halt auf dem Arbeitsamt oder auf
den Straßen hierzulande.
THE BLACK TONGUED BELLS EVERY BELL HAS A TALE TO TELL
Die Band verbindet Alabama Muscle
Shoals Sound mit Memphis Grooves,
Swamp Blues, ein wenig Gospel und
nennt das ganze „American Swamp“. Es
ist ein unglaublich erdiger, starker und
mitreißender Stilmix.
Wasser-Prawda | Juli 2014
Memphis Soul im
Stile der 60er
Debüt des britischpolnisch-deutschen
Trios aus Berlin
American Swamp
aus Kalifornien
P L AT T E N
PAUL KARAPIPERIS - ONE SIN IN
SEVEN PARTS
Ein Konzeptalbum? Eine Blues-Suite wie
John Mayalls „Bare Wires“? Paul Karapiperis hat einen Text auf sieben Songs
verteilt, die den Willkommensgruß an
einen neuen Erdenbürger entstehen
lassen.
CROSBY STILLS NASH & YOUNG LIVE 1974
Nach Woodstock und dem grandiosen
Album “Deja vue” dauerte es einige
Jahre, bis Crosby Stills Nash & Young
wieder gemeinsam auf Tour waren. Auf
drei CDs und einer DVD wird rekonstruiert, wie die Konzerte 1974 waren.
BRIDGET KELLY BAND - FOREVER IN
BLUES
Die selbstgeschriebenen Songs sind
voller Selbstvertrauen, ebenso wie auch
in der Darbietung derselben. Zeitweise
fühlte ich mich erinnert an die frühen und vielleicht die besten - Arbeiten von
Johnny Winter.
FO’REEL - HEAVY WATER
Auf „Heavy Water“ kocht der Blues mit
gehörig Funk. Zeitweilig macht die Musik
Ausflüge in Richtung Swing oder Latin.
Ehrlich: diese Scheibe passt so richtig
zum schwülheißen Sommerwetter.
59
Psychedelische
Blues-Suite aus
Griechenland
Konzertdokument
einer der besten
Bands der
70er Jahre
Zweites Album der
Band aus Florida
Was Neues aus
New Orleans
Wasser-Prawda | Juli 2014
60 C o l l e c t o r ’ s C h o i c e
T RUDY LYNN - R OYA L
OAKS BLUES CAFE
FAST EINE REZENSION VON BERND KREIKMANN
Bevor ich Trudy Lynns neueste CD
„Royal Oaks Blues Cafe“1 vorstelle,
einige Worte zu Trudy. Für mich
unverständlich, daß eine der begnadetsten Sängerinnen unserer Tage
zumindest in Deutschland so gut
wie unbekannt ist. Sie wurde vor
etwa sechzig Jahren In Houston Tx.
geboren und begann ihre Karriere
in den 60ern als Sängerin bei Albert
Collins.
Trudy Lynn bewegt sich im breiten
Spektrum von Blues, R&B, Soul
und Jazz. Ihren Durchbruch auf
Platte erlebte sie Ende der 80er mit
dem Album „Trudy sings the Blues“.
Und wie sie den singt. Es folgten
viele großartige Alben.
Ich habe Trudy zum ersten (und
bislang leider letzten) Mal im Lionel
Hampton Jazz Club Paris erlebt.
Nun gehöre ich zu den Menschen,
die seit langen Jahren regelmäßig
Live Konzerte besuchen und viele
tolle und beeindruckende Acts
erlebt haben, aber dieser Abend ist
für mich unvergeßlich.
Trudy ist ein Naturereignis. Eine
zierliche und temperamentvolle
Frau, eine Lady im eigentlichen
Sinn, singt, schreit, schluchzt und
brüllt den Blues. Da gibt es keine
1 Review in English on page 143
Wasser-Prawda | Juli 2014
geglätteten Emotionen, das ist pure
Leidenschaft – überwältigend.
Etwa ein Jahr später wurde ein
Mitschnitt des Konzerts als „Trudy’s
Blues“ veröffentlicht (Album: Blues
Power: Trudy‘s Blues, Label: Isabel,
Release Date: August 10, 2004).
Eine unglaublich dichte und intensive CD, die zu meinen meistgehörten Alben zählt. Sehr empfehlenswert ist auch die bereits
früher erschienene CD „U Don‘t
Know What Time It Is“ (Ruf,
1997, Bestellnummer: 2177467,
Erscheinungstermin: 6.3.2000).
Im Dezember 2013 hat Trudy Lynn
mit „Royal Oaks Blues Cafe“ ihr
bislang letztes Album vorgelegt. Sie
präsentiert zeitlose Songs, zum Teil
aus alten Tagen.
Über Songmaterial und Musiker
rede ich nicht, das ist durchgängig
vom Feinsten. Auf Trudy’s Alben
findet jeder seine Lieblingsstücke.
In Trudy’s Version wäre selbst
„Hänschen klein“ ein mitreißendes
Erlebnis.
Ich hoffe, dass uns diese große Lady
des Blues noch viele Alben schenkt
und endlich auch den Weg zu uns
findet. Bis dahin müssen wir uns
mit ihren CDs begnügen – ich
habe ungehört alle Alben die ich
erhalten konnte gesammelt; eine
Enttäuschung habe ich nie erlebt.
Label: Cd Baby
Bestellnummer: 3812439
Erscheinungstermin: 1.10.2013
P L AT T E N
61
REZENSIO NEN A BIS Z
Eli „Paperboy“ Reed - Nights Like
This 62
Mick Simpson - Unfinished Business
68
Emanuel Young, Live in Detroit 71
P
Al Basile - Woke Up In Memphis 55
F
B
Fo‘Reel - Heavy Water 63
Paul Karapiperis - One Sin In Seven
Parts 69
Barrelhouse Chuck & Kim Wilson‘s
Blues All Stars - Driftin‘ From Town
To Town 56
G
A
Aaron Burton - The Return of Peetie
Whitestraw 55
R
Robin Banks - Modern Classic 69
Bert Deivert - Kid Man Blues 56
Gregg Allman: All my friends celebrating the songs & voice of
Gregg Allman 63
Black Kat & Kittens - Gypsy Life 57
H
V
Harmonicadave - Box Full of Blues
64
Various - Atomic Platters. Single
Warhead Edition With Bonus Tracks
72
Black Tongued Bells - Every Tongue
Has A Tale To Tell 57
Bobby Patterson - I Got More Soul!
58
Brian Setzer - Rockabilly Riot! All
Original 59
Bridget Kelly Band - Forever in Blues
59
Harpoonist & The Axe Murderer - A
Real Fine Mess 64
Schorsch H. & Dr. Will - Together 72
Various - The Best of 2 Tone 73
Henri Pierre Noel - One More Step
71
I
Impala Ray - Old Mill Valley 65
C
J
Chuck E. Weiss - Red Beans and
Weiss 60
Jamie Bernstein - WhoonDang 65
Crosby Stills Nash & Young - CSNY
1974 60
John Hiatt - Terms Of My Surrender
66
D
K
David Blair - Stronger, Higher, Faster
61
Kleeberg & Genossen - das alles
nennt sich leben 67
Deanna Bogart - Just A Wish Away
61
L
Delta Moon - Turn Around When
Possible 62
M
E
S
Jay Ottaway - Carry On 66
Lee Fields - Emma Jean 67
Malcolm Holcombe - Pitiful Blues 68
Wasser-Prawda | Juli 2014
62
P L AT T E N
Aaron Burton - The Return of
Pee e Whitestraw*
Aaron Burton stammt aus
Texas, einem Staat mit einer langen Geschichte meisterhafter
Bluesmusik. Lightnin Hopkins
beispielsweise war sicherlich keine
Niete.
Das ist Burtons fünftes Album
bis heute, selbst produziert und
selbst promotet umfasst es 14
selbstgeschriebene Songs. Der
Südstaatenakzent ist heftig und das
Picking auf der akustischen Gitarre
ist entspannt. Dieses Album ist
in der Tat so laid back, dass das
Gitarrenspiel manchmal in der
Gefahr steht, übersehen zu werden.
Ein Fehler, denn das Picking, wenn
auch zurückhaltend, klingt einzigartig gefühlvoll und kunstfertig und
trägt mühelos zu einem fein ausbalancierten Sound bei, der über die
ihm zugrundeliegende Komplexität
hinwegtäuscht.
Burton ist einer, der sich alles selbst
beigebracht hat, ein Autodidakt, der
in den Bars und Clubs des Lone Star
State gespielt hat und interessantes
Material produziert, das all die üblichen Bereiche umfasst von Liebe
*
English version on page 140
Wasser-Prawda | Juli 2014
und Herzschmerz bis zu Tod und
Elend,. in anderen Worten die komplette Skala des Blues in Gedanken
und Gefühlen, untermalt von großartiger Gitarrenarbeit und einer
herrlich grollenden und fauchenden Stimme.
Mit vierzehn Stücken zur Auswahl ist
hier es eigentlich unmöglich, keines
zu finden, das den Geschmack eines
Bluesliebhaber befriedigen könnte.
Das ist ein Musiker und eine CD,
die eine echte Überraschung und
eine wirkliche Entdeckung sind - ein
Künstler und Material von eigenständiger Qualität, wonach man
wirklich ausschauen sollte. Burton
soll in den nächsten Monaten sein
Nachfolgealbum aufnehmen. Und
ich zumindest, bin schon gespannt
drauf, seine nächsten Stücke zu
hören.
Ian Patience
Al Basile - Woke Up In
Memphis
Manche nennen den Songschreiber
und Kornettisten Al Basile einen
Barden des Blues. Im zeitgenössischen Blues gibt es kaum jemanden, der wie er literarisch und musikalisch gleichsam anspruchsvoll
und eingängig seine Geschichten
erzählen kann. Bei „Woke Up In
Memphis“ zelebriert Basile seine
Liebe zum klassischen Soulsound
aus Memphis der 60er Jahre.
Das macht nun wirklich nur jemand
wie Basile: Ein Bluessong, der auf
einer Fabel von Äsop basiert: „One
More Stone In The Pitcher“ spielt
auf die Geschichte von der durstigen Krähe an, die so lange Steine in
einen Krug wirft, bis sie das Wasser
mit ihrem Schnabel erreichen kann:
One more stone in the pitcher
one more shot on the bar
you‘re the best one yet
but that ain‘t gonna to get you far
Doch nicht immer sind es die großen literarischen Anspielungen, die
hier ins Ohr springen. Ein Lied
wie „Big Like Elvis“ ist mit seinem
Humor einfach unvergleichlich und man fühlt sofort mit mit diesem
Träumer, der hofft, eines Tages allen
seinen Freunden große Autos schenken zu können und selbst in einem
palastartigen Haus zu wohnen.
Es finden sich 14 Songs auf dem
Album - und eigentlich jeder ist
eine kleine Kostbarkeit, erzählt eine
Geschichte, der man gerne zuhört
mit einer Musik, die wunderbar ist.
Ganz abgesehen davon: Schon die
Besetzung dieses Albums ist ein Fest
für jeden Bluesfan. Duke Robillar
hat nicht nur das Album produziert
sondern setzt mit seiner Gitarre die
gewohnt großartigen Akzente. Die
Saxophonisten Rich Lataille und
Doug James sorgen für den fetten
Bläsersound. Und Schlagzeuger
Mark Teixeira liefert für alles zwischen swingendem Rhythm &
Blues und funkigen Ausflügen den
perfekten Groove. Und dann war
P L AT T E N
auch noch die umwerfende Sista
Monica Parker, die bei „Make A
Little Heaven“ die nötige Portion
Gospelsound beisteuert.
Selten war ein Albumtitel in letzter Zeit so treffend: Ob es sich um
Blues, Soul oder Gospel handelt:
Basile und seine Begleiter spielen
nicht einfach im Stil der Stadt nein, hier muss man wirklich sagen:
sie zelebrieren die Musik regelrecht.
„Woke Up In Memphis“ ist ein
Traum von einem Bluesalbum!
Nathan Nörgel
Barrelhouse Chuck & Kim
Wilson‘s Blues All Stars* - Dri
in‘ From Town To Town
Wenn zwei alte Bekannte zusammenkommen haben sie viel zu erzählen. Oder aber sie spielen ein Album
ein. So geschehen mit Barrelhouse
Chuck und Kim Wilson.
Beide sind Urgesteine der
Bluesmusik. Barrelhouse Chuck
Goering gilt als einer der herausragenden traditionellen BluesPianisten und Sänger. Seine Lehrer
waren u.a. Sunnyland Slim und
Little Walter Montgomery. Kim
Wilson kennen wir als AusnahmeHarper und Sänger aus seiner langen
*
Zusammenarbeit mit den Fabulous
Thunderbirds. Mit dabei sind die
Blues All-Stars bestehend aus Jeremy
Johnson (guitar), Richard Innes
(drums), Larry Taylor (bass), Billy
Flynn (guitar) und Sax Gordon
(sax.). Die Herren sind viele Jahre
im Geschäft und gehören jeweils zu
den Spitzen ihrer Zunft. Sie können sich einzeln und als Band mit
jeder mir bekannten Band messen
und sind wahre All-Stars.
Für Freunde des traditionellen Chicago Blues hat sich ein
Dreamteam zusammengefunden.
Ich würde viel darum geben, diese
Truppe live zu erleben. Sie hatten bestimmt viel Spaß bei den
Aufnahmen. So lebendig und leicht
klingt die CD. Dazu kommt die
qualitativ einwandfreie Aufnahme
und Produktion. Natürlich gibt es
auf dem Album auch Songs.
Es geht mit Barrelhouse Chuck’s
„The big Push“ los. Chuck legt
am Klavier los und singt, Wilson
zieht das ganze Register seines
Könnens. Mit Songs wie Floyd Jones
„Stockyard Blues“ und Sunnyland
Slim’s „She’s got a thing going on“
geht es weiter. Kim Wilson brilliert als Sänger in Howlin’ Wolf ’s
„I’m leaving you“ (Chuck legt richtig los, es gibt ein bemerkenswertes Gitarrensolo). Es sind noch
weitere Songs zu entdecken. Mir
gefällt Chuck Berry’s „Thirty Days“
und Willie Dixon’s „Three hundred Pounds of Joy“ ist auch nicht
zu verachten.
Ein Album wie dieses entsteht
nicht jeden Tag. Allein die Aufgabe,
die Musiker zur gleichen Zeit in
ein Studio zu bekommen, wird
63
schwer zu lösen gewesen sein. Dem
Produzenten Steven B. Dolins sei
hiermit gedankt. Ich möchte die
Band gern live erleben – hoffentlich
bleibt es kein Traum. (The Sirens
Records SR5021)
Bernd Kreikmann
Bert Deivert - Kid Man Blues
Bert Deivert ist ein Bluesman aus
den Vereinigten Staaten, der in
Skandinavien lebt, wo ein großer
Teil dieses sehr guten Albums mit
zwölf Titeln aufgenommen und produziert worden ist. Doch auch wenn
er seit rund 40 Jahren in Schweden
lebt, bleibt Deivert im Herzen ein
echter US-amerikanischer AkustikBlues-Picker. Und das kann man
ganz deutlich auf dieser großartigen CD erkennen.
Das Material reicht von einigen
Eigenkompositionen zu einem
Stapel exzellent interpretierter
Standards von Musikern wie RL
Burnside und Sun House bis zu
Sleepy John Estes und Skip James.
Für mich ist Deiverts Version dieses wunderbaren alten Standards
„Come Back Baby“ eines der besten und eindrücklichsten Stücke.
Das wird hier in einer neuen erfrischenden und absolut interessanten
English Version on page
Wasser-Prawda | Juli 2014
64
P L AT T E N
Weise gespielt. Auch der Titelsong
ist ein kleineres Meisterstück, bei
der Deiverts von Yank Rachell inspirierten Resonator-Mandoline ihren
vollen Klang entfalten kann.
Überall auf der CD sind es die
Resonator-Instrumente, die neben
Deiverts leichtfüßigem und hochklassigem Spiel sowohl auf Gitarre
als auch auf der Mandoline auffallen. Doch das ist kein Album, das
von Slide-Spiel dominiert wird. Es
ist wunderschön produziert und ist
voller subtilem und emotionalem
Spiel. Auch der Gesang ist gut mit
Deiverts voller und kehliger Stimme
und einem deftigen Groove, dem
man den Spaß an der Musik anhört.
Brian Kramer, ein weiterer in den
USA geborener und in Stockholm
lebender Resonator-Fan hat auf
dem Album mitgespielt und auch
Background-Vocals beigesteuert,
die genau auf den Punkt genau
passend sind. Deiverts Version von
Skip James‘ „Cypress Groove“ ist
ohne Fehl und Tadel und macht
dieses Album zu einer vollen fünf
Sterne-Schönheit.
Iain Patience
Black Kat & Ki ens - Gypsy
Wasser-Prawda | Juli 2014
Life
Blues ist eine Weltsprache. Kaum
eine andere Band in Deutschland
hat das in letzter Zeit so deutlich gemacht wie das in Berlin
beheimatete Trio „Black Kat &
Kittens“: Sängerin Lorraine Lowe
stammt ursprünglich aus London,
Bluesharpspieler Adam Sikora aus
Polen und Gitarrist Simon Dahl
ist Deutscher. Etwas mehr als
einem Jahr nach seiner Gründung
hat das Trio jetzt sein Debüt veröffentlicht, das neben Klassikern
des Vorkriegsblues auch beeindruckende eigene Songs beinhaltet.
Sie selbst nennen ihren Stil „Blues &
Roots“. Aber man kann es sich auch
einfacher machen: Black Kat &
Kittens spielen traditionellen akustischen Blues, der ganz stark von
den Spielweisen des Vorkriegsblues
vor allem im Mississippi beeinflusst
ist. Vorbilder sind (wenn man mal
einfach von den Covern auf „Gypsy
Life“ ausgeht) Musiker wie Sleepy
John Estes, Sonny Terry, Blind
Willie Johnson oder John Henry
Barbee aber auch die Stringbands
der 20er Jahre. Zuweilen machen
sie musikalisch auch Ausflüge in die
Region der North Mississippi Hills
oder die Bayoos in Louisiana.
Großartig ist, dass auf diesem Album
aber nicht nur die alten Meister in
eigenen Bearbeitungen gespielt werden. Auch die eigenen Songs atmen
ganz den Geist dieser Zeit. Aber sie
spielen dann halt - wir sind schließlich mehr als hundert Jahre später und in Deutschland - auf dem
Arbeitsamt oder auf den Straßen,
auf denen man als Bluesmusiker
hierzulande unterwegs ist. Oder
Lowe singt vom Bluesman mit der
großen Nase, der ihr alles beibringt,
was es vom Blues zu wissen gibt.
Lorraine Lowe ist eine faszinierende
Sängerin und Geschichtenerzählerin.
Adam Sikoras Harp liefert immer
wieder spannende Kommentare.
Und ob nun akustisch oder auch
elektrisch sind die Gitarren und
Mandolinen von Simon Dahl
immer prägnant und spannend.
Aber besonders gut sind Black Kat
& Kittens immer dann, wenn sie
alle drei ihre Stimmen vereinen
„Gypsy Life“ ist ein wunderbares Debütalbum, das man allen
Freunden des akustischen Blues nur
wärmstens empfehlen kann.
Raimund Nitzsche
The Black Tongued Bells Every Tongue Has A Tale To
Tell
Wahrscheinlich habe ich einen
Hang zu Gruppen und Musikern
aus Los Angeles. Dort treffen sich
kreative Künstler aus allen Regionen
und verschmelzen ihre ursprünglichen Stile häufig zu etwas Anderem
und Neuem. Für mich unvergessen die einmaligen Imperial Crowns
und die Wahnsinnsblueser/-rocker
von Rhino Bucket, die in den letz-
P L AT T E N
ten Jahren regelmäßig bei uns zu
Gast waren.*
Über die Black Tongued Bells bin
ich regelrecht gestolpert. Dabei
existiert die Gruppe bereits seit 13
Jahren. Eine Indie Band, die bislang
nur im Raum L. A. zu hören war,
sich durchgekämpft hat und nun
international antreten möchte. Das
Zeug dazu hat sie.
Die Band verbindet Alabama
Muscle Shoals Sound mit Memphis
Grooves, Swamp Blues, ein wenig
Gospel und nennt das ganze
„American Swamp“. Wie auch
immer, es ist ein ungewöhnlicher
aber unglaublich erdiger, starker
und mitreißender Stilmix - nur
das zählt.
Die Bandmitglieder stammen aus
den unterschiedlichsten Gegenden
der USA. Um den Sänger,
Gitarristen und Songschreiber D.
Miner, gruppieren sich der Bassist
und Sänger Anthony Cook und
der Drummer Ray Herron (alle
drei Gründungsmitglieder). Hinzu
kommen weitere hochklassige und
erfahrene Top Musiker. Interessieren
täte mich, was D. Miner zum Erhalt
seiner Stimme einsetzt (ausgeprägtes
Alleinstellungsmerkmal). In einem
Text heißt es hierzu „his (D.Miner’s)
distinctive bariton sounds as if it’s
been soaked in whisky for a century
and then dragged down an endles
gravel road …“
Die vorliegende selbstproduzierte
CD ist die erste der Band. Wie bei
vielen guten Bands sind die Mittel
knapp. Es entstand ein Album, daß
in einem Mississippi Juke Joint aufgenommen worden sein könnte.
Die Musik baut auf Swamp
Rhythmen auf. Neben Gitarre, Bass
und Schlagzeug, sorgen Keyboard,
Percusssion, Harp, Klavier,
Saxophone und Trombone für einen
leicht hypnotischen Klang. Der
Opener „Coming back for more“ ist
eher funky und berichtet von einem
Arztbesuch. „Long Way to Go“ ein
eher langsames Stück erzählt von
dem langen Weg zum Himmelstor.
„Gimme that Rise“ ist ein klassischer Swamp Song, eine Frau berichtet von ihrem unerfüllten Leben.
Neben den Eigenkompositionen
gibt es eine äußerst eigenständige
Interpretation des Merle Travis
Land Klassikers „Sixteen Tons“ der
bei youtube auch als Video vorliegt
– mitreißend!
Die Texte sind allesamt nicht kalifornisch leicht, sie beschreiben das
Leben in seinen Facetten. Allerdings
gibt es auch den Party Song „Rattle
Some Bones“, der so vital ist, dass
er Tote erwecken könnte (so im
Songtext).
Mich hat die CD nicht losgelassen.
In meiner Sammlung steht sie in
der (kleinen) Ecke für Besonderes.
Wer sich schwertut sie zu erhalten,
wende sich bitte an die Redaktion.
(Rankoutsider Records)
Bernd Kreikmann
65
Bobby Pa erson - I Got More
Soul!
In den 60ern nannte man Sänger/
Songwriter Bobby Patterson schon
mal den „Dallas‘ No. 1 soul brother“.
Heute ist der Texaner zwar schon
70 Jahre alt. Seine Stimme aber und
seine Songs sind im besten Sinne
zeitlos. Nachzuhören ist das auf
Pattersons erstem Album seit vielen Jahren mit dem mehr als zutreffenden Titel „I Got More Soul“.
Er habe die klassischen Sachen
von Patterson neu erschaffen wollen, meint Produzent Zach Ernst.
Zu sehr haben ihn die Live-Shows
des Texaners beeindruckt, als dass
er jetzt moderne Experimente
machen wollte. Und so ist „I Got
More Soul“ vom Cover bis zu den
einzelnen Songs ein Fest für jeden
Fan klassischer Soulsounds der 60er.
Die meisten der Songs hat Patterson
selbst geschrieben - als Songwriter
war er in der Vergangenheit schon
für alle zwischen Albert King und
den Fabulous Thunderbirds tätig.
Sorgsam ausgewählte Cover wie
Sly Stones „Poet“ (vom legendären
Album „There‘s A Riot Goin On“)
passen nahtlos in das Konzept.
* version in English on page
Wasser-Prawda | Juli 2014
66
P L AT T E N
Kein Wunder, dass Patterson Anfang
des Jahres beim SXSW-Festival
zu den Sensationen zählte! Dieser
Soulbrother hat es noch immer drauf,
mit jugendlichem Überschwang
und ohne Alterungserscheinungen
sein Publikum zum Soul zu bekehren! (Omnivore Rec.)
Raimund Nitzsche
Eigentlich ist er immer der Mann
mit der Rock & Roll Gitarre. Und
darin ist er gut wie eh und je.
Und Produzent Peter Collins (der
auch schon „Vavoom“ und „Dirty
Boogie“ produziert hatte), setzt
ganz auf den puren Drive dieses
Quartetetts mit Mark Winchester
(b), Kevin McKendress (p) und
Schlagzeuger Noah Levy.
„Rockabilly Riot! All Original“ ist
gleichzeitig frisch, wild und absolut retro. Zwölf Songs, die selbst
Halbtote zum Tanzen bringen können. (Surfdog/Membran)
Nathan Nörgel
Brian Setzer - Rockabilly Riot!
All Original
Drei Jahre nach „Setzer Goes InstruMental“ ist Brian Setzer wieder ins
Studio gegangen. Und er ist musikalisch ungefähr wieder dort angekommen, wo er mit dem Debüt der Stray
Cats war: Beim puren Rockabilly
mit seiner wilden Gitarre und Songs
über große Motoren, Frauen und
wilde Tanzparties.
Die Tolle sitzt, die Drums treffen
ins Bauchfell , das Piano spielt den
Boogie und die Finger jagen über
die Gitarre: Hier ist Brian Setzer
2014. Songs wie der Opener „Let‘s
Shake“ zitieren die ganze Geschichte
des Rock & Roll. Auch wenn die
Songs alle neu sind: Wer von Brian
Setzer eine musikalische Revolution
erwartet, kennt diesen Gitarristen
schlecht. Ob er nun Rock oder
Swing mit seiner Big Band spielt.
Wasser-Prawda | Juli 2014
Bridget Kelly Band - Forever in
Blues
„Forever In Blues“* ist das zweite
Album der aus Florida stammenden
Bridget Kelly Band. Die Gruppe hat
einen vollen, satten Sound, in dem
die großartigen Gitarrenlinien von
Tim Fik im Mix klar zu hören sind.
Kelly‘s Stimme ist stark, kraftvoll
und voller Soul.
Bei diesem Album bekommt man
auf jeden Fall was für sein Geld
geboten: 15 Songs, alle stark und
ohne Füllmaterial sind hier zu finden. Das ist einfach ein sehr gutes
*
English version on page
Album, dass die Aufmerksamkeit
schon von den ersten Takten an
gefangen nimmt und mit Elan und
Kühnheit mitreißt. Wenn es vorbei
ist, ist man traurig, aber glücklicherweise kann man es ja erneut abspielen, immer und immer wieder.
Die Bridget Kelly Band ist eine fein
aufeinander eingespielte Gruppe mit
einem guten Gespür für die Musik
und einer Reife, die man nur durch
jahrelanges Spiel in den Clubs, Juke
Joint und Bars der Stüdstaaten der
USA erwerben kann. Die selbstgeschriebenen Songs sind voller
Selbstvertrauen, ebenso wie auch in
der Darbietung derselben. Zeitweise
fühlte ich mich erinnert an die frühen - und vielleicht die besten Arbeiten von Johnny Winter.
Insgesamt fällt es schwer, etwas
an diesem Album zu bemängeln. Es steigert sich von Stück
zu Stück mit feinem Tempo und
Emotionen. Hervorheben sollte
man die Fähigkeiten der vier beteiligten Musiker. Das ist ein Album
für diejenigen, „who liker their
blues to rock their boat.“ (Alpha
Sun Records)
Iain Patience
P L AT T E N
Chuck E. Weiss - Red Beans
and Weiss
Angefangen hat Chuck E. Weiss
in den 60ern als Schlagzeuger für
Lightnin‘ Hopkins. Später war er
auch mit Willie Dixon, Muddy
Waters oder Dr. John auf der Bühne
oder im Studio. Dann aber schloss
er Freundschaft mit Tom Waits und
zog von Denver nach Los Angeles,
wo er mit ihm gemeinsam im
Tropicana Motel wohnte.
1981 veröffentlichte er als Debüt
eine Sammlung von Demos unter
dem Titel „The Other Side of
Town“. Doch statt eine eigentliche Karriere zu starten, spielte er
jahrelang wöchentlich in einem
Nachtclub. Dann überredete er
Johnny Depp dazu, aus dem Central
den Viper Room zu machen. Erst
1999, 2001 und 2007 erschienen
weitere Alben.
Wenn jetzt Tom Waits und Johnny
Depp öffentlich das Lob von Weiss‘
neuem Album singen, dann hat das
natürlich auch persönliche Gründe
(und nicht nur die, dass beide als
Executive Producers eines der
schrägsten Alben im Bluesumfeld
2014 geführt werden). Aber auch
musikalisch und vom Songwriting
her ist die Scheibe mit dem blödsinnigen Titel eine echte Empfehlung
wert. Denn Weiss hat hier Songs
geschrieben, die vom Classic-Blues
der 20er Jahre bis hin zu den versoffenen Bar-Blues-Nummern des
jungen Waits und dem abgedrehten
Bluesrock von Captain Beefheart
reichen.
Wer formale Zwölftaktigkeit und
strenges Festhalten an eingefahrenen
Klischees erwartet, dürfte schockiert
werden. Gerade diese Klischees werden durch den Wolf gedreht und
mit teils absurdem Humor, teils voller Blödsinn in den Texten serviert.
Manches geht dabei gehörig in die
Hose (eine Nummer wie „Willy‘s
in the Pee Pee House“ ist so dämlich, dass sie einfach nicht mehr
cool sein kann), aber anderes ist
ein intellektueller Spaß auf höchstem Niveau (großartig, wie „Oo
Poo Pa Do In The Rebop“ hier den
Blues gegen schräge Jazzrhythmen
setzt). Und der von den Stones
selbst nicht veröffentlichte „Exile
on Main Street Blues“ ist mehr
als ein Hören wert, versetzt er die
Jagger/Richards-Nummer doch erst
in die Vorkriegszeit, bevor die komplette Band mit fettem Saxophon
draus eine deftige Rhythm & BluesNummer macht.
Johnny Depp meint, dass wäre das
Album, das man in diesem Jahr
unbedingt kaufen sollte. Ich meine:
Auf jeden Fall anhören und dann
entscheiden, ob einem der Sinn
nach einem derartigen musikalischen Spaß steht. Ich hab mich köstlich amüsiert. (anti-)
Raimund Nitzsche
67
Crosby S lls Nash & Young
- CSNY 1974
31 Konzerte in 24 Städten
gaben Crosby Stills Nash &
Young im Sommer 1974. Aus
den Mitschnitten von neun der
Konzerte haben Graham Nash und
Joel Bernstein jetzt eine Box mit drei
CDs und einer DVD zusammengestellt, die in ihrem Ablauf versucht,
ein typisches Konzert jener Tour zu
dokumentieren.
Musikalische Legenden ranken sich
um diese Tour. Von Unmengen Koks
ist die Rede, die die Musiker konsumiert haben sollen. Neil Young
soll sich andauernd über den miesen Sound der Stadionkonzerte
beschwert haben. Doch die Kritiken
damals vor 40 Jahren waren eigentlich einhellig positiv bis begeistert.
Und das nicht zu Unrecht, was man
jetzt endlich nachhören kann.
Da die vier Musiker kein neues
Album gemeinsam gemacht hatten,
standen viele neue Solonummern auf
dem Programm, die damals teilweise
noch nicht veröffentlicht waren.
Vor allem die Nummern von Neil
Young bringen in ihrer Härte einen
guten Kontrast zur Hippieseligkeit
der älteren Stücke. Als er etwa „On
Wasser-Prawda | Juli 2014
68
P L AT T E N
The Beach“ anstimmt, da verdunkelt dieses Stück die ganze vorherige
helle Atmosphäre. Sein Gitarrensolo
explodiert förmlich.
Die Stücke von Nash setzen
dagegen den optimistischeren
Gegenpart. „Our House“ oder
„Teach Your Children“ wirken in
ihrem Optimismus schon hart an
der Grenze zum Kitsch. Doch mir
sind besonders Stücke wie „Militäry
Madness“ aufgefallen, die sonst
nicht auf den Hitsamplern zu finden sind.
Bei allem Zwist, bei allen
Drogennebeln: CSNY 1974 ist
ein überragendes Live-Album ein
Dokument einer Tournee vor 40
Jahren. Die Box mit einem umfangreichen Booklet ist ein großartiges
Sammlerstück, das die Zeit vor 40
Jahren nochmals zum Leben erwecken vermag. (Rhino)
Raimund Nitzsche
David Blair - Stronger, Higher,
Faster
Songwriter David Blair stammt
aus Kanada, hat aber inzwischen
Deutschland als Wohnsitz gewählt.
Um bekannter zu werden, hat er
für seine erste Veröffentlichung
Wasser-Prawda | Juli 2014
hierzulande Songs aus seinen bislang drei Alben zusammmengefasst.
18 Poprocksongs zwischen sehnsuchtsvollen Balladen bis zu grovenden Rockern mit Hiphopeinflüssen
finden sich auf „Stronger, Higher,
Faster“.
In seiner Heimat kam David Blai
bei „Canada‘s Got Talent“ bis
ins Halbfinale. Und auch in den
Vereinigten Staaten ist man schon
auf den Mulitiinstrumentalisten
aufmerksam geworden. Schon
mehrfach wurde er für den Billboard
Songwriter Award nominiert.
Doch mittlerweile hat er Berlin als
Wahlheimat für sich entdeckt und
tourt vor allem durch die kleinen
Clubs des Landes. Und mit seinem
Repertoire könnte ihm eigentlich
der große Durchbruch gelingen.
Melodisch einfallsreich sind die
Lieder und überraschen immer wieder mit unerwarteten Wendungen.
Songs wie „I Hate Liking You“ sind
Liebeslieder, die angenehm aus den
oft klischeebeladenen Schnulzen
herausstechen. Und bei Liedern
wie „Stay In Touch“ kann man
Blairs Liebe zum Soul hören. Und
quasi als Zugabe macht er uns dann
noch einen Vorschlag für eine neue
Geburtstagshymne.
„Stronger, Higher, Faster“ ist
das richtige Album für Freunde
des melodischen Poprock, eine
Empfehlung vor allem für die ruhigeren Stunden des Tages.
Nathan Nörgel
Deanna Bogart - Just A Wish
Away
Beim Blueslabel Blind Pig
gehört Songwriterin/Pianistin
Deanna Bogart ein wenig zu den
Außenseitern. Denn ihre Musik lässt
sich nun mal nicht einfach auf den
Blues festlegen sondern bedient sich
aus allem zwischen Blues, Jazz, Pop,
Country und Soul.
Wenn es radiofreundliche Musik im
besten Sinne gibt, also Musik, die
ich gerne zwischendurch im Radio
hören würde, dann gehören die
Lieder von Deanna Bogart auf jeden
Fall dazu. Ob es sich um losrockende
Nummern wie den Opener „If It‘s
Gonna Be Like This“ handelt oder
um einen Country-Schmachtfetzen
wie „If You Have Crying Eyes“ handelt, um zärtliche Balladen wie
„Back And Forth Kid“ oder eine
von Bläsern vorangetriebene funkige Nummer wie „Collarbone“:
Bogart schreibt Songs, denen man
auch nebenbei gerne zuhören mag,
die aber ihren Glanz auch nicht verlieren, wenn man sich aufmerksam
in sie versenkt.
Gemeinsam mit Produzent Joe
Michaels hat sie sich für die Sessions
P L AT T E N
Musiker zusammengesucht, die
ansonsten bei Bruce Springsteen
und Royal Southern Brotherhood
ebenso spielen wie bei Harry
Connick Jr. Das Ergebnis ist kein
stilloser Mischmasch sondern ganz
im Gegenteil eine faszinierende
Popscheibe voller Blues und Soul.
(Blind Pig)
Nathan Nörgel
lichen von den Gitarristen und
Frontleuten Mark Johnson und Tom
Gray geschrieben, Eingeschlossen
sind aber auch der alte Klassiker
„Shake `Em On Down“ von Fred
McDowell, Skip James‘ eindringlicher „Hard Times Killing Floor
Blues“ und eine überraschende
Version des Mantras „Nightclubbin“
von David Bowie & Iggy Pop.
Egal welches Lied: der Sound
ist immer eindeutig Delta
Moon, das fabelhafte Spiel der
Zwillingsgitarren, fast immer von
den Slides angetrieben, gibt der
Band einen vollen, runden Sound,
der über die häufiger zu hörenden
Doppelgitarren hinausreicht.
Insgesamt ist das eine exzellente
Veröffentlichung, ein Muss für
jeden, der Slide-Gitarren liebt und
den runden Sound mit dem starken
Delta Moon - Turn Around
Feeling des Südens, den man von
When Possible
Delta Moon gibt es jetzt schon einer Band aus Atlanta, Georgia,
eine ganze Weile, eine klasse Band erwarten kann, einer Band, die tief
mit Stil, Fähigkeiten und Qualität verwurzelt ist im Süden.
im Überfluss. Das ist ihr neuesIain Patience
tes Album, eine Live-Aufnahme,
die während der Europatour 2013
mitgeschnitten wurde. Die meisten Aufnahmen entstanden dabei
in Deutschland. Es ist ein hervorragendes Album, dass den Geist
ihrer Konzerte einfängt und voll ist
vom atemberaubenden, mitreißenden, prickelnden Spiel der Band auf
zwei elektrischen Slide-Gitarren.
Dieser Ansatz gibt ihnen einen charakteristischen treibenden Sound,
der von einem eingängigen Bassspiel
von Franher Joseph und verdammt Eli „Paperboy“ Reed - Nights
perfekten Drumming von Darren Like This
Weil sein Produzent Mike Elizondo
Stanley perfekt abgerundet wird.
Die zehn Tracks wurden im wesent- einen Job als Stammproduzent bei
69
Warner Bros. bekam, wechselte der
Retro-Soul-Star 2012 mit ihm zum
Major-Label. Und jetzt kommt
als Ergebnis „Nights Like This“
auf den Markt und zeigt einen Eli
Paperboy Reed, der seine eingängigen Soulsongs mit Loops und anderer Elektronik kombiniert.
„Shit is getting real now“, singt Reed
in seinem Song „Grown Up“. Es ist
ziemlich programmatisch für das
Album des Songwriters: Es geht um
den Mainstream, den ganz großen
Erfolg. Der Major-Deal als Zeichen
des Erwachsenwerdens. Reed spricht
in Interviews davon, dass er keinen
Druck davon verspürte außer dem,
sich aus der selbst gewählten RetroNische zu befreien.
Klar: die Gute-Laune-Melodien, die
man von Reed kennt und liebt, sind
immer noch da. Doch der Soul wird
nicht mehr mit der rauhen Energie
der Vorgängeralben präsentiert, sondern erscheint immer wieder durchsetzt von Elektronik und Popsounds.
Man kann das als künstlerische
Weiterentwicklung betrachten. Auf
mich wirken diese Zutaten nicht
wirklich überzeugend. Schrieb Reed
seine Songs früher mit der Gitarre
und seiner Stimme im Zentrum,
so merkt man ihnen jetzt an, dass
sie um Samples und Loops herum
konstruiert wurden. Und das ist für
mich das Ende des überzeugenden
Soulsängers und der Beginn eines für
mich weniger interessanten Popstars
unter vielen. Die guten Songs werden von den neuen Zutaten erschlagen. Und die Stimme des Sängers
versinkt darinSchade drum!
Nathan Nörgel
Wasser-Prawda | Juli 2014
70
P L AT T E N
Denn das Album überzeugt auch
ohne ein derartiges Label. Schon
der Opener, der Klassiker „Breaking
Up Somebody‘s Home“ macht die
Richtung klar: Der Groove ist deftiger Funk, das Feeling tiefster Blues
und der Gesang reinster Soul. Zur
Unterstützung ist eine komplette
Hornsection im Studio dabei. Auch
die eigenen Songs der Band (teils
von Love und Domizio, teils auch
von Domizio mit dem Gastsänger
Rick Lawson oder allein verfasst)
Fo‘Reel - Heavy Water
Was neues aus New Orleans. Auf gehen ganz in diese Richtung. Und
„Heavy Water“ kocht der Blues mit bei Instrumentalnummern wie
gehörig Funk. Zeitweilig macht die „Tater“ oder „Gate“ kommen dann
Musik Ausflüge in Richtung Swing auch die Jazzfans auf ihre Kosten.
oder Latin. Ehrlich: diese Scheibe Fo‘Reel ist eine Band die man sich
passt so richtig zum schwülheißen auf jeden Fall merken sollte. Und
Sommerwetter. Aber wer bitte ist „Heavy Water“ ist ein Pflichtkauf
für alle Freunde des funkigen Blues
Fo‘Reel?
Sammler rarer Soul- und Funk- aus dem Süden. (cdbaby)
Nathan Nörgel
Singles kennen C.P. Love (Carrollton
Pierre Love) vor allem wegen dem
bei Malaco in den frühen 70ern
veröffentlichten Single „I Found
All This Things“. Doch der am 1.
Mai 1945 in New Orleans geborene Sänger verschwand lange aus
dem Bewusstsein, war hauptsächlich
in seiner Heimatstadt musikalisch
aktiv. Jetzt ist er Sänger bei der von
Gitarrist Mark Domizio gegründeten Band, zu der auch noch Johnny
Neel (keyb) und Bassist David Hyde
gehören. In den Südstaaten geht
diese Truppe schon als Supergroup Gregg Allman: All my friends
durch. Klar: Neel gehörte lange zu - celebra ng the songs &
den Allman Brothers. Und Doimizio voice of Gregg Allman
wird von Fans und Kritikern aus Mit dem Ausscheiden von Derek
New Orleans als einer der besten Trucks und Warren Haynes war das
Bluesgitarristen überhaupt gefeiert. Ende der Allman Brothers eigentlich
Also kann man das so stehen lassen. besiegelt. Eigentlich! Aber Gregg
Aber es ist eigentlich nicht nötig. Allman machte aus der Not eine
Wasser-Prawda | Juli 2014
Tugend, ließ im Januar 2014 im
Fox Theatre in Atlanta eine bombastische Show organisieren und sich
und seine Songs ausgiebig feiern.
Zwar ist das Ende der Allman
Brothers Band mit der Show nicht
ganz in Relation zu setzen, aber dieses Tributalbum hält auf alle Fälle
die Erinnerung wach.
Best-of und Compilations sind normalerweise nicht mein Fall, aber hier
ist die Intention eine andere. Das
Gesamtwerk steht im Vordergrund.
Statt der Linie innerhalb einer CD
gibt es phantastisches Line-up von
Freunden, die das ihrige beitragen,
um Gregg Allmans Lebenslinie mit
seinen Songs zu untermalen.
Diese Show wurde nun in Form
einer doppelten Audio-CD und
einer Video DVD veröffentlicht.
Zu finden sind nahezu nur Songs
aus der Feder oder mit Beteiligung
von Gregg Allman. Die Liste der
Freunde zeigt die große Bandbreite,
mit der Gregg Allmann Songs
geschrieben hat. Aus der Neuzeit
stammen Songs, wo Warren
Haynes und Derek Trucks schon
Lead gespielt haben aber ebenso
findet man schöne Stücke mit Dr.
John oder ganz alte Coverversionen
von Muddy Waters. Die Auswahl
der Stücke und der Sänger zeichnet eine authentische Spur von
Soul mit Sam Moore bis Country
mit Vince Gill, Martina Mc Bride
oder Pat Monahan. Fulminant auch
die Versionen von „Dreams“ und
„Whipping Post“ der kompletten
Allman Brothers Band, wo ein perfektes Weaving von Sologitarren,
Drums und Bass gespielt wird.
Gregg Allman selbst tritt insgesamt
P L AT T E N
nur sechs Mal in Erscheinung,
ansonsten lässt er seinen Freuden
den Vortritt. Mit Jackson Brown
singt er dann aber die Songs „These
Days“ und „Melissa“ und mit Taj
Mahal gibt es den „Statesboro
Blues“ zu hören. Insgesamt gibt
es 26 Songs auf Audio CD oder
Video DVD samt einem Booklet
mit Bildern. Nicht zu vergessen die
All Star Band mit Topmusikern wie
Chuck Leavall und Jimmy Hall, nur
um 2 von 12 Musikern zu nennen.
Die DVD als Ergänzung zu den beiden Audio CDs ist eine bombastische Bereicherung, weil das Fox
Theatre eine fantastische Location
ist. Viele seiner Weggefährten
kommen zu Wort und äußern sich
über Gregg Allman und über die
Zusammenarbeit mit ihm. Dass
Dickey Betts nicht zu den Freunden
gehört, ist fast schade. Das übliche
Gruppenbild mit Gesang zu „Will
the Circle be unbroken“ zeigt noch
mal die ganze Bandbreiten von Gregg
Allmans Wirken und musikalischen
Einflüssen und Beeinflussungen.
Das Album ist als Livemitschnitt
fast zu sauber und glatt produziert
ist und doch: Für Allman Brother
Band oder Gregg Allman Fans ein
Muss, auch wenn die Freundesliste
sich mit Eric Claptons Crossroads
2013 deutlich überlappt.
Mario Bollinger
71
Labelkollegen Mick Simpson - von
Littlewood reichlich rauh und direkt
produziert. Das ist genau der Sound,
die diese Songs und die zupackende
Harp von Hunt (und auch seine rotzige Stimme) braucht.
Harmonicadave mag kein Virtuose
auf der Harp sein - kein Vergleich
etwa zur jüngeren Generation um
Will Wilde - doch die Kombination
von diesen heftigen Riffs, dem
stoischen Groove und der rauhen Stimme macht aus „Box Full
of Blues“ ein Album, dass nicht
Harmonicadave - Box Full of
nur bei Bikertreffen Spaß macht.
Blues
L a n g e l e b t e u n d s p i e l t e Zupackend und niemals langweilig!
Nathan Nörgel
Harmonicadave hauptsächlich in
Spanien und war dort besonders in
der Bikerszene beliebt. Mittlerweile
hat Dave Hunt seinen Wohnsitz
wieder nach Großbritannien verlegt und eine musikalische Heimat
bei Mad Ears Production gefunden,
wo sein neues Album „Box Full of
Blues“ entstand.
Irgendwie ist das von Andy
Littlewood geleitete Label Mad
Ears Production eine große musikalische Familie. Regelmäßig sind The Harpoonist & The Axe
die Musikerinnen und Musiker wie Murderer - A Real Fine Mess
Malaya Blue, Mick Simpson oder Mit ihrem dritten Album haben
Littlewood selbst auf den Alben The Harpoonist & The Axe
der Kollegen zu hören. Und auch Murderer ihr striktes Duoder seit den 70ern beständig tou- Konzept aufgelöst. Auf „A Real
rende Harmonicadave machte seit Fine Mess“ kommen zu Bluesharp,
2012 einige Gastauftritte etwa bei Gitarre und Fußpercussion noch
Simpson oder Mockingbird Hill mit eine Backgroundsängerin, ein
seiner deftigen Harp.
Keyboarder und einmal sogar eine
Sein eigenes Album ist eine Hornsection hinzu. Musikalisch
S a m m l u n g v o n d e f t i g e n bleibt zum Glück der Blues ganz im
Bluesrockern und Songs, die eher Zentrum dieser einzigartigen kananach den Bayous von Louisiana dischen Band.
als nach britischer Großstadt klin- Bin ich froh, dass ich mir grad
gen. Alles ist - anders als etwa beim die Haare habe schneiden lassen.
Wasser-Prawda | Juli 2014
72
P L AT T E N
Ansonsten könnte ich auf Grund
der heftigen Kopfbewegungen nicht
mehr lesen, was ich gerade tippe:
Die Rhythmen bei Songs wie bei
„Days We Call Black“ sind nicht
nur für Bluesliebhaber äußerst aufmunternd. Auch Headbanger haben
daran ihre helle Freude. Aber das war
bei Shawn Hall (voc, mharm) und
Matthew Rogers (g, perc) ja schon
immer so. Ihr Bluesrock ist höchstens noch funkiger geworden beim
neuen Album. Und man merkt den
Songs an, dass im Hintergrund auch
die Sehnsucht nach dem perfekten
Popsong, der aber ohne Verrat am
eigenen Stil gesucht wird. Hilfreich
dabei die durchgängig eingesetzten
Backgroundsängerinnen aber auch
die Keyboards, die diesmal von
einem Gastmusiker gespielt werden. Dadurch werden die schweren Grooves immer wieder aufgelockert. Der rauhe Gesang Halls
macht immer mal wieder Ausflüge
in Richtung von Soulballaden.
Mit diesem Album sollten sich die
Musiker von den ewigen Vergleichen
mit den Black Keys freigeschwommen haben. Was allerdings bleiben
wird ist die geistige Verwandschaft
zu den White Stripes. Gerade durch
die Ausflüge hin zu Pop und Soul
ist eine Musik entstanden, die
das Erbe dieses Duos in würdiger
Weise (und ohne zuviel Verweise
auf Led Zeppelin) fortschreibt.
Eine tolle Scheibe für Leute ohne
Scheuklappen!
Raimund Nitzsche
Wasser-Prawda | Juli 2014
Impala Ray - Old Mill Valley
Jamie Bernstein - WhoonDang
Kalifornische Sommer in den bayrischen Bergen: In den Liedern
von Impala Ray verbindet sich der
amerikanische Folk mit bayrischer
Folklore.
Er nennt seine Musik BayFolk und das ist im doppelten Sinne zu
verstehen und beide Bedeutungen
treffen zu, wenn man sein aktuelles Album „Old Mill Valley“ als
Beleg heranzieht. Da singt er von
weißen Palmen ebenso wie von seinem Urgroßvater dem Schmied,
von Seeleuten und ihren wartenden
Frauen, vom Umschlagen der Tide
und der Sehnsucht nach zu Hause.
Und die Melodien aus dem kalifornischen Folkrock werden plötzlich
mit einer urbayrischen Tuba europäisiert, während im Hintergrund
die Geräusch zu erahnen sind, die
in der Natur rund um die Hütte
in den Bergen macht, in der „Old
Mill Valley“ produziert wurde. Das
ist so Folk so richtig passend für
den Sommer, wenn man eigentlich
schon gerne in die Ferne gefahren
wäre, aber dennoch in der Heimat
bleiben muss.
Nathan Nörgel
Eigentlich stammt Songwriter Jamie
Bernstein ja aus den Appalachen.
Doch seit 20 Jahren lebt er jetzt
schon in New Orleans. Auf seinem neuen Album ist davon
allerdings recht wenig zu hören.
„WhoonDang“ klingt eher nach
Mainstream-Country als nach dem
Jazz, Blues und Funk, der dort
gespielt wird.
Wer sich fragt, was „WhoonDang“
bedeutet, der bekommt hier eine
wirklich nette Geschichte zu hören.
Wenn man Jamie Bernstein glauben will, dann inspierierte dieses
Geräusch einer Kette, die gegen
einen alten Ford Model T schlägt,
Professor Longhair zum Rhythmus
seines legendären Hits „Tipitina“.
Der Rest des Albums hat leider nur
wenig, was mit dieser Geschichte
mithalten kann. Denn die durchweg in mittlerem Tempo gehaltenen Songs erzählen ziemlich klischeehafte Geschichten eines
Countryboys in der Stadt. Nur
bei „Feel What I Play“ kocht dann
doch noch mal der Funk ein wenig
über und erinnert daran, wo diese
Scheibe entstand.
P L AT T E N
Nathan Nörgel Songwriter seit vielen Jahren hierzulande live zu erleben und tourt
mit deutschen Musikern. Und so
nimmt es nicht Wunder, dass ein
Lied wie „Old Messiah“ auf dem
urdeutschen „Lindenbaum“ von
Wilhelm Müller basiert. Aber auch
das passt: Die deutsch-romantische
Unruhe und Naturverbundenheit
verträgt sich gut mit Liedern über
das Leben on the road und die
Unsicherheit in Beziehungen.
Und so eine vom Sound her typische Country-Nummer wie „Old
Jay O away - Carry On
World Wine“ spielt nicht nur mit
Mal rockig, mal mehr in Richtung den Klischees von Alter und Neuer
Country - aber immer eingän- Welt - sie wurde auch gemeinsam
gig und perfekt produziert kom- von Ottaway mit dem deutschen
men die Songs auf „Carry On“ Gitarristen Julian Müller und dem
daher. Entstanden ist das zweite irischen Texter Michael Cummins
Album des aus Boston stammenden gemeinsam verfasst.
Songwriters für das deutsche Label Gewidmet ist das ganze Album
Cactus Rock Records in Boston, den Opfern des Bombenanschlags
Nashville und Köln.
beim Boston Marathon im letzten
So international die Entstehung Jahr. Mit diesem Ereignis setzt sich
und die Herkunft der beteilig- besonders „Even Moses Is Crying“.
ten Musiker: Die Musik von Jay Insgesamt ist „Carry On“ ein perOttaway ist so typisch amerikanisch, fekt produziertes Songwriteralbum
wie überhaupt nur denkbar. Man zwischen Rock und Country. Die
hört in seinen Liedern immer wie- durchweg intelligenten Lieder könnder Anklänge an die Heartbreakers ten für meinen Geschmack oftmals
von Tom Petty, an Folkrock in der ein wenig mehr „Dreck“ vertragen.
Nachfolge der Byrds, an aktuellen Aber so ist das Album wahrscheinCountry-Pop und ab und zu auch an lich viel eher auch mal im Radio zu
Blues oder Jazz. Mal wird es rocki- hören. Und das haben die Lieder
ger und klingt zuweilen auch nach eindeutig verdient. (Cactus Rock
Songs von Springsteen, häufig sind Records)
es Balladen, die das Tempo rausnehRaimund Nitzsche
men und die mit Pedal Steele und
Geige in jeden Country-Schuppen
passen können.
Aber wenn man genauer hinhört,
dann entdeckt man auch die Einflüsse
aus Deutschland. Schließlich ist der
73
John Hia - Terms Of My
Surrender
John Hiatt muss man nicht vorstellen. Einer der besten Singer/
Songwriter in der Welt der
Americana-Musik, steht er seit
Jahren an der Spitze der CountrySzene, ist ein Favorit in Nashvill und
ein Dauerbrenner bei Festivals in
den Vereinigten Staaten, der sowohl
Horden von Fans anzieht als auch
immer für solide Albumverkäufe
gut ist.
Im Laufe der Jahre waren Hiatts
Songs von Künstlern, die so verschieden sind wie Bob Dylan,
Bonnie Raitt („Thing Called Love“),
Iggy Pop und der Jeff Healey Band
(um nur einige von vielen zu nennen) aufgenommen worden.
Interessanterweise ist dieses Album
gleichermaßen besinnlich wie faszinierend. Mit „Terms Of My
Surrender“ kehrt Hiatt zu seinen
Wurzeln und seiner Basis zurück
mit einem äußerst reduzierten meist
akustischem Album voller kehligem
Gesang und vom Blues beeinflusster
Stücke, die die echte Liebe zu dieser Musikform widerspiegeln: Das
ist der Mann, der „Riding With The
Wasser-Prawda | Juli 2014
74
P L AT T E N
King“ geschrieben hat, ein Stück
das zum Titelsong für das mit dem
Grammy ausgezeichnete Album von
BB King und Eric Clapton geworden ist.
Das Album ist ein Triumph mit
Hiatts cleveren Texten, die eine große
Zahl vertrauter Themen abdecken:
Erlösung, das Altern, Beziehungen,
Kummer und Schmerz. Also die
klassischen Themen des Blues.
Elf Songs bilden die CD, jeder einzelne ist ein kleines Meisterstück
auf seine Art. Es ist ein vollendetes Beispiel für Showmanship und
Eleganz in der Form mit genial
gespielter Bluesgitarre von einem
echten amerikanischen Meistes des
Geschichtenerzählens und einem
großartig goovenden Gitarristen.
(New West Records)
Iain Patience
die ihre Berechtigung hat! Wenn
etwas die Musik in der DDR ausgezeichnet hat, war es die lyrische
Vielschichtigkeit der Lieder, einerseits ganz im Alltag verankert,
doch zwischen den Zeilen blieben sie im besten Falle offen für
das Wegträumen aus dem grauen
Alltag. Genau das kann man jetzt
bei Liedern wie „Fantasie“, „Musik
der Sterne“ oder „Auf dem Weg zur
Sonne“ machen. Man spürt den
Liedern von Kleeberg aber nicht nur
die Liebe zu ostdeutschen Klängen
an sondern auch Einflüsse von
Songwritern wie Konstantin Wecker
und anderen.
Nachan Nörgel
Lee Fields - Emma Jean
Kleeberg & Genossen - das
alles nennt sich leben
Songwriter-Pop trifft auf rockende
Ausbrüche. Die Würzburger Band
Kleeberg & Genossen allerdings
nennt ihre Musik „Ostrock“. Grund
für die in einer Studenten-WG
entstandene Band: Songwriter
Benjamin Kleeberg stammt aus dem
sächsischen Grimma.
Endlich mal eine Genre-Zuordnung,
Wasser-Prawda | Juli 2014
Ähnlich wie George Bradley oder
Sharon Jones hat sich Lee Fields mit
seiner Begleitband The Expressions
in den Jahren seit 2009 als einer
der besten Soulsänger der Zeit etablieren können. Die Bezeichnung
„Retro“ trifft auf ihn nicht zu, denn
er macht seine Soulmusik schließlich schon seit den 70er Jahren.
Mit dem aktuellen Album „Emma
Jean“ präsentiert sich der Sänger
zudem noch als ein überzeugender
Songwriter.
„Du kannst einfach nicht gewinnen“ - versuch, was Du willst.
Aus dem Kreislauf der Armut
kommt man so nicht hinaus. Der
Soulblues, mit dem Lee Fields das
seiner verstorbenen Mutter gewidmete Album beginnt, macht klar:
Soulmusik ist eben nicht nur die
hippe Untermalung für Parties
von Jugendlichen, die in der
Vergangenheit die passende Musik
für heute gefunden haben. Soul ist
im eigentlichen Sinne wie auch der
Blues eine Musik, die nicht im luftleeren Raum existieren kann, sondern immer den Kontakt zum realen Leben braucht, um lebendig und
echt zu sein.
Lee Fields hat für „Emma Jean“
daher Songs geschrieben, die von
Liebesschmerz und -freude bis hin
zu den Tücken des Alltags und der
Erinnerung an schwere Zeiten in der
Vergangenheit handeln. Musikalisch
kann man dieses Album schwer einordnen: Fields hat es geschafft, die
verschiedensten Spielweisen von
James Brown Funk über Southern
Soul, Blues und Anklängen an die
großen Sänger der 70er zu seinem
ganz eigenen Stil zu vereinen.
„Emma Jean“ ist wahrscheinlich bei
den Hörern, die zunächst Material
für ihre Tanzparties suchen, weniger
erfolgreich. Doch wer sich auf den
Geschichtenerzähler Fields einlässt,
der stellt schnell fest: Das hier ist
ein Soulalbum, wie man es nur selten finden kann!
Raimund Nitzsche
P L AT T E N
Vom Titelsong, mit dem das Album
beginnt bis zu seinem Ende holen
Holcombes mitreißende Texte und
seine zeitweise wie aus dem Grab
klingende Stimme das Album aus
den Schatten ins Licht und verschaffen ihm mit Leichtigkeit einen Platz
in der Sammlung jedes Liebhabers
akustischer Bluesmusik. Das ist ein
Mann, der immer interessant ist,
der es sich traut, unterschiedlich
Malcolm Holcombe - Pi ful
zu sein und sich fernzuhalten vom
Blues
Mainstream-Blues.
Das ist Holcombes zehnte
Schon allein für die kolossalen
Veröffentlichung bislang. Wie die
Basslinien und die klirrenden Soli
vorherigen wird seine rauhe Stimme
mit den schleppenden Vocals auf
gepaart mit gutem akustischen
dem Titelsong lohnt sich der Kauf
Gitarren-Picking. Für mich ist das
des selbstproduzierten „Pitiful
wahrscheinlich sein bislang bestes
Blues“. (www.malcombeholcome.
Album.
com)
Beheimatet in der Piedmont
Iain Patience
Region von North Carolina reflektiert Holcombes Gitarrenspiel die
Art und den treibenden Stil seiner
Mick Simpson
Unfinished Business
Heimat in den Appalachen zusammen mit einem gekonnten Mix von
Picking im Stil der 1930er Jahre
mit Einflüssen aus Americana und
Bluegrass. Das Ergebnis ist vom
Sound und dem Feeling her eine
Art von „Hinterwäldler Blues“, die
Art Musik, die man an einem heißen, schwülen Tag auf einem verschlafenen Hof im Süden erwartet.
Wie immer bei diesem Künstler sind
die Texte stark und gefühlsgeladen. Mick Simpson - Unfinished
Das ganze Album mit seinen zehn Business
Liedern ist rappelvoll mit kraftvollen Im Spiel von Mick Simpsons Gitarre
und rauen Gefühlen, der reduzierte kann man Einflüsse von Mark
Sound springt einen von der CD Knopfler und Eric Clapton ebenso
an und packt einen an der Kehle. hören wie von Gary Moore. Gerade
Holcombe ist keiner, den man igno- letzterer Gitarrist wird auf dem akturieren sollte. Sowohl seine Stimme ellen Ablum „Unfinished Business“
als auch sein Spiel verlangen und des britischen Bluesrockers besonrechtfertigen jede Aufmerksamkeit. ders gewürdigt.
75
2005 spielte Gitarrist Mick Simpson
zum 80. Geburtstag von B.B. King
in dessen New Yorker Blues Bar.
In der Zeit war er auch mit Gary
Moore und Snowy White unterwegs
in aller Welt. Doch erst 2010 veröffentlichte er sein Debüt als Solist
unter dem Titel „Hard Road“.
„Unfinished Business“ ist die richtige Bluesrockscheibe für diejenigen, für die Gary Moore einer der
wichtigsten weißen Bluesgitarristen
war. Zwischen balladesken Sounds,
die gut ins mitternächtliche
Radioprogramm passen bis hin
zu treibenden Rockern reicht das
Spektrum des Briten hier.
Für mich sind vor allem das treibende „50 Miles from Memphis“
oder der Opener „Trouble Brewing“
empfehlenswert. Gary Moore Fans
allerdings werden angesichts von
„Drwoning In My Tears“ in selbige ausbrechen: Neun Minuten
lang wird hier a la Moore gespielt,
dass manche Kritiker sich verwundert die Ohren säuberten, ehe die
spontane Idee einer unveröffentlichten Aufnahme Moores sich verflüchtigte: Diese Ballade zeigt die ganze
Meisterschaft Simpsons als lyrischer Gitarrist aufs Feinste. Wäre
es nicht ausdrücklich als Tribut an
den Verstorbenen gekennzeichnet,
müssten die Urheberrechtsanwälte
in Aktion treten.
Begleitet wird Simpson auf
dem Album unter anderem
von Produzent/Labelchef Andy
Littlewood an Keyboards und
Bassgitarre und von Schlagzeuger
Alan Young. (Mad Ears Productions)
Nathan Nörgel
Wasser-Prawda | Juli 2014
76
P L AT T E N
Lieder entwickeln einen psychedelischen Sog, verweigern sich strikten Formen und fließen dahin
und ineinander über, so dass dieses Album tatsächlich zu einem
einzigen Song verschmilzt. Slideund andere Gitarren wechseln sich
mit Instrumenten wie der Lyra,
Cimbalon oder Metallophon ab und
schaffen atmosphärische Sounds.
Und auch wenn man sich manchmal auf „sicherem“ Blues-Terrain zu
befinden glaubt: Hier ist nichts so,
wie es in den ersten Takten angePaul Karapiperis - One Sin In
kündigt wird.
Seven Parts
Mit seiner Band Small Blues Insgesamt ist „One Sin In Seven
Trap aber auch als Solist hat Parts“ eines der anregendsten
der griechische Songwriter Bluesexperimente der letzten Jahre.
und Multiinstrumentalist Paul Karapiperis, der einen Großteil der
Karapiperis in den letzten Jahren Instrumente selbst gespielt hat,
verschiedene Alben veröffentlicht. hat hier ein Werk veröffentlicht,
Sein jüngstes Werk „One Sin Seven das man wohl am ehesten wirkParts“ kann man kostenlos auf sei- lich mit solchen Blues-Suiten wie
„Bare Wires“ vergleichen kann.
ner Webseite herunter laden.
Was ist das jetzt? Ein Konzeptalbum? Auch wenn er als Sänger viel eher an
Eine Blues-Suite wie John Mayalls Captain Beefheart oder auch Tom
„Bare Wires“? Paul Karapiperis hat Waits erinnert. Faszinierend!
Raimund Nitzsche
einen Text auf sieben Songs verteilt,
die innerhalb einer reichlichen halben Stunde den Willkommensgruß
an einen neuen Erdenbürger entstehen lassen. Diese Welt, so der
Dichter ist eine der verrücktesten, die man kennenlernen kann.
Und auch wenn es Zeiten der
Geborgenheit gibt, ist doch oft die
einzige Chance des Überlebens die
Flucht und die Suche nach geheimen Verstecken. Und sei es ein
Versteck für all die Erinnerungen,
die einen jagen.
Robin Banks - Modern Classic
Nicht verwunderlich, wenn Kollegen Soul, Blues und Jazz als klassische
bei der Musik Verbindungen zu Musik von heute? Die im kanadiden frühen Pink Floyd ziehen: die schen Toronto lebende Sängerin
Wasser-Prawda | Juli 2014
und Songwriterin Robin Banks hat
mit „Modern Classic“ ein Album
veröffentlicht, dass mit seiner swingenden Eleganz auch gut in die großen Konzerthäuser passen würde.
Verantwortlich dafür ist sicherlich
auch Produzent/Gitarrist Duke
Robillard, der als Verstärkung zu seiner eigenen Band auch die Bläser
von Roomful of Blues ins Studio
geholt hat.
Schon der Opener „A Man Is Just
A Man“ bringt das Konzept auf
den Punkt: Mit ihrer Jazzstimme
singt sie voller Soul zu swingenden Rhythmen einer entspannt
und doch auf den Punkt groovenden Band. Das ist nicht der Soul
der Vorstadt-Joints, sondern der von
eleganten Tanzbars oder der großen
Festivalbühnen. Das ist Musik, die
gut in die großen Fernsehshows am
Samstagabend passen würde aber
auch in einem Jazzkeller prima
funktioniert.
Die Themen sind die kleinen
Geschichten aus dem Alltag über
menschliche Unzulänglichkeiten,
Beziehungsfrust und -freude, über
Sehnsucht nach ein Stück vom
Himmel oder die Angst, ein Wort
zuviel zu sagen.
„Modern Classic“ ist ein passender Albumtitel. Robin Banks und
Duke Robillard ist ein wunderbar leichtes Soul- und Swingalbum
gelungen, das gerade an schwülen
Sommerabenden genau passend ist.
Nathan Nörgel
P L AT T E N
77
WIEDERHÖREN
KLASSIKER, RARITÄTEN, WIEDERVERÖFFENTLICHUNGEN
Emanuel Young - Live in
Detroit
Es macht eine Menge Sinn, parallel
zu diesem Review Howard Glazers
monatliche Kolumne in der Wasser
Prawda zu lesen. Er beschäftigt
sich mit Emanuel Young und seiner langjährigen Zusammenarbeit
mit ihm.
Es ist das ewige Geheimnis der
Bluesmusik, dass sich Männer
wie Emanuel Young weitgehender
Unbekanntheit erfreuen. Emanuel
ist ein Mann in den Siebzigern,
der seit frühester Jugend in seiner Heimatstadt Detroit als
Gitarrist und Sänger Bluesmusik
spielt. Er blickt auf langjährige
Zusammenarbeit mit bekannten Größen wie John Lee Hooker,
Martha Reeves, Albert King, Jimmy
Reed und anderen zurück.
In den letzten Jahren tritt er häufig mit Howard Glazer und seinen
El 34s auf. Einer dieser Auftritte
wurde 2008 in der Halligan Bar
in Detroit mitgeschnitten und als
„Live in Detroit“ veröffentlicht.
Emanuel Young spielt klassischen
Blues, sparsam und akzentuiert.
Seine Stimme ist rau, sein Gesang
einfühlsam. Da offenbar auf jegliches Overdubbing verzichtet
wurde, ist die CD eines der raren
Dokumente ursprünglichen Blueses
im 21. Jahrhundert.
Egal welchen Song Emanuel spielt,
es klingt authentisch. Er wird
dezent und einfühlsam von Howard
Glazers Gitarrenspiel begleitet und
unterstützt.
Es verwundert auch nicht, dass
wir den alten Bekannten wie „The
Outskirts of Town“, „Give me
back my Wigs“, „I’m in the Mood“
oder auch dem ewigen „Back Door
Man“ begegnen. Emanuel hat für
jedes der 11 Stücke seine eigene
Interpretation – er spielt Emanuel
Young, nicht John Lee Hooker oder
Albert King und erst recht keinen
Bluesrock.
In Detroit ist Emanuel Young eine
Ikone und Legende des Blues. Ich
hoffe sehr, dass wir ihn in absehbarer Zeit auch auf unseren Bühnen
sehen können.
Musiker: Emanuel Young (vocals,
guitar); Bob Godwin, Steve Glazer
(bass guitar); Billy Renya (drums);
Howard Glazer (guitar).
(Random Chance Records 2008)
Bernd Kreikmann
Henri Pierre Noel - One More
Step
Die funkigen Sounds von seiner
Heimat Haiti kann man in der
Musik des Pianisten Henri Pierre
Noel ebenso hören wie Jazz, Funk
und Disco. Das 1980 in Kanada
in kleinster Auflage veröffentlichte
Album „One More Step“ wurde
jetzt von Wah Wah 45s von den originalen Masterbandern neu abgemischt und auf den Markt gebracht.
Bei ihm wird das Klavier fast zu
einem Perkussionsinstrument (ok,
es gibt natürlich Schlaumeier, die es
genau als solches bezeichnen, aber
das ist eine andere Geschichte).
Hektisch und treibend drängen
sich bei Henri Pierre Noell die
Noten nach vorn, unterstützen
Wasser-Prawda | Juli 2014
78
P L AT T E N
(wie in „Afro Funk Groove“) die
Rhythmusgruppe und bauen eine
unwahrscheinliche Spannung auf.
Hier treffen Jazz, die Rhythmen
Afrikas oder Lateinamerikas und
karibische Einfüsse aufeinander
und ergeben in der Melange eine
instrumentale Tanzmusik, deren
Groove man sich nicht entziehen
kann. Das ist Dancefloor-Jazz im
besten Wortsinne!
Nathan Nörgel
Schorsch H. & Dr. Will Together
Together ist ein gemeinsames CD
Projekt der ungleichen Brüder
Schorsch Hampel und Dr. Will. Es
erschien bereits 2011, aber dadurch
dass die beiden Hampel-Brüder mit
dem Programm der Together CD
gemeinsam auftreten, ist es wieder sehr aktuell und muss besprochen werden. Im Interview nennen sie es ein Blues und Roots
Album, weil ihre gemeinsamen
Wurzel der Blues ist und weil sie
Lieblingssongs aus ihre gesamten
Musikerära spielen wollten. Die
CD beinhaltet 16 Songs, wobei 2
Songs von den Brüdern selbst beigesteuert wurden. Das Album ist
in zweierlei Hinsichten interessant:
Wasser-Prawda | Juli 2014
Schorsch hält an seinem Konzept
fest, seine Songs auf bayerisch zu
singen und Dr. Will arrangierte
die Songs der anderen Autoren so
genial, dass sie weit mehr als nur
Coverversionen sind. Schleich di
Boandlkramer ist das Zwiegespräch
von Schorsch Hampel mit dem
Tod, dass er sich doch bitte etwas
gedulden möchte und Neili Früa
am Moing beschreibt das Gefühl,
(Zitat aus dem Covertext:) „wenn
Du am Morgen aufwachst und feststellst, dass die Frau neben Dir nicht
mehr da ist“ und es „bleibt nur die
Erinnerung und der Blues“. Wie an
andere Stelle schon gesagt, agieren
das Boarisch und der Blues Hand in
Hand und spiegelt eine Stimmung
und Lebenseinstellung wieder, wie
sie in New Orleans oder in Delta
genau so anzutreffen wäre.
Als Videoproduktion gab es auch
den JLH Song Boom Boom. Ein
typisches Beispiel von Dr. Will
goldenem Händchen für das
Arrangieren und Produzieren von
interessanter Musik. Loops, Sounds
und seine körpereigenen Beatbox
werden mit Traditionals oder Songs
von den Stones, Tom Waits oder
dem Dreamteam Leiber/Stoller
verwendet und machen Songs wie
Little Sister oder Iko Iko wieder
aktuell und hörbar.
Die CD erschien zusammen mit
einem Booklet, in welchem sowohl
Schorsch Hampel wie auch Dr.
Will Song für Song ihre Intention
oder Hintergrundinformationen
wiedergeben. Interessant zu wissen, dass bei „The moon is full
again“ der Text sowohl hier auf der
CD wie auch schon mal in einem
Cajun-Walzer von Ludwig Seuss
verwendet wurde. Alle Stimmen
und Instrumente wurden von den
Hampel-Brüdern selbst eingespielt, bei Boom Boom und Iko
Iko gab es Unterstützung von The
Voodoo Dolls. Erschienen ist bei
bei BSC Music und Produziert hat
des Dr. Will selbst. Mein Favoriten
auf der CD sind „Schleich Di
Boandlkramer“ und „Neili früa am
Moing“, die Traumkombination
von Blues und Boarisch auch für
Nichtbayern oder Zuagroaste!
Mario Bollinger
Various - Atomic Pla ers.
Single Warhead Edi on With
Bonus Tracks
2005 hatte Bear Family eine voluminöse Box mit „Cold War Music
from the Golden Age of Homeland
Security“ heraus. 2014 legt das
Label jetzt eine einzelne CD mit
Stücken der Box und diversen
Bonutracks vor.
Johnny Cash, Groucho Marx und
Connie Francis in Werbespots zur
Vorbereitung auf den Atomkrieg.
Und dazu Songs über Erlebnisse
im Atombunker, über Atom Babies
oder fallende Atombomben: In den
frühen Jahren des Kalten Kriegs
entstanden eine Menge Songs, die
P L AT T E N
heutzutage teils Sprachlosigkeit
machen teils die Lachmusikulatur
strapazieren. Für Musikhistoriker
war schon die Box mit dem für
Bear Family typischen umfangreichen Begleitbuch und einer
DVD eine unfassbar umfangreiche
Fundgrube zum Thema: Popmusik,
Zeitgeschehen und Propaganda.
Doch wie immer sind derartige
Boxen des Labels nichts für den
gelegentlichen Konsumenten: Der
Preis ist für den Spontankäufer einfach zu hoch. Da aber Die Stücke
zwischen Blues, Jazz, Rockabilly
und Country viel zu gut sind, um
sie bloß den Experten zukommen zu lassen, ist die Idee mit
der „Single Warhead Edition“
eine gute Idee. Es ist Musik, bei
der einem das eine oder andere
Mal das Lachen im Halse stecken
bleibt. Und als jemand, der in den
70/80er Jahren aufgewachsen ist,
kommen einem die Ratschläge
von damals ebenso schwachsinnig
vor wie die Unterrichtseinheiten in
Zivilverteidigung in der DDR. Nur
dass damals die Musik wesentlich
weniger peppig war.
Der Untertitel mit dem Verweis
auf die Goldenen Zeiten der
Homeland Security ist gleichzeitig noch ein weiterer Hinweis auf
die Terrordebatte in der Gegenwart.
Popmusik heute ist nur noch selten
derartig politisch in ihren Texten und noch viel seltener stellen sich
Künstler eindeutig in den Dienst
der Propaganda.
Wie jede Veröffentlichung von Bear
Family ist auch diese CD wieder
mit einem äußerst umfangreichen
und informativen Booklet ausge-
stattet. So kann man die Biografien
der unbekannteren Künstler
ebenso nachvollziehen wie etwa
Entstehung der absonderlichen
Werbespots noch heute berühmter
Musikerinnen und Musiker. (Bear
Family)
Raimund Nitzsche
79
tig für ausgelassene Sommerparties.
Diese Musik ist noch heute so frisch
wie damals und eigentlich ist der
einzige etwas melancholischer
Song „The Boiler“ von Rhonda
with The Special AKA. Der Rest
ist wild fröhlicher Ska mit dem
typisch britischen Blick auf die
Welt. Wer einen umfassenderen
Einstieg in die Musik von 2 Tone
sucht, sollte Ausschau halten nach
der bereits 1993 veröffentlichten
Box „The Compact 2 Tone Story“.
(Parlaphone/Warner)
Nathan Nörgel
Various - The Best of 2 Tone
Das 2 Tone Label stand im Zentrum
des britischen Ska in den 70er und
80er Jahren. Bands wie The Specials,
Madness oder The Beat brachten
den Ska aus der Karibik zusammen
mit Punk und typisch britischem
Pop und haben damit den Ska bis
heute entscheidend geprägt.
Ein Label wie 2 Tone kann man
eigentlich nicht auf einer CD
umfassend vorstellen. Und wenn
man sich „The Best of“ genauer
anschaut, dann stammen die Hälfte
der Tracks von The Specials. Und
das wiederum lässt wenig Raum für
Bands wie The Beat, The Selector
und andere. Madness taucht mit
ihrer ersten Single „The Prince“
auf. Das geht völlig in Ordnung,
schließlich hatten sich diese Herren
schnell vom Label getrennt.
Insgesamt bleibt aber zu sagen:
Dieses Album kommt genau richWasser-Prawda | Juli 2014
80
BÜCHER
URLA U B S S CH MÖ K E R
JULI 2014
Kai Blum - Hoffnung ist ein
weites Feld/Man erntet, was
man sät
will Blum die Geschichte dieser
Menschen bis in die Zeit nach dem
Zweiten Weltkrieg nachzeichnen.
Und verknüpft die Schilderungen
vom Überleben als Bauern in einer
unbarmherzigen Landschaft mit
Verbrechen im privaten und politischen Umfeld. Was behäbig beginnt,
steigert sich vor allem im zweiten Teil
der Serie zu einem spannenden Krimi
mit jeder Menge kleinen und größeren Gaunern. Eine gute Empfehlung
nicht nur für Mecklenburger und
nicht nur für den Urlaub.
Kai Blum - Hoffnung ist ein weites
Feld
Booquel 2013
ISBN: 978-3943176599
Kai Blum - Man erntet, was man
sät
Booquel 2014
ISBN: 978-3943176612
Raimund Nitzsche
Historische Krimis gibt es schon,
auch die Regionalkrimis sind
schon fast wieder ein alter Hut.
Warum sollte man nicht beide
Subgenres verbinden und gleichzeitig Mecklenburg und Amerika
zusammenbringen? Der in Rostock
geborene lebende Kai Blum hat mit
„Hoffnung ist ein weites Feld“ eine
Krimireihe begonnen, für die er das
Label „Auswanderer-Krimi“ geprägt
hat.
Wie kann man in der Prärie von
Dakota überleben? Und wenn das
heute schon so einsam und hart ist
- wie haben das Auswanderer in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
geschaff t, die mit wenig Geld ihr
Mecklenburg oder auch Dörfer der
Wolgadeutschen verlassen hatten,
um sich ein neues Leben aufzubauen?
Mit seinen Auswandererkrimis Christa Faust - Hardcore Angel
Wasser-Prawda | Juni 2014
Was tut ein deutscher Verlag, wenn
er ein Buch vor sich hat, dessen
Heldin eine Pornodarstellerin ist?
Man macht das sofort im Titel deutlich. Im amerikanischen Original
heißt Christa Fausts Roman wesentlich weniger explizit „Money Shot“.
Angel, die eigentlich nicht mehr
als Darstellerin in Erscheinung
treten will, und ihr Geld mit einer
Agentur für Pornodarstellerinnen
und Striptease-Tänzerinnen verdient, tut einem alten Freund einen
Gefallen und tritt nochmals vor die
Kamera. Doch das Ganze war eine
Falle und sie endet fast als Leiche in
einem Kofferraum.
Ganz im Stile der großen Vorbilder
aus dem Bereich der Pulp Fiction
läuft die Geschichte jetzt ab mit
jeder Menge lakonischer Sprüche,
mit Gewalt, Toten - und mit
der Schilderung der Abgründe
der Pornoindustrie nicht nur im
Dunstkreis von Hollywood. Die
Rachegeschichte von Christa Faust
ist kraftvoll und erbarmungslos,
wo nötig. Aber gleichzeitig voller
Mitgefühl für die Frauen, die
gezwungen werden von skrupellosen Händlern, ihren Körper als
Prostituierte zu verkaufen.
Erschienen ist „Hardcore Angel“
bereits 2008 in der Reihe „Hard
Ca se Crime“ des RotbuchVerlags. Und diese Reihe glänzt
mit Covergestaltungen, die an
BÜCHER
die Trashhefte der 50er bis 70er
Jahre erinnern. Und natürlich
mit Romanen, die an die großen
Traditionen von Hammett und
Chandler anknüpfen und eine angenehme Abwechslung bieten zu all
den politisch scheinbar korrekten
Kriminalromanen in der Nachfolge
Skandinaviens. „Hardcore Angel“ ist
Pulp Fiction im besten Sinne.
Christa Faust - Hardcore Angel
Rotbuch Verlag 2008
ISBN: 978-3867890489
Taschenbuch: 9,90 Euro
Raimund Nitzsche
befahrenen Seerouten, Handelsplätze
und Städte ist eingebettet in eine
Geschichte von Wachsen und
Reifen, Erkenntnissen und Zweifeln,
von Liebe und Hass.
Der Leser begleitet den jungen
Händler ans Ende der damals
bekannten Welt, lernt Götter und
Lebensweisen fern der unseren
kennen und kann erfahren, dass
die Ängste und Nöte gar nicht
soweit von den unseren entfernt
sind - trotz dazwischen liegender
Jahrtausende... Wer mehr über die
Zeit Hammurabis erfahren will
findet hier einen gut recherchierten Unterhaltungsroman: Besondern
hervorzuheben ist, dass das Buch
über einen guten Anhang verfügt
der zur weiteren Beschäftigung mit
dem Thema einlädt.
Hans Kneifel (1936 - 2012) wurde
als Autor von Science Fiction und
Fantasy bekannt. So schrieb er lange
für das Team der „Perry Rhodan“Heftserie und verfasste die Bücher
zu „Raumpatroullie Orion“.
Janine Metzner
Hanns Kneifel - Babylon. Das
Siegel des Hammurabi
1700 vor Christus: Babylon ist
eine der ältesten Hochkulturen der
Welt. Der Tempelschüler Daduschu
wird Zeuge und Überlebender
eines Nomadenüberfalls auf sein
Elternhaus. Sein Weg vom heimatlichen Hof hinaus in die Welt,
mit Aufträgen zum Handeln, zur
Erkundung und zur fast schon
geheimdienstlichen Spionage ist
Thema dieses Romans.
Eine dichte Beschreibung der
damaligen Welt und Umwelt, der
Mickey Spillane - Das Ende
der Straße
Vor allem mit der Figur des Mike
Hammer gehört der 2006 gestorbene
81
Mickey Spillane zu den erfolgreichsten Kriminalschriftstellern des
letzten Jahrhunderts. „Das Ende
der Straße“ (Dead Street) konnte
er nicht mehr fertigstellen. Für die
Veröffentlichung hat Max Allen
Collins die fehlenden drei Kapitel
nach Notizen und Gesprächen mit
Spillane ergänzt.
Es ist eine Stimmung des Abschiedes:
Die gewohnten Straßen in New
York verschwinden und machen
schicken Neubauten statt. Die
im Rückblick schon fast ehrenhaft wirkenden Mafiosi sind blindwütigen Terroristen gewichen.
Und statt Drogen werden inzwischen Materialien zum Bau von
Atombomben geschmuggelt.
In dieser Welt lebt der pensionierte
Polizist Jack Stang. Doch wo das
New York, wie er es kannte, zu
sterben scheint, macht sich der als
„Shooter“ berüchtigte Bulle nochmals auf, um ein neues Leben in
Florida zu beginnen mit der Frau,
die er 20 Jahre für tot gehalten hat.
Doch zuvor muss er nochmals mit
seinen Ermittlungsmethoden und
seiner Knarre dafür sorgen, dass die
Bösen ihre Strafe erhalten.
„Das Ende der Straße“ ist melancholisch und ein wenig altmodisch.
Aber gerade deshalb fasziniert dieser
heftige und gleichzeitig romantische
Polizisten-Krimi so.
Mickey Spillane - Das Ende der
Straße
Rotbuch Verlag 2008
ISBN: 978-3867890496
Raimund Nitzsche
Wasser-Prawda | Juni 2014
82
SPRACHRAUM
Who i s w h o
KAI POHL
Kai Pohl, geb. 1964 in Wittenburg, lebt in Berlin. Redakteur der Zeitschriften Abwärts und floppy myriapoda, Herausgeber der Lyrikreihe Schock Edition.
Die Zeil heißt jetzt Robbie Williams Avenue, Madonna
heißt jetzt Esther, Verona heißt jetzt nicht mehr
Feldbusch, sondern Pooth; Bon Jovi heißt jetzt Bonji
und lebt in Baden-Baden.
D2 heißt jetzt Vodafone, VIAG Interkom heißt jetzt O2,
Ruhrgas heißt jetzt e.on, BKK Holzmann heißt jetzt Salus
BKK, Leica-Mechanik heißt jetzt Polymeca, Neusiedler
heißt jetzt Mondi Business Paper, Post heißt jetzt
Deutsche Post World Net, Deutsche Aerospace heißt jetzt
EADS Militärflugzeuge, Hankison International heißt
jetzt SPX Air Treatment, Schoellerbank Inflationsfonds
Plus heißt jetzt Realzins Plus, Aldi heißt jetzt Hofer,
Hertie heißt jetzt Karstadt, Preussag heißt jetzt TUI,
Pillsbury heißt jetzt General Mills, Firebird heißt jetzt
Firefox, Jaguar heißt jetzt Red Bull, Roxio heißt jetzt
Napster, Napster heißt jetzt Snocap, Virgin heißt jetzt
Avalon, Geigy heißt jetzt Novartis, Raider heißt jetzt
Twix, Yahoo heißt jetzt Yisou – zumindest in China.
OpenBeOS heißt jetzt Haiku, x-blender heißt jetzt
yooga, Borlands Latte heißt jetzt Open JBuilder,
Cooledit Pro heißt jetzt Adobe Audition, Hydra
heißt jetzt SubEthaEdit, OnBlockCanGet heißt jetzt
OnDataReceived, moBlog heißt jetzt the daily Mo,
Kung-Log heißt jetzt ecto und kostet 16 Euro, Wiki
heißt jetzt Pengupedia, Trinon heißt jetzt Data Moda,
Bloom heißt jetzt Opera Deluxe, Incognito heißt
jetzt Metropolis, Eurobahn heißt jetzt Rhenus Keolis,
WineX heißt jetzt Cedega, Commerzo JS heißt jetzt
TommyShop, Opto22 heißt jetzt Hy-Line, Elzzup heißt
jetzt Wasgij, Apfel-K heißt jetzt Control-Tab, Network
Design heißt jetzt Noxum, Netsupport heißt jetzt enteo,
Wasser-Prawda | Juli 2014
Kramer/ Mießner/ Pohl/ Schittko u. a.: my degeneration. the very best of WHO IS WHO
Willkommen an der Schwelle zur Verzweiflung.
Die Umbenennung der GEZ in ARD ZDF
Deutschlandradio Beitragsservice macht eine
Umstellung einiger wissenschaftlicher Namen
erforderlich. So heißt Rose Ausländer jetzt Rosa
mit Migrationshintergrund. Pipis Papa heißt
jetzt in Deutschland nicht mehr Negerkönig,
sondern Südseekönig und spricht nicht mehr die
Negersprache, sondern die Taka-Tuka-Sprache.
Das ist keine Satire, das ist bitterer Ernst.
Dieses Buch sorgt für die Notration Namedropping,
damit die No-Name-Konkursmasse Bescheid weiß
über die Prominenz im Koma. Dieses Buch bedient
(hoffentlich nicht) das uns allen gemeinsame
Bedürfnis, übereinstimmender Meinung zu sein.
Die angedeuteten semantischen Verwerfungen
werden schon bald ein linguistisches Erdbeben
auslösen. Dann wird DAS WORT, mit dem alles
anfing, sein gerechtes Ende finden.
my degeneration. the very best of WHO IS
WHO erscheint im Herbst 2014 im Greifswalder
freiraum-verlag.
Die Texte von Kai Pohl und Clemens Schittko erscheinen hier als exklusiver Vorabdruck aus diesem
Buch.
SPRACHRAUM
New-Fill heißt jetzt Sculptra, LuraTech heißt jetzt Algo
Vision, SeCon heißt jetzt ServiCon, MobiliX heißt jetzt
TuxMobil, Bitoogle heißt jetzt Yotoshi, UpGrades heißt
jetzt XETA.iT, Kawa-Point heißt jetzt RF-Biketech,
RSL Com heißt jetzt Telco Services, MPSA heißt
jetzt Simpay, Sapler heißt jetzt Apentia, DEMCOM
heißt jetzt Steganos, Meditext heißt jetzt Semfinder,
Kaufhaus Rot-Tor heißt jetzt Manor, InfoOffice heißt
jetzt RedDot, 3000 Solutions heißt jetzt Flamme Rouge,
Rubin heißt jetzt Superfly, PurpleBackgammon heißt
jetzt Omar Sharif Backgammon, PurpleReversi heißt
jetzt Reversi, PurpleCheckers heißt jetzt Checkers,
Innovum heißt jetzt tecorange, CMS-W3 heißt jetzt
smartBLU, WECA heißt jetzt WiFi Alliance, BVA heißt
jetzt Adexa, Playfair heißt jetzt Hymn, Quadro heißt
jetzt MoveAndStic, bioshock.co.uk heißt jetzt Bioshock
Nation, itx heißt jetzt IT-Plus, Deep Sea Tycoon heißt
jetzt AquaZots, Aida32 heißt jetzt Everest, PropertyGate.
com heißt jetzt Immonet, Maennerwitze.de heißt jetzt
Fun4Woman, IT-Media heißt jetzt Avitos, Can Uetam
SL heißt jetzt Miko Reservations, TI Aldiscon heißt
jetzt Logica, Night-Flight heißt jetzt Nite-Ride – sonst
ändert sich nix, TUCnet heißt jetzt SaXeed, Riftrunner
heißt jetzt Beyond Divinity, Dieter Wildfang heißt jetzt
Neoperl, Carnivore heißt DCS1000, Scour heißt jetzt
C-star und wird kostenpflichtig.
83
jetzt CAD-Konstruktion mit OneSpaceDesigner im
Bereich der Blechverarbeitung. Enigma heißt jetzt endgültig DaVinci-Code.
Tagebau Frechen heißt jetzt Marienfeld, Gdansker
Flughafen heißt jetzt Lech Walesa, Estadio Chile heißt
jetzt Victor Jara, Blankeneser Bahnhofsplatz heißt jetzt
Erik Blumenfeld, die Straße 518 in Düppel heißt jetzt
Robert von Ostertag, Grundschule Rockenberg heißt
jetzt Sandrosenschule, Port Elizabeth heißt jetzt Nelson
Mandela, Riedstädter Psychatrie heißt jetzt Picard, Kreis
der Älteren heißt jetzt sonniger Herbst, Blindenmission
heißt jetzt Licht für die Welt. Börsenball hat ausgedient,
er heißt jetzt Finanzplatz-Gala.
UMTS heißt jetzt TM3, FBVA heißt jetzt BFW, TCPA
heißt jetzt TCG und aus Palladium wurde NGSCB,
TIA heißt jetzt TTIC, BFA heißt jetzt IMES, TOMO
heißt jetzt VEDEStomo, BAFL heißt jetzt BAMF, ADA
heißt jetzt DIA, DDA heißt jetzt GDA, DStZ/A heißt
jetzt DStZ, DStZ/E heißt jetzt StED, HHB/ORT heißt
jetzt HHB/STD, NUM/PVK heißt jetzt NUM/POV,
KSZE heißt jetzt OASE (Benennung kann noch geändert werden).
Man nehme »Total« und mache »Terrorist« daraus, aus
»Information« werde »Integration«, Schinken heißt jetzt
Jamon, Wodka heißt jetzt Schnaps, Müll heißt jetzt
Wertstoff, Pizza amerikanische Art heißt jetzt Big Pizza,
Weizen-Cola heißt jetzt Qowaz, die alte Biskuithalle
heißt jetzt Keksdose, Animonda Carny Kitten 6 x 200
g Fleisch Menü Plus heißt jetzt Carny, die neue Adresse
heißt uitgesondert.de.
Die Route 66 heißt jetzt B 14, § 11 AGB heißt jetzt
§ 309 BGB, Chrysanthemum leucanthemum heißt
jetzt Leucanthemum vulgare, Glucometer heißt jetzt
Ascensia, Fernsehen heißt jetzt Aquos, Jugoslawien heißt
jetzt Serbien-Montenegro, Local Heroes heißt jetzt New
Sensation, Mono (früher Bizzcross) heißt jetzt Revolver,
Philotuxie heißt jetzt Tuxosophie, Hays Ascena heißt
Gleichstellung heißt jetzt Gender Mainstreaming,
Mundpropaganda heißt jetzt Viral Marketing,
Rendezvous heißt jetzt OpenTalk, Reisebegleiter heißt
jetzt Care & Wellness Manager, Seilspringen heißt jetzt
Rope Skipping, das Science Center heißt jetzt Odysseum,
Öffentlichkeitsarbeit heißt jetzt Kommunikation,
Erziehungsurlaub heißt jetzt Elternzeit, Haushalt heißt
jetzt Bedarfsgemeinschaft, das Amt heißt jetzt Agentur,
Wasser-Prawda | Juli 2014
84
SPRACHRAUM
Saufpark heißt jetzt Biermassaker, Krieg heißt jetzt
Friedenssicherung, Angriffskrieg heißt jetzt Verteidigung
vitaler Interessen, Destroy heißt jetzt Erase, das Wesen
der Dinge verstehen heißt jetzt Erkennen der Aura.
Athanor Rosen-Gesichts-Körper-Milch heißt jetzt
Biokosma Basic Bodymilk. Das Modernisieren schreitet fürbaß, auch an der See: Pension »Zum Seehund«
heißt jetzt »Zur Robbe« – wegen des Marktsegments.
Kohl heißt jetzt Schröder, Blüm heißt jetzt Clement,
Rüttgers heißt jetzt Berninger und wohnt als Kastrat
in München.
Spülbürste, Brot, Bier, Handtücher waschen.
Mädchenflow. Panel heißt jetzt Roundtable. Einfacher,
kürzer, knackiger. Kuna heißt jetzt Luna und lebt in
Stuttgart. Flugwacht Stuttgart 71 heißt jetzt Christoph
51, Flugwacht Mannheim 71 heißt jetzt Christoph
53. Athene heißt jetzt Dora. Benita heißt jetzt Bonnie,
Carlsen heißt jetzt Gringo, Chimera heißt jetzt Camino,
Soraya heißt jetzt Sita, Monchie heißt jetzt Cheri,
Rosetta heißt jetzt Philae, Uranos heißt jetzt Stratos,
Homo Ludens heißt jetzt phlizz, Amélie heißt jetzt
Angélique, Katharina heißt jetzt Ayse, Vera heißt jetzt
Morena, Lilly heißt jetzt Lucy, Bunny heißt jetzt Bonny,
Beresowski heißt jetzt Jelenin, Taiga heißt jetzt Chinook
und Wolf heißt jetzt Taiga, Walter Jenzer heißt jetzt
Maria. Karli heißt jetzt Wolle und lebt in Hürth. Goldi
heißt jetzt Supernase, Nariz heißt jetzt Merlin, Putzi,
die Besucherin in der Nacht der Trostlosigkeit, heißt
jetzt Honey. Max wird ein Job als Barkeeper und eine
neue Identität zugewiesen, er heißt jetzt Paul. So heißt
jetzt Erwin nicht mehr Erwin, sondern Klaus, da er den
Namen Klaus gezogen hat. Reiner Leins aus Albstadt
Truchtelfingen heiratet Birgit Baur. Birgit Baur heißt
jetzt Birgit Leins und wohnt in Albstadt Truchtelfingen.
Bilbo Beutlin heißt jetzt Charlie und lebt in Würzburg.
Bernardo heißt jetzt Curtis und lebt in Siegen. Thai
Emilio heißt jetzt kurz und schmerzlos Mio und wohnt
bei Yvonne. Miro heißt jetzt Jerry und lebt bei Familie
Ulrich in Bergkamen. Mira heißt jetzt Shira und es geht
ihr blendend. Mario heißt jetzt Beauty, Tina heißt jetzt
Jamie und lebt bei Ottweiler im Saarland. Phillip heißt
jetzt Knolle und lebt in Winsen bei Familie Klingemann.
Wasser-Prawda | Juli 2014
Rosi heißt jetzt Nellie und wohnt bei Familie Andresen
in Adelheidsdorf. Horst heißt jetzt Hansa Avatar, Guido
ist Gaura Nataraj, Victor und Alexander aus Schweden
sind Vasudeva und Brahma Samhita. Lony ist ins
Saarland vermittelt und heißt jetzt Luna.
ALLES BLEIBT WIE ES IST – NUR DER NAME
ÄNDERT SICH: Kiepert heißt jetzt Thalia, Head
Hunter heißt jetzt Kopfgeldjäger; es ist ein altes Elend.
Dimitroff heißt jetzt Danziger.
(Erstveröffentlichung in: Gegner, Heft 16, Berlin 2005.)
SPRACHRAUM
85
Nach der Si n n f l u t
KAI POHL
unerklärlicher bzw. überfälliger Remix nach Christoph Bruckner
toter vater rotzt in notbuch:
der hunger ein reiszweck
das schicksal ein scheusal
voll gefälschte biograffiti
wahren relationshit mit
sicheren trittstaaten dank
gähntechnik überragende
stalagtitten eipott und
mehlbox im backwahn
marcel »heim ins reich«
vranitzky trifft blumengroup im verstandesamt zu zusammenführung von hugenutten
sowie bundesligasthenikern in pisseria
schülerlaotse moe trucker mit
umfangreicher olympischer spüle
sucht dieter-thomas-heck-aufkleber
BREMSE NUR ZUM KOTZEN
(2011)
Wasser-Prawda | Juli 2014
86
SPRACHRAUM
Im Ly ri kam t
CLEMENS SCHITTKO
Clemens Schittko, geb. 1978 in Berlin (Ost), Gebäudereiniger und Schriftsteller, lebt in Berlin. Lauter
niemand Preis für politische Lyrik 2010.
(Mein Name ist) Schittko, Clemens Schittko.
Clemens mit C am Anfang und mit S am Ende.
Und Schittko buchstabiert sich S, C, H, I, Doppel-T, K, O.
Nein, ich wurde von niemandem ausgeknockt,
noch nicht einmal angezählt.
Und das, obwohl ich als Kind
drei Jahre in einem Boxverein war.
Also noch einmal: S, C, H, I (ja I und nicht Ü),
Doppel-T, K und O.
S wie Siegfried,
C wie Cäsar (oder Clemens)
H wie Heinrich,
I wie Ida,
T wie Theodor,
T wie Theodor,
K wie Konrad
(wobei mein Bruder Conrad mit C geschrieben wird)
und O wie Otto.
Siegfried wie Siegfried und Roy,
Cäsar (oder Clemens)
wie Julius Cäsar (oder Clemens Schittko),
Heinrich wie Heinrich von Kleist,
Ida wie Ida Dehmel,
Theodor wie Theodor W. Adorno
und Theodor wie Theodor Kramer,
Konrad wie Konrad Bayer
und Otto wie Otto Rehhagel.
Ja, Schittko ohne W am Ende
und Clemens mit C am Anfang.
(Erstveröffentlichung: Perspektive Nr. 72/73, Graz 2013.)
Wasser-Prawda | Juli 2014
SPRACHRAUM
87
EISBLU M E N ( 3 A U S Z Ü GE )
SONJA VOSS-SCHARFENBERG (FOTO: ALEXANDER HADLER)
[… ]
Und in Theas zwölftem Jahr erklärte Karin ihr die
geheimnisvolle Angelegenheit der Menstruation und wie
man die Sache diskret behandelt und sauber verpackt.
Thea war entsetzt, reihte sich aber auch wichtigtuerisch
bei den Freundinnen ein, die im Sportunterricht gern
mal auf der Bank Platz nahmen, sich den Bauch hielten
und zusahen, wie die ungelenken Kameradinnen beim
Bodenturnen versuchten, eine gute Figur zu machen.
Außer dass Thea jetzt an Mutters Nachtschrank durfte,
weil dort die Hygieneartikel für die Frau verstaut, richtiger wohl, versteckt, waren, sprach die Mutter mit ihr
über die Angelegenheit kein Wort.
Sie gehörte zu der Generation der verklemmten Mütter,
die mit ihren Körpern nicht klarkamen, sie für etwas
Unanständiges hielten, die ihre Eltern nie nackt gesehen
haben, und ihren Kindern gern weisgemacht hätten, sie
selbst seien schon bekleidet auf die Welt gekommen.
Thea wundert es zuweilen, dass sie sich überhaupt vermehrt haben.
Ihre Schwester jedenfalls war noch vollkommen überrascht worden von Bauchschmerzen und verschmutzter Unterwäsche. Die hatte noch gedacht, sie sei plötzlich unheilbar krank und müsste sterben. Die war verzweifelt in die Wäscherei PGH Edelweiß, in der die
Mutter arbeitete, gelaufen. Und die Mutter hatte sie
beiseite genommen und geflüstert, das wäre nichts
Schlimmes, sie hätte jetzt ihre Tage, und in Mutters
Nachtschrank wären Binden. Und Karin, die bislang nur
Binden kannte, die man sich ums aufgeschlagene Knie
wickelte oder um die verstauchte Hand, stand hilflos im
elterlichen Schlafzimmer. Allein, verheult, verängstigt,
und vor allem verschämt.
Später haben sie wohl über diese Begebenheit gelacht,
aber Thea findet, angesichts der Tatsache, dass so etwas
noch Anfang der 1960er Jahre möglich war, es ist eine
der traurigsten und unglaublichsten Episoden zwischen
einer Mutter und einer Tochter in der Frauengeschichte
der angeblich zivilisierten Welt.
Irgendwann zu der Zeit, als solcherart
Frauenangelegenheiten sich in Theas Leben drängten,
hörte sie auf, sich bei Kreisspielen auf der Straße von
stolzen Königen lieb und warm halten, küssen und
scheiden zu lassen. Sie ging mit Lothar Brandt aus der
Parallelklasse und schrieb in der Bodenkammer ins
Tagebuch: Ich liebe Herrn Sperlich. Deutsch. …
Wasser-Prawda | Juli 2014
88
SPRACHRAUM
[…]
hat die Mutter das alles noch am selben Abend angesagt.
Thea wollte zu Oma und Opa, jedenfalls landete sie
Aus familienorganisatorischen Gründen, damals hieß dort. Ob sie das wirklich entschieden hatte, weiß sie
es, der Vater müsste „auf Schule“, weshalb die Mutter nicht mehr. Oma und Opa wohnten in Altentreptow
nun eine Arbeit annehmen wollte, hatte Thea zweiein- an der Tollense, fünf lange Zugstunden von Schwerin
halb wichtige Jahre bei den Großeltern gelebt und war entfernt. Man fuhr dort nicht hin, um am Wochenende
erst, als sie eingeschult wurde, wieder in die Familie wieder nach Hause zu kommen. …
zurückgekehrt.
„Auf Schule“ bedeutete in Wirklichkeit das Gefängnis,
in dem der Vater einsaß, weil er versucht hatte, Geld zu
unterschlagen. Knapp tausend Mark wohl. Thea hielt das
nie für ein Kavaliersdelikt, aber das Urteil von zwanzig
Monaten ohne Bewährung erscheint ihr, seit sie darüber
Bescheid weiß, unverhältnismäßig. Der damals junge
sozialistische Staat war vermutlich mehr beleidigt, als
dass er geschädigt war. Er entließ den Familienvater in
Unehren aus den Reihen der Volkspolizei, schickte ihn
„auf Schule“ und hatte danach einen gebrochenen, ewig
beschämten Bürger, der es sich selbst versagte, jemals
wieder auf einen grünen Zweig zu kommen.
Natürlich war für Theas Mutter eine Welt zusammengebrochen. Sie war die Frau eines schneidigen Polizisten
von Offiziersrang, die zu Hause sorgfältig die Wohnung
und ihre drei Kinder gleichermaßen in Schuss hielt. Sie
war angesehen in der Straße, in der die Familie lebte. Sie
genoss es, wenn der Vater gelegentlich sogar ein Auto
mit Chauffeur vor die Haustür schickte, die Mutter zum
Friseur zu fahren.
Der Erdrutsch in die Position der Frau eines gemeinen
Diebes, die nun mit drei Kindern für knapp zwei Jahre
allein dastand, hätte gewaltiger nicht sein können.
Aber Theas Mutter muss diese Situation unvermittelt
akzeptiert und tatkräftig in die Hand genommen haben.
Es ist die für Thea am weitesten zurückliegende
Erinnerung, derer ihre Gedanken habhaft sind. Sie ist
viereinhalb Jahre alt, zwei Polizisten sind zu Besuch, was
nicht ungewöhnlich ist, und sprechen mit der Mutter
allein im Wohnzimmer. Als die Mutter zu ihren Kindern
kommt, sieht sie verweint aus, sagt, dass der Vater ganz
lange „auf Schule“ müsse und es würde sich hier einiges
ändern. „Auf Schule“ war für die Kinder bis dahin ein
Begriff für die Abwesenheit des Vaters. Zu Thea sagt
die Mutter, sie müsse arbeiten gehen, solange der Vater
nicht da sei, Thea solle sich aussuchen, ob sie in den
Kindergarten wolle oder zur Oma. In Theas Erinnerung
Wasser-Prawda | Juli 2014
SPRACHRAUM
89
[…]
Aber ganz ablassen vom eigenen Leben konnte Thea
auch nicht, denn zu offensichtlich war die Endlichkeit
des Daseins in ihr Bewusstsein gerückt. Und der monotone Kreislauf der Generationsablösungen, der sich
immer dann deutlich in den Vordergrund spielt, wenn
die Vor- und Nachfahren der Familie in weißen Blusen
und Hemden zu runden Geburtstagen antanzen und sich
freundlich zu Schnappschüssen ewiger Erinnerungen
vereinen, als sei das des Lebens Sinn, langweilt und ängstigt sie gleichermaßen.
Erst neulich, als Thea ihre Mutter zu einem Familientreffen
fuhr, und hinten im Auto noch Conny und deren
Tochter saßen, dachte sie plötzlich: Vier Generationen
sitzen jetzt hier zusammen. Eine Matrjoschka hat die
andere hervorgebracht. War das denn nötig?
Thea hat oft so seltsame Gedanken. Vielmals solche, die
sich zu denken nicht gehören. Das ist ihr Schicksal seit
langem. Und Thea glaubt, schlimmer ist nur dran, wer
hellsehen muss.
Manchmal hatte sie sich gewünscht, sie hätte eine von
diesen Furienmüttern werden können, die ständig die
Arme ausbreiten, ihre Brut selbstgerecht an die große
Brust zu holen und die nie den geringsten Zweifel an
der Unschuld ihrer Kinder hegen, die lauthals und flügelschlagend alle und alles angreifen, was ihren Gören
zu nahe tritt und die das unbedingt für Liebe halten.
Aber auch dafür war Thea nicht geeignet. Nicht für
die mit Blindheit geschlagene Übermutter und nicht
für die konsequente, weitsichtige Erzieherin. Sie hätte
klug daran getan, auf Mutterschaft zu verzichten. Auch
das ist so ein Gedanke für den Giftschrank, obwohl er
eigentlich nichts mehr anrichten kann, denn es sind da
nun zwei Menschen unterwegs, die sich anschicken,
beim großen Staffellauf bald an der Reihe zu sein, was
nichts über die Qualität ihres Lebens aussagt, sondern
nur benennt, dass etwas im Fluss geblieben ist, und dass
einer weiß, wem er vorauslief und wem hinterher. Mehr
nicht. Und nicht weniger. …
In der langen Nacht bevor ihr Jüngster von Zuhause
auszieht, schaut Thea auf ihr Leben zurück. Es erscheint ihr wie im Spiegel des Zeitgeistes. In der
Kindheit und als junge Erwachsene rieb sich sich
an den Visionen und Gespenstern vergangener
Generationen – denen der Eltern, der Großmutter
und des Onkels – auf. Immer wieder bestimmten Aufbau und Zusammenbruch der DDR ihr
Schicksal in Schwerin. Thea erinnert sich an ihre
gescheiterte Ehe, erklärt sich ihr Verhältnis zu
ihren Kindern und lässt schließlich die Liebe ihres
Lebens zu. Was folgt jetzt im Alter – Krankheit und
Tod? Schnörkellos erzählt Thea mit innerlicher
Stimme ihre Lebensgeschichte, die mit den gesellschaftsrelevanten Themen im Wandel der Zeit eng
verknüpft ist.
Die Schweriner Schriftstellerin Sonja VoßScharfenberg absolvierte 1984 das Leipziger
Literaturinstitunt. 1990 erschien ihr erster
Prosaband “Gegenwind” im Verlag Neues Leben.
Seither veröffentlichte sich unter anderem “Neue
Farm der Alten Tiere. Ein Märchen?” (1994). Die
Erzählung “Eisblumen” wird im Herbst 2014 im
Greifswalder freiraum-verlag erscheinen.
Wasser-Prawda | Juli 2014
90
SPRACHRAUM
DIE E R S T E N S TU N D E N
DES K R IE G E S V O N 1 9 1 4
STEFAN ZWEIG (AUS: DIE WELT VON GESTERN)
Jener Sommer 1914 wäre auch ohne das Verhängnis,
das er über die europäische Erde brachte, uns unvergeßlich geblieben. Denn selten habe ich einen erlebt,
der üppiger, schöner, und fast möchte ich sagen, sommerlicher gewesen. Seidenblau der Himmel durch
Tage und Tage, weich und doch nicht schwül die Luft,
duftig und warm die Wiesen, dunkel und füllig die
Wälder mit ihrem jungen Grün; heute noch, wenn ich
das Wort Sommer ausspreche, muß ich unwillkürlich
an jene strahlenden Julitage denken, die ich damals in
Baden bei Wien verbrachte. Ich hatte mich zurückgezogen, um in diesem kleinen romantischen Städtchen,
das Beethoven sich so gerne zum Sommeraufenthalt
wählte, diesen Monat ganz konzentriert der Arbeit zu
widmen und dann den Rest des Sommers bei Verhaeren,
dem verehrten Freunde, in seinem kleinen Landhaus in
Belgien zu verbringen. In Baden ist es nicht nötig, das
kleine Städtchen zu verlassen, um der Landschaft sich
zu erfreuen. Der schöne, hügelige Wald dringt unmerklich zwischen die niederen biedermeierischen Häuser,
die die Einfachheit und Anmut der Beethovenschen
Zeit bewahrt haben. Man sitzt in Cafés und Restaurants
überall im Freien, kann sich je nach Belieben unter das
heitere Volk der Kurgäste mengen, die im Kurpark dort
Korso abhalten oder sich auf den einsamen Wegen
verlieren.
Schon am Vorabend jenes 29. Juni, den das katholische Land Österreich als ›Peter und Paul‹ immer feiertäglich hielt, waren viele Gäste aus Wien gekommen. In hellen Sommerkleidern, fröhlich und unbesorgt, wogte die Menge im Kurpark vor der Musik. Der
Tag war lind; wolkenlos stand der Himmel über den
Wasser-Prawda | Juli 2014
breiten Kastanienbäumen, und es war ein rechter Tag
des Glücklichseins. Nun kamen für die Menschen, die
Kinder bald die Ferien, und sie nahmen mit diesem
ersten sommerlichen Feiertag gleichsam schon den
ganzen Sommer voraus mit seiner seligen Luft, seinem
satten Grün und seinem Vergessen aller täglichen Sorgen.
Ich saß damals weiter ab vom Gedränge des Kurparks
und las ein Buch – ich weiß heute noch, welches es
war: Mereschkowskijs ›Tolstoi und Dostojewski‹ – las
es aufmerksam und gespannt. Aber doch war der Wind
zwischen den Bäumen, das Gezwitscher der Vögel und
die vom Kurpark herschwebende Musik gleichzeitig in
meinem Bewußtsein. Ich hörte deutlich die Melodien
mit, ohne dadurch gestört zu sein, denn unser Ohr ist ja
so anpassungsfähig, daß ein andauerndes Geräusch, eine
donnernde Straße, ein rauschender Bach nach wenigen
Minuten sich völlig dem Bewußtsein eingepaßt und im
Gegenteil nur ein unerwartetes Stocken im Rhythmus
uns aufhorchen läßt.
So hielt ich unwillkürlich im Lesen inne, als plötzlich
mitten im Takt die Musik abbrach. Ich wußte nicht,
welches Musikstück es war, das die Kurkapelle gespielt
hatte. Ich spürte nur, daß die Musik mit einemmal
aussetzte. Instinktiv sah ich vom Buche auf. Auch die
Menge, die als eine einzige flutende helle Masse zwischen den Bäumen promenierte, schien sich zu verändern; auch sie stockte plötzlich in ihrem Auf und Ab. Es
mußte sich etwas ereignet haben. Ich stand auf und sah,
daß die Musiker den Musikpavillon verließen. Auch dies
war sonderbar, denn das Kurkonzert dauerte sonst eine
Stunde oder länger. Irgend etwas mußte dieses brüske
Abbrechen veranlaßt haben; nähertretend bemerkte ich,
SPRACHRAUM
daß die Menschen sich in erregten Gruppen vor dem
Musikpavillon um eine offenbar soeben angeheftete
Mitteilung zusammendrängten. Es war, wie ich nach
wenigen Minuten erfuhr, die Depesche, daß Seine kaiserliche Hoheit, der Thronfolger Franz Ferdinand und seine
Gemahlin, die zu den Manövern nach Bosnien gefahren
waren, daselbst einem politischen Meuchelmord zum
Opfer gefallen seien.
Immer mehr Menschen scharten sich um diesen Anschlag.
Einer sagte dem andern die unerwartete Nachricht
weiter. Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben: keine
sonderliche Erschütterung oder Erbitterung war von
den Gesichtern abzulesen. Denn der Thronfolger war
keineswegs beliebt gewesen. Noch von meiner frühesten Kindheit erinnere ich mich an jenen andern Tag,
als Kronprinz Rudolf, der einzige Sohn des Kaisers, in
Mayerling erschossen aufgefunden wurde. Damals war
die ganze Stadt in einem Aufruhr ergriffener Erregung
gewesen, ungeheure Massen hatten sich gedrängt,
um die Aufbahrung zu sehen, überwältigend sich das
Mitgefühl für den Kaiser und der Schrecken geäußert,
daß sein einziger Sohn und Erbe, dem man als einem
fortschrittlichen und menschlich ungemein sympathischen Habsburger die größten Erwartungen entgegengebracht hatte, im besten Mannesalter dahingegangen
war. Franz Ferdinand dagegen fehlte gerade das, was
in Österreich für eine rechte Popularität unermeßlich
wichtig war: persönliche Liebenswürdigkeit, menschlicher Charme und Umgänglichkeit der Formen. Ich
hatte ihn oftmals im Theater beobachtet. Da saß er
in seiner Loge, mächtig und breit, mit kalten, starren
Augen, ohne einen einzigen freundlichen Blick auf das
Publikum zu richten oder die Künstler durch herzlichen
Beifall zu ermutigen. Nie sah man ihn lächeln, keine
Photographie zeigte ihn in aufgelockerter Haltung. Er
hatte keinen Sinn für Musik, keinen Sinn für Humor,
und ebenso unfreundlich blickte seine Frau. Um diese
beiden stand eine eisige Luft; man wußte, daß sie keine
Freunde hatten, wußte, daß der alte Kaiser ihn von
Herzen haßte, weil er seine Thronfolger-Ungeduld, zur
Herrschaft zu kommen, nicht taktvoll zu verbergen verstand. Mein fast mystisches Vorgefühl, daß von diesem
Mann mit dem Bulldoggnacken und den starren, kalten
Augen irgendein Unglück ausgehen würde, war also
91
durchaus kein persönlicher, sondern weit in der ganzen
Nation verbreitet; die Nachricht von seiner Ermordung
erregte deshalb keine tiefe Anteilnahme. Zwei Stunden
später konnte man kein Anzeichen wirklicher Trauer
mehr bemerken. Die Leute plauderten und lachten,
spät abends spielte in den Lokalen wieder die Musik.
Es gab viele an diesem Tag in Österreich, die im stillen
heimlich aufatmeten, daß dieser Erbe des alten Kaisers
zugunsten des ungleich beliebteren jungen Erzherzogs
Karl erledigt war.
Am nächsten Tage brachten die Zeitungen selbstverständlich ausführliche Nekrologe und gaben der
Entrüstung über das Attentat gebührenden Ausdruck.
Nichts aber deutete an, daß dies Ereignis zu einer politischen Aktion gegen Serbien ausgewertet werden
sollte. Für das Kaiserhaus schuf dieser Tod zunächst
eine ganz andere Sorge, die des Zeremoniells seiner
Beerdigung. Nach seinem Rang als Thronfolger und
insbesondere, da er in Ausübung seines Dienstes für die
Monarchie gestorben war, wäre sein Platz selbstverständlich in der Kapuzinergruft gewesen, der historischen
Begräbnisstätte der Habsburger. Aber Franz Ferdinand
hatte nach langen, erbitterten Kämpfen gegen die kaiserliche Familie eine Gräfin Chotek geheiratet, eine hohe
Aristokratin zwar, aber nach dem geheimnisvollen vielhundertjährigen Hausgesetz der Habsburger ihm nicht
ebenbürtig, und die Erzherzoginnen behaupteten bei den
großen Zeremonien gegenüber der Thronfolgersgattin,
deren Kinder nicht erbberechtigt waren, hartnäckig den
Vortritt. Aber selbst gegen die Tote wandte sich noch
der höfische Hochmut. Wie? – eine Gräfin Chotek in
der habsburgischen Kaisergruft beisetzen? Nein, das
durfte nicht geschehen! Eine mächtige Intrige begann;
die Erzherzoginnen liefen Sturm bei dem alten Kaiser.
Während man von dem Volk offiziell tiefe Trauer forderte, spielten in der Hofburg die Rankünen wild durcheinander, und wie gewöhnlich behielt der Tote unrecht.
Die Zeremonienmeister erfanden die Behauptung, es
sei der eigene Wunsch des Verstorbenen gewesen, in
Artstetten, einem kleinen österreichischen Provinzort,
begraben zu werden, und mit dieser pseudopietätvollen Ausflucht konnte man sich um die öffentliche
Aufbahrung, den Trauerzug und alle damit verbundenen
Rangstreitigkeiten sacht herumdrücken. Die Särge der
Wasser-Prawda | Juli 2014
92
SPRACHRAUM
beiden Ermordeten wurden still nach Artstetten gebracht
und dort beigesetzt. Wien, dessen ewiger Schaulust man
damit einen großen Anlaß genommen, begann bereits
den tragischen Vorfall zu vergessen. Schließlich war man
in Österreich durch den gewaltsamen Tod der Kaiserin
Elisabeth, des Kronprinzen und die skandalöse Flucht
von allerhand Mitgliedern des Kaiserhauses längst an
den Gedanken gewöhnt, daß der alte Kaiser einsam
und unerschütterlich sein tantalidisches Haus überleben würde. Ein paar Wochen noch, und der Name und
die Gestalt Franz Ferdinands wären für immer aus der
Geschichte verschwunden.
Aber da begannen nach ungefähr einer Woche plötzlich Plänkeleien in den Zeitungen, deren Crescendo
zu gleichzeitig war, um ganz zufällig zu sein. Die serbische Regierung wurde des Einverständnisses beschuldigt, und es wurde mit halben Worten angedeutet, daß
Österreich diesen Mord seines – angeblich so geliebten –
Thronfolgers nicht ungesühnt lassen dürfe. Man konnte
sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich irgendeine
Aktion publizistisch vorbereite, aber niemand dachte an
Krieg. Weder Banken noch Geschäfte und Privatleute
änderten ihre Dispositionen. Was ging es uns an, dieses
ewige Geplänkel mit Serbien, das, wie wir alle wußten,
im Grunde nur über ein paar Handelsverträge wegen
serbischen Schweineexports entstanden war? Meine
Koffer waren für die Reise nach Belgien zu Verhaeren
gepackt, meine Arbeit in gutem Zuge, was hatte der
tote Erzherzog in seinem Sarkophag zu tun mit meinem
Leben? Der Sommer war schön wie nie und versprach
noch schöner zu werden; sorglos blickten wir alle in die
Welt. Ich erinnere mich, wie ich noch am letzten Tage
in Baden mit einem Freunde durch die Weinberge ging
und ein alter Weinbauer zu uns sagte: »So ein‘ Sommer
wie den haben wir schon lange nicht gehabt. Wenn‘s so
bleibt, dann kriegen wir einen Wein wie nie. An den
Sommer werden die Leut‘ noch denken!«
Aber er wußte nicht, der alte Mann in seinem blauen
Küferrock, welch ein grauenhaft wahres Wort er damit
aussprach.
herrschte die gleiche Sorglosigkeit. Die Urlaubsfreudigen
lagen unter ihren farbigen Zelten am Strande oder
badeten, die Kinder ließen Drachen steigen, vor den
Kaffeehäusern tanzten die jungen Leute auf der Digue.
Alle denkbaren Nationen fanden sich friedlich zusammen, man hörte insbesondere viel deutsch sprechen,
denn wie alljährlich entsandte das nahe Rheinland
seine sommerlichen Feriengäste am liebsten an den
belgischen Strand. Die einzige Störung kam von den
Zeitungsjungen, die, um den Verkauf zu fördern, die
drohenden Überschriften der Pariser Blätter laut ausbrüllten: »L‘Autriche provoque la Russie«, »L‘Allemagne
prépare la mobilisation«. Man sah, wie sich die Gesichter
der Leute, wenn sie die Zeitungen kauften, verdüsterten, aber immer bloß für ein paar Minuten. Schließlich
kannten wir diese diplomatischen Konflikte schon seit
Jahren; sie waren immer in letzter Stunde, bevor es ernst
wurde, glücklich beigelegt worden. Warum nicht auch
diesmal? Eine halbe Stunde später sah man dieselben
Leute schon wieder vergnügt prustend im Wasser plätschern, die Drachen stiegen, die Möwen flatterten, und
die Sonne lachte hell und warm über dem friedlichen
Land.
Aber die schlimmen Nachrichten häuften sich und
wurden immer bedrohlicher. Erst das Ultimatum
Österreichs an Serbien, die ausweichende Antwort
darauf, Telegramme zwischen den Monarchen und
schließlich die kaum mehr verborgenen Mobilisationen.
Es hielt mich nicht mehr länger in dem engen, abgelegenen Ort. Ich fuhr jeden Tag mit der kleinen elektrischen Bahn nach Ostende hinüber, um den Nachrichten
näher zu sein; und sie wurden immer schlimmer. Noch
badeten die Leute, noch waren die Hotels voll, noch
drängten sich auf der Digue promenierende, lachende,
schwatzende Sommergäste. Aber zum erstenmal schob
sich etwas Neues dazwischen. Plötzlich sah man belgische Soldaten auftauchen, die sonst nie den Strand
betraten. Maschinengewehre wurden – eine sonderbare Eigenheit der belgischen Armee – von Hunden
auf kleinen Wagen gezogen.
Ich saß damals in einem Café mit einigen belgischen
Auch in Le Coq, dem kleinen Seebad nahe bei Ostende, Freunden zusammen, einem jungen Maler und dem
wo ich zwei Wochen verbringen wollte, ehe ich wie all- Dichter Crommelynck. Wir hatten den Nachmittag bei
jährlich Gast in dem kleinen Landhause Verhaerens war, James Ensor verbracht, dem größten modernen Maler
Wasser-Prawda | Juli 2014
SPRACHRAUM
Belgiens, einem sehr sonderbaren, einsiedlerischen und
verschlossenen Mann, der viel stolzer war auf die kleinen
schlechten Polkas und Walzer, die er für Militärkapellen
komponierte, als auf seine phantastischen, in schimmernden Farben entworfenen Gemälde. Er hatte uns
seine Werke gezeigt, eigentlich ziemlich widerwillig,
denn ihn bedrückte skurrilerweise der Gedanke, es
möchte ihm jemand eines abkaufen. Sein Traum war
eigentlich, wie mir die Freunde lachend erzählten, sie
teuer zu verkaufen, aber doch zugleich dann alle behalten zu dürfen, denn er hing mit derselben Gier am Gelde
wie an jedem seiner Werke. Immer, wenn er eines abgegeben, blieb er ein paar Tage verzweifelt. Mit all seinen
merkwürdigen Schrullen hatte dieser geniale Harpagon
uns heiter gemacht; und als gerade wieder so ein Trupp
Soldaten mit dem hundebespannten Maschinengewehr
vorüberzog, stand einer von uns auf und streichelte den
Hund, sehr zum Ärger des begleitenden Offiziers, der
befürchtete, daß durch diese Liebkosung eines kriegerischen Objekts die Würde einer militärischen Institution
geschädigt werden könnte. »Wozu dieses dumme
Herummarschieren?« murrte einer in unserem Kreise.
Aber ein anderer antwortete erregt: »Man muß doch
seine Vorkehrungen treffen. Es heißt, daß die Deutschen
im Falle eines Krieges bei uns durchbrechen wollen.«
»Ausgeschlossen!« sagte ich mit ehrlicher Überzeugung,
denn in jener alten Welt glaubte man noch an die
Heiligkeit von Verträgen. »Wenn etwas passieren sollte
und Frankreich und Deutschland sich gegenseitig bis auf
den letzten Mann vernichten, werdet ihr Belgier ruhig im
Trockenen sitzen!« Aber unser Pessimist gab nicht nach.
Das müsse einen Sinn haben, sagte er, wenn man in
Belgien solche Maßnahmen anordne. Schon vor Jahren
hätte man Wind von einem geheimen Plan des deutschen Generalstabs bekommen, im Falle einer Attacke
auf Frankreich trotz allen beschworenen Verträgen
in Belgien durchzustoßen. Aber ich gab gleichfalls
nicht nach. Mir schien es völlig absurd, daß, während
Tausende und Zehntausende von Deutschen hier lässig
und fröhlich die Gastfreundschaft dieses kleinen, unbeteiligten Landes genossen, an der Grenze eine Armee
einbruchsbereit stehen sollte. »Unsinn!« sagte ich. »Hier
an dieser Laterne könnt ihr mich aufhängen, wenn die
Deutschen in Belgien einmarschieren!« Ich muß meinen
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Freunden noch heute dankbar sein, daß sie mich später
nicht beim Wort genommen haben.
Aber dann kamen die allerletzten kritischen Julitage und
jede Stunde eine andere widersprechende Nachricht,
die Telegramme des Kaisers Wilhelm an den Zaren,
die Telegramme des Zaren an Kaiser Wilhelm, die
Kriegserklärung Österreichs an Serbien, die Ermordung
von Jaurès. Man spürte, es wurde ernst. Mit einemmal wehte ein kalter Wind von Angst über den Strand
und fegte ihn leer. Zu Tausenden verließen die Leute
die Hotels, die Züge wurden gestürmt, selbst die
Gutgläubigsten begannen jetzt schleunigst ihre Koffer
zu packen. Auch ich sicherte mir, kaum daß ich die
Nachricht von der österreichischen Kriegserklärung an
Serbien hörte, ein Billett, und es war wahrhaftig Zeit.
Denn dieser Ostendeexpreß wurde der letzte Zug,
der aus Belgien nach Deutschland ging. Wir standen
in den Gängen, aufgeregt und voll Ungeduld, jeder
sprach mit dem andern. Niemand vermochte ruhig
sitzen zu bleiben oder zu lesen, an jeder Station stürzte
man heraus, um neue Nachrichten zu holen, voll der
geheimnisvollen Hoffnung, daß irgend eine entschlossene Hand das entfesselte Schicksal noch zurückreißen könnte. Noch immer glaubte man nicht an den
Krieg und noch weniger an einen Einbruch in Belgien;
man konnte es nicht glauben, weil man einen solchen
Irrwitz nicht glauben wollte. Allmählich näherte der
Zug sich der Grenze, wir passierten Verviers, die belgische Grenzstation. Deutsche Schaffner stiegen ein, in
zehn Minuten sollten wir auf deutschem Gebiet sein.
Aber auf dem halben Wege nach Herbesthal, der
ersten deutschen Station, blieb plötzlich der Zug auf
freiem Felde stehen. Wir drängten in den Gängen zu
den Fenstern. Was war geschehen? Und da sah ich im
Dunklen einen Lastzug nach dem andern uns entgegenkommen, offene Waggons, mit Plachen bedeckt,
unter denen ich undeutlich die drohenden Formen von
Kanonen zu erkennen glaubte. Mir stockte das Herz.
Das mußte der Vormarsch der deutschen Armee sein.
Aber vielleicht, tröstete ich mich, war es doch nur eine
Schutzmaßnahme, nur eine Drohung mit Mobilisation
und nicht die Mobilisation selbst. Immer wird ja in den
Stunden der Gefahr der Wille, noch einmal zu hoffen,
riesengroß. Endlich kam das Signal ›Strecke frei‹ der
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SPRACHRAUM
Zug rollte weiter und lief in der Station Herbesthal
ein. Ich sprang mit einem Ruck die Stufen hinunter,
eine Zeitung zu holen und Erkundigungen einzuziehen. Aber der Bahnhof war besetzt von Militär. Als ich
in den Wartesaal eintreten wollte, stand vor der verschlossenen Tür abwehrend ein Beamter, weißbärtig
und streng: niemand dürfe die Bahnhofsräume betreten. Aber ich hatte schon hinter den sorgfältig verhängten Glasscheiben der Tür das leise Klirren und Klinkern
von Säbeln, das harte Niederstellen von Kolben gehört.
Kein Zweifel, das Ungeheuerliche war im Gang, der
deutsche Einbruch in Belgien wider aller Satzung des
Völkerrechts. Schaudernd stieg ich wieder in den Zug
und fuhr weiter, nach Österreich zurück. Jetzt gab es
keinen Zweifel mehr: ich fuhr in den Krieg.
Augenblick miterlebten und daß jeder aufgerufen war,
sein winziges Ich in diese glühende Masse zu schleudern, um sich dort von aller Eigensucht zu läutern. Alle
Unterschiede der Stände, der Sprachen, der Klassen, der
Religionen waren überflutet für diesen einen Augenblick
von dem strömenden Gefühl der Brüderlichkeit. Fremde
sprachen sich an auf der Straße, Menschen, die sich
jahrelang auswichen, schüttelten einander die Hände,
überall sah man belebte Gesichter. Jeder einzelne erlebte
eine Steigerung seines Ichs, er war nicht mehr der isolierte Mensch von früher, er war eingetan in eine Masse,
er war Volk, und seine Person, seine sonst unbeachtete Person hatte einen Sinn bekommen. Der kleine
Postbeamte, der sonst von früh bis nachts Briefe sortierte,
immer wieder sortierte, von Montag bis Samstag ununterbrochen sortierte, der Schreiber, der Schuster hatte
plötzlich eine andere, eine romantische Möglichkeit in
seinem Leben: er konnte Held werden, und jeden, der
eine Uniform trug, feierten schon die Frauen, grüßten
ehrfürchtig die Zurückbleibenden im voraus mit diesem
romantischen Namen. Sie anerkannten die unbekannte
Macht, die sie aus ihrem Alltag heraushob; selbst die
Trauer der Mütter, die Angst der Frauen schämte sich
in diesen Stunden des ersten Überschwangs, ihr doch
allzu natürliches Gefühl zu bekunden. Vielleicht aber
war in diesem Rausch noch eine tiefere, eine geheimnisvollere Macht am Werke. So gewaltig, so plötzlich brach
diese Sturzwelle über die Menschheit herein, daß sie,
die Oberfläche überschäumend, die dunklen, die unbewußten Urtriebe und Instinkte des Menschtiers nach
oben riß, das, was Freud tiefsehend ›die Unlust an der
Kultur‹ nannte, das Verlangen, einmal aus der bürgerlichen Welt der Gesetze und Paragraphen auszubrechen
und die uralten Blutinstinkte auszutoben. Vielleicht
hatten auch diese dunklen Mächte ihren Teil an dem
wilden Rausch, in dem alles gemischt war, Opferfreude
und Alkohol, Abenteuerlust und reine Gläubigkeit, die
alte Magie der Fahnen und der patriotischen Worte –
diesem unheimlichen, in Worten kaum zu schildernden
Rausch von Millionen, der für einen Augenblick dem
größten Verbrechen unserer Zeit einen wilden und fast
hinreißenden Schwung gab.
Am nächsten Morgen in Österreich! In jeder Station
klebten die Anschläge, welche die allgemeine Mobilisation
angekündigt hatten. Die Züge füllten sich mit frisch eingerückten Rekruten, Fahnen wehten. Musik dröhnte,
in Wien fand ich die ganze Stadt in einem Taumel. Der
erste Schrecken über den Krieg, den niemand gewollt,
nicht die Völker, nicht die Regierung, diesen Krieg,
der den Diplomaten, die damit spielten und blufften,
gegen ihre eigene Absicht aus der ungeschickten Hand
gerutscht war, war umgeschlagen in einen plötzlichen
Enthusiasmus. Aufzüge formten sich in den Straßen,
plötzlich loderten überall Fahnen, Bänder und Musik,
die jungen Rekruten marschierten im Triumph dahin,
und ihre Gesichter waren hell, weil man ihnen zujubelte, ihnen, den kleinen Menschen des Alltags, die sonst
niemand beachtet und gefeiert.
Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß ich bekennen, daß in diesem ersten Aufbruch der Massen etwas
Großartiges, Hinreißendes und sogar Verführerisches
lag, dem man sich schwer entziehen konnte. Und
trotz allem Haß und Abscheu gegen den Krieg möchte
ich die Erinnerung an diese ersten Tage in meinem
Leben nicht missen: Wie nie fühlten die Tausende
und Hunderttausende Menschen, was sie besser im
Frieden hätten fühlen sollen: daß sie zusammengehörten. Eine Stadt von zwei Millionen, ein Land von fast
fünfzig Millionen empfanden in dieser Stunde, daß
sie Weltgeschichte, daß sie einen nie wiederkehrenden Die Generation von heute, die nur den Ausbruch des
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SPRACHRAUM
Zweiten Weltkriegs mitangesehen, fragt sich vielleicht:
warum haben wir das nicht erlebt? Warum loderten
1939 die Massen nicht mehr in gleicher Begeisterung auf
wie 1914? Warum gehorchten sie dem Anruf nur ernst
und entschlossen, schweigsam und fatalistisch? Galt es
nicht dasselbe, ging es eigentlich nicht noch um mehr,
um Heiligeres, um Höheres in diesem unseren gegenwärtigen Kriege, der ein Krieg der Ideen war und nicht
bloß einer um Grenzen und Kolonien?
Die Antwort ist einfach: weil unsere Welt von 1939
nicht mehr über so viel kindlich-naive Gläubigkeit verfügte wie jene von 1914. Damals vertraute das Volk noch
unbedenklich seinen Autoritäten; niemand in Österreich
hätte den Gedanken gewagt, der allverehrte Landesvater
Kaiser Franz Joseph hätte in seinem vierundachtzigsten
Jahr sein Volk zum Kampf aufgerufen ohne äußerste
Nötigung, er hätte das Blutopfer gefordert, wenn nicht
böse, tückische, verbrecherische Gegner den Frieden des
Reichs bedrohten. Die Deutschen wiederum hatten die
Telegramme ihres Kaisers an den Zaren gelesen, in denen
er um den Frieden kämpfte; ein gewaltiger Respekt vor
den ›Oberen‹, vor den Ministern, vor den Diplomaten
und vor ihrer Einsicht, ihrer Ehrlichkeit beseelte noch
den einfachen Mann. Wenn es zum Kriege gekommen
war, dann konnte es nur gegen den Willen ihrer eigenen
Staatsmänner geschehen sein; sie selbst konnten keine
Schuld haben, niemand im ganzen Lande hatte die
geringste Schuld. Also mußten drüben im anderen Lande
die Verbrecher, die Kriegstreiber sein; es war Notwehr,
daß man zur Waffe griff, Notwehr gegen einen schurkischen und tückischen Feind, der ohne den geringsten Grund das friedliche Österreich und Deutschland
›überfiel‹. 1939 dagegen war dieser fast religiöse Glaube
an die Ehrlichkeit oder zumindest an die Fähigkeit der
eigenen Regierung in ganz Europa schon geschwunden. Man verachtete die Diplomatie, seit man erbittert
gesehen, wie sie in Versailles die Möglichkeit eines dauernden Friedens verraten; die Völker erinnerten sich zu
deutlich, wie schamlos man sie um die Versprechungen
der Abrüstung, der Abschaffung der Geheimdiplomatie
betrogen. Im Grunde hatte man 1939 vor keinem einzigen der Staatsmänner Respekt, und niemand vertraute ihnen gläubig sein Schicksal an. Der kleinste
französische Straßenarbeiter spottete über Daladier, in
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England war seit München – ›peace for our time!‹ – jedes
Vertrauen in die Weitsicht Chamberlains geschwunden,
in Italien, in Deutschland sahen die Massen voll Angst
auf Mussolini und Hitler: wohin wird er uns wieder
treiben? Freilich, man konnte sich nicht wehren, es ging
um das Vaterland: so nahmen die Soldaten das Gewehr,
so ließen die Frauen ihre Kinder ziehen, aber nicht mehr
wie einst in dem unverbrüchlichen Glauben, das Opfer
sei unvermeidlich gewesen. Man gehorchte, aber man
jubelte nicht. Man ging an die Front, aber man träumte
nicht mehr, ein Held zu sein; schon fühlten die Völker
und die einzelnen, daß sie nur Opfer waren entweder
irdischer, politischer Torheit oder einer unfaßbaren und
böswilligen Schicksalsgewalt.
Und dann, was wußten 1914, nach fast einem halben
Jahrhundert des Friedens, die großen Massen vom
Kriege? Sie kannten ihn nicht, sie hatten kaum je an ihn
gedacht. Er war eine Legende, und gerade die Ferne hatte
ihn heroisch und romantisch gemacht. Sie sahen ihn
immer noch aus der Perspektive der Schullesebücher und
der Bilder in den Galerien: blendende Reiterattacken
in blitzblanken Uniformen, der tödliche Schuß jeweils
großmütig mitten durchs Herz, der ganze Feldzug
ein schmetternder Siegesmarsch – »Weihnachten sind
wir wieder zu Hause«, riefen im August 1914 die
Rekruten lachend den Müttern zu. Wer in Dorf und
Stadt erinnerte sich noch an den ›wirklichen‹ Krieg?
Bestenfalls ein paar Greise, die 1866, gegen Preußen, den
Bundesgenossen von diesmal, gekämpft, und was für ein
geschwinder, unblutiger, ferner Krieg war das gewesen,
ein Feldzug von drei Wochen und ohne viel Opfer zu
Ende, ehe man erst Atem geholt! Ein rascher Ausflug
ins Romantische, ein wildes und männliches Abenteuer
– so malte sich der Krieg 1914 m der Vorstellung des
einfachen Mannes, und die jungen Menschen hatten
sogar ehrliche Angst, sie könnten das WundervollErregende in ihrem Leben versäumen; deshalb drängten sie ungestüm zu den Fahnen, deshalb jubelten
und sangen sie in den Zügen, die sie zur Schlachtbank
führten, wild und fiebernd strömte die rote Blutwelle
durch die Adern des ganzen Reichs. Die Generation
von 1939 aber kannte den Krieg. Sie täuschte sich nicht
mehr. Sie wußte, daß er nicht romantisch war, sondern
barbarisch. Sie wußte, daß er Jahre und Jahre dauern
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SPRACHRAUM
würde, unersetzliche Spanne des Lebens. Sie wußte,
daß man nicht mit Eichenlaub und bunten Bändern
geschmückt dem Feind entgegenstürmte, sondern verlaust und halb verdurstet wochenlang in Gräben und
Quartieren lungerte, daß man zerschmettert und verstümmelt wurde aus der Ferne, ohne dem Gegner je ins
Auge gesehen zu haben. Man kannte im voraus aus den
Zeitungen, aus den Kinos die neuen technisch-teuflischen Vernichtungskünste, man wußte, daß die riesigen Tanks auf ihrem Weg den Verwundeten zermalmten
und die Aeroplane Frauen und Kinder in ihren Betten
zerschmetterten, man wußte, daß ein Weltkrieg 1939
dank seiner seelenlosen Maschinisierung tausendmal
gemeiner, bestialischer, unmenschlicher sein würde als
alle früheren Kriege der Menschheit. Kein einziger der
Generation von 1939 glaubte mehr an eine von Gott
gewollte Gerechtigkeit des Krieges, und schlimmer: man
glaubte nicht einmal mehr an die Gerechtigkeit und
Dauerhaftigkeit des Friedens, den er erkämpfen sollte.
Denn man erinnerte sich zu deutlich noch an alle die
Enttäuschungen, die der letzte gebracht: Verelendung
statt Bereicherung, Verbitterung statt Befriedigung,
Hungersnot, Geldentwertung, Revolten, Verlust der
bürgerlichen Freiheit, Versklavung an den Staat, eine
nervenzerstörende Unsicherheit, das Mißtrauen aller
gegen alle.
Das schuf den Unterschied. Der Krieg von 1939 hatte
einen geistigen Sinn, es ging um die Freiheit, um die
Bewahrung eines moralischen Guts; und um einen
Sinn zu kämpfen, macht den Menschen hart und entschlossen. Der Krieg von 1914 dagegen wußte nichts
von den Wirklichkeiten, er diente noch einem Wahn,
dem Traum einer besseren, einer gerechten und friedlichen Welt. Und nur der Wahn, nicht das Wissen macht
glücklich. Darum gingen, darum jubelten damals die
Opfer trunken der Schlachtbank entgegen, mit Blumen
bekränzt und mit Eichenlaub auf den Helmen, und die
Straßen dröhnten und leuchteten wie bei einem Fest.
hatte mich somit überzeugen können, daß die großen
Massen in Belgien genau so friedlich und ahnungslos
gewesen wie unsere eigenen Leute. Außerdem hatte
ich zu lange kosmopolitisch gelebt, um über Nacht
eine Welt plötzlich hassen zu können, die ebenso die
meine war wie mein Vaterland. Ich hatte seit Jahren
der Politik mißtraut und gerade in den letzten Jahren
in unzähligen Gesprächen mit meinen französischen,
meinen italienischen Freunden den Widersinn einer
kriegerischen Möglichkeit erörtert. So war ich gewissermaßen geimpft mit Mißtrauen gegen die Infektion
patriotischer Begeisterung, und vorbereitet wie ich war
gegen diesen Fieberanfall der ersten Stunde, blieb ich
entschlossen, meine Überzeugung von der notwendigen Einheit Europas nicht erschüttern zu lassen durch
einen von ungeschickten Diplomaten und brutalen
Munitionsindustriellen herbeigeführten Bruderkampf.
Innerlich war ich demzufolge vom ersten Augenblick
an als Weltbürger gesichert; schwer war es, die richtige
Haltung als Staatsbürger zu finden. Obwohl erst zweiunddreißig Jahre alt, hatte ich vorläufig keinerlei militärische Pflichten, da ich bei allen Assentierungen als
untauglich erklärt worden war, worüber ich schon seinerzeit herzlich froh gewesen. Erstens ersparte mir diese
Zurückstellung ein mit stupidem Kommißdienst vergeudetes Jahr, außerdem schien es mir ein verbrecherischer Anachronismus, im zwanzigsten Jahrhundert
eingeübt zu werden in der Handhabung von Mord
Werkzeugen. Die richtige Haltung für einen Mann
meiner Überzeugung wäre gewesen, in einem Kriege
mich als ›conscientious objector‹ zu erklären, was in
Österreich (im Gegensatz zu England) mit den denkbar
schwersten Strafen bedroht war und eine wirkliche
Märtyrerfestigkeit der Seele forderte. Nun liegt – ich
schäme mich nicht, diesen Defekt offen einzugestehen
– meiner Natur das Heldische nicht. Meine natürliche
Haltung in allen gefährlichen Situationen ist immer die
ausweichende gewesen, und nicht nur bei diesem einen
Anlaß mußte ich vielleicht mit Recht den Anwurf der
Daß ich selbst diesem plötzlichen Rausch des Unentschiedenheit auf mich nehmen, den man meinem
Patriotismus nicht erlag, hatte ich keineswegs einer verehrten Meister in einem fremden Jahrhundert,
besonderen Nüchternheit oder Klarsichtigkeit zu verdan- Erasmus von Rotterdam, so häufig gemacht. Anderseits
ken, sondern der bisherigen Form meines Lebens. Ich war es wieder unerträglich, in einer solchen Zeit als verwar zwei Tage vorher noch im ›Feindesland‹ gewesen und hältnismäßig junger Mensch abzuwarten, bis man ihn
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SPRACHRAUM
herausscharrte aus seinem Dunkel und an irgendeine
Stelle warf, an die er nicht gehörte. So hielt ich Umschau
nach einer Tätigkeit, wo ich immerhin etwas leisten
konnte, ohne hetzerisch tätig zu sein, und der Umstand,
daß einer meiner Freunde, ein höherer Offizier, im
Kriegsarchiv war, ermöglichte mir, dort eingestellt zu
werden. Ich hatte Bibliotheksdienst zu tun, wofür ich
durch meine Sprachkenntnisse nützlich war, oder stilistisch manche der für die Öffentlichkeit bestimmten
Mitteilungen zu verbessern –, gewiß keine ruhmreiche
Tätigkeit, wie ich willig eingestehe, aber doch eine, die
mir persönlich passender erschien, als einem russischen
Bauern ein Bajonett in die Gedärme zu stoßen. Jedoch
das Entscheidende für mich war, daß mir Zeit blieb
nach diesem nicht sehr anstrengenden Dienst für jenen
Dienst, der mir der wichtigste in diesem Kriege war: der
Dienst an der künftigen Verständigung.
Schwieriger als die amtliche erwies sich meine Stellung
innerhalb meines Freundeskreises. Wenig europäisch
geschult, ganz im deutschen Gesichtskreis lebend,
meinten die meisten unserer Dichter ihr Teil am besten
zu tun, indem sie die Begeisterung der Massen stärkten
und die angebliche Schönheit des Krieges mit dichterischem Appell oder wissenschaftlichen Ideologien unterbauten. Fast alle deutschen Dichter, Hauptmann und
Dehmel voran, glaubten sich verpflichtet, wie in urgermanischen Zeiten als Barden die vorrückenden Kämpfer
mit Liedern und Runen zur Sterbebegeisterung anzufeuern. Schockweise regneten Gedichte, die Krieg auf
Sieg, Not auf Tod reimten. Feierlich verschworen sich
die Schriftsteller, nie mehr mit einem Franzosen, nie
mehr mit einem Engländer Kulturgemeinschaft haben
zu wollen, ja mehr noch: sie leugneten über Nacht, daß
es je eine englische, eine französische Kultur gegeben
habe. All das sei gering und wertlos gegenüber deutschem Wesen, deutscher Kunst und deutscher Art.
Noch ärger trieben es die Gelehrten. Die Philosophen
wußten plötzlich keine andere Weisheit, als den Krieg
zu einem ›Stahlbad‹ zu erklären, das wohltätig die Kräfte
der Völker vor Erschlaffung bewahre. Ihnen zur Seite
traten die Ärzte, die ihre Prothesen derart überschwenglich priesen, daß man beinahe Lust hatte, sich ein Bein
amputieren zu lassen, um das gesunde durch solch
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ein künstliches Gestell zu ersetzen. Die Priester aller
Konfessionen wollten gleichfalls nicht zurückbleiben
und stimmten ein in den Chor; manchmal war es, als
hörte man eine Horde Besessener toben, und all diese
Männer waren doch dieselben, deren Vernunft, deren
formende Kraft, deren menschliche Haltung wir vor
einer Woche, vor einem Monat noch bewundert.
Das Erschütterndste an diesem Wahnsinn aber war, daß
die meisten dieser Menschen ehrlich waren. Die meisten,
zu alt oder körperlich unfähig, militärischen Dienst
zu tun, glaubten sich anständigerweise zu irgendeiner
mithelfenden ›Leistung‹ verpflichtet. Was sie geschaffen hatten, das schuldeten sie der Sprache und damit
dem Volk. So wollten sie ihrem Volk durch die Sprache
dienen und es das hören lassen, was es hören wollte: daß
das Recht einzig auf seiner Seite sei in diesem Kampf
und das Unrecht auf der andern, daß Deutschland
siegen werde und die Gegner schmählich unterliegen
– völlig ahnungslos, daß sie damit die wahre Mission
des Dichters verrieten, der Wahrer und Verteidiger des
Allmenschlichen im Menschen zu sein. Manche freilich
haben bald den bitteren Geschmack des Ekels vor ihrem
eigenen Wort auf der Zunge gespürt, als der Fusel der
ersten Begeisterung verraucht war. Aber in jenen ersten
Monaten wurde am meisten gehört, wer am wildesten
tobte, und so sangen und schrien sie hüben und drüben
in wildem Chor.
Der typischste, der erschütterndste Fall einer solchen
ehrlichen und zugleich unsinnigen Ekstase war für
mich der Ernst Lissauers. Ich kannte ihn gut. Er schrieb
kleine, knappe, harte Gedichte und war dabei der gutmütigste Mensch, den man sich denken konnte. Noch
heute erinnere ich mich, wie ich die Lippen fest zusammenbeißen mußte, um ein Lächeln zu verstecken, als
er mich das erste Mal besuchte. Unwillkürlich hatte ich
mir diesen Lyriker als einen schlanken, hartknochigen
jungen Mann vorgestellt nach seinen deutschen, markigen Versen, die in allem die äußerste Knappheit suchten.
Herein in mein Zimmer aber schwankte, dick wie ein
Faß, ein gemütliches Gesicht über einem doppelten
Doppelkinn, ein behäbiges Männchen, übersprudelnd
vor Eifer und Selbstgefühl, sich überstotternd im Wort,
besessen vom Gedicht und durch keine Gegenwehr
abzuhalten, seine Verse immer wieder zu zitieren und
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SPRACHRAUM
zu rezitieren. Mit allen seinen Lächerlichkeiten mußte
man ihn doch liebgewinnen, weil er warmherzig war,
kameradschaftlich, ehrlich und von einer fast dämonischen Hingabe an seine Kunst.
Er stammte aus einer vermögenden deutschen Familie,
war im Friedrich-Wilhelms-Gymnasium in Berlin
erzogen worden und vielleicht der preußischste oder
preußisch-assimilierteste Jude, den ich kannte. Er sprach
keine andere lebende Sprache, er war nie außerhalb
Deutschlands gewesen. Deutschland war ihm die Welt,
und je deutscher etwas war, um so mehr begeisterte es
ihn. Yorck und Luther und Stein waren seine Helden,
der deutsche Freiheitskrieg sein liebstes Thema, Bach
sein musikalischer Gott; er spielte ihn wunderbar trotz
seiner kleinen, kurzen, dicken, schwammigen Finger.
Niemand kannte besser die deutsche Lyrik, niemand
war verliebter, verzauberter in die deutsche Sprache –
wie viele Juden, deren Familien erst spät in die deutsche
Kultur getreten, war er gläubiger an Deutschland als der
gläubigste Deutsche.
Als dann der Krieg ausbrach, war es sein erstes, hinzueilen
in die Kaserne und sich als Freiwilliger zu melden. Und
ich kann mir das Lachen der Feldwebel und Gefreiten
denken, als diese dicke Masse die Treppe heraufkeuchte.
Sie schickten ihn sofort weg. Lissauer war verzweifelt;
aber wie die andern wollte er nun Deutschland wenigstens mit dem Gedicht dienen. Für ihn war alles verbürgteste Wahrheit, was deutsche Zeitungen und der
deutsche Heeresbericht meldeten. Sein Land war überfallen worden, und der schlimmste Verbrecher, ganz wie
es die Wilhelmstraße inszeniert hatte, jener perfide Lord
Grey, der englische Außenminister. Diesem Gefühl, daß
England der Hauptschuldige gegen Deutschland und
an dem Kriege sei, gab er in einem ›Haßgesang gegen
England‹ Ausdruck, einem Gedicht – ich habe es nicht
vor mir –, das in harten, knappen, eindrucksvollen
Versen den Haß gegen England zu dem ewigen Schwur
erhob, England nie sein ›Verbrechen‹ zu verzeihen.
Verhängnisvollerweise wurde bald offenbar, wie leicht
es ist, mit Haß zu arbeiten (dieser feiste, verblendete
kleine Jude Lissauer nahm das Beispiel Hitlers voraus).
Das Gedicht fiel wie eine Bombe in ein Munitionsdepot.
Nie vielleicht hat ein Gedicht in Deutschland, selbst die
›Wacht am Rhein‹ nicht, so rasch die Runde gemacht
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wie dieser berüchtigte ›Haßgesang gegen England‹. Der
Kaiser war begeistert und verlieh Lissauer den Roten
Adlerorden, man druckte das Gedicht in allen Zeitungen
nach, die Lehrer lasen es in den Schulen den Kindern
vor, die Offiziere traten vor die Front und rezitierten
es den Soldaten, bis jeder die Haßlitanei auswendig
konnte. Aber nicht genug an dem. Das kleine Gedicht
wurde, in Musik gesetzt und zum Chor erweitert, in
den Theatern vorgetragen; unter den siebzig Millionen
Deutschen gab es bald keinen einzigen Menschen mehr,
der den ›Haßgesang gegen England‹ nicht von der ersten
bis zur letzten Zeile kannte, und bald kannte ihn – freilich mit weniger Begeisterung – die ganze Welt. Über
Nacht hatte Ernst Lissauer den feurigsten Ruhm, den
sich ein Dichter je in diesem Kriege erworben – freilich einen Ruhm, der später an ihm brannte wie ein
Nessushemd. Denn kaum daß der Krieg vorüber war
und die Kaufleute wieder Geschäfte machen wollten, die
Politiker sich ehrlich um Verständigung bemühten, tat
man alles, um dieses Gedicht zu verleugnen, das ewige
Feindschaft mit England gefordert. Und um die eigene
Mitschuld abzuschieben, prangerte man den armen
›Haßlitanei‹ als den einzigen Schuldigen an der irrsinnigen Haßhysterie an, die in Wirklichkeit 1914 alle vom
ersten bis zum letzten geteilt. Jeder wandte sich 1919
ostentativ von ihm ab, der ihn 1914 noch gefeiert. Die
Zeitungen druckten nicht mehr seine Gedichte; wenn
er unter den Kameraden erschien, entstand ein betroffenes Schweigen. Aus dem Deutschland, an dem er mit
allen Fasern seines Herzens hing, ist der Verlassene dann
von Hitler ausgetrieben worden und vergessen gestorben, ein tragisches Opfer dieses einen Gedichts, das ihn
so hoch nur emporgehoben, um ihn dann um so tiefer
zu zerschmettern.
So wie Lissauer waren sie alle. Sie haben ehrlich gefühlt
und meinten ehrlich zu handeln, diese Dichter, diese
Professoren, diese plötzlichen Patrioten von damals, ich
leugne es nicht. Aber schon nach kürzester Zeit wurde
erkennbar, welches fürchterliche Unheil sie mit ihrer
Lobpreisung des Krieges und ihren Haßorgien anstifteten. Alle kriegführenden Völker befanden sich 1914
ohnehin schon in einem Zustand der Überreizung; das
übelste Gerücht verwandelte sich sofort in Wahrheit, die
SPRACHRAUM
absurdeste Verleumdung wurde geglaubt. Zu Dutzenden
schworen in Deutschland die Menschen, sie hätten mit
eigenen Augen knapp vor Kriegsausbruch goldbeladene
Automobile von Frankreich nach Rußland fahren sehen;
die Märchen von den ausgestochenen Augen und abgeschnittenen Händen, die prompt in jedem Kriege am
dritten oder vierten Tage einsetzen, füllten die Zeitungen.
Ach, sie wußten nicht, diese Ahnungslosen, welche
solche Lügen weitertrugen, daß die Technik, den feindlichen Soldaten jeder denkbaren Grausamkeit zu beschuldigen, ebenso zum Kriegsmaterial gehört wie Munition
und Flugzeuge, und daß sie regelmäßig in jedem Kriege
gleich in den ersten Tagen aus den Magazinen geholt
wird. Krieg läßt sich mit Vernunft und gerechtem
Gefühl nicht koordinieren. Er braucht einen gesteigerten Zustand des Gefühls, er braucht Enthusiasmus für
die eigene Sache und Haß gegen den Gegner.
Nun liegt es in der menschlichen Natur, daß sich starke
Gefühle nicht ins Unendliche prolongieren lassen,
weder in einem einzelnen Individuum noch in einem
Volke, und das weiß die militärische Organisation.
Sie benötigt darum eine künstliche Aufstachelung,
ein ständiges ›doping› ‹‹ der Erregung, und diesen
Aufpeitschungsdienst sollten – mit gutem oder schlechtem Gewissen, ehrlich oder aus fachlicher Routine – die
Intellektuellen leisten, die Dichter, die Schriftsteller, die
Journalisten. Sie hatten die Haßtrommel geschlagen und
schlugen sie kräftig, bis jedem Unbefangenen die Ohren
gellten und das Herz erschauerte. Gehorsam dienten
sie fast alle in Deutschland, in Frankreich, in Italien, in
Rußland, in Belgien der ›Kriegspropaganda‹ und damit
dem Massenwahn und Massenhaß des Krieges, statt ihn
zu bekämpfen.
Die Folgen waren verheerend. Damals, da die Propaganda
sich nicht schon im Frieden abgenützt hatte, hielten die
Völker trotz tausendfachen Enttäuschungen alles, was
gedruckt war, noch für wahr. Und so verwandelte sich
der reine, der schöne, der opfermutige Enthusiasmus der
ersten Tage allmählich in eine Orgie der schlimmsten
und dümmsten Gefühle. Man ›bekämpfte‹ Frankreich
und England in Wien und Berlin, auf der Ringstraße
und der Friedrichstraße, was bedeutend bequemer war.
Die französischen, die englischen Aufschriften auf den
Geschäften mußten verschwinden, sogar ein Kloster ›Zu
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den Englischen Fräulein‹ den Namen ändern, weil das
Volk sich erregte, ahnungslos, daß ›englisch‹ die Engel
und nicht angelsächsisch meinte. Auf die Briefumschläge
klebten oder stempelten biedere Geschäftsleute ›Gott
strafe England‹, Frauen der Gesellschaft schworen (und
schrieben es den Zeitungen in Zuschriften), daß sie zeitlebens nie mehr ein Wort französisch sprechen würden.
Shakespeare wurde von den deutschen Bühnen verbannt,
Mozart und Wagner aus den französischen, den englischen Musiksälen, die deutschen Professoren erklärten,
Dante sei ein Germane, die französischen, Beethoven sei
ein Belgier gewesen, bedenkenlos requirierte man geistiges Kulturgut aus den feindlichen Ländern wie Getreide
und Erz. Nicht genug, daß sich täglich wechselseitig
Tausende friedliche Bürger dieser Länder an der Front
töteten, beschimpfte und begeiferte man wechselseitig
im Hinterland die großen Toten der feindlichen Länder,
die seit Hunderten Jahren stumm in ihren Gräbern
lagen. Immer absurder wurde die Geistesverwirrung.
Die Köchin am Herd, die nie über ihre Stadt hinausgekommen und seit der Schulzeit keinen Atlas aufgeschlagen, glaubte, daß Österreich nicht leben könne
ohne den ›Sandschak‹ (ein kleines Grenzbezirkchen
irgendwo in Bosnien). Die Kutscher stritten auf der
Straße, welche Kriegsentschädigung man Frankreich
auferlegen solle, fünfzig Milliarden oder hundert, ohne
zu wissen, wieviel eine Milliarde ist. Keine Stadt, keine
Gruppe, die nicht dieser grauenhaften Hysterie des
Hasses verfiel. Die Priester predigten von den Altären,
die Sozialdemokraten, die einen Monat vorher den
Militarismus als das größte Verbrechen gebrandmarkt,
lärmten womöglich noch mehr als die andern, um
nicht nach Kaiser Wilhelms Wort als ›vaterlandslose
Gesellen‹ zu gelten. Es war der Krieg einer ahnungslosen
Generation, und gerade die unverbrauchte Gläubigkeit
der Völker an die einseitige Gerechtigkeit ihrer Sache
wurde die größte Gefahr.
Allmählich wurde es in diesen ersten Kriegswochen
von 1914 unmöglich, mit irgend jemandem ein vernünftiges Gespräch zu führen. Die Friedlichsten, die
Gutmütigsten waren von dem Blutdunst wie betrunken.
Freunde, die ich immer als entschiedene Individualisten
und sogar als geistige Anarchisten gekannt, hatten sich
über Nacht in fanatische Patrioten verwandelt und aus
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Patrioten in unersättliche Annexionisten. Jedes Gespräch
endete in dummen Phrasen wie: »Wer nicht hassen
kann, der kann auch nicht richtig lieben« oder in groben
Verdächtigungen. Kameraden, mit denen ich seit Jahren
nie einen Streit gehabt, beschuldigten mich ganz grob,
ich sei kein Österreicher mehr; ich solle hinübergehen
nach Frankreich oder Belgien. Ja, sie deuteten sogar vorsichtig an, daß man Ansichten wie jene, daß dieser Krieg
ein Verbrechen sei, eigentlich zur Kenntnis der Behörden
bringen sollte, denn ›Defaitisten‹ – das schöne Wort war
eben in Frankreich erfunden worden – seien die schwersten Verbrecher am Vaterlande.
Da blieb nur eins: sich in sich selbst zurückziehen und
schweigen, solange die andern fieberten und tobten. Es
war nicht leicht. Denn selbst im Exil – ich habe es zur
Genüge kennengelernt – ist es nicht so schlimm zu leben
wie allein im Vaterlande. In Wien hatte ich meine alten
Freunde mir entfremdet, neue zu suchen war jetzt nicht
die Zeit. Einzig mit Rainer Maria Rilke hatte ich manchmal ein Gespräch innigen Verstehens. Es war gelungen,
ihn gleichfalls für unser abgelegenes Kriegsarchiv anzufordern, denn er wäre der unmöglichste Soldat gewesen
mit seiner Überzartheit der Nerven, denen Schmutz,
Geruch, Lärm wirkliche physische Übelkeit schufen.
Immer muß ich unwillkürlich lächeln, wenn ich mich
an ihn in Uniform erinnere. Eines Tages klopfte es an
meine Tür. Ein Soldat stand ziemlich zaghaft da. Im
nächsten Augenblick erschrak ich: Rilke – Rainer Maria
Rilke in militärischer Verkleidung! Er sah so rührend
ungeschickt aus, beengt von dem Kragen, verstört von
dem Gedanken, jedem Offizier die Ehrenbezeigung mit
zusammengeklappten Stiefeln erweisen zu müssen. Und
da er in seinem magischen Zwang zur Vollendung auch
diese nichtigen Formalitäten des Reglements vorbildlich genau ausführen wollte, befand er sich in einem
Zustand fortwährender Bestürztheit. »Ich habe«, sagte
er mir mit seiner leisen Stimme, »dieses Militärkleid
seit der Kadettenschule gehaßt. Ich glaubte, ihm für
immer entkommen zu sein. Und jetzt noch einmal, mit
fast vierzig Jahren!« Glücklicherweise waren hilfreiche
Hände da, ihn zu schützen, und er wurde bald dank
einer gütigen medizinischen Untersuchung entlassen.
Noch einmal kam er, um Abschied zu nehmen – nun
schon wieder im Zivilkleid in mein Zimmer, ich möchte
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fast sagen hereingeweht (so unbeschreiblich lautlos ging
er ja immer). Er wollte mir noch danken, weil ich durch
Rolland versucht hatte, seine in Paris beschlagnahmte
Bibliothek zu retten. Zum erstenmal sah er nicht mehr
jung aus, es war, als hätte das Denken an das Grauen
ihn erschöpft. »Ins Ausland«, sagte er, »wenn man nur
ins Ausland könnte! Krieg ist immer Gefängnis.« Dann
ging er. Ich war nun wieder ganz allein.
Nach einigen Wochen übersiedelte ich, entschlossen,
dieser gefährlichen Massenpsychose auszuweichen, in
einen ländlichen Vorort, um mitten im Kriege meinen
persönlichen Krieg zu beginnen: den Kampf gegen den
Verrat der Vernunft an die aktuelle Massenleidenschaft.
SPRACHRAUM
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Z WÖ L F B IL D E R V O M K R I E G
HANS BALUSCHEK
Im Jahre 1915 gab der Verband der deutschen KrankenPflegeanstalten eine Mappe unter dem Titel „Der Krieg
1914-1916“ heraus. Enthalten darin ein Text des konservativen Historikers Richard Du Moulin-Eckart und
Bilder und Zeichnungen von Hans Baluschek (18701935). In der Kombination des patriotischen Pathos des
Historikers und nüchternen Zeichnungen von modernem Kriegsgerät scheint die Veröffentlichung auf den
ersten Blick lediglich eine von vielen zu sein, die die
patriotische Kriegsbegeisterung anfeuern sollten. Doch
vor allem die zwölf farbigen Bildtafeln zeigen sich in
ihrer schockierenden Nüchternheit heute fern jeglicher
Kriegsbegeisterung: Der Mensch im Schützengraben ist
einem grausamen Untergang geweiht. Und auch wenn
am Ende der Serie zwei Bilder die Arbeit des Roten
Kreuzes im Kriege darstellt: In diesem Krieg, so machen
es Baluscheks Bilder deutlich, gibt es keine Chance des
Entrinnens für den Einzelnen. Und egal ob im Osten
oder an der Westfront: Immer wieder sind es auch die
Zivilisten, die unter diesem Krieg zu leiden haben.
Ohne den Text Moulin-Eckarts sind die zwölf Bilder
vom Krieg heute noch eine beeindruckende Mahnung
vor den Schrecken des modernen Krieges.
Tafel 1: Der Sturm
Tafel 2: Die Strafe (Franktieurs)
Tafel 3: Der Untergang
Tafel 4: Die Vernichtung
Tafel 5: Hände hoch!
Tafel 6: Eingeschneit
Tafel 7: Dezember
Tafel 8: Die Gefangenen
Tafel 9: Der gute Kamerad
Tafel 10: Das Kirchenfenster
Tafel 11: Auf der Suche
Tafel 12: Die Hilfe
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DIE
VESTALINNEN
Eine Reise um die Erde. Abenteuer zu Wasser und zu Lande. Erzählt
nach eigenen Erlebnissen. Band 1. Von Robert KraŌ
13. ELLENS VERHAFTUNG
Bald hatten sich Gruppen unter den Beteiligten gebildet, wie Freundschaft, Neigung oder Gelegenheit es mit
sich brachten. Entweder ritt eine Dame neben einem
Herrn oder zwei Herren nebeneinander, denn es waren
ja mehr Herren als Damen vertreten.
Williams, der ein entsetzlich mageres, struppiges und
steifbeiniges Tier ritt, das wahre Zerrbild eines Esels,
hatte dieses sofort an die Seite von Miß Thomson
gelenkt, denn bei keiner Gelegenheit unterließ er es,
dieser Dame Beweise seiner Verehrung für sie zu geben,
allerdings immer in der ihm eigentümlichen, drastischen Art.
»Sir Williams,« begann sie, »warum haben Sie sich
gerade das häßlichste Tier ausgesucht? Sie als englischer Baronet sollten doch mehr Geschmack entwikkeln. Ich schäme mich schon, wenn dieses Ungeheuer
sich an meiner Seite befindet.«
»Urteilen Sie nicht vorschnell,« erklärte Charles mit
einer ernsthaften Miene, die ihm gar nicht stehen
wollte, »die unscheinbarste Schale enthält oft den süßesten Kern. Sehen Sie zum Beispiel einmal mich an.
Auch ich bin nur ein kleiner, bescheidener, unansehnlicher Mensch, wenn Sie aber in mein Inneres sehen
könnten, ich sage Ihnen, Sie würden staunen, was da für
Schätze verborgen liegen. Nicht wahr, mein Tierchen?«
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fragte er seinen Esel.
»Y–y–ah,« antwortete dieser.
»Sehen Sie wohl, er bejaht es.«
Miß Thomson lachte hell auf.
»Was würde ich denn da zu sehen bekommen?«
»Vor allen Dingen, in einem großen, goldenen Rahmen,
Ihr Bild, und dann – –«
»Und was dann?« – »Und dann noch einmal Ihr Bild.«
»O, Sie Schmeichler.«
»Ja, fragen Sie meinen Esel. Nichtwahr?« – »Y–y–ah,«
brüllte dieser wieder.
»Was ist denn das nur mit Ihrem Esel, der antwortet
wohl auf Kommando?«
»Er ist ein sehr verständiger Esel, fast ebenso klug wie
ich und versteht jedes Wort. Ist das wahr oder nicht?«
– »Y–y–ah.«
»Sehen Sie wohl, wie unrecht Sie ihm vorhin gethan
haben?«
Auf diese Weise schwatzte er unaufhaltsam fort und
ließ seinen Esel nach jeder kühnen Behauptung bejahend brüllen. Er hatte das Tier nur genommen, weil
ihm sein Treiber verraten hatte, daß es, wenn man ihm
stark die Schenkel gab, schrie. Miß Thomson kam aus
dem Lachen nicht heraus.
Unterdessen fand an der Spitze des Zuges ein anderes
Gespräch zwischen Lord Harrlington und Ellen statt,
SPRACHRAUM
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Plan zu nichte machen, und dabei einen guten Zweck
im Auge haben. Es ist dies doch etwas anderes, als wenn
man bei Wetten nur aus Ehrgeiz seine Geschicklichkeit
zeigt sein Leben aufs Spiel setzt.«
»Gewiß,« bestätigte Harrlington, »und besonders bei
uns, denen der wagehalsige Sport zur Liebhaberei geworden ist, wird viel gegen die menschliche Natur gefrevelt.
Doch was geht dort vor? Eine Menschenmenge hat sich
angesammelt und versperrt uns den Weg.«
An einer Kreuzung von vier Straßen staute sich
ein dichter Knäuel von Menschen, hauptsächlich
Mohamedanern, die querlaufende Straße war frei
gelassen worden, als ob auf ihr etwas erwartet würde;
aber der Weg, auf dem die Gesellschaft kam, war vollständig für den Verkehr gesperrt, sodaß bereits eine
Unmenge von Passanten, Reitern und Wagen harrte,
bis der Durchgang wieder frei würde.
»Was ist hier los? Wird jemand erwartet?« fragte Ellen
ihren Eseltreiber.
Dieser, ein verschmitzt aussehender Bursche, erkundigte
sich bei den Umstehenden und sagte dann:
»Ja, Miß, der General Raham-el-Haschir, der ruhmvolle
Sieger über den Mahdi, wird gleich hier vorbeikommen.«
hinter denen Johanna und Sulima in Begleitung einiger »Raham-el-Haschir, der immer so ruhmvoll vor dem
Herren, darunter Lord Hastings, ritten.
Mahdi ausgerissen ist! Was kümmert uns der?«
»Sie gestehen also,« fragte Ellen, »daß Sie es waren, der »Es war Allahs Wille.«
die Ueberlistung des Mädchenhändlers durch uns hier »Können wir denn nicht durchkommen? Ich habe keine
in der englischen Zeitung geschildert hat?«
Lust, hier einige Stunden zu warten; lieber wollen wir
»Ich war es. Wir beobachteten Ihre Heldenthat von umkehren,« sagte Ellen unwillig.
dem Inselchen aus, von dem die ›Vesta‹ nicht weit ent- Aber auch dazu war keine Möglichkeit vorhanden, denn
fernt lag. Zürnen Sie mir, weil ich nicht verschwiegen hinter der Gesellschaft hatten sich bereits wieder andere
gewesen bin? Ich glaubte, Ihnen und allen Vestalinnen Reiter und Equipagen angesammelt, und als jetzt die
damit eine Freude zu bereiten.«
zuerst Stehenden von einigen ägyptischen Soldaten mit
»Das haben Sie auch, und wir sind Ihnen sogar dankbar Stockhieben zurückgedrängt wurden, wurde jeder eindafür.«
zelne der Gesellschaft derart eingepreßt, daß er weder
»Dann ist mir eine Zentnerlast vom Herzen genom- vor- noch rückwärts konnte.
men,« rief Harrlington freudig aus. »Ich machte mir »Ich werde schon sehen, ob ich Ihnen die Passage nicht
zuletzt doch Vorwürfe darüber, ohne Ihre Einwilligung verschaffen kann,« sagte Ellens Bursche mit pfiffigem
gehandelt zu haben.«
Lächeln. »Den Schlauen liebt Allah.«
»Wir sehnen uns förmlich darnach, jeden Tag ein ähn- Er ergriff sein Tier am Zügel und versuchte, es ein wenig
liches Abenteuer zu bestehen,« begann Ellen nach einer vorwärts zu drängen.
kleinen Pause wieder. »Man fühlt sich als ein anderer Fast schien es, als ob die vor ihm stehenden Araber seine
Mensch, kann man so seine Kraft gegen die eines Absicht unterstützen wollten, denn willig drückten sie
anderen sehen, durch seinen Geist einen verderblichen sich zur Seite, sodaß eine kleine Lücke entstand, in die
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SPRACHRAUM
der Bursche schnell den Esel hineinschob.
Lord Harrlington, der durch einen fremden Reiter
von Ellen getrennt worden war, versuchte das gleiche
Manöver, aber wie eine Mauer standen vor ihm die
Muhamedaner – sie wankten und wichen nicht,
sondern murrten vielmehr, daß ein Franke, ein verfluchter Ungläubiger, sie zur Seite stoßen wollte.
»Führe meinen Esel auch durch,« herrschte er den
Treiber seines Tieres an. Eine unnennbare Angst erfaßte
ihn, als er sah, wie sich Miß Petersen weiter und weiter
von ihm entfernte, immer der diesseitigen Grenze der
Menschenmenge, also der offenen Straße zu.
»Es geht nicht, Effendi,« entgegnete der Eseljunge, der
sich wirklich bemüht hatte, die Leute zum Platzgeben
zu bewegen.
Schon hatte Ellen die offene Straße erreicht und ritt
hinüber, um abermals ins Gewühl einzudringen.
»Um Gottes willen, Miß Petersen,« schrie Harrlington,
»bleiben Sie, daß wir Sie wenigstens nicht aus den
Augen verlieren.«
Aber sein Ruf ward schon nicht mehr gehört.
Die Menge brach plötzlich in lauten Jubel aus. Vorreiter
kamen gesprengt und fegten die Straßen leer, ein unabsehbarer Haufe von Kindern drängte sich plötzlich
heran, und Janitscharenmusik ward in der Ferne hörbar.
Jetzt war es zu spät, der Reiterin zu folgen. Sie war auf
der anderen Seite eingelassen worden und hatte sich
den Augen des Lords entzogen.
Eine innere Angst, die er sich selbst nicht zu deuten wußte,
wühlte in ihm. Ratlos sah er um sich und bemerkte,
daß auch Johanna Lind über das Verschwinden Ellens
sich benuruhigt fühlte. Aber dieses Mädchen trat weit
energischer auf, als er.
Ein Blick überzeugte sie, daß jetzt kein Durchkommen
mehr möglich sei.
»Kannst du mich auf einem anderen, freien Weg
nach der Seite drüben bringen?« fragte sie hastig den
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Burschen.
»Wohl, Miß, in fünf Minuten.«
»Dann thue es, aber schnell. Für jede Minute weniger
bekommst du ein Geldstück mehr.«
»Es geht nicht, Miß, und wenn ich alle Schätze des
Sultans dafür erhielte.«
In der That, die Esel standen ganz eingezwängt, sie
konnten keinen Schritt machen.
Ohne ein Wort weiter zu sagen, sprang Johanna aus
dem Sattel, ergriff das Tier mit der einen Hand beim
Zügel, drückte ihm mit der anderen die Nüstern zu
und drängte es mit unwiderstehlicher Gewalt zurück.
Ein unwilliges Rufen erhob sich zu Seiten des Mädchens,
aber dieses ließ sich nicht in seinem Vorhaben stören;
weiter und weiter schob Johanna den Esel zurück, alles
rücksichtslos zur Seite stoßend.
Jetzt kam Leben in die Menge, hier und da entstand
etwas Raum. Johanna kam an Sulimas Tier vorüber,
faßte dessen Zügel und drängte es gleichermaßen
rückwärts.
»Mir nach,« rief sie mit heller Stimme, die selbst noch
das Jubeln der Menge und die Musik der anrückenden
Soldaten übertönte.
Nur sehr wenige der übrigen Herren und Damen hatten
das Verschwinden Ellens auf der anderen Seite überhaupt wahrgenommen; aber als jetzt Harrlington,
Williams, Miß Murray und andere dem Beispiele
Johannas folgten, schlossen sich ihnen alle anderen
Glieder der Gesellschaft an.
Kaum hatte Johanna den offenen Platz erreicht, so setzte
sie ihren Esel in Galopp und sprengte dem voranrennenden Jungen nach, der sie durch einige Gäßchen
führte, ihnen folgten die anderen, welche inzwischen
den Grund zu dieser Eile erfuhren und mehr oder
minder über den Zwischenfall bestürzt waren.
In weniger als fünf Minuten stand die Gesellschaft auf
der anderen Seite der Straße, aber wie man auch umherspäte, von Ellen war nichts zu sehen. Sir Hendricks
stellte sich sogar aufrecht in den Sattel – auch er schüttelte verneinend den Kopf. Miß Petersen war nicht
unter den Reitern oder Reiterinnen zu erblicken, welche
noch immer wie eingekeilt das Passieren des Regiments
SPRACHRAUM
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abwarten mußten.
Die Zuschauer wurden gefragt, ob sie nicht eine Dame
zu Esel gesehen hatten, welche von der gegenüberliegenden Seite nach dieser geritten sei. Ellens Aussehen
wurde ganz genau beschrieben, aber die Gefragten antworteten entweder gar nicht, denn sie schauten dem
kriegerischen Schauspiel zu, oder sie stellten neugierige Gegenfragen.
Nur einer der Araber bejahte und sagte, er habe gesehen,
daß eine solche Dame vor einigen Minuten diese Straße
dort hinaufgeritten ist.
Er wies dabei auf eine nach Westen führende Chaussee.
»Dann schnell ihr nach,« rief Lord Harrlington. »Was
mag sie nur veranlaßt haben, nicht wenigstens auf uns
zu warten?«
Er wandte den Esel der angegebenen Richtung zu, und
seine Gefährten folgten ihm.
»Halt,« ließ sich da Johannas durchdringende Stimme
vernehmen, »es ist nicht wahr. Nie glaube ich, daß Miß
Petersen ohne weiteres allein fortgeritten ist, ohne uns
wenigstens Nachricht zu geben.«
In diesem Augenblicke, trat ein Herr, allem Anschein
nach ein Engländer, an Harrlington heran und fragte
ihn:
»Sie suchen eine Dame, die einen Esel ritt?« – »Ja,« entgegnete der Lord hastig.«
»Trug Sie ein hellgraues Kleid mit roter Schärpe?« – »Sie
war es, wo haben Sie die Dame gesehen?«
»Als sie diese Seite erreichte, trat ihr sofort ein egyptischer Offizier entgegen, der sie erst sehr höflich
begrüßte, dann ihr Tier beim Zügel faßte und es
durch die Menschenmenge führte, wobei ihm arabische Soldaten Platz verschaff ten.«
»Und was dann?« fragte Harrlington atemlos. »Ließ die
Dame das ruhig geschehen?«
»Anfangs, ja. Aber ich bemerkte dann, wie die Dame,
als der freie Platz erreicht worden war, dem auf sie einredenden Offi zier, der sehr gebieterisch aufzutreten
schien, heftig entgegnete, sich mehrmals umwandte
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und nach der anderen Seite hinüberwinkte.«
»Was geschah weiter?«
»Schließlich ritten alle davon, und es fiel mir auf, daß
die Soldaten die Dame zwischen sich nahmen.«
»Haben Sie nicht gehört, was gesprochen wurde?«
»Der Offizier sprach sehr leise, die Dame dagegen laut,
aber französisch, was ich leider nicht verstehe.«
»Können Sie sich nicht erklären, was alles das zu bedeuten haben mag?«
»Offen gestanden, es glich fast einer Verhaftung.«
»Verhaftet!« riefen alle wie aus einem Munde.
»Meine Ahnung!« flüsterte Johanna und sann einen
Augenblick nach. Dann rief sie laut:
»So folgen Sie mir! Ich kenne den Weg nach der
Polizeipräfektur. Oder nein, ich bitte Sie alle, sich
sofort nach dem Hotel du Nil zu begeben und dort
auf Bescheid zu warten. Miß Murray, Lord Harrlington
und Sie, Sir Williams, begleiten mich, wir sind genug,
um als Zeugen auftreten zu können, Lord Hastings, ich
mache Sie für die Sicherheit Sulimas verantwortlich.«
Das Mädchen traf diese Anordnungen so energisch,
daß sich alle sofort und ohne Widerrede ihm fügten.
Die Straße war jetzt wieder frei, sodaß die Gesellschaft,
von trüben Gedanken gepeinigt, den kurzen Weg nach
dem Hotel zurückritt, während Johanna in Begleitung
der von ihr genannten Personen so schnell als möglich
dem Polizeigebäude zustrebte.
»Die Sache ist mir unerklärlich,« sagte Harrlington
unterwegs zu Johanna, »Miß Petersen verhaftet!«
»Es wird nicht so schlimm sein, wenn überhaupt etwas
Wahres daran ist, was ich noch selber bezweifle. Im
schlimmsten Falle bedeutet es eine Vernehmung wegen
jener Befreiung der Sklavinnen, die Sie, Mylord, so voreilig veröffentlicht haben.«
»So tadeln Sie dieses von mir?«
»Durchaus; doch da sind wir vor dem Polizeigebäude,
wir werden gleich alles Nähere erfahren.«
Die vier stiegen ab, gaben die Zügel den Jungen zu
halten und betraten den Vorhof des Gebäudes, auf dem
egyptische Soldaten herumlungerten.
In Egypten giebt es keine Schutzleute, sondern
das Militär sorgt für die öffentliche Sicherheit. Die
Kriminalpolizei dagegen liegt in den Händen der
SPRACHRAUM
Engländer, welche Detektive unterhalten.
An den Pfosten des Thores lehnte ein Soldat im
Drillichanzug und rauchte phlegmatisch eine Cigarette.
Es war der erste, an welchem Lord Harrlington, der vorausschritt, vorbeikam.
»Wo ist der Polizeidirektor von Kairo zu sprechen?«
fragte er den jungen Burschen auf gut Glück in englisch, denn dieser sah wie ein Europäer, etwa wie ein
Südösterreicher aus, wie überhaupt in der egyptischen Armee Leute aus aller Herren Ländern, meist
Abenteurer, dienen.
»In seinem Zimmer,« entgegnete der junge Mensch,
ebenfalls auf englisch, aber mit stark italienischem
Accent, »was wollen Sie von ihm, Signor?«
»Ihn sprechen. Wie meldet man sich bei ihm an? Aber
sofort! Wir haben durchaus keine Zeit zu verlieren.«
»Was wollen Sie von ihm?« fragte der neugierige Bursche
weiter, ohne seine bequeme Stellung zu verändern.
»Halte uns nicht weiter auf, das rate ich dir,« entgegnete
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Williams in drohendem Tone, »sonst giebt es etwas.«
Dabei drückte er dem Soldaten ein großes Geldstück in
die Hand, denn er wußte schon, daß man den Zutritt
zu einem hohen, türkischen Beamten nur erhält, wenn
man eine offene Tasche besitzt – je mehr es klingt, desto
schneller kommt man zum Ziele.
Jetzt nahm der Soldat die Cigarette aus dem Munde
und sagte lächelnd:
»Danke vielmals, aber Zweck hat es nicht gehabt, der
Polizeidirektor hat keine Ahnung von dem, was Sie von
ihm wissen wollen.«
»Was weißt du davon?« sagte Jessy in geringschätzendem Tone.
»Vielleicht ebensoviel und noch mehr als Sie, Signora,«
entgegnete der Soldat und betrachtete schmunzelnd
das Silberstück. »Gehen Sie ruhig nach dem Hotel und
warten Sie alles ab.«
Lord Harrlington wurde stutzig.
»Weißt du etwa, welche Angelegenheit uns hierhergeführt hat, was uns passiert ist?« fragte er.
»Nein, aber ich sage nochmals, der Polizeidirektor hat
keine Ahnung davon, daß irgend eine Dame verhaftet
worden ist. Folgen Sie meinem Rate, gehen Sie ins Hotel
zurück, trinken Sie eine gute Flasche Wein und warten
Sie getrost die kommenden Dinge ab – ich mache es
ebenso – adieu, meine Herrschaften!«
Der Soldat drehte sich um und schritt langsam über
den Hof.
Lord Harrlington blickte verblüff t Charles an, der eben
wieder eine andere Silbermünze bereit hielt, und Jessy
wandte sich ebenfalls verwundert nach Johanna um,
die sonderbarerweise sich gar nicht an dem Gespräche
beteiligt, sondern nur immer aufmerksam den Soldaten
beobachtet hatte. Jetzt schickte sie ihm noch einen prüfenden Blick und sagte:
»Wenn der Polizeidirektor nichts davon weiß, dann
brauchen wir ihn allerdings nicht erst zu fragen.
Kommen Sie, meine Herren!«
Sie drehte sich um und ging zu ihrem Esel.
Aber Lord Harrlington eilte ihr nach und hielt sie
zurück.
»Aber, Miß Lind, Sie werden doch nicht dem ersten
Besten Glauben schenken, der etwas von Ellens
Verhaftung erfahren hat und uns nun belügt, um keine
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SPRACHRAUM
Arbeit mit uns zu haben?«
»Bitte helfen Sie mir in den Sattel,« sagte da Johanna
ruhig und hob das Füßchen.
Während der vollständig frappierte Harrlington ihr
willfahrte, flüsterte sie ihm unmerklich etwas zu, wobei
der Lord hoch aufhorchte.
»So kommen Sie denn!« winkte er den beiden zu und
stieg selbst auf seinen Esel.
»Wirklich, es ist das beste, im Hotel die Erklärung des
Vorfalls abzuwarten.«
»Miß Lind hat uns schon zu oft einen guten Rat
gegeben, als daß ich ihn diesmal ausschlüge, obgleich
ich nicht weiß, was das alles heißen soll,« meinte Jessy.
Auch sie stieg auf, desgleichen Charles.
»Daraus werde ein anderer klug,« meinte letzterer kopfschüttelnd und gab seinem elenden, steifbeinigen Tiere
die Schenkel zu fühlen, »in mein kleines Gehirn geht
es nicht hinein.«
»Y–y–ah!« bestätigte der verständige Esel.
Kaum waren sie im Hotel du Nil angekommen und
hatten die sie mit Fragen bestürmenden Herren und
Damen einigermaßen beruhigt, als ein atemloser arabischer Junge gerannt kam, nach Lord Harrlington fragte
und diesem ein versiegeltes Couvert gab.
Er riß es auf und las:
»Seien Sie ohne Sorge, ich habe Miß P. nicht aus dem
Auge verloren. Noch lasse ich sie in den Händen ihrer
Entführer, um einige neue Gesichter und Pläne zu entdecken. Heute abend wird sie spätestens im Hotel sein.
N. S.«
Aus dem Ritte nach den Pyramiden wurde unter diesen
Umständen natürlich nichts. – – – –
Es hatte sich wirklich alles so zugetragen, wie jener Herr
es dem Lord Harrlington geschildert hatte.
Als Ellen die jenseits der Straße stehende Zuschauerlinie
erreichte, wurde sie sofort von einem egyptischen
Offizier angeredet, der sie fragte, ob er ihr behilflich
sein dürfte. Ellen glaubte, er meinte, ob er sie durch das
Gewühl bringen solle, und fest überzeugt, daß ihr die
anderen unmittelbar folgten, ließ sie es ruhig geschehen, daß der Offizier die Zügel ergriff und das Tier
weiterführte.
Da plötzlich gewahrte sie, daß ihre Begleiter zurückgeblieben waren, und sofort versuchte sie, ihr Tier
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umzulenken; vergebens, der Offi zier hielt die Zügel
fest in der Hand und ließ sie nicht los.
»Geben Sie den Esel frei,« rief Ellen, »ich will nicht
weiter, sondern hier auf meine Begleiter warten.«
Doch der Offizier schien bei dem Anerbieten, Ellen zu
helfen, etwas anderes im Sinne gehabt zu haben.
»Habe ich das Vergnügen, Miß Ellen Petersen vor mir
zu sehen?« fragte er in sehr höflichem Tone.
»Ich bin es,« entgegnete Ellen, »aber jetzt lassen Sie
mein Tier los! Ich sage Ihnen, daß ich hierbleiben will.«
»Sie sind die Kapitänin der ›Vesta‹?«
»Ja. Warum müssen Sie dies alles so genau wissen? Zum
letzten Mal, mein Herr, lassen Sie die Zügel los!«
Jetzt blieb der Offizier stehen und gab das Tier frei, aber
es drängten sich – Ellen konnte dies nicht verstehen,
denn es war doch kein Grund zu einem Auflauf vorhanden – eine große Anzahl von Arabern um sie, sodaß sie
gar nicht daran denken konnte, ihren Esel umzulenken.
»Dann bedaure ich, Ihnen Unannehmlichkeiten bereiten zu müssen,« fuhr der Offizier immer noch in höflichem Tone fort. »Ich bin von der Regierung beauftragt, Sie zu verhaften.«
»Verhaften? Mich?«
Ellen fing an zu lachen.
»Ich bediente mich allerdings eines unpassenden
Ausdrucks,« sagte der Offizier schnell, »Sie sollen nur
verhört werden.«
»Aber, ich bitte Sie, worüber denn?«
»Auf Ihren Befehl ist ein Schiff, welches gefangene
Mädchen an Bord hatte, angehalten worden, und Sie
haben dieselben mit Hilfe jener Damen Ihrer Begleitung
befreit. Ist das nicht so?«
»Gewiß verhält sich das so. Im übrigen bin ich im Hotel
du Nil zu sprechen und nicht auf der Straße. Platz da!«
rief sie jetzt mit ärgerlicher Stimme und versuchte, sich
durch das Gewühl zu drängen.
Einen Moment verlor der Offizier die Fassung. Er hatte
wahrscheinlich geglaubt, das Mädchen würde äußerst
erschrocken oder doch erstaunt über den Haftbefehl
sein und ihm niedergeschlagen folgen; dagegen lachte
Ellen ihn aber aus und trat auf, als hätte sie hier zu
befehlen.
Dann aber, als es ihr fast gelungen war, sich Raum
zu schaffen, griff er wieder in die Zügel und sagte in
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herrischem Tone:
»Versuchen Sie keinen Widerstand, Miß Petersen. Ich
habe den Befehl erhalten, Sie sofort, wenn ich Sie zu
sehen bekomme, nach der Präfektur zu führen, und
dies ist für mich als Offizier unwiderruflich.
»Glauben Sie mir,« fuhr er in treuherzigem Tone fort,
»es fällt mir dieser unangenehme Auftrag furchtbar
schwer, ich würde lieber sonst etwas thun, aber ich bin
gezwungen, falls Sie mir nicht gutwillig folgen wollen,
Gewalt anzuwenden. Ich wäre natürlich außer mir,
wenn ich jene Soldaten dort zu Hilfe rufen müßte, um
Sie nach dem Polizeigebäude zu bringen.«
Ellen blickte sich um. Sie sah, daß nicht alle der
Zuschauer Araber mit Turbanen waren, sondern, daß
die ihr zunächst Stehenden die Uniform der egyptischcn Soldaten trugen. Sie schaute zurück, sie glaubte,
auf der anderen Seite Lord Hastings‘ hohe Gestalt wahrzunehmen und winkte mit der Hand, aber in diesem
Augenblicke kamen die ersten Sektionen des Regiments
mit fl iegenden Fahnen vorbeimarschiert, die Musik
setzte ein, und jede Verständigung war unmöglich
gemacht.
»So warten Sie wenigstens, bis ich meine Kameradinnen
noch einmal gesprochen habe.«
»Das geht nicht, Miß Petersen. Ich bitte Sie, zwingen
Sie mich nicht zum Aeußersten. Außerdem dauert es
ja nur zehn Minuten, Sie brauchen nur ein Protokoll
zu unterschreiben, daß auf Ihr Anstiften jene rühmliche That geschah, und ich werde Sie sicher hierher oder
auch gleich auf die andere Seite bringen; es dauert doch
noch einige Zeit, ehe dns Regiment vorbeimarschiert
ist, und einen anderen Weg, um hinüberzukommen,
giebt es nicht.«
»Meinen Sie?«
»Wahrhaftig, auf mein Ehrenwort!«
»So führen Sie mich, aber möglichst schnell!«
Ellen war sehr ärgerlich, sie wußte nicht, ob über sich,
weil sie trotz des Mahnrufes Harrlingtons über die
Straße geritten war, oder über ihre Gefährten, weil
diese ihr nicht gefolgt waren. Doch sah sie jetzt keine
Möglichkeit, der Aufforderung des Offiziers auszuweichen, denn nirgends konnte sie einen Europäer sehen;
alle waren Araber oder Türken, welche natürlich den
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egyptischen Offizier unterstützen würden.
Dieser selbst, ein französisch sprechender Araber,
machte keinen ungünstigen Eindruck auf sie, und
so beschloß sie denn, dem Willen desselben Folge zu
leisten. Das Verhör sollte ja nur einige Minuten währen.
Sofort bestieg, der Mann einen bereitgehaltenen Esel,
die Menge teilte sich, und beide ritten davon. Ellen
merkte wohl, daß etwa acht Soldaten ihnen folgten,
aber sie that, als sähe sie das nicht. Dieselben gehörten zu dem Offizier und mußten natürlich mit diesem
zugleich auf der Polizei eintreffen, um sich zu melden.
Nach einigen Minuten deutete ihr Begleiter auf den
Thorweg eines großen, stattlichen Gebäudes und sagte:
»Wir reiten durch diesen Durchgang, und gleich sind
wir da.«
In der Mitte des Hofes hielt er, stieg ab und zeigte auf
eine emporführende Treppe.
»Wir sind am Ziele! Bitte, steigen Sie ab!«
»Das ist das Polizeigebäude?« fragte Ellen überrascht
und zweifelnd. »Wohin bringen Sie mich?«
»Hier befindet sich das Bureau des Beamten, bei welchem
Sie das Protokoll unterschreiben müssen,« beschwichtigte sie der Offizier. »Nur eine halbe Minute; dann ist
alles geschehen, und ich bringe Sie wieder zurück. Ihr
Esel bleibt einstweilen unter der Obhut eines Soldaten.«
Ellen war vollkommen beruhigt; sie folgte dem Offizier
in die erste Etage.
Das Haus war nach europäischem Stile gebaut; auf
jedem Flur befanden sich zwei Thüren, und an einer
derselben klingelte der Offizier.
Ein Mädchen, vielleicht eine Italienerin oder Griechin,
öffnete und ließ beide eintreten.
»Bitte, bemühen Sie sich einstweilen hier hinein,« sagte
der Offizier, »sofort wird der Polizeibeamte kommen.«
Ellen trat ein, sprang aber in demselben Moment hastig
wieder zurück und griff nach der Klinke, der schnell
hinter ihr sich schließenden Thür – sie hatte vernommen, wie leise von außen ein Riegel vorgeschoben
wurde. Aber, so plötzlich sie auch gehandelt hatte, es
war zu spät, die Thür war geschlossen, alles Rütteln
SPRACHRAUM
half nichts.
Das Mädchen griff sich an die Stirn.
»In die Falle gegangen!« murmelte es. »O, du schlaue
Ellen!«
Ihre nächste Bewegung war, in die Tasche zu greifen,
doch plötzlich überzog sich ihr Gesicht mit fahler
Blässe. Wie sie auch suchte und suchte, erst in der
rechten, dann in der linken, alles war darin, die Börse,
ein Ledertäschchen, Schlüssel, ein Messerchen; aber der
geladene Revolver war verschwunden. Er mußte ihr,
während sie von den Arabern umdrängt wurde, entwendet worden sein, natürlich mit dem Einverständnisse
des Offiziers, der sie hierhergelockt hatte.
Ja, es blieb ihr kein Zweifel mehr, alles war ein wohlüberlegter Plan; sie sollte von den übrigen Vestalinnen
getrennt und hierhergeführt werden. Sie wußte wohl,
von wem sie bedroht wurde. Jene von dem Banditen in
Konstantinopel verlorene Photographie, deren Besitzer
sie kannte, hatte es ihr verraten.
Aber, was hatte man mit ihr vor, was sollte ihr ferneres
Schicksal sein? Tod oder ewige Gefangenschaft?
Doch Ellen war nicht das Weib, welches beim ersten
Schicksalsschlage gebrochen niedersank, sie hatte
schon oft dem Tode ins Auge gesehen, ohne mit den
Wimpern zu zucken. Aber hier hatte sie gegen schurkische Heimtücke zu kämpfen, und dieser, das fühlte
sie deutlich, war sie nicht gewachsen.
Einen Trost besaß sie. Die Vestalinnen, ihre
Freundinnen, Johanna, Lord Hastings, alle diese verwegenen, englischen Herren würden nicht eher ruhen,
als bis sie die Vermißte wiedergefunden hatten, sei es tot
oder lebendig. Spurlos verschwinden konnte sie nicht.
Sie fühlte den scharf geschliffenen Dolch noch auf dem
Busen und steckte ihn in die Tasche. Diese Waffe sollte
ihr nicht gestohlen werden.
Ellen sah sich im Zimmer um.
Es war elegant mit Tisch, Diwan und gepolsterten
Stühlen möbliert; auffallend war nur, daß das Fenster
dicht unter der Decke lag und vergittert war.
Sie setzte einen Stuhl auf den Tisch, schwang sich
hinauf und spähte hinaus.
Richtig, ein vollständiges Gefängnis! Innen war das
Fenster vergittert, und außen zeigte es ein Drahtgeflecht,
durch welches man nicht einmal ein Zettelchen hätte
123
werfen können. Dies wäre übrigens ganz unnütz
gewesen, denn unten lag ein völlig öder Hof, auf dem
kein Mensch zu sehen war.
Was nun beginnen? Sollte sie dem ersten, der in böser
Absicht das Zimmer betrat, den Dolch ins Herz stoßen?
Auch das hätte nichts genutzt.
Durch Schlauheit war sie überlistet worden, durch
Schlauheit mußte sie sich wieder befreien. Gewalt half
hier nichts, ebensowenig Schreien und Pochen.
Sie untersuchte aufmerksam den Raum. Sie lüftete den
Teppich, aber die Diele darunter war völlig glatt. Sie
verschob die Bilder an der Wand, es war keine verborgene Thür oder etwas Aehnliches zu entdecken.
Aber da, als sie den Diwan leise, vorsichtig, um ja kein
Geräusch zu machen und so ihre Thätigkeit zu verraten, beiseite rückte, entdeckte sie unten in der Wand
ein Loch, eben groß genug, daß sie ihre schmale Hand
Wasser-Prawda | Juni 2014
124
SPRACHRAUM
hineinstecken konnte. Offenbar war es ein Rohr; wahrscheinlich diente es zur Ventilation. Ellen kümmerte
sich nicht weiter darum.
Sie setzte sich etwas niedergeschlagen auf den Diwan
und überlegte. Was mochte man nur mit ihr vorhaben? Verschwinden wollte ihr Feind sie lassen, aber auf
welche Weise? Sollte es verhungern? Nein, die Thür war
kein so großes Hindernis für sie, einem derben Anlauf
konnte es doch nicht widerstehen.
Plötzlich sprang Ellen auf und sog aufmerksam die Luft
ein.
Was war denn das? Roch es nicht auf einmal merkwürdig süßlich im Zimmer? Wieder untersuchte sie. Heiliger
Gott, sie kannte dieses Aroma; es war Chloroform.
Die Röhre! Schnell den Diwan wieder von der Wand
gerückt, das Taschentuch zusammengeballt und hineingestopft, tief, so weit, wie es die Dicke des Armes zuläßt!
Dann noch für den Fall, daß das Tuch nicht völlig
schließt, einen breiten Saum vom weißen Unterkleid
abgerissen und nachgestopft, immer so weit nach hinten
wie möglich.
Aufgeregt schritt Ellen im Zimmer auf und ab.
Also das war es! Sie sollte durch Chloroform betäubt
und dann wahrscheinlich forttransportiert werden.
Hätte sie getötet werden sollen, so würde man ein
anderes, giftiges Mittel angewendet haben! Also der Tod
war ihr noch nicht beschieden! Aber wie lange würde
es dauern, und ihre Entführer merkten die Vereitelung
ihres Planes. Sicher wußten sie noch ein anderes Mittel,
um ihr Opfer stillschweigend zu beseitigen. Sie hatte
nur einen Aufschub erzielt. Plötzlich blieb sie stehen
und sah nachdenklich vor sich hin. Ja, das war das
einzige Mittel, eine Flucht möglich zu machen.
Zum dritten Male rückte Ellen das Polstergestell von
der Wand ab, noch vorsichtiger als zuerst, drehte einen
Stuhl um und drückte mit dessen Bein die Tücher noch
tiefer und fester in das Rohr hinein als zuvor. Sie überzeugte sich, daß nichts von ihnen zu sehen war, und
daß auch kein Chloroform mehr eindrang, dann rückte
sie alles wieder an Ort und Stelle. Darauf legte sie sich
nachlässig auf den Diwan, nachdem sie zuvor den Dolch
wieder im Busen hatte verschwinden lassen, gähnte
Wasser-Prawda | Juni 2014
recht laut und schloß die Augen.
»Aber um Gottes willen nicht einschlafen,« sagte sie
sich immer und immer wieder, »sonst bin ich verloren.«
Es war noch nicht genug Chloroform ins Zimmer
gedrungen, um die starken Nerven des Mädchens
zu erschüttern. Zwar mußte sie mehrmals ihre ganze
Energie anwenden, der Müdigkeit nicht zu unterliegen,
aber der Gedanke, welche furchtbaren Folgen dies für
sie haben könnte, vermochte doch immer wieder, sie
wachzuhalten. So harrte sie der kommenden Dinge.
Ellen wußte nicht, wie viele Stunden sie bereits in dieser
Lage zugebracht hatte, als auf dem Korridor ein leises
Knacken, nur ein einziges Mal und fast unhörbar,
ertönte. Gleich darauf war es Ellen, als ob an der Thür
ein Geräusch entstände, etwa so, wie wenn ein hölzernes Brettchen zurückgeschoben würde.
Die Gefangene blinzelte mit keinem Auge.
Nach einigen Minuten erscholl draußen ein schwerer
Männerschritt, der vor der Thür innehielt, es wurde an
der Klinke gerüttelt, und eine tiefe Stimme rief:
»Ich glaube gar, das Fräulein ist eingeschlossen worden!
Miß Petersen, sind Sie noch darin?«
Keine Autwort. Jetzt hörte man vor der Thür lauten
Spektakel, Entschuldigungen erklangen, dazwischen
Flüche und Verwünschungen, bis endlich ein Riegel
zurückgeschoben wurde, und mehrere Personen ins
Zimmer drangen.
»Entschuldigen Sie, Miß Petersen, daß Ihnen dies
passieren mußte – eine Vergeßlichkeit,« rief die tiefe
Stimme fast überlaut wieder.
»Ach, Sie schlafen?« fuhr sie in fragendem Tone
fort, aber so, als gälte es, ein Regiment Soldaten zu
kommandieren.
Ellen wurde am Arm gefaßt und gerüttelt, aber sie verstellte sich weiter.
»Sie ist betäubt, es ist gelungen!« flüsterte eine andere
Stimme.
»Habt Ihr auch nicht zu viel Chloroform einströmen
lassen, daß sie nicht etwa stirbt?« sagte die tiefe Stimme,
aber jetzt ganz leise.
»Wie soll ich wohl bei meiner langjährigen Praxis,
hihihi,« lachte ein anderer. »Seht doch nur, wie ruhig
sich ihre Brust hebt und senkt. Und außerdem ertrüge
die wohl noch eine ganze Portion mehr als andere. Sie
SPRACHRAUM
125
ausgezeichnet gespielt.«
»Nicht wahr? Er ist überhaupt ein brauchbarer Mensch
und weiß alle Kniffe. Er ist so eine Art verkommener
Student.«
Wieder ertönten Schritte auf dem Korridor, mehrere
Personen kamen ins Zimmer, und Ellen hörte, wie ein
Gegenstand auf den Boden gesetzt wurde, vermutlich
die Bahre.
Ein Grausen erfaßte das junge Mädchen, als es jetzt
von harten Fäusten angefaßt, emporgehoben und auf
die Trage gelegt wurde, aber mit keinem Muskel verriet
es, daß es bei vollem Bewußtsein war; den aufgehobenen Arm ließ es kraftlos wie eine Schlafende oder Tote
wieder fallen.
Ellen hörte noch, wie ein Vorhang am Kopfende der
Trage zugezogen wurde, dann hoben die Männer dieselbe auf und schritten die Treppe hinunter auf die
Straße.
»Nur schnell, meine Burschen, daß sie nicht eher aufwacht, als bis wir die Stadt hinter uns haben. In der
ist ein kräftiges Mädel.«
Wüste mag sie schreien, wenn sie Lust hat, dort will
»Das ist es eben, darum schnell, daß wir sie fortbrin- ich schon mit ihr fertig werden,« sagte der Führer der
gen, ehe sie erwacht und Lärm schlägt.«
Leute, ein Mann mit eisgrauem Haar und scharfer
»Ihr kleidet sie aber doch erst um?«
Habichtsnase, der bekannte Seewolf. Er gab die einzu»Nein, nichts! So wie sie ist, wird sie fortgeschaff t. schlagende Richtung an und schritt, manchmal argSie möchte zimperlich in derartigen delikaten wöhnisch um sich spähend, eilig voran.
Angelegenheiten sein. Auch könnte sie dabei aufwachen, und die angebrochene Dunkelheit ist unserem »So, jetzt hier rechts ab! Bald sind wir draußen in der
Vorhaben günstig.«
Wüste. Ein Glück, daß die Nacht nicht fern ist.«
»Wie bringt Ihr sie fort?«
Sie bogen in eine breite Straße ein, welche in die dicht
»Ein famoser Plan, die neueste Idee vom Meister. Wir an Kairo grenzende Wüste führt.
arbeiten fast nur noch in Uniform, und belästigt uns »Kapitän, ich muß absetzen und wechseln, die Hand,
jemand in unserem Geschäft, so arretieren wir ihn auch an der ich die Wunde habe, schmerzt mich zu sehr.«
noch und lassen ihn nur gegen ein gehöriges Trinkgeld Der Seewolf stieß einen Fluch aus.
laufen. Hahaha!«
»Halt aus! Noch fünf Minuten bloß.«
»Also die Soldaten sollen sie tragen, Seewolf?«
»Ich kann nicht mehr, ich lasse die Trage fallen.«
»Ja, auf einer Bahre, als trügen sie einen Verunglückten. »Zum Teufel, so setzt hin und wechselt!« rief der Seewolf
Deswegen nehmen wir auch den Weg nach dem unwillig. »Ihr seid doch nur Schwächlinge!«
Krankenhaus, biegen aber kurz vor diesem rechts ab Die Träger bückten sich und stellten die Bahre nieder.
in die Wüste. Kamele stehen bereit, uns nach Port Said Da schnellte von dieser plötzlich eine Gestalt hoch, in
zu bringen, wo der ›Friedensengel‹ liegt. Alles ist schon der erhobenen Hand einen blitzenden Dolch, bereit,
vorbereitet, diesmal glückt‘s mir.«
den ersten, der ihr nahte, aus dem Wege zu räumen.
»Das gebe der Teufel und seine Großmutter, ich Mit einem furchtbaren Fluche stürzte der Seewolf
gönn‘s Euch. Der Offi zier hat seine Rolle wirklich hinzu, um die Fliehende zu halten, fuhr aber mit einem
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SPRACHRAUM
Schmerzensschrei zurück; nur der Dunkelheit hatte
er es zu verdanken, daß statt des Herzens nur seine
Schulter von Ellens Dolch getroffen worden war.
Die vier Träger wichen scheu vor der zum tödlichen
Stoße erhobenen Waffe zurück, und das Mädchen jagte
zwischen ihnen durch, die Straße zurück. Aber nach
wenigen Schritten ereilte sie ein neues Unglück, sie verwickelte sich in ihr langes Kleid und stürzte. Ehe sie
sich wieder aufraffen konnte, hatte sich schon ein Mann
über sie geworfen.
»Mord!« gellte es noch aus Ellens Munde, dann preßte
eine Faust ihr den Hals zusammen.
»Was geht hier vor?« fragte da eine Baßstimme, und
plötzlich stand eine hohe Gestalt mitten unter den
Leuten.
»Eine Wahnsinnige, die wir nach dem Hospital bringen
wollen und die uns entsprungen ist,« rief der Seewolf,
der, den Messerstich nicht weiter beachtend, sich über
das Mädchen geworfen hatte.
»Kümmern Sie sich nicht um Angelegenheiten der
Polizei,« fügte er in grobem Tone hinzu.
»Ich kenne dich, du maskierter Seeräuber!« donnerte
jedoch der Fremde, faßte ihn, riß ihn hoch und schleuderte ihn einige Meter weit weg. Dann beugte er sich
zu Ellen, um ihr aufzuhelfen, ward aber dabei von
zweien der verkleideten Soldaten von hinten um den
Leib gefaßt. Doch blitzschnell wandte er sich um, und
zwar mit solcher Kraft, daß die beiden ihn nicht halten
konnten, packte mit jeder Hand einen bei der Brust
und warf sie auf den noch vom Sturze halbbetäubten
Räuber.
Ellen konnte sich unterdessen erheben.
Noch eine andere Gestalt hatte sich gleich einem
Schatten von der Häuserwand abgelöst, eine schlanke,
schmächtige Figur, und war auf die beiden letzten
Träger zugesprungen. Der eine erhielt einen Fußtritt in
den Leib, daß er ächzend zu Boden sank, den anderen,
der ihm schon einen Revolver entgegenhielt, warf er mit
einem Faustschlage zu Boden. Im nächsten Moment
kniete die schlanke Gestalt auf dem Besiegten und bog
Wasser-Prawda | Juni 2014
sich über diesen.
»Dich brauche ich nicht,« rief er und sprang wieder auf.
»Wo ist der See– der Seehund?«
»Dort laufen sie eben um die Ecke,« sagte der Große
mit dem Bart.
»Na meinetwegen, Kapitän, ich führe die Mannschaft
zurück. Gute Nacht, Miß Petersen! Schöner Abend
heute, nicht?«
Nach diesen Worten verschwand er in der Dunkelheit.
Noch immer hielt der Herr die vor Aufregung zitternde
Ellen umfaßt. Die letzte Szene war selbst für das kräftige Mädchen zu viel gewesen.
»Ich danke Ihnen, Herr Hoffmann, die Schwäche wird
gleich vorübergehen,« sagte sie jetzt und machte sich
sanft aus den Armen des deutschen Ingenieurs, denn
dieser war es, frei.
Er wartete, bis sie sich so weit erholt hatte, daß sie neben
ihm herschreiten konnte; aber den ihr angebotenen Arm
schlug sie aus.
»Wo sind die Damen, die Vestalinnen? Wo Lord
Harrlington und seine Freunde?« begann sie nach einer
kleinen Weile mit leiser Stimme.
»Sie sind im Hotel du Nord und warten auf Ihre
Rückkunft.«
»Wie?« rief Ellen halb erstaunt, halb unwillig. »Sie warten
sorglos auf mich und machen keine Anstrengungen,
mich wiederzufinden? Das kränkt mich sehr.«
»So hätten Sie lieber gesehen, wenn ein anderer, als ich,
Sie aus den Händen dieser Elenden befreit hätte?«
»Verzeihen Sie mir, Herr Hoff mann, wenn ich die
Wahrheit bekenne. Ja, ich hoff te und hoff te immer,
daß einer meiner Freunde meine Spur wiederfinden
würde, und als ich Sie vorhin zuerst erblickte, glaubte
ich, Lord Harrlington zu sehen.«
»Mein liebes Fräulein,« sagte der Ingenieur in väterlichem Tone zu Ellen, welche sehr niedergeschlagen
schien, »wenn Sie glauben, daß Ihre Freundinnen und
die englischen Herren über Ihr Schicksal nicht sehr
besorgt gewesen sind, so thun Sie ihnen sehr, sehr
unrecht. Nicht ich bin es, dem Sie Ihre Befreiung zu
verdanken haben, sondern Lord Harrlington. Ich bin
nur sein Werkzeug gewesen.«
»Das verstehe ich nicht. Wenn er wußte, auf welchem
Wege ich fortgetragen wurde, warum sprang er nicht
SPRACHRAUM
selbst dazwischen, mich zu retten, sondern schickte
einen anderen?«
Ueber die männlich schönen Züge des Ingenieurs flog
ein leichtes Lächeln, welches Ellen in der herrschenden
Finsternis nicht bemerkte; dann sagte er, wieder ernst:
»Er durfte nicht. Jeder seiner Schritte, jede Handlung
der Damen und Herren wurden von Helfershelfern
der Räuber beobachtet; um also Argwohn zu vermeiden, mußten jene sich den Anschein geben, als ob sie
im Hotel Ihre Rückkunft abwarteten, denn vor dem
Polizeigebäude war ihnen mitgeteilt worden, daß Sie
wegen Vernehmung in Sachen jener Mädchenbefreiung
vom Polizeidirektor für einige Stunden in Anspruch
genommen würden.«
Dies war allerdings nicht wahr. Der an der Thür stehende
Soldat hatte bekanntlich den nach dem Polizeidirektor
Fragenden eine ganz andere Antwort gegeben.
»Dennoch wußte Sie Lord Harrlington in Gefahr,« fuhr
der Erzähler fort, »und wie ich schon sagte, haben Sie es
nur ihm zu danken, daß die Absicht Ihrer Entführer, Sie
nach Port Said zu schleppen, vereitelt wurde. Sie sehen,
der Lord ist ziemlich gut in die Pläne Ihrer Feinde eingeweiht; deshalb bitte ich Sie innig, liebe Miß Petersen,
richten Sie sich mehr nach seinen Ratschlägen. Wären
Sie hübsch an seiner Seite geblieben und nicht eigensinnig weitergeritten, so hätten Sie sich viele Angst und
großen Kummer ersparen können.«
Ellen hatte bei diesen freundlichen, aber ernsten Worten
ihren ganzen Stolz verloren. Beschämt senkte sie das
Köpfchen; es war ihr, als ob ein liebevoller Vater sie
strafe und tadle.
»Uebrigens schätzen Sie meine That ja nicht zu hoch;
hinter dem Hause dort stand die Hälfte meiner
Mannschaft, bis an die Zähne bewaffnet. Ein Pfiff von
mir hätte genügt, und die Leute wären zur Hilfe herbeigeeilt. Jener Matrose, welcher allein vortrat, hat sie
bereits wieder in ihr Quartier geführt.«
Dieser deutsche Ingenieur schien auch jetzt wieder nur
darauf bedacht zu sein, seine Handlungsweise in den
Augen anderer möglichst unbedeutend erscheinen zu
lassen.
»Was machen meine Mädchen in Alexandrien? Sind sie
auch sicher, wenn Sie nicht an Bord Ihres Schiffes sind,
127
Herr Hoffmann?« fragte Ellen.
»Beruhigen Sie sich über dieselben! Gedenken Sie
meines Versprechens, daß ihnen kein Haar gekrümmt
werden soll. Meine Leute sind so zuverlässig, daß ich
ihnen unbedenklich das Liebste, was ich auf der Welt
besitze, anvertrauen würde. Doch biegen wir hier in die
Muski ein; gleich werden wir im Hotel sein.«
Das war ein Jubel, als Ellen wieder in der Mitte ihrer
Freundinnen erschien. Aber die an sie gerichteten
Fragen beantwortete sie nicht, sie zog sich, nachdem sie
erklärt hatte, morgen das Hotel nicht verlassen, dafür
aber übermorgen sofort mit Sulima nach Fayum aufbrechen zu wollen, in ihr Zimmer zurück, um nach
diesem aufregenden Tage der Ruhe zu pflegen.
Unterdes hatte Hoffmann mit Harrlington eine lange
Unterredung, und obgleich der letztere anfangs etwas
ungehalten über eine Forderung des ersteren schien,
gelang es doch dem Ingenieur, ihn von der Richtigkeit
des Planes, nach dem die Errettung Ellens vor sich
gegangen war, zu überzeugen. Auch der Lord gab zu,
daß eine kleine Strafe dem eigensinnigen Mädchen
nichts schaden könnte, doch, meinte er, diese sei zu
hart gewesen.
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SPRACHRAUM
Wasser-Prawda | Juni 2014
ENGLISH
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Johnny Winter at the Cahors Blues Festival on July 14th 2014 (Foto: MJM Blues)
The ghosts were waiting in the wings
JOHNNY WINTERS LAST CONCERT. BY IAIN PATIENCE
Johnny Winter was simply one of those guys who
was always fixin‘ to die. A legendary figure, with
a legendary appetite for everything that is dangerous, he lived life to the full. Sadly, his last gig, at
the wonderfully intimate Cahors Blues Festival in
France saw a less than wild, stirring performance.
The ghosts were waiting in the wings.
Winter squinted, in his usual way, at the audience,
a rapturous full-house turn out that worshipped the
man and his music. Running through a back catalogue of challenging, raw emotion and stylistic, staccato guitar, he wooed the crowd, pulling tricks from
his amazing, famous hat with aplomb and clearly,
and sadly at times, difficulty.
Winter was clearly struggling with the high humid
temperatures - 34 Celsius - and the demands of an
adulating, admiring audience. His coordination
was at times shaky - but it has often been that way,
part of his special magic. His voice was also rocky
and stretched. But again, what‘s new? The guy was
seventy. Nevertheless, he managed well over an hour
under flashing strobes and baking, airless heat on
his trembling feet. People were forgiving, happy to
see the guy in action, to taste his old personal mojo
Wasser-Prawda | Juli 2014
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ENGLISH
magic.
Despite his evident pleasure at being onstage, slamming and sliding his guitar like a kid, he always had
the appearance of a guy on the edge - of an abyss, a
musical cliff top, of life itself. He looked tired, clearly
in poor health. The problem for everyone watching
was: what‘s new?
In many ways it‘s easy to say, a throwaway line, he
was on his last legs. Sadly a truism. Blues music is
jam-packed with great lines about death, ‚passing‘ as bluesmen are oft wont to euphemistically say. On
this, Winter‘s final gig, he was certainly ‚Knockin‘ on
Heaven‘s - or more likely. Hell‘s - Door‘.
It‘s perhaps fitting that his last gig was on an enormously important and symbolic day of celebration:
July 14, France‘s national day - Bastille Day. A celebration of French independence, strength, liberation
and freedom. A night when many took everything
to excess, drink, drugs, sex, rock&roll, blues, fanworship, explosive firework displays. Full on festivities. Like July 4 on acid.
I think he‘d have loved the symbolism and significance. Always assuming that he realised what was
going down, of course. After repeated, rapturous
encores, Johnny Winter took it to the limit one last
time.
Wasser-Prawda | Juli 2014
ENGLISH
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Heroes of the Blues: Drink Small
BY BERND KREIKMANN & GAIL WILSON GIARRATANO
We intend to present at irregular intervals those women
and men who are not with us or not well known, but
have made a significant contribution to the blues and
its development and / or continue to do so.
There are outstanding artists which we will present.
Some of them have not gone beyond their topographical boundaries, many have not received the necessary
marketing support, some have become known as <Artist
of the Artists>. That‘s a nice way of saying that they are
excellent musicians the well known people like to visit
regulary for to learn and copy - but they fail to economic success and wide recognition.
We wanted to start the series with the grand Trudy
Lynn, but last minute we have decided – because of
actuel happenings - that the South Carolina legend
Drink Small will be the opener of the series.
That‘s right: DRINK SMALL, in other words - „Trink
Wenig“. That‘s his name. How this has arisen, we will
find out. His nickname „Blues Doctor“ is explained by
the wonderful Gail Wilson Giarratano. She has written
the Drink Small short Bio you will find below.
Elfi, which has maintained a close friendship with Drink
Small will report on shared experiences and add more
photos. Small is playing her club regularly.
Drink Small has led such an interesting and varied life
that his friends have pushed him to write his biography.
Gail Wilson Giarratano has assisted him and wrote the
book.
A 500-piece hard copy edition is planned to be printed.
As usual the question of funding is to be clarified. Some
days ago Gail has started a Kickstarter project. One
can make a donation to participate. As usual with
Kickstarter, there are certain amounts set for the promise
of a return. The details are given in the project description, the risks of Kickstarter projects are known.
Drink Small Biographical Summary:
Drink Small was born in Bishopville, SC, in 1933, and
as a child he learned to play the family’s pump organ
and made his own guitar from strings cut from a tire’s
Wasser-Prawda | Juli 2014
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ENGLISH
inner tube. In high school he joined the
glee club and formed his own gospel group. The teenage
Small divided his time between the high school groups,
playing piano and singing for his Baptist Church Choir,
and playing blues at parties on Friday and Saturday
nights. In 1955 Small joined a gospel group known
as the
Spiritualaires, recording and touring with the group
until 1959. When the group disbanded, Small began
recording and performing blues.
Performing at college shows and fraternity parties,
Small developed his repertoire to satisfy a wide variety
of audience tastes. He performed various styles of blues
and blues-based music and began to develop his skill for
improving songs for each performance occasion.
It was also during this time that Small earned his reputation as the “Blues Doctor.” As folklorist Lesley Williams
describes in her liner notes to Drink Small Does It All,
Small became “a practitioner who would minister to
his audience, the ‘blues patients’ … diagnosing their
particular ailment. Then, selecting from ingredients
that include blues in its many forms--Piedmont, Delta,
Chicago, boogie-woogie--he can concoct just the right
prescription.”
For the last four decades of the twentieth century and
into the twenty-first, Small, toured the United States and
Europe, performing at nightclubs, blues festivals, and
other venues. He has performed three times at the New
Orleans Jazz and Heritage Festival, twice at the King
Biscuit Blues, the Chicago Blues, and the Mississippi
Valley Blues Festivals, and at the Smithsonian Folklife
Festival, the Port
Townsend Washington Acoustic Blues Festival, the
Border Festival in El Paso, Wolftrap Farms, the World’s
Fair in Knoxville, TN, Lincoln Center, Central Park,
and countless community festivals, nightclubs, and
small venues. Small recorded for Ichiban, Mapleshade,
Sharp, and the Charleston-based Erwin Music, performing covers of blues, funk, and soul songs and his original compositions, which often draw on his personal
experiences and his life in South Carolina. In 1986,
Small’s Recording The Blues Doctor was nominated for
a W.C. Handy Award. In 1990 Small was awarded the
South Carolina Folk Heritage Award, which recognized
Wasser-Prawda | Juli 2014
the musician’s important role in preserving Piedmont
Blues, and in 1999 he was inducted into the South
Carolina Hall of Fame. In 2003 he recorded an album
of Piedmont Blues and piano gospel songs, illustrating
both the commonalities between the two genres and
Small’s own musical roots.
Gail Wilson Giarratano
ENGLISH
133
King Size Slim or an All Star Revue?
All Stars are the new stars
LETTER FROM THE UK NO 9. BY DARREN WEALE
This is understandable, but tough on new, original
acts. Not to mention old, original acts! Both kinds of
act may make marvellous new music, but not get the
AUS DEM VEREINIGTEN
audience they deserve. How many generations of fans
have missed seeing the next Rolling Stones, the next
KÖNIGREICH.
Who, the next BB King, because they prefer to go and
What bands are among the most popular to see live? see the same old, same old? Too many. So in the UK,
In the UK, at least, tributes and cover bands. Acts that acts like Albany Down, Andy Twyman, Kingsize Slim,
allow people to go and hear music they grew up with Zoot Money’s Big Roll Band, The Downliners Sect,
played live, often rather well, when the original artists many who have ferocious but older talent, or are bright
might not be touring, might be too expensive to see, new hopes for the Blues, can play to small audiences
or be forever unavailable through having passed away. in small places. Yet the cover groups make more money and get seen by bigger audiences. Isn’t that strange?
WILLKOMMEN ZUM BRIEF
Wasser-Prawda | Juli 2014
134
ENGLISH
From what I hear, the US isn’t much better, so we get
the likes of Moreland & Arbuckle and Michael Katon
showing their brilliance here in the UK, and indeed
Germany.
So what do original acts and musicians do to deal
with this problem? Well one route that looks well travelled now is creating super-groups or All Star bands.
Royal Southern Brotherhood has been described as a
super group, with a son of Greg Allman, a Neville brother, and seasoned musicians like Mike Zito in there.
A super group? Not sure. But some of their music is,
in fact, super. Then there are the All Stars. Not always
comprised of household names, but they can contain
some serious musicians with stunning history to them.
The City Boys Allstars in New York places ‘Blue’ Lou
Marini and Tom ‘Bones’ Malone from the Blues Brothers Band alongside some serious Jazz and Soul power
in Angel Rissoff and Tony Kadleck in a 13-piece line
up. Then there is The John O’Leary/Alan Glen Allstar
Blues Revue in the UK, who have frontmen who have
history in Savoy Brown and The Yardbirds, for example. Recently, Jool’s Holland’s brother Chris has started
The Chris Holland All-Star Band, and again, there are
musicians with real pedigree in his band. Then there is
another new band in the US, The Original Legends of
the Blues, featuring BB King’s bandleader of 34 years
James ‘Boogaloo’ Bolden and fellow BB King band
member, guitarist Charlie Dennis. Serious, serious talent.
Do you know the thing that can be really great about
these new (and old) all star and super-groups? Sure, they play covers in their sets. Yet most of them play their
own, new, original music. Isn’t that both ironic and
wonderful?
SEID GLÜCKLICH UND
ERFREUT EUCH AN EURER
LIVE-MUSIK UND ALLEM
WAS DEUTSCH IST!
Wasser-Prawda | Juli 2014
LINKS
Alistair Cooke - www.bbc.co.uk/programmes/
b00f6hbp
Original Legends of the Blues - http://originallegendsoftheblues.com/
John O’Leary/Alan Glen Allstar Blues Revue http://www.thebarcodes.co.uk/Pages-Barcodes/
AllstarsRevue.html
City Boys Allstars - http://cityboysmike.com/
Royal Southern Brotherhood - http://www.royalsouthernbrotherhood.com/
Andy Twyman - http://andytwyman.com/
Kingsize Slim - http://www.kingsizeslim.com
Albany Down - http://www.albanydown.com/
Michael Katon - http://www.katon.com
Moreland & Arbuckle - http://www.morelandarbuckle.com/
Laura Holland Band - http://www.laurahollandband.
co.uk/
ENGLISH
Howard Glazer: Blues,
Views & News from
Detroit #2
HELLO FROM DETROIT! THIS
MONTH I WOULD LIKE TO
INTRODUCE YOU TO A DETROIT
TREASURE, GUITARIST EMANUEL
YOUNG. MR. EMANUEL YOUNG IS 75
YEARS OLD AND GOING STRONG!
HE IS SINGING AND PLAYING
GREAT! I AM VERY HONORED
TO HAVE SPENT SO MUCH TIME
WORKING WITH HIM, PLAYING
GIGS AND ON HIS CD “LIVE IN
DETROIT” EMANUEL YOUNG W/
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HOWARD GLAZER & THE EL 34S.
When I first met Emanuel in 1999 he was playing every
Sunday at AL’s New Olympia Bar, which was across the
street from where Detroit’s old Olympia Stadium used
to be (aside from sports events, many great musical acts
performed there as well – including The Beatles). We
immediately hit it off and always enjoy playing together,
we often “steal” guitar licks from each other. He is like
an encyclopedia of guitar licks, and I am always flattered when I hear him playing one of mine. Emanuel
& I have a unique working relationship, we are always
joking around I call him up and say “hey Mule” and he
responds with “what’s going down Dracula?” and the
conversation goes from there….. We have done many
shows together….including going to the UK in 2008,
in 2012 we played every Friday at Detroit’s Greektown
Casino and in 2013 we performed at Don Was’s Detroit
All Star Review at the Concert of Colors as well as many
Wasser-Prawda | Juli 2014
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bar gigs and festivals in and around Detroit. We have
also performed live on the radio several times together.
Emanuel picked up the guitar in the late 1950’s and has
never put it down! Not long after he started playing he
joined up with John Lee Hooker. He played with Hooker
for almost 2 years in 1959 & 60. He has some great
stories, one of my favorites was the time they were on
break at a gig and John Lee asked him “ to take my car
and go and pick up my girlfriend”…little did Emanuel
know that Hooker was married…when he arrived back
at the gig with Hooker’s “girlfriend” Hooker’s wife
Maudy had showed up (You may be familiar with John
Lee Hooker‘s song „Maudy“) and she was so mad she
pulled out her gun..she chased Emanuel, Hooker & his to be touring as the “Detroit Legends of the Blues”.
girl friend down an alley shooting at them…luckily she
wasn’t a good shot!! Back in those days the musicians “Live In Detroit” by Emanuel Young with Howard
pay was about $11 a night and a beer was only 30 cents!! Glazer & the EL 34s is still available (in limited amounts,
it is out of print so get them while you can!) he does not
Emanuel played with many of the legends including: have a website but can be contacted at eyoungblues @
Jimmy Reed, Albert King among others. Holding down aol.com.
what has to be one of the longest runs in Detroit music
history Emanuel hosted the blues night every Friday With his old school blues rhythms and a fifties sense
and Saturday at Cooley’s Lounge on Detroit’s far east of melody, Emanuel shines, for any blues or music afiside from 1978 until it closed in 2005. When the blues cionado this man’s music must be heard, he captures
greats came to Detroit, they would come there and listen the time when blues was developing into what would
and jam with him, Albert King, Howlin’ Wolf….and be early rock and roll, which has all but been forgotmany others.
ten today!
In 2007 I performed with Emanuel at The Halligan Bar
in Detroit. The Halligan (named for the crow-bar that
firefighters use to pry things open when fighting fires)
was a hangout for Detroit Police officers & Fire fighters. I brought out my recording equipment and made
a live recording. This turned into “Live In Detroit” by
Emanuel Young with Howard Glazer & the EL 34s
(my band name at the time). The CD was released on
Random Chance Records in NYC and received rave
reviews and airplay around the world. It charted at # 10
on the National Living Blues Charts.
We hope to release a new Emanuel Young CD soon and
look forward to coming back to Europe as well, look for
Emanuel Young, Howard Glazer and Harmonica Shah
Wasser-Prawda | Juli 2014
I hope upon reading this you’ll take the time to search
out Emanuel Young both on youtube and order his CD.
There are very few old school blues musicians left in
Detroit and we are very lucky Emanuel Young is one of
them. Please enjoy the following video “Emanuel Young
& Howard Glazer” from Don Was’s 2013 Detroit All
Star Revue.
ENGLISH
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Aaron Burton mit Robert Jr. Lockwood in Helena Arkansas (Foto: Mari Vega)
If that’s religion, I swear I don’t want none
BY GARY BURNETTE
Aaron Burton’s 2013 release, The Return of Peetie number of biblical themes or interpretations of the Bible.
Whitestraw (not to be confused with early bluesman
Peetie Wheatstraw), is a terrific album of country blues,
“The world was created in only seven days? And
driven by Burton’s excellent slide and acoustic chops,
Abraham’s willing to sacrifice his son?” he sings.
and his assured, well-phrased vocals. With fourteen
Well then, “if that’s religion, I swear I don’t want
original tracks, the album is a delight, with a range
none.”
of traditional blues subjects tackled, from unfaithful
We perhaps can sympathize with Burton’s difficulties
lovers to travelling and drifting to drinking.
here, as with the disagreement he has in his song that
There’s one particularly interesting song in the collec- events like 9-11 point to the “last days.” There are, to be
tion – If That’s Religion, where Burton takes issue with a sure, difficulties in readings of the Bible which assume
this ancient text should perfectly align with 21st century
Wasser-Prawda | Juli 2014
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science – and if it doesn’t, that we should abandon our
science. Or with readings that assume that it must have
something to say about events in our own lifetimes.
The Bible was never meant to tell us about science or
about specific events in our own history. And to try and
shoehorn it into that role is both unhelpful and distracting from properly understanding its message.
Which is one of love and justice. The Bible tells the story
of a world gone wrong, a world full of suffering and
injustice. And the story of God’s plan to make things
right, to redeem and renew his world. And the opportunity for us to join in with this story, to allow God to
make it our own story and then to work for newness and
change and justice in God’s world. All this made possible through the life, death and resurrection of Jesus. But
Burton finds the idea that “Jesus rose from the dead”
too far-fetched to swallow.
A difficult idea, to be sure. Dead men don’t get up. But
however we might interpret the Old Testament stories of
the creation or Abraham and Isaac or the ethnic cleansing of the land by Joshua – everything stands or falls on
the veracity of this one central story of the resurrection.
St. Paul said that if the Messiah wasn’t raised, then there
was no point in having faith, we might as well eat, drink
and be merry. For him, a Jewish scholar and zealot, who
hated the ideas of the new Christian group, solid evidence was needed – which he felt he had in spades from
the witness of numerous people who had seen the risen
Jesus, and in his own experience on the Damascus road.
If religion’s all about trying to make difficult Old
Testament stories somehow fit a modern scientific world
view, then Aaron Burton’s right – “if that’s religion, I
swear I don’t want none.” But if Jesus really is risen from
the dead, then the world is in the process of being transformed and we can share in that process. If that’s religion, then I want some of that.
Wasser-Prawda | Juli 2014
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Reviews
Aaron Burton - The Return of
Pee e Whitestraw
Arron Burton hails from Texas, a
State with a long history of blues
music mastery - Lightnin‘ Hopkins
was certainly no slouch, after all.
This is Burton‘s fifth album to date,
self-produced and promoted, it features fourteen self-penned tracks.
Strong on southern drawl and laidback acoustic guitar picking, this
album is indeed so laid back that
the guitar work at times comes close
to being overlooked - a mistake,
because the picking, though understated, is singularly soulful, sound
and skillful, contributing effortlessly
to a very finely honed sound that
belies its own underlying complexity.
Burton is a guy who is self-taught,
an autodidact with a background
playing the bars and clubs of the
Lone Star State and producing interesting material that touches all
of the usual areas from love and
heartache to death and misery. In
other words a typical blues gamut
of thought and emotion, underpinned by great guitar-work and a fine
rambling, rumbling, drawling voice.
With fourteen tracks to choose
from here, it‘s impossible not find
something that should satisfy a blues
lover‘s taste. This is a guy and a CD
that is real surprise and a true discovery - an artist and material of
genuine quality, well worth seeking
out. Burton is due to record his next
album over the next few months and
I, for one, look forward to hearing
his next offering.
Ian Patience
Barrelhouse Chuck & Kim
Wilson‘s Blues All Stars Dri in‘ From Town To Town
When two old friends get together,
they have much to tell. Or they
record an album. This is what happened with Barrelhouse Chuck and
Kim Wilson.
Both are veterans of the blues.
Barrelhouse Chuck Goering is one of
the outstanding traditional blues pianists and singer. His teachers were,
inter alia, Sunnyland Slim and Little
Walter Montgomery. Kim Wilson
we know as an exception-Harper and
singer from his long collaboration
with the Fabulous Thunderbirds.
Included are the Blues All-Stars consisting of Jeremy Johnson (guitar),
Richard Innes (drums), Larry Taylor
(bass), Billy Flynn (guitar) and Sax
Gordon (Sax). These gentlemen are
many years in the business and each
of them belongs to the tips of their
guild. They can compete individually and as a band with every famous
musician or band I know - so they
are true All-Stars.
For lovers of traditional Chicago
blues a dream team has come true.
I would give much to experience this
band live. They surely have had a lot
of fun during the recording sessions.
As vivid and easily sounds the CD.
Add to this the impeccable quality
recording. Of course there are also
songs to find on the album.
Here we go with Barrelhouse
Chuck‘s <The big Push>. Chuck puts
on the piano and sings. Wilson pulls
all the stops to offer. With songs like
Floyd Jones <Stockyard Blues> and
Sunnyland Slim‘s <She‘s got a thing
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going on> it goes on.
Kim Wilson shines as a singer in
Howlin ‚Wolf ‘s <I‘m leaving you>
(Chuck gets going right, there is a
remarkable guitar solo). There are
yet to discover many other songs. I
like Chuck Berry‘s <Thirty Days>
and Willie Dixon‘s <Three hundred
Pounds of Joy> is not to be despised.
An album like this does not come
every day. It must have been difficult
to get these musicians the same time
in a studio. The producer Steven B.
Dolins is hereby acknowledged.
Hopefully it is more than a dream
that I might see the guys performing on stage one day. (The Sirens
Records SR5021)
Bernd Kreikmann
Bert Deivert - Kid Man Blues
Bert Deivert is a US bluesman living
in Scandinavia, where much of this
very fine twelve-track album was
recorded and produced. Despite
living in Sweden for around forty
years, Deivert remains a true US
acoustic blues picker at heart. And
it shows and shines clearly on this
great CD.
Material ranges from some owncompositions to a raft od excellently
interpreted old standards from the
likes of RL Burnside and Son House
to Sleepy John Estes and Skip James.
For me, one of the finest and most
striking tracks is Deivert‘s take on
that old wonderful blues standard
‚Come Back Baby‘, here done in a
new, refreshing and genuinely interesting way. The title track is also
a minor masterpiece, featuring
Deivert‘s Yank Rachell-inspired resonator mandolin work to full effect.
Throughout this CD, resonators
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feature strongly with Deivert playing
both Guitar and Mandolin with ease
and class. But this is not an album
dominated by slide - it‘s beautifully produced with subtle emotive
playing. Even the vocals are fine,
with Deivert throaty and full of
gutsy groove, clearly enjoying the
whole performance.
Stockholm based, Us-born bluesman
Brian Kramer - another big resonator fan - also plays in support here
and the backing, support vocals are
pitched just right. Deivert‘s take
on Skip James‘s Cypress Grove is
faultless, contributing to make this
album a full five-star beauty.
Iain Patience
Black Tongued Bells - Every
Tongue Has A Tale To Tell
I probably have a penchant for bands
and musicians from Los Angeles.
There are creative artists from all
regions meeting and merging their
original styles. Often they create
something different and new.
Unforgettable for me, the unique
„Imperial Crowns“ and Bluesrockers
of „Rhino Bucket“ playing our clubs
in the last years.
I stumbled literally about the „Black
Tongued Bells“. The group is existing
since 13 years. They are an indie
band that was previously only heard
in the LA area. The Black Tongued
Bells has fought it’s way and now
they want to compete internationally. The band is in favour for that!
The Black Tongued Bells combine
Alabama Muscle Shoals Sound with
Memphis grooves, swamp blues, a
little gospel and calls the whole
„American Swamp“.
Wasser-Prawda | Juli 2014
Anyway, it is an unusual but incredibly earthy, strong and intoxicating
mix of styles - this is all that counts.
The band members come from different areas of the USA. Around
the singer, guitarist and song writer
D. Miner, there are the bassist and
vocalist Anthony Cook and the
drummer Ray Herron (all three
founding members). There are also
other high-class and experienced
musicians. I would be interested,
what Mr. Miner is using to keep
his voice alive (pronounced USP).
Somebody said „his (D.Miner‘s) distinctive baritone sounds as if it‘s been
soaked in whiskey for a century and
then dragged down to endles gravel
road …“
The self-produced CD is the first of
the band. As with many good bands
resources are scarce. The result was
an album that could have been recorded in a Mississippi juke joint.
The music is built on Swamp
rhythms. In addition to guitar,
bass and drums keyboard, percusssion, Harp, Piano, Saxophone and
Trombone provide for a slightly hypnotic sound. The opener <Coming
back for more> is rather funky and
tells of a visit to the doctor. „Long
Way to Go“ a rather slow songh tells
of the long road to the Pearly Gates.
„Gimme That Rise“ is a classic
Swamp Song -, a woman talks of
her unfulfilled life.
In addition to original compositions,
there is a very unique interpretation
of the Merle Travis Land classic
„Sixteen Tons“ which is also present
as a video on youtube - exciting!
The lyrics are not all California light,
they describe life in all its facets.
However, there is also the party
song „Rattle Some Bones“, which is
so vital that he could raise the dead
(as in the lyrics).
I was not let go of the CD. In my collection it is in the (small) corner for
special ones. If you should have difficulties to get a copy, please contact
the editorial office. (Rankoutsider
Records (Outsider 44), 2013)
Bernd Kreikmann
Bridget Kelly Band - Forever in
Blues
Forever In Blues is the second album
by the Bridget Kelly Band. Floridabased, the band has a full, rich sound
with some great guitar playing by
Tim Fik clearly to be heard in the
mix while Kelly‘s voice is strong,
powerful and full of soul.
You sure get your money‘s worth
with this one. Fifteen tracks, all
strong with no dead-weight to be
found here. This is simply a very
good album that grabs the attention from the opening bars and
rips along boldly with panache and
clarity. You‘ll be sad when it reaches
the end but fortunately it can always
be replayed - time and time again.
The Bridget Kelly Band is a finely
balanced ensemble that has a firm
grasp of the music and a maturity
that only comes from years of experience playing the clubs, juke-joints
and bars of the US South. There‘s
a great confidence in the self-written
material and in its soulful delivery.
At times, I was reminded of early perhaps the best - work of Johnny
Winter.
Overall, it would hard to fault
anything about this release. It fair
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romps along from track to track
with fine pacing and emotion.
Highlighting the skill of the four
musicians featured. An album for
those who like their blues to rock
their boat. (Alpha Sun Records)
Iain Patience
guitar and a whole rounded sound
with a strong southern background
feel, which is what you‘d expect from
an Atlanta, Georgia-based outfit. A
band with its feet firmly planted in
the South.
Iain Patience
Delta Moon - Turn Around
When Possible
Emanuel Young, Live in
Detroit
Delta Moon have been around for
some time now, a class act with style,
ability and quality in spades. This is
their latest release, a live recording
done while on the band‘s European
tour of 2013 and mostly recorded
in Germany. It‘s a cracking album
that captures the spirit of their live
performances and is fuelled by the
band‘s stunning, stirring, tingling
use of twin electric slide guitars.
This is an approach that gives them
a distinctive, driving sound ably
rounded out by some really neat Bass
work from Franher Joseph and dropdead perfect drumming by Darren
Stanley.
The ten tracks here are mostly written
by guitarists and band frontmen
Mark Johnson and Tom Gray; they
also include the old Fred McDowell
classic, ‚Shake ‚Em On Down‘ and
Skip James haunting ‚Hard Times
Killing Floor Blues‘, and a surprising take on the Bowie/Iggy Pop
mantra ‚Nightclubbing‘. Whatever
the track, the sound is always uniquely Delta Moon; the fabulous twin
guitar-work, almost always slide propelled, gives the band a full, rounded
sound that eclipses the more usual
two guitar band capacity and feel.
Overall, this is an excellent release,
a must for anyone who loves slide
2008, Random Chance Records
(RCD35)
It makes a lot of sense, to read
parallely to this review Howard
Glazer‘s monthly column in <Wasser
Prawda>. Howard talks about
Emanuel Young and his many years
of working with him.
It is the eternal mystery of the blues
that men as Emanuel Young don’t
have great publicity worldwide.
Emanuel is a man in his seventies
who plays fhe blues in his hometown
Detroit. He is a guitar player and
singer since his early years. Emanuel
is looking back on many years of
cooperation with well-known names
such as John Lee Hooker, Martha
Reeves, Albert King, Jimmy Reed,
and others.
In recent years he frequently occurs
with Howard Glazer and his El 34s.
One of these gigs was recorded in
2008 in The Halligan Bar in Detroit
and published on CD as <Live in
Detroit>.
Emanuel Young plays classic blues,
economical and accentuated. His
voice is rough, his singing empathetic. Since there is no overdubbing, the CD is one of the rare
documents of original blues recorded in the 21st century. No matter
what song Emanuel plays, it sounds
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authentic. He is discreetly and sensitively accompanied and supported
by Howard Glazer‘s guitar playing.
It is not surprising that the CD contains songs like <The Outskirts of
Town>, <Give me back my Wigs>,
<I‘m in the Mood> or the eternal
<Back Door man>. Emanuel has
developed for each of the 11 pieces
his own kind of interpretation - he
plays Emanuel Young not John Lee
Hooker or Albert King.
In Detroit Emanuel Young is an
icon and legend of the blues. I very
much hope that we can see him in
the foreseeable future on our stages.
Musicians: Emanuel Young (vocals,
guitar); Bob Godwin, Steve Glazer
(bass guitar); Billy Renya (drums);
Howard Glazer (guitar).
Bernd Kreikmann
John Hia - Terms Of My
Surrender
John Hiatt needs no introduction.
One of the best singer-songwriters
in the world of Americana music, he
has been at the top of the countrymusic tree for many years, always a
favourite in Nashville and a US festival evergreen guaranteed to attract
hordes of fans and solid album sales.
Interestingly this release is reflective
and intriguing in equal measure.
Over the years, Hiatt‘s material has
been recorded by artists as diverse
as Bob Dylan, Bonnie Raitt (Thing
Called Love), Iggy Pop and the Jeff
Healy Band, among many others.
With Terms Of My Surrender, Hiatt
returns to both his roots and basics
with a stripped-bare mostly acoustic album locked in gravel-throated
vocals and blues influenced material
which mirrors his own genuine love
Wasser-Prawda | Juli 2014
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for the blues as a musical form: this
is the man who wrote ‚Riding With
The King‘ , a track that spawned the
Grammy award-winning album of
the same name by BB King and Eric
Clapton.
The album is a triumph, with Hiatt‘s
clever lyricism covering a host of
old familiar subjects: redemption,
ageing, relationships and heartache
and pain. Pretty standard blues fare
really. Eleven tracks make up the
CD‘ every one is a little masterpiece in its own right. A consummate
example of showmanship and elegance in form, and a bravura performance of blues-bending genius
from a true American master storyteller and gorgeously groovy guitarist. (New West Records)
Iain Patience
Malcolm Holcombe - Pi ful
Blues
This is Holcombe‘s tenth release so
far. Like those before, it features his
rasping vocal delivery coupled with
good, strong acoustic guitar picking.
For me, it‘s probably his best offering to date.
Based in North Carolina‘s Piedmont
region of the USA, Holcombe‘s guitar-work reflects the quality and
driving style of his home-area in the
Appalachians with a skilful mix of
1930s style picking and cross-over
Americana and Bluegrass influences. A sort of ‚backwoods blues‘ in
sound and feel, the kind of thing you
might expect to find being played
on a sleepy southern porch on a hot,
steamy day.
As always with this guy, the lyrics are
strong and emotive. The entire tentrack album is chock-full of powerful
Wasser-Prawda | Juli 2014
and raw emotion, stripped-down
sounds that jump from the disc to
grab you by the throat. Holcombe
is not a man to be ignored. Both
the voice and playing demand and
warrant attention.
From the opening title track to the
close of the album, Holcombe‘s stirring lyrics and at times dirge-like
vocals carry this album out of the
shadows into the light and easily
earns it a place on any acoustic blueslover‘s collection. This is a guy who
is always interesting, daring to be
different and staying well clear of
the mainstream blues world. Pitiful
Blues would be worth having for
the wonderful thumping guitar bass
runs and jangling treble solos with
the drawling vocal delivery evident
on the eponymous title track alone.
(www.malcombeholcome.com)
Iain Patience
Trudy Lynn - Royal Oaks Blues
Cafe
Paris. I am one of those people that
regularly attend live concerts since
many years. I have experienced
many great and impressive acts, but
this evening is unforgettable for me.
Trudy is a natural phenomenon. A
petite and vivacious woman, a lady
singing the blues in its true sense.
She screams, sobs and shouts. There
are no smoothed emotions, it is pure
passion - overwhelming. About a
year later, a recording of the concert
was released as „Trudy‘s Blues“
(Album: Blues Power: Trudy‘s Blues
Label: Isabel, Release Date: August
10, 2004).
An incredibly intensive CD, one
of my most listened albums at all.
Highly recommended is also the
previously released CD „U Do not
Know What Time It Is“ (Ruf, 1997,
Order No.: 2177467, Publication
date: 6.3.2000). In December 2013
Trudy Lynn has presented her latest
album with „Royal Oaks Blues
Cafe“. It presents timeless songs
some forgotten ones from the past.
About song material and musicians
I do not talk. Both is consistently
at its best. In Trudy‘s albums everyone can find his favorite songs. Even
Trudy‘s version of „Hänschen klein1“
would be a thrilling experience. I
hope that this great lady of the blues
will give us many more albums in
future and hopefully she will join us
in our venues. Until then, we must
be content with her CDs - I have
collected all albums that I could get;
I have never been disappointed.
Before introducing Trudy Lynn‘s
latest CD „Royal Oaks Blues Cafe“,
here a few words about Trudy. For
me it is incomprehensible that one of
the most gifted singers of our days
is virtually unknown in Germany at
least. She was born about sixty years
ago in Houston Tx. and started her
career in the 60s as a singer with
Albert Collins. Trudy Lynn moves
in the broad spectrum of blues, R &
B, soul and jazz. Her breakthrough
on record she had in the late 80s with
the album „Trudy sings the Blues“. It
was followed by many great albums.
I have seen Trudy for the first (and so
Bernd Kreikmann
far, unfortunately, last) time on stage 1 “Hänschen klein“ is an old German
in the Lionel Hampton Jazz Club in nursery rhyme