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Nr. 1/2015
Best Blues 2014 - Alben des Jahres
• Joe Cocker -British Blues All Stars - HSS - Tangled Eye
• Sarah Skinner: Natürlich kann man auf Tour Geld verdienen!
• Album des Monats: Jools Holland - Sirens of Song
• Texte von Uwe Saeger, Hanns Heinz Ewers, Thomas Wolfe
• Literatur-ABC: A wie Autor
2
I N H A LT
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Wasser-Prawda | Januar 2015
I N H A LT
3
INHALT
JANUAR 2015
5
7
Editorial
Auf Tour
Musik
16
24
25
27
30
Best Blues 2014. Die Alben des Jahres
Joe Cocker (1944-2014)
The Blues is alive, sir
Natürlich kannst Du auf Tour Geld Verdienen!
Zwischen leidenschaftlicher SoulPredigt und
rauhem BluesRock
32 Geradliniges Festivaljubiläum in Luzern
36 Nachlese 2014: The British Blues All Stars im
Seehaus Krottenmühl
41 Nachlese 2014 Teil 2: Im Gespräch mit Leo Lyons
& Joe Gooch (HSS)
Rezensionen
45 Jools Holland - Sirens of Song
46 Rezensionen A bis Z
Feuilleton
58 Literatur ABC: A Wie Autor
59 Jersey Boys (Clint Eastwood)
Bücher
61 Gary Burnett: The Gospel According To The Blues
63 James Brown: Godfather of Soul. Die
Autobiografie
Sprachraum
65 Uwe Saeger: Ein Brief an den Herrn Franz Kafka,
Berlin-Steglitz,1923
68 Anthropoovaropartus.
72 Thomas Wolfe: Geschichte eines Romans
99 Die Vestalinnen
105 English Articles
Wasser-Prawda | Januar 2015
4
EDITORIAL
IMPRESSUM
Die Wasser-Prawda ist ein Projekt
des Computerservice Kaufeldt
Greifswald. Das pdf-Magazin
erscheint in der Regel monatlich.
Es wird kostenlos an die registrierten Leser des Online-Magazins
www.wasser-prawda.de verschickt.
Wasser-Prawda Nr. 1/2015
Redaktionsschluss: 20.01.2015
REDAKTION:
C he f r e d a k t e u r : R a i mu nd
Nitzsche (V.i.S.d.P.)
Redaktion: Mario Bollinger,
Bernd Kreikmann, Matthias
Schneider, Dave Watkins, Darren
Weale
Mitarbeiter dieser Ausgabe:
Iain Patience, Christophe Rascle,
Torsten Rolfs, Sarah Skinner,
Karsten Spehr
Cover-Foto: Dede Priest (K. Spehr)
Links: Joe Cocker (K. Spehr)
Rückseite: Die nächste Ausgabe
erscheint am 22. Januar 2015.
Adresse:
Redaktion Wasser-Prawda
c/o wirkstatt
Gützkower Str. 83
17489 Greifswald
Tel.: 03834/535664
[email protected]
Anzeigenabteilung:
[email protected]
Wasser-Prawda | Januar 2015
EDITORIAL
5
EDITORIAL
VON RAIMUND NITZSCHE
Bei den musikalischen Artikeln möchte ich einen besonders hervorheben: Sarah Skinner von den britischen
Red Dirt Skinners hat in ihrem Artikel ein bemerkenswertes Experiment geschildert: Um der immer wieder
geäußerten These, man könne als Musiker auf Tour
kein Geld verdienen, etwas entgegen zu setzten machte
die Band im letzten Jahr eine Tour durch den Norden
Schottlands. Trotz weniger Konzertbesucher und mieser
Wie geht es dem Blues hierzulande? So schlecht ganz Gagen hatte das Duo am Ende der zehn Tage nach
sicher nicht. Hier in Greifswald soll künftig regelmä- Abzug aller Kosten noch einen vierstelligen Betrag in der
ßig Live-Blues stattfinden. Und für März ist mit Ben Kasse! Soviel zu immer wieder verbreiteten Gerüchten!
Poole auch gleich einer der bekannten Musiker aus dem
Vereinigten Königreich zu Gast. Leider gibt es die früher Besonders dick ist diesmal der literarische Teil mit
unserem „Sprachraum“ geworden. Neben einer wundermal organisierten monatlichen Sessions nicht mehr.
Doch andernorts sind es gerade solche Veranstaltungen, vollen Erzählung von Uwe Saeger gibt es - die Debatte
wo sich etablierte und junge Musiker treffen und zwang- ums social freezing brachte uns auf die Idee - einen
los miteinander jammen. Um die Existenz der Sessions Vorschlag aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts.
in der Region zu sichern, hat sich etwa im Saarland Und für all die Autoren, die sich ewig mit ihren Werken
jetzt ein eigener Verein gegründet. Und der will außer- quälen, ehe sie den Mut finden, sie zu veröffentlichen
dem auch die Live-Szene der Gegend pflegen mit und in die Welt zu schicken, haben wir einen Text von
Auftrittsmöglichkeiten für Bands aus der Region ebenso Thomas Wolfe ins Heft genommen.
wie mit Konzerten bekannter Künstler aus dem In- und Immer mal wieder werden wir gefragt, ob man unser
Ausland. Sowas sollte in Deutschland überall Schule Magazin nicht finanziell unterstützen könne. Neben
machen!
der Möglichkeit, hier Werbung zu veröffentlichen (in
Kaum hat das Jahr begonnen, ist auch der Stapel an Kombination auch mit Bannern auf der Homepage)
neuen CDs auf dem Schreibtisch wieder gehörig ange- werden wir in Kürze einen eigenen Webshop eröffnen.
wachsen: Die Krise der Msuikindustrie bezieht sich nicht Dort kann man dann neben den einzelnen Jahrgängen
auf die Zahl der Veröffentlichungen, die zur Rezension des pdf-Magazins auch andere Bücher und später vielan uns geschickt werden. Vom swingenden Rhythm & leicht auch Musik erwerben.
Blues bis zum Sound der Girlgroups, vom Funkjazz mit
Hiphop bis zu Americana reicht die Palette in diesem
Monat. Und da ist nicht nur für Bluesfans einiges zu
entdecken. Leider reichte mal wieder die Zeit nicht, alle
Scheiben so schnell wie möglich zu besprechen.
Wasser-Prawda | Januar 2015
6
TERMINE
Festivals
17. Kieler Bluesfestival
20.02. Räucherei Kiel
Eb Davis & His Superband, Daniel Puente Encina Trio, Paddy Korn & Band, The Twues
19. Rostocker Bluesfestival
21.02. im SBZ Pumpe
Eb Davis & His Superband, Daniel Puente Encina Trio, Paddy Korn & Band
24. Rother Bluestage
21.-29. März in der Kulturfabrik Roth
21.03. Yana Bibb & Eric Bibb
22.03. Duke Robillard Band
24.03. Nik West
25.03. JJ Grey & Mofro
26.03. Canned Heat
27.03. Layla Zoe/Thobjörn Risager
28.03. Hundred Seventy Split/Vdelli
29.03. Jesper Munk
WDR Crossroads Festival
25.-28.03. Harmonie Bonn
25.03. Radio Moscow/Black Lung
26.03. JJ Grey & Mofro/Willie & The Bandits
27.03. Nick West & Band/Sivert Hoyem
28.03. The Great Crusades/Hayseed Dixie
6. Chemnitzer Blues & More Festival
09.05. (Ort wird noch bekannt gegeben):
Big Daddy Wilson Trio, Shanna Waterstown
Band, Earl Thomas & The Royal Gard
Muddy Lives Blues Festival
29./30.05. Lieberose Waldbühne
Johnny Mastro & Mama‘s Boys, Jürgen Kerth
& Band, Nick Moss Band, Kai Strauss Electric
Blues, Mason Rack Band, Footsteps, Carolyn
Wonderland, Chilly Willy und Micke Bjorklof
& Blue Strip.
Wasser-Prawda | Januar 2015
Blues Caravan 2015
Girls With Guitars: Eliana Cargnelutti,
Sadie Johnson, Heather Crosse
27.01. Stuttgart, Merlin
28.01. Karlsruhe, Jubez
29.01. Bensheim, Rex
30.01. Offenburg, Reithalle
31.01. Rheine, Hypothalamus
01.02. Dortmund, Musiktheater Piano
03.02. Nürnberg, Hirsch
04.02. Hamburg, Downtown Bluesclub
05.02. Worpswede, Music Hall
06.02. Hannover, Blues Garage
07.02. Soest, Alter Schlachthof
08.02. Bonn, Harmonie
09.02. Kassel, Theaterstübchen
11.02. Aschaffenburg, Colos-Saal
12.02. Kaiserslautern, Kammgarn
13.02. Luxembourg, Sang & Klang
14.02. Siegen, Jazz Club Oase
IRISH SPRING - Festival of Irish Folk
Music
25.02. Waldshut-Tiengen, Stadthalle
26.02. Ravensburg, Zehntscheuer
27.02. Esslingen, KUZ Dieselstraße
28.02. Netphen, Georg-Heimann-Halle
01.03. Hildesheim, Bischofsmühle
02.03. Dresden, Dreikönigskirche
03.03. Helmstedt, Brunnentheater
04.03. Bad Wildungen, Wandelhalle
05.03. Rietberg, Cultura
06.03. Kerpen, Erfthalle Türnich
07.03. Bebra, Ellis Saal
08.03. Hattingen, Gesamtschule Welper
09.03. Koblenz, Cafe Hahn
10.03. Leipheim, Zehntstadel
11.03. Waldkraiburg, Haus der Kultur
12.03. Fürstenfeldbruck, Veranstaltungsforum
13.03. Roth, Kulturfabrik
14.03. Marbach, Stadthalle
15.03. Helmbrechts, Bürgersaal
TERMINE
16.03. Kaarst, Albert Einstein Forum
17.03. Bonn, Harmonie
18.03. Altenkirchen, Stadthalle
19.03. Mainz, Frankfurter Hof
20.03. Twist, Heimathaus
21.03. Stuhr, Gutsscheune Varrel
22.03. Filsum, Rathaus Filsum
23.03. Neustadt, Schloss Landestrost
24.03. Leipzig, Werk 2
25.03. Landau, Altes Kaufhaus
26.03. Gersthofen, Stadthalle
27.03. Offenburg, Reithalle
28.03. Laupheim, Schloss Großlaupheim
29.03. Bensheim, Parktheater
30.03. Tübingen, Sudhaus
Auf Tour
3 Dayz Whizkey
31.01. Frauental, Bluegarage (A)
05.02. Augsburg, Spectrum
20.02. Fürth, Kofferfabrik
21.02. Regenstauf, Coolturbühne
27.02. Berlin, Kiste
28.02. Cham, LA
Abi Wallenstein
25.01. Güstrow, Heizhaus am Schloss
30.01. Hamburg-Bergedorf, Serrahn
06.02. Hamburg, Fabrik
07.02. Gifhorn, KultBahnhof
27.02. Goslar, Kubik
28.02. Torgau, Kulturbastion
Bad Temper Joe
03.03. Lemgo. Beatcafe
11.03. Münster, Cafe Arte
26.09. Bielefeld, Extra-Blues-Bar
B.B. & The Blues Shacks
30.01. Gifhorn, Kultbahnhof
7
31.01. Paderborn, 5. Paderborner Jazz
& Blues Party
21.02. Schwerin, Speicher
28.02. Twist, Heimathaus
Ben Poole
20.02. Rheinberg, Schwarzer Adler
21.02. Dortmund, Blue Notez Club
25.02. Hamburg, Downtown Bluesclub
26.02. Wetzlar, Francis
07.03. Greifswald, Sótano
Bernard Allison
24.01. Kassel, Theaterstuebchen
27.01. Bremen, Meisenfrei
28.01. Hamburg, Downtown Bluesclub
30.01. Idstein, Die Scheuer
31.01. Berlin, Quasimodo
01.02. Stuttgart, Laboratorium
02.02. Salzburg, Rockhouse (A)
22.03. Friedrichshafen, Bahnhof Fischbach
23.03. Wien, Reigen (A)
24.03. Prag, Jazz Dock (CZ)
27.03. Bern-Rubigen, Mühle Hunziken (CH)
28.03. Freiburg, Jazzhaus
Big Daddy Wilson
07.02. Hannover, Bluesgarage
21.02. Münster, Hot Jazz Club
Blue Note Blues Band
16.02. Kolbermoor, Grammophon
25.04. Ingolstadt, Shamrock
06.06. Bielefeld, Extra Blues Bar
Blues Company
30.01. Unna, Lindenbrauerei
07.02. Bad Oeynhausen, Druckerei
13.02. Rhauderfehn, Blues Club (Hotel Westerfehn)
14.03. Lingen, Kulturzentrum St, Michael
20.03. Metzingen, Hirsch
Wasser-Prawda | Januar 2015
8
TERMINE
21.03. Kirchheim Teck, Bastion
26.03. Stuttgart, Laboratorium
COLLOSSEUM
10.02. Bensheim, Parktheater
11.02. Wuppertal, Live Club Barmen
13.02. CH-Pratteln, Z7
14.02. Winterbach, Lehenbachhalle
16.02. Oldenburg, Kulturetage
Cologne Blues Club
21.02. Dormagen, Streetlife
05.03. Wetzlar, Francis
06.03. Gießen, Irish Pub
07.03. Frankenberg, Klimperkasten
08.04. Bordesholm, Versorgungsbetriebe
25.04. Schönenberg, Gasthaus Schleppi
24.05. Prisser, Kulturelle Landpartie Festival
30.05. Zyfflich, Bluesfestival
16.07. Maggia, Magic Blues Festival (CH)
17.07. Feuerthalen, Kulturzentrum Dolder (CH)
18.07. Winterthur, Music Bar (CH)
05.08. Saarbrücken, Kultur am Schloß
Daniel Puente Encina (Chile)
18.02. Eckernförde, Spieker
19.02. Norderstedt, Music Star
20.02. Kiel, Bluesfestival
21.02. Rostock, Bluesfestival
04.04. Potsdam, Gutenberg 100
David Sinclair & Keith Bennett
08.04.. Mülheim an der Ruhr, Rolo’s House
09.04. Weilburg, Cafe Ententeich,
10.04. Neudrossenfeld, Brauerwerk
11.04. Oberweiling, Kneipenbühne
13.04. Hamburg, Soundyard
17.04. Neuruppin, Seehotel
18.04. Berlin, Berlin Guitars
22.04. Kiel, Kulturforum
23.04. St. Peter Ording, Café Instinkt
24.04. Bornholdt, Kulturkniepe
25.04. Frelsdorf, Kulturtransport
Wasser-Prawda | Januar 2015
26.04. Ulm, Fiddler’s Green
27.04. Ulm, Sauschdall Ulm
28.04. Augsburg, Der Rabe Abraxas
29.04. Füssen
30.04. Unnersdorf, Gasthof Zur Linde
02.05. Runding-Vierau, Liederbühne
Dr. Will & The Wizards
24.01. Wörth a.d. Donau, Bürgersaal
13.02. München, Ampere/Muffatwerk
06.03. Hard, Kammgarn (A)
14.03. Pittenhart, Kulturverein Hilgerhof
16.03. Burghausen, Knoxoleum
21.03. München, Saturn Theresienhöhe
22.03. Roth, Posthorn
25.03. Steinebach, Alter Bahnhof
28.03. Neustadt/Weinstraße, Kelterhaus
East Blues Experience
06.02. Potsdam, Club Charlotte
07.02. Dresden, Tante JU
13.02. Parchim, Irish Pub
14.02. Salzwedel, Hanseat
20.02. Erfurt, Museumskeller
21.02. Zwickau, St.Barbara - Lichtentanne
27.02. Neustadt (Harz), Harzer Rockhotel
28.02. Hannover, Alter Bahnhof Anderten
13.03. Magdeburg, Alte Feuerwache
14.03. Torgau, Kulturbastion
20.03. Luckenwalde, Stadttheater
21.03. Seelow, Kulturhaus, 5. Blues Rock Festival
26.03. Heringsdorf, O‘ man River
27.03. Stralsund, Werkstatt
28.03. Rostock, Pumpe
04.04. Tanna, Kuhstall
10.04. Aschersleben, Bestehornhaus
11.04. Cottbus, Bebel
Engerling
31.01. Berlin, Kiste
28.03. Sondershausen, Achteckhaus
TERMINE
Georg Schroeter & Marc Breitfelder
13.02. Koslowski Halle - Kappeln
14.02. Café Zeit - Westensee
21.02. Wassermühle - Trittau (feat. Abi Wallenstein)
27.02. Die Hofkneipe - Grebin
13.03. Petruskirche Lichterfelde - Berlin
27.03.2015 Zum Schorsch - Fürth-Erlenbach
Greyhound George
26.01. Bielefeld, Spökes (m. Karl Valta)
01.02. Paderborn, Lenz (m. Andy Grünert)
09.02. Bielefeld, Spökes (m. Gerd Gorke)
21.02. Bielefeld, c.ult (mit BBP)
23.02. Bielefeld, Spökes (m. Mister Blues)
23.03. Bielefeld, Spökes (m. Dieter Kropp)
28.03. Gütersloh, A Tasca
23.04. Düsseldorf, Till‘s Eleven
Hamburg Blues Band
30.01. Schwerin, Speicher
31.01. Forst, „Manitu“
06.02. Idstein, Scheuer
07.02. Freudenburg, Ducsaal
06.03. Göttingen, Musa
07.03. Offenbach, KJK Sandgasse
13.03. Dortmund, Piano
20.03. Wuppertal, Liveclub Barmen
21.03. Osnabrück, Blueslawine
27.03. Minden, BÜZ
28.03. Bordesholm, Savoy
Henning Pertiet
24.01. Berlin-Köpenick, Ratskeller
30.01. Isernhagen, Kulturkaffe Rautenkranz
06.02. Rastede, Palais
13.02. Oldenburg, Classic Meets Pop
20.02. Bremen, Kulturhaus Pusdorf
14.03. Geesthacht, Kleines Theater
20.03. Isernhagen, Kulturkaffe Rautenkranz
21.03. Nordenham, Jahnhalle
9
Hundred Seventy Split
13.03. Kiel, Räucherei
14.03. Husum, Speicher
17.03. Berlin, Quasimodo
18.03. Erfurt, Museumskeller
19.03. Torgau, Kulturbastion
20.03. Halle (Saale), Objekt 5
21.03. Plauen, Malzhaus
22.03. Mannheim, Alte Seilerei
24.03. Karlsruhe, Jubez
25.03. Freiburg, Jazzhaus
26.03. Pratteln, Z7 (CH)
28.03. Roth, Bluestage (Kulturfabrik)
30.03. Salzburg, Rockhouse (A)
31.03. Wien, Reigen (A)
09.05. Leinfelden, Guitars United Festival
14.08. Finkenbach, Finki Open Air Festival
15.08. Waffenrod, Woodstock Forever Festival
Jessy Martens & Band
29.01. Mühldorf a. Inn, Haberkasten
30.01. Wangen /Allgäu, Schwarzer Hase Beutelsau
31.01. Freudenburg, Ducsaal
05.02. Mainz, SWR Funkhaus: mit Jan Fischer´s
Blues Support feat. Abi Wallenstein
07.02. Kiel, Räucherei
13.02. Salzgitter, Kniestedter Kirche
14.02. Nordenham, Jahnhalle
15.02. Dortmund, Piano
20.02. Isernhagen, Blues Garage
13.03. Brüssel, European Blues Challenge
14.03. Brüssel, European Blues Challenge
27.03. Holzminden, Bluesfestival
28.03. Münster, Hot Jazz Club
Jimmy Reiter
29.01. Bottrop, Passmanns Kulturkneipe
30.01. Hannover, Jazzclub
31.01. Paderborn, 6. Jazz and Blues Party
01.02. Wageningen, Blues Club XXL (NL)
14.02. Minden, Jazzclub
Wasser-Prawda | Januar 2015
10
TERMINE
Klaus Major Heuser Band
30.01. Ravensburg, Zehntscheuer
31.01. Esslingen, Kulturzentrum
06.02. Bielefeld, Forum
07.02. Solingen, Cobra
26.02. Halle, Objekt 5
27.02. Magdeburg, Alte Feuerwache
06.03. Siegen, Lyz
07.03. Bocholt, Alte Molkerei
20.03. Essen, Zeche Carl
27.03. Hamburg, Downtown Bluesclub
28.03. Eschweiler, Talbahnhof
Lars Attermann
05.03. Berlin, Dänische Botschaft
25.03. Gunzenhausen, Cayman
26.03. Köln, Kulturcafé Lichtung
27.03. Fürth, Badstrasse
28.03. -Münster, Flic Flac
Marius Tilly Band
07.02. Unna, Lindenbrauerei
14.02. Remscheid, Musical Box
08.03. Oslo, Rockefeller (GBOB Worldfinal)
13.03. Ratingen, Manege Lintorf
14.03. Vohwinkel, Bürgerbahnhof
27.03. Holzminden, Weserbergland-Blues-Festival
Mitch Ryder & Engerling
05.02. Braunschweig, Barnabys Blues Bar
06.02. Torgau, Kulturbastion
07.02. Obergurig, Kesselhaus Singwitz
11.02. Rheinberg, Schwarzer Adler
12.02. Kassel, Theaterstübchen Am Nil
13.02. Plauen, Malzhaus
14.02. Apoldaer Bluesfasching
18.02. Halle/Saale, Objekt 5
19.02. Frankfurt/Main, Das Bett
20.02. Dortmund, Musiktheater Piano
21.02. Solingen, Cobra
22.02. Bonn, Harmonie
25.02. Magdeburg, Feuerwache
Wasser-Prawda | Januar 2015
26.02. Bremen, Meisenfrei
27.02. Hamburg, Downtown Bluesclub
28.02. Kellinghusen, Ulmenhofschule
02.03. Berlin, Frannz - Kulturbrauerei
10.03. Nürnberg, Hirsch
11.03. Bensheim, Musiktheater Rex
12.03. Ludwigsburg, Scala
13.03. Erfurt, HsD
14.03. Forst, Erlebnisgaststätte Manitu
15.03. Schöneiche, Kulturgießerei
18.03. Regensburg, Alte Mälzerei
19.03. Olching, Legends of Rock
20.03. Hannover, Blues Garage
Morblus
27.02. Hannover, Bluesgarage
28.02. Hohenstein-Meidelstetten, Adler Meidelstetten
01.03. Altdorf, Jimmy‘s Café
06.03. Runding, Liederbühne Robinson
12.03. Leverkusen, Topos
14.03. Chemnitz, Eiscafé Temmler
Mrs. Greenbird (D)
12.03. Potsdam , Lindenpark
13.03. Leipzig, Felsenkeller
14.03. Magdeburg, Altes Theater
19.03. Münster, Jovel
20.03. Wesel, Niederrheinhalle
26.03. Neu-Isenburg, Hugenottenhalle
27.03. Karlsruhe, Festhalle Durlach
28.03. Lindau, Club Vaudeville
09.04. Rostock, MAUclub
10.04. Wilhelmshaven, Pumpwerk
11.04. Bremen, Bürgerhaus
15.04. Stuttgart, LKA Longhorn
16.04. München, Backstage
17.04. Augsburg, Spectrum Club
23.04. Hannover, Capitol
24.04. Hamburg, Große Freiheit
25.04.Berlin, Postbahnhof
28.04. Nordhorn, Alte Weberei
29.04. Essen, Weststadthalle
TERMINE
30.04. Köln, E-Werk
My Darling Clementine
18.02. Laupheim, Schloss Großlaupheim
21.02. Waldkraiburg, Haus der Kultur
Park Stickney
30.01. Saarbrücken, ZBB Breite 63
31.01. Bad Honnef, Feuerschlösschen
01.02. Kassel, Kreuzkirche
04.02. Laupheim, Schloss Großlaupheim
05.02. Augsburg, ParkTheater Göggingen
06.02. Wendelstein, Jegelscheune
07.02. Tübingen, Sudhaus
08.02. Straubing, Hotel Asam
10.02. Pforzheim, Bottich
Pass Over Blues
13.02. Apolda, Hotel am Schloss
14.03. Babelsberg, Rathaus
14.04. Rostock, Stadthalle
13.05. Ratzeburg, Jazz in Ratzeburg
Popa Chubby
01.03. Weinheim, Café Central
03.03. Bonn, Harmonie
04.03. Rubigen, Mühle Hinziken (CH)
06.03. Wuppertal, Live Club Barmen
07.03. Erfurt, Gewerkschaftshaus
08.03. Lübeck, Werkhof
09.03. Bremen, Meisenfrei
10.03. Hamburg, Fabrik
Reverend Rusty
31.01. Augsburg, Bombig Bar
28.02. Scharnitz, Alte Mühle (A)
Richard Bargel & Dead Slow Stampede
06.02. Bergheim, Medio.Rhein.Erft
21.02. Wermelskirchen, Kattwinckelsche Fabrik
13.03. Ludwigshafen, das haus
11
14.03. Remagen, Kulturwerkstatt
18.03. Bonn, Pantheon (Casino)
19.03. Stuttgart, Laboratorium
17.04. Backnang, Kulturgut Hagenbach
18.04. Naunheim, Bürgerhaus
24.04. Berlin, Grüner Salon
25.04. Magdeburg, Songtage @ Feuerwache
08.05. Leverkusen, Scala
14.05. Ingolstadt, Bluesfest 2015 @ Neue Welt
15.05. Ulm, Charivari Bluesfestival
29.05. Eisenach, Alte Mälzerei
25.07. Eitorf, Siegtag Festival @ Theater am Park
26.09. Langen, Jazzclub Alte Ölmühle
18.11. Pulheim, Kultur- und Medienzentrum
The Double Vision
14.03. Hildburghausen, Route 66
21.03. Bad Salzungen, Pressenwerk
The Blues Band
06.02. Schwerin, Speicher
07.02. Bordersholm, Savoy
08.02. Hamburg, Fabrik
09.02. Aschaffenburg, Colossaal
10.02. Berlin, Wintergarten
11.02. Regensburg, Alte Mälze
12.02. Bensheim, Musiktheater Rex
13.02. Hannover, Blues Garage
14.02. Bad Salzulfen, Bahnhof
15.02. Nürnberg Hirsch
The Dynamite Daze
30.01. Billerbeck, Music Live
31.01. Offenburg, KJK Sandgasse
27.02. Karlsruhe, Jubez
30.04. Twist, Heimathaus
Thorbjørn Risager & The Black Tornado
07.03. Altdöbern, Schützenhaus
26.03. Göttingen, Exil
27.03. Roth, Rother Bluestage
28.03. Hannover, Bluesgarage
Wasser-Prawda | Januar 2015
12
TERMINE
15.04. Bremen, Meisenfrei
16.04. Bonn, Harmonie
17.04. Münster, Hot Jazz Club
18.04. Meidelstetten, Adler
24.04. Verden, Domgymnasium
25.04. Berlin, Quasimodo
29.04. Hamburg, Downtown Blues Club
30.04. Twist, Heimathaus
We Banjo 3
16.04. Leipzig, Moritzbastei
17.04. Dresden, Dreikönigskirche
18.04. Hildesheim, Bischofsmühle
19.04. Oldenburg, Theater Laboratorium
23.04. Waiblingen, Kulturhaus Schwanen
25.04. Ravensburg, Zehntscheuer
26.04. Schopfheim-Fahrnau, Kirche St. Agathe
28.04. Koblenz, Cafe Hahn
29.04. Waldkraiburg, Haus der Kultur
30.04. Offenburg, Salmen
25.06. Bad Rappenau-Bonfeld, Schlosshof Bonfeld
WENZEL (D)
Viva la poesía! Tour
27.02. Freiberg, Tivoli
28.02. Plauen, Malzhaus
04.03. Magdeburg, Feuerwache
07.03. Joachimthal, Heidekrug
08.03. Neubrandenburg, Theater
11.03. Offenburg, Salmen
13.03. Heidelberg, Kulturfenster
14.03. Brackenheim, Kapelle im Schloss
15.03. Jena, Volkshaus
20.03. Schöneiche, Kulturgießerei
21.03. Salzwedel, Hanseat
17.04. Eisenach, Alte Mälzerei
18.04. Hoyerswerda, Kulturfabrik
Will Wilde Band
30.01. Rhede, Blues
31.01. Eppstein, Wunderbar Weite Welt
01.02. Kahla, Blues Kaffee
Wasser-Prawda | Januar 2015
13.02. Hamburg, Downtown Blues
Club
Wille and the Bandits (UK)
26.03. Bonn, Crossroads Festival @ Harmonie
27.03. Reichenbach, Bergkeller
28.03. Dresden, Tante Ju
29.03. Fulda, Kulturkeller
30.03. Stuttgart, Universum
31.03. Fürth, Kofferfabrik
01.04. Wien, Reigen (A)
04.04. Berlin, Supamolly
05.04. Wredenhagen, Cafe Scheune
Zakiya Hooker
09.03. Salzburg, Rockhouse (A)
10.03. Linz, Arbeiterkammer (A)
13.03. Stuttgart, Kulturzentrum Merlin
14.03. Frauenfeld, Blues Festival (CH)
17.03. Emmendingen, Mehlsack
18.03. Kandern, ChaBah
19.03. Genf, Blues Association (CH)
21.03. Wien, Vienna Blues Spring (A)
Clubs
Barnaby‘s Blues Bar
Braunschweig
05.02. Mitch Ryder & Engerling
06.02. Kris Pohlmann Band
13.02. Hannes „Feuer“ Bauer
14.02. Gregor Hilden Band
21.02. Second Service
Bielefelder Jazzclub
06.02. Elaine Thomas & The Poets Messengers
13.02. Hot n Nasty
20.02. Jazzkantine
27.02. Frank Muschalle Trio
Bischofsmühle
Hildesheim
29.01. Sven Zetterberg
TERMINE
30.01. Achim Kück Trio feat. John
Ruocco
06.02. Tommy Schneller Band
13.02. Slow Horses
21.02. Florian Hoefner Group
27.02. Alegra & The Özdemirs
01.03. Irish Spring
Blues & More
Eiscafe Temmler, Chemnitz
30.01. The Dynacasters feat. Martin Bohl
27.02. Hans Blues & Boogie (im MiO Minicamping)
14.03. Morblus
02.04. Namoli Brennet-Trio (im MiO Minicamping)
24.04. The 44‘s
Bluesgarage
Hannover Isernhagen
30.01. Wishbone Ash
31.01. Her & Kings County
06.02. Blues Caravan 2015
07.02. Big Daddy Wilson & Band
13.02. The Blues Band
20.02. Jessy Martens & Band
21.02. Mike Andersen
27.02. Morblus
28.02. Captain Ivory
04.03. Stoppok solo
07.03. Vdekku
13.03. Albert Lee & Hogans Heroes
14.03. Batten/Hamm/Wackermann
15.03. Eric Bibb & Yana Bibb
20.03. Mitch Ryder & Engerling
22.03. Toby
28.03. Thorbjørn Risager & The Black Tornardo
02.04. Vargas Blues Band
ChaBah
Kandern
28.01. Nimmo Brothers
04.02. Jo And Lazy Fellow
13
11.02. Little Chevy
18.02. Elles Bailey
25.02. Carvin Jones
04.03. Innes Sibun
Cotton Club Hamburg
09.02. Jo Bohnsack
14.02. Bourbon Skiffle Company
23.02. Paul Botter & Jan Mohr
07.03. Second Life Bluesband
16.03. Bernd Rinser
19.03. Whiskydenker
23.03. Billbrook Bluesband
26.03. Torsten Zwingenberger Blues Trio
Downtown Bluesclub
Hamburg
28.01. Bernard Allison
04.02. Blues Caravan 2015
06.02. Gute Deutsche Prairie
11.02. House On A Hill
13.02. Will Wilde
14.02. London Pride
18.02. Carvin Jones
20.02. Mojo Makers
23.02. UFO
25.02. Ben Poole
27.02. Mitch Ryder & Engerling
08.03. Spencer Davis Group
11.03. Pippo Pollina Trio
14.03. Albert Lee & Hogans Heroes
27.03. Klaus Major Heuser Band
Extra Blues Bar
Bielefeld
30.01. Stronzo Gelantino and the Boo Man/Braindead Dogs
05.02. The Silverettes
14.02. Deamon‘s Child/PunPunBo
21.02. Kris Pohlman
27.02. Heat
07.03. Mudcats Blues Trio
Wasser-Prawda | Januar 2015
14
TERMINE
13.03. Tom Shaka
21.03. Varmints and Vagrants
29.03. The Black Lung
Harmonie
Bonn
03.02. Wishbone Ash
08.02. Blues Caravan 2015
22.02. Mitch Ryder & Engerling
24.02. Spencer Davis Group
27.02. HopStopBanda
03.03. Popa Chubby
05.03. Gemma Ray
08.03. Stoppok -solo10.03. Vdelli
15.03. Pippo Pollina
16.03. Canned Heat
17.03. Irish Spring
25.-28.03. WDR Crossroads Festival
30.03. John Illsley
Kulturspeicher
(Bergstraße, Ueckermünde)
07.02. Wagenbreth & Uhlmann
Laboratorium
Stuttgart
01.02. Bernard Allison Group
05.02. Peter Finger
12.02. Hipsticks
19.03. Richard Bargel & Dead Slow Stampede
26.03. Blues Company
28.03. Lightnin Guy & The Mighty Gators
Late Night Blues
Loev Hotel Binz/Rügen
23.01. Heggen, Pertiet, Maass
14.02. Fredrik Kinboom & Band
Meisenfrei
Bremen Hankenstr.
27.01. Bernard Allison
Wasser-Prawda | Januar 2015
28.01. New Tone blues Band
29.01. Almost Three
30.01. Ramblin Blues Band
03.02. Sweet Kiss Momma
04.02. Cliff Stevens Band
07.02. Voodoo Child
12.02. Blue Silver
17.02. Captain Ivory
19.02. Motorplanet
25.02. New Adventures
26.02. Mitch Ryder & Engerling
28.02. Most Fabulous Long Gone Dicks
03.03. Vdelli
05.03. 3 Dayz Whizkey
09.03. Popa Chubby
13.03. Rob Tognoni
Music Hall Worpswede
29.01. Finbar Furey
30.01. Ringsgwandl
31.01. Wishbone Ash
05.02. Blues Caravan 2015
13.02. Stefan Gwildis
14.02. Rainbirds
27.02. Jools Holland & Gäste
28.02. 65 Cadillac
05.03. Annett Louisan
28.03. Stoppok & Artgenossen
Musiktheater Piano
Dortmund
01.02. Blues Caravan 2015
05.02. Yawning Man
15.02. Jessy Martens & Band
20.02. Mitch Ryder & Engerling
21.02. Hayseed Dixie
04.03. Steve Wynn
08.03. Zodiac
13.03. Hamburg Blues Band
14.03. Peter Bursch‘s Bröselmaschine
20.03. B.B. & The Blues Shacks
21.03. Vdelli
TERMINE
Musiktheater Rex
Bensheim
29.01. Blues Caravan 2015
06.02. Mandowar
10.02. Colosseum
12.02. The Blues Band
13.02. Rob Tognoni
27.02. Albie Donnelly and his Big Thing
28.02. Jancree/Ullmann-Trio
06.03. Toby
11.03. Mitch Ryder & Engerling
19.03. Albert Lee & Hogan‘s Heroes
28.03. Sacarium feat. Tobi Regner
14.02. triosence
20.02. Jude Johnstone
28.02. Kamchatka
06.03. Vdelli
21.03. Stephanie Neigel
28.03. Hamburg Blues Band
Speicher
Schwerin
30.01. Hamburg Blues Band
06.02. The Blues Band
07.02. Friend ’n‘ Fellow
20.02. Hotel Bossa Nova
14.03. Buddy Whittington & Band
O‘ Man River
Troisdorfer Bluesclub
Friedensstraße 27, Ostseebad Heringsdorf
30.01. Eric Lenz
06.02. Peer Orxon
13.02. Rhythm and Voice
17. 02. O man river bluesband
24.02. Grey Wolf
06.03. Gotte Gottschalk
10.03. Peter Schmidt ( EBE )
20.03. Frank Plagge
26.03. East Blues Experience
27.03. Catfish
Realschule Heimbachstrasse 10, Troisdorf
20.02. Big K & The Solid Senders
13.03. The Juke Joints
17.04. Kris Pohlmann Band
22.05. The Random Players
19.06. The Working Blues Band
Quasimodo
Berlin
30.01. Ingrid Arthur & Band
31.01. BERNARD ALLISON GROUP
06.02. FRIEND N FELLLOW
11.02. PERE UBU
13.02. DEFUNKT
14.02. DEFUNKT
11.03. ALBERT LEE & HOGAN‘S HEROES
17.03. HUNDRED SEVENTY SPLIT
18.03. OTTMAR LIEBERT
Savoy Bordesholm
31.01. San Glaser & Band
07.02. The Blues Band
15
Yorckschlösschen
Yorckstr. 15, Berlin
28.01. Dynacasters, feat. Martin Bohl
29.01. Chat Noir
30.01. Crazy Hambones
01.02. Carlos Santana & Friends
04.02. Niels von der Leyen Trio
06.02. Trio Mortacci
07.02. Swing Cat Club
08.02. Whatever Rita Wants
11.02. Ingrid Arthur
13.02. The Love Gloves
14.02. The Pustefisch Swingbopers
15.02. Wayne Martin & Ernie Schmiedel
20.02. Terry Lovique Band
21.02. Power Boogie Trio
22.02. JazzAgoGo
25.02. Mi Solar
27.02. Sunset delux
01.03. Kat Baloun
Wasser-Prawda | Januar 2015
16
MUSIK
BEST B L U E S 2 0 1 4 . D I E
ALBEN D E S J A H R E S
VON RAIMUND NITZSCHE
Die Bluesalben des Jahres 2014
stammen nach Ansicht unserer Leser
von Johnny Winter, The Suitcase
Brothers, Joe Bonamassa und
Robert Cray. Als bestes Debüt wurde
„Unleashed“ von der Charles Walker
Band gewählt. Bestes Live-Album ist
„Live in Amsterdam“ von Beth Hart &
Joe Bonamassa. Und das beliebteste
Wasser-Prawda | Januar 2015
Album aus Deutschland ist „Best
Before“ von Back On The Road.
Es waren oft die bekannten Namen, die sich bei unserer
Umfrage zu den besten Bluesalben 2014 durchgesetzt
haben. Mit insgesamt 3644 haben sich an „Best Blues
2014“ mehr Leser beteiligt, als wir zu hoffen gewagt
haben. In den ersten Tagen unserer Umfrage wurden
schon 1000 Leser gezählt, die unseren Webserver immer
wieder zum Absturz brachten. Bis zum 31. Dezember
konnten wir 3644 Teilnehmer zählen, die entweder in
MUSIK
17
vielen Kategorien oder nur für ihre Lieblingsbands ihre
Stimme abgaben.
Besonders die kalifornische Chase Walker Band und
Back on the Road aus Deutschland haben hier eine ergebene Fanschar, die über die ganze Zeit immer wieder
Punkte vergaben. So kam die Chase Walker Band auf
insgesamt 1714 Stimmen, das mit weitem Abstand beste
Ergebnis in allen Kategorien. Back on the Road konnte
mit 726 Stimmen die deutsche Konkurrenz weit hinter
sich lassen.
Nicht nur Joe Bonamassa, der gleich mit zwei Alben
in zwei Kategorien die Umfrage für sich entscheiden konnte, taucht mehrfach auf der Liste auf. Eine
der großen Überraschungen in Deutschland war 2014
sicherlich Bad Temper Joe aus Bielefeld mit seinen eindrücklichen Songs. Zwar hat er keine Kategorie gewinnen können, doch tauchen seine ersten beiden Alben
„Sometimes A Sinner“ und „A Man For The Road“
beide bei den Top Five in ihren Kategorien auf. Sein
Debüt ließ sogar das in der Presse hoch gejubelte Album
der Blues Pills hinter sich. Mit diesem Musiker werden
wir in Zukunft sicher rechnen müssen. Ebenso auch mit
den Suitcase Brothers aus Barcelona, die mit „A Long
Way From Home“ das beste akustische Bluesalbum
vorlegten.
Blues (elektrisch)
Johnny Winter, Walter Trout und John Mayall: Die großen
Alten des elektrischen Blues haben 2014 wirklich beeindruckende Alben veröffentlicht. Dazu kommt noch feiner
Blues aus Chicago mit „Warning Shot“ von Mississippi
Heat. Und Janiva Magness hat mit „Original“ einen tollen
Neuanfang jenseits von Alligator Records hingelegt. Schade
nur, dass so eigenständige und großartige Künstler wie Al
Basile oder C.W. Stoneking noch nicht die Aufmerksamkeit
bekommen, die sie eigentlich verdient hätten.
1. Johnny Winter - Step Back (338 Stimmen)
2. Walter Trout – The Blues Came Callin’ (311)
3. Mississippi Heat – Warning Shot (290)
4. John Mayall - A Special Life
5. Janiva Magness - Original
6. Liz Mandeville - Heart O Chicago
7. Mud Morganfield & Kim Wilson – For Pops (A
Tribute To Muddy Waters)
8. Little Mike & The Tornadoes - All The Right Moves
9. The Holmes Brothers - Brotherhood
10. C.W. Stoneking – Gon’ Boogaloo
11. Barrelhouse Chuck & Kim Wilson Blues All-Stars,
Driftin‘ from Town to Town
12. Jim Byrnes – St. Louis Times
13. Bob Corritore - Taboo
14. JP Soars – Full Moon Night in Memphis
15. Al Basile - Woke Up In Memphis
Blues (akustisch)
Gerade beim akustischen Blues kann man die Spannung
zwischen innovativen und konservativen Künstlern besonders gut beobachten. Da gibt es großartige Alben wie die von
den Suitcase Brothers aus Barcelona oder von Erwin Helfer
aus Chicago, bei denen man sich in die Entstehungszeit des
Blues versetzt fühlen könnte. Und dann wiederum gibt es
Wasser-Prawda | Januar 2015
18
MUSIK
Künstlerinnen und Künstler wie Sunday Wilde oder Andy
Twyman, bei denen der akustische Blues auch das Erbe von
Jazz, Rock oder gar Punk widerhallen lässt.
1. The Suitcase Brothers - A Long Way from Home
(287 Stimmen)
2. Sunday Wilde - He Digs Me (235)
3. The Red Dirt Skinners - Sinking The Mary Rose
(189)
4. Empire Roots Band - Music from Harlem Street
Singer
5. King Size Slim - Milk Drunk
6. Erwin Helfer - Erwin Helfer Way
7. Matěj Ptaszek a Dobré Ráno Blues Band - Bluesgrass
8. Half Deaf Clatch - The Blues Continuum
9. Andy Twyman - Blues You Haven‘t Heard Before
10. Brandon Isaak - Here On Earth
Bluesrock
An kaum einem Musiker scheiden sich derartig die Geister
wie an Joe Bonamassa. Doch das sind eher die Geister von
Wasser-Prawda | Januar 2015
Kritikern und anderen Musikern. Kaum jemand ist im
Bereich der bluesverwandten Musik bei den Fans gerade
in Europa derartig erfolgreich. Da hatten selbst großartige
Alben wie „Hornet‘s Nest“ von Joe Louis Walker, „Ragged
And Dirty“ von Devon Allman oder das tolle „Love The
Way You Roll“ von Alexis P Suter keine wirkliche Chance.
1. Joe Bonamassa - Different Shades of Blue (448
Stimmen)
2. Devon Allman - Ragged And Dirty (316)
3. Joe Louis Walker - Hornet‘s Nest (249)
4. Tommy Castro & The Painkillers - The Devil You
Know
5. Alexis P Suter Band – Love The Way You Roll
6. Neal Black & The Healers - Before Daylight
7. Jarekus Singleton - Refuse To Loose
8. Dixie Peach - Blues With Friends
9. The Black Sorrows - Certified Blue
10. Rosco Levee & The Southern Slide - Get It While
You Can
MUSIK
19
Wasser-Prawda | Januar 2015
20
MUSIK
Soulblues, Soul & Funk
1. Robert Cray Band – In My Soul (505 Stimmen)
2. John Nemeth - Memphis Grease (327)
3. Sharon Jones & The Dap Kings - Give The People
What They Want (231)
4. Third Coast Kings – West Grand Boulevard
5. JJ Thames – Tell You What I Know
6. David Michael Miller – Poisons Sipped
7. Bobby Patterson - I Got More Soul!
8. The Impellers feat. Clair Witcher - My Certainity
9. Roy Roberts – Strange Love
10. The Eminent Stars - Sittin‘ In
Bestes Livealbum
1. Beth Hart & Joe Bonamassa - Live In Amsterdam
(517 Stimmen)
2. Gary Clark Jr. - Live (345´)
3. Gregg Allman: All my friends - celebrating the
Wasser-Prawda | Januar 2015
MUSIK
songs & voice of Gregg Allman (339)
Charlie Musselwhite - Juke Joint Chapel
Dana Fuchs - Songs from the Road
Ben Poole - Live At The Royal Albert Hall
Delta Moon - Turn Around When Possible
Michelle Wilson – Fortune Cookie
Jo Harman & Company - Live At The Royal Albert
Hall
10. City Boys Allstars - Blinded By The Night
Bestes Debüt
Für mich persönlich sind die neuen Künstler, die man im
Laufe eines Jahres entdecken kann, immer die spannendsten. Bei den Debütalben kann man die ganze Vielseitigkeit
und Vitalität des zeitenössischen Blues finden. Und man
kann - jenseits vom jugendlichen Überschwang Songwriter
entdecken, die die große Tradition des Blues fortsetzen, ein
Kommentar zu unserer Gegenwart zu sein.
1. Chase Walker Band - Unleashed (1714 Stimmen)
2. Bad Temper Joe - Sometimes A Sinner (293)
3. Blues Pills - Blues Pills (191)
4. Kaz Hawkins - Get Ready
5. Selwyn Birchwood - Don‘t Call No Ambulance
4.
5.
6.
7.
8.
9.
21
6. Adrianna Marie - Double Crossing Blues
7. Jonah Gold & His Silver Apples - Pollute The
Airwaves
8. King Size Slim - Milk Drunk
9. The Black Tongued Bells - Every Tongue Has A
Tale To Tell
10. Jack Roberts Harvey Band - Devil On A Dirt Road
11. Ursula Ricks - My Street
12. Tangled Eye - Dream Wall
13. John Weeks Band - John Weeks Band
14. Josh Hoyer & The Shadowboxers – s.t.
15. Maik W. Garther – Tight Corner
Blues (national)
Gegen die Fans von Back On The Road hatte kaum jemand
eine Chance. Doch dahinter waren die Abstände zwischen
den Alben deutlich knapper. Und das heißt für mich: Die
Bluesszene in Deutschland ist derartig vielseitig und spannend, dass man sich eigentlich keine Sorge um den Blues
hierzulande machen müsste. Da gibt es vom heftigen
Bluesrock über im Blues verankerte Singer/Songwriter bis
hin zu den traditionellen Klängen für jeden Geschmack
Wasser-Prawda | Januar 2015
22
MUSIK
etwas zu entdecken. Schade nur, dass von der bis zu den
of Blues
80er Jahren so lebendigen Szene im Osten kaum noch wirk- 19. Jan Hirte’s Blue Ribbon – Let It Roll
lich bemerkenswerte Alben erscheinen. Pass Over Blues sind 20. Thomas Stelzer - Fuff tsch
mit ihren Songs 2014 die ganz große Ausnahme gewesen.
Oder sollten wir wirklich gute Platten einfach verpasst
haben?
1. Back On The Road – Best Before (726 Stimmen)
2. 3 Dayz Whizkey - Steam (322)
3. PASS OVER BLUES: THE … (295)
4. Bad Temper Joe – Man For The Road
5. B.B. & The Blues Shacks - Businessmen
6. Kai Strauss Electric Blues Allstars - Electric Blues
7. Greyhound George - Cleaning Up
8. Richie Arndt - At the end of the day
9. Timo Gross - It‘s All About Love
10. Reverend Rusty – Struggle
11. Georg Schroeter & Marc Breitfelder - Live 18.
Dixieland Jamboree
12. Stoppok - Popschutz
13. Tommy Schneller - Cream of the Crop
14. Fabian Fritz – Easy Rollin’
15. Richard Bargel & Dead Slow Stampede - It‘s Crap!
16. Black Kat & Kittens – Gypsy Life
17. Rad Gumbo meets John Lee Sanders - New Orleans
Blues and Zydeco
18. Christian Bleiming - Boogie Woogie With a Touch
Wasser-Prawda | Januar 2015
MUSIK
23
Wasser-Prawda | Januar 2015
24
MUSIK
J OE COC K E R ( 1 9 4 4 - 2 0 1 4 )
VON RAIMUND NITZSCHE. FOTOS: KARSTEN SPEHR
Zur Aufnahme eines reinen Bluesalbums
kam es dann doch nicht mehr. Das
ha e sich Joe Cocker immer als Ziel für
das Alter offen gelassen. Doch am 22.
Dezember 2014 starb der Sänger an
den Folgen einer Krebserkrankung.
Es war diese Stimme, die sofort für Gänsehaut sorgt,
die leidenschaftlichen Ausbrüche und die zärtlich
knurrenden Melodien, die man sofort erkennt: Joe
Cocker gehörte zu den Künstlern, die man schon bei
ihrer ersten Note erkennt. Kaum ein weißer Künstler
seiner Generation (sehen wir mal von Janis Joplin ab)
konnte den Blues derartig überzeugend interpretieren.
Schon von den 60er Jahren ab und bis zum Alter von
70 Jahren hatte sich daran nichts geändert. Auch wenn
auf seinen Platten seit Jahrzehnten immer mehr leichtere Popmelodien vorherrschten: Auf der Bühne ließ Joe
Cocker keinen Zweifel aufkommen, dass er einer der
besten Bluessänger war.
Am Anfang stand der Hit, mit dem man ihn immer
wieder in Verbindung bringen sollte: Wie er „With A
Little Help from My Friends“ interpretierte, das hob den
Beatles-Song auf ein ganz neues Level. Der schinbar
leichte Popsong wurde bei Cocker zu einem existentiellen Hilfeschrei, zu einem Inbegriff des weißen Blues und
Soul. Als Cocker damit auf der Bühne von Woodstock
auftrat, war für ihn nichts mehr wie vorher. Vorbei waren
die ziemlich harten Zeiten des Tourens durch kleine
Clubs in Großbritannien und Europa. Jetzt wollten alle
den Superstar sehen, hören - und für ihre Zwecke auch
ausbeuten. Der konstante Tourstress führte schnell zu
einer massiven Drogenabhängigkeit bei Cocker. Und es
dauerte Jahrzehnte, bis er daraus entkommen konnte.
Zuerst waren es großartige Touren und Konzerte dokumentiert etwa auf „Mad Dogs & Englishmen“.
Doch immer deutlicher wurde hinterher der Absturz.
Wasser-Prawda | Januar 2015
Lange zehrte Cocker von seiner Woodstock-Legende.
Doch irgendwann war da kaum noch etwas, was das
Drogen- und Alkoholwrack mit diesem Triumph verbinden konnte.
Mit dem großartigen Comeback seit den 80er Jahren
des letzten Jahrhunderts hatte eigentlich kaum jemand
gerechnet. Doch seit dem Duett „Up Where We Belong“
mit Jenifer Warnes war Cocker regelmäßiger Gast in den
Hitparaden. Und er war unablässig auf Tour in Europa,
den USA und Australien. Die Platten wurden immer
beliebiger und weichgespülter. Doch auf der Bühne
war Cocker immer noch die musikalische Urgewalt von
Woodstock. Einen Sänger wie ihn gibt es so schnell
nicht wieder. Leider.
MUSIK
25
Mikey Junior
T H E B LUE S IS A L I V E , S I R
DARREN WEALES 13. BRIEF AUS DEM VEREINIGTEN
KÖNIGREICH
WELCOME TO THE UNITED KINGDOM! Germany and Germans
have a great 2015.
LETTER FROM THE Happy New Year! May
Wasser-Prawda | Januar 2015
26
MUSIK
Ich weiß nicht, ob Ihr jemals begonnen habt, etwas zu schreiben, nur um
herauszufi nden, dass man eigentlich was anderes schreiben möchte?
Vielleicht verwandelt sich eine
Einkaufsliste so in eine Liste: Was
ich mir zum Geburtstag wünsche.
Oder Du fängst eine Beschwerde
etwa an Deine Bank an und endest
damit, einen Brief an einen Freund
zu schreiben, weil das einfach viel
schöner ist.
Dieser Brief aus dem UK sollte
eigentlich komplett von der British
Blues Exhibition handeln, die online
entsteht und zu der 2015 auch ein
Event geplant ist, das Leute besuchen können. Und weitere sollen
folgen. Wenn ich das schon mal
erwähnt habe, die Webseite ist
www.britishbluesexhibition.co.uk.
Und Ihr könnt sehen, wie die Seite
wächst und Pläne für 2015 erscheinen. Schon jetzt gibt es dort auch
schon ein Zitat einer deutschen Band
zu entdecken, von 3 Dayz Whizkey.
Wie auch immer, um diese Briefe aus
dem Vereinigten Königreich 2015
zu beginnen, wende ich mich lieber
einem, oder besser: zwei, englischen
Autoren zu. Einer ist P.G. „Plum“
Wodehouse, der andere Sebastian
Faulks. Zusammen kommen sie,
weil sie beide Romane schreiben, in
denen Wodehouses großartige englische Figuren aus den 20er Jahren
spielen: Bertie Wooster, ein junger
Mann mit unabhängigen Gedanken
und sein persönlicher Butler Jeeves.
Jeeves liest anspruchsvolle Literatur,
unter anderem den deutschen
Philosophen Immanuel Kant.
Es gibt einen Trend zu Büchern,
die im Stil oder mit den Figuren
großartiger Autoren geschrieben
werden. Ian Flemming (James
Bond) und Sir Arthur Conan Doyle
(Sherlock Holmes) sind Beispiele, wo
neue Bücher geschaffen wurden mit
ihrer Inspiration von jenseits des
Grabes. „Jeeves and the Wessding
Bells“ ist Sebastian Faulks Versuch
mit PG Wodehouse, und er hat
wirklich eine tolle Arbeit abgeliefert,
einen neuen Roman mit einigen der
berühmtesten Charaktere der englischen Literatur.
So wie wahrscheinlich viele
Menschen glauben, dass Autoren
der Qualität von Wodehouse und
Flemming nicht ersetzt oder erfolgreich kopiert werden konnen, so
glauben auch einige Menschen,
dass das goldene Zeitalter des Blues
- oder der großen Blueskünstler
- vorüber sei. Für sie ist klar, dass
es keinen neuen Howlin Wolf oder
neuen John Lee Hooker geben wird.
Dem Buchstaben nach haben sie
natürlich Recht.
Doch wenn Sebastian Faulks einen
PG Wodehouse-Roman schreiben
kann, der des Originals würdig ist,
warum sollten wir nicht nach der
Musik eines neuen Wolfs, Hookers,
oder gar eines neuen Muddy Waters
Ausschau halten? Vielleicht sind sie
schon da und spielen. Zum Beispiel
war ich letztens sehr beeindruckt von
dem was ich von dem Amerikaner
Mikey Junior gehört habe. Aber
Ihr solltet 2015 nach eigenen Blues
Helden Ausschau halten.
Hier ist noch eine letzte Meldung
für diesen Brief. Es gibt eine neue
und eigenartige Entwicklung im
Blues, die grad erst begonnen hat,
einen Versuch, ein wenig alternatives
Wasser-Prawda | Januar 2015
Branding für den Blues zu finden.
Man bezeichnet Blues jetzt als Indie
B. Indie-Musik klingt heutzutage
ein wenig moderner. Begonnen
hat das bei Facebook. Man kann
das unter facebook.com/groups/
INDIEB verfolgen. Was wird sich
daraus ergeben? Das bleibt abzuwarten, aber von 2015 ist noch genügend Zeit übrig, in der was passieren kann.
BE PROSPEROUS
AND ENJOY YOUR
LIVE MUSIC AND ALL
THAT IS GERMAN!
Links
Alistair Cooke - http://www.bbc.
co.uk/programmes/b00f6hbp
PG Wodehouse - http://www.
wodehouse.co.uk/
Mikey Junior - http://www.
mikeyjunior.com/
MUSIK
27
NATÜ R L I C H K A N N S T D U A UF
TOUR G E L D V E R D I E N E N !
VON SARAH SKINNER (RED DIRT SKINNERS)
Letztens machte ein Blogbeitrag die
Runde und es gab einen allgemeinen
Konsens von vielen Leuten, von denen
es einige wirklich besser wissen
sollten, dass es einfach unmöglich
sei, als Musiker hier und heute seinen
Lebensunterhalt zu verdienen. Noch
frustrierender ist die Erwartung, dass
ein Künstler Glück habe, wenn er auf
Tour mit plus/minus Null herauskommt,
geschweige denn dass er Profit macht.
Solche Berichte lassen talen erte
Künstler zu Tagjobs zurückeilen,
die sie hassen und zu Tagträumen
über wie es wohl sein könnte,
wenn nur das Musikgeschä nicht
so ein Rohrkrepierer wäre.
Wasser-Prawda | Januar 2015
28
MUSIK
Vor fünf Jahren fasste ich gemeinsam mit meinem heutigen Ehemann die Entscheidung, es mit aller Kraft zu
versuchen, den Lebensunterhalt allein von der Musik zu
bestreiten. Inzwischen besitzen wir unser eigenes Haus
im Südosten von England und wir haben eine Menge
Zeit, uns am Leben zu erfreuen.
Ist das einfach? Ich glaube, wir haben Glück, weil wir
beide Musik leben und atmen, aber es war wirklich einfacher, als man denken mag. Für Musik haben wir beide
eine tiefe Leidenschaft und deshalb ist sie etwas, über das
wir ständig nachdenken. Wir hören eigentlich niemals
damit auf … und eigentlich wollen wir das auch nicht.
Was mich am meisten ärgert und was mich letztlich dazu
gebracht hat, das hier zu schreiben, ist die Meinung, dass
man als Musiker nicht seinen Lebensunterhalt verdienen
könne, vor allem nicht auf Tour. Leute von weit oben
sagen, das wäre einfach nicht möglich. Wahrscheinlich
würde man Verluste machen, und mit sehr viel Glück
bekäme man sein Geld grad so wieder raus. Tatsächlich
wurden wir letztens in einem Interview mit einem sehr
bekannten Musik-Magazin gefragt: Wie finanziert ihr
Eure Touren?
Wir sind nur zu zweit, das Meiste, was wir spielen, ist
unsere eigene selbst geschriebene Musik. Wir beziehen niemand anderes mit ein, keinen Manager, keinen
PR-Agenten, da ist niemand, dem wir Antwort schuldig wären und niemand, den wir bezahlen müssten.
Wir haben gelernt, wie wir alles machen müssen. Vom
Booking und der Werbung über das Mischen und
Aufnehmen unserer eigenen Alben. Tatsächlich arbeiten
wir nur mit anderen zusammen, wenn es um die physikalische Herstellung von unseren CDs und T-Shirts
geht. Man kann durchaus sagen, dass es uns ziemlich
gut geht.
Der Tagesjob ist eine entfernte Erinnerung, wir haben
den einen oder anderen Preis auf unserem Weg gewonnen und auch einige großartige Presseberichte und
Airplay im Radio. Das hat geholfen, uns nah und fern
bekannter zu machen. Offenbar haben wir Wellen in
die richtige Richtung geschickt, um das Wissen um
unsere Musik zu verbreiten. So finden wir einfacher
gut bezahlte Gigs. Aber darum ging es nicht während
unseres Experimentes.
Wasser-Prawda | Januar 2015
MUSIK
Das Experiment
Wir waren so verwirrt von der Bemerkung, dass man
auf Tour nicht seinen Unterhalt verdienen könne, dass
wir beschlossen, eine zehntägige Tour zu machen, in
die wir so viele Gigs wie möglich packen wollten. Wir
entschieden uns außerdem, diese Gigs im Norden
Schottlands zu buchen, um das Limit höher zu setzen,
die Kosten zu erhöhen und so unsere Theorie zu testen.
Zusätzlich stellten wir sicher, außerhalb der Saison in
eine Touristenregion zu fahren, damit wir keine künstlich aufgeblasenen Besucherzahlen hätten.
Wir nahmen jeden Gig, der uns angeboten wurde.
Wirklich … alles. So beluden wir am 20. November
unseren Van und fuhren nach Norden.
Der erste Tag brachte uns 80 Pfund bei einem
Hauskonzert, wo der Hut herumging. Am zweiten Tag
nahmen wir 120 Pfund bei einem Pub-Gig ein. Die
Woche ging weiter mit noch mehr schlecht bezahlten
Gigs und kleinen Zuhörerzahlen. Das Meiste, was wir
bei einem einzelnen Konzert einnahmen, wareb 190
Pfund und die CD-Verkäufe.
Wir absolvierten jeden Gig, als würden wir in einem
Stadion spielen. Bei einer Gelegenheit spielten wir für
neun Leute und verkauften acht CDs.
Wir suchten Kontakt zu unseren Zuhörern, gewannen
Freunde und machten uns, um ehrlich zu sein, auch ein
paar Feinde, weil wir standhaft auf den Vereinbarungen
beharrten, die wir für jede Bezahlung vorher getroffen hatten. So sehr wir das Auftreten auch lieben, es
ist immer noch unser Geschäft und manchmal triff t
man auf einen Veranstaltungsort, der auf seinen eigenen
Vorteil bedacht ist. Besonders wenn man die Tour durch
die Pubs macht.
Um zu erfreulicheren Punkten der Tour zu kommen:
Wir mussten in der ganzen Zeit kein Hotel buchen. Wir
verließen uns auf die Freundlichkeit und Großzügigkeit
von Fans und Lokalbesitzers. Und ich glaub, wir haben
dabei einige Freunde fürs Leben gefunden.
Viele Läden spendierten uns als Teil des Deals ein
Dinner und boten uns ein Zimmer mit Frühstück an.
Wir kauften während der ganzen Zeit nur eine Mahlzeit,
und das war an unserem freien Tag. Vielleicht hatten wir
Glück mit der Freundlichkeit, mit der uns Unterkünfte
angeboten wurden. Doch selbst wenn wir jede Nacht für
29
ein billiges Hotel hätten zahlen müssen, wären wir noch
immer in der Gewinnzone. Am Ende unserer zehntägigen Tour (bei der wir neun Auftritte absolvierten) hatten
wir nach Abzug der Kosten einen Profit von ungefähr
1500 Pfund gemacht.
Für manche ist das vielleicht Kleingeld, aber man sollte
im Kopf behalten, dass das ein Experiment war und
wir buchstäblich jeden Gig spielten, der uns angeboten
wurde (Gast bei einem Open Mic, bei herumgehendem Hut, mies bezahlte Pub-Gigs). Wir landeten in der
Gewinnzone, und das war unser Ziel.
Auf jeden Fall kannst Du ebenso hart arbeiten, die
Locations gibt es da draußen. Doch mein Ratschlag
ist, ein wenig gerissener zu sein. Dann kann man noch
weit mehr verdienen.
Als Musiker auf Tour kann man durchaus einen angemessenen Lebensunterhalt verdienen. Schätz Deinen
Wert ein, entwickle einen Sinn fürs Geschäft und werde
kreativ! Es gibt da draußen großartige Locations, und oft
sind es die sich anbietenden Alternativen, die am besten
zahlen, die größte Gastfreundschaft für die Künstler
haben und bei denen man am meisten verkauft und
die meisten Einträge für seine Mailinglisten bekommt.
Man sollte immer um die Ecke denken. So kann das
Konzert in der Wohnung eines Fans leicht mehr als 500
Pfund bringen, wenn es gut geplant und vorbereitet ist.
Und man kann von jedem einzelnen Auftritt etwas
lernen, selbst wenn es nur das ist, dass du sowas nie
wieder machen willst!
Selbst die schlecht bezahlten und schlecht besuchten Gigs können sich auszahlnen mit neu aufgebauten Kontakten und gefundenen Erfahrungen. Wenn
also deine Mutter/Partner/Freund Dir erzählen will,
du könnest als Musiker nicht überleben, und dann ein
paar Leute, die behaupten, sie würden sich auskennnen, ihnen beistimmen, dann beweise ihnen, dass sie
sich irren …
Es sei denn, du willst lieber von 9 bis 5 arbeiten und dich
das ganze Leben fragen, was wäre wenn …
Wasser-Prawda | Januar 2015
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MUSIK
ZWISCHEN LEIDENSCHAFTLICHER
SOULPREDIGT UND RAUHEM BLUESROCK
27.12.2014: TAGLED EYE IN CHEMNITZ
Klar tri man bei „Blues & More“
in Chemnitz auch die altgedienten
Blueser, die schon gar nicht mehr
mitgezählt haben, wie o sie Bands
wie Engerling oder Monokel schon
gesehen haben. Doch daneben
kommen zu den meist im Eiscafé
Temmler sta indenden Konzerten
auch Menschen, die jenseits aller Genre
neugierig auf unerhörte Klänge sind.
Wasser-Prawda | Januar 2015
Beide Gruppen kamen am 27. Dezember
beim Au ri des niederländisch/
amerikanischen Trios Tangled Eye
auf ihre Kosten. Von Raimund
Nitzsche. Fotos: Karsten Spehr.
Es gibt sie tatsächlich auch noch heute, die Bluesszene in
Sachsen. Zwar sind die ursprünglichen Fans inzwischen
mit ihren Helden in die Jahre gekommen, doch immer
wieder finden sich auch jüngere Menschen, die ihre Liebe
zum Blues und ähnlicher Musik entdecken. Zum Glück
gibt es für sie Veranstalter, die sich nicht auf die altbekannten Vertreter der ostdeutschen Bluesszene verlassen,
MUSIK
31
sondern immer auf der Suche auch Geige ein, um den Liedern einen
nach ungewöhnlichen Sounds und ganz eigenen Sound zu verpassen.
unerzählten Bluesgeschichten sind. Vom ersten Moment an kann einen
diese Frau in ihren Bann ziehen.
Bei „Blues & More“ in Chemnitz Und fast könnte man vergessen,
ist der Name Programm: Selbst est- dass Tangled Eye aus drei ganz
nische Vokalmusik konnte man da eigenständigen Musikern besteht,
schon erleben. Aber immer wieder die gemeinsam Musik spielen, die
treten Musiker auf, bekannte und zwischen Bluesrock, psychedelinoch unbekannte, die dem alten schen Klangmalereien und jazziBlues ihre eigene Note verpas- gen Ausflügen pendelt.
sen. Unter den Neuentdeckungen
im Jahr 2014 gehörte Tangled Eye Neben Dede Priest sind das Gitarrist
(Dede Priest - voc, v; Jan Mittendorp Jan Mittendorp, der mal heftig
- g; Jasper Mortier - dr) zu den unge- Bass- und Gitarrenlinien gleichwöhnlichsten und spannendsten. zeitig auf seinem Instument spielt,
Direkt nach den Weihnachtstagen mal spannende Slide-Exkursionen
und mitten hinein in das erste unternimmt. Und dann ist da noch
ordentliche Winterwetter waren sie Jasper Mortier mit seinem meist aufs
extra für ein Konzert nach Sachsen äußerste reduzierten, aber gleichzeigekommen. Und das war kurz gesagt tig kraftvollen und pulsierenden
großartig.
Schlagzeugspiel die Lieder vor sich
her treibt.
Dede Priest ist ein Phänomen. Ihre Wer die Chance hat, sollte Tangled
Stimme kann mal nach leidenschaft- Eye unbedingt live erleben - am
licher Gospelpredigt oder sehnsüch- besten in einem kleineren Club wo
tigem Soul klingen. Im nächsten man wie im Eiscafe Temmler der
Song ist da eine rockende Powerfrau Band dicht auf die Pelle rücken kann
zu hören, die notfalls die Krallen aus- - auf größeren Bühnen bei Festivals
fährt. Und immer wieder setzt sie die etwa kann so eine körperlich fühlteilweise mit Effekten verfremdete bare Spannung schwer entstehen.
linke Seite: Dede Priest
ganz oben: Jan Mittendorp
oben: Jasper Mortier
Wasser-Prawda | Januar 2015
32
MUSIK
Sugaray Rayford
G E R A D L I N I G E S F E S T I VA L J U B I L Ä U M
I N LUZERN
EIN RÜCKBLICK AUF DAS 20. ANNUAL LUCERNE BLUES
FESTIVAL VON KARSTEN SPEHR (TEXT UND FOTOS)
Alljährlich Mi e November steht
das Luzerner Blues Fes val als einer
der letzten im Jahr und eines der
bedeutensten Events der europäischen
Bluesszene an. Diesmal luden die
Macher um den neu gewählten
Präsidenten Mar n „Kari“ Bründler
und Gründer Guido Schmidt zum
20. Mal in die Schweiz ein. Mit
ihrem einzigar gen Konzept und
Wasser-Prawda | Januar 2015
viel Engagement weit ab der leider
zu o Schule machenden Tendenz
zu Headlinern oder allbekannten
Gitarrenakrobaten der Rockmaschinerie
muß man den Hut ziehen - Respekt!
Leider konnte ich in diesem Jahr erst einen Tag später
anreisen, da in Chemnitz der legendäre Otis Taylor ein
Konzert gab. Doch auch bei den Konzerten am Freitag
und Samstag waren noch zehn sehr verschiedene Bands
und durchweg gute Musiker zu erleben.
Natürlich liegt die Messlatte, bei Leuten wie mir die
MUSIK
schon unzählige Konzerte jedweder
Couleur zwischen Blues, Rock und
Jazz im europäischen Raum gehört
haben, ziemlich hoch. Viel hat es
auch mit subjektiven Empfindungen
zu tun, ob einen eine Band mehr
oder weniger anspricht. So empfand
ich das 20. eher als relativ geradlinig und risikofrei. Damit will ich
keineswegs dem Können der gesamten Künstlerriege etwas absprechen.
Heraus stachen für mich die aus
Australien stammende und in L. A.
lebende Kara Grainger mit ihrem
Quartett, die Blueslegende Jimmy
Johnson, die ebenfalls von L.A. kommenden 44‘s, Cyril Neville, Sugaray
Rayford und vor allem die herzerfrischenden Gewinner der EBC von
Riga- A Contra Blues aus Spanien.
Die Newcomerin und Gitarristin
Kara Grainger glänzte mit heißen
Slide-Riffs sowie einer überzeugenden Stimme und vereinte Folk- und
Soulelemente mit Swamp-Blues.
Vor ihrer Zugabe, gab es noch ein
wunderbares angerocktes „Wipping
Post“ der Allman Brothers in ihrer
ganz eigenen Version zu genießen,
ehe der renommierte Gitarrist Kirk
„Eli“ Fletcher zur Band stieß und sie
es nocheinmal richtig los bluesten.
Man darf gespannt sein, was von ihr
noch zu hören sein wird.
Dann war Chicago-Blues angesagt
mit dem 86 jährigen Jimmy Johnson
begleitet von keinem geringeren als
Dave Specter und seiner Band sowie
dem Schweizer Blues- und JazzSaxophonisten Sam Burckhardt.
Johnson bot authentischen Blues
vom Feinsten und auch seine stimmlichen Qualitäten ließen nichts zu
wünschen übrig. Leider gingen mit
33
Herrn Specter an der Gitarre zu oft
die Pferde durch, so dass er Johnson
fast niederbügelte und es meiner
Meinung nach etwas an Respekt
gegenüber dem trotz seiner Jahre
immer noch beachtlich aufspielenden Meister fehlen ließ. Schade.
Es folgte eine geballte Ladung Soul
von Altmeister und Stammgast in
Luzern Otis Clay in ganz großer
Besetzung und seinem Kollegen
Johnny Rawls. Mit den mit
Backgroundsängerinnen standen da
elf Leute auf der Bühne. Wie immer
war das eine tolle Performance, aber
man muß ihn mögen diesen etwas
arg soften Soul.
Schließlich und endlich rockten die
44‘s aus Los Angeles im Quintett
(Johnny Main - Gitarre, Gesang,
Jakob Huffmann - Harmonica,
Jason Lozano an den Drums und
Mike Hightower am Bass), verstärkt durch Kirk „Eli“ Fletcher
an der Gitarre, die Hauptbühne
des Casinos. Optisch wie eine sehr
coole Rockergang einherkommend
zelebrierten sie einen herrlich treibenden Boogie und rauhen, erdigen
zeitgenössischen Blues, der seine
Wurzeln bei Albert Collins, Muddy
Waters oder Howlin Wolf nicht
verheimlichte.
Gefolgt wurde das von einer geballten Ladung aus „afro-amerikanischem“ Entertainment und beachtlicher Gelenkigkeit, des Hünen
Sugaray Rayford, welcher die Bühne
im wahrsten Sinn des Wortes, mit
seiner zehnköpfigen Formation
und wunderbarem Soul und R&B
zum Beben brachte. Specialguest oben: Kara Grainger
Bob Corritore und sein Können unten: Kirk „Eli“ Fletcher
an der Bluesharp in allen Ehren,
Wasser-Prawda | Januar 2015
34
MUSIK
Otis Clay
aber das hatte die Band eigentlich
nicht nötig gehabt. Sugaray, derzeitiger Frontmann der Mannish Boys,
eröffneten auch den letzten Abend
in gleicher furioser Weise mit dem
virtuos agierenden Jonathan Michael
Westerfield an den Saiten und so
Klasse-Nummern wie „Stuck For A
Buck“, „Born Under a Bad Sign“ von
Albert King oder dem Albert Collins
Slowblues „I‘ll Play The Blues For
You“.
Nun war Cyrill Neville, der jüngste
der legendären Neville-Brothers,
mit seinem Quintett an der Reihe.
Mit der Rhythmusgruppe der Royal
Southern Brotherhood (Charlie
Wooton und Yonrico Vondez Scott
) im Rücken legte der Sänger, Poet
und Percussionist mit jeder Menge
groovendem Funky-Soul-New
Orleans-Stoff los und bot eine mitreißende Performance. Auch wunderbare Balladen wie „Something
Got A Hold On You“ oder die
Funknummer „Running Water“
von seinem aktuellen Album „Magic
Honey“ fehlten nicht.
Es folgte der von vielen heiß erwartete zweifache Grammy-Preisträger
Delbert McClinton, ein vielgerühmter Rhythm and Blues-, Soulund Country-Sänger aus Texas.
Handwerklich ließ der 74 jahrige
nichts zu wünschen übrig und die
Fans tobten. Mir war das alles aber
leider, mit Ausnahme von ein paar
Songs wie dem funkigen „Shaky
Ground“, viel zu glattgespült. Das
waren zuviele Gassenhauer-RockAnklänge a la Status Quo.
Schließlich beschloss, wie schon
Wasser-Prawda | Januar 2015
seit vielen Jahren üblich, eine
Zydecoband das Festival auf der
großen Bühne. Diesmal gastierte
Buckwheat Zydeco zu Gast, der auch
schon häufiger bei diesem Festival
gespielt hat. Der oft als Botschafter
der eigentlichen Tanzmusik aus
Louisiana bezeichnete Bandleader
Stanley Joseph Durai ist übrigens
der erste Zydeco-Interpret dessen
Musik auf einem Major-Label veröffentlicht wurde. Zudem hält
er mit seiner Band den Rekord
der drei weltweit meistverkauften
Zydeco-Alben. Natürlich brachte er
im Handumdrehen mit seinen treibenden Rhythmen die Verbliebenen
zum Tanzen. Was ich dabei bemerkenswert fand, sind die häufig einfließenden Jazz-Elemente. Die waren
mit Sicherheit nicht zuletzt seinem
MUSIK
35
The 44‘s
hervorragenden Trompeter Curtis Jr.
Watson geschuldet.
Dann war es auch schon fast
vorbei. Zwei Gigs standen noch
an bzw. überlappten sich teilweise
mit Buckwheat Zydeco. Zunächst
waren das die spanischen Newcomer
und European Blues ChallengeGewinner von Riga 2014 A Contra
Blues. Das junge Quintett überraschte nicht nur mich, denn das
Cassineum füllte sich in Null
Komma Nichts. Herzerfrischend
und mit anscheinender Leichtigkeit
wandelten die Spanier und eine
Spanierin (am Schlagzeug die
junge beeindruckende Núria Perich
Chastang) durch ein sehr vielschichtiges Programm vom Gospel,
Blues, Soul bis R&B und hatten das
Publikum trotz später Stunde auf
ihrer Seite. Eine feine Band, die wir
im Auge behalten sollten.
Beschlossen wurde dann das 20.
Luzerner Blues Festival mit dem
fetten Sound der 44‘s featuring
Kirk „Eli“ Fletcher und jeder Menge
Musikerkollegen, die auch gern
nochmal jammen wollten in den
Morgenstunden. Wir dürfen hoffen
das die Luzerner noch 20 Jahre
weitermachen.
Curtis Jr. Watson (Buchwheat Zydeco)
Wasser-Prawda | Januar 2015
36
MUSIK
NACHLESE 2014: THE
BR ITISH BLUES A LL S TA R S I M
S EEH A US KROTT E NM Ü HL
TEXT UND INTERVIEW: MARIO BOLLINGER. FOTOS: CHRISTOPHE
RASCLE
Als ich den
Veranstaltungshinweis
las, dass eine Band
namens „Bri sh Blues
All Stars“ im Seehaus
Kro enmühl au ri ,
musste ich erst mal
zwei Dinge nachlesen:
Wer waren die Bri sh
Blues All Stars und wo
ist die Loca on?
älteren Bluesgarde, die jetzt mit
Dave Kelly und Gary Fletcher aus
Teilen von The Blues Band besteht
und mit namhaften Musikern wie
dem Drummer Pick Withers (exDire Straits), Zoot Money und Pete
Also, die British Blues All Stars ist Emery ergänzt ist.
die neu arrangierte Version einer Organisiert wurde das Konzert vom
Wasser-Prawda | Januar 2015
MUSIK
37
Blues Club Chiemgau, der mehr oder
weniger als Einmannbetrieb um den
Horst Schmidmayer agiert. Er organisiert schon seit Jahren Konzerte in
der mittlerweile vierten Location im
Chiemgau, also der Gegend um den
Chiemsee herum. Es gelingt ihm
immer wieder, namhafte Bands und
Musiker zu buchen. International
waren hier Devon Allman und Chris
Jagger am Start, aber ebenso wurden
Lokalgrößen wie Dr. Will & The
Wizards, Schorsch und de Bagasch
sowie Reverend Rusty gesichtet. Wer
regelmäßig die Wasser-Prawda liest
oder in Crossroad Cafe auf 98eins
hört, kennt auch BabaJack oder 3
Dayz Whizkey, die auf der Gästeliste Dave Kelly & Gary Fletcher im Gespräch mit Mario Bollinger.
des Chiemgau Blues Club stehen. unten: MB mit Schlagzeuger Pick Withers.
Aber am Abend des 8. Oktobers
2014 gaben sich die British Blues
All Stars auf der Bühne im Seehaus
Krottenmühl die Ehre.
Diese Location ist ohne Navigation
nicht zu finden, aber dafür überrascht eine gute Gastronomie und
ein Saal mit rund 100 Sitzplätzen.
Wie selbstverständlich konnte ich
mit Dave Kelly kurz vorher einen
Interviewtermin vereinbaren und
so standen Dave Kelly und Gary
Fletcher zum kleinen Interview nach
dem Aufbau bereit. Beide kannten
wir ja schon vom Mühldorfer
Konzert von The Blues Band. Auch
Pick Withers erzählte uns einiges aus
seiner Zeit nach den Dire Straits.
Leider kam die Band mit großer
Verspätung an der Location an,
so dass das Interview leicht komprimiert stattfand. Aber Musiker,
die solange im Geschäft sind,
machen einen professionell kurzen
Soundcheck und so hatten wir doch
Dave Kelly: Die BBAS ist eigentlich
eine sehr alte Formation, die 2004
gegründet wurde. Das Ganze geht
WP: Die BBAS (British Blues All aus den Aktivitäten von Bob Hall
Stars) ist eine Formation, die sich mit vielen British Blues Legends
2013 neu gefunden hat. Was ist hervor Mittlerweile sind es komder Unterschied zwischen The plett andere Musiker. Es sind im
Blues Band und der BBAS?
Wesentlichen alte Freunde, die hier
noch etwas Zeit für das Interview.
Wasser-Prawda | Januar 2015
38
MUSIK
wieder auf Tour gehen.
WP: Bist Du zu jung, um zu
Hause zu bleiben, um sich um die
Enkel zu kümmern?
Dave Kelly: Oh ja, aber eigentlich
habe ich schon 4 Enkel.
WP: Ihr spielt jetzt 14 Shows in 15
Tagen. Habt Ihr keine Angst um
Eurer Gesundheit?
Dave Kelly: Nun, ich bin erst 67
Jahre alt und muss noch Kinder
und Enkel versorgen. Aber natürlich
passe ich auf mich auf. Mein Jüngster
ist 16 Jahre als, aber solange ich das
Vergnügen mit dem Geld verdienen
verbinden kann, ist das toll.
WP: Pick Withers, Du kommst
von der Monsterband The Dire
Straits. Was macht für Dich den
Unterschied aus, mit einer Band
wie den BBAS zu spielen?
Pick Withers: Der Blues altert nicht
und auch der Geschmack ändert sich
kaum. Es macht Spaß, das zu tun,
was einem in den Sinn kommt. Ich
habe lange in Italien als Drumlehrer
gelebt, weil mich das mehr ausfüllte
als der Drummer in einer Rockband
zu sein.
W P: Gibt es Pläne für eine
Wiedervereinigung mit den Dire
Straits?
Pick Withers: Nein
WP: Wird es von der BBAS eine
CD geben?
Dave Kelly: Ja, aber sicher
W P: Wer bringt die Gruppe
vorwärts?
Dave Kelly (lacht): Ich und
Gary fahren abwechselnd – ganz
demokratisch.
WP: Ist der 12 Bar Blues ein
Paradigma?
Pick Withers: Ja, für mich steckt da
das Zelebrieren des Lebens dahinter. Aber es ist nicht einfach. Die
Konzertbühnen in UK verschwinden immer mehr. Es frustriert
mich auch, wenn ich sehe, wie die
jungen Menschen an Musik herangeführt werden. Nur wenige junge
Menschen machen sich noch die
Mühe, ein Instrument wirklich zu
lernen. Es ist zu einfach, mit neuen
Medien schlechte Musik zu machen.
WP: Wie alt ist Euer Publikum?
Dave Kelly: Ungefähr so alt wie wir.
W P: Könnt Ihr auch junges
Publikum ansprechen?
Dave Kelly: Gott Sei Dank ja. Es
sind merkwürdigerweise Menschen
im Alter von ca. 20 Jahren unter
unseren Konzertbesuchern.
WP: Kann die Band auch neue
Ideen entwickeln oder sich neuen
Stilen anschließen, wie es z.B.
die Tedeschi Trucks Band oder JJ
Grey & Mofro macht?
Dave Kelly/Gary Fletcher: Wir
hören eigentlich nicht viel andere
Musik. Wenn wir etwas hören, dann
ist es z.B. Country Music. Ich würde
auch gerne mal andere Instrumente
wie z.B. ein Banjo einbringen
WP: Wo seht Ihr den Unterschied
zwischen dem britischen und amerikanischen Blues?
Gary Fletcher: Als Erstes müssen
wir feststellen, dass wir hier nur
den Blues kopieren. Es ist das Erbe
der Amerikaner und afro-amerikanischen Musiker und wir entlehnen
da dieses Erbe. Wir haben hier die
Wiedergabe einer Wahrnehmung,
was wir in Großbritannien als Blues
Wasser-Prawda | Januar 2015
bezeichnen.
WP: Werdet Ihr auch außerhalb
von Europa auftreten?
Dave Kelly: Noch nicht!
Nach dem Abendessen und einer
kleinen Photosession mit Christophe
Rascle standen dann die British
Blues All Start auf der Bühne. Nach
einer Programmansage vom Blues
Club Chiemgau ging es gleich mit
Statesboro Blues in die Vollen. Der
Saal war mit ca. 120 Gästen gut
gefüllt. Da wir hier eine neu formierte Band vor uns haben, gibt
es noch kein CD. Aber jeder der
Musiker hat im Laufe des Abends
seine Soloproduktionen angeboten und daraus Stücke für das
Programm entnommen. Der 2. Song
war der Gary Fletcher Song “My
Love” von seiner CD „Giant from
the Blue“, eine eher bluesige Version
gegenüber der Studioversion. Zoot
Money folgte mit seiner Version von
“It Never Rains But It Pours” von
Jimmy Witherspoon. Hier macht
sich bereits die Bandbreite der Band
bemerkbar. Unver wechselbare
Nummern aus der ganzen Fülle des
Blues. Aus Gary Fletchers Album
gab es dann noch “Can‘t Live With
- Can‘t Live Without”. Mit “Dust
my Blues” erinnerte Dave Kelly an
seine Zusammenarbeit mit Howlin‘
Wolf. Auf seiner CD „We had it all“
ist noch eine Originalaufnahme mit
Dave und Wolf zu hören. In der
großen Zeit des Britischen Blues, als
der amerikanische Blues mal wieder
im Niedergang war, kamen die amerikanischen Größen gerne nach
UK und nahmen sich die lokalen
Bands als Begleittruppe. Daraus
MUSIK
39
ganz oben: Pete Emery
oben rechts: Gary Fletcher
oben links: Dave Kelly
rechts: Pick Withers
Wasser-Prawda | Januar 2015
40
MUSIK
links: Zoot Mooney
rechts: Pick Withers & Gary Fletcher
entstanden viele Kooperationen und
Symbiosen.
Als ich mich in der CD-Verkaufspause
ein bisschen im Publikum umhörte,
entdeckte ich ein älteres englisches Pärchen. Es waren Touristen,
die selbst sehr musikalisch waren.
Durch Zufall fanden sie ein Plakat
oder Konzerthinweis und nahmen
freudig die Möglichkeit wahr,
bei einem Konzert mit der BBAS
einen Abend fern ab der Heimat zu
verbringen.
Dave Kelly präsentierte dann mit
einer ungemein kräftigen Stimme
den BB King Song „Never make
a move too soon“. Der eher introvertierte Pick Withers ließ sich zur
Aussage hinreißen, dass er sehr
erfreut ist, hier zu spielen. Das
Publikum wäre ungemein wertvoll und liebenswürdig. Und Zoot
Money erzählte, dass sie in Wien
gerade mal vor 50 Gästen gespielt
haben. Dieses Kompliment an
das deutsche Publikum hört man
öfters, wenn man mit ausländischen
Bands spricht, die in Deutschland
auftreten.
Zoot Money besticht durch eine ausdruckstarke Interpretation von Soul
und R&B Stücken. Wenn man die
Augen schließt und Zoot zuhört,
könnte man Ray Charles auf der
Bühne vermuten. Es folgen Klassiker
wie die Willie Dixon Nummer „The
Same Thing“ in einer sehr eigenen
Interpretation oder „Sitting on the
dock of a bay“. Wie oben erwähnt,
eine absolut kurzweilige und vielfältige Auswahl von Stücken, die hervorragend zu den Musikern passen.
Heute Abend ist der 7. Gig in dieser
Besetzung und Dave Kelly bestätigte später an der Bar, dass sie
dafür gerade mal 3 Stunden geprobt
haben: „Musik ist eine Sprache die
jeder versteht“.
Mich als Gitarrist beeindruckte
die Tatsache, dass Dave Kelly und
Gary Fletcher sich eine akustische
Gitarre teilen, obwohl Gary Fletcher
ein Linkshänder ist und Dave die
Gitarre mit einer Besaitung für
Rechtshänder benutzt. Während
Dave die Akkorde von oben nach
unten schlägt, muss Gary sie von
Wasser-Prawda | Januar 2015
unten nach oben schlagen. Mit
Songs wie „That‘s why we sing the
blues“ beschließt die British Blues
All Stars den Abend.
INTERVIEW
41
NACH LE SE 2014 T E I L 2: I M
G ES PRÄ C H MIT L E O LYONS
& J OE G OOC H (H S S )
INTERVIEW: MARIO BOLLINGER. FOTOS: CHRISTOPHE RASCLE
Bereits im November
2014 berichteten
wir mit großem
Publikumsinteresse
vom Konzert von
Hundred Seventy Split
HSS im „Legend of
Rock“ in Olching. Vor
dem Konzert konnten
wir mit Leo Lyons
und Joe Gooch, den
Protagonisten der HSS,
ein Interview führen.
WP: Eure aktuellen Tourdaten
beinhalten nur deutsche Städte.
Offensichtlich habt Ihr hier eine
große Fanbasis. Fühlt Ihr Euch
wohl, wenn man in einem Venue
spielt, das „Legends of Rock“
spielt?
Leo Lyons: Legends of Rock, aber
Wasser-Prawda | Januar 2015
42
INTERVIEW
sicher!
WP: Joe, wie entlastend war es,
keine Alvin Lee Solos mehr spielen
zu müssen?
Joe Gooch: Ich hatte nie was
dagegen, Alvin Lee Songs zu spielen
und wir spielen nach wie vor ein paar
Ten Years After Songs in den Sets.
Aber es ist schön, wenn man nicht
mehr auf das originale Material festgenagelt ist.
WP: War es eine Belastung, wenn
das Publikum Alvin Lee Solos
hören wollte?
Joe Gooch: Ich war ganz froh,
dass ich mich wirklich nie hinsetzen musste und die Solos, außer
das Intro von „Goin‘ home“ und
die Hauptriffs, auswendig lernen
musste. Ich war nie ein Alvin Lee
Clone, aber ich erinnere mich, dass
es am Anfang war es komisch war,
als die Leute mich nicht kannten.
WP: Diese Location ist einiges
kleiner als die Bühnen, auf denen
Ihr gespielt habt.
Leo Lyons: Das ist richtig, aber wir
werden wieder auf größeren Bühnen
spielen. Wir nutzen solche Auftritte,
um den Tourkalender zu füllen.
Nachdem wir Ten Years After verlassen haben, mussten wir natürlich den Namen ändern und viele
Fans nicht wussten, wer und wo wir
jetzt sind. Die beiden „Anderen“
(Anmerkung der Redaktion: Chick
Churchill und Rick Lee) haben den
Namen und den Geist von TYA
behalten. Teilweise wissen die Fans
das immer noch nicht. Auch das
andere Management war da nicht
ganz klar und deutlich genug, die
Leo Lyons
Änderungen zu kommunizieren.
ist noch nicht veröffentlicht.
WP: Viele Fans haben TYA nach
Deinem Ausscheiden als beendet
betrachtet.
Leo Lyons: Kann sein.
WP: Auch eine TYA Webseite
bezeichnet Euch Beide immer
noch als Mitglieder.
Leo Lyons: Ja , aber das sollte nicht
mehr so sein. Das war alles sehr
ärgerlich, weil wir uns in einer sehr
negativen Atmosphäre befanden,
aber wir hatten keine Wahl außer zu
gehen. Joe ist darüber immer noch
sehr unglücklich.
WP: Auf Eurem Tourkalender
sind keine Bluesfestivals zu sehen.
Seit Ihr zu hart für Blues?
Leo Lyons: Nein, ich glaube nicht.
Joe Gooch: Wir spielen einen Mix
aus Blues und Blues Rock und da
halt mehr auf der Rockseite. Wir
spielen nächsten Sommer auf einigen
amerikanischen Festivals, aber das
WP: Was sind die Pläne für 2015?
Leo Lyons: Im März und Dezember
touren wir durch Deutschland,
dazwischen spielen wir ein paar
Bluesfestival, im Juli und August
sind auch ein paar Festivals in
den USA geplant. Im Januar 2015
werden wir ein neues Doppel-LiveAlbum veröffentlichen. Jetzt mit
HSS zu starten ist wie mit einer
neuen Band zu starten. Es wäre zu
leicht, sich auf TYA zurückzuziehen und alle würden sagen: Ah ja
Alvin Lee usw. bla bla bla. Das ist
Geschichte und darüber sind wir
hinweg. Die Besucherzahlen bei der
Tour im Oktober und November
sind gestiegen.
WP: Manche Fans haben sich
beschwert, dass Ihr deren Länder
nicht besucht. Welche Länder
wollt Ihr also 2015 glücklich
machen?
Leo Lyons: Wir wollen viele Länder
Wasser-Prawda | Januar 2015
INTERVIEW
43
Leo Lyons: Ich lebe jetzt eigentlich
in Wales. Ich hab noch ein Haus in
Nashville, aber ich sehe mich als in
England ansässig.
„Blues“ nicht mehr verwenden
soll. Die Leute möchten keinen
Blues mehr hören.
Leo Lyons: Ich glaube schon, dass sie
Blues hören möchte. Es ist die Frage,
wie es beworben wird. Das ist das
Wichtige. Wir haben sehr viel junge
Fans und vor allem auch weibliche
Fans, die Blues mögen.
W P: Gibt e s neben der
Doppellive-CD auch eine neue
Studio-CD?
Leo Lyons: Nun, wir haben immer
noch das Album HSS, das nicht mal
12 Monate alt ist. Klar möchten wir
eine Studio-CD machen.
Joe Gooch: Wahrscheinlich machen
wir eine Studio-CD Ende 2016. Das
braucht Zeit.
Leo Lyons: Ja und wir sind halt
viel unterwegs. Wir wollen noch
nach Skandinavien und natürlich
Amerika und natürlich ins UK.
WP: Joe, hast Du noch anderer
Projekte?
Joe Gooch: Ich schreibe ein paar
Songs, die derzeit noch auf meinem
Keystick sind. Ich möchte sie in den
nächsten Monaten herausbringen.
WP: Leo, was machst Du noch
außerhalb von HSS
Leo Lyons: Ich verfolgte früher
noch viele Dinge, aber es kostete
und kostet immer noch viel Zeit.
Vielleicht wird das mal einfacher,
wenn das irgendwie hineinpasst und
wir nicht touren. Als ich mit TYA
unterwegs war, wurden mir viele
Produktionsjobs angeboten. Aber ich
konnte das nie machen, weil wir 365
Tage mit 60-100 Shows im Jahr für
TYA unterwegs waren. Da konnte
ich mich nie verpflichten. Mit dem
HSS Projekt aber haben wir entschieden, dass wir nur monateweise arbeiten. Wenn Du so in Monatsblöcken
arbeitest, hast Du ein besseres Leben
und Zeit, andere Dinge zu entwickeln. Ich werde wohl in Zukunft
da etwas mehr machen, wofür ich
jahrelang keine Zeit hatte. Ich habe
ja ein paar Mal bei Aufnahme mitgespielt, aber…
WP: Mit wem würden Ihr gerne
mal im Konzert spielen?
Joe Gooch: Ich würde gerne mal
mit Jeff Beck spielen. Oder auch für
Ritchie Kotzen, einen Gitarristen,
es gäbe noch viele große Gitarristen,
mit denen ich spielen würde.
WP: Einige britische Musiker WP: Leo, Du lebst sowohl in
erzählen mir, dass man das Wort Großbritannien als auch den USA?
WP: Warum gerade Jeff Beck?
Joe Gooch: Er hat einen tollen Ton,
Joe Gooch
besuchen. Viele Menschen haben
vor allem wegen Großbritannien
gefragt. Ich habe eine paar Leute
im UK kontaktiert, aber es scheint
schwierig für eine Bluesrockband zu
sein, dort zu arbeiten. Tatsächlich
spielen wir auf einem Festival in
Februar, aber …
WP: Warum ist es schwierig?
Leo Lyons: Das ist nicht leicht auszumachen. Es gibt nicht viele Venues
und die Wenigen sind klein und sie
machen keine Werbung. Das Land
scheint Tributebands zu bevorzugen. Die nehmen lieber zehn solche
Bands aus den 60ern mit wenigstens
einem Originalmusiker, die dann
eine kleine Tour machen und die
Leute zum Mitsingen der bekannten
Songs bringen. Es ist ein schwieriger
Markt für Bands, die etwas anderes
machen wollen.
Wasser-Prawda | Januar 2015
44
INTERVIEW
ein super Gefühl, er ist sehr melodisch und ist ein bisschen anders
anders. Oder Scott Henderson.
W P: Leo, mit wem möchtest
Du nach Deinem langen Leben
als professionellen Musiker mal
zusammenspielen?
Leo Lyons: Ich hab keine Ahnung.
Ich weiß nicht… Ich mag Writer
wie John Hiatt und solche Leute.
Springsteen würde mir auch Spaß
machen, aber ich habe ihn nie getroffen, daher kann ich es nicht sagen.
Bass bei TYA? Ich kenne ihn seit
Jahren.
Mike Vernon:
Leo Lyons – er produzierte meine
erste Aufnahme. Ich habe ihn gerade
letzte Woche gesprochen
Georgina Ferry:
Leo Lyons – Ich glaube die kenne
ich nicht.
W P: Sie hat folgendes Buch
geschrieben: Computer Called
LEO: Lyons Tea Shops and the
WP: Ihr seid ein pures Power
World‘s First Office Computer!
Trio: Gitarre mit Gesang, Bass
Leo Lyons: Ach ja, ich kenne sie
und Drums. Werdet Ihr das so
doch, ich habe sie auf meiner
weiter verfolgen oder möchtet Ihr
Webseite verllinkt.
mal ein paar mehr bluesorientierte Instrumente wie akustische WP: Leo, meine letze Frage und
Gitarren, Harps oder Keyboards ich habe sie letztes Mal schon
nutzen?
gestellt: Gibt es Pläne für Deine
Leo Lyons: Das würde das Konzept Rente?
komplett ändern, wenn wir das tun. Leo Lyons. Nein, zurzeit nicht
Joe Gooch: Wir nutzen gelegentlich wirklich. Ich möchte noch so
mal eine Hammond. Manchmal viele Dinge tun. Für mich ist
füllen wir einige Aufnahmen damit Lebensabsicherung nicht so wichtig
und es harmonischer zu machen. wie die Lebensfreude. Ich würde das
Gelegentlich nutzen wir auch Musikmachen nie aufgeben, weil es
Hintergrundgesang, um es etwas zu mir nämlich so viel Spaß macht.
verbessern. Mich persönlich selbst
interessiert die Harmonika nicht.
Leo Lyons: Ich kann mir Jimi
Hendrix nicht mit einer Harmonika
vorstellen. Wir bleiben ein Power
Trio. Aber manchmal nehmen wir
weiblichen Hintergrundgesang dazu.
WP: Wir machen ein Spiel. Ich
nenne Euch 3 Namen und Ihr gebt
mir schnell 3 Kommentare dazu.
Colin Hodgkinson:
Leo Lyons - Der spielt doch jetzt
Wasser-Prawda | Januar 2015
Tourdaten:
13.03.2015 - Kiel – Räucherei
14.03.2015 - Husum - Speicher
17.03.2015 - Berlin - Quasimodo
18.03.2015 - Erfurt - Museumskeller
19.03.2015 - Torgau - Kulturbastion
20.03.2015 - Halle (Saale) - Objekt 5
21.03.2015 - Plauen - Malzhaus
22.03.2015 - Mannheim - Alte
Seilerei
24.03.2015 - Karlsruhe - Jubez
25.03.2015 - Freiburg - Jazzhaus
26.03.2015 - CH-Pratteln - Z7
28.03.2015 - Roth - Bluestage
(Kulturfabrik)
30.03.2015 - A-Salzburg - Rockhouse
31.03.2015 - A-Wien - Reigen
09.05.2015 - Leinfelden - Guitars
United Festival
14.08.2015 - Finkenbach - Finki
Open Air Festival
15.08.2015 - Waffenrod - Woodstock
Forever Festival
A L B U M D E S M O N A T S 45
J OO LS HOL L A N D SIR ENS OF S O N G
ALBUM DES MONATS JANUAR 2015
Für sein neuestes Album hat sich
Pianist/Bandleader Jools Holland
Sängerinnen der verschiedensten Genre
eingeladen. Bei den meist direkt für
das Album aufgenommenen Songs
singen Künstlerinnen wie Joss Stone,
KT Turnstall oder Imelda May ebenso
wie Ruby Turner, Louise Marshall und
Mabel Ray teils Klassiker, teils neue
Songs.
Me“ mit Emeli Sandé.
Und dann sind da noch die beiden Nummern, die live
bei Fernsehsendungen von Holland mitgeschnitten
wurden, die die Frauenriege komplett machen: Mit
Amy Winhouse interpretierte Holland 2006 „Monkey
Man“ und Eartha Kitt sang mit ihm eine großartige
Fassung von „Ain‘t Misbehaving“.
Ein umwerfend gutes Album mit vielen großartigen
Frauenstimmen und tollen Songs.
Raimund Nitzsche
Wenn das Orchester von Jools Holland loslegt, dann
rollt der Boogie, tobt der Swing - und jenseits aller
Fragen nach Retro oder Zeitgemäßheit wird klar, dass
Holland mittlerweile eine der besten Bigbands in
Europa leitet. Und ähnlich wie bei seinem 2011 erschienen Projekt „The Golden Age Of Song“ oder in seinen
Fernsehsendungen hat er auch jetzt wieder die verschiedensten Künstlerinnen überzeugen können, an einem
absolut überzeugenden Album zwischen Swing, Jazz
und Soul mitzuwirken.
Ob Ky l i e Mi n o g u e m i t u n s c h u l d i g s t e r
Kleinmädchenstimme aus Clashs „Should I Stay Or
Should I Go“ einen wilden Ausritt zwischen Pop und
Boogie macht oder das ehemalige Spice Girl Melanie
C Stevie Wonders Weihnachtslied „I Wish“ singt (ja,
das Album erschien in Großbritannien schon rechtzeitig zum Weinachtsgeschäft) - immer findet Holland mit
seinem Orchester dafür den passenden Sound.
Herausragende Stücke sind für mich der gemeinsam
von Holland und Imelda May geschriebene „Top To
Bottom Boogie“, das nur ein wenig an Nina Simone
erinnernde „See Line Woman“ mit Sängerin Laura
Mvula und das toll dahinjagende „Love Me Or Leave
Wasser-Prawda | Januar 2015
46
P L AT T E N
REZENSIONEN A BIS Z
A
Aaron Burton - All Night Long 41
Andy Fairweather Low & The Low
Riders - Zone-O-Tone 41
B
Backyard Band - The Backyard
Band 42
Otis Clay & Johnny Rawls - Soul
Brothers 48
P
Pea And The Pees - Golden
Treasures 48
R
Raphael Wressnig - Soul Gumbo 48
Badge feat. Blind Dog Mayer - They
call me … 42
Roly Platt - Inside Out 49
Bad Temper Joe - Man For The
Road 42
„Sir“ Oliver Mally & Martin
Gasselsberger - This Is The Season
49
Bette Midler -It‘s The Girls 43
Blackout Country - Sad Eyed Ghosts
43
C
Chris Joyner - Domino 44
S
T
The Urban Renewal Project - Local
Legend 50
Tidemore - By The Sea 50
E
Eddie Martin - Blues Took Me
By The Hand Volume 2: Electric
Sessions 44
Erwin Helfer - The Erwin Helfer Way
45
J
Joe Pitts Band - Payin The Price 45
Jonas Alaska - Tonight 46
K
Karen Souza - Essentials II 46
Kyle Reid & The Low Swinging
Chariots - Alright, Here We Go 47
O
Wasser-Prawda | Januar 2015
P L AT T E N
47
chen Touren als Gitarrist Teil von
Claptons Band.
Zusätzlich tourt er regelmäßig mit
Ex-Pink-Floyd Roger Waters und
dem ehemaligen Stones-Bassisten
Bill Wyman. Außerdem hat er mit
dem fast kompletten Who Is Who
des Rock und der modernen Musik
gespielt: Bob Dylan, Elton John,
Dave Crosby, B.B. King, Joe Cocker,
Bonnie Raitt, The Who, Jimmy
Page, Van Morrison, Phil Collins,
The Bee Gees. Die Liste ist scheinbar endlos und eindrucksvoll und
sie illustriert die Bedeutung und das
hohe Ansehen, dass dieser Typ unter
seinen kritischen Zeitgenossen genießt. Eine wichtige Figur, die trotz
der umwerfenden Zeugnisse und
seines Lebenslaufes scheinbar immer
gerade unter dem Radar hindurch
zu rollen scheint.
Jetzt tourt er ausgiebig mit seiAndy Fairweather Low & The
ner eigenen exzellenten Band The
Low Riders - Zone-O-Tone
Low Riders. „Zone-O-Tone“ ist
Andy Fairweather Low ist zweiein Album mit 13 Stücken, die
felsohne ein walisischer Superstar.
Fairweather Lows starke und subWenn man an Wales desnkt, fällt
tile Fähigkeiten als Songswriter
einem vielleicht erst Tom Jons ein.
zeigt zusammen mit wundervolAber man sollte noch mal nachlen Darbietungen eines großartidenken: AFL ist der Typ, der als
gen Quartetts. Das dürfte eines der
Frontmann von Amen Corner
erfreulichsten und glänzendsten
in den 60ern hits wie „Paradise“,
Albums des Jahres sein. Ein absolu„Bend Me, Shape Me“ usw. erfolgter Gewinner! Ein funkelndes Juwel
reich gemacht hat.
von einem wahren Genie. (Proper
In den 70ern kam er im Vereinigten
Records PRPCD 110)
Königreich erneut in die Charts
Iain Patience
mit dem wunderbar farbenfrohen
und bewusst emotionalen „Wide
Eyed And Legless“, bevor er anfing, Clapton die Arrangements
für den Millionenseller „Clapton
Unplugged“ zusammen zu stellen.
Tantsächlich war er in den letzten
paar Jahrzehnten bei den jährlidamit eine wachsende Fangemeinde
und überhaupt Interesse an dem
Mann und seiner Musik. Burton ist
eindeutig hungrig, hofft auf Erfolg
und Rekordumsätze in der europäischen Blues-Arena.
Mit seinem aktuellen Album könnte
er genau das Werk produziert haben,
dass ihn auf die großen Bühnen der
Welt bringen könnte.
Iain Patience
Aaron Burton - All Night Long
„All Night Long“ ist das bislang
sechste Album des Texaners Aaron
Burton und enthält den gewohnten
Mix aus schleppendem SüdstaatenGesang mit tollen unauffälligen
Gitarrenbegleitungen. Hier wird
er begleitet von zwei musikalischen
Freunden, „Stomping“ Bill Johnson
an der Harp und Dirk Cordes an
den Trommelfellen.
Die meisten Stücke sind selbst geschrieben. Aber es wurden auch
Charlie Pattons „Pony Blues“ und
ein Cover von Willie McTells
„Statesboro Blues“ aufgenommen.
Die 14 Stücke des Albums werden in Burtons typischen LaidBack-Stil und und seiner bekannten Sensibilität dargeboten. Immer
gefühlvoll wird das Tempo variiert
und so erhält das Ganze eine immer
passende Stimmung.
Nachdem er 2014 in Europa ein
paar Gigs in Frankreich gespielt hat,
zielt Burton jetzt auf ein Publikum
in Großbritannien und ganz Europa.
Und dabei hat er großen Erfolg.
Das Album ist von Bluesradios im
Vereinigten Königreich schon gehörig gespielt worden und er gewinnt
Wasser-Prawda | Januar 2015
48
P L AT T E N
The Backyard Band - The
Backyard Band
Drei Jugendliche, die mit Stil und
jeder Menge Leidenschaft Blues
und Bluesrock im Stile der 60er
Jahre spielen: The Backyard Band
aus Niedeggen-Rath haben bereits
2013 ihr selbstbetiteltes Debüt veröffentlicht. Und das ist, um es gleich
zu sagen, absolut mitreißend.
Acht Songs in 36 Minuten: nicht nur
von ihrem Stil und dem Auftreten
her erinnern Moritz Zerrgiebel
(g,mharm, voc), Sebastian Kleene
(rhythm-g) und Maximilian Kleene
an britische Bands kurz nachdem
das erste American Folk Blues
Festival zu Gast im Vereinigten
Königreich war. Ihre Songs knallen
voller Unbekümmertheit voll rein,
das Energielevel bleibt konstant am
oberen Anschlag. Und die Texte sind
so, wie man das von Jugendlichen
erwarten kann, die grad mal um die
zwanzig Jahre alt sind. Hier wird
nicht die Welt erklärt, hier wird gerockt, gejubelt oder geklagt.
Wie bei den jungen Stones oder The
Who ganz am Anfang hört man die
großen Vorbilder des Blues in jeder
Note: Chuck Berrys Gefühl für
knallige Riffs, Anklänge an Muddy
Waters natürlich auch (wo ginge es
auch ohne ihn im Blues?). Zuweilen
erklingen auch John Lee Hookers
Boogierhythmen in der Lesart von
Canned Heat oder man fühlt sich
an Bluessongs von ACDC zu Zeiten
von Bon Scott erinnert. Aber all das
in acht eigenen Songs von drei jungen Männern, die niemals wirklichen Unterricht hatten und sich alle
Tricks selbst beigebracht haben mit
Lehrbüchern, Youtube und anderen
Hilfsmitteln.
Hier kann man als geborener
Nörgler nur den Hut ziehen und
sagen: Gut gemacht! Und hoffentlich gibts bald mehr von The
Backyard Band zu hören.
Nathan Nörgel
nen allergrößten Respekt verdient.
Bad Temper Joe geht noch ein ganzes Stück weiter und macht aus dem
kleinen a capella-Spaß von Janis
Joplin einen vor Emotionen schier
überkochenden Blues mit fantastischer Slide-Gitarre.
Zwischen
heftigen
Gefühlsausbrüchen, ein wenig
Ironie und melancholischer
Besinnlichkeit erzählt Joe seine
Geschichten, immer passend untermalt von seiner Lapsteel. Und genau
dass macht diesen jungen Musiker
zu einem der bemerkenswertesten Neuentdeckungen in der deutschen Bluesszene. So stelle ich mir
zeitgenössischen Akustikblues vor:
Ehrlich, mitreißend und gefühlvoll.
Nicht umsonst wählten die Leser
der Wasser-Prawda „Man For The
Road“ auf Platz vier unter den
bemerkenswertesten deutschen
Bluesalben 2014. (Timezone)
Raimund Nitzsche
Bad Temper Joe - Man For The
Road
Im August 2014 trat Bad Temper
Joe in Osnabrück auf und spielte
neben Songs seines Debüts auch
ein neue Lieder und wenige Cover
von Klassikern. Die Intensität dieses
Mitschnitts übertrifft selbst sein sehr
gutes Debüt „Sometimes A Sinner“
aus dem Frühling 2014.
Hut ab! Wer sich an einen Song wie
„Mercedes Benz“ heranwagt, und
sich dabei nicht blamiert, hat mei-
Wasser-Prawda | Januar 2015
Badge feat. Blind Dog Mayer
- They call me …
Harpspieler und Sänger Blind Dog
Mayer hat schon mit Musikern wie
Big Daddy Wilson, Rudy Rotta,
Henrik Freischlader oder Louisiana
Red gemeinsam auf der Bühne ge-
P L AT T E N
standen. Mit der 2009 gegründeten Band Badge hat er Ende 2014
live im Studio eine EP mit fünf
Songs zwischen Rock und Blues
eingespielt.
Zwischen Saarland und Luxemburg
gehören Badge mit Blind Dog
Mayer inzwischen zu den angesagten Bluesbands. Jetzt wollen sie auch
langsam den Schritt aus der Region
wagen. Und dafür ist „They Call Me
…“ wirklich eine gute Visitenkarte.
Ob nun mit dem Opener „Just Your
Fool“ (Buddy Johnson) oder Blind
Dog Mayers Theme-Song „They Call
Me Blind Dog“: der relaxt aber niemals belanglos groovende Blues dieses Quintetts macht nicht nur Spaß,
sondern hat auch eine deutlich eigene Note, zu der nicht nur Mayers
Harp sondern auch die Gitarren von
Jör „Reverend“ Metzinger und Fritz
Schröder und der Rhythmus von
Guido Stachel (dr) und Christian
Weber (b) beiträgt. Hier wird niemals vordergründig auf Show gespielt, sondern immer dezent, präzise und songdienlich. Auch wenn
Klassiker wie „Everyday I Have The
Blues“ interpretiert werden, gerät
das nicht zu einer bloßen Kopie
der großen Vorbilder, sondern lässt
immer auch eigene Ideen erkennen. Neben „They Call Me Blind
Dog“ ist für mich der zweite der eigenen Songs „Way Past Midnight“
das Highlight der kleinen Scheibe.
Hier wird es dann funky und rockig.
Hoffentlich kommt bald ein komplettes Album an.
Nathan Nörgel
49
Interpretinnen des Showbusiness
heutzutage. Manche Songs überzeugen sofort, andere sind für meinen Geschmack ein wenig zu glattpoliert. Aber insgesamt ist „It‘s The
Girls“ ein Album, das von Anfang
bis Ende Spaß macht und zum
Mitsingen einlädt. (Rhino)
Nathan Nörgel
Be e Midler - It‘s The Girls
Lange schon war Sängerin und
Schauspielerin nicht mehr im Studio
gewesen. Jetzt meldet sich die Diva
zurück mit einer Hommage an die
großen Girlbands der 40er bis 60er
Jahre.
Was ist das nur mit dieser
Faszination der Vergangenheit? Seit
Jahren schon widmen sich zahllose
Künstlerinnen und Künstler immer
wieder den Ohrwürmern vergangener Jahrzehnte. Bette Midler hatte
(vor ihrem letzten Studioalbum,
der Weihnachtsplatte „Cool Yule“)
schon die Songs von Rosemary
Clooney gewürdigt. Jetzt holt sie
zum Rundumschlag aus und interpretiert Songs zwischen „Bei mir
bist du schön“, „Be My Baby“, „You
Can‘t Hurry Love“ und als neustem
Track „Waterfall“ von TLC.
Manchmal singt die Midler ganz
klassisch, manchmal macht sie
aus fröhlichen Songs besinnliche
Balladen. Und oder sie verpasst „Mr.
Sandman“ mit Ukelele den Sound
von Hawaii, oder den Supremes
einen Country-Anstrich.
Das ist feinster Pop von einer
d e r w o h l f a s z i n i e re n d s t e n
Blackout Country - Sad Eyed
Ghosts
Teils düsterer, teils melancholischer
und nur selten nach vorne rockende
Popmusik: Beim deutschen Duo
Blackout Country stehen immer die
Texte im Vordergrund, niemals eine
aufgesetzte Radiofreundlichkeit.
Auch auf ihrem vierten Album
werden Gedichte vor allem des 19.
und frühen 20. Jahrhunderts vertont. Beim aktuellen Album „Sad
Eyed Ghosts“ sind erstmals auch
Werke zeitgenössischer Autorinnen
zu finden.
Seit Blackout Country bei Cactus
Rock Records unter Vertrag sind,
hat sich ihr Sound wenn nicht stilistisch verändert, doch auf jeden
Fall deutlich professionalisiert: Hier
hört man jetzt blitzsauber produzierte Songs zwischen Poprock,
Folk und Balladen. Die textlichen
Wasser-Prawda | Januar 2015
50
P L AT T E N
Vorlagen sind breiter geworden.
Klar gibt‘s auch hier wieder Songs
aus Gedichten englischsprachiger Dichter wie Henry Wadsworth
Longfellow, Ella Wheeler Wilcox
oder William Butler Yeats. Doch
finden sich jetzt auch Valeri Dohren
(geb. 1947) oder Tony Karas noch
lebende Lyriker unter den Autoren.
Liebe und Verlust stehen im Zentrum
der so ganz verschiedenartigen
Texte. Über allem schwebt meist
eine leichte Schwermut. Nur selten
rocken die Songs ohne Handbremse
nach vorn. Und waren es in den letzten Jahren oft Songs, die man bei
Freunden düsterer Sounds getrost
auflegen konnte, so sind Blackout
Country inzwischen längst aus dieser Ecke herausgewachsen: „Sad
Eyed Ghosts“ ist ein musikalisch abwechslungsreiches Popalbum nicht
nur für Lyrikfreunde. (Cactus Rock
Records)
Raimund Nitzsche
Chris Joyner - Domino
Er spielt die Keyboards bei Leuten
wie Songwriter Jason Marz, Shelby
Lynne, den Wallflowers und anderen. Das aktuelle Soloalbum
„Domino“ von Chris Joyner ist eine
feine Mixtur aus herzzerreißenden
Popsongs, Soul und Rhythm &
Blues.
Ein geschätzter Kollege meinte zu
Joyner, man könne ihn auf Grund
seines Pianospiels als soulige Variante
von Ben Folds ansehen. Das erfasst
natürlich nur einen Teil der Musik
des Keyboarders aus Los Angeles.
Lieder wie „The Way You Do“ etwa
erinnert manchmal an die romantischen Momente von Folds. Aber
das Klavierspiel von Joyner klingt
in anderen Liedern doch eher nach
klassischem Rhythm & Blues, nach
Boogie oder auch klassischem Soul.
Ergänzt wird sein Piano oft mit
satten Streichern und wenn nötig
auch mit fetten Bläsern. So ergibt
sich ein Soulpop-Album, dass einem
die grauen Winterabend erwärmen
kann. (bandcamp)
Nathan Nörgel
Eddie Mar n - Blues Took Me
By The Hand Volume 2:
Electric Sessions
Den Rückblick auf seine 25jährige
Karriere hat der britische Gitarrist
zweigeteilt. Waren im Frühling seine
akustischen Aufnahmen veröffentlicht worden, so liegt jetzt der elek-
Wasser-Prawda | Januar 2015
trische zweite Teil von „Blues Took
Me By The Hand“ vor: Elf Songs
ausgewählt aus den bislang 13 Alben
zwischen hartem Slide-GitarrenBlues und Bigband Extravaganza.
Eddie Martin dürfte wahrscheinlich zu den vielseitigsten
Blues-Gitarristen im Vereinigten
Königreich gehören. Hier jedenfalls wird der Hörer vom ChicagoBlues über funkige Ausflüge, swingenden Rockabilly-Blues bis hin zu
Gitarrenlinien in der Nachfolge der
drei Kings geführt, ohne dass es jemals langweilig werden würde.
Man darf schon gespannt sein, wie
er sich auf seinem für 2015 angekündigten neuen Album präsentieren wird. Dafür hat er sich exklusiv eine Band von 18 Musikern zusammengestellt, die im September
2014 in einem italienischen Theater
auftrat und auch speziell für diese
Besetzung geschriebene Stücke aufgeführt hat. Bis dahin kann man sich
gerne noch die Zeit mit den elektrischen und akustischen Sessions
vertreiben, die im Übrigen nur als
Downloads erhältlich sind. Nur in
einer einmaligen und streng limitierten Auflage gibt es beide Teile
als Doppelalbum auf der Homepage
des Gitarristen zu erwerben.
Raimund Nitzsche
P L AT T E N
Erwin Helfer - The Erwin
Helfer Way
Die Chicagoer Piano Blues Legende
Erwin Helfer legt mit ‚The Erwin
Helfer Way‘ sein sechstes Album
bei Sirens Records vor. Der mittlerweile 76jährige quicklebendige
Musiker hat die hohe Kunst des
Boogie Woogie Pianos von seinen
legendären Vorbildern Sunnyland
Slim, Pinetop Perkins sowie Jimmy
‚Papa‘ und ‚Mama‘ Yancey erlernt.
Erwin Helfer ist somit als einer der
wenigen verbliebenen authentischen
Pianisten des klassischen Chicago
Blues Pianos regelmäßig auf der
Bühne präsent. In Deutschland erwarten wir seine nächste Tournee in
der zweiten Jahreshälfte 2015.
Dass Erwin Helfer zahlreiche Preise
und Nominierungen erhalten hat,
versteht sich von selbst. Wasser
Prawda wird demnächst ausführlicher über Erwin Helfer, sein Leben
und seine Karriere berichten.
Auf dem vorliegenden Album
präsentiert Erwin Helfer einen
Querschnitt durch die klassische
chicagoer Piano Blues Landschaft
der letzten Jahrzehnte. Wir kennen jedes der Stücke. Er versteht
es, jedem Titel seinen eigenen
Stempel aufzuprägen – das Album
fasziniert vom ersten bis zum letzten Anschlag.
Zur Playlist gehören sowohl
‚Chicken Shack‘ als auch ‚Baby won’t
you please come home‘ und ‚Sweet
Georgia Brown‘. Der mitreißende
‚E&C Boogie‘ wird von Helfer im
Zusammenspiel mit dem großartigen zeitgenössischen Pianisten
Barrelhouse Chuck präsentiert.
Überhaupt wird Erwin Helfer
auf dem Album von einer bemerkenswerten Gruppe hochkarätiger Musiker unterstützt.
Neben Barrelhouse Chuck an
Piano und Orgel ist besonders der
Tenorsaxophonist John Brumbach
(ehem. Chaka Khan) zu erwähnen.
Skinny Williams (ten.sax) ist mit
zwei bemerkenswerten Soli vertreten, der Bassist Lou Marini (ehem.
Blues Brothers Band) und der
Drummer William ‚Bugs‘ Cochran
sind für den Rhythmus zuständig.
Diese Besetzung ist ein absoluter
Leckerbissen für die Fans des traditionellen Chicago Blues.
Übrigens hat die Stadt Chicago
einen Teil der berühmten Magnolia
Street in ‚Erwin Helfer Way‘ umbenannt – damit löst sich auch
das Rätsel um die Namensgebung
des Albums. Schön ist aber auch,
daß Erwin Helfer beim Spielen der
Stücke seinen ‚Erwin Helfer Weg‘
geht.
Die CD ist ein Muß für jeden traditionell orientierten Chicago Blues
Liebhaber! (The Sirens Records
SR5020)
Bernd Kreikmann
51
Joe Pi s Band - Payin The
Price
Es gibt sie doch immer wieder die
schönen Überraschungen. Heute
Morgen fand ich Joe Pitts Live
CD ‚Payin‘ The Price‘ in meinem
Briefkasten.
Die Kritik vergleicht den in Arkansas
geborenen und lebenden Joe Pitts
mit Walter Trout oder Duane
Allman. Ich setze ihn auf eine Stufe
mit dem großen Jimmy Thackery.
Pitts spielt seine Gibson gefühlvoll
mit einer Selbstverständlichkeit
wie dies nur wenigen erfahrenen Gitarristen gelingt. Sie klingt
schwer, heftig und ungemein bluesig. Er verzichtet sowohl auf einen
Gitarrenwechsel als auch auf mehrere Quadratmeter Pedals und den
großen Auftritt.
Joe Pitts ist schon lang im Geschäft.
Seit seinem Studium am Berklee
College of Music ist er als Musiker
unterwegs. Mit seiner Joes Pitts
Band hat er den amerikanischen
Kontinent, Europa und den Rest
der Welt bereist. Wir hatten die
Gelegenheit, ihn in 2011 in der
Blues Garage Isernhagen zu erleben. Ich war seinerzeit von sei-
Wasser-Prawda | Januar 2015
52
P L AT T E N
ner Gelassenheit, seinem klaren
Gesang und seinem beeindruckenden Gitarrenspiel mit längeren
Slideeinlagen begeistert.
Entsprechendes gilt für die
Bandmitglieder, die er als Arkansas
führende Musiker vorstellt: Al
Hagood (Bass), Chris Moore
(drums, perc.) und Don Collins
(Hammond). Alles gestandene
Musiker, die einen hervorragenden
Sound garantieren.
Auf dem Album finden sich
Eigenkompositionen und Cover in
ausgewogenem Verhältnis. Joe Pitts
arrangiert die Cover auf seine sehr
persönliche Art und vermeidet absolut die Langeweile die aufkommen
könnte, wenn man schon wieder
eine Version von ‘Black Cat Bone’
hört.
‘Payin’ the Price’ wurde 2013
open air im Postmaster Grill,
Camden/Arkansas mitgeschnitten.
Ein ganz großes Lob gehört dem
Soundengineer für die hervorragende Soundqualität der CD.
‘Time is running out’, ein eher ruhiger Blues Rock eröffnet den Gig.
‘High Price’ ein Southern Rock Titel
und ‘Grits aint Groceries’ steigern
das Tempo, um dann mit ‘Black
Cat Bone’ wieder etwas ruhiger
anzuschließen.
Robert Johnsons ‘If I Had Possession’
und Joe Pitts ‘Midnight Blue’ (mit
langem ‘Jessica’ Zitat) beenden die
Show. Joe Pitts läuft zu Höchstform
auf, sein Slidespiel ist mitreißend
und atemberaubend.
Mich hat das Album bereits beim
ersten Anhören fasziniert – das
kommt nicht ganz so oft vor. Was
mich besonders fasziniert ist die
Coolness mit der die Band spielt.
Keiner der Musiker verzieht eine
Miene, und warum soll man auf der
Bühne zu viel reden?
Woher ich diesen Eindruck habe?
Es gibt das Konzert auch als DVD
in hervorragender Bild- und
Tonqualität! Ich empfehle dieses Album und die DVD jedem
Bluesfan, der gestandene Musiker
und klaren, gitarrenorientierten,
melodiösen Blues(rock) mag. Joe
Pitts ist ein Muß in der gutsortierten
Plattensammlung. (Kijam Records/
cdbaby)
Bernd Kreikmann
Jonas Alaska stehen oft in gehörigem Kontrast zu bitterbösen Texten.
Hier hat einer nicht nur beim großen Dylan gelernt, sondern auch
noch bei zynischen Kommentatoren
des Zeitgeschehens anderer Couleur.
Die elf Songs auf „Tonight“ machen gewaltig neugierig auf diesen
Songwriter, der mit dem Album
auch auf Tour durch den deutschen Sprachraum kommen wird
und auch bei diversen Festivals in
diesem Jahr auftauchen wird. Eine
echte Empfehlung für Leute, die intelligente Songs wollen und nicht
die immer gleichen SongwriterSeelenschmerzen zu getragenen
Gitarrenklängen. (popup Records)
Raimund Nitzsche
Jonas Alaska - Tonight
In seiner norwegischen Heimat hat
Songwriter Jonas Alaska seit 2011
bereits einige Alben veröffentlicht und dafür diverse Preise abgeräumt. Mit „Tonight“ wird jetzt eine
Zusammenstellung der besten Songs
auch in Deutschland, Österreich
und der Schweiz veröffentlicht.
Nur manchmal wirken die Songs so
unbekümmert jugendlich wie der
Sänger auf dem Cover - etwa in der
ergreifenden Klage „If Only As A
Ghost“. Sonst muss man gehörig
aufpassen, die scheinbar kindlich
frühlichen Melodien der Songs von
Wasser-Prawda | Januar 2015
Karen Souza - Essen als II
Angefangen hat Karen Souza als
Sängerin für diverse House-MusicProduktionen. Doch schon seit
ein paar Jahren hat sie es geschafft,
zu einer ernstzunehmenden JazzSängerin zu werden. Debütiert
hatte sie mit einem Album voller
Jazz-Bearbeitungen von Pop- und
Rocksongs. 2014 erschien dazu mit
„Essentials II“ die Fortsetzung.
Man nehme Hits wie REMs
„Everybody Hurts“, Tanita Tikarams
„Twist In My Sobriety“ oder Bruce
P L AT T E N
Hornsbys „The Way It Is“, eine
loungige Jazz-Begleitung mit dezenten Streichern. Hinzu füge man
eine teils kühle, teils verführerische
Stimme - fertig ist ein Jazzalbum,
dass man auch Jazz-Verächtern vorspielen kann. Karen Souzas Stimme
steht ganz im Zentrum der Scheibe.
Produzent Richard Gottlehrer, der
führer auch schon mit Blondie oder
Richard Hell gearbeitet hatte, hat
die Arrangements ganz darauf zugeschnitten. Und Souza verfällt und das ist der große Pluspunkt der
Scheibe - niemals der Versuchung,
die Songs zu verkitschen.
Ein luftig-lockeres Jazzalbum, das
bekannte und weniger bekannte
Songs in einem eleganten Sound
neu entdecken lässt.
Nathan Nörgel
Kyle Reid & The Low Swinging
Chariots - Alright, Here We Go
Westernswing, New Orleans Jazz,
Blues und Anklänge an den Rock
& Roll der 50er: Für Kyle Reid
sind dies keine akkurrat wiederzugebenden historischen Stile sondern Zutaten, um seine ureigene
musikalische Welt zu erschaffen,
in der er dann von Alkohol, von
Erinnerunggen an die Jugend, an
Tanz und kleinere Affären singt.
Auch so kann man über den Verlust
der Geliebten singen: Er hätte einen
kleinen Whisky getrunken, erzählt
Reid im Opener „Shot of Whiskey“.
Und dann zählt er weitere Dinge
auf, die er genommen hätte oder
getan hat. Und dabei ist „a little take
of reefer“ noch eine der harmloseren Zutaten. Doch die swingende
Musik bewahrt den Song vor der
Trostlosigkeit und macht statt dessen klar, dass all diese Betäubungen
nur zeitweise sind - wie auch die
Freude zuvor.
Reid erzählt von seinem Stolz, der
ihm im Wege steht, der ihm aber
ebenso wichtig ist, wie der Swing.
Wobei der wirklich alle möglichen
Spielarten des Swing andeutet oder
exerziert in seinen Songs: vom countryseligen Westernswing über den
funkigen Swing von Brass Bands
heutzutage bis zu jazzigen Balladen
für die letzten Tanzrunden kurz vor
der Sperrstunde.
Ein oft ruhiges, aber immer spannendes Album nicht nur für
Swingfreunde!
Nathan Nörgel
53
Lighthouse - Lighthouse
Wenn Mats und Linda Brandemark
singen, dass klingt das mal nach radiofreundlichem Poprock, mal nach
Country, meist nach Americana
von der angenehmen Sorte. Als
Lighthouse (nicht zu verwechseln
mit der kanadischen Fusion-RockBand gleichen Namens) haben sie
2014 ein selbstbetiteltes Debüt
veröffentlicht.
Wenn das Album mit „Passing Me
By“ beginnt, ist es eigentlich schon
bei seinem Höhepunkt angekommen: Wie hier die beiden langgedienten schwedischen Rootsmusiker
im Gesang harmonieren und Martin
Högvals Lap Steel begleitet werden,
das macht aus der rockigen Nummer
einen Song, der einen sofort mitnimmt wie ein alter Bekannter. Aber
auch „No U-Turn“ oder „Queen
of Hearts“ sind Songs, die einfach gleich den Weg ins Herz finden. Das ist Americana, wie ich ihn
mag. Manch andere Stücke überzeugen mich nicht im gleichen Maße.
Aber hörenswert ist eigentlich das
gesamte Album.
Raimund Nitzsche
Wasser-Prawda | Januar 2015
54
P L AT T E N
O s Clay & Johnny Rawls Soul Brothers
Das ist eine perfekte Paarung hier
mit Clay und Rawsl, Blues tief
aus dem Herzen und Super Soul.
Wenn Du Soulmusik magst, ist das
für Dich passend. Für mich ist es
ein absoluter Triumpf: Ein Album
mit zehn Stücken in herausragender Qualität, mit großartigen
Songs, Arrangements und hervorragendem Gesang. Es ist schwer,
ein einzelnes Stück herauszunehmen. „Voodoo Queen“ (gemeinsam
geschrieben von Rawls und dem
Coproduzenten Bob Trenchard)
und der Klassiker „What Becomes
Of The Brokenhearted“ zusammen mit „Living On Borrowed
Time“ (wiederum geschrieben von
Trenchard und Rawls) sind einfach
herausragende Nummern.
Das ist eines von diesen fast klassischen Soul-Alben mit Anklängen
and Motown und Stax aus den
60er und 70er Jahren im Sound
und den themen. Eine volle HornSection klingt nach Stax, während
die Songs nicht nur eine Erinnerung
an Motowns berühmte Genies der
Textschreiberzunft wecken.
Clay ist einer der Männer, die
schon eine lange Zeit aktiv sind (40
Jahre oder mehr), er vollführt sein
Handwerk mit soliden und großartigen Fähigkeiten und einer Menge
Soul. Rawls, ein wenig jünger, ist
nicht weniger talentiert und erfahren. Das ist ein großartiges Album,
das hoffentlich die Geburt eines
neuen Duos markiert, von dem
in den nächsten Jahren noch eine
Menge mehr zu hören sein weird.
Kurz gesagt: Besser kann es kaum
werden! (Catfood Records)
Iain Patience
und zu ein paar Anklänge an den
Beat der 60er, an Punk und ab und zu
an Blues. Songs wie „Superchicks“,
„Moments“ oder auch die tolle
„Supersweet Polka“ machen mir
derartig viel Spaß wie nur wenig
anderes seit dem Debütalbum von
Kathenjammer vor paar Jahren. (off
label records)
Nathan Nörgel
Raphael Wressnig - Soul
Gumbo
Pea And The Pees - Golden
Treasures
Rockabilly, Country oder GaragenFolk: Pea and The Pees servieren ihren
Countrysound mit jeder Menge
Rotzigkeit und Punk-Energie.
Zwei Frauen, drei Männer, teils
aus Karlsruhe, teils aus den Bergen
der Pfalz: das sind Pea And The
Pees. Und wie eigentlich meist bei
Veröffentlichungen bei off label records bekommt man eine mitreißende Musik, die die verschiedensten Stile mit gehöriger Energie vermixt und den Wunsch wachsen
lässt, man könne tanzen.
Hier jedenfalls gibt‘s astreinen
Rockabilly mit Country-Flair, ab
Wasser-Prawda | Januar 2015
Ein Österreicher mit Hang
zum Sound von New Orleans?
Hammond-Organist Raphael
Wressnig hat schon vor mehr als
zehn Jahren ein Album unter dem
Bandnamen New Orleans Organ
Trio veröffentlicht. Jetzt fuhr er in
die Stadt, suchte sich hochkarätige Session-Mitspieler und veröffentlichte mit Soul-Gumbo ein tolles Album zwischen Funk, Jazz und
Soul.
Ich liebe gute Eintöpfe, in deren
Geschmack sich die verschiedensten Geschmäcker vereinen. Gumbo
hab ich noch nie gegessen. Aber es
steht auf der Liste der Gerichte, die
ich am liebsten vor Ort probieren
möchte.
Sessions in New Orleans können
P L AT T E N
wirklich eine ähnliche Magie entwickeln. Dem Dresdner Thomas
Stelzer gelingen seit Jahren immer
mal wieder tolle Alben, wo sich
sächsische Eleganz und der Groove
von Louisiana aufs feinste vereinen.
Auch Raphael Wresnig ist das mehr
als überzeugend gelungen. Grund
dafür ist einerseits natürlich die
Rhythmusgruppe um den ehemaligen Bassisten der Meters George
Porter und Schlagzeuger Stanton
Moore (ehemals bei der Funkband
Galactic). Hinzu kommen Beiträge
von Pianist und Sänger Jon Cleary,
Larry Garner, Walter „Wolfman“
Washington und natürlich auch von
Wressnig langjährigen Mitstreitern
Alex Schultz (g) und Craig Handy
(sax).
Die neun Stücke des Albums bieten
sowohl für Jazzfreunde als auch für
Liebhaber von Blues, Soul und Funk
großartige Unterhaltung - und vor
allem die passende Tanzmusik. Hier
wird niemals akademisch daherimprovisiert, sondern Songs wie „Soul
Jazz Shuffle“, „Mustard Greens“
oder „Soulful Strut“ sind gleichzeitig
Jazz auf höchstem Niveau und mitreißend groovende Tanzmusik. Und
das macht „Soul Gumbo“ zu einer
Empfehlung über die Genregrenzen
hinweg. (Peppercake/ZYX)
Raimund Nitzsche
Roly Pla - Inside Out
Der Kanadier hat mit seinem Spiel
auf der Bluesharp schon Vergleiche
mit Sugar Blue oder Toots Thieleman
herausgefordert. Nach Jahrzehnten
als Begleiter zalloster kanadischer und internationaler Stars
und Soundtracks für Bollywood
ebenso wie für Kinderserien im
Fernsehen hat er jetzt sein eigentliches Debütalbum veröffentlicht.
„Inside Out“ zeigt den Musiker als
Meister der Stile zwischen Blues,
Jazz, Rhythm & Blues und Balladen.
Er wolle lediglich alle 56 Jahre eine
CD veröffentlichen, meint Roly
Platt. Schade eigentlich, wenn man
sich das Ergebnis anhört, was nach
dem ersten reichlichen Jahrhundert
entstanden ist. Hier finden sich
tolle Jazzstücke wie „Congo Strut“
ebenso wie eine scheinbar puristische Darbietung von „Over The
Rainbow“, eine Fassung von Ray
Charles‘ „I Got A Woman“, bei dem
man erst hinterher verwundert feststellt, dass dieses Stück ja auch als
Instrumental famos funktioniert
oder eine relaxte Version von James
Taylors „Bartender‘s Blues“, die
ihrem Namen mehr als gerecht wird.
55
Und bei Rippin It Up“ kommen
dann auch noch Anklänge an den
wilden Piano-Rock von Jerry Lee
Lewis vor seiner ersten Bekehrung
hinzu.
Wie Roly Platt sich mit seinem
Spiel den verschiedensten Stilen
und Stimmungen der Songs anpasst, ist schlichtweg atemberaubend. Ebenso übrigens auch das
Spiel seiner Begleitmusiker. „Inside
Out“ ist ein absoulut großartiges
Harp-Album, das einen immer wieder überraschen wird.
Raimund Nitzsche
„Sir“ Oliver Mally & Mar n
Gasselsberger - This Is The
Season
Oliver Mally, der „Sir“ des Blues
als sanfter Songwriter? Gemeinsam
mit Martin Gasselberger hat er 2014
ein Album für die ruhigen und auch
sentimentalen Stunden des Tages
veröffentlicht.
Es gibt Platten, die packen einen
sofort. Schnell prägen sich Songs
ein, man wippt mit und freut sich
schon drüber, was man denn in der
Kritik schreiben wird. Es gibt auch
Platten, bei denen ist von vornherein klar: Das ist nix, ist entweder
Wasser-Prawda | Januar 2015
56
P L AT T E N
einfach schlecht oder schlicht gesagt nicht, die Art von Musik, die
mich in Bewegung versetzen kann.
Und dann sind da Alben, die man
immer wieder vor sich her schiebt,
bei denen man zunächst nicht weiß,
was man davon halten soll, die auch
nur selten so zur Stimmung passen,
dass man ihnen eine Chance einräumt. „This Is The Season“ ist für
mich eines dieser Alben.
Sanft, besinnlich, melancholisch
und ganz weit fort vom Blues,
den ich von Mally erwartet habe,
perlen die Songs dahin, werden Geschichten erzählt, die sich
erst mal gegen den Lärm vor den
Fenstern durchsetzen müssen. Und
erst langsam wird mir klar, wie schön
dieses Album eigentlich ist: Mallys
Gitarre, Piano oder Akkordeon
von Martin Geisenberger, ab und
zu noch die Stimme von Petra
Linecker - mehr braucht es nicht,
um eine Atmosphäre der Ruhe und
Gelassenheit zu erzeugen. Man
lauscht den teils sehr persönlichen
Geschichten und ist hinterher gleich
selbst versöhnlich gestimmt.
Für die Liebhaber intelligenter Songs und feinster akustischer Musik ist das auf jeden Fall
eine Empfehlung wert. Die reinen
Bluesfans sollten aber vielleicht
die Finger davon lassen. Oder die
Platte bei Nichtgefallen an wirklich gute Freunde verschenken, die
solche Musik zu schätzen wissen.
(Sir-Oliver-Records)
Nathan Nörgel
in ihren Improvisationen erklingen
lässt.
The Urban Renewal Project lässt
keine Zweifel aufkommen: Ob
Swing, ob Funkjazz, Highlife oder
welche Zwischenformen auch
immer: Hier wird mit einer Energie
und Spielfreude musiziert, die dem
Hörer keine Chance lässt, ruhig auf
seinem Sitz zu bleiben und gepflegt
seinen Cocktail zu nippen. Das ist
Jazz zum Tanzen, nicht für akadeThe Urban Renewal Project
mische Debatten und Analysen.
- Local Legend
Ist es möglich, dass die besten Obwohl die Gelehrten hier auch
Jazzplatten zur Zeit die sind, denen genügend zum analysieren finden
man nicht auf den ersten Metern würden.
Raimund Nitzsche
schon anhört, dass sie Jazz sind? Das
zweite Album der kalifornischen
Bigband The Urban Renewal Project
beginnt zwischen Samba und Funk.
Später kommen auch noch afrikanische Rhythmen, Hiphop, ein
wenig Blues und jede Menge Soul
dazu. Was fehlt: die akademische
Bräsigkeit oder die gepflegt blasierte Langeweile, die Jazz-Festivals
für mich in den letzten Jahren so
vernachlässigbar gemacht haben.
Wo anfangen? Vielleicht zuerst
mit Aubrey Logan, Sängerin und
Posaunistin. Wenn sie beim Opener Tidemore - By The Sea
„My Own Way“ loslegt, hat sie Akustischen Folkrock für zwei
einen sofort gefangen: Anfangs Gitarren und zwei Stimmen meint mein, hier eine großartige Tidemore (Andreas & Matthias
Soulsängerin zu vernehmen. Doch Pietsch) pendeln musikalisch irim Laufe des Songs zeigt sie sich gendwo zwischen Dylan, deutauch noch als scattende Vokalartistin scher Schwermut und reduziertem
mit einem Tonumfang, der in den Alternativ-Rock.
höchsten Lagen die Gläser zum Das feine Label Timezone Records
Vibrieren bringt. Und überhaupt aus Osnabrück lässt sich stilistisch
dieses Lied: Es beginnt als Mixtur nicht wirklich festlegen: Vom defaus Soul und Samba, wird zwischen- tigen Bluesrock bis hin zu Singer/
durch zum Hiphop, bevor die Band Songwriter-Alben oder gar einmal
dann noch alle möglichen Jazzstile klassische Chormusik reichten die
Wasser-Prawda | Januar 2015
P L AT T E N
Autofahrten oder einsame Abende
ist das genau die richtige Mixtur!
(Stormy Monday Records)
Nathan Nörgel
Various - Blues & Boogie Vol.
7
Pünktlich zum Jahresende veröffentlicht Stormy Monday Records
seinen jährlichen Sampler. Auf der
siebenten Ausgabe von „Blues &
Boogie“ reicht die Bandbreite vom
Bluesrock von Back On The Road
bis hin zum Pianoblues von Nico
Brina, vom Akustikblues bis hin zu
klassischen Boogie Woogie.
We n n m a n g e l e g e n t l i c h e n
Blueshörern ein schönes Geschenk
machen will, dann sind die
Labelsampler des kleinen deutschen Labels immer eine gute
Empfehlung. Denn von ganz traditionellen Sounds bis hin zu deftigen Bluesrocksounds ist für jeden
Geschmack was dabei. Zu den längst
bekannten Bands und Musikern
wie Steve Big Man Clayton, Black
Patti oder The Crazy Hambones
hat Stormy Monday in den letzten Jahren immer wieder auch
neue Künstler entdeckt, die sich
schnell in die Ohren der Fans gespielt haben. Hier kann man Back
On The Road ebenso einsortieren wie The Dynamite Daze oder
auch zuletzt Nico Brina. Auch für
Anzeige
Richard Koechli
Vom AMA-Autor
(«Slide Guitar Styles»,
«Masters of Blues Guitar»,
«Best in the West») und
Blues
Dem
Swiss Blues AwardGewinner 2013
auf den Fersen
Roman
Im Buchhandel oder bei www.tredition.de
Alben, die hier in der Redaktion ankamen. Eine Liebe des Labels allerdings gehört eindeutig Künstlern,
die jenseits oder zwischen allen
Klischees ihre eigenen Songs schreiben. Tidemore passen da genau rein.
Der Folkpop der zwei in Berlin
wohnenden Brüder besticht mit
feiner Melancholie und emotionalen Ausbrüchen (wenn nötig)
und Texten, die mal auf Englisch,
manchmal auch auf Deutsch den
hiesigen Alltag reflektieren.
Allerdings: für mich fallen die deutschen Texte da gehörig ab - hier passen für mich die sprachlichen Bilder
oftmals nicht zusammen, erscheint
der Abstand zur Banalität zu gering. Auch fügen sich die deutschen
Texte nicht so zwanglos in die wirklich schönen Melodien ein, die das
Duo schreibt. Das ist schade, hier
sollten sie in den nächsten Jahren
noch ein wenig arbeiten. Denn eigentlich wäre so ein akustischer
Folkpop ganz in Deutsch eine gute
Idee. Aber verdammt schwer umzusetzen ist sie natürlich, wenn man
es denn richtig gut hinkriegen will.
(Timezone Records)
Nathan Nörgel
57
Was geschah wirklich damals - bei Robert Johnson & Co ?
Der Musik-Roman!
tredition-Verlag (Taschenbuch, Hardcover & e-book)
Was steckt hinter dem geheimnisvollen «Mojo»
des Blues? Was geschah damals wirklich bei
Robert Johnson & Co.? Richard Koechlis Buch
nimmt den Leser mit auf eine abenteuerliche Gedankenreise zu den Tempeln der afroamerikanischen Musikseele - und sorgt mit Humor, Tiefsinn
und Verschrobenheit dafür, dass die berühmten
blue notes uns erst recht keine Ruhe mehr lassen.
Infos: www.richardkoechli.ch
Wasser-Prawda | Januar 2015
58
F E U I L LTO N
L I TER ATUR A BC: A W I E A U T OR
Von Sybille König
„Der Autor ist tot“
postulierte Roland Barthes schon vor ungefähr 50
Jahren. Demnach hat der Autor gar keine Bedeutung
mehr für die Literatur. Doch wer schreibt dann die
ganzen Bücher?
Ist Roland Bathes nicht selbst ein Autor?
Was er genau mit seinem fast polemischen Satz sagen
will, hat allerdings weniger mit Mord und Totschlag
zu tun. Ihm geht es hauptsächlich darum, dass bei
der Interpretation eines Texts Informationen über den
Autor keine Rolle spielen dürfen. Der Autor ist nicht
Wasser-Prawda | Januar 2015
gleich Erzähler, wie es viele annehmen. Barthes nutzt
die Wirkung seines Ausspruchs um den Fehlschluss, der
Autor sei der Erzähler ein für alle Mal auszumerzen. Das
Ich im Roman ist nicht das Ich des Autors.
Schaut man nach Synonymen für das Wort „Autor“ liest
man „Schöpfer“, „Schreiber“, „Schriftsteller“, „Urheber“
und „Verfasser“. Der Autor ist aktiv, er ist also alles andere
als tot. Und selbst wenn der ein oder andere bereits das
Zeitliche gesegnet hat, so führen ihre Figuren meist ein
überdurchschnittlich langes Leben.
FILM
59
J ER S EY BOYS (C L I NT E A S T W OOD )
VON RAIMUND NITZSCHE
Als Musical begeistert „The Jersey
Boys“, die Geschichte um Franki Valli &
The Four Seasons Besucher zwischen
Broadway, Vegas und London. Doch
Clint Eastwood wollte keinen MusicalFilm drehen und hat aus der Geschichte
der Band und ihren Songs ein ziemlich konven onelles Biopic gedreht.
Und das ist leider nur zeitweise wirklich
mitreißend.
Der Anfang in Bellville, New Jersey, erinnert ein wenig an
Scorseses Mafia-Filme: Jugendliche in einer Kleinstadt,
die als einzige Chancen zum Ausbruch aus der provinziellen Enge lediglich die Armee (dabei kann man sterben),
die Mafia (auch das kann lebensgefährlich sein) oder das
Berühmtwerden sehen. Frankie Castelluccio ist Lehrling
beim Barbier und darf erstmals den lokalen MafiaBoss Gyp DeCarlo (großartig gespielt von Christopher
Walken!) rasieren. Der liebt seine engelgleiche Stimme.
Seine Freunde um Tommy DeVito (Vincent Piazza)
setzen ihn als Ausguck bei ihren kleineren Einbrüchen
ein, die sie regelmäßig in den Knast bringen. Doch letztlich ist es die Musik, die aus den Jungs etwas Besonderes
Wasser-Prawda | Januar 2015
60
BÜCHER
macht: Als nach rund 45 Minuten (gefühlt wesentlich
länger) Songwriter Bob Gaudio (Erich Bergen) am
Klavier „Cry For Me“ anspielt, und die Jungs nach und
nach alle einstimmen, da erlebt man die Geburt einer
Band mit, die im Doo-Wop dank Vallis Stimme einzigartig ist. Eastwood geht aber auch jetzt noch nicht
von seinem ruhigen und eleganten Erzählstil ab - selbst
mitreißende Musikauftritte der Four Seasons erscheinen so fast statisch und original wie aus dem Fernsehen
der 50er Jahre abgefilmt. Damit verschenkt der Streifen
leider sein größtes Potential: Ein wenig mehr Bewegung,
mehr Aufnehmen der Rhythmen und Melodien hätte
dem Film gut getan.
Irgendwie scheint der Film (wie ein Kritiker anmerkte)
wie in einem Vakuum zu spielen - was jenseits der Musik
und den direkten Erlebnissen der Musiker spielt, spielt
überhaupt keine Rolle.
Auch kann man der Geschichte nicht wirklich ansehen,
was der plötzliche Ruhm der zu 50 Prozent aus ehemaligen Strafgefangenen bestehenden Band wirklich
angetan hat, wie sich ihr Leben dadurch verändert hat.
Von Tour zu Streitereien mit den jeweiligen Frauen oder
Freundinnen plätschert die Erzählung dahin, warum
Wasser-Prawda | Januar 2015
Tommy die Gruppe durch seine ständigen Griffe in die
Bandkasse und Kredite von Mafiosi letztlich an den
Rand der Katastrophe führt, wird auch nicht erklärt.
Musikalisch ist das Ganze auf jeden Fall großartig: Mit
drei Schauspielern, die schon in der Musicalversion auf
Tour waren, hat man geübte und mitreißende Sänger.
Besonders John Lloyd Young als Franki Valli kann
stimmlich absolut überzeugen.
Insgesamt ein Film, bei dem letztlich die Musik das
Einzige ist, was in Erinnerung bleibt. Und so kann man
eigentlich auch zum Soundtrack-Album greifen. Oder
man legt sich einen Sampler zu, der die Karriere dieser
Popgruppe nachzeichnet. Wobei ich den Soundtrack
durchaus empfehlen kann. Den hier kann man
Vergleiche zwischen den originalen Stimmen der Four
Seasons mit den Schauspielern des Films ziehen. Und
das ist faszinierend.
BÜCHER
61
GARY BURNETT: T HE GOS P E L
A CCO RD ING TO T HE B L U E S
VON RAIMUND NITZSCHE
Was haben die Bibel und der Blues miteinander zu tun? Für den Theologen
und Bluesfan Gary Burne eine ganze
Menge. Schon die Psalmisten, so
meint er in seinem Buch „The Gospel
According To The Blues“ hä en eindeu g den Blues gehabt. Und so unternimmt er den spannenden Versuch,
an Hand der Geschichte des Blues
und des Lebens von Blueskünstlern
aus Vergangenheit und Gegenwart
Vorschläge zum Verständnis der
Bergpredigt Jesu zu geben.
Für weltabgewandte Christen kann das eine echte
Herausforderung sein: Wie kann man Blues und Bibel
in einem Atemzug nennen? Wie kann man überhaupt
davon ausgehen, dass die immer wieder als Musik des
Teufels bezeichneten Songs und ihre Sänger Hinweise
zum Verständnis der Bibel geben könnten? Mit dieser
Debatte hält sich Burnett zum Glück nicht lange auf,
die ist seit Jahrzehnten schon erledigt. Schon allein die
Existenz einer Vielzahl von Bluesmusikern, die eindeutig christliche Inhalte in ihren Songs haben, reicht als
Gegenbeispiel. Der Teufel hat einfach keine Musik!
Die Bibel und die Musik - besonders der Blues - haben
eine Menge gemeinsam. Diese Welt, so sagt es die Bibel,
Wasser-Prawda | Januar 2015
62
BÜCHER
ist eine Welt, die sich absolut in die
falsche Richtung entwickelt hat:
Egoismus, Krieg, Ungerechtigkeit wo man auch hinschaut, liegen die
Dinge im Argen. Schon Jahrhunderte
vor Christus haben die Propheten
das ausgesprochen. Christi Botschaft
war dagegen anders: Er verkündete, dass Gott die Welt verändern,
erneuern, will. Das Reich Gottes ist
nahe herbeigekommen, so fassen
die Evangelien die Kernbotschaft
von Jesu Predigten zusammen. Gott
will diese Welt erneuern - und wer
Jesus nachfolgt, der soll Teil dieser
Erneuerung werden, der ist selbst
mit verantwortlich für das, was in
der Welt geschieht.
Die Erfahrung von Ungerechtigkeit,
von Gewalt und Ausgrenzung, von
Hunger und Elend steht am Anfang
der Musik, die sich zum heute
bekannten Blues entwickelt hat. Der
Bluessänger erzählt von diesem Elend
- und er erweckt Hoffnung bei den
Zuhörern. Der Blues ist im Innersten
nicht pure Widerspiegelung,
sonder n Ü ber w i ndu ng der
Hoffnungslosigkeit. So wie das
Evangelium spricht auch er davon,
dass diese Welt sich ändern kann,
dass sich Dinge zum Besseren
wandeln können und werden.
Der Blues, so Burnett in einem
Interview, war in vielerlei Hinsicht
ein Protestgeschrei, ein Ausdruck
der Schmerzen der afrikanischstämmigen Amerikaner angesichts von
Diskriminierung, Rassismus und
Gewalt im Süden der USA. Auch
heute reflektiert er auf viele Weise
die Erfahrungen von Menschen
überall auf der Welt.
Burnett vergleicht die Erfahrungen
der Zeitgenossen des neuen
Testaments zu Zeiten des Römischen
Reiches mit den Erlebnissen der aus
Afrika Verschleppten, die zwar nach
dem Bürgerkrieg auf dem Papier freie
Menschen waren, denen aber jegliche Rechte abgesprochen wurden.
Und davon ausgehend kann man die
Linie weiterziehen in die Gegenwart
des 21. Jahrhunderts, wo noch
immer Gewalt, Unfrieden und eine
immer schlimmer werdende soziale
Ungerechtigkeit in der Welt zu beobachten sind.
Heute, so Burnett, kümmerten sich die Gesellschaften viel zu
sehr darum, das Leben so einfach
wie möglich zu machen. Für den
Aufschrei der anderen, die in dieser
Welt leben und nicht so gesichert
sind wie wir, für die Leidenden und
Unterdrückten, sind wir taub geworden. Dabei gehöre die Klage über
den Schmerz in der Welt, auch die
Anklage an Gott über den Zustand
der Welt, zum Kern des christlichen
Glaubens. Der Blues könne dabei
helfen, die Schmerzen auszudrücken
- und sie zu verstehen.
Und anders als vielfach missverstanden, geht es im christlichen Glauben
eben nicht um eine Vertröstung auf
eine jenseitige Glückseligkeit sondern
um eine umfassende Transformation
der Welt nach Gottes Plan. Und jeder
Christ ist Teil dieser Veränderung.
Wenn Jesus, so Burnett, in den
Seligpreisungen die Friedensstifter
benennt, dann meint er keine kleine
Elite, dann meint er kein unerreichbares Ideal, an dem wir immer
scheitern müssen. Nein, wer Jesus
nachfolgt, der wird zu jemandem,
der den Frieden im umfassenden
Wasser-Prawda | Januar 2015
Sinne (Schalom) anstrebt, einen
Zustand der Gerechtigkeit, der
Gewaltlosigkeit, des Miteinanders
aller über sämtliche Grenzen und
Ideologien hinweg.
Es geht um diesen Frieden, um
Gottes Gerechtigkeit in Jesu Predigt.
Wer sich das immer wieder vergegenwärtigt, der kann die Bergpredigt
letztlich nicht anders als als konkrete Aufforderung zum eigenen
Handeln verstehen. So zugespitzt
Burnetts These. Und das ist neben
den vielen historischen und theologischen Denkanregungen, die
„The Gospel According To The
Blues“ dem Musikliebhaber, dem
Theologen und dem Christen gleichermaßen liefert, der Kern eines
wirklich wichtigen Buches. Glauben
und Nachfolge Jesu sind eben nicht
außerhalb der Welt, in einer heiligen Nischengesellschaft möglich,
sondern nur aktiv in dieser Welt und
in der Veränderung dieser Welt.
Gary Burne : The Gospel
According To The Blues
Cascade Books 2014
Sprache: Englisch
ISBN-10: 1620327252
ISBN-13: 978-1620327258
Taschenbuch: 17,00 Euro
Kindle-Edition: 9,39
BÜCHER
63
JAM ES BROWN: GOD FAT HE R OF
S O UL. D IE A UTOB I OGR A FI E
VON RAIMUND NITZSCHE
Meine erste bewusste Begegnung
mit James Brown geht zurück in
den Juni 1988. Ich sitze vor einem
kleinen Schwarzweißfernseher und
schaue eine Konzertübertragung
aus Ostberlin. Während vor dem
Reichstag Pink Floyd ein Konzert
auch über die Mauer schallen
lassen, treten auf der Radrennbahn
in Weißensee die Rainbirds und
der „Godfather of Soul“ auf. Keine
Ahnung, wer der arme Oststaar
war, der das Vorprogramm im
„Liedersommer der FDJ“ bestreiten
„durfte“. Das ist auch nicht wichtig.
Auch nicht mehr in Erinnerung
der Auftritt der Rainbirds. Ihren
Song „Blueprint“ wünschen sich
noch heute einige in Kneipen bei
DJ-Abenden.
Aber dann das: Ein Konzert beginnt,
die sich mir so überhaupt nicht
erschließt. Eine Musik, die eigentlich nur noch aus Rhythmus besteht.
Eine perfekt inszenierte Show ganz
um den Star gebaut. Ich verstand
die Musik nicht - und die Power
des Auftritts wollte vom Bildschirm
nicht überspringen. Der Sound war
eh schlimm. Ich schaltete fort. Die
Bedeutung von James Brown war
mir damals nicht bewusst.
Dann kam die Wende und damit
begann die Liebe zu den Blues
Brothers ob im Film oder auf Platte.
Hier als Pfarrer Cleophus James
liebte ich diesen Musiker. Aber
der harte und trockene Funk, die
Brillanz seiner Songs und seiner
Wasser-Prawda | Januar 2015
64
BÜCHER
Shows erschloss sich mir erst, als das
legendäre Album aus dem Apollo
den Weg in meine Sammlung fand.
Hier verstand ich endlich, wie groß
James Brown damals war, wie er mit
seiner Musik den Soul und Funk fast
im Alleingang revolutionierte. Und
ich spürte, wie der Groove seines
Funk noch heute die Leute auf die
Tanzflächen treiben kann - jedenfalls diejenigen Menschen, die nicht
allein nach den maschinellen Beats
von Disco, Techno oder ähnlichen
Sounds tanzen können.
In der jetzt bei Heyne neuveröffentlichten Autobiografie „Godfather of
Soul“ spielt der Osten Deutschlands
keine Rolle. Schließlich geht der ursrpüngliche Text auf das Jahr 1986
zurück, als gerade Browns großes
Comeback in den Staaten am Laufen
war. Später wurde es mit mehreren
Vor- und Nachworten immer auf
den aktuellen Stand gebracht.
Brown inszenierte seine Musik und
sein Leben immer bis zur Perfektion.
Und so lesen sich auch seiner
Erinnerungen. Hier schreibt einer,
der sich an seine Jugend in absoluter Armut erinnert, der es aber
durch seine Musik geschaff t hatte,
zu einer reichen und einflussreichen Person zu werden. Farbig und
mitreißend können wir dem Leben
eines jugendlichen Strafgefangenen
hin zur Soulmusik verfolgen, lesen
über die Entwicklung der Musik
zwischen Gospel und Rhythm &
Blues hin zum Soul, über Musiker
u nd Plat ten macher. Brow n
erzählt von seiner Rolle in der
Bürgerrechtsbewegung ebenso wie
über Begegnungen mit Politikern.
Gerade in späteren Zeiten werden
persönliche Fehler nicht wirklich
eingestanden, sein persönlicher
Wasser-Prawda | Januar 2015
Drogenkonsum, die Anklagen
wegen häuslicher Gewalt und
anderes blendet er komplett aus.
Darauf gehen dann zum Glück die
diversen Ergänzungen ein.
Insgesamt eine unverzichtbare
Lektüre für alle, die sich mit der
Geschichte des Souls beschäftigen
wollen.
James Brown: Godfather
of Soul. Die Autobiografie
Aus dem Amerikanischen von
Lore Boas. Vollständig überarbeitet von Tim Jürgens.
Heyne 2014
Broschur, 496 Seiten
ISBN: 978-3-453-64060-3
€ 9,99
SPRACHRAUM
65
EIN B R I E F A N D E N H E R R N
F RANZ KAF K A , B E R L I N STEG L I T Z , 19 2 3
AUS UWE SAEGER: EIN MENSCH VON HEUTE. 2. AUFLAGE
FREIRAUM-VERLAG GREIFSWALD 2015
Dora Diamant berichtet in „Mein Leben mit Franz
Kafka“ folgendes: Bei einem Spaziergang im Steglitzer
Park trafen sie – D. D. und F. K. – ein kleines Mädchen,
das weinte und verzweifelt schien, weil es seine Puppe
verloren hat. Franz K. erfindet, um den Kummer der
Kleinen zu mildern, sofort eine Geschichte, dass der
Puppe nichts passiert ist, sie unternimmt eine Reise, so
was ist doch nichts Außergewöhnliches. Das Mädchen ist
misstrauisch, und so eine Erklärung bringt ihr die Puppe
auch nicht zurück. Und so setzt Franz K. hinzu, dass
er es ja ganz genau wissen müsse, denn die Puppe hätte
ihm einen Brief geschrieben, in dem sie alles erklärt, er
Wasser-Prawda | Januar 2015
66
SPRACHRAUM
hätte den Brief bei sich zu Hause auf dem Schreibtisch
liegen lassen, aber wenn das Mädchen es wolle, würde
er ihn morgen mitbringen und ihr vorlesen. Natürlich
wollte die Kleine das und Franz K. machte sich, in die
Wohnung zurückgekehrt, sofort daran, diesen Brief zu
schreiben.
Dieser Brief und auch die folgenden, denn das „Spiel“
(so D. D.) dauerte mindestens drei Wochen, weil die
Puppe ja verschwunden blieb und Kafka ein „richtiges
Ende“ (so D. D.) finden musste, das heißt, „es musste
die Ordnung ermöglichen, die durch den Verlust des
Spielzeugs heraufbeschworene Unordnung abzulösen“
(so D. D.), sind nicht erhalten. Wahrscheinlich hat sie
die Korrespondenz, dem Wunsch Kafkas entsprechend,
mit anderen Texten vernichtet.
Es sei noch erwähnt, dass Kafka in seinem letzten
Puppenbrief sich von der Puppe mitteilen lässt, dass die
Puppe in Heiratsvorbereitungen stecke – dass sie liebt
und geliebt wird, hat Kafka sicherlich nicht geschrieben
– und somit ein Wiedersehen nicht mehr zu ermöglichen sei.
Dass Kafka sich mit diesen Briefen in eine Unternehmung
manövriert hat, die den Sinn des Schreibens, der Kunst
per se herausfordert, nämlich Lebenshilfe in einem
Maße und auf eine Art zu sein, die schlicht als Erlösung
zu bezeichnen ist, Erlösung von Zweifeln, Ängsten,
Schuldgefühlen, mag ihm kaum bewusst gewesen sein.
Dennoch, D. D. wird das nicht erfunden haben, ist es
so passiert: Der Schreiber Franz Kafka hat ein kleines
unglückliches Mädchen mit seinem Schreiben von der
Qual des Ungewissen erlöst, er hat die Magie der Worte
einem – das Niedlichst-Tun sei hier gestattet! – kleinen
Glück unterstellt.
Was aber stand in dem ersten Brief, den Kafka schrieb,
nachdem er ihn, gemäß seiner Aussage gegenüber dem
kleinen Mädchen, schon erhalten hatte? (Auch in diesem
Arrangement eine Grundeignung von Kunst: Es beginnt
immer mit einer Lüge.) Und weil das so ist, sei es auch
auf diesem Blatt so in Anspruch genommen und jener
Brief folgend zur Lektüre freigegeben:
machen. Und wenn Sie es fragen, warum, wird sie
weinen und noch unglücklicher wirken. Vielleicht ist
sie’s wirklich? Und sie wird Ihnen antworten, dass sie
deshalb so traurig ist und weint, weil ihre Puppe verschwunden ist und sie nicht weiß, wo und wie sie die
Puppe suchen soll und womöglich findet sie ihre beste
Freundin, es kann sein, dass sie ihre Puppe für Sie so
nennt, niemals wieder, aber sie kann doch nicht einschlafen ohne ihre Puppe, fühlt sich so verlassen, ist so
einsam, so unglücklich. Ach, es wird viel weinen, das
kleine Mädchen. Denn das kleine Mädchen weiß, dass
die Tränen mehr zu bewirken vermögen als Forderungen
und Betteleien. Ja, das kleine Mädchen ist schier krank
vor Sehnsucht nach ihrer Puppe. Dass die Puppe verschwunden ist, ist ein Verlust, der ihr mit nichts zu ersetzen ist.
Und das ist so wahr wie es gut ist.
Aber das schreibe ich nicht, weil es mich stolz macht,
für jemanden unersetzbar zu sein. Nein, denn nur
deshalb, um ihr, diesem kleinen traurigen Mädchen,
das Erkennen meiner Unersetzbarkeit abzuzwingen, bin
ich verschwunden, geflohen. Nun wissen Sie, wer Ihnen
schreibt. Es ist die Puppe, die dem kleinen Mädchen
abhanden gekommen ist.
Wissen Sie es sich zu deuten, wenn ich Ihnen schreibe
– natürlich wissen Sie es, denn Sie sind ja kein Esel
von einem Genie, sondern nur auf schärfere Art verdammt –, dass ich geflohen bin vor den Nächten voller
Nägel und Knoten, voller Schotter und Sturm und
Bissen? Das kleine Mädchen, eine Herrin wie ein auf alle
Kanten scharf geschliffener Stahl, war sehr erfinderisch
in Liebkosungen, die man nie vergisst. Wer soll’s denn
auch glauben, dass Puppen ein Schicksal haben? Puppen
sind die Narren für die Seelen derer, die wie das kleine
Mädchen sind. Und Narren hätschelt und tätschelt man
bestenfalls vor den Augen der Andern. Aber danach?
Sie hat mich gebissen, das kleine Mädchen, sich über
mich gewälzt und mir Arme und Beine zu utopischsten
Stellungen verdreht – wenn’s niemand sah selbstverständlich. Wenn die lieben Eltern – solche kleinen Mädchen
haben immer liebe Eltern – die Tür zu ihrem Zimmer
„Sehr geehrter unbekannter Herr,
zugemacht hatten, zuvor wurden, wiederum selbstverSie werden an einem der kommenden Tage bei Ihrem
ständlich, Küsschen ausgetauscht und schlaf schön und
Spaziergang durch den Steglitzer Park einem kleinen
träum was Schönes gewünscht und versprochen – dann
Mädchen begegnen. Es wird ein trauriges Gesicht
Wasser-Prawda | Januar 2015
SPRACHRAUM
begann mein Leben im Untergrund sozusagen. Aber das
Crescendo der körperlichen Attacken war ein Jux gegen
die gefühlsduseligen Lamenti danach, wenn unsereins ans Herz gedrückt wird und einem ungefragt die
Versprechungen unterstellt werden, dass man immer für
sie da ist – zur Erinnerung: ich, die Puppe, für das kleine
Mädchen! – sie nie verlassen wird, nie, und dieses Nie
wird einem in hundert Jahren und mehr aufgerechnet!
Da, mein sehr geehrter unbekannter Herr, packt auch
unsereins das Grauen, wenn einem die Zukunft entworfen wird als ein Leben wie im Schraubstock. Denn das
war es bis dahin, mein Leben, ein Dasein in der ständig
sich verstärkenden Spannung von Schein und Sein, dass
man dem lieben Kind als liebstes Spielzeug zu dienen
hatte und dafür in duldsam-dankbarer Anwesenheit
auf den nächsten Ausbund der schon beschriebenen
Liebesbezeugungen sich vorbereitete.
Und dann die Vorstellung von dem kleinen Mädchen
als Hundertjährige! Das ist es: Wenn man der Zeit ein
Gesicht geben kann – und was ist Zukunft anderes als
Altern, als ein Progress in den Verfall? –, wenn sich
Zeit, die einem noch versprochene Zeit, anfüllt mit
Versprechungen, von deren Nutzlast man nur erdrückt
werden kann, wenn ... Vor diesem „Wenn“ bin ich geflohen. Mich hat niemand gestohlen, ich bin nicht aus
Versehen vergessen worden und auch kein Hund hat mich
entführt. Flucht, ein wohlkalkuliertes Verschwinden
ist der Grund meiner Nichtmehrverfügbarkeit für die
Notlagen des kleinen Mädchens. Denn, das sei ausdrücklichst verwiesen, ich habe es immer verstanden,
ich habe ihre auf mich zielende launenhafte Bösartigkeit
begriffen als für sie einzigen Ausweg, nicht zu verzweifeln an und in der gebrauchsfähigen Kälte menschlicher
Gemeinschaftlichkeit. Ich konnte dem entkommen.
Ob das kleine Mädchen diese Chance einmal erhält?
Ich weiß nicht einmal, ob ich ihr das wünschen soll?
Denn Menschen brauchen das Wort Freiheit mehr als
einen Zustand, der sie dazu im Stande sein lässt. Die
Menschen ahnen, dass wirkliche Freiheit sie zerstört,
dass sie sich selbst zerstören, sich vernichten in ungezügelter Leidenschaft, wenn sie nicht in Grenzen gehalten,
nach Normen und Gesetzen verfügt werden!
Aber darüber haben Puppen nicht zu befinden.
Warum also schreibe ich Ihnen? Und warum das? Weil
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Sie allein es vermögen, das kleine Mädchen davon abzuhalten, weiter nach mir zu suchen, mir nachzustellen mit
seiner als Sehnsucht getarnten Selbstsucht. Sie darf mich
nicht finden. Um unser beider Willen nicht. Belassen
Sie mich in meinem Glück und geben Sie dem kleinen
Mädchen die Mittel, mich zu vergessen.
Aber keinen Gruß, bitte!
Lügen Sie, mein sehr geehrter unbekannter Herr, ich
weiß, dass meine Hoffnung darauf, mit Ihnen dafür
die richtige Wahl getroffen zu haben, auf gutem Grund
gegründet ist. Nur eine Puppe.“
Wasser-Prawda | Januar 2015
68
SPRACHRAUM
ANTHROPOOVAROPARTUS.
EIN WORT PRO DOMO FÜR SACHVERSTÄNDIGE UND LAIEN
VON HANNS HEINZ EWERS.
Die zweite Dezembernummer der Londoner » Medical
Review« enthielt eine ganz kurze Notiz – die von dort
aus ihren Weg durch alle Blätter der Welt nahm – dass
die beiden Birminghamer Aerzte Prof. Paidscuttle und
Dr. Fesemupp nach langen Versuchen endlich den
Anthropoovaropartus erfunden hätten, das Eierlegen
der menschlichen Frau, das naturgemäss einen ungeheuren Umschwung im Leben der Menschheit hervorzurufen geeignet sei. Die beiden Herren hüteten ihr
Geheimnis vorderhand noch sorgfältig, doch stände zu
hoffen, dass sie in nicht allzu langer Zeit damit an die
Öffentlichkeit treten würden.
Dieser Meldung gegenüber sehe ich mich zur Wahrung
meiner sehr berechtigten Interessen genötigt, öffentlich zu erklären, dass die Idee des Anthropoovaropartus,
des Eierlegens der menschlichen Frau, mir gehört und
von mir zuerst ausgesprochen wurde. Leider bin ich
ein solcher Esel, dass ich darauf weder ein Patent noch
einen Musterschutz genommen habe, und so werden
sich wohl für immer mein Vaterland und ich des ungeheuren Vermögens beraubt sehen, das die Lukrativierung
meines Gedankens naturgemäss erzielt hätte. Wenigstens
aber will ich für uns beide den Ruhm retten. Da die
beiden englischen Gelehrten wahrscheinlich alles daran
setzen werden, um die Priorität des Gedankens des
Anthropoovaropartus mir streitig zu machen, so bin
ich genötigt, die beiden einzigen Zeugen zu nennen,
denen ich von der Sache sprach.
Es sind dies: der Herr Oberlehrer Dr. Schulze in
Köpenick und die Prostituierte Frieda Knäller (polizeilich unbekannten Aufenthalts).
In der Nacht vom 4. zum 5. November 1903 ging
ich mit obbemeldetem Herrn Oberlehrer gegen drei
Uhr früh durch die Friedrichstrasse. An der Ecke der
Oranienburgerstrasse trafen wir die p. Knäller, die unsere
Wasser-Prawda | Januar 2015
Bekanntschaft zu machen bestrebt war.
Ich fühlte das Bedürfnis, diese beiden einander menschlich näher zu bringen, sie zu verkuppeln, wie unzarte
Leute sich auszudrücken belieben, Ich bemerke ausdrücklich, um mir etwaige Unannehmlichkeiten zu
ersparen, dass ich das nicht »gewohnheitsmässig«,
sondern nur bei besonderen Gelegenheiten tue, und
dass ich auch in diesem Falle nicht »aus Eigennutz« handelte; im Gegenteile war ich es, der die dazu nötigen
Speisen und Getränke bezahlte. Man möge daraus, wie
fein ich so die Vorbedingungen des § 180 R. St. G. B.
vermeide, ersehen, dass ich ein ebenso guter Jurist wie
ausgezeichneter Mediziner bin, als welchen mich meine
Entdeckung gewiss qualifiziert.
Ich betrat also zu dem genannten Zwecke mit dem füreinander zu erwärmenden Paare die Kellerdestille zum
»Strammen Hund« Friedrichstrasse 117. Ich kann sagen,
dass ich mit meinen Vorschlägen bei dem Oberlehrer
Herrn Dr. Schulze auf die grösste Bereitwilligkeit stiess,
während merkwürdigerweise die p. Knäller sich durchaus ablehnend verhielt. Um ihren Widerstand gegenüber dem lebhaften Wunsche des Pädagogen zu brechen,
bestellte ich immer mehr anregende Getränke, was zur
Folge hatte, dass unsere anfangs vielleicht leichten und
nicht ganz ernsten Gespräche immer tiefer wurden und
wir uns mehr und mehr in wissenschaftliche Probleme
vertieften. Von der Erziehung, die der Herr Oberlehrer
im Sinne von Wedekinds »Mine-Haha« reformiert wissen
wollte, von der Frauenfrage, deren Lösung sich die p.
Knäller viel eher durch Einführung eines Staffeltarifs
unter Berücksichtigung der notleidenden Landwirte
und der akademischen Jugend versprach, als durch eine
Lysistratisch-Reinhardtsche Streikbewegung, kamen
wir dann auf immer ältere und entferntere Gebiete, bis
schliesslich der Herr Oberlehrer treffend sagte, »dass wir
SPRACHRAUM
auf diese Weise auf das › Ei der Leda‹ zurückkehrten,
während man doch füglich von ihm ausgehen müsste.«
Ich darf wohl sagen, dass in dem Augenblicke, als er
diesen verhängnisvollen Satz aussprach, hundert Worte,
die mir bisher nur Phrasen gewesen waren, zu handgreiflichen Wirklichkeiten wurden. Ich erkannte das
Symbol des verschleierten Bildes von Sais, dessen
Schleier vor meinen Augen zerriss, ich hielt den Stein
der Weisen in der Hand, ich hatte das Ei des Kolumbus
gelegt. Ich seufzte dreimal tief auf, ich fühlte mit tiefer
Erschütterung, dass ich in einer Sekunde die soziale
Frage und alle anderen dazu gelöst hatte. Dem Herrn
Oberlehrer Dr. Schulze, dem ich das verdankte, drückte
ich gerührt die Hand, dann bestellte ich die siebzehnte
Runde Grog. Während das Getränk gebracht wurde,
besann ich mich eine kleine Weile und lud schliesslich, um noch einen weiteren Zeugen zu haben, den am
Nebentische sitzenden Droschkenkutscher 2. Klasse Nr.
7468 zu uns ein. Alsdann erhob ich mich, zog meine
Uhr und hielt folgende Rede:
»Sie wollen sich, meine Damen und Herren, diesen
Augenblick wohl merken, denn er bedeutet in der
Lebensgeschichte der Menschheit den ungeheuersten Umschwung, den sie je gesehen hat. Es ist jetzt
gerade 4 Uhr 19 Minuten! Sie wollen sich ferner meine
Person eingehend betrachten und Ihrem Gedächtnisse
getreu einprägen, denn vor Ihnen steht der Mann, der
der Menschheit in diesem Augenblick das grösste Heil
bringt, das ihr je; widerfahren ist. Sie aber, Fräulein
Knäller, die Sie gerade grunzen, wollen meinen Worten
ganz besondere Aufmerksamkeit schenken, denn Ihnen
hat es das Geschick gegeben, hier zu sitzen, als die
einzige Vertreterin Ihres Geschlechtes, das durch mich
mit einem Schlage zu einer Jahrhunderttausende überspringenden Kultur hinaufgehoben wird! – Wir unterhielten uns vorhin über die Frauenfrage. Was ist es, das
die Frau im Kampfe ums Dasein dem Manne gegenüber immer wieder als den schwächeren Teil erscheinen
lässt? – Wir wissen es alle: es ist ihre sexuelle Funktion.
Es ist die Tatsache, dass sie Kinder tragen und gebären
muss, und die andere, dass sie, wenn das gerade nicht
der Fall ist, doch allmonatlich in oft recht unangenehmer Weise von der Natur an ihre Weiblichkeit erinnert
wird. – Wollen wir je daran denken, die Frauenfrage
69
in ihrer letzten Konsequenz zu lösen, so müssten wir
hier, den Hebel ansetzen. Aber nicht der Gesichtspunkt
allein ist es, der das Kinderkriegen in seiner heutigen
Fassung als unzulänglich und durchaus veraltet erscheinen lässt. Da ist ferner die Moral! – Sie, Herr Oberlehrer,
werden diese Seite besonders würdigen können. Es geht
ja leider nicht an, dass man allen Frauen, die in einiger
Zeit dem Vaterlande neue Söhne zu schenken bestrebt
sind, das Betreten der Strasse verbietet, und so sehen
wir fast alltäglich Frauen und Jungfrauen in höchst despektierlichem Zustande umherwandeln. Was, frage ich
Sie, macht das für einen Eindruck auf unsere unschuldig heranwachsende Jugend? Die harmlosen Kinder
wundern sich, sie fragen und – wie man es auch anstellen möge – sie erfahren doch eines Tages das, was sie
nie erfahren sollten. – Da ist ferner die Hygiene! Ich
frage: ist dieser Zustand der Frau ein gesunder? Einfach
nein! Alle leiden darunter, die eine mehr, die andere
weniger, angenehm aber ist‘s keiner. Und nun erst die
Geburt! Die Schmerzen sollen ja sehr peinliche sein,
und manche Frauen gehen sogar dabei zugrunde. –
Weiter die Aesthetik! Die Zeit der Lucas Cranach und
Holbein, die jeder Frau einen dicken Leib malten, ist
Gott sei Dank vorüber, unserem Schönheitsempfinden
ist so etwas direkt zuwider. Ebenso unästhetisch wirkt
das Neugeborene, ich rede aus Erfahrung, denn ich habe
bei meinem Freunde A. K. Hane einmal eins gesehen.
Ich versichere Sie, es sah aus, wie ein aztekischer, knallroter Frosch. Die Mama fand es freilich sehr schön: ein
gewisses Zeichen dafür, dass Kinderkriegen das ästhetische Empfinden unterminiert! – Brauche ich noch
mehr Beweise dafür anzuführen, dass die heutige Art des
Kinderkriegens eine unwürdige, kulturwidrige, scheussliche ist?
Ich persönlich hätte ja nun gar nichts dagegen,
wenn es überhaupt abgeschafft würde, da ich auf die
Fortpflanzung der menschlichen Rasse gar keinen Wert
lege. Leider legen meine Mitmenschen scheinbar um so
grösseren Wert darauf, – weil sie Esel sind – so bleibt
mir also nichts weiter übrig, als die Tatsache des ewigen
Kinderkriegens fortbestehen zu lassen, ihre Art aber von
Grund aus zu reformieren.
Mein lieber Herr Oberlehrer, auf Ihr Wohl! Sie sagten:
»Man müsse füglich vom Ei der Leda ausgehen.«
Wasser-Prawda | Januar 2015
70
SPRACHRAUM
Und Sie ahnten nicht, was Sie mit diesen Worten den
Menschen schenkten. Ja, wir wollen von der Leda,
diesem Musterbilde der Frauen der Zukunft, ausgehen, von ihr und dem vorbildlichen Ei, das sie legte!
Wir wollen zurückkehren zu ihr, und unsere Frauen
sollen, fürderhin so gut Eier legen können, wie die
Leda es tat! Freilich sind wir sterbliche Menschen, und
wir können nicht wie Jupiter uns in Schwäne verwandeln, tun unsere Frauen zum Eierlegen zu befähigen.
Aber diese kleine Schwierigkeit, die für den Sänger des
schönen Ledamythos nur ein Gott lösen konnte, vermögen wir heute leicht selber zu überwinden: wozu
haben wir denn die Wissenschaft? Betrachten wir
einmal den Vorgang bei einem Huhne. Bei ihm ist der
Teil, in dem sich die Eier entwickeln, der Darm selbst,
so kommt es, dass das Huhn Eier mit Schalen legen
kann, denn der mit der Nahrung aufgenommene Kalk
kann durch den Magen dem Ei zugeführt werden. Bei
der Frau sind Darm und Hystera leider vollständig
getrennt. Was müssen wir also tun? Eine Verbindung
herstellen: eine Uteroenterostomie machen, wie sie der
Professor Babywater von der Havarduniversität längst,
freilich zu ganz anderen Zwecken, mit Erfolg ausgeführt hat. Die kleine Operation wird natürlich möglichst hoch ausgeführt, damit die Verbindung möglichst nahe am Magen ist. Man wird dazu wohl am
besten den Murphyschen Knopf verwenden können.
Es kann als ausgemacht gelten, dass, wenn wir diese
Operation an einer Reihe von Generationen gemacht
haben, in frühester Jugend natürlich, sie bei späteren
Geschlechtern überhaupt nicht mehr nötig sein wird,
dank dem Akklimatisationsprinzip des Organismus an
diese neue Funktion. Unsere Frauen müssen dann viel
Kalk und Phosphor zu sich nehmen, um jederzeit in der
Lage zu sein, die nötigen Eierschalen zu erzeugen. Auch
die durch therapeutische oder mechanische Agenzien zu
bewirkende Hysterokontraktion, die wir bei den ersten
Generationen wohl noch anwenden müssen, um zu einer
beschleunigten Legung der jeweiligen Eier zu kommen,
wird späterhin aus demselben Grunde gewiss nicht mehr
nötig sein; unsere Urenkelinnen werden so leicht und
nett Eier legen können wie das beste Hühnchen. Ein
ganz ähnliches Verfahren aber, wie es der berühmte
französische Geflügelzüchter Poulain d‘Or in Cambray
Wasser-Prawda | Januar 2015
zur Vergrösserung des Ovariums und zur starken
Vervielfältigung seines Inhalts durch die Anwendung von
Yohimbin-Spiegel einerseits und Radiumbestrahlung
zur Vermehrung der Wachstumsenergie andererseits mit
so verblüffendem Erfolge angewandt hat, wird unsere
Frauen instand setzen, nicht nur einmal monatlich,
sondern jeden Tag, ja besonders kräftige Frauen sogar
zweimal am Tag, mühelos ein wunderschönes Ei zu
legen, etwa in der Grösse eines Schwaneneies.
Man denke nur an die Bereicherung unseres
Volkswohlstandes durch die Tätigkeit der Ledas
der Zukunft. Wir haben in Deutschland etwa 20
Millionen Frauen im Alter von fünfzehn bis fünfundvierzig Jahren, diese können täglich bequem 25
Millionen Eier legen, also einen Zuschuss zu unserem
Nationalkonsum, der gerade heute bei der wirtschaftlichen Depression unserem Volkswohlstand sehr zustatten kommen wird. Will jemand ein Ei ausbrüten lassen,
so gibt er es in eine öffentliche Brutanstalt, eine Ovaroembryopaedocouveuse, die eine geniale Verbindung
unserer jetzigen Hühnerbrutanstalten mit den einfachen Embryccouveusen unserer Tage darstellen werden.
Die Verbesserung der Rasse ist nicht der kleinste Vorteil,
der aus meinem Gedanken erwächst. Denn man wird
es natürlich vermeiden, Eier von schwachen, kranken,
dummen, hässlichen Frauen ausbrüten zu lassen, vielmehr dazu nur auserwählte Exemplare von besonders
schönen, starken, gesunden und klugen Frauen nehmen.
Dass man durch meine Idee auch gleich ein halbes
Dutzend anderer Probleme, über die sich heute alle Welt
vergebens den Kopf zerbricht, im Handumdrehen so
nebenher mitlösen kann, ist ohne weiteres klar. So die
soziale Frage: sozialdemokratische Eier werden einfach
nicht ausgebrütet, liberale nur in sehr beschränktem Massstabe. Die Polenfrage, die Judenfrage, die
Zigeunerfrage, die Antimilitaristenfrage: polnische,
jüdische, zigeunerische, antimilitaristische Eier werden
nicht ausgebrütet. Die Negerfrage, die Chinesenfrage,
die japanische Frage für Amerika: Negereier, japanische und chinesische Eier werden nicht ausgebrütet.
Die Balkanfrage, die daher kommt, dass ein Dutzend
Völker dort so wild durcheinander gewürfelt sind, dass
in jedem Dorf einer jeden Landschaft ein anderes haust.
Man teilt einfach das Land ein, in dem einen Gebiete
SPRACHRAUM
werden dann nur bulgarische, in dem anderen griechische, in diesem nur türkische und in jenem nur kutzowallachische Eier ausgebrütet. In einer Generation ist
so alles in bester Ordnung: die Balkanfrage ist gelöst.
Die kriminelle Frage, die religiöse Frage: Verbrechereier,
Atheisteneier und Monisteneier werden nicht ausgebrütet. Am besten wäre es gewiss, überhaupt nur gut katholische Eier ausbrüten zu lassen. Und da ja die moderne
Kunst und das, was mit ihr zusammenhängt, allen Unflat
und Unrat in Wort und Bild auf die Welt trägt, so kann
man auch hier reinigend wirken. Eier, die zu modernen Malern und Dichtern in irgendwelcher Beziehung
stehen, dürfen unter keinen Umständen ausgebrütet
werden. So wird dieser Richtung einfach der Nachwuchs
entzogen und die Kunst ganz von selbst in gut patriotische Bahnen gelenkt.
Der gute Bürger aber, der ein behördliches Zeugnis,
das seine Eierausbrütungsberechtigung bescheinigt, beibringen kann, trägt einfach ein schönes Ei seiner lieben
Frau, oder, wenn die keine extraschönen legen kann, ein
anderes, prächtiges, das er geschenkt bekommen oder
billig gekauft hat, in die Brutanstalt, schreibt seinen
Namen darauf und lässt es in den Glaskasten legen.
Wenn man noch besonderes Interesse hat, kann man
dann und wann hingehen, es zu begucken, namentlich
der Moment ist gewiss lustig, wo der neue kleine Kerl
seine Schale sprengt. Sonst aber kommt man erst nach
zwei Jahren wieder, denn man wird sich den Pappus
ja erst abholen, wenn er ganz stubenrein ist; solange
lässt man ihn in der Ovaro-embryo-paedocouveuse. Die
ganze Indezenz des heutigen Kinderkriegverfahrens ist
so vermieden; die Aesthetik triumphiert und mit ihr die
Moral. Die Frauenfrage ist auch gelöst, die Frau ist dem
Manne vollkommen gleich, da ihre Gesundheit durch
nichts nur ihr Eigentümliches mehr gestört wird. Denn
das bisschen Eierlegen macht ihr keinerlei Beschwerden,
im Gegenteil hat sie vor dem Manne noch einen grossen
ökonomischen Vorteil, denn ein oder gar zwei Eier
täglich sind immerhin etwas wert! Ferner werden auf
diese Weise – –«
Soweit war ich gekommen, als ich bemerkte, dass Herr
Oberlehrer Dr. Schulze stark glucksende Töne ausstiess,
die sich unangenehm in das zunehmende Grunzen der p.
Knäller mischten. Der Droschkenkutscher 2. Klasse Nr.
71
7468 hatte die während meiner Rede inzwischen eingetroffene achtzehnte Runde Grog allein ausgetrunken
und schlief. Ich weckte ihn und machte ihm Vorwürfe
wegen seiner Unachtsamkeit, er versöhnte mich aber
wieder, so dass ich mit ihm Schmollis trank. Dann übernahm er es, mich nach Hause zu fahren und zu Bett zu
bringen. Meinen Freund, den Oberlehrer Dr. Schulze
aus Köpenick, überliessen wir der Obhut der p. Knäller.
Was mit ihnen dann noch wurde, kann ich nicht sagen.
So, das sind die einfachen Tatsachen, denen ich nur
noch eine Hypothese, die ich leider nicht beweisen
kann, hinzufügen möchte. Als ich mich heute auf der
Polizei nach dem jetzigen Wohnorte der p. Knäller
erkundigte, deren Zeugenschaft für meine Priorität des
Anthropoovaropartus mir natürlich wertvoll war, erfuhr
ich, dass sie bereits vor zwei Jahren von Berlin fort sei
und sich vermutlich nach London gewandt habe. Ich
bin überzeugt, dass sie auf Picadilly die Bekanntschaft
entweder des Prof. Paidscuttle oder des Dr. Feesemupp
gemacht und als verräterische Egeria diesen beiden
Herren meine Idee des Anthropoovaropartus eingeblasen hat. Aber mögen diese Söhne Albions immerhin Kapital daraus schlagen, der grosse Gedanke gehört
doch mir: dem ideal veranlagten, humanistisch gebildeten Deutschen.
Wasser-Prawda | Januar 2015
72
SPRACHRAUM
GESCHI C HT E E I N E S R O MA N S
THOMAS WOLFE
Die Geschichte eines Romans
Ein Verlagsleiter, ein Mann, der auch ein guter
Freund von mir ist, sagte mir vor etwa einem Jahr,
es täte ihm leid, dass er nicht Tagebuch geführt hätte
über jene Arbeit, die wir gemeinsam getan haben,
das Zurechtschlagen, Abdämmen, Fliessenlassen,
Auffangen und Zuendebringen, die zehntausend
Anproben, Änderungen, Siege und Übergaben beim
Fertigmachen eines Buches. Manches, bemerkte dieser Mann, wäre phantastisch, vieles unglaublich und
das Ganze erstaunlich gewesen, und obendrein hatte
er die Liebenswürdigkeit, zu sagen, diese Arbeit
stelle die interessanteste Erfahrung dar, die er in den
fünfundzwanzig Jahren seiner literarisch-verlegerischen Herausgebertätigkeit gemacht hätte.
Von dieser Erfahrung möchte ich hier sprechen.
Ich kann keinem Menschen sagen, wie man Bücher
schreibt; ich kann auch nicht versuchen, Regeln aufzustellen, nach denen jemand instand gesetzt sein
würde, seine Bücher bei Verlagen, seine Geschichten bei gutzahlenden Zeitschriften unterzubringen.
Ich bin kein Erwerbsschriftsteller, ich bin nicht
einmal gelernter Schriftsteller, ich bin einfach ein
Schriftsteller, der im Begriff steht, sein Handwerk
zu lernen, der gerade dabei ist, auf den Gebieten der
Linienführung und Baufügung und der sprachlichen
Verdeutlichung jene Entdeckungen zu machen, die
er notwendig machen muss, um die Arbeit leisten
zu können, die er leisten will. Gerade aus diesem
Grund, eben weil ich patze, weil noch meine gesamte Lebenskraft und meine ganze Begabung in diesen
Entdeckungsvorgang einbezogen sind, aus diesem
Grund spreche ich, wie ich hier spreche. Ich möchte
erzählen, wie und auf welche Art und Weise ich ein
Buch schrieb. Das wird äusserst persönlich werden.
Wasser-Prawda | Januar 2015
Die Arbeit an dem Buch nämlich hat mich mehrere
Jahre lang aufs äusserste und heftigste in Anspruch
genommen, ist für mich des Daseins eigenster und
innigster Anteil gewesen. Es ist nichts sehr Literarisches an der Sache. Es ist vielmehr eine Geschichte von Schweiss und Qual und Verzweiflung und
teilweisem Gelingen. Ich weiss noch gar nicht, wie
man eine Geschichte schreibt, ich weiss noch gar
nicht, wie man einen Roman schreibt. Aber ich habe
etwas über mich selbst und über schriftstellerisches
Arbeiten ausfindig gemacht, und wenn ich‘s vermag,
möchte ich sagen, was es ist.
Ich weiss nicht, wann ich zuerst auf den Gedanken
kam, Schriftsteller zu werden. Wahrscheinlich bildete ich mir wie viele Amerikaner meiner Generation
ein, es sei eine feine Sache, Schriftsteller zu sein,
und damit ein Mann wie Lord Byron, Lord Tennyson, Longfellow oder Percy Bysshe Shelley. Ein
Schriftsteller musste wie alle hier von mir Genannten Ausländer sein, und da ich selbst Amerikaner
war, und nicht zur vermögenden oder studierenden
Klasse gehörte, meinte ich, ein Schriftsteller gehöre
einer isolierten Gruppe von Menschen an, zu der ich
nie Zugang haben würde. Ähnlich dachten wir wohl
alle oder doch wenigstens die meisten Amerikaner.
Das seltsame Wesen des schriftstellerischen Berufes
irritiert uns nach wie vor mehr als irgendein anderes
Volk der Erde, das ich kenne. Ich glaube, das ist auch
der Grund, weshalb viele unserer Landsleute, vor
allem die arbeitenden Schichten und die Menschen
vom Lande, von denen ich selbst abstamme, voller
Verwunderung und Zweifel und voller romantischer Gefühle dem Schriftsteller gegenüberstehen.
So können sie sich auch kaum vorstellen, dass ein
Schriftsteller durchaus einer von ihnen sein kann
SPRACHRAUM
und nicht unbedingt ein Mann aus fernen Ländern
sein muss, wie es Lord Byron, Tennyson oder Percy
Bysshe Shelley waren. Andere Amerikaner wieder,
die den akademisch gebildeten Kreisen angehören
und die sich ebenfalls, aber auf andere Art, von
Glanz und Differenziertheit dieses Berufes blenden
lassen, geraten unter den Einfluss der Literatur; ihre
Verständnisbereitschaft geht dann weiter als die
ebenso stark von ihr beeinflusster gebildeter Europäer. Sie gebärden sich flaubertischer als Flaubert.
Die Besten unter ihnen gründen kleine Zeitschriften
und betreiben in ihren Spalten literarische Haarspaltereien, wobei sie dann mehr Haare spalten, als es
sich Europäer je einfallen lassen würden. In Europa fragt man sich: «Mein Gott, wo kommen nur
alle diese ästhetisierenden Amerikaner her?» Wir
kennen das ja alles. Ich glaube, jeder, der in diesem
Lande den Versuch unternommen hat, zu schreiben,
gehörte erst einmal zu einer dieser beiden Gruppen
wohlmeinender aber irregeführter Menschen. Wenn
wir schliesslich wirklich Schriftsteller geworden
sind, so sind wir es trotz dieser Menschen geworden. Ich weiss nicht, wie ich Schriftsteller wurde,
glaube aber, dass in mir eine gewisse Kraft danach
verlangte, zu schreiben, die schliesslich durchbrach
und sich ihren Weg bahnte. Meine Familie gehörte zur arbeitenden Bevölkerung. Mein Vater, ein
Steinmetz, war ein Mann, der der Literatur Achtung
und Bewunderung entgegenbrachte. Er besass ein
erstaunliches Gedächtnis und liebte die Poesie. Und
die Poesie, die er am meisten liebte, war rhetorischer
Art, wie sie ein solcher Mann naturgemäss bevorzugen musste. Trotzdem war es gute Poesie. Hamlets
Monolog, Macbeth, Marc Antons Rede, Greys Elegie
und anderes dieser Art. Ich hörte das alles schon als
Kind, prägte es mir ein und machte es zu meinem
geistigen Besitz. Er schickte mich ins College auf die
Staatsuniversität. Schon während meiner Schultage war der Wunsch, zu schreiben, in mir lebendig
gewesen. Jetzt wurde er noch stärker. Ich war Herausgeber der College-Nachrichten, der CollegeZeitschrift und so weiter. In den letzten ein bis zwei
Jahren meines Studiums gehörte ich einer Arbeits-
73
gruppe für Dramatik an, die man dort kürzlich gegründet hatte. Ich schrieb verschiedene kleine Einakter, zweifelte aber nicht daran, dass ich schliesslich
doch Rechtsanwalt oder Journalist werden würde.
Nie hätte ich ernsthaft gewagt zu glauben, dass ich
wirklich ein Schriftsteller werden würde. Dann ging
ich an die Harvard-Universität. Auch dort schrieb
ich noch einige Stücke und, besessen von der Idee,
Dramatiker zu werden, verliess ich Harvard. Meine
Stücke wurden jedoch abgelehnt. Schliesslich fing
ich im Herbst des Jahres 1926 an, mein erstes Buch
zu schreiben; es war in London. Ich könnte nicht
sagen, wie es dazu kam, warum ich es schrieb, oder
auf welche Weise. Ich bin selbst nie recht dahinter
gekommen, vermute aber, dass die unbestimmte
Kraft in mir, die schon lange zum Schreiben drängte, und die sich ihren Weg bahnen wollte, mich dazu
antrieb. Damals lebte ich ganz allein. Ich bewohnte
zwei Zimmer, ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer in einem Hause, das an einem kleinen Platz in
Chelsea lag, und mit seinen verräucherten Ziegeln,
seinem cremegelben Verputz aussah wie alle Londoner Häuser. Wie schon gesagt, lebte ich damals
allein und dazu noch in einem fremden Lande. Ich
ahnte nicht, warum ich eigentlich dort war, oder
welche Richtung mein Leben nehmen würde, und
in dieser Verfassung begann ich mein Buch zu
schreiben. Ich glaube, das ist die härteste Zeit, die
ein Schriftsteller durchmacht. Es gibt für ihn keine
Vergleichsmassstäbe, kein Urteil von anderer Seite,
an dem er seine Leistung messen könnte. Tagsüber
schrieb ich stundenlang in grosse Geschäftsbücher,
die ich mir zu diesem Zwecke gekauft hatte. Nachts
pflegte ich dann mit hinter dem Kopf verschränkten
Händen im Bett zu liegen und darüber nachzusinnen, was ich an dem betreffenden Tag geschrieben
hatte. Draussen hörte ich den festen Polizeistiefeltritt des Londoner Bobby, der unter meinem Fenster
vorbeiging. Ich erinnerte mich daran, dass ich in
Nord Carolina geboren war und wunderte mich, wie
zum Teufel ich jetzt hier in London in der Dunkelheit zu Bett lag und über Worte nachdachte, die ich
an dem betreffenden Tag zu Papier gebracht hatte.
Wasser-Prawda | Januar 2015
74
SPRACHRAUM
Ein Gefühl äusserster Ausgehöhltheit und Vergänglichkeit überkam mich, und ich stand auf, machte
Licht und las die Worte, die ich an dem betreffenden
Tag geschrieben hatte, nach. Dann wunderte ich
mich wieder: Warum bin ich jetzt hier? Wieso bin
ich hierher gekommen?
Am Tag umgab mich der betäubende Lärm Londons
und das golden-gelb neblige Oktober-Licht dieser
Stadt. Das von Menschen wimmelnde, alte, spinnwebartige, rauchige London! Wie liebte ich diese
Stadt, wie hasste ich und wie verabscheute ich sie!
Ich kannte niemanden hier, und vor langer Zeit war
ich in Nord Carolina ein Kind gewesen. Aber jetzt
lebte ich hier. In zwei Zimmern, in den gewaltigen
Fangarmen des Oktopus, in dem grenzenlosen Spinnennetz dieser überwältigenden Stadt. Ich wusste
nicht, warum ich hierher gekommen war, weshalb
ich überhaupt hier war. Unter solchen Gefühlen und
Gedanken arbeitete ich dort Tag für Tag. Dann kam
ich im Winter nach Amerika zurück und arbeitete
auch dort wieder. Tagsüber gab ich Unterricht und
die ganze Nacht schrieb ich. Schliesslich, zweieinhalb Jahre, nachdem ich in London das Buch begonnen hatte, beendete ich es in New York.
Auch hiervon möchte ich gern erzählen. Ich war damals sehr jung und besass die wilde, überschäumende Vitalität, die einem Mann in diesem Lebensalter
zu eigen ist. Das Buch hatte mich in seinem Bann
und nahm Besitz von mir. Auf eine Art, die – so
glaube ich – sich ganz von selbst herausbildete. Wie
jeder junge Mensch stand ich stark unter dem Einfluss der Schriftsteller, die ich bewunderte. Einer der
führenden Schriftsteller jener Zeit war James Joyce
mit seinem «Ulysses». Ich glaube, das Buch, das
ich schrieb, war stark von seinem Werk beeinflusst
und doch gewannen die kraftvolle Energie und das
Feuer meiner eigenen Jugend darin die Oberhand
und führten schliesslich zu einem ganz persönlichen
Werk. Wie Joyce schrieb ich über Dinge, die ich
kannte, über das unmittelbare Leben und über die
Erfahrung, die mir in meiner Kindheit zuteil geworden war. Ich hatte aber im Gegensatz zu Joyce keine
literarische Erfahrung, hatte nie zuvor etwas verWasser-Prawda | Januar 2015
öffentlicht. Mein Gefühl Schriftstellern, Verlegern
und Büchern, jener fernen Fabelwelt gegenüber, war
fast so romantisch unwirklich, als wäre ich noch ein
Kind. Und doch hatte mein Buch, hatten die Gestalten, mit denen ich es bevölkerte, hatte das Wetter
des Universums, das ich erschaffen hatte, erst einmal
Besitz von mir ergriffen, so schrieb ich und schrieb
mit jenem leidenschaftlichen Feuer, mit dem ein
junger Mensch schreibt, der nie etwas veröffentlicht
hat und der doch sicher ist, dass alles gut werden
wird und gut gehen muss. Das ist eine merkwürdige Sache, und sie lässt sich schwer ausdrücken. Ein
Schriftsteller aber wird mich leicht verstehen. Ich
ersehnte Ruhm wie jeder jugendliche Schreiber. Und
doch war Ruhm ein blendender Glanz, aber auch
eine höchste Ungewissheit.
In meinem achtundzwanzigsten Lebensjahr war das
Buch beendet. Ich kannte keine Verleger und keine
Schriftsteller. Eine Bekannte nahm das unförmige
Manuskript, das ungefähr 350 000 Worte umfasste,
und sandte es einem Verleger ein, den sie kannte.
Nach ein oder zwei Wochen erhielt ich eine Nachricht, die zum Ausdruck brachte, dass das Buch
nicht veröffentlicht werden könnte. Der Kern der
Mitteilung war, dass das betreffende Verlagshaus
im Jahr zuvor verschiedene ähnliche Bücher veröffentlicht hatte, die alle erfolglos geblieben waren,
und dass das Buch in seiner gegenwärtigen Form
ausserdem so dilettantisch, autobiographisch und
unkünstlerisch sei, dass ein Verleger es nicht riskieren könnte, ihm eine Chance zu geben. Ich selbst
war äusserst deprimiert, und die Illusion der Schöpfung, die mich zweieinhalb Jahre genährt hatte, war
inzwischen so abgenutzt, dass ich diesem Urteil
glaubte. Damals war ich Lehrer an einer der grossen
Universitäten New Yorks. Als das Jahr zu Ende ging,
reiste ich ins Ausland. Erst nach sechs im Ausland
verbrachten Monaten erreichte mich die Nachricht
eines anderen amerikanischen Verlegers, dass er
mein Manuskript gelesen habe und gern mit mir darüber sprechen wolle, sobald ich wieder daheim sei.
Am Neujahrstag des gleichen Jahres kam ich wieder
nach Hause und rief am nächsten Tag den Verleger,
SPRACHRAUM
der mir geschrieben hatte, an. Er bat mich, ihn zu
einer Aussprache in seinem Büro aufzusuchen. Ich
begab mich sofort zu ihm, und als ich sein Büro
an jenem Morgen verliess, hatte ich einen Vertrag
unterzeichnet und einen Scheck über 500 Dollar
in der Hand. Es war das erste Mal, soweit ich mich
erinnern konnte, dass irgendjemand mir gegenüber
die Meinung geäussert hatte, dass irgend etwas, das
ich geschrieben hatte, auch nur 15 Cent wert war.
Und ich weiss noch, dass ich das Verlagsbüro an diesem Tage verliess und in den grossen Männer- und
Frauenschwarm tauchte, der sich bei der 48. Strasse
die Fifth Avenue entlang schob, und dass ich mich
plötzlich bei der 11. Strasse befand. Bis heute ist mir
nie klar geworden, wie ich eigentlich dorthin gelangt
war.
Für die nächsten sechs oder acht Monate lehrte ich
an der Universität und arbeitete mit dem Lektor des
Verlages am Manuskript meines Buches. Das Buch
erschien im Oktober des Jahres 1929. Die Erfahrung
mit dem Buch hatte noch immer Elemente jenes
traumähnlichen Schreckens und jener Unwirklichkeit, die das Schreiben für mich gehabt hatte, als ich
es ernsthaft begonnen und in meinem Londoner
Zimmer mit hinter dem Kopf verschränkten Händen dagelegen und gedacht hatte: warum bin ich
eigentlich hier? Die entsetzliche äusserste Nacktheit
der Drucklegung, die für alle Schreibenden mit der
Scham so namenlos verwandt ist, rückte täglich
näher. Dass ich diese Blosstellung ersehnt haben
konnte, vermochte ich nicht zu glauben. Es schien
mir, dass ich mich selbst schamlos blossgestellt
hatte. Und doch hielt mich das Narkotikum meiner
Wünsche und meines Schaffensdranges wie unter
Schlangenblick, und ich konnte nichts anderes tun.
Schliesslich wandte ich mich an den Lektor, der mit
mir gearbeitet und mich entdeckt hatte und fragte
ihn, ob er etwas über Ende und Ausgang meiner Arbeit voraussagen könnte. Er sagte, dass er es vorzöge,
mir lieber nichts zu sagen, da er nicht prophezeien
oder wissen könne, zu welchen Ergebnissen das
Ganze führe. Er sagte: «Ich weiss nur, dass man das
Buch nicht übersehen wird, dass man es nicht igno-
75
rieren kann. Das Buch wird seinen Weg machen.»
Und das gibt ziemlich genau das wieder, was sich
dann auch ereignete. Ich habe in den letzten Monaten gelesen, dass dieses erste Buch mit einem
«Sturm kritischen Beifalls» aufgenommen wurde.
Tatsächlich war das aber nicht der Fall. Es erhielt
einige wundervolle, aber auch einige ungünstige
Kritiken. Aber für ein erstes Buch fand es zweifellos
gute Aufnahme. Das Beste daran war, dass ich mir
allmählich ständig mehr Freunde unter Bücherfreunden machte. Vier oder fünf Jahre hindurch
verkaufte es sich in der Originalausgabe sehr gut
und später auch in einer verbilligten Volksausgabe
der Modern Library. Das Resultat war, dass ich nach
der Veröffentlichung dieses Buches im Herbst des
Jahres 1929 mich plötzlich als Schriftsteller etabliert
sah. Und damit begannen die ersten grossen Lektionen für mich als Schriftsteller.
Bis dahin war ich ein junger Mann gewesen, der
sich mehr als irgend etwas anderes auf Erden gewünscht hatte, ein Schriftsteller zu werden, und der
sein erstes Buch im Feuer der Illusion schuf, das
in jedem jungen Schriftsteller brennen muss, ohne
andern Antrieb als die Hoffnung. Nun hatte sich das
in gewisser Beziehung geändert. Ein Schriftsteller,
hoffend und sehnend, war ich schon vorher gewesen, jetzt aber war ich tatsächlich ein wirklicher
Schriftsteller. Ich pflegte beispielsweise über mich zu
lesen, dass ich einer der «jüngeren amerikanischen
Autoren» sei. Ich war, wie einige der Kritiker von
mir sagten, jemand, dem man künftig Beachtung
schenken musste. Sie sahen meinem kommenden
Buch mit Interesse und einer gewissen Spannung
entgegen. Ausserdem machte meine schriftstellerische Entwicklung ständig Fortschritte. Jetzt sah
ich mich diskutiert, und irgendwie war das viel
angreifender, als ich es mir je hatte träumen lassen. Es quälte mich, verwirrte mich, flösste mir ein
seltsames Gefühl der Schuld und Verantwortung
ein. Ich war ein junger amerikanischer Schriftsteller,
und man setzte Hoffnungen in meine Zukunft und
sorgte sich, was ich tun würde, ob ich es zu irgend
etwas bringen würde oder zu gar nichts. Würden die
Wasser-Prawda | Januar 2015
76
SPRACHRAUM
Fehler, die man an meinem Werk gefunden hatte,
sich verschlimmern oder überwand ich sie? War ich
nur ein Komet? Würde ich mich durchsetzen? Was
würde aus mir werden?
Ich quälte mich damit. Ich ging nachts nach Hause, sah mich in meinem Zimmer um, sah die vom
Morgen her noch immer ungespülte Kaffeetasse, die
Bücher, die auf dem Boden lagen und das Hemd,
das noch dort lag, wo ich es die Nacht zuvor hingeworfen hatte, und grosse Manuskriptstapel. Das alles
erschien mir so gewohnt und vertraut-unordentlich,
und dann dachte ich daran, dass ich nun «ein junger
amerikanischer Schriftsteller» sei, dass ich irgendwie
Hochstapelei an meinen Lesern verübte und an meinen Kritikern, weil mein Hemd so aussah und meine Bücher und mein Bett – nicht etwa – verstehen
Sie bitte – weil sie in gewohnter, vertrauter Unordnung waren, sondern einfach, weil sie so aussahen,
wie sie aussahen. Aber nun begann etwas anderes in
meinem Bewusstsein zu bohren.
Die Kritiker begannen, sich nach meinem zweiten
Buch zu erkundigen und so musste ich nun auch
über das zweite nachdenken. Ich hatte immer über
das zweite nachdenken wollen und über das zweiunddreissigste und das zweiundfünfzigste. Ich war
sicher gewesen, dass ich hundert Bücher in mir
hatte, dass sie alle gut sein würden, dass jedes von
ihnen mich berühmt machen würde. Aber von diesen seltsamen und aufschreckenden Bränden wilder
Hoffnungen und überschäumender Gewissheiten
blieben nur nackte Tatsachen übrig. Jetzt, da ich tatsächlich ein Buch geschrieben hatte, und die Leser
und Kritiker, die es gelesen hatten, auf ein zweites
warteten, stand ich effektiv vor dem Problem, nicht
so, wie ich es befürchtet hatte, einfach kalt und hart
stand es vor mir wie eine Mauer. Ich war ein Schriftsteller und hatte das Leben eines Schriftstellers zu
dem meinen gemacht; es gab kein Zurück mehr; ich
musste vorwärts. Was konnte ich tun? Nach dem
ersten Buch hatte einfach ein zweites zu kommen.
Wovon sollte das zweite Buch handeln? Woher sollte
ich es nehmen?
Diese unausweichliche Tatsache quälte mich zuWasser-Prawda | Januar 2015
nächst nicht einmal so sehr, aber sie bedrückte mich
mehr und mehr. Ich war zunächst mit vielen anderen Sachen befasst, die mit der Veröffentlichung des
ersten Buches zusammenhingen, und die ich vorher
nicht voraussehen konnte. Erstens hatte ich etwas
nicht vorausgesehen, das jedem deutlich wird, wenn
er ein Buch geschrieben hat. Etwas, das er nicht
voraussehen kann, bis er es geschrieben hat. Man
schreibt ein Buch nicht, um es in der Erinnerung zu
behalten, sondern um es zu vergessen. Das war jetzt
evident geworden. Sobald das Buch in Druck gegangen war, fing ich an, es zu vergessen, ich wollte es
vergessen, ich wollte nicht, dass man mit mir darüber sprach oder mich darüber ausfragte. Ich wollte
einfach allein bleiben und damit fertig sein. Und
doch ersehnte ich verzweifelt Erfolg für mein Buch.
Ich wünschte mir, dass die Welt es achte und ehre, –
ich wünschte mir, kurz gesagt, ein erfolgreicher und
berühmter Mann zu werden und dabei das gleiche
Privatleben zu führen wie immer und meinen Ruhm
und meinen Erfolg nicht erörtert zu sehen.
Aus diesem Problem entwickelte sich wiederum
eine schmerzliche und schwierige Situation. Ich
hatte mein Buch mehr oder weniger unmittelbar
aus meiner eigenen Lebenserfahrung geschrieben
und darüber hinaus wohl, wie ich jetzt glaube, mit
einer gewissen nackten, geistigen Intensität, wie sie
gewöhnlich den frühen Werken junger Schriftsteller anhaftet. Auf jeden Fall kann ich ehrlich sagen,
dass ich nicht voraussah, was sich ereignen würde.
Ich war nicht nur von der Art des Echos überrascht,
das mein Buch bei der Kritik und der Öffentlichkeit fand, vielmehr überraschte mich das Echo, das
es in meiner Geburtsstadt fand. Ich hatte gedacht,
dass in dieser Stadt vielleicht hundert Leute mein
Buch lesen würden. Aber wenn es neben der Negerbevölkerung, den Blinden und den tatsächlichen
Analphabeten wirklich hundert gegeben haben
sollte, die es nicht lasen, so weiss ich nicht, wer
sie gewesen sein könnten. Monatelang kochte die
Stadt vor Wut, wie ich es nicht für möglich gehalten
hatte. Das Buch wurde von der Kanzel aus durch die
Pfarrer der führenden Kirchen angeprangert. Män-
SPRACHRAUM
ner versammelten sich an Strassenecken um es zu
verdammen. Wochenlang waren die Frauenvereine,
Bridgeclubs, Tees, Empfänge, literarischen Vereine,
war das ganze dichte Gewebe des Kleinstadtlebens
erfüllt von wütendem Geheul. Ich erhielt anonyme
Briefe der gemeinsten Art und solche, in denen man
mir androhte, dass man mich umbringen würde,
wenn ich es wagen sollte, nach Hause zu kommen.
Andere waren einfach nur obszön. Eine ehrenwerte
alte Dame, die ich mein ganzes Leben lang gut gekannt hatte, schrieb mir, dass sie, obwohl sie nie eine
Freundin der Lynchjustiz gewesen sei, nichts unternehmen würde, wenn die Menge meinen «grossen,
unförmigen Kadaver» über den Stadtplatz schleife.
Sie unterrichtete mich ferner davon, dass meine
Mutter sich «weiss wie ein Gespenst» zu Bett gelegt
habe und sich «nie wieder davon erheben werde».
Es gab viele andere giftige Angriffe aus meiner Heimatstadt, und zum ersten Mal wurde mir eine Lektion zuteil, die jeder junge Schriftsteller zu lernen
hat. Die Erfahrung von der nackten, versengenden
Kraft des Gedruckten. Zu jener Zeit befand ich mich
in einer bestürzenden und fast überwältigenden
Situation. In meine Freude über den Erfolg meines
Buches mischte sich der bittere Kummer darüber,
wie es in meiner Heimatstadt aufgenommen wurde.
Und doch, glaube ich, lehrte mich auch diese Erfahrung etwas. Zum erstenmal war ich gezwungen,
folgendes Problem genauestens zu bedenken: woher
nimmt der Künstler sein Material? Wie verwendet
er das Material richtig und in wie weit muss seine
Freiheit im Gebrauch dieses Materials von seinem
Verantwortungsbewusstsein der Gesellschaft gegenüber, der er angehört, kontrolliert werden? Das ist
ein schwieriges Problem, und ich bin ihm noch keineswegs auf den Grund gekommen. Vielleicht werde
ich das nie. Aber als Resultat all des Kummers, den
ich in jener Zeit durchlitt, und den andere vielleicht
wegen mir durchlitten, habe ich viel darüber nachgedacht und bin zu bestimmten Schlüssen gekommen.
Mein Buch war das, was man in Allgemeinen wohl
als autobiographischen Roman zu bezeichnen pflegt.
77
Im Vorwort meines Buches protestierte ich gegen
diese Bezeichnung mit der Begründung, dass jedes
ernstzunehmende Kunstwerk notwendigerweise autobiographischen Charakter haben müsse, und dass
kaum autobiographischere Werke geschrieben worden seien als etwa Gullivers Reisen. Ich fügte hinzu,
dass Doktor Johnson einmal äusserte, dass man eine
halbe Bibliothek in ein einziges Buch verwandeln
könne, und dass auf ähnliche Weise ein Romancier
die Hälfte seiner Gestalten seiner Heimatstadt zu
einer einzigen Figur in seinem Roman umformen
könne. Dennoch waren die Menschen meiner Heimatstadt nicht zu überzeugen oder zu besänftigen,
und der Vorwurf des Autobiographischen wurde
gegen mich auch von vielen anderen Seiten erhoben.
Ich bin, wie schon gesagt, der Überzeugung, dass
jede ernsthafte künstlerische Arbeit im Grunde autobiographisch sein muss, und dass man das Material und die Erfahrung seines eigenen Lebens verwenden muss, wenn man irgendetwas von bleibendem
Wert schaffen will. Aber ich glaube jetzt auch, dass
der junge Schriftsteller oft ahnungslos Lebensmaterial benutzt, das vielleicht zu nackt und zu direkt
für die Zwecke eines Kunstwerks ist. Der junge
Schriftsteller übersieht im allgemeinen die Grenzen
zwischen Aktualität und Realität. Unbewusst neigt
er dazu, ein Ereignis genau so zu beschreiben, wie
es sich wirklich zugetragen hat, und vom künstlerischen Standpunkt aus ist das, wie ich jetzt beurteilen kann, falsch. Zum Beispiel ist es nicht wichtig,
festzuhalten, dass eine schöne, leichtlebige Frau im
Jahre 1907 aus dem Staate Kentucky kam. Ebenso
gut könnte sie aus Idaho oder Texas stammen. Das
einzig Wichtige ist, dass man Charakter und Eigenschaften der schönen, leichtlebigen Frau so gut
wie irgend möglich kennzeichnet. Aber der junge
Schriftsteller, gefesselt an Tatsächliches, geknebelt
von der eigenen Erfahrungsarmut und befangen in
Unreife wird vermutlich argumentieren: «man muss
sie aus Kentucky kommen lassen, weil sie tatsächlich
von dort stammte.»
Trotzdem ist für einen schöpferischen Menschen die
buchstäbliche Umsetzung seiner eigenen Erfahrung
Wasser-Prawda | Januar 2015
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SPRACHRAUM
unmöglich. Alles in einem Kunstwerk wird verwandelt und umgesetzt durch die Persönlichkeit des
Künstlers selbst. Und was mein erstes Buch angeht,
so ist, ehrlich gesagt, nicht eine einzige Stelle darin,
die tatsachengetreu wäre. Das führt zu einer weiteren merkwürdigen schriftstellerischen Erfahrung.
Obschon mein Buch also nicht tatsachengetreu war,
folgte es doch genau den allgemeinen Erfahrungen
der Menschen meiner Stadt und, wie ich hoffe, aller
lebenden Menschen. Die beste Art, das deutlich
zu machen: Es war so, als sei ich ein Bildhauer, der
ein bestimmtes Tonmaterial gefunden hatte, das er
nun formte. Jetzt konnte ein Bauer, der den benachbarten Fundort des Tons kannte, vorbeikommen
und den Bildhauer bei der Arbeit sehen und zu
ihm sagen: «Ich kenne den Acker, von dem du den
Ton hergeholt hast.» Aber es wäre unrecht, wenn er
etwa gesagt hätte: «Das Bildwerk kenne ich auch.»
Was nun in meiner Heimatstadt vor sich ging, war
– wie ich vermute – dies: man sah den Ton und
war unverzüglich davon überzeugt, dass man auch
das Bildnis erkannte, und das Resultat dieses Missverständnisses war so schmerzlich und verrückt,
dass es ganz unglaublich klingt, wenn ich darüber
berichte. Ich musste erfahren, dass mir Leute aus
meiner Heimatstadt versicherten, sie erinnerten sich
nicht nur an Ereignisse und Charaktere aus meinem
ersten Buch, die vielleicht tatsächlich in der Wirklichkeit wurzelten, sondern sie behaupteten auch,
sich an Ereignisse zu erinnern, die, soweit ich weiss,
keinerlei Vorbilder in der Welt der Tatsachen hatten.
Zum Beispiel gab es in meinem Buch eine Szene, in
der ein Steinmetz einer stadtbekannten Frau einen
Marmorengel verkauft, der ihm lange Jahre viel bedeutet hatte. Soviel ich weiss, gab es für diese Szene
keinerlei Anhaltspunkte in der Wirklichkeit, und
doch versicherten mir verschiedene Leute später,
sich nicht nur genau des Vorfalls zu erinnern, sondern auch selbst dabei gewesen zu sein. Damit war
die Geschichte aber noch nicht zu Ende. Ich hörte,
dass eine der Zeitungen einen Reporter und einen
Fotographen auf den Friedhof schickte und eine Fotographie veröffentlichte mit dem Bemerken, eben
Wasser-Prawda | Januar 2015
dieser Engel sei der berühmte Engel, der so lange
Jahre im Hof des betreffenden Steinmetzen gestanden und schliesslich meinem Buch den Titel gegeben habe. Unglücklicherweise hatte ich zuvor weder
diesen Engel gesehen noch davon gehört, dass dieser
Engel tatsächlich auf dem Grab einer bekannten
Methodistin stand, die vor ein paar Jahren gestorben
war. Ihre beleidigte Familie schrieb unverzüglich an
die Zeitung, man möge diese Angelegenheit berichtigen, denn ihre Mutter stände in keiner Weise
irgendwie in Beziehung mit dem infamen Buch oder
dem infamen Engel, der dem infamen Buch seinen
Namen gegeben habe. Ähnlicher Art waren die unvorhergesehenen Widerstände, denen ich mich nach
der Veröffentlichung meines Buches gegenüber sah.
Monate verstrichen. Ich hatte Erfolg. Der Weg
war gebahnt. Für mich gab es nur eins: Arbeit.
Und dabei verbrachte ich meine Zeit damit, mich
in Kummer, Ärger und nutzlosem Zorn über die
Aufnahme, die mein Buch in meiner Heimatstadt
gefunden hatte, zu verzehren oder mich nutzlosen
Träumereien hinzugeben, weil Kritiker und Leser
mein Buch lobten, oder verzweifelt und bitter zu
sein, weil sie es verspotteten. Zum erstenmal erfuhr
ich, dass ein Künstler nicht nur leben und schwitzen, lieben und leiden und geniessen muss wie
andere Menschen auch, sondern dass ein Künstler
auch wie andere Menschen arbeiten muss, dass er
vor allem arbeiten muss, während das Leben selbst
weitergeht. Das scheint eine einfache und banale
Feststellung, aber ich begriff sie nur schwer und in
einem der schlimmsten Augenblicke meines Lebens.
Es gibt kein künstlerisches Vakuum; es gibt keinen
Zeitpunkt, in dem der Künstler in einer idealen
Atmosphäre arbeiten könnte, frei von Kampf, wie
ihn alle Menschen durchzumachen haben. Sollte der
Künstler wirklich eine solche Zeit erleben, so darf er
sie doch nie für sich erhoffen, darf sie nicht in alle
Ewigkeit suchen.
Auf jeden Fall wurde, während mein Leben und
meine Energie sich derart in einer Vorhölle der Gefühle verbrauchten, die mein erstes Buch verursacht
hatte, so gut wie nichts am zweiten getan. Und nun
SPRACHRAUM
stand ich einem anderen fundamentalen Problem
gegenüber, das jeder junge Schriftsteller lösen muss,
wenn er weiterkommen will. Wie bringt er es überhaupt zustande, etwas zu schreiben? Wie lange soll
er arbeiten? Und wie oft? Welche Methode, wenn
es überhaupt eine bestimmte gibt, soll er bei seiner
Arbeit anwenden? Ich sah mich plötzlich der Notwendigkeit gegenüber, Tag für Tag zu arbeiten. Und
so simpel diese Entdeckung jedem erscheinen mag,
so war ich doch nicht auf sie vorbereitet. Ein junger
Schriftsteller ohne Publikum fühlt die Notwendigkeit, die Zeitbedrängtheit nicht wie ein Schriftsteller,
der schon veröffentlicht hat und der jetzt an einen
Arbeitsplan, an Verlegertermine und an die Fertigstellung seines nächsten Buches denken muss.
Plötzlich und mit einem Gefühl entschiedenen
Erschreckens wurde mir klar, dass ich seit dem Erscheinen meines ersten Buches ein halbes Jahr hatte
verstreichen lassen, in dem ich, von einer Unzahl
Notizen und Bruchstücken abgesehen, nichts getan
hatte. Mittlerweile aber war das Buch langsam aber
stetig gekauft worden, und bereits im Februar 1930,
fünf Monate nach seinem Erscheinen, war es mir
möglich geworden, aus dem Lehrkörper der New
York University auszutreten und meine ganze Zeit
der Vorbereitung eines zweiten Buches zu widmen.
Im Frühling hatte ich dazu das Glück, dass mir die
Guggenheim Fellowship zuerkannt wurde; der Geldpreis setzte mich instand, ein Jahr im Ausland zu
leben und zu arbeiten. Und dementsprechend ging
ich Anfang Mai wieder auf Reisen.
In Paris war ich zwei Monate, bis Mitte Juli, und
obschon ich mich nun zwang, vier bis fünf Stunden
täglich zu arbeiten, so waren doch meine Bemühungen um eine Komposition-im-Grossen ergebnislos.
Was ich hinbrachte, war wirr und brüchig; nichts
hatte das Formgefüge und die Einheitlichkeit eines
Buches. Wie immer berückte mich das Leben der
grossen Weltstadt, aber es weckte auch die alten,
nackten Gefühle der Heimatlosigkeit, Wurzellosigkeit und des Alleinseins in mir, ganz so, wie ich sie
in Paris immer empfunden habe. Für mich, wie ich
erkannte, war Paris – und das hat sich nie geändert
79
– die heimwehbehaftetste Stadt der Welt. Paris ist
der Ort, wo ich mir am meisten wie ein Ausländer,
wie ein Fremder vorgekommen bin, und so sehr
mich gewiss die Stadt immer wieder bezaubert und
verführt, gut arbeiten konnte ich dort nie. Und an
dieser Stelle möchte ich etwas zum Thema Arbeitsort sagen, weil das wieder so ein Problem ist, das
jungen Schriftstellern viel zu schaffen macht und
meines Erachtens unnötigerweise Zweifel, Ungewissheit und Verwirrung stiftet.
Das ganze Suchen und die ganze Sucht nach dem
rechten Arbeitsort hatte ich damals bereits durchgemacht; das war nun beinah schon erledigt für
mich. Mein erster Aufenthalt in Paris lag sechs
Jahre zurück. Damals war ich, ein junger Mensch
von vierundzwanzig Jahren, nach Paris gekommen,
vollgepfropft und ganz erfüllt von jenem romantischen Glauben, jener romantischen Närrischkeit,
die so mancher junge Mensch damals dem Erlebnis
Paris entgegenbrachte. Jenes erste Mal war ich, so
hatte ich mir gesagt, nach Paris gekommen, um zu
arbeiten, und zu jener Zeit hatte der zauberische
Name Paris einen solchen Glanz, dass ich dachte,
man könne dort tatsächlich viel besser arbeiten als
an irgendeinem andern Ort auf Erden. Dort wehte
ja, dachte ich, die kraftgeschwängerte, zu Kunsttaten freudig anregende Luft; dort musste ja, dachte
ich, der Künstler auf alle Fälle ein glückseligeres
und schicksalschöneres Leben finden, als es ihm in
Amerika zu finden je möglich ist. Und nun war ich
dahintergekommen und hatte eingesehen, dass das
falsch ist. Ich war dahintergekommen und sah nun
klar und deutlich, dass das, was die meisten von
uns jungen Amerikanern in jenen Jahren suchten,
als wir unser eigenes Land flohen und im Ausland
Zuflucht suchten, in Wirklichkeit gar nicht der Arbeitsort war, sondern ein Ort, wo wir dem Arbeiten
entgehen könnten, dass das, vor dem wir in jenen
Jahren flohen, in Wirklichkeit gar nicht jene Spiesserei, jener Materialismus und jene Hässlichkeit im
amerikanischen Leben waren, vor denen wir doch
zu fliehen behaupteten, sondern die Notwendigkeit,
ernstlich mit uns selbst handgemein zu werden, und
Wasser-Prawda | Januar 2015
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SPRACHRAUM
die Notwendigkeit, in uns selber irgendwie das Zeug
zum Leben zu finden, aus unserm eigenen Leben
und aus unsern eigenen Erlebnissen den Gehalt
unsrer Kunst zu ziehen, eben jenen Gehalt, den jeder, der je etwas Lebendiges schreibt, aus sich selbst
ziehen muss, jenen Gehalt, ohne den er verloren ist.
Der Arbeitsort! Ja, der Arbeitsort – zugegeben! –
war Paris, war – zugegeben! – Spanien, war – zugegeben! – in Italien und auf Capri und auf Majorca,
aber – grosser Gott! – er war auch Keokuk und Portland in Maine und Denver in Kolorado und Yancey
County in Nord Carolina, und er war auch immer
dort, wo wir gerade weilten oder wohnten, wenn nur
da und dann die Arbeit in uns war! Und wäre das alles gewesen, was ich auf meinen Europareisen lernte,
hätte ich meine ganze Wanderschaft als Kaufpreis
gegeben einzig für diese schlichte Lehre, dann wäre
die Lehre doch des Kaufpreises wert gewesen – aber
diese Lehre war ja nicht alles.
Ich hatte ausfindig gemacht, wie einer sein eigenes
Land entdecken kann, wenn er es verlässt; wie ein
Amerikaner Amerika finden kann, wenn er es in
der Fremde in seinem Herzen, seinem Gedächtnis,
seinem Geist findet.
Ich glaube, ich kann behaupten, dass ich Amerika während meiner Wanderjahre im Ausland
entdeckte, weil ich Amerika so sehr brauche. Die
Entdeckung, dieser ungeheure Gewinn, schien
unmittelbar aus dem Gefühl des Verlorenhabens
zu kommen. Ich war nun schon fünfmal in Europa
gewesen. Jedesmal war ich mit Begeisterung hingefahren und war irrsinnig begierig darauf gewesen,
Europa zu sehen oder wiederzusehen, und jedesmal
– wie, wo und auf welche Weise es geschah, weiss
ich nicht – hatte ich das bittere Weh der Heimatlosigkeit verspürt, eine verzweifelte Sehnsucht nach
Amerika, ein überwältigendes Verlangen, heimzukehren.
Mich dünkt, während jener Sommermonate in Paris
verspürte ich dieses grosse Heimweh stärker als je
zuvor, und ich glaube wirklich, dass ich dieser Gemütsregung, diesem dauernden und fast unerträglichen Andrang der Erinnerung und des Verlangens,
Wasser-Prawda | Januar 2015
den Stoff und das Gefüge verdanke, die ich nun
schreibe.
Die Art und Eigenheit meines Gedächtnisses ist
durch einen, wie ich glaube, mehr als gewöhnlichen
Heftigkeitsgrad bewahrter Sinneseindrücke gekennzeichnet, durch ein Vermögen, dinghaft-lebendig
die Gerüchte, Laute, Farben, Formen und stofflich
Tastbares wieder aufzurufen. Und nun war mein
Gedächtnis Tag und Nacht an der Arbeit, und zwar
in einer Weise, dass ich es zunächst weder bändigen noch zügeln konnte, und so, dass ohne Geheiss
Zuvorerlebtes schwärmend und grell durch mein
Bewusstsein hinzog, ein ganzer Strom mit den Millionen Formen und Gehalten jenes Lebens, das ich
verlassen hatte, jenes Lebens, das mein eigen war,
nämlich Amerika. So pflegte ich zum Beispiel auf
einer Terrasse vor einem Kaffeehaus zu sitzen und
das Glitzern und Spielen des Lebens auf der Avenue
de l‘Opéra zu beobachten, und plötzlich fiel mir das
Eisengeländer ein, das am Boardwalk in Atlantic
City entlang gelegt ist. Ich konnte augenblicklich-inständig dieses Eisengeländer sehen, ich sah es, genau
wie es war, die schweren Eisenröhren, die so roh
und galvanisiert aussehen, die Art, wie die Gelenke
ineinandergefügt sind. Das alles war so lebhaft und
dinglich, dass ich in meiner Hand spürte, wie sich
das Geländer anfasst, dass ich die genauen Verhältnisse, die Grösse, das Gewicht, die Form wusste.
Und plötzlich war mir klar, dass ich in Europa nie
ein Geländer gesehen hatte, das so aussah. Und
diese äusserst vertraute, äusserst gewöhnliche Sache
war mir plötzlich offenbar mit all der Verwunderung, mit der wir etwas entdecken, das wir schon
immer gesehen und doch nie erkannt haben. Ein
andermal war es etwa eine Brücke, das Aussehen
einer alten eisernen Brücke, die über einen Strom
in Amerika führt, der Laut, den ein Zug macht,
wenn er über diese Brücke fährt, der Speichenschlag
und der hohle Rumpeldonner auf den Schienenschwellen, der Anblick der verschlammten Ufer,
die träge, dicke, gelbe Woge im Strom, ein breiter,
flacher Kahn, halbvoll mit Wasser, am schlammigen
Ufer angepflockt. Oder es war etwa der einsamste
SPRACHRAUM
und heimsucherischste von allen Lauten, die ich
kenne, der Laut eines Milchwagens, der im ersten
Morgengrauen auf einer Strasse in Amerika fährt,
das langsame, einsame Klappern der Hufe auf dem
Pflaster, das Geklinker der Flaschen, das plötzliche
Scheppern einer alten, verbeulten Milchkanne, die
flinken, eiligen Schritte des Milchmanns, dann das
leise Wort, das er zu seinem Gaul spricht, und dann
das grosse, langsame Hufklappern, das in der Stille
verhallt, und dann die Leisigkeit und der Vogelsang,
der auf der Strasse wiedererwacht. Oder es war etwa
ein kleiner, holzgezimmerter Schuppen, der draussen in der Landschaft, zwei Meilen Wegs vor meiner
Vaterstadt steht, ein Wartehäuschen, in dem Leute
auf die Trambahn zu warten pflegen, und ich konnte
wieder den stumpfen, eingeschlagenen Ton der alten
grünen Ölfarbe sehen, mit der das Holz gestrichen
ist, konnte die Initialen sehen und ertasten, die
drinnen im Wartehäuschen auf Bohlen und Bänken
mit Taschenmessern eingeschnitten worden sind,
und jenen warmen, schwiemeligen Geruch riechen,
der so harzig, so erregend ist, so geladen mit der
fremden und namenlosen Eindringlichkeit einer
unbekannten Freude, einer Verheissung, die gerade
wahr werden soll, und den Trambahnwagen hören,
wie er angesaust kam und bremste und hielt, den
Augenblick brütender, schläfernder Stille, das heisse
Gepoch und das einschläfernde Gestichel um drei
Uhr nachmittags, und das Gras und den heissen,
süssen Klee riechen und dann das jähe Gefühl von
Verlassenheit, Alleinsein und Abschied empfinden,
wenn der Strassenbahnwagen weitergefahren und
nichts mehr da war ausser wiederum dem heissen,
schläfernden, die Ohren stichelnden Laut von drei
Uhr nachmittags.
Oder ein andermal, da war es etwa eine Strasse in
Amerika mit ihren tausend hässlichen, durcheinandergeschmissenen Architekturen, etwa Montague
Street oder Fulton Street in Brooklyn oder Eleventh
Street in New York oder irgendeine von den Strassen, in denen ich einmal gewohnt hatte. So pflegte
ich plötzlich das hagere und wüste Pfeilergerüst der
Hochbahnführung in der Fulton Street zu sehen;
81
ich sah, wie das Licht in staubigen, gebrochenen
Schäften durch die Streben und Eisenrippen fiel,
mir fiel jene alte, traute Rostfarbe ein, dieser unvergleichliche Rostton, der so viele Dinge in Amerika
beschlägt. Und das war doch auch wieder wie etwas,
das ich millionenmal gesehen, mit dem ich mein
Leben lang gelebt hatte.
Da sass ich also und blickte auf die Avenue de
l‘Opéra, und das Herz im Leib tat mir weh von der
Fülle dieses ganzen Gedenkens, vom Verlangen,
all dieses Erinnerte wiederzusehen, irgendwie eine
Sprache für es zu finden, das Wort, das es nach
Form und Farbe und Beschaffenheit so aussage, wie
wir es alle erlebt und gekannt haben. Und als ich
dies verstand, ward mir klar, dass ich für mich selbst
die Zunge finden müsse, um von dem zu sprechen,
was ich zwar wusste, aber nicht aussagen konnte.
Und vom Augenblick dieser Entdeckung an waren
meinem. Leben Linie und Zweck gegeben. Das Ziel,
auf das sich fortan mein ganzes Streben und Wollen
richten, dem sich mein ganzes Leben entgegenbewegen, für das ich mein ganzes Talent einsetzen sollte,
dieses Ziel war mir somit bestimmt worden. Mir
war, als hätte ich ein ganzes Universum von chemischen Elementen entdeckt und gerade angefangen,
gewisse Beziehungen zwischen diesen Elementen zu
erkennen, hätte aber noch keineswegs damit begonnen, die ganzen Serien dieser Elemente zu harmonischer und zusammenhängender Verbundenheit
zu organisieren. Meine Bemühungen nach diesem
Zeitpunkt lassen sich, wie mich dünkt, bezeichnen
als das Sichbemühen um die vollkommene Organisierung dieser Elemente, um die endgültige, zusammenhängende Verbundenheit dieser Elemente, um
die Entdeckung und Wahrmachung, die Gliederung
und Verdeutlichung dieser zu Verbundenheit organisierten Elemente im Sprachlichen. Ich weiss, dass
mir das bis jetzt noch nicht gelungen ist, aber ich
glaube, recht gründlich erkannt zu haben, worauf
mein Misslingen zurückzuführen ist, und natürlich
ist es meine höchste und ernsteste Hoffnung, dass
die Zeit kommen wird, wann es mir nicht mehr
misslingen soll.
Wasser-Prawda | Januar 2015
82
SPRACHRAUM
Jedenfalls, dass ich von diesem Zeitpunkt an im allgemeinen vorankam mit den drei Büchern, die ich
in den nächsten viereinhalb Jahren schreiben sollte,
das dürfte sich wohl mit einiger Richtigkeit in etwa
dieser Weise schildern lassen. Dieses Vorwärtskommen war zunächst ein Sich-Herausschaffen aus Strudeln und Wirbeln, aus einem schöpferischen Chaos,
und dann ein langsames, mit Irren und Verwirrung
und unendlicher Plackerei bezahltes Fortschreiten
zur Klärung und der Verdeutlichung eines geordneten und formalen Gefüges. Mir ist aus jenem
Jahr – ich spreche von dem Jahr, das ich in Europa
verbrachte, dem Jahr, in dem das Zeug zu jenen
Büchern zum erstenmal verdeutlichte Form anzunehmen begann – ein aussergewöhnliches Wahrbild
in Erinnerung geblieben. Mir war als hätte ich die
ganze Zeit eine grosse, schwarze Wolke in mir, die
ständig anschwoll und sich dichter zusammenzog,
und diese Wolke wäre mit Elektrizität geladen,
schwanger, aufgetrieben, von einer gewissermassen
tornadohaften Gewalt, die nicht mehr lange zurückzuhalten wäre, so, dass der Augenblick schnell
heranrückte, in dem die Wolke bersten müsse. Nun,
alles was ich sagen kann, ist: Der Sturm brach los.
Er brach los noch in jenem Sommer, als ich in der
Schweiz weilte. Es goss in Strömen, und das Gewitter ist jetzt noch nicht vorüber.
Ich kann eigentlich wirklich nicht sagen, dass ich
das Buch geschrieben habe. Es war etwas, das Besitz
von mir nahm, das mich besass, und, bevor ich damit fertig war – das heisst, bevor ich schliesslich den
ersten abgeschlossenen Teil beendet hatte – schien
es mir, als habe das Buch sich selbst geschrieben. Es
war tatsächlich, als ob diese grosse, schwarze Sturmwolke, von der ich sprach, sich geöffnet hatte, und
als ob – inmitten von Blitzen – aus ihren Tiefen eine
nicht zu bändigende Sturmflut hervorschoss. Auf
dieser Sturzflut wurde alles dahingeschwemmt und
fortgetragen wie auf einem reissenden Fluss. Und
auch ich wurde mitgerissen.
Zunächst war nichts da, was Roman genannt werden
könnte. Ich schrieb von der Nacht und der Dunkelheit in Amerika und von den Gesichtern der SchläWasser-Prawda | Januar 2015
fer in zehntausend kleinen Städtchen und von den
Flutgezeiten des Schlafes und davon, wie die Flüsse
immerdar in der Dunkelheit fliessen. Ich schrieb
vom zischenden Geschwelg der Brandungen, die
an Küstenstrecken nagen, die zehntausend Meilen
messen, und davon, wie der Mond auf die Wildnis
grellte und der Katze kaltes Auge mit Gelbglut füllte.
Ich schrieb von Tod und Schlaf und von jenem
Fabelwesen des Lebens, den wir «Die Stadt» nennen.
Ich schrieb vom Oktober, von grossen Zügen, die
durch die Nacht donnerten, von Schiffen und Bahnhöfen am Morgen, von Menschen in Häfen und dem
Fahrverkehr der Schiffe.
Die Zeit vom Oktober bis zum März, also den ganzen Winter jenes Jahres, verbrachte ich in England,
und hier – vielleicht ist es der anheimelnden Trautheit des englischen Lebens zuzuschreiben, jenem
Gefühl von Ruhe und Ordnung, das einem so ein
Leben schenken kann – kam ich mit meiner Arbeit
wieder einen Schritt weiter aus dem schöpferischen
Flutgezeitenchaos heraus. Die Arbeit fing nun an,
die ersten Linien einer planvoll zeichnerischen Führung anzunehmen. Diese Linienführungen waren
zwar wirr und gebrochen, und manchmal waren
sie überhaupt noch nicht da, aber es war in der Tat
so, dass ich nun endlich das Gefühl hatte, an einem
grossen Marmorblock zu arbeiten und eine Gestalt
herauszuhauen, die vorläufig ausser dem Bildhauer
wohl niemand bestimmen könnte, die aber mehr
und mehr mit den sehnigen Linienzügen der Komposition zutage träte.
Von allem Anfang an bestand eine Tatsache, die
mich über alle meine Rückfälle in die Hoffnungslosigkeit hinweg in meinem Glauben, in meiner
Überzeugtheit bestärkte und bestätigte – nämlich
der Grundgedanke, das zentrale Thema, um das
sich mein Buch drehen sollte, blieb unverrückt. Der
Grundgedanke war dieser: das tiefste Suchen im
Leben, wie mir schien, das, was auf die eine oder
andre Weise allem Leben mitten eingesetzt war, war
das Suchen des Menschen nach einem Vater, nicht
bloss dem Vater seines Fleisches, nicht bloss dem
verlorenen Vater seiner Jugend, sondern nach einem
SPRACHRAUM
Wahrbild der Stärke und Weisheit, wie es ausserhalb
der Menschennot und erhaben über dem Menschenhunger stehe, dem sich der Mensch durch den
Glauben und die Kraft seines eignen Lebens einhellig verbinden könne.
Und doch war ich noch weit entfernt von dem
vollendeten Buch – wie weit, konnte ich damals
nicht ahnen. Aber es bedurfte weiterer vier Jahre,
ehe das erste einer Reihe von Büchern, die ich damit
in Angriff genommen hatte, druckfertig war, und
hätte ich geahnt, dass diese vier Jahre angefüllt sein
würden mit hunderten von Leben, mit Geburt, Tod
und Verzweiflung, Niederlage und Triumph und
der völligen Erschöpfung, der nackten Ermattung,
dann weiss ich nicht, ob ich die Kraft aufgebracht
hätte, weiter zu arbeiten. Aber noch immer nährte
mich der überschwengliche Optimismus der Jugend.
Mein Temperament, das in mancher Hinsicht zum
Pessimismus neigt, ist, was Zeit angeht, im allgemeinen immer optimistisch gewesen. Obwohl mehr
als ein Jahr vergangen war, und ich nichts als grosse Gesänge über Tod und Schlaf geschrieben, die
verschiedensten Notizen gemacht und hier und da
erste ungefähre Kompositionsskizzen angelegt hatte,
vertraute ich doch darauf, dass im Frühling oder
Herbst des nächsten Jahres mein Buch irgendwie
wunderbarerweise fertig sein würde.
Soweit ich es mit einiger Genauigkeit zu schildern
imstand bin, vollzog sich mein Vorankommen mit
der Arbeit während jenes Winters in England nicht
nach Anlage und Werkplan, sondern in der vorerwähnten Weise – ich schrieb ein paar von den
Stücken, von denen ich wusste, dass sie in das Buch
hineinmüssten. Mittlerweile aber ging die ganze
Zeit über etwas wirklich ganz anderes in meinem
ganzen schöpferischen Bewusstsein vor, und ohne
allerdings wissentlich gewahr zu werden, was ich
da täte, tat ich etwas, was ich schon ständig getan,
seit ich mir im Sommer zuvor in Paris mein Amerika entdeckt hatte: Tag um Tag und Monat um
Monat erforschte ich eifrig besessen das gesamte
Stoffgebiet meines menschlichen und schriftstellerischen Vermögens. Vorsichtig geschätzt, hat mich
83
diese Erforschung mindestens zweieinhalb Jahre
gekostet. Sie dauert jetzt noch an, wenngleich nicht
mit demselben ausschliesslichen, vollauf beanspruchenden Einsatz, denn das Werk, das sie mir nach
unendlicher Vergeudung und Plackerei bestimmen
half, das Werk, zu dem sie mich führte, dieses Werk
hat mittlerweile einen Stand von so endgültiger Bestimmtheit erlangt, dass die vordringliche Aufgabe
der Fertigstellung nun meine Lebensenergie fordert,
mein Daseinsinteresse besitzt.
Auf meine Person in jener Spanne meines Lebens
trifft, dünkt mich, sinngemäss zu, was der alte
Seemann im Gedicht dem Hochzeitsgast erzählt
[Fußnote]. Sein Leib, sagt da der alte Seemann,
krümme sich von einer schmerzlichen Seelennot,
die ihn zwänge, mit dem Erzählen zu beginnen,
und ihn erst dann wieder losliesse. Die Rolle des
Hochzeitsgasts im Gedicht übernahmen in meinem
Falle die grossen Kopierbücher, in die ich schrieb,
und was ich diesen Kopierbüchern anvertraute,
das würde, befürchte ich, einem Leser vollkommen
zusammenhanglos und obendrein unverständlich
wie chinesische Schriftzeichen vorkommen. Ich
darf keineswegs hoffen, dass ich hier eine fassliche
Vorstellung vom ganzen Umfang dieser Aufzeichnungen geben kann, denn ich habe mich beinah
drei Jahre mit der Arbeit geplagt, und etwa anderthalb Millionen Wörter sind in diese Kopierbücher
geschrieben worden. Da stand beinah alles und
jedes, von riesigen, taumelhaften Listen der Grossund Kleinstädte, Counties, Staaten und Länder, in
denen ich gewesen war, bis zu peinlich gründlichen,
verzweiflungsvoll beschwörerischen Beschreibungen des Fahrgestells, der Federn, Räder, Flanschen,
Achsen, des Bremsgestängs, der Farbe, des Gewichts
und der Beschaffenheit der Day-Coach eines amerikanischen Eisenbahnzugs. Da gab es Listen von den
Zimmern und Häusern, in denen ich gewohnt oder
in denen ich wenigstens eine Nacht geschlafen hatte,
zusammen mit den genauesten und eindringlichsten
Schilderungen jener Zimmer, die ich beschreiben
konnte, ihre Grösse und Form, die Farbe und das
Muster der Tapete, die Art, wie da ein Handtuch
Wasser-Prawda | Januar 2015
84
SPRACHRAUM
hing, ein Stuhl knarrte, ein Wasserplacken an der
Decke aussah. Da gab es eine Unzahl Zusammenstellungen, Tabellen, Schemata, Kataloge, Aufzeichnungen, die ich hier nur unter der allgemeinen
Überschrift «Menge und Zahl» klassifizieren kann.
Wie hoch belief sich die Gesamteinwohnerzahl aller
Länder Europas und Amerikas? In wievielen von
diesen Ländern hatte ich irgendein Erlebnis gehabt,
das mich persönlich anging und mir lebenswichtig
war? Wieviel Leute hatte ich im Laufe meiner neunundzwanzig oder dreissig Lebensjahre zu Gesicht
gekriegt? Wieviele von ihnen waren auf der Strasse
an mir vorbeigegangen? Wieviele hatte ich in Zügen
und Untergrundbahnen, wieviele in Theatern, wieviele bei Baseball- und Fussballspielen gesehen? Mit
wievielen hatte ich etwas Lebenswichtiges und mein
Verständnis Bereicherndes erlebt, sei es nun Freude, Schmerz, Ärger, Mitleid, Liebe oder schlichte,
beiläufige, wenn auch noch so kurze Kameradschaft
gewesen?
Ausserdem konnte man auf andere Abschnitte
kommen, die so eine rätselhafte Überschrift wie
«Wo nun?» trugen. Unter so einer Überschrift
standen dann Kurzaufzeichnungen über Tausende
von Sachen und Dingen, wie wir sie alle in unserem
Leben im blitzhaften Nu bloss, im einen einzigen
Augenblick nur erlebt haben, die uns im Erlebnisaugenblick vollkommen bedeutungslos zu sein scheinen und uns doch immerdar im Herz und Gemüt
lebendig bleiben, die irgendwie trächtig sind von
aller Freude und allem Kummer des Menschenloses,
von denen wir deswegen irgendwie wissen, dass sie
wichtiger als manche Sachen und Dinge von offensichtlicherer Bedeutung sind. «Wo nun?» Der Hall
der Tritte eines Mannes, der kam und vorbeiging auf
einer baumbestandenen Strasse in einer Sommernacht in einer kleinen Stadt drunten in den Südstaaten vor langer Zeit; die Stimme einer Frau, ihr plötzlich aufwallendes, leises und zärtliches Lachen; dann
Stimmen, verhallende Tritte, Stille, das Rauschen
des Laubes an den Bäumen. «Wo nun?» Zwei Züge,
die einander auf einem kleinen Kleinstadtbahnhof
begegneten und hielten in irgendeinem unbewussWasser-Prawda | Januar 2015
ten Augenblick auf dem ungeheuren Leib des amerikanischen Kontinents; ein Mädchen im anderen
Zug, das aufsah, durchs Fenster blickte und lächelte;
ein andres Mädchen, das im Auto auf den Strassen
von Norfolk vorüberfuhr; die Wintergäste in einem
kleinen Boardinghouse drunten in den Südstaaten vor zwanzig Jahren; Miss Florrie Mangle, die
Krankenpflegerin mit Diplom; Miss Jessie Rimmer,
die Kassiererin in Redd‘s grosser Drogerie; Doktor
Richards, der Hellseher; die Dompteuse im Zirkus,
jenes hübsche Mädchen, das mit der Peitsche knallte
und seinen Kopf in den Rachen des Löwen steckte,
mit Johnny J. Jones Carnival and Combined Shows.
«Wo nun?» Es ging über die Grenzen des tatsächlichen Gedenkens hinaus. Es ging zurück bis ins
entrückteste Tempelinnere der Kindheit dessen,
der sich erinnerte, in die Zeit, ehe sein bewusstes
Erinnern begonnen hatte, es ging darum, wie er
die Sonne eines Tages gespürt zu haben dachte und
Nachbar Peagrams Kuh gehört zu haben glaubte,
als sie das Rauhgras, das am Zaun wuchs, rupfte,
oder darum, wie er gehört zu haben glaubte, wie
eines Mittags der Strassenbahnwagen auf dem Hügel
oberhalb seines Vaterhauses hielt, wie Ernest Peagram, der zu Tisch heimkam, mit herzhafter Stimme
mittäglich grüsste, wie der Strassenbahnwagen dann
weiterfuhr und nicht mehr da war und dadurch eine
plötzliche, grüngoldne, einsame Stille entstand, in
die hinein eine eiserne Gartentür zugeschlagen wurde ... Und hier losch wie abgeblendet das Licht dieses verlorenen Tages aus. «Wo nun?» Der, der sich
zu erinnern glaubt, kann sich weiter nichts aufrufen;
er weiss nicht, ob das, was er sich aufrief, Tatsache
oder Erfindung oder Beides-in-Einem ist. «Wo
nun?» – Monat um Monat schrieb ich dergleichen in
meine grossen Kopierbücher, nicht nur das fassbar
Stoffliche, wie es das regelrechte Gedächtnis des
Menschen bewahrt, sondern auch alle diese Sachen,
von denen wir Menschen kaum zu denken wagen,
dass wir uns ihrer erinnern, all das Gehusch und
Geflacker und die heimsuchenden Lichter, die uns
ohne Geheiss in unerwartetem Augenblicken übers
Bewusstsein hinzucken; eine einst gehörte Stimme,
SPRACHRAUM
ein Antlitz das entschwand, das Hereinfallen, Weiterrücken und Davonwandern der Sonnenstrahlen,
das Gezettel eines Blattes an einem Zweig; ein Stein,
ein Blatt, eine Tür.
Man mag einwenden, und dieser Einwand ist häufig
von bestimmten Kritikern erhoben worden, dass
solche Durchforschung, wie ich sie hier zu beschreiben versucht habe, eine Art wilden Rausches ist,
dass in ihr ein geradezu wahnsinniger Hunger, die
gesamte menschliche Erfahrung zu verschlingen,
offenbar wird, der Versuch, mehr zu erfassen, mehr
zu erfahren, als das Mass eines einzelnen Lebens
fassen kann, oder als die Grenzen eines einzelnen
Kunstwerks gestatten. Ich gebe gern zu, dass diese
Kritik berechtigt ist. Ich glaube, ich sehe ebenso
gut wie sonst jemand die drohenden Gefahren, die
ein so wahnwitziges Verlangen mit sich bringt, den
Schaden, den es einem an Leben und Werk zufügen
kann. Aber da ich es nun einmal in mir trug, konnte
ich es mir auch auf keine Art und Weise ausreden,
ganz gleich, wie mächtig sich mein Verstand dagegen auflehnte. Es gab keine Art, damit fertig zu
werden, als ihm mit dem Leben und nicht mit dem
Verstand zu begegnen.
Es gehörte zu meinem Leben, jahrelang machte es
überhaupt mein Leben aus, und die einzige Art,
damit fertig zu werden, war: es auszuleben. Und das
tat ich denn auch. Ich habe dieses Ziel zwar noch
immer nicht erreicht, aber ich bin ihm näher gekommen als ich damals hoffen durfte. Heute glaube
ich fest, dass die unbegrenzte Ausdehnung menschlicher Erfahrung für den Künstler nicht so wichtig
ist wie die Tiefe und Intensität, mit der er sie durchlebt. Ausserdem weiss ich jetzt, dass es viel wichtiger ist, hundert lebende Menschen in New York
gekannt zu haben, ihr Leben begriffen zu haben,
auf den Grund ihres Wesens gedrungen zu sein,
als an sieben Millionen Menschen auf der Strasse
vorbeigegangen zu sein oder mit ihnen gesprochen
zu haben. Und was ich über diese Durchforschung
vor allem sagen möchte, die ich hier zu beschreiben
versucht habe: So närrisch und verfehlt auch manches an ihr sein mag, die Summe der Erfahrung und
85
ihre Wirkung war nicht vergebens oder masslos.
Von meinem Gesichtspunkt aus wenigstens ist sie
in ihrer umfassenden Bedeutung das einzig wirklich Wertvolle, was ich über meine Erfahrungen als
Schriftsteller anderen Menschen vermitteln kann.
Ich betrachte diese Erfahrung in ihrer Gesamtheit
als äusserst wertvoll und nützlich, soweit sie mein
bisheriges schriftstellerisches Leben angeht. Mit
all ihrer Verschwendung, all ihren Irrtümern und
Verwirrungen führte sie mich und näherte sie mich
einer wirklichen Erkenntnis meiner Kraft, einer
wahrhaftigen Abschätzung meiner Begabung in
jener Zeit meines Lebens, und sie führte mich vor
allem zu einem zwar noch unvollkommenen, eben
beginnenden, aber lebendigen Verständnis der
Ausdrucksmöglichkeiten, nach denen ich suche,
der Sprache, die ich schreiben muss, wenn mein
künstlerisches Leben sich entwickeln und wachsen
soll, mehr jedenfalls als irgendetwas, das mir sonst
widerfuhr. Ich weiss, dass die Tür noch nicht geöffnet ist. Ich weiss, dass die Zunge, die Sprache, die
ich suche, noch nicht gefunden ist, aber ich glaube
von ganzem Herzen, dass jeder Mensch für sich
und auf seine Weise, jeder Mensch, der hoffen darf,
etwas Lebendiges aus den Substanzen seines eigenen
Lebens zu schaffen, seinen Weg finden muss, seine
Sprache und seine Tür in sich selbst suchen muss,
wie ich es getan habe.
Als ich im Frühling des Jahres 1931 nach Amerika
zurückkehrte, hatte ich, obwohl drei- oder viertausend Worte an Material vorlagen, noch nichts
in der Hand, das als Roman hätte bezeichnet oder
veröffentlicht werden können. Fast anderthalb
Jahre waren seit der Veröffentlichung meines ersten
Buches verstrichen, und schon begannen die Leute jene wohlmeinende Frage zu stellen, die in den
Folgejahren unerträglich in meine Ohren klang als
der beissendste Spott: «Haben Sie Ihr nächstes Buch
schon fertig?» «Wann wird es erscheinen?»
Damals war ich sicher, dass ein paar Monate konzentrierter Arbeit das Buch zustande bringen würden. Ich fand einen Ort, eine kleine Kellerwohnung
im Assyrischen Viertel Süd-Brooklyns, und dort
Wasser-Prawda | Januar 2015
86
SPRACHRAUM
ging ich an die Arbeit. Aus dem Frühling wurde
Sommer, aus dem Sommer Winter. Ich arbeitete
hart. Tag für Tag, und doch war noch immer nichts
entstanden, das Form und Geschlossenheit eines
abgerundeten Werkes zeigte. Es wurde Oktober,
und damit waren es zwei volle Jahre her, seit mein
erstes Buch erschienen war. Und jetzt war ich zum
erstenmal schuldbewusst, was die Veröffentlichung
meines Buches anbetraf. Ich litt unter der vor mir
fliehenden Zeit, unter nackter Verzweiflung, die in
den nächsten drei Jahren immer peinigender und
unerträglicher wurde. Zum ersten Mal sah ich ein,
dass mein Unterfangen viel grösser war, als ich
angenommen hatte. Ich hatte noch zur Zeit meiner Rückkehr aus Europa geglaubt, dass ich nur an
einem Buch schriebe, das sich in den Grenzen von
etwa zweihunderttausend Worten halten würde.
Jetzt, da Szene auf Szene folgte, Gestalt auf Gestalt
ins Leben trat, und mir das Verständnis für mein
Material mehr und mehr aufging, entdeckte ich,
dass es unmöglich war, das Buch, das ich mir vorgenommen hatte, in den Grenzen zu halten, die ich
dafür abgesteckt hatte.
Diese ganze Zeit über sah ich meine Bemühungen
dauernd vereitelt durch ein gewisses Zeitelement im
Buch, oder vielmehr durch eine Zeitbezüglichkeit,
die nicht zu umgehen war und die ich nun verzweifelt in die Darstellung einzubauen suchte. In dem
Stoff, den ich behandelte, waren von vornherein drei
Zeitelemente gegeben. Das erste und offensichtlichste war das Element tatsächlicher, gegenwärtiger Zeit,
in dem die Erzählung vorangetragen wurde, in dem
die Gestalten und Ereignisse dargestellt wurden als
Menschen und Geschehnisse, die in der Gegenwart
leben oder sich in der Gegenwart zutragen und in
eine unmittelbare Zukunft weiterreichen. Das zweite
Zeitelement war ein Element vergangener Zeit, mittels dessen dieselben Gestalten dargestellt wurden
als Träger und Getragene ihrer ganzen gelebten Vergangenheit, so, dass jeder gegenwärtige Augenblick
ihres Daseins nicht nur bedingt war durch das, was
sie in diesem gegenwärtigen Augenblick erlebten,
sondern auch durch die ganze Gewalt und WesenWasser-Prawda | Januar 2015
heit dessen, was sie vor diesem Augenblick erlebt
hatten. Zu diesen zwei Zeitelementen trat noch ein
drittes, das ich als unwandelbare Zeit begriff, als
die Zeit der Ströme, Gebirge, Meere und der Erde,
gewissermassen als eine ewige und unveränderliche
All-Zeit, gegen die die Vergänglichkeit des Menschenlebens, die bittere Kürze der Menschentage
sich abheben sollte. Das Arbeiten mit diesen drei
Zeitelementen erwies sich als eine schwierige Aufgabe, ich wäre ihr fast erlegen, und sie hat mich in den
darauffolgenden Jahren zahllose Stunden der Geistesangst gekostet.
Als mir die wahre Natur der Arbeit, die ich mir vorgenommen hatte, klarzuwerden anfing, begann das
Wahrbild des Stromes mein Bewusstsein heimzusuchen. Ich hatte tatsächlich das Gefühl, ein grosser,
nach Befreiung drängender Strom tose in mir und
wolle aus mir entspringen, und ich müsse eine Fahrrinne finden, in die sich seine Flutgewalt ergiessen
könne, ja, unbedingt müsse ich sie finden, denn
sonst würde ich von der von mir selbst gezeugten
Flut zerstört werden. Ich bin sicher, jeder Künstler
auf Erden hat dieses selbe Erlebnis gehabt.
Derweil aber war ich zum Opfer einer Fehlvorstellung geworden, einer fixen Idee, deren Unmöglichkeit ich damals nicht ganz begriff. Ich war nämlich
noch überzeugt, mein ganzes riesenhaftes Planen
müsse sich innerhalb der Grenzen eines einzigen
Buches, das «Das Oktoberfest» heissen sollte, wahrmachen lassen. Es verstrich wieder ein Jahr, bis ich
einsah, dass ich an einem Stoff arbeitete, der beinahe
hundertfünfzig Jahre amerikanischer Geschichte einbezog, der notwendig mehr als zweitausend
Gestalten einführte, so, dass in der endgültigen
Fassung beinah jeder Rassentypus und beinah jede
Gesellschaftsklasse des amerikanischen Lebens geschildert werden würde, und bis ich mir somit klar
darüber ward, dass selbst ein sehr umfangreiches
Buch, ein Roman von zweihunderttausend Wörtern,
völlig unzulänglich für diesen Zweck wäre.
Wie ich schliesslich zu dieser Einsicht kam? Ich
glaube, es ist nicht übertrieben, wenn ich behaupte,
ich hätte mich in diese Einsicht hineingeschrieben.
SPRACHRAUM
Während dieses Jahres schrieb ich wie ein von Furien Getriebener, ich empfand nun den ganzen Druck
der unwiederbringlichen Zeit, verspürte nun die
drängende Notwendigkeit, etwas fertigzustellen. Ich
schrieb wie ein Verrückter; eine Schilderung nach
der andern, ein Kapitel nach dem andern wurde
fertig. Die Gestalten nahmen allmählich Leben an,
sie wuchsen, es wurden ihrer so viele, dass sie schon
nach Hunderten zählten, aber der Umfang meines
Unternehmens war, wie ich nun verzweifelt erkannte, so ungeheuer, dass die vollendeten Kapitel mir
vorkamen wie Lichter in einer Lichterkette, wie man
sie zuweilen durch die Fenster fahrender Nachtschnellzüge in dunkler und einsamer Landschaft
laufen sieht.
Tag für Tag arbeitete ich wie ein von Furien Getriebener, bis endlich meine schöpferischen Kräfte völlig erschöpft waren, und obschon ich dann
manchmal in einer solchen Schaffensspanne zweihunderttausend Wörter geschrieben hatte, also Zeug
genug für ein sehr dickes Buch, so musste ich doch
mit einem Gefühl der grauenhaften Verzweiflung
erkennen, dass das vollendete Stück nur ein kleiner
Abschnitt aus einem grossen Werke war.
Während dieser Zeit geriet ich in jenen Zustand
nackter Not und äusserster Vereinsamung, den
jeder Künstler, wenn er überhaupt durchkommen
will, an sich erfahren und überwinden muss. Zuvor
hatte mich der köstliche Wahn des Erfolges getragen, der uns alle trägt, wenn wir lediglich träumen,
wir schrieben Bücher, anstatt sie tatsächlich zu
schreiben. Nun sah ich, wie die Dinge gegen mich
standen, und plötzlich ward mir klar, dass ich mich
mit meinem Leben und meiner Gesinnung so ganz
unwiderruflich auf diesen Kampf eingelassen hatte, dass ich nun siegen oder untergehen müsse. Ich
stand allein mit meinem Werk, und ich wusste nun
auch, dass ich mit ihm allein stehen müsse, dass mir
niemand dabei helfen könne, ganz gleich, wie sehr
er auch mir zu helfen begehre. Nun erkannte ich
zum erstenmal eine andere nackte Tatsache, wie sie
jeder Künstler kennen muss, und diese ist, dass im
Werk, das einem Menschen zu leisten gegeben ist,
87
nicht nur der Same des Lebens enthalten ist, sondern auch der Same des Todes, und dass dieselbe
Schöpferkraft, die uns erhält, uns auch wie ein Aussatz zerfressen wird, wenn wir sie wie ein Totgeborenes in unsren Eingeweiden verwesen lassen. Irgendwie musste ich es aus mir herausschaffen. Das sah
ich nun ein. Und nun stahl sich mir zum erstenmal
ein fürchterlicher Zweifel ins Gemüt, nämlich, dass
ich womöglich nicht lange genug leben würde, um
es aus mir herauszuschaffen, dass ich mir da eine so
grosse und so unmögliche Arbeit angeschafft hätte,
dass die Kräfte von zwölf Lebzeiten nicht genügen
würden, sie darzuleisten.
Unschätzbare Schicksalsgunst war es, dass mir in
dieser Zeit ein Beistand ward, der mich aufrecht
erhielt. Ich hatte zum Freund einen Menschen von
unermesslicher und geduldiger Weisheit und einer
liebenswürdigen, aber unnachgiebigen Festigkeit.
Wenn es damals nicht so weit kam, dass mich das
Gefühl der Hoffnungslosigkeit vernichtete, das jene
Riesenplackerei in mir auslöste, dann, glaube ich,
war es grösstenteils dem Mut und der Geduld dieses
Mannes zuzuschreiben. Ich gab nicht nach, weil
er nicht zuliess, dass ich nachgab. Mir scheint zu
stimmen, dass er damals in der Lage des kundigen
Beobachters auf dem Feldherrnhügel war; ich selber
aber war in die Schlacht gezogen, war von Staub
und Schweiss bedeckt und vom Kampfe erschöpft,
und so begriff ich bei weitem weniger als mein
Freund davon, wie die Schlacht stand und worum
der Kampf ging, in den ich mich eingelassen hatte.
Vom Beobachten abgesehen, blieb für diesen Mann
damals wenig zu tun; er konnte nur auf diese oder
jene Weise dafür sorgen, dass ich bei meiner Sache
bliebe, und auf vielerlei wunderbare Weise ist ihm
das gelungen.
Ich war nun mit meinem Werk an diesem Punkte
angelangt, wo es sich schlechthin um die Hervorbringung handelt, und selbst der grösste Herausgeber kann wenig für einen Schriftsteller tun, solang
dieser nicht aus dem Geheimdunkel seines Geistes
das ihm vorschwebende lichte Gebilde dinglich
fertig ans gewöhnliche Tageslicht gebracht hat. Mein
Wasser-Prawda | Januar 2015
88
SPRACHRAUM
Freund, der Herausgeber, hat sein eignes Tun in
jener schmerzensreichen Zeit mit dem Unterfangen
eines Mannes verglichen, der versucht, sich an der
Flosse eines sich tummelnden Walfisches festzuhalten – aber festgehalten hat er sich, dieser Freund,
und seiner zähen Ausdauer verdanke ich mein endgültiges Befreitsein.
Unterdes arbeiteten meine schöpferischen Kräfte auf
höchsten Touren. Manchmal schrieb ich, ohne zu
glauben, je damit zu Ende zu kommen. In mir war
schwärzeste Verzweiflung, und doch schrieb ich und
schrieb und konnte nicht aufhören zu schreiben.
Und mir schien es, als triebe mich die Verzweiflung
selbst zum Schreiben, auch wenn ich nicht daran
zu glauben vermochte, je zu Ende zu kommen.
Mein Leben in Brooklyn schien mir, obwohl ich nur
zweieinhalb Jahre hier wohnte, in die Jahrhunderte
zurückzureichen, in ozeanische Tiefen schwarzer,
bodenloser Erfahrung, ohne dass das gewöhnliche
Stundenmass sie jemals auszuloten vermochte.
Manchmal haben mich die Leute gefragt, was eigentlich in diesen Jahren mit mir geschehen sei. Sie
haben mich gefragt, wie ich denn überhaupt noch
Zeit gefunden hätte, mich darüber zu orientieren,
was in der Welt um mich vorging, da doch mein
Leben so völlig in der Welt des Geschriebenen aufging. Es mag als banal erscheinen, aber die Wahrheit
ist es, dass ich nie in meinem ganzen Leben so voll
und reich gelebt habe, nie in so reichem Masse am
menschlichen Leben teilhatte als eben in diesen
Jahren, während ich mit dem gigantischen Problem
meines Werkes kämpfte.
Eins steht fest, meine sinnlichen und schöpferischen
Anlagen, die Kräfte des Gefühls und des Verstandes,
selbst der Gehörsinn und vor allem mein Erinnerungsvermögen hatten den höchsten Grad an
Schärfe erreicht, den ich je kannte. Am Ende eines
stürmischen Arbeitstages brannte mein Gehirn
noch vor Anstrengung. Ich war unfähig, es durch
Lektüre, Musik, Gedichte, Alkohol oder irgendeine
andere Vergnügung zu beruhigen. Ich war unfähig
zu schlafen, unfähig, den Tumult dieser schöpferischen Energien in mir zu beschwichtigen. Das
Wasser-Prawda | Januar 2015
Resultat dieser Verfassung war, dass ich drei Jahre
lang durch die Strassen schlich, das wimmelnde
Netz der millionenfüssigen Stadt durchforschte und
es kennen lernte wie nie zuvor. Es war eine dunkle
Zeit in der Geschichte meines Landes, eine dunkle
Zeit in meinem eigenen Leben, und vermutlich ist es
nur natürlich, dass meine eigene Erinnerung daran
jetzt eine ziemlich bittere und schmerzliche ist.
Überall um mich herum sah ich während dieser
Jahre Zeugen eines unabsehbaren Ruins und Leidens. Meine eigene Familie war ruiniert, hatte in der
sogenannten «Depression» alle Substanz ihres in einem langen Leben erworbenen Vermögens verloren.
Und die allgemeine Krise hatte fast ins Leben eines
jeden eingegriffen, den ich kannte. Darüber hinaus
sah, erlebte, fühlte und erfuhr ich bei dieser endlosen nächtlichen Wanderfahrt und Suche im grossen Netz und Dickicht der Stadt das volle Gewicht
dieser fürchterlichen menschlichen Krise.
Ich sah einen Mann, dessen Leben zu einer Masse
formloser und schmutziger Lumpen zusammengesunken war, von Gift verzehrt, von Ungeziefer
zerfressen; menschliche Wracks, die sich gegenseitig
ein bisschen Wärme zu geben suchten, hockten in
der eisigen Kälte auf den stinkenden Schwellen der
Bedürfnisanstalten, im Schatten der kalten Bauten
eines byzantinischen, märchenhaften Reichtums. Ich
sah abscheuliche Taten der Brutalität und Grausamkeit, die Drohung gemeiner Privilegien, die
grausame und korrupte Autorität, die rücksichtslos
das Leben der Armen, der Schwachen, der Bedauernswerten und Schutzlosen dieser Erde unter ihren
Füssen zertrat.
Und der überwältigende Eindruck dieser dunklen
Bilder menschlicher Unmenschlichkeit dem Mitmenschen gegenüber, die unaufhörliche Wiederholung dieser Szenen des Leidens, der Gewalt, der Unterdrückung, des Hungers, der Kälte, des Schmutzes
und der Armut, die ungehindert in einer Welt vor
sich gingen, in der die Reichen in ihrem Reichtum
verkamen, hinterliessen eine Narbe in meinem Leben, eine Überzeugung in meiner Seele, die ich nie
verlieren werde.
SPRACHRAUM
Aus all dem gewann ich schliesslich den Schatz
eines brennenden Gedächtnisses, einer Gewissheit
von der Stärke des Menschen, von seiner Fähigkeit,
zu leiden und irgendwie zu überleben. Und das ist
auch der Grund, weshalb ich diese dunkle Periode
mit einer Art Freude im Gedächtnis behalte, die ich
zu jener Zeit nicht für möglich gehalten hätte, denn
gerade damals lebte ich mein Leben auf eine erste
Vollendung hin, und durch das Leiden und die Last
meines eigenen Lebens gelangte ich dazu, die Qualitäten in den Menschen, die überall um mich herum
lebten, zu begreifen. Und das ist wieder etwas, wozu
mir das Schreiben an meinem Buch verholfen hat.
Es hat meinem Leben jene Tiefe gegeben, die die
Verwirklichung eines jeden Werkes dem Leben des
Künstlers verleiht, und, soweit ich es an mir erfahren habe, hat es mein Wesen bereichert.
Der Vorwinter 1933 rückte an und mit ihm, wie mir
schien, das endgültige Verhängnis eines abgrundtiefen Versagens. Ich schrieb noch und schrieb,
aber blindlings, hoffnungslos, wie ein alter Gaul,
der unaufhörlich in der Tretmühle geht und keinen
andern Daseinszweck, kein anderes Daseinsziel
kennt als dieses gesträngte Gehen in der alten
Kreisbahn. Wenn ich nachts Schlaf fand, war es ein
Nachtmahrschlaf mit grellen Schaubildern, die über
mein fiebriges, rastloses Bewusstsein hinfegten. Und
wenn ich aufwachte, war es nur ein Aufwachen in
Erschöpftheit, und dann wusste ich weiter nichts
zu tun als zu arbeiten; ich trieb mich an wie mit der
Geissel zu der hoffnungslosen Plackerei und schaffte wie ein von Furien Getriebener den ganzen Tag
über, und dann kam die Nacht wieder, das verrückte Herumstreunen auf den tausend Strassen, und
dann das Zubettgehen und wiederum der schlaflose
Schlaf, der Zug der Nachtmahrträume, vor denen
mein Bewusstsein als Zuschauer angekettet lag.
Ich träumte da eine Art Träume, die ich zusammenfassend nicht anders denn als Träume von Schuld
und Zeit bezeichnen kann. Chamäleonhaft, in aller
verdammniswürdigen und nie endenden Zeugefähigkeit, waren sie es, die mir die ganze hehre Welt,
die ich gekannt hatte, wiedererstellten, die Billionen
89
Angesichter und die Millionen Zungen, und zwar
erstellten sie mir diese Welt wieder mit der triumphierenden Böswilligkeit eines passiven und ungewollten Behagens. Der Gewinn aus meiner tagtäglichen Fehde mit Menge und Zahl, die tolle Ausbeute
meiner jahrelangen Kämpfe mit den Formen des
Lebens, meiner rücksichtslosen, unaufhörlichen
Bemühungen, mit dem Gedächtnis jeden Bauziegel
und jeden Pflasterstein auf jeder je von mir begangenen Strasse festzuhalten, jedes Gesicht aus jedem
Menschengedräng in jeder Stadt und jedem Land,
wo auch immer mein Geist den wüsten, mit ungleichen Waffen geführten Kampf um die Überlegenheit
aufgenommen hatte – das alles kam nun zurück –:
jeder Stein, jede Strasse, jede Stadt, jedes Land –
ja, sogar jedes Buch in der Universitätsbibliothek,
durch die ich mich als Student vergebens ganz
hindurchzulesen versucht hatte – alles das kam nun
zurück auf den Schwingen dieser mächtigen, trauervollen und irgendwie lautlos irrsinnigen Träume
– ich sah, hörte und erkannte alles das sofort, war
augenblicklich schmerzlos und angstlos und, mit
dem ruhigen Bewusstsein Gottes, Herr über dieses
ganze Lebensuniversum, gegen dessen Elemente
ich soviele Jahre lang um Allwissenheit gestritten
hatte. Und dieser ungeheure Triumph machte mich
traurig, und die ruhevolle, augenblicklich-inständige
Passivität dieser unmenschlich-irrsinnigen Unsterblichkeit war mir irgendwie bitterer als die gallenbittere Niederlage in meinem Kampf mit der Daseinsvielheit.
Denn –: auf dieses Lebensuniversum herab schien
immerdar ein stilles, stummes, wandelloses Zeitlicht. Und aus dem Gedräng dieser schiebenden
Mengen von Menschen, deren gesamtes und geteiltes Wesen nun im Nu und ohne Willensanstrengung
mein eigen war, erhob sich immerdar das trauervolle, nie endende Geraun dieses leiblichen Lebens,
erhoben sich immerdar die riesigen, zurückweichenden Schwundbilder des Schattens, den der Tod
des Menschen wirft, der Tod, der immerdar mit
Seufzerhauch und Klagegetön an die hohen Gestade
der Welt hinhallt.
Wasser-Prawda | Januar 2015
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SPRACHRAUM
Und jenseits, jenseits – der riesigen und stillen
Bewusstheit meines Geistes, über ihm, rings um
ihn und hinter ihm, der nur die Erde und alle ihre
Elemente mit dem Gigantengriff spielerischer Unterwerfung umschloss, weste auf immer das bittere
Wissen meiner eigenen, unentrinnbaren Schuld.
Ich wusste nicht, was ich getan hatte – ich wusste
nur, dass ich aufs gefährlichste die Zeit ausser acht
gelassen und so meine Menschenbrüder verraten
hatte. Ich war zwar lange von daheim fort – warum,
ahnte ich nicht – aber von den betäubenden Gerüchen einer grünen Fremde und ihrer Magie behext,
innerlich angefüllt von dunkler Trauer, vermochte
ich mich nicht mehr daran zu erinnern. Und plötzlich war ich wieder daheim – ging wieder in jenem
ruhigen, stillen und unwandelbaren braunen Licht,
durchschritt die Strassen, erklomm die Hänge der
Hügel, lief die Landstrassen der Heimat entlang –
manchmal ihre genauen und tatsächlichen Lineaturen, die der Kindheit und der Heimatstadt, so dass
ich nicht nur all das, was ich je gesehen und woran
ich mich erinnert hatte, vor mir sah – jede bekannte
Strasse, jedes Gesicht, jedes Haus und jeden Pflasterstein des Bürgersteigs – sondern auch zahllose
Dinge, von denen ich nicht mehr wusste, ob ich sie
je gesehen oder ob ich sie vergessen hatte: einen
rostigen Riegel an der Kellertür, die Art, wie eine
Stiege knarrte, eine alte Brandblase im Farbanstrich
der Holztäfelung des Kamins, eine Eiche droben auf
dem Hügel, die auf der einen Seite ganz ausgehöhlt
war, das blitzende Glasmuster an der Haustür, den
Schalthebel eines Strassenbahntriebwagens, dessen
Messing auf der einen Seite vom harten Zugriff des
Führers schon ganz silbrig geworden war und über
dem ein alter Tabaksbeutel hing – solche Dinge und
Millionen andere kamen mir wieder ins Gedächtnis
und quälten meinen Schlaf. Und viel, viel vertrauter
als diese Szenen der Erinnerung und der Herkunft
waren jene Landschaften, die irgendwie aus ihnen
hervorgingen – die Strassen, die Städte, die Häuser
und Gesichter, die ich sah, aber nicht so nah, wie sie
waren, sondern wie sie sein mussten, in jener unergründlichen, seltsamen und unvermuteten Logik
Wasser-Prawda | Januar 2015
menschlichen Verstandes und Gefühls – sie waren
viel wirklicher als die Wirklichkeit, um vieles wahrhaftiger als die Heimat.
Ich war lange von daheim fort. – Ich war gealtert an
einem schlimmen und verzauberten Ort, ich hatte
meinem Leben gestattet, sich zu verschwenden, dahinzufaulen in der sumpfigen und entwürdigenden
Oberflächlichkeit der Circe Zeit. Und jetzt war mein
Leben verloren, meine Arbeit nicht geleistet, ich hatte meine Heimat, meine Freunde, meine Familie, die
ernsten und unverletzlichen Pflichten, ihr Vertrauen
verraten, und plötzlich war ich wieder daheim, und
meine Antwort war Schweigen!
Sie sahen nicht mit Bitterkeit und Hass auf mich, sie
schlugen mich nicht mit der beissenden Schande
des Zorns, sie verfluchten mich nicht mit Drohungen der Rache und der Vergeltung – oh, hätten sie es
doch getan, welchen Balsam der Angst und Gerechtigkeit hätten selbst Flüche gehabt! – statt dessen
schwieg ihr Blick, und ihre Zunge war stumm. Und
wieder, wieder schritt ich die Strassen der heimatlichen Stadt entlang, nach Jahren der Abwesenheit
sah ich wieder die Linien der gewohnten Gesichter
und hörte heimatliche Worte, den Ton heimatlicher
Stimmen, und mit einer stillen und tiefen Verwunderung sah ich Spiel und Widerspiel ihres Handelns,
den grauen Mittag, den Verkehr auf den Strassen,
und alles war so, wie es immer gewesen war, ich hatte nichts davon vergessen: bis ich vorüber gegangen
war, herrschte Todesschweigen.
Ich ging unter ihnen, und ihre Bewegungen hörten
auf, ich ging unter ihnen, und ihre Zungen verstummten, ich ging unter ihnen, und keiner von
ihnen bewegte sich oder sprach, bis ich vorüber
gegangen war, und wenn sie mich ansahen, so war
in ihren Augen nur schweigende Leere, keine Erinnerung war in ihnen; es gab keine Vorwürfe, keinen
Kummer und keine Verachtung, keine Bitterkeit
und keinen Zorn – wenn ich gestorben wäre. Wäre
wenigstens das Gespenst einer Erinnerung dagewesen, aber so war es, als sei ich nie geboren worden.
Und wie ich so an ihnen vorüberging, wo ich auch
hinschritt, überall senkte sich der Tod nieder. Wo
SPRACHRAUM
ich auch vorbeiging, immer konnte ich hinter mir
hören, wie die Stimmen, die Geräusche der Strasse
und der ganze Verkehr eines hellen Tages wieder
erwachten – aber erst, wenn ich an ihnen vorbeigegangen war!
Und so umfloss mich die ganze Stadt, war sie um
mich herum, und einmal, ohne eine Brücke, ohne
Übergang der Verwandlung, schritt ich auf einem
kargen Weg dahin über das riesige Gefilde einer
baumlosen Wüste und öden Leere, und das stille, trauervolle und tragische Licht schien aus dem
Schrecken einer planetarischen Leere auf mich
nieder, aus dem lidlosen und vorwurfsvollen Auge
des gelassenen Himmels, der sich mit der dauernden Ätze verschwiegener Scham in meinen nackten
Geist frass.
Eine andere und beständigere Variante dieser Träume von Schuld und Zeit pflegte diese Form anzunehmen: Es schien, als sei ich ins Ausland gereist,
lebe dort und sei mir doch bewusst, dass ich immer
noch Lehrer an der Universität wäre. Fern aller
Gewalttätigkeit, fern allem Aufruhr, fern der harten Alltagswirklichkeit des amerikanischen Lebens,
fern auch dem akzentuierten Jargon der Universität,
fern ihrer mit fetten Gesichtern bevölkerten Korridore, erfüllt von kräftigen Stimmen, fern all dem
Gedränge und der Hast und dem Durcheinander
dieses fiebrigen Lebens, fern seiner unharmonischen
Spannungen und seiner überspannten Nerven, lebte
ich mein Leben in einem fremden, golden-grünen
Luxus, träumte mein Leben in alten, gotischen
Städten oder im lieblichen Zauber eines Burgenlandes, mein Geist schlüpfte von Land zu Land,
von einer Verzauberung in die andere, mein Leben
verstrich in einer Folge betäubender Magien – und
doch war ich für immer verhext von einem Zeitund Schuldbewusstsein, vom heimlichen Nagen
verratenen Vertrauens. Und plötzlich schien mein
volles Bewusstsein zurückzukehren: Ich war ein Jahr
von daheim fort gewesen – meine Klassen an der
Universität hatten auf mich gewartet – und plötzlich war ich wieder da, durcheilte die wimmelnden Korridore, eilte wild von einem Klassenraum
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zum anderen, versuchte verzweifelt, die Klassen zu
finden, die ich so im Stich gelassen hatte. In diesen Träumen lag ein grotesker und erschreckender
Humor, den ich aber nicht zu schätzen vermochte:
Ich war irgendwie davon überzeugt, dass meine
vergessenen Klassen mich ein Jahr lang gesucht
hatten, ich sah sie in dem Korridorlabyrinth, im
Myriadengewimmel ihrer 30 000 Mitstudenten nach
mir suchen, sah sie in geduldiger Verzweiflung ihre
angesetzten Stunden in Klassenräumen absitzen,
die ihr abwesender Lehrer nie betrat. Und schliesslich – und das war das Fürchterlichste – sah ich vor
mir Stösse von Arbeitsheften sich stapeln – diese
verfluchten Themen, die Woche um Woche mehr
wurden – die sich gebirgsartig und hoffnungslos vor
mir anhäuften – ihre weissen, ekelhaft unschuldigen
Rücken verrieten nichts von dem Gekritzel, mit dem
ich einmal – geplagt von der zwiefachen Qual der
Langeweile und des Bewusstseins – jedes Fleckchen
ihrer papierenen Oberfläche bedeckte. Und nun war
es zu spät! Ein Monat, zwei Wochen, eine Woche –
irgendein Wunder der Zeit und wilder Arbeit hätte
mich vielleicht davon erlösen können – aber jetzt
war der letzte Tag des Semesters, war die letzte Stunde abgelaufen, der letzte unaufhaltsame Augenblick,
die letzte Chance der Befreiung verronnen. Ich sah
mich plötzlich im Zimmer der Englischen Fakultät
stehen, taub vor Schrecken angesichts des grossen
weissen Bergs dieser Hefte. Ich wandte mich ab, ein
schweigender Kreis von Studenten umringte mich,
sie starrten mich nicht an, sie waren nicht zornig
oder ärgerlich auf mich und drängten nicht auf
mich zu, aber sie sahen mich mit dem stillen Blick
der Verdammung an. Meine kleinen Juden standen
am nächsten, hatten ihre schwarzen Augen auf mich
gerichtet mit einem verzweifelten, aber unablässigen
Vorwurf, und hinter ihnen stand, wie im Gerichtshof, der Kreis der anderen Lehrer.
Alle waren sie versammelt – Schüler, Lehrer, Freunde, Feinde und die riesige Verdammnis der Hefte
– es wurde kein Wort gesprochen, nur der schweigende Blick unbewegter und erbarmungsloser
Anklage traf mich. Dieser Traum kehrte hundertmal
Wasser-Prawda | Januar 2015
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SPRACHRAUM
in meinem Schlaf wieder und quälte mich: Jedesmal
erwachte ich im kalten Angstschweiss und voller
Schrecken, und so stark war der Eindruck dieses
Traums, so wirklich und fürchterlich sein überzeugender Bann, dass ich manchmal aus dem Traum
erwachte und minutenlang in kaltem Schrecken dalag, während mein Gehirn mit den Phantomen des
Schlafes rang, um mich wieder in die Wirklichkeit
zurückzurufen.
Dabei waren diese Träume von Schuld und Zeit
nicht die einzigen: im Schlaf brannten mein Denken
und mein Erinnern mit einem Feuerfluss unaufhörlicher strömender Bilder: die riesigen Behälter
meiner Erinnerung brachen auf und gossen in die
Sturzflut dieses feurigen Stromes Millionen Dinge,
die ich einmal gesehen und wieder vergessen hatte,
sie waren wieder da und brannten vor mir in diesem
Lichtstrom – und Millionen nie gesehener Dinge,
Gesichter, Städte, Strassen und Landschaften, die
ich nie gesehen, aber mir seit langem vorgestellt
hatte – diese unbekannten Gesichter waren wirklicher als die, die ich gekannt hatte, diese nie gehörten
Stimmen, vertrauter als die, die ich kannte, diese
nie gesehenen Formen, Massen, Gestalten und
Landschaften waren in ihrer Essenz viel wirklicher
und gegenwärtiger als substanzielle Dinge, die ich
gekannt hatte – alles strömte in meiner Vision durch
mein fieberndes, ruheloses Denken dahin, eine Flut
unendlicher Folgen – und plötzlich wusste ich, dass
das nie aufhören würde.
Der Schlaf war für immer tot, die gnädige, dunkle
und süsse Auflösung des Kindheitsschlafes. Der
Wurm hatte sich mir ins Herz gefressen, der Wurm
ringelte sich darin und frass an meinem Gehirn,
meinem Geist und meinem Gedächtnis. Ich wusste, dass ich schliesslich im eigenen Feuer gefangen
war, verzehrt war vom eigenen Hunger, festgefangen
am Haken des fürchterlichen, unersättlichen Verlangens, das seit Jahren mein Leben verzehrte. Ich
wusste, kurz gesagt, dass für immer eine helle Zelle
meines Gehirns, meines Herzens oder Gedächtnisses brennen würde – Tag und Nacht, wachend oder
schlafend, jeden Augenblick meines Lebens würde
Wasser-Prawda | Januar 2015
der Wurm nagen, und das Licht brennen – es gab
keine Betäubung durch Nahrung, Freundschaft,
Reise, Sport, Frauen, die es jemals zu löschen vermochte, es gab keine Flucht davor, bis mein Tod
völlige Dunkelheit in mir ausbreitete. Ich wusste, ich
war nur ein Schriftsteller geworden: Ich wusste nun,
was einem Menschen geschieht, der das Leben eines
Schriftstellers zu dem seinen macht.
So stand es mit mir im Frühwinter des Jahres 1933,
und gerade in diesem Augenblick war, obwohl ich es
noch nicht ahnen konnte, das Ende meiner ungeheuren Arbeit in Sicht.
Mein Freund, der Verlagsleiter und Herausgeber,
von dem ich schon mehrere Male gesprochen habe,
hatte durch diese ganze Quälzeit hindurch mich
in aller Ruhe beobachtet, und nun, im Dezember
dieses Jahres, lud er mich in seine Wohnung ein
und sagte mir seelenruhig, mein Buch wäre fertig.
Ich konnte weiter nichts tun, als ihn bass erstaunt
angucken und schliesslich, als ich Worte fand, ihm
aus der Tiefe meiner Hoffnungslosigkeit versichern,
er irre sich, das Buch sei nicht fertig, ich könne nie
damit zu Rande kommen, ich könne nicht mehr
schreiben. Im Ton derselben ruhigen Schlüssigkeit
entgegnete er, ob ich‘s nun wisse oder nicht, das
Buch sei fertig, und dann hiess er mich auf meine
Bude gehen und die nächste Woche damit verbringen, die Manuskriptstücke, die sich in den letzten
zwei Jahren angesammelt hatten, der Reihe nach zu
ordnen.
Noch ohne Hoffnung und ohne Glauben folgte ich
seinem Geheiss. Ich arbeitete sechs Tage; ich sass
mitten im Zimmer auf dem Fussboden, allseitig von
hohen Stapeln und Stössen getippten Manuskripts
umgeben. Nach einer Woche hatte ich den ersten
Teil des Ganzen zusammen, und genau zwei Tage
vor Weihnachten 1933 brachte ich meinem Freund
das Manuskript «Das Oktoberfest» und wieder ein
paar Tage später das Manuskript «Die Hügel jenseits Pentland». Das Manuskript «Das Oktoberfest»
war damals etwas mehr als eine Million Wörter
lang. Während der drei vorangegangenen Jahre
hatte mein Freund das meiste schon in unverbun-
SPRACHRAUM
denen Bruchstücken zu sehen gekriegt; nun sah er
das Ganze in geordneter Reihenfolge, und wieder
einmal hatte er mit seiner Intuition recht gehabt; er
hatte die Wahrheit gesprochen, als er mir sagte, ich
hätte das Buch fertig.
Freilich war es keineswegs in dem Sinne fertig, dass
es veröffentlicht und den Lesern vorgelegt werden
konnte. Es war wirklich nicht so sehr ein Buch als
das Skelett eines Buches, aber zum erstenmal nach
vier Jahren war das ganze Skelett da. Was nun zu
tun blieb war eine ganz ungeheure Arbeit, nämlich
Durchsehen, Zusammenweben, Zurechtformen und
vor allem Kürzen – aber das Buch hatte ich nun so,
dass nichts auf der Welt, nicht einmal meine eigne
Verzweiflung es mir entreissen konnte. Mein Freund
sagte mir das, und plötzlich sah ich ein, dass er recht
hatte.
Ich war wie ein Ertrinkender, der auf einmal, gerade
im Augenblick, wenn ihm der Atem ausgeht, die rettende Hand spürt. Mein Geist wurde emporgerissen
vom grössten Triumphgefühl, das ich je empfunden
hatte, und obschon mein Verstand müde, mein Körper erschöpft war, von dieser Stunde an fühlte ich
mich allem auf Erden gewachsen.
Es war ersichtlich, dass viele schwierige Aufgaben
vor uns lagen, aber die Sache selbst hatten wir nun;
und wir hiessen in glücklichem Vertrauen die Arbeit
willkommen. In erster Linie sollte uns die riesenhafte Länge des Buches zu schaffen machen. Selbst in
dieser Skelettform war das Manuskript «Das Oktoberfest» zwölfmal so lang wie ein durchschnittlicher
Roman, doppelt so lang wie «Krieg und Frieden».
Zweifelsohne war es daher nicht nur vollkommen
ausgeschlossen, das Buch in einem einzigen Band zu
veröffentlichen, sondern auch unratsam, das Buch in
mehreren Bänden herauszubringen, denn die ungeheure Länge würde auf jeden Fall die Aussicht, dass
das Buch ein Lesepublikum fände, schier zunichte
machen.
Dieser Schwierigkeit standen wir nun gegenüber,
und mein Freund, der Herausgeber, liess sich sofort
mit ihr ein. Im Verlauf einer eingehenden Prüfung des Manuskripts fand er heraus, dass in dem
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Buch «Das Oktoberfest» zwei in sich geschlossene,
getrennte Umläufe geschildert waren. Im ersten
Umlauf bewegte sich das Geschehen um die Wanderschaft und den Hunger eines Menschen in der
Jugend. Im zweiten Umlauf war eine Lebensspanne grösserer Daseinssicherheit beschrieben, und
die Einheit einer einzigen Leidenschaft war es, die
tonangebend die Erzählung zusammenhielt. Offensichtlich also lag in diesen zwei Bewegungszyklen
wirklich der abgehandelte Stoff von zwei vollkommen verschiedenen Chroniken vor, und obschon
der zweite Zyklus bei weitem der vollendetere war,
war es natürlich der erste Zyklus, der logischerweise zuerst fertiggemacht und veröffentlicht werden
musste, und wir entschieden uns für diesen Kurs.
Wir nahmen den ersten Teil zuerst vor. Ich machte
sofort eine gründlich genaue Zusammenstellung,
in der nicht nur der Geschehnisverlauf von Anfang zu Ende aufgezeichnet stand, sondern auch
innerhalb des Anlageplans die bereits vollständig
fertigen Kapitel, die teilweise fertigen Kapitel und
die überhaupt noch ungeschriebenen Kapitel analysiert wurden. Als die Zusammenstellung fertig war,
machten wir uns daran, das Buch druckfertig zu
machen. Diese Arbeit beschäftigte mich das ganze
Jahr 1934 hindurch. Anfang 1935 war das Buch fertig; es erschien dann im März unter dem Titel «Von
Zeit und Strom».
Von allem Anfang an war es so, dass das Buch, selbst
in der unvollendeten Fassung, aufs radikalste gekürzt werden musste. Sowohl wegen der Art, in der
das Buch geschrieben worden war, als auch wegen
der Müdigkeit, die ich nun verspürte, war ich nicht
dazu bereit, mich allein der Aufgabe, die nun bevorstand, zu unterziehen.
Das Kürzen und Zusammenstreichen ist für mich
immer das Schwierigste und Widerlichste an der
ganzen Schriftstellerei gewesen; meine Neigung ist
stets, hinzuzuschreiben anstatt wegzustreichen. Ausserdem, was ich auch an kritischen Fähigkeiten besitzen mag, soweit sie mein Werk betrafen waren sie
– damals wenigstens – ernstlich mitgenommen von
der irrsinnigen Arbeit, die ich in den vier, beinah
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SPRACHRAUM
fünf voraufgegangenen Jahren geleistet hatte. Wenn
ein Mensch über eine so lange Spanne hin sein
Werk aus sich hervorgestossen hat, nicht anders wie
brennende Lava aus einem Vulkan, wenn er in der
Weissglut seiner Schöpferkraft allem, so überflüssig
das Einzelne sein mag, Feuer und Leidenschaft mitteilte, dann ist es sehr schwer für ihn, nun plötzlich
chirurgenhaft kalt seinem Werk gegenüberzutreten
und rücksichtslos den Abstand zu wahren.
Ich will an ein paar sachlichen Beispielen die
Schwierigkeiten verdeutlichen, denen wir uns gegenübersahen. Zu Eingang des Buches wird eine Eisenbahnfahrt durch den Staat Virginia beschrieben.
Was dieser Abschnitt innerhalb des Buchganzen bewerkstelligen soll, ist einfach dies: ein paar von den
Hauptgestalten sollen eingeführt, eine zentrale Situation soll angezeigt und der Hintergrund, vor dem
die Erzählung spielt, soll erstellt werden; darüber
hinaus soll vielleicht motivisch mit der Schilderung
des fahrenden Zuges über die stille Erde ein bestimmter Rhythmenschlag vermittelt, eine bestimmte, der Natur des Buches innewohnende Gemütsbewegtheit heraufbeschworen werden. Dem Abschnitt
fällt also zweifellos eine wichtige Aufgabe zu, aber
im Verhältnis zum Sinn des Ganzen ist diese Aufgabe sekundär. Folglich hiess es, diesen Abschnitt nach
Mass und Masse ins richtige Verhältnis zum ganzen
Buch bringen.
Nun war in der Urfassung jenes Stück Manuskript,
in dem die nächtliche Zugfahrt durch Virginia
beschrieben wird, beträchtlich länger als ein durchschnittlicher Roman. Ich hatte über einhunderttausend Wörter geschrieben, und was not war, war eben
bloss ein Eingangskapitel, und dieselbe Schwierigkeit, diese selbe Proportionslosigkeit war offensichtlich auch in andern Stücken meines Manuskripts
gegeben.
Was ich über den grossen Zug geschrieben hatte,
war wirklich gut. Aber was ich nun erkennen musste, diese sehr bittere Lehre, die jeder Schreibende
lernen muss, war, dass eine Sache an sich das bestgeschriebene Stück Prosa sein kann, das man je
geschrieben hat, und trotzdem in dem Buch, das
Wasser-Prawda | Januar 2015
man veröffentlichen will, durchaus keinen Platz hat.
Das fällt einem schwer, aber man muss sich damit
abfinden, und wir fanden uns damit ab.
Mir schauderte im Geist vor dieser blutigen Hinrichtung, meine Seele schrak zurück vor der Abmetzelung so vieler schöner Dinge, an denen ich mit
ganzem Herzen hing. Aber es war notwendig, und
wir taten das Notwendige.
Das erste Kapitel der Originalfassung wurde rücksichtslos ausgestossen, und dabei war es, wie mein
Freund, der Herausgeber, selber zugab, so gut
geschrieben, wie ich nur je etwas geschrieben hatte,
aber es war eben kein Anfangskapitel, sondern nur
ein Kapitel, das auf den wahren Anfang hinleitete,
und so musste es wegfallen. Und so verfuhren wir
auf der ganze Linie. Kapitel von fünfzigtausend
Wörtern wurden auf eine Länge von zehn- bis fünfzehntausend Wörtern zurückgestutzt, und nachdem
ich nun einmal die unvermeidliche Notwendigkeit
dieses Verfahrens vor Augen sah, griff ich selber mit
einer gewissermassen neuerworbenen Rücksichtslosigkeit zu und strich ein- oder zweimal sogar mehr
weg, als mein Herausgeber zuzulassen willens war.
Ein anderer Fehler – etwas, das mir beim Schreiben immer Scherereien macht – war, dass ich so oft
unternahm, einen Vorfall aus dem Leben in seiner
Gänze, in seinem vollen Fluss und seiner ganzen
hergangsmässigen Beschaffenheit nachzubilden.
So wurden an andrer Stelle meines Buches einmal
vier Leute geschildert, die stundenlang ohne Pause und Unterbrechung miteinander reden. Diese
vier Leute hatten alle ein gutes Mundwerk, und oft
redeten sie alle auf einmal oder versuchten doch,
alle auf einmal zu reden. Und was sie redeten, das
war wundervolle und lebendige Rede, denn ich hatte
an der lebendigen Quelle das Leben, den Charakter und den Wortschatz dieser Leute gekannt und
vergessen hatte ich nichts. An Handlung aber ging
in diesem Stück weiter nichts vor, als dass eine junge
Frau aus dem Auto ihres Gatten ausstieg, ins Haus
ihrer Mutter eintrat und nun dem ungeduldigen
Mann draussen jedesmal, wenn er mit der Hupe
tutete, zurief: «Schon recht! Schon recht! Ich komm‘
SPRACHRAUM
in fünf Minuten». Aus den fünf Minuten wurden
dann vier Stunden, der ungeduldige Gatte draussen
tutete mit der Hupe, und die beiden Frauen und die
beiden jungen Brüder der jüngeren Frau drinnen im
Haus ergingen sich in wahren Sturzbächen der Rede
und unterhielten sich eingängig über das Leben und
die Vorgeschichte fast aller ihrer Kleinstadtbürger,
kramten die Vergangenheit aus den Gedächtnissen
heraus, gedachten gegenwärtiger Unternehmungen
und erwähnten zukünftige Aussichten. In meiner
Urfassung hatte ich das alles hingeschrieben, ganz
so, wie ich solche Vorkommnisse tausendmal mit
angesehen, beobachtet und miterlebt hatte. Und
wenn ich‘s auch selbst sage, so ist es doch wahr, dass
alle diese Reden, dass die pralle Lebenskraft und
Charakterfülle der Sprache, die äusserste Natürlichkeit der stromfluthaften Redegewalt mir ganz
wunderbar geglückt waren. Aber – ich hatte da vier
Leute insgesamt achtzigtausend Wörter reden lassen
–, und das wären zweihundert engbedruckte Seiten
in kleinem Schriftsatz gewesen für einen kleinen
Vorfall in einem enormen Buch, und freilich, so gut
das Stück auch war, es war ganz verkehrt, es musste
wegfallen.
Dieser Art also waren einige von den Hauptschwierigkeiten, die wir mit dem Manuskript hatten, das
uns vorlag, und obschon seit dem Erscheinen des
Buchs vielerseits erklärt worden ist, es wäre eine
Wohltat, wenn das Werk aufs stärkste gekürzt
würde, so haben wir tatsächlich damals schon bei
weitem drastischer gekürzt, als ich es im Traum für
möglich gehalten hätte.
Zu gleicher Zeit war ich mit aller Geschwindigkeit
dabei, das Werk dem Anlageplan entsprechend zu
vollenden, die unfertigen Stücke fertigzustellen und
die wesentlichen Übergänge einzufügen.
Das war an sich schon eine ungeheuerliche Arbeit,
und ich hatte ein ganzes Jahr lang Tag für Tag so
tüchtig, wie ich nur konnte, zu tun. Auch hier stellte
sich wiederum heraus, wo mein Hauptfehler lag.
Ich schrieb wieder zuviel. Ich schrieb nicht nur das
wenige, das wesentlich war, sondern ich liess mich
immer wieder von meiner Begeisterung für einen
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guterzählbaren Vorgang hinreissen. Tat sich mir da
so eine bezaubernde Aussicht auf, wie sie sich dem
Wandrer auf dem Weg, dem Schaffenden im vollen
Zug der schöpferischen Arbeit aufzutun pflegen,
dann liess ich mich verleiten, und dann schrieb ich
tausend Worte über einen Vorgang, der nicht von
Lebenswichtigkeit beitrug zu einem Buch, dessen
grösste Not ohnehin schon war, dass es rücksichtslos
verdichtet werden musste.
Im Laufe dieses Jahres habe ich wohl ein Zusatzmanuskript von einer halben Million Wörtern geschrieben, und freilich wurden schliesslich nur ganz kleine
Stücke davon verwandt.
Die mir natureigne Art des Verfahrens, der Wunsch,
den Stoff, der mir vorliegt, voll und ganz zu erforschen, – das hatte mich zu einem andern Irrtum
verleitet. Das ganze Ergebnis jener fünf Arbeitsjahre, in denen ich unaufhörlich geschrieben hatte,
war, dass ich nun nicht nur das Gefühl hatte, alles
und jedes müsse verwandt und benutzt werden,
sondern dass ich auch glaubte, ich müsse alles und
jedes aussagen, nichts dürfte verschwiegen werden
und gleichsam «zwischen den Kapiteln» bleiben.
So lagen mir am Schluss noch einige Zusatzkapitel
– ein gutes Dutzend war es – vor, und ich hatte das
Gefühl, diese Kapitel müssten vollendet werden, damit das Buch vollen Wert und Gültigkeit habe. Diese
Sache habe ich tausendmal mit meinem Herausgeber verzweifelt erörtert. Ich sagte ihm, diese Kapitel
müssten ins Buch hinein, weil es ohne sie unvollständig wäre, und er versuchte mit allen Argumenten, die ihm zu Gebote standen, mir zu beweisen,
dass das verkehrt wäre. Ich sehe nunmehr ein, dass
er im grossen ganzen recht hatte, aber damals war
ich noch so unlösbar in mein Werk verstrickt, dass
ich nicht den zur richtigen Einschätzung notwendigen Abstand gewinnen konnte.
Das Ende kam plötzlich, das Ende dieser fünf Jahre
der Qual und unausgesetzten Hervorbringens. Im
Oktober fuhr ich auf vierzehn Tage nach Chicago;
seit über einem Jahr waren diese Tage die ersten
Ferien, die ich mir verstattet hatte. Bei meiner Rückkehr fand ich, dass mein Freund, der Verlagsleiter,
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SPRACHRAUM
das Manuskript stillschweigend entschlossen in die
Druckerei geschickt hatte. Die Setzer waren bereits
an der Arbeit, die ersten Korrekturfahnen lagen
schon vor. Das hatte ich nicht vorausgesehen. Ich
war verzweifelt, war vollkommen bestürzt.
«Das darfst du nicht», sagte ich zu ihm, «das Buch
ist doch noch gar nicht fertig. Ich brauche noch
sechs Monate dazu.»
Er antwortete darauf, dass das Buch nicht nur fertig
sei, sondern dass, wenn ich noch sechs Monate
länger daran arbeiten würde, ich dann wieder sechs
Monate fordern würde, und darüber hinaus wieder
sechs Monate, dass ich schliesslich so besessen von
dem Werk sein würde, dass es nie zur Veröffentlichung käme. Er sagte weiter, und ich glaube mit vollem Recht, dass das verhängnisvoll für mich wäre.
Ich sei, so sagte er, kein Flaubert. Ich sei kein Perfektionist. Ich hätte zwanzig, dreissig, ja, jede Anzahl
von Büchern in mir, und das Wichtigste sei, sie
hervorzubringen und nicht den Rest meines Lebens
darauf zu verwenden, aus ihnen ein einziges, vollkommenes Buch zu machen. Er gab zu, dass mein
Buch nach weiteren sechs Monaten der Arbeit daran
eine bestimmte Vervollkommnung erhalten würde,
aber er glaube nicht, dass das so viel ausmache, wie
ich dächte, und seiner tiefsten Überzeugung nach
müsse das Buch sofort und ohne weitere Verzögerung veröffentlicht werden, ich müsse es loswerden,
vergessen und mein Leben wieder der Vollendung
des Buches zuwenden, das bereits in Angriff genommen war und auf mich wartete. Er sagte mir auch
voraus, wie die Kritik ausfallen würde, die Kritik an
seinen Längen, seinen Adjektiven, seiner Überfülle,
aber er sagte auch, dass ich keinen Grund hätte zu
verzweifeln.
Schliesslich sagte er mir, dass ich mich entwickeln,
besser schreiben, dass ich lernen würde, ohne so viel
Umstände, Verschwendung und nutzlose Quälerei
zu arbeiten, dass meine künftigen Bücher mehr und
mehr die Geschlossenheit, Sicherheit und Endgültigkeit besitzen würden, die jeder Künstler seinem
Werk wünscht, aber dass ich es eben auf diese Art
lernen müsse, auf die ich es jetzt lernte: tastend,
Wasser-Prawda | Januar 2015
kämpfend, mir selbst den Weg bahnend, dass man
es anders nicht lernen könne.
Im Januar 1935 las ich die letzten Korrekturen, die
ersten Exemplare kamen im Februar aus der Druckerei, und endgültig veröffentlicht wurde das Buch
Anfang März. Ich war nicht in New York, als es
herauskam. Ich hatte die Woche zuvor einen Dampfer nach Europa genommen, und als das Schiff sich
weiter und weiter von der amerikanischen Küste
entfernte, sank mir der Mut tiefer und tiefer, und
bald befand ich mich im Zustand der hoffnungslos
tiefsten Bedrücktheit, die ich, glaube ich, je durchgemacht habe. Grösstenteils scheint mir das einfach
eine körperliche Reaktion gewesen zu sein, die
unvermeidliche Wirkung des Ausspannens auf den
Organismus eines Menschen, der sich fünf Jahre
lang bis zur äussersten Grenze seiner Leistungsfähigkeit angestrengt hatte. Ich kam mir vor wie eine
riesige Spiralfeder, die, jahrelang straffgespannt, sich
nun langsam in den Windungen aus der Spannung
löste. Das aussergewöhnlichste Gefühl der Verlassenheit befiel mich, einer Verlassenheit, wie ich sie
nie im Leben gekannt hatte, sobald ich an mein
Buch dachte. Es war mir bisher niemals klargeworden, wie nah mir das Buch gegangen, wie sehr es ein
Teil meiner selbst geworden war, und nun, nachdem
es von mir weggenommen worden war, kam ich mir
hohl wie eine Hülse vor und so, als lebte ich vergeblich. Und nun war das Buch ja weg, und nun gab es
ja nichts mehr, was ich für das Buch tun konnte, und
nun hatte ich das abgründig tiefste Gefühl, versagt
zu haben. Ich habe irgendwie immer ein bisschen
Angst vor dem Gedrucktwerden gehabt, obschon
ich mich doch so sehr um das Gedrucktwerden
gemüht habe. Es ist wahrhaftig jedesmal, wenn ich
etwas geschrieben hatte, so gewesen, dass ich, wenn
die Stunde näher kam, da es in nackten Lettern
gedruckt dastehn würde, von einer gewissen Verzweiflung überfallen wurde. Jedesmal habe ich dann
meinen Verleger angefleht, das Buch erst zur nächsten Saison erscheinen zu lassen, jedesmal habe ich
dann die Schriftleiter gebeten, meinen Beitrag noch
einen Monat oder zwei liegen zu lassen, denn jedes-
SPRACHRAUM
mal wollte ich die Gelegenheit haben, meine Arbeit
nochmals zu überarbeiten, irgendetwas noch daran
zu tun, obschon ich nicht immer genau wusste, was.
Nun überwältigte mich ein Gefühl der Scham, und
ich schämte mich mehr, als ich mich je geschämt
habe. Mir war, ich hätte mich selber verderberisch
blossgestellt als ein bedauernswürdiger Narr, der
kein Talent habe, ich hätte nun ein- für allemal die
Wahrsagungen der Kritiker wahrgemacht, die behauptet hatten, mein Erstlingsbuch sei weiter nichts
als ein Abblitzer gewesen. In dieser Gemütsverfassung traf ich am 8. März in Paris ein, und der 8.
März war gerade der Tag, an dem das Buch in Amerika ausgeliefert werden würde. Ich war abgereist,
um das Buch zu vergessen, und dennoch dachte ich
die ganze Zeit an das Buch. Ich lief auf den Strassen
herum von früh bis spät, vom Abend bis zum Morgen, mindestens zwölfmal in vierzehn Tagen hörte
ich die Frühmesse in Sacré Cœur und ging dann zu
Fuss heim in mein Hotel und legte mich um zehn
Uhr vormittags aufs Bett, und schlafen konnte ich
dann immer noch nicht.
Nachdem das einige Tage so gegangen war, fasste
ich einen eisernen Entschluss und betrat gestählten
Mutes das Büro der Reiseagentur, wo möglicherweise eine Nachricht für mich eingelaufen sein konnte.
Eine Kabelnachricht lag für mich da. Sie war von
meinem Verleger, und da stand in schlichten Worten: «Grossartige Besprechungen, etwas kritisch
in vorausgewusster Weise, höchsten Lobes voll.»
Als ich diese Worte zum erstenmal las, las ich sie
mit dem Gefühl einer fast unerträglichen Freude,
aber als ich sie dann wiederlas, nochmals las und
abermals las, fing der alte, schwarze Zweifel an, mir
wieder ins Gemüt zu krauchen, und als es dann
Abend geworden war, war ich bereits fest überzeugt,
diese wundervolle Kabelnachricht sei der Urteilsspruch meines Verhängnisses, und mein Freund, der
Herausgeber und Verlagsleiter, habe aus der unendlichen Fülle seines Erbarmens gerade diesen Weg
gewählt, um mir schonend beizubringen, dass mein
Buch ein kolossaler Fehlschlag sei.
Es vergingen drei Tage, ich strich wie ein wahn-
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sinnig gewordenes Tier auf den Pariser Strassen
herum, und später konnte ich mich fast an nichts
mehr erinnern, was in diesen drei Tagen mit mir
und um mich geschah. Am vierten Tag schickte ich
dem Verlagsleiter ein irrsinniges Kabel, in dem ich
ihm sagte, ich könne alles andre eher ertragen als
diesen verdammten Zustand der Ungewissheit, und
ihn bat, mir die ungeschminkte Wahrheit zurückzukabeln, ganz gleich, wie bitter sie sei. Seine Antwort
auf dieses Kabel lautete so, dass ich nicht länger
zweifeln konnte an ihm oder an der Aufnahme, die
dem Buch zu Haus in Amerika geworden.
Dies beschliesst, soweit mir erinnerlich ist, die
Geschichte von der Arbeit an einem Buche und
von dem, was dem Mann widerfuhr, der das Buch
schrieb. Ich weiss, es ist eine zu lange Geschichte; ich
weiss auch, es ist allem Dafürhalten nach eine Geschichte, die ganz angefüllt ist mit dem Bericht von
Patzerei und lächerlichen Irrtümern, aber gerade
aus dem Grund, eben weil es so eine Geschichte ist,
hoffe ich, dass sie ein wenig von Wert sein mag. Es
ist eine Geschichte vom Künstler als Menschen und
als Arbeiter. Es ist eine Geschichte vom Künstler
als einem Menschen, der aus der grossen, gewöhnlichen Menschenfamilie der Erde stammt und der
alles an Herzensnot, Irrtum und Vereitlung kennt,
was ein lebendiger Mensch kennen kann.
In der gesamten Menschheitsgeschichte ist das
Leben eines Künstlers nie leicht gewesen. Und hier
in Amerika, schien es mir oft, mag es wohl das
härteste sein, das Menschen je kannten. Ich spreche
nicht von der Stagnation unseres Lebens, von einer
gewissen geistigen Öde, einem sauren Philistertum,
die sich gegen das Leben des Künstlers wenden und
seine Entfaltung hindern. Ich spreche nicht von
diesen Dingen, weil ich nicht mehr in dem Masse
an diese Bedrohung glaube wie früher. Ich spreche,
wie überall hier, von konkreten Dingen, von tatsächlichen Erfahrungen des Künstlers, über die von
ihm zu leistende physische Arbeit. Das scheint mir
eine Arbeit zu sein, deren Ausmass hier grösser und
schwieriger ist als in irgendeinem anderen Land
der Erde. Nicht nur darum, weil der amerikanische
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SPRACHRAUM
Künstler in den Kulturen Europas und des Orients
keinen Stoff, keinen Bauplan, keinen Traditionskörper findet, der seinem Werk die Beständigkeit
und Wahrheit verleihen könnte, die es haben muss.
Er muss sich nicht nur eine neue Tradition selbst
bilden aus seinem eigenen Leben und der enormen
Weite und Kraft amerikanischen Lebens formen, aus
der Struktur seines eigenen Wesens heraus; er steht
nicht nur diesem Problem gegenüber; mehr als all
das ist es seine Aufgabe, nach einer vollständigen
und vollkommenen Ausdrucksmöglichkeit zu suchen, ein ganzes Universum und eine vollkommene
Sprache zu entdecken.
Diesem Kampf müssen wir in Zukunft unser Leben
widmen. Aus Billionen Formen Amerikas, aus der
wilden Gewalttätigkeit und der dichten Komplexität seines schwärmenden Lebens; aus der einmaligen und einzigartigen Substanz dieses Landes und
unseres Lebens darin müssen wir selbst Kraft und
Energie holen, die Artikulierung unserer Sprache,
die Substanz unserer Kunst nehmen.
Denn dort, so scheint es mir, werden wir auf so
harte und ehrliche Art die Zunge finden, die Sprache und das Bewusstsein, die wir als Menschen und
als Künstler besitzen müssen. Dort müssen wir, die
wir nicht mehr haben als das, was wir besitzen, die
wir nicht mehr kennen, als wir kennen, die wir nicht
mehr sind, als was wir sind, unser Amerika finden.
Hier, in dieser Stunde und in diesem Augenblick
meines Lebens, suche ich mein Amerika.
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SPRACHRAUM
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DIE
VESTALINNEN
Eine Reise um die Erde. Abenteuer zu Wasser und zu Lande. Erzählt
nach eigenen Erlebnissen. Band 1. Von Robert KraŌ
20. LIEBE UND BERECHNUNG
Bereits seit vier Tagen befanden sich die englischen
Herren und die Vestalinnen in Sabbulpore, und zwischen den Gebäuden, wo sonst nur Trompetensignale
und Kommandorufe ertönt waren, vermischt mit den
Flüchen der Unteroffi ziere, waren jetzt Lachen und
Scherzworte hörbar. Den jüngeren Offizieren war es
hauptsächlich angenehm, daß der Besuch der Herren
und Damen in Sabbulpore stattgefunden hatte, denn
der Oberst sorgte dafür, daß es seinen Gästen nicht
an Abwechslungen fehlte. Wurden nicht Ausflüge in
die Umgegend unternommen, so war sicher darauf
zu rechnen, daß der Abend die Gesellschaft zu einer
Festlichkeit vereinigte. Die Dämmerung war angebrochen, der heiße Tag war dem kühleren Abend gewichen,
und in den Gärten, welche das Quartier umgaben, wandelten die Paare auf und ab, plauderten, lachten, oder
führten ernste Gespräche.
»Ist es nicht jammerschade, daß Sir Williams nicht
bei dieser Partie ist?« fragte Miß Thomson ihren Ritter.
»Mir fehlt immer etwas, wenn ich mich umsehe und
sein ewig fröhliches Gesicht und heiteres Lachen unter
den Uebrigen vermisse.«
»Mir geht es ebenso,« versicherte der Angeredete,
»aber er hat uns sein Wort gegeben, bald wieder zu uns
zu stoßen. Es muß ein sehr intimer Freund sein, den
er in Kalkutta aufsuchen will, sonst hätte er uns nicht
verlassen und am wenigsten eine gewisse Person.«
»Welche meinen Sie?« fragte das Mädchen unschuldig. – »Diejenige, mit welcher ich mich jetzt unterhalte.«
– »O, Sie Bösewicht,« sie schlug ihn mit dem Fächer.
»Sehen Sie dort die Tochter des Obersten mit Leutnant
Werden, ich glaube, deren eifrige Unterhaltung erstreckt
sich auch nicht aufs Wetter.«
»Der Leutnant macht der Nichte seines Vorgesetzten
entschieden den Hof, Miß Rosa ist aber auch ein reizendes Mädchen, sie gefällt mir in ihrer Anmut tausendmal
besser, als ihre schöne Cousine Evelyn. Was meinen Sie
von dieser, Miß Thomson?«
»Ich mag sie nicht leiden, ihr Blick hat etwas Unstetes,
Scheues. Schön ist sie allerdings, aber es ist eine zu
wilde Schönheit, wie ich sie nicht liebe. Dort geht sie
eben. Sehen Sie nur, wie scheu sie sich nach allen Seiten
umsieht, gerade, als hätte sie ein böses Gewissen!«
Die Besprochene bog eben in einen Seitengang, der
in ein Orangenwäldchen führte. Sie sah sich von Zeit
zu Zeit um, glaubte sich aber nicht beobachtet, denn
jene beiden, welche sich von ihr unterhielten, wurden
durch ein Gebüsch ihren Augen entzogen. Die hohe
Gestalt war von einem enganliegenden, schwarzen
Kleid umschlossen, welches ihre vollen Formen deutlich verriet. Die Arme waren ebenso, wie der Busen nur
mit einer leichten Gaze verhüllt, so daß die weiße, zarte
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SPRACHRAUM
Haut in der Dunkelheit leuchtete.
Jetzt hatte sie das Wäldchen erreicht. Sie zog eine
Uhr hervor.
»Acht Uhr,« murmelte sie. »Kommt er diesmal nicht,
so gebe ich die Sache verloren. Ich bemühe mich nicht
wieder um ihn.«
Sie lehnte sich an einen Stamm und starrte nach den
zum Wäldchen führenden Eingang des Weges.
»Was ist es nur, das mich immer und immer wieder
dazu treibt, ihn zu sehen, ihn zu sprechen, ihn zu hören!?
Ich muß mich selbst verachten, daß ich mich soweit
erniedrigen kann.«
Sie lachte höhnisch auf.
»Ich mich verachten?« rief sie spöttisch. »Dazu wäre
eher Zeit gewesen. Spion, Verräter, Mädchenräuber und
so weiter, alles zu gleicher Zeit. Doch das gilt alles nur,
um diesen verfluchten Engländern zu schaden. Was
kann ich dafür, daß mir mein Vater diesen Haß von
Jugend an eingeimpft hat? Horch, Schritte,« unterbrach
sie ihr Selbstgespräch, »er ist es, Horatio, er kommt wirklich! Nun biete deine ganze Kunst auf, Evelyn!«
In der That war es der Kapitän, welcher sich zu dem
ihm von Evelyn gewährten Rendezvous einfand.
Mit schnellen Schritten näherte er sich der Gestalt,
die ihn, sich mit einer Hand an den Baum stützend, vor
Aufregung zitternd, erwartete.
»Evelyn!« sagte der Mann leise, der jetzt vor ihr stand
und sie mit wehmütigen Blicken betrachtete. »Warum
quälst du mich fortgesetzt mit Bemühungen, meiner
habhaft zu werden. Kennst du nicht meine Verhältnisse,
weißt du nicht, daß ich nicht dein sein kann?«
Erstaunt blickte Evelyn empor. So weich hatte sie
ihn noch nie sprechen hören. Sonst setzte er ihren
Bewerbungen immer ein kaltes Schweigen entgegen,
welches Verachtung verriet, er entzog sich ihrer Nähe,
wo er nur immer konnte. Und doch, Indien ist das Land
der Liebe, die mit Blumenduft geschwängerte Luft kann
hier selbst das kälteste Herz zur Liebe entflammen.
In den dunklen Augen des schönen Weibes flammte
es heiß auf.
»Horatio,« hauchte sie, »willst du mit mir spielen?«
Traurig schüttelte der junge Mann den Kopf.
»Sieh, Evelyn, mir hat die Natur ein anderes Herz
gegeben, als dir. Du bist in Indien geboren, du kennst
Wasser-Prawda | Januar 2015
nichts davon, daß man auch mit der Zukunft rechnen
muß, das Genießen des Jetzt ist es, wonach du jagst.
Wir kälteren Nordländer ziehen aber die Zukunft in
Betracht. So wußte ich vom ersten Augenblick an, als ich
deine Liebe zu mir merkte, daß wir beide nie zusammenpassen würden, dein wildes, südliches Blut harmoniert
nicht mit dem meinigen, und du würdest bald meine
Kälte unerträglich finden.« – »Horatio!«
»Laß‘ mich sprechen! Ich unterdrückte die keimende
Liebe, die ich beim ersten Anblick für dich empfand,
schwer ist mir der Kampf geworden, ich habe so manche
Nacht mit mir gerungen, aber ich bin stets Sieger geblieben. Es war ein Glück für uns beide, daß wir damals
getrennt wurden, ich kam nach Bombay und dort fand
ich das Mädchen, welches für mich geeignet war. Es ist
nicht so schön, wie du – du bist im Vergleich zu ihr eine
Göttin – es ist nicht so bezaubernd, wie du, dir kann
ich es bekennen, aber dennoch schlug es mein Herz
in Fesseln, und willig duldete ich dieselben, denn ich
wußte, daß Clarence das Wesen war, welches mir ewig
die Treue bewahren würde.«
»Zweifelst du, daß ich dasselbe gethan hätte?« fragte
Evelyn atemlos; fiebernd pochten ihre Pulse.
»Ich zweifle daran,« war die ruhige Antwort. »Ein
nüchterner Mensch, wie ich, würde dir bald nicht mehr
genügen, du würdest ihn beiseite werfen und dir ein
anderes Spielzeug suchen.«
Blitzschnell jagten in dem Gehirn des Weibes die
Gedanken. So war er ihr also noch nicht verloren, er
hatte Liebe zu ihr empfunden, aber der energische
Engländer wußte sie so gut zu verbergen, daß selbst
das feinfühlende Weib es nicht hatte erraten können.
Wunderbar! Er hatte ja recht, sie paßten nicht zusammen, aber was kümmerte sie die Zukunft? Jetzt, jetzt
mußte er ihr gehören! Der Triumph, ihn zu ihren Füßen
liegen zu sehen, seiner Braut ihn entrissen zu haben,
einer verhaßten Engländerin, lockte sie, und dann außerdem war er nach dem Obersten der Höchste im Fort,
er führte Siegel und Schlüssel, welcher Nutzen für ihre
Freunde, der Engländer Feinde, wenn dieser stolze
Mann ihr gehorchte, wie ein Kind.
Evelyn hatte schon andere Triumphe gefeiert, dieser
sollte ihr leicht werden.
»Warum bist du heute meiner Einladung gefolgt und
SPRACHRAUM
101
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102
SPRACHRAUM
hierhergekommen?« fragte sie.
»Um dich zu bitten, mich nicht länger zu verfolgen.
Wenn du dir selbst keinen Frieden erringen kannst,
wenn du das Glück meiner Braut vernichten willst,
mache mich wenigstens nicht dadurch unglücklich,
daß ich deinen Schmerz mitansehen muß, er zerreißt
mir das Herz.«
Da flog das schöne Weib an seine Brust und umschlang
seinen Hals. Horatio fühlte die weichen Arme, er fühlte
den heißen Atem, das Heben und Senken des Busens,
und ein Zittern durchflog seinen Körper.
»Horatio,« flüsterte sie mit glühender, leidenschaftlicher Stimme, »stoße mich nicht von dir! Nimm alles
von mir, was ich dir geben kann, aber verachte mich
nicht länger!«
»Laß mich!« rief Horatio mit vor Aufregung zitternder Stimme, »laß‘ mich, denke an meine Braut!«
Er versuchte sich von den ihn umstrickenden Armen
freizumachen.
»Nein, ich lasse dich nicht, bis du mir versprichst,
mich nicht mehr zu verachten! Nur einen freundlichen
Blick gönne mir, einen einzigen!«
Ihr Mund näherte sich immer mehr dem seinigen,
ihre schwellenden Lippen schmachteten nach Küssen,
und heiß blitzten die schwarzen Augen den jungen
Mann an.
»Evelyn.«
Er flüsterte den Namen so zärtlich, es war um ihn
geschehen. Sie hielten sich innig umschlungen, Lippe
auf Lippe, und tauschten Kosenamen. Vergessen war
Clarence! Evelyn hatte gesiegt.
»Welch selige Stunden werden wir noch erleben,« flüsterte endlich Evelyn.
Der Offizier antwortete nicht; noch immer hielt er
das Mädchen umschlungen.
»Sag‘, Horatio, wie lange wirst du in Sabbulpore
bleiben?«
Der junge Mann antwortete nicht.
»Wann kehrst du nach Bombay zurück?«
Da zuckte er zusammen, langsam machte er seine
Arme von der Gestalt frei. Wie betäubt griff er sich an
die Stirn.
»Was habe ich gethan, Clarence, mein Gott!«
»Bereust du, daß du mich lieber hast, als Clarence?«
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»Bereuen? Nein, Evelyn, ich gehöre dir von nun bis
zum Tod.«
Wieder fanden sich ihre Lippen.
»Du willst für immer bei mir bleiben?« – »Für immer.«
– »Du lösest deine Verlobung mit Clarence auf?« – »Ich
will, ich muß es jetzt!« – »Thust du es gern?«
»Mir thut sie leid, aber ich kann nicht anders, ich
fühle jetzt erst, daß du mir teurer bist, als alles in der
Welt!« – »Mein Horatio!«
Endlich raff te sich das Mädchen auf.
»Gehe jetzt,« sagte sie, »und sei morgen abend wieder
hier. Ich habe viele Fragen an dich zu stellen.«
»Erst morgen wieder?« fragte der Offizier sehnsüchtig.
»Ja, ich habe einen Besuch zu erwidern. Unsere Gäste
waren mir längst zuwider mit ihrer Fröhlichkeit, die mir
ins Herz schnitt.«
»Arme Evelyn, was mußt du gelitten haben!« sagte
bedauernd O‘Naill. »Darf ich dich morgen nicht begleiten? Ich bin dienstfrei.«
»Nein, Horatio, es geht nicht. Doch gute Nacht nun,
Geliebter! Gehe nun nach Hause und schlafe wohl! Wir
wollen nicht zusammen aus dem Hain kommen, wir
könnten gesehen werden.«
Noch eine lange Umarmung, dann trennten sie sich.
Als der junge Offi zier den Hain hinter sich hatte
und sich außer Gesichtsweite der Geliebten glaubte,
nahm er einen schnelleren Gang an. Er durcheilte die
Anlagen, gab dem Posten das Losungswort und eilte
nach einem Seitenflügel des Hauses, in dem sich seine
Wohnung befand. Er öffnete nicht die Thür, welche in
das Wohnzimmer führte, sondern die der Stube, welche
von dem Burschen und dem indischen Diener bewohnt
wurde. Letzterer stand bei seinem Eintritt auf und verneigte sich mit gekreuzten Armen bis auf die Erde.
Im Quartier war allgemein bekannt, daß dieser
Diener kein Wort englisch verstand; einmal hatte es
der Offizier selbst gesagt, und dann gab er auch auf alle
in englisch gestellten Fragen keine Antwort, sondern
hörte nur, wenn auf indisch zu ihm gesprochen wurde.
Sonderbar war es nun, daß dieser Indier seinen Herrn
in ganz geläufigem Englisch anredete.
»Wie hat Euer Hochwohlgeboren die Schäferstunde
gefallen? Guten Erfolg gehabt, Euer Hochwohlgeboren?«
Der Ton war ganz eigentümlich spöttisch.
SPRACHRAUM
»Zum Teufel,« sagte der Offizier und zog den Rock
aus, »das hat mich angegriffen. Ist der Kapitän noch
wach?«
»Er schläft schon und wiegt sich in süßen Träumen.«
»Der Glückliche. Ich muß drücken und lecken und
schlecken, und der richtige liegt im Bett und träumt
von seiner Braut.«
»Haben Sie die Abdrücke?« fragte der Inder wieder.
»Natürlich,« antwortete sein Herr, der vor dem Spiegel
stand und da hantierte.
»Ein Blinder hätte sie machen können. Das Mädchen
ist so verliebt und dumm, daß die Gänse es beißen.«
»Hahaha,« lachte der Hindu, »ich hätte Sie nur sehen
mögen, wie Sie das Mädchen bearbeitet haben. Wie in
aller Welt haben Sie das nur angefangen, die Abdrücke
zu bekommen? Gab sie Ihnen die Schlüssel freiwillig?«
»Sie sind wohl ein bißchen verrückt,« sagte der Mann
am Spiegel. »Bei der ersten Umarmung nahm ich ihr
den Schlüsselbund aus der Tasche und dann, während
wir uns umschluugen hielten, drückte ich hinter ihrem
Rücken einen Schlüssel nach dem anderen ins Wachs,
zum Abschied nahm ich sie noch einmal an meine Brust,
überzeugte mich, daß kein Wachs an den Schlüsseln
klebte und steckte sie wieder an ihren alten Platz.«
»Hat‘s nicht dabei geklirrt?«
»Denken Sie etwa, ein Schlüsselbund klirrt in meiner
Hand? Außerdem war das Mädchen so aufgeregt, daß
es das Brüllen einer Kuh für das Flöten einer Nachtigall
gehalten hätte.«
Der Mann vor dem Spiegel drehte sich um, und vor
dem Hindu stand – Nikolas Sharp, der Detektiv.
Jetzt holte er unter dem Bett einen Koffer hervor,
öff nete ihn und entnahm demselben einen kleinen
Schraubstock, Feilen und einen Bund roher Schlüssel.
»So, jetzt kann es an die Arbeit gehen, ich muß die
ganze Nacht schlossern. Werfen Sie mir einmal dort
den Lappen her, Williams, ich will den Schraubstock
abwischen.«
»Es ist ein Battisttuch vom Kapitän.«
»Das ist meinem Schraubstock ganz egal, wenn es
nur das Fett wegnimmt, außerdem benutze ich nur die
eine Seite.«
Der Detektiv streifte die Hemdsärmel hoch und
begann zu feilen, wobei ihm der Hindu oder vielmehr
103
der verkleidete Williams zusah. Er war außer sich vor
Erstaunen, mit welch zauberhafter Schnelligkeit sich
ein Schlüssel nach dem anderen unter den kunstfertigen Händen des Detektivs formte, bis er in einen
Wachsabdruck paßte.
»Anstatt mir mit offenem Munde zuzuschauen, erzählen Sie mir lieber die Geschichte vom Oberst Walton,«
sagte der Detektiv, »aber so knapp wie möglich, damit
ich endlich einmal klar darin sehe. Hendricks hat sie
mir schon einmal erzählt, als ich mich ihm als ungarischer Fürst vorstellte, aber er kam immer wieder auf
des Obersten Pferde zu sprechen. Also ganz kurz, daß
sich meine Gedanken dabei nicht verwirren, ohne
Umschweife.«
»Nun,« lächelte Williams, »passen Sie auf, es ging folgendermaßen zu: Walton liebte, heiratete sie, Kind, sie
starb, Kind weg.«
»Hm,« brummte der Detektiv, »Pferde kommen darin
zwar nicht vor, aber etwas ausführlicher können Sie doch
erzählen.«
»Walton ist ein Engländer und kam als Leutnant nach
Indien,« begann jetzt Williams ernsthaft, »als Kapitän
faßte er Neigung zu einer Inderin und –«
»Halt,« unterbrach ihn der Detektiv, »wo war das?« –
»Hier in Sabbulpore.« – »Weiter!« – »Und heiratete sie.«
– »Legitime Ehe?«
»Ja, aber nicht in England bekannt gemacht; ich
glaube nicht einmal, daß seine Nichte Rosa etwas davon
weiß, denn er spricht niemals darüber. Kurz, ehe der
große Aufstand losbrach, ließ Walton sein einziges Kind,
Lucille, unter Bedeckung nach einer Hafenstadt bringen
und wollte die damals etwas kränkliche Mutter später
nachschicken. Aber weder von Lucille, noch von den
englischen Soldaten, welche das Mädchen begleiten
sollten, hat man je wieder etwas gehört – sie haben ihr
Ziel nicht erreicht, sind verschollen. Als die Mutter dies
erfuhr, starb sie.«
»Hm, wie lange ist das her?« – »Fünf Jahre.« – »Wie
alt war damals Lucille?« – »Zehn Jahr.« – »Hm, hm.«
Der Detektiv feilte unablässig weiter.
»Was denken Sie davon, Sir Williams?«
»Ich denke überhaupt nie etwas.«
»Ist auch das Gescheiteste, was Sie thun können.
Denken greift nur die Gesundheit an. Aber ich meine,
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SPRACHRAUM
ob Sie wissen, wer Anlaß zu dem Raube Lucilles gegeben
hat.«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Zum Teufel, seien Sie nicht so schwerfällig,« rief der
Detektiv, »wozu find Sie denn hier?«
»Um diejenigen zu beobachten, welche hier aus- und
eingehen und so nebenbei zu horchen, wie über den
Rajah gesprochen wird.«
»Da haben wir‘s ja, Sie spionieren das aus, was ich
schon lange weiß.«
»Das glaube ich denn doch nicht.«
»Nicht? Wissen Sie, wer die Frau des Obersten war?«
– »Eine Inderin weiblichen Geschlechts.«
»Diejenige, welche der Rajah liebte.«
»Ah,« rief Williams, dem ein Licht aufging.
»Ja, ach, nun fallen Sie in Verzückungen. Ich weiß
noch viel mehr, als das, aber mit solchen Kleinigkeiten
gebe ich mich nicht ab.«
»Sie spekulieren auf Evelyn, Ihre Geliebte?«
»Ja, sie giebt den Schlüssel zu diesem und noch vielem
anderen, ich werde meiner neuen Braut nächstens den
Hals umdrehen.«
»Das arme Mädchen,« seufzte Williams. »In der Haut
des Kapitäns möchte ich jetzt auch nicht stecken. Die
Evelyn wird nun auch Ansprüche auf ihn machen und
seine Braut in Bombay, wenn sie etwas davon erfährt,
ihm die Augen auskratzen.«
Der Detektiv zuckte geringschätzig die Achseln.
»Er wird als vorsichtiger Mann sie jedenfalls benachrichtigt haben. Jedenfalls lasse ich mir dieses Rendezvous
ordentlich bezahlen, jeder Kuß von mir kostet fünf
Dollar, 49 hat sie bekommen, macht zusammen 245
Dollar.«
»Apropos,« fuhr der Detektiv fort, »wie gefällt Ihnen
die Ordonnanz des Obersten?«
»Scheint ein anstelliger, braver Bursche zu sein.«
»Am bravsten aber wird er sein, wenn er an einem
Stricke hängt,« ergänzte der Detektiv. »Kommt Ihnen
das Gesicht nicht bekannt vor?«
»Ich habe noch nicht die Ehre gehabt, mit ihm vordem
zu sprechen.«
»Williams, Sie sind doch ein recht blinder Maulwurf.
Wollen wir wetten, daß Sie ihn schon in Bombay gesehen
haben?«
Wasser-Prawda | Januar 2015
»Ich schulde Ihnen sowieso noch hundert Pfund. Aber
so sprechen Sie doch, wer ist es denn?«
»Kein anderer als jener Fakir, der uns im Tempelgarten
von Bombay anbetteln und etwas von unserem Gespräch
aufschnappen wollte.«
»Diese Behauptung ist etwas gewagt; denn soviel
ich mich noch erinnern kann, waren jenem Fakir die
Fingernägel durch die Handballen gewachsen, während
dieser Kerl den ganzen Tag Cigaretten dreht. Doch mag
sein, ich traue Ihrer Spürnase.«
»Außerdem ist er der, aber nur zu Ihnen gesagt, der
vor acht Tagen den Major, oder wie er hieß, getötet hat.«
»Majuba? Mensch, und diese Vermutung, die sehr
nahe liegt, wenn es jener Fakir ist, sagen Sie erst jetzt?
Tagelang werden schon Untersuchungen gepflogen, jetzt
noch ist alles in Aufregung über den Mord.«
Der Detektiv zuckte wieder die Achseln.
»Das ist eben das dumme, daß immer gleich soviel
Geschrei gemacht wird. Der Major wird doch nicht
wieder lebendig davon. Aber laßt die Ordonnanz einen
neuen Mordversuch machen und dabei erwischen, dann
hat man ihn fest und braucht keine Zeugen erst aufzubringen. Wenn Sie mich dafür bezahlen, entlarve ich
ihn noch heute abend.«
»Wieviel wollen Sie dafür haben?«
»Tausend Dollar nur, weil es ein Schwarzer ist.«
»Nein,« lachte der verkleidete Hindu, »für das Geld
lasse ich mir lieber von Ihnen 200 Küsse geben.«
»Die werden bei Schwarzen wieder teurer,« meinte
der Detektiv trocken, mit unermüdlichem Fleiße hämmernd, feilend und messend. »So, das ist der zweite!
Noch drei, und ich bin fertig. Die Dingerchen sind verflucht kompliziert gearbeitet.«
»Was gedenken Sie mit den Schlüsseln anzufangen?«
fragte Charles.
»Ich statte meiner Braut einen Besuch in ihrem
Schlafzimmer ab, wo ihr Schreibsekretär steht.«
»Und wieviel nehmen Sie dafür?« Charles amüsierte
sich über den Detektiven, der nichts unentgeltlich that.
»Ich mache es billig, weil sie nicht darin ist.«
»Na, dann gute Nacht, Sharp, ich gehe schlafen. Ich
glaube, wir beide passen gut zusammen.«
»Gute Nacht, Sir Williams, wollte sagen, Romal,
färben Sie nicht das Bett.«
ENGLISH
105
BEST B L UE S 2 0 1 4 .
ALBU M S OF TH E Y E A R
BY RAIMUND NITZSCHE
The best blues albums in the year 2014
were made by Johnny Winter, The
Suitcase Brothers, Joe Bonamassa
and the Robert Cray Band. This is the
Result of our Readers Poll. Best Debut
is „Unleashed“ by Chase Walker Band,
best Live-Album is „Live in Amsterdam“
by Beth Hart & Joe Bonamassa. And
Back On The Road „Best Before“ is
the album from Germany with the most
votes by our readers.
3644 readers put their vote in our readers poll - a number
we didn‘t dare to hope for. And first they put our webserver to the limits more than once a day. Here are the
winners and runner--ups in the seven categories. If you
want to know the whole results, please look into the
much longer version of this article at the beginning of
this magazine:
Wasser-Prawda | Januar 2015
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Blues (elektrisch)
Johnny Winter - Step Back
(338 Stimmen)
Walter Trout – The Blues
Came Callin’ (311)
Mississippi Heat – Warning
Shot (290)
John Mayall - A Special Life
Janiva Magness - Original
Blues (akustisch)
The Suitcase Brothers - A
Long Way from Home (287
Stimmen)
Sunday Wilde - He Digs Me
(235)
The Red Dirt Skinners Sinking The Mary Rose (189)
Empire Roots Band - Music
from Harlem Street Singer
King Size Slim - Milk Drunk
Bluesrock
Joe Bonamassa - Different
Shades of Blue (448 Stimmen)
Devon Allman - Ragged And
Dirty (316)
Joe Louis Walker - Hornet‘s
Nest (249)
Tommy Castro & The Painkillers
- The Devil You Know
Alexis P Suter Band – Love The
Way You Roll
Soulblues, Soul &
Funk
Robert Cray Band – In My
Soul (505 Stimmen)
John Nemeth - Memphis
Grease (327)
Sharon Jones & The Dap
Kings - Give The People What
They Want (231)
Third Coast Kings – West
Grand Boulevard
JJ Thames – Tell You What I
Know
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Best Live album
Beth Hart & Joe Bonamassa
- Live In Amsterdam (517
Stimmen)
Gary Clark Jr. - Live (345´)
Gregg Allman: All my friends
- celebrating the songs & voice
of Gregg Allman (339)
Charlie Musselwhite - Juke Joint
Chapel
Dana Fuchs - Songs from the
Road
Best debut
Cha se Wa l ker Ba nd Unleashed (1714 Stimmen)
Bad Temper Joe - Sometimes
A Sinner (293)
Blues Pills - Blues Pills (191)
Kaz Hawkins - Get Ready
Selwyn Birchwood - Don‘t Call
No Ambulance
Blues (national)
Back On The Road – Best
Before (726 Stimmen)
3 Dayz Whizkey - Steam (322)
PASS OVER BLUES: THE …
(295)
Bad Temper Joe – Man For The
Road
B.B. & The Blues Shacks
- Businessmen
Best Blues Albums 2014
in the Blog „Down At The
Crossroads“
1. Kenny Wayne Shepherd Goin‘ Home
2. Keb Mo - Bluesamericana
3. Lu ke Winslow-K ing Everlasting Arms
4. Walter Tout - The Blues Came
Callin‘
5. John Mayall - A Special Life
6. Kaz Hawkins - Get Ready
7. JP Soars - Full Moon Night
in Memphis
8. Eric Bibb - Blues People
9. Luther Dickinson - Rock n
Roll Blues
10. Janiva Magness - Original
11. Gary Clark Jr. - Live
12. Joanne Shaw Taylor - The
Dirty Truth
13. Ian Siegal - Man and Guitar
14. Rory Block - Hard Luck
Child
15. John Hiatt - Terms of My
Surrender
16. Royal Southern Brotherhood
- Heartsoulblood
17. Nick Moss - Time Ain’t Free
18. Jo Harman - Live at the Royal
Albert Hall
19. Bad Brad & the Fat Cats Take A Walk With Me
20. Joe Bonamassa - Different
Shades of Blue
ENGLISH
107
Mikey Junior
The Blues is alive, sir
LETTER FROM THE UK #13 BY DARREN WEALE
Willkommen zum Brief Happy New Year! May
aus dem Vereinigten Germany and Germans
have a great 2015.
Königreich.
I don‘t know if you have ever started
out to write something, only to find
you would rather write something
else? Perhaps a shopping list might
Wasser-Prawda | Januar 2015
108
ENGLISH
turn into a ‚what I would like for
my birthday‘ list or you start out on
a complaint to, say, your bank and
end up writing to a friend because
that is so much nicer to do.
This Letter from the UK was going
to be all about the British Blues
Exhibition that is under way online
and is being planned for an event for
people to visit in 2015, with more to
follow. While it is being mentioned,
the website is www.britishbluesexhibition.co.uk, and you can watch
that site grow and plans and progress
appear as 2015 progresses. There
is already a quote on there from
German band, 3 Dayz Whizkey, if
you look about.
However, to start these Letters from
the UK off for 2015, I would rather
turn to the topic of an English
author, or rather, two authors. One
is PG ‚Plum‘ Wodehouse, the other
Sebastian Faulks. In this case, they
come together in writing novels featuring Wodehouse‘s great English
characters from the 1920‘s, a young
man of independent means in Bertie
Wooster, and his gentleman‘s personal genthleman, Jeeves. Jeeves
himself reads improving literature,
including by German philosopher
Immanuel Kant.
There is a trend towards books written
in the style of or using the characters‘ of great authors – Ian Fleming
(James Bond) and Sir Arthur Conan
Doyle (Sherlock Holmes) are examples where new books have been
created with their inspiration from
beyond the grave. ‚Jeeves and the
Wedding Bells‘ is Sebastian Faulks
take on PG Wodehouse, and he has
done a very fine job of creating a new
novel with some of the most famous
characters in English literature.
Just as many people would believe
that authors of the excellence of
Wodehouse and Fleming cannot be
replaced or copied successfully, some
people believe that the golden age
– or crop of golden artists – in the
Blues is over. For them there will be
no new Howlin‘ Wolf, no new John
Lee Hooker. In a literal sense, they
are right.
However, if Sebastian Folks can
produce a PG Wodehouse novel that
is so worthy of the original, can we
not look forward to the music of a
new Wolf, Hooker, or even a new
Waters? Perhaps they are already
here and playing. For instance, I
have been mightily impressed by
what little I have heard of Mikey
Junior from the USA, but do look
out for your own future Blues heroes
in 2015.
Here is a little bit of Stop Press for
this Letter. There is another curious
development in the Blues that has
only just appeared, an attempt at a
bit of alternative branding for the
Blues as Indie B, Indie music being
rather more fashionable these days.
It has started on Facebook, and can
be viewed here – https://www.facebook.com/groups/INDIEB. What
will it do? That remains to be seen,
but there is a lot of 2015 left for it to
happen in.
Seid glücklich und
erfreut Euch an Eurer
Live-Musik und allem
was Deutsch ist!
Wasser-Prawda | Januar 2015
Links
Alistair Cooke - http://www.bbc.
co.uk/programmes/b00f6hbp
PG Wodehouse - http://www.
wodehouse.co.uk/
Mikey Junior - http://www.
mikeyjunior.com/
ENGLISH
109
OF COU R S E YO U CA N M A K E
A PROF I T ON TO U R !
BY SARAH SKINNER (RED DIRT SKINNERS)
There has been a blog post going
around recently and a general
consensus from many folk, some of
whom really ought to know be er,
that it simply isn’t possible to make a
living as a musician in this day and age.
More frustra ngly, is the expecta on
that an ar st is lucky to “break even”
on tour, let alone make a profit. Such
reports are sending talented ar sts
scurrying back to day jobs that they
loathe, to daydream about what
it would be like if only the music
industry wasn’t such a non-starter.
5 years ago, I made a decision, alongside my (now)
husband, to give it our best shot to make a living solely
from music. Now we own our own home in the South
East of England and we have plenty of time on our
Wasser-Prawda | Januar 2015
110
ENGLISH
hands to enjoy life.
Is it easy? I guess we’re lucky because we both live and
breathe music but it really has been easier than you
might think. Music is something we are both deeply passionate about and therefore it’s something we’re always
thinking about. We never really switch off, but then...
we never really want to either.
What bothers me the most, and what prompted me to
write this, is the notion that you can’t make a living
as a musician, and more specifically, whilst on tour.
People pretty high up the chain say it just isn’t possible.
You’ll probably make a loss, and if you’re really lucky,
you might just break even. In fact, in a recent interview
with a well known music magazine we were asked the
following question; “how do you fund your touring?”
Our act is just the two of us, and most of what we play is
our own original music. We don’t get anyone else involved. No manager, no PR Agent, no one to answer to and
no one else to pay. We’ve learned as we go how to do
everything. From booking and advertising to mixing,
mastering and recording our own albums. In fact, the
only time anyone else gets involved in our operation is
for the physical manufacture of our merchandise (CDs
and T Shirts).
I guess you could say we’re doing pretty well.
The day jobs are a distant memory, we’ve won an
award or two along the way and got some great press
and airplay, which has helped spread our profile far and
wide. We seem to be making waves in (generally) the
right direction and spreading the word about our music.
We‘re finding it easier to get well paying gigs. However,
this wasn‘t our aim during our experiment.
The Experiment
We were so confused by the notion that you “can’t make
a living on tour,” we decided to do a 10 day tour which
involved cramming in as many gigs as we could. We
also chose to book these gigs in Northern Scotland in
order to really push the boundaries, raise the expenses
and test our theory. Additionally, we made sure that we
went to a tourist area out of tourist season to ensure we
didn’t have any over-inflated audience numbers.
We took *any* gig we were offered. Literally... anything.
So on the 20th November 2014 we loaded up, got in
our van and headed North.
Wasser-Prawda | Januar 2015
ENGLISH
it‘s planned well.
There is something to learn from every single performance, even if it’s simply that you never want to do it
again!
Even the poor paying and poorly attended gigs can pay
dividends in newly formed connections and experiences.
So, if your mum/partner/friend told you you can’t make
a living as a musician, and then a bunch of important
seeming folk-in-the-know reiterated it.. go prove them
wrong...
Unless you’d rather work the 9-5 and spend your life
wondering ...
Anzeige
Richard Koechli
Vom AMA-Autor
(«Slide Guitar Styles»,
«Masters of Blues Guitar»,
«Best in the West») und
Blues
Dem
Swiss Blues AwardGewinner 2013
auf den Fersen
Roman
Im Buchhandel oder bei www.tredition.de
Day one made us £80 from a pass-the-hat house concert.
Day two made us £120 from a pub gig. The week continued with more poorly paid gigs and small audiences.
The most we earned from any gig the whole tour was
£190 plus CD sales.
We gave each and every gig our all as if it were a stadium.
On one occasion we played to 9 people and we sold 8
CDs.
We connected with our audiences, we won friends and
to be honest, we made a couple of enemies because we
remained strict about the agreements we’d made over
each fee we were given. Much as we love performing,
it is still our business and occasionally you might find
a venue that tries to take advantage. Particularly when
playing the pub circuit.
Moving on to more positive points in the tour, we didn’t
need to book a hotel in the whole time that we were
away. We relied on the kindness and generosity of fans
and venue owners and I think we’ve made some lifelong friends.
Many venues gave us a free dinner as part of our deal
and some offered us a room and breakfast. We bought
one meal out in the whole time, and that was on our day
off. Perhaps we were lucky with the kindness of offers of
accommodation, but even if we’d paid for a cheap hotel
every night, we’d still be in profit. At the end of the ten
day tour (which took in 9 gigs) we had turned a profit
of approximately £1500 after expenses.
Small change perhaps to some, but bear in mind that
this was an experiment and we took literally *any* gig
we were offered (guest at open mic night, pass the hat,
low paid pub gigs). We ended up in profit, which was
our objective.
By all means work that hard if you want to, the venues
are out there, but my advice would be; be more astute
and you can earn far more.
You really can earn a decent living as a touring musician. Value your worth. Develop a business head. Get
creative! Great venues are out there, and it’s often the
alternative ones that pay the best, have the best hospitality for the artists, have the best merchandise sales and
excellent mailing list sign ups.
Think outside the box. For example, playing a show in
the home of a fan can easily earn upwards of £500 if
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Was geschah wirklich damals - bei Robert Johnson & Co ?
Der Musik-Roman!
tredition-Verlag (Taschenbuch, Hardcover & e-book)
Was steckt hinter dem geheimnisvollen «Mojo»
des Blues? Was geschah damals wirklich bei
Robert Johnson & Co.? Richard Koechlis Buch
nimmt den Leser mit auf eine abenteuerliche Gedankenreise zu den Tempeln der afroamerikanischen Musikseele - und sorgt mit Humor, Tiefsinn
und Verschrobenheit dafür, dass die berühmten
blue notes uns erst recht keine Ruhe mehr lassen.
Infos: www.richardkoechli.ch
Wasser-Prawda | Januar 2015
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ENGLISH
Reviews
Wyman. He has also played with
a veritable who‘s who of rock and
modern music royalty: Bob Dylan,
Elton John, Dave Crosby, BB King,
Joe Cocker, Bonnie Raitt, The
Who, Jimmy Page, Van Morrison,
Phil Collins, The Bee Gees. The
list is virtually endless, impressive
and illustrates the importance and
high esteem with which this guy
is held among his critical contemporaries. A major figure who, despite
the astonishing credentials and CV,
somehow always seems to ride and
roll just below the radar.
Now actively touring with his own
excellent band, The Low Riders,
‚Zone-O-Tone‘ is a 13-track album
Andy Fairweather Low & The
featuring Fairweather Low‘s strong
Low Riders - Zone-O-Tone
and subtle songwriting skills together
Andy Fairweather Low is a Welsh with marvelous ensemble perforsuperstar, without doubt. Think mances from a fabulous foursome.
Wales and Tom Jones probably This must be one of the most enjocomes to mind. But think again: yable, polished albums of the year.
AFL is the guy who brought the An absolute winner! A sparkling gem
1960s hits ‚Paradise‘, Bend Me, from a true genius. (Proper Records
Shape Me‘ etc to the musical table PRPCD 110)
as frontman of Amen Corner.
Iain Patience
In the 70s he again hit the UK
charts with the wonderfully colourful and wittily emotional, ‚Wide
Eyed And Legless‘, before going on
to help Clapton put together the
arrangements for the multi-million selling, ‚Clapton Unplugged‘
release. Indeed, for the past couple
of decades, Low has been a permanent annual touring fixture, as guitarist, with Clapton‘s own band.
In addition, he tours regularly with
ex-Pink Floyd Roger Waters, and
former Rolling Stone bassman, Bill
hoping for success and record sales
in the European blues arena.
With this latest release he might just
have produced the goods to carry
him onto a wider world stage.
Iain Patience
Aaron Burton - All Night Long
All Night Long is Texan Burton‘s
sixth release to date and features
his usual mix of drawling southern
vocals with some fine understated
guitar fretwork. Here he is joined by
two musical buddies, ‚Stomping‘ Bill
Johnston on Harp and Dirk Cordes
on Skins.
Mostly self-written, material also
includes Charlie Patton‘s ‚Pony
Blues‘ together with a Willie McTell
cover of ‚Statesboro Blues‘. The 14
tracks that make up the album
are delivered with Burton‘s trademark laid-back style and sensitivity.
Always soulful, the tempo is varied
giving the whole a satisfying overall
feel and vibe.
Having played a few gigs in Europe
(France) last year in 2014, Burton is
now targeting his launches at a UK
and Europe-wide audience with considerable success; this album has
already featured widely on UK blues
radio playlists in recent months,
gaining a well-deserved growing
fanbase and interest for the guy and
his music. Burton is clearly hungry,
Wasser-Prawda | Januar 2015
ENGLISH
Erwin Helfer - The Erwin
Helfer Way
The Chicago Piano Blues Legend
Erwin Helfer presents his sixth
Sirens Records album ‘The Erwin
Helfer Way’.
The 76-year young lively musician
learned the fine art of boogie woogie
piano from his legendary role models
Sunnyland Slim, Pinetop Perkins
and Jimmy ,Papa‘ and ‚Mama‘
Yancey. Erwin Helfer is thus present
as one of the few remaining authentic pianists of the classic Chicago
blues piano on stage regularly. In
Germany we await his next tour in
the second half of 2015.
That Erwin Helfer has received
numerous awards and nominations,
goes without saying. Wasser Prawda
will soon tell more about Erwin
Helfer, his life and his career.
On this album Erwin Helfer presents a cross-section through the
classic Chicago Blues Piano landscape of the last decades. We know
each of the pieces played. Erwin
Helfer knows how to impart to each
of these titles his own stamp - the
album intrigued from the first to the
last stop.
The playlist includes ‘Chicken
Shack‘, ‘Bayby will not you please
come home‘ as well as ‚Sweet Georgia
Brown‘. The rousing ,E & C Boogie‘
is presented by Erwin Helfer in conjunction with the great contemporary pianist Barrelhouse Chuck.
Actually Erwin Helfer is supported by a remarkable group of highcaliber musicians. In addition to
Barrelhouse Chuck on piano and
organ especially the tenor saxophonist John Brumbach (former Chaka
Khan) should be mentioned. Skinny
Williams (ten.sax) is represented
by two remarkable solos, bassist
Lou Marini (former Blues Brothers
Band) and drummer William, Bugs‘
Cochran are responsible for the
rhythm.
The cast is an absolute treat for the
fans of traditional Chicago blues.
Incidentally, the city of Chicago
has renamed a part of the famous
Magnolia Street to ,Erwin Helfer
Way‘- that solves the mystery of the
naming of the album. But it is also
obvious that Erwin Helfer walks the
Erwin Helfer Way in interpreting
the pieces of music he plays.
The CD is a must for each Chicago
Blues lover traditionally oriented!
(BK)
113
Joe Pi s Band - Payin The
Price
The beautiful surprises – they exist.
This morning I found Joe Pitts Live
CD, Payin ‚The Price‘ in my mailbox.
The critics compare Joe Pitts – born
and living in Arkansas – with Walter
Trout or Duane Allman. I put him
on a par with the great Jimmy
Thackery.
Pitts plays his Gibson soulful with a
self-evident as only few experienced
guitarists succeed. It sounds hard,
violent and extremely bluesy. He
whether changes his guitar during
the show nor uses several square
meters of pedals and refuses the big
show.
Joe Pitts already is long time in business. Since his studies at the Berklee
College of Music, he is onn the go as
a musician. With his Joe Pitts band,
he has traveled the U.S., Europe and
the rest of the world.
We had the opportunity to see him
in 2011 in Blues Garage Isernhagen.
I was impressed by his self-composure, his clear voice and his impressive guitar playing including longer
Slide parts.
The same applies to his band
Wasser-Prawda | Januar 2015
114
ENGLISH
members, which he introduces as
Arkansas‘s leading musicians: Al
Hagood (bass), Chris Moore (drums,
perc.) and Don Collins (Hammond).
All they are seasoned musicians who
guarantee an excellent sound.
The album includes covers and original compositions found in balanced proportions. Joe Pitts arranged
the covers in his very personal kind
and totally avoids the boredom that
might arise when you listen to the
next version of ‚Black Cat Bone‘.
‚Payin‘ the Price‘ was recorded open
air in 2013 in the Postmaster Grill,
Camden / Arkansas. A very strong
praise belongs to the sound engineer
for the excellent sound quality of the
CD.
‚Time is running out‘, a rather quiet
Blues Rock opened the gig. ‚High
Price‘ a Southern rock track and
‚Grits aint Groceries‘ force the pace.
‚Black Cat Bone‘ takes a little speed
out then.
Robert Johnson‘s ‚If I Had Possession‘
and Joe Pitts ‚Midnight Blue‘ (with a
long ‚Jessica‘ quote) end the show. Joe
Pitts runs on to top form, his slide
guitar is thrilling and breathtaking.
I was already fascinated by the
album at first hearing - which is not
so often before.
The coolness the band shows fascinates me. None of the musicians distort
a straight face, and why should we
talk too much on stage? Arkansas?
How did I get this impression? There
is the concert on DVD in excellent
picture and sound quality!
I recommend this album and the
DVD to each Blues fan, preferring
seasoned musicians and clear, guitaroriented, melodic blues (rock). Joe
Pitts is a must in each well-stocked bit younger, is no less talented and
experienced. This is a great album
Blues record collection.
(BK) and hopefully marks the creation of
a new major duo with loads more
to come in future years. In reality,
this is as good as it gets. (Catfood
Records)
Iain Patience
O s Clay & Johnny Rawls Soul Brothers
A perfect pairing here with Clay
and Rawls, rootsy, blues-at-heart
and super soul. If you like soul
music, this is one for you. For me,
this is an absolute triumph; a tentrack release of immense quality
with great songs, arrangements and
vocals. Hard though it is to select
a single track, ‚Voodoo Queen‘ (cowritten by Rawls and co-producer, Bob Trenchard) and the classic
standard ‚What Becomes Of The
Brokenhearted‘ together with
‚Living On Borrowed Time‘ (again
from Trenchard and Rawls) are
simply outstanding numbers.
This is one of those near-classic soul
albums with shades of 1960s and
70s Motown and Stax central to
its sound and themes. A full horn
section smacks of Stax while the
songs and music hold more than a
hint of Motown‘s renowned lyricfactory genius.
Clay is one of those guys who has
been around a long time, (forty years
or more) learning his craft with solid,
superb skill and deep soul. Rawls, a
Wasser-Prawda | Januar 2015