Wp 06_2013.indb - Wasser

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Wp 06_2013.indb - Wasser
Nr. 6/2013
24. BLUES BALTICA
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Neil Young - Beth Hart - Document Records - Dr. John
Zehn Fragen an: Aynsley Lister
Album des Monats: Mike Zito & The Wheel
Wir wollen ein Lied von Dir - Volume 4
Gedichte von Franziska Röchter
Texte von Friedrich Gerstäcker und Edgar Allen Poe
Bücher von Lavie Tidhar und Hans Georg Thümmel
Editorial
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© wasser-prawda
Editorial
Editorial
Wenn die These, dass ein Bild mehr als tausend Worte sagt,
stimmt, dann könnte man uns in dieser Ausgabe Geschwätzigkeit
in Reinform vorwerfen. Denn bislang haben wir noch nie eine
so große Zahl Fotos veröffentlicht wie hier. Grund ist das Internationale Bluesfest Blues Baltica in Eutin, was mit seinem guten
bis herausragenden Programm in diesem Jahr einfach eine ausführliche Berichterstattung in Wort und und Bild verdient hat. In
diesem Monat haben wir vor allem Bilder. Für die Fertigstellung
der Interviews, die ich mit Nina van Horn, Michael van Mewyk
und Tommy Schneller führte, brauch ich noch etwas Zeit.
Ein anderes Highlight sind Interviews, die Gary Burnett ursprünglich für seinen Blog „Down At The Crossroads“ mit Gary
Atkinson, dem Chef von Document Records und Matt Marshall
(American Blues Scene) mit Dr. John geführt hat. Dave Watkins
setzt seine Interviewreihe in dieser Nummer mit dem Bluesrockgitarristen Aynley Lister fort.
Als Abschluss unserer Texte zur Erinnerung an die Bücherverbrennungen in Deutschland 1933 führte Erik Münnich ein Gespräch mit Karl-Heinz Borchardt über die Vorgänge damals in
Greifswald.
Schon heute will ich auf die nächste Nummer unseres pdf-Magazins hinweisen. Denn die erscheint erst im August 2013, dafür
dann aber als Doppelnummer für Juli mit. Die Redaktion hier in
Greifswald benötigt einfach mal eine Sommerpause zum Durchatmen und Erholen.
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Editorial
Impressum
Die Wasser-Prawda ist ein Projekt des Computerservice Kaufeldt
Greifswald. Das pdf-Magazin wird
in Zusammenarbeit mit dem freiraum-verlag Greifswald veröffentlicht und erscheint monatlich. Es
wird kostenlos an die registrierten
Leser des Online-Magazins www.
wasser-prawda.de verschickt.
Wasser-Prawda Nr. 5/2013
Redaktionsschluss: 15. Mai
2013
Redaktion:
Chefredakteur: Raimund Nitzsche (V.i.S.d.P.)
Redaktion: Lüder Kriete, Erik
Münnich, Dave Watkins
Mitarbeiter dieser Ausgabe:
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Gary Burnett
Bernd Kreikmann
Matt Marshall
Holger Schubert
Editorial
Impressum
Inhalt
MUSIK
Wir wollen ein Lied von Dir! Volume 4
Sharon Jones verschiebt Album und Tour
Hippie-eskes Altherren-Quartett
Beth Hart – „I’ve got the Spirit of God!”
24. Blues Baltica in Eutin
Ein Fall für die Bluespolizei?
Cajun Roosters
Kalle Reuter Experience
Mario Marchi & The Mojo Workers
Guitar Ray
Tommy Schneller
Moreland & Arbuckle
Harpcore: Soul & Blues The Funky Way
Ingrid Savbrant Band
Robert Roth & Balasz Daniel
Nina van Horn & Band
Michael van Merwyk & Bluesoul
Stina Stenerud & Her Soul Replacement
Yngve & His Boogie Legs
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Document Records: Keeping The Blues Alive 35
Die unendliche Coolness des legendären
Dr. John
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Zehn Fragen an: Aynlsey Lister
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ALBUM DES MONATS
Die nächste Ausgabe erscheint am
22. August 2013 als Doppelnummer für Juli und August 2013.
Mike Zito And The Wheel - Gone To Texas 52
Adresse:
Ana Popovic - Can You Stand The Heat
Anthony Gomez - ... Before The Beginning
Beth Hart & Joe Bonamassa - Seesaw
CD Woodbury Band - Monday Night!
David Egan - David Egan
Doug Deming & The Jewel Tones feat.
Dennis Gruenling - What’s it gonna Take
Gwyn Ashton - Fistful Of Blues (EP)
James Boraski & Momentary Evolution Comin‘ Home
James Hunter Six - Minute By Minute
John Fogerty - Wrote A Song For Everyone
Joy Dunlop - Faileasan
Lonnie Lester - The Story of
Moreland & Arbuckle - 7 Cities
Popa Chubby - Universal Breakdown Blues
Remembering Little Walter
Southern Hospitality - Easy Livin‘
Stina Stenerud & Her Soul Replacement Coming Home
The Cash Box Kings - Black Toppin‘
Redaktion Wasser-Prawda
c/o wirkstatt
Gützkower Str. 83
17489 Greifswald
Tel.: 03834/535664
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Mediadaten für das Online-Magazin und die pdf-Ausgabe der WasserPrawda zu. Anzeigenschluss für das
pdf-Magazin ist jeweils der 1. Werktag des Erscheinungs-Monats.
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REZENSIONEN A-Z
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Editorial
The Communal Well - Under A Western Sky
Willie “Big Eyes” Smith & Roger “Hurricane”
Wilson – Live Blues Protected by Smith & Wilson
FEUILLETON
Die Greifswalder Bücherverbrennung 1933.
call for poems
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BÜCHER
Lavie Tidhar - Osama
Hans Georg Thümmel: Greifswald - Geschichte
und Geschichten
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SPRACHRAUM
Franziska Röchter: Gedichte
Friedrich Gerstäcker: Herr Schultze
Edgar Allan Poe: Die schwarze Katze
A.S. der Unsichtbare
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Editorial
WIR WOLLEN
EIN LIED VON DIR
5 Jahre Wasser-Prawda
Volume 4
Wir wollen ein Lied von Dir!
Volume 4
Geplant war ein Sampler - geworden sind es vier.
Musikalisch geht es zum Abschluss unserer Geburtstagsaktion vom Bluesrock über Akustikblues
bis hin zu Popklängen, geografisch von Deutschland und Österreich über Großbritannien, Island,
Italien und Kanada bis in die USA.
1. Den Anfang machen Bluesharpspieler Johnny Mastro und
seine Mama‘s Boys aus Kalifornien. „Luke‘s Stomp“ stammt
von seinem 2012 erschienenen Album „Luke‘s Dream“, mit
dem er im Herbst auch in Deutschland auf Tour sein wird.
Und wir werden dafür dann paar Freikarten verlosen.
2. Die Lame Dudes aus der isländischen Hauptstadt hatten wir
schon vorgestellt. Zur Zeit sitzt die Band an den Aufnahmen
für ihr zweites Album, dass den Blues halb auf Englisch, halb
auf Islandisch zu Gehör bringen wird. Auch der „Reykjavic
Boogie“ wird sich dann etwas anders anhören als hier.
3. Eine der aufregenden Neuentdeckungen in der britischen Szene sind Rabbit Foot. Hier treffen afrikanische Trommeln auf
eine Gitarre, eine Sängerin und einen Sänger. „Howlin For My
Darlin“ stammt vom Debüt „Swamp Boogie“.
4. Den „Sir“ hat er nicht von der Queen verliehen bekommen.
Aber zum europäischen Bluesadel muss „Sir“ Oliver Mally unbedingt gezählt werden. „Devil‘s Child“ stammt von
„Strong Believer“ und soll die nächsten paar Wochen überbrücken, bis sein nächstes Album erscheinen wird.
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Editorial
5. Und wenn wir schon beim akustischen Blues sind, sollte man
auch Poplar Jake aus Großbritannien nicht unerwähnt lassen.
Dessen Albumdebüt (nach einer von Kritikern gefeierten EP)
heißst „From The Delta To The Docks“ und ist musikalisch
ganz im Stile des Vorkriegsblues gehalten. Wer allerdings Lieder übers Baumwollpflücken erwartet, wird enttäuscht. Ausgewählt habe ich „Whipping Boy“.
6. Kurz bevor hier in Deutschland die Abstimmungen für die
diesjährigen German Blues Awards beginnen, gehen selbige
in Großbritannien schon wieder ihrem Ende entgegen. Nominiert ist dort auch die Stuart James Band, von der wir „Love Is
Here To Stay“ erhielten.
7. Als das Debüt „Reclaim Your Land“ erschien, hieß die Band
noch Hip Shakin‘ Mama & The Leg Men. Inzwischen ist die
Band verjüngt und nennt sich Hip Shakin Mama and the Too
Damn Pretty. Doch im Zentrum damals wie heute steht Sängerin und Songschreiberin Shelley Lynne Hardinge. Das neue
Album „Raise Your Flag“ steht kurz vor der Veröffentlichung.
Doch leider sind die Songs noch nicht fertig abgmischt. Daher
viel Spaß mit „Devious (Scheming Little Thief)“.
8. In Arizona gehören The Wyatts seit ihrer Gründung 2005 zu
den beliebtesten Bands überhaupt. Ihr drittes Studioalbum
wird hierzulande über Cactus Rock Records erhältlich sein.
Bei uns gibt es „Look What You‘ve Done“ einen unveröffentlichten Live-Mitschnitt.
9. Auch vom Songschreiber/Gitarristen Richard Townend wird
es demnächst neue Musik geben, diesmal gemeinsam mit The
Mighty Bosscats. „We Are Where We Are“ ist der Titelsong seines aktuellen Soloalbums.
10. James Boraski & Momentary Evolution gehören mit dem
Album „Comin‘ Home“ für mich zu den angenehmen Überraschungen aus der kanadischen Szene in diesem Jahr.
11. Achtung, hier folgt ein musikalischer Bruch! Denn man kann
JoosTVD beim besten Willen nicht als Bluesmusiker bezeichnen. „Talkwalk“ ist ein Song aus dem kürzlich veröffentlichten
„The Ballooning Brouhaha“.
12. The Soul of John Black kam im Winter von Los Angeles auf
die Idee, eine eine Reihe von Singles zu veröffentlichen, die alle
sommerliche Themen haben. Daraus ist das Album „A Sunshine State of Mind“ entstanden, aus dem wir passend zur Hitze
„Leomonade“ ausgewählt haben. Schöner bluesiger, groovender Soul über die Vorteile, subtropischer Bäume im Hinterhof.
Erschienen ist das Album bei Yellow Dog Records.
13. Edgar & Marie gehören mit „Schöner Traum“ eher nicht in
die Bluesecke. Das Vater- und Tochter-Duo wird demnächst
bei Cactus Rock Records sein Album „Langer Weg“ veröffentlichen, dass in London von Produzent Stuart Epps aufgenommen wurde.
14. Auch Sunday Wilde hatten wir hier schon mal. Aber ich bin
parteiisch, was diese kanadische Songschreiberin und Pianistin
betriff t und hab daher von ihr noch „Captured Me“ herausgesucht.
15. Blues aus Italien haben wir selten im Magazin. Dass das ein
Fehler ist, zeigt eine Band wie Mama‘s Pit mit ihrem Song
„Baby I Love You“.
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Musik
Sharon Jones verschiebt Album und Tour
Eigentlich sollte das neue Album von Sharon Jones & The Dap
Kings am 6. August veröffentlicht werden. Doch „Give The People What They Want“ wurde jetzt ebenso wie die schon geplante
Tournee verschoben. Der Grund: Bei Sharon Jones wurde eine
Krebserkrankung an der Galle diagnostiziert.
Da der Turmor in einem frühen Stadium entdeckt worden sei und
sich noch nicht ausgebreitet habe, gehe man davon aus, dass die
jetzt angesetzte Operation zu einer vollkommenen Heilung führen werde, teilte das Label Daptone Records am 3. Juni mit. Allerdings werde die Sängerin nach dem komplizierten Eingriff eine
längere Zeit zur Rekonvaleszenz benötigen.
“Over the last few weeks I haven’t felt good and I didn’t know
what was going on. We sadly had to cancel shows while I went
through a series of tests and short hospital stays. We just found
out that I have a stage-one tumor on my bile duct. Luckily we
caught it really early and fast and the doctors say it’s operable
and curable! I will be having surgery very soon and will have
to rest and recover. I’ ll be staying in touch and keeping my
fans and friends updated on my progress. I’m looking forward
to getting back on the road to give the people what they want!”
-Sharon Jones
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Musik
Hippie-eskes Altherren-Quartett
NEIL YOUNG & CRAZY HORSE am 2. Juni
2013, in der Waldbühne zu Berlin. Eine Nachbetrachtung von Holger Schubert. Foto: Holger
Schubert.
Zunächst darf ich konstatieren, dass es sowohl mir als auch den
Herren on Stage einem Geschenk Gottes gleichkommt, uns derart agil und voller Power bei diesem Großereignis zu präsentieren.
Sind wir doch alle ein ganzes Stück jenseits der 60! Doch noch
immer gilt: Man ist so alt wie man sich fühlt!
Schon seit Wochen fiebere ich diesem Highlight im Jahre 2013
entgegen. Hat mich doch dieses neue Doppelalbum „Psychedelic
Pill“ bei seinem Erscheinen regelrecht umgehauen und deshalb
war es auch nur konsequent, dass unser aller Gitarrengott Neil
Young mit eben seinen legendären Crazy Horse auch auf Tour mit
diesem Album kommt. Das er dann einen Großteil dieser psychedelischen Pille auch konzerttechnisch zu Gehör bringen wird, war
durchaus nicht zwingend zu erwarten. Jedoch er tat es – und wie!
Nun sollte man auch wissen, dass die ehrwürdige Spielstätte
„Waldbühne“ so etwas wie Kult darstellt und schon beim Betreten
ein Flair ausstrahlt, bei dem Stadienarenen nur schwer mithalten
können. 22.000 Erdenbürger passen in dieses Amphitheater und
genauso viele lassen sich diesen Event auch nicht durch zuvor niedergegangenen strömenden Regen vermiesen. Ganz im Gegenteil!
Die Menschenmasse schaff t es sogar den auch für heute angekündigten Regen mit der ihr innewohnenden Energie abzuweisen
und mit einer Laola den Wettergott noch milder zu stimmen. Was
für ein glücksbringender Tag! Auch wenn in den südlichen Landesteilen unseres Landes die Menschen mit dieser neuen Sintflut
kämpfen! Gute Musik schaff t es –zumindest für ein paar Stunden- so herzerfrischend von allen möglichen Unwägbarkeiten, die
das Leben auf unserer Mutter Erde so mit sich bringen kann, abzulenken – ja davon zu schweben und von ihr in Sphären getragen
© wasser-prawda
Holger Schubert ist Labelmanager von Cactus
Rock Records und Präsident des Rich Hopkins
Germany - Fanclubs.
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Musik
zu werden, die uns nur auf das Wesentliche fokussiert. Und die
Pille, die uns da von Neil Young & Crazy Horse während der
nächsten 125 Minuten verabreicht werden wird, wirkt auch noch
Tage – vielleicht sogar Wochen - nach! Unglaublich genial!
Pünktlich um 20 Uhr betritt die Band ohne großes Brimborium die altehrwürdige Waldbühne. In Reihe 7 -quasi in Front of
Stage, halbrechts platziert- habe ich einen nahezu perfekten Blick
auf das Geschehen vor mir. Neil -ganz in schwarz förmlich eingehüllt (sogar mit Schal gegen die doch dem Fastsommer unwürdigen Temperaturen)- wirkt zwar für einen kurzen Moment etwas
orientierungslos, doch sobald ihm seine Gitarre umgehängt wird
und er seine Position eingenommen hat, ist davon nicht der kleinste Schimmer mehr zu merken. Und so rocken die Herren Neil
Young, Frank „Poncho“ Sampredo, Billy Talbot und Ralph Molina ab der ersten Sekunde das Haus. Natürlich in bekannter Manier und doch erstaunenswert, weil so doch vielleicht nicht ganz
erwartbar. Bekanntlich ist Berlin die erste Station ihrer „Alchemy
2013“-Europatournee. Und auch davon ist zu keiner Sekunde etwas zu merken. Die Herren strotzen nur so vor geballter Energie! Selbst einem mitunter auch mal - je nach Tageslaune - etwas
mürrisch rüberkommendem Neil Young scheint heute alles mit
Leichtigkeit von der Hand zu gehen. Von seiner glockenartigen
sensationellen Voice ganz zu schweigen! Frank duelliert sich mit
seinem „Chef“ so manches Mal und ihm steht dabei die Freude
daran förmlich ins Gesicht geschrieben. Und was Billy an BassLines herausdonnern lässt, gleicht einem Tornado, der hier gleich
alles niederzuwalzen droht. Unglaublich! Und bei den Backing
Vocals sind er und auch Drummer Ralph sowieso unschlagbar.
Neil drückt auf’s Tempo – wohlwissend, dass hier um 22 Uhr
wieder Ruhe einkehren muss. Ansonsten drohen Sanktionen wegen Ruhestörung. Und so durfte ihm sein Gitarrenrowdy einige
Male hinterherrennen, um den Gitarrengurt noch richtig anzulegen oder die Gitarren selbst ordentlich einzustöpseln. Sichtlich
amüsiert wunderte sich Neil, dass es hier in unseren Breitengraden
wohl nie dunkel wird. War doch auch dieser Umstand der Tatsache geschuldet, weit vor Mitternacht zu enden.
Die Mischung aus neuem Material des letzten Albums („Psychedelic Pill“, „Walk Like A Giant“, Ramada Inn“) und alten Standards („Love And Only Love“, „Powderfinger“, Fuckin‘ Up“, „Cinnamon Girl“, „Mr. Soul“, Hey Hey, My My“, „Like A Hurricane“)
ließ bei so manchem Besucher dieses denkwürdigen Abends mit
hoher Garantiequote mehrfach dieses herrliche Gefühl von Schauernläufen über die gesamte Hautfläche entstehen. Klotzen -nicht
Zaudern- war angesagt! Was sich da über uns an Feedbackorgien,
Gitarrendonner, Bassgrollen und Drumwummern „ergoss“, war
einfach nur geil (wie man doch heute besonders beeindruckende
Situationen oder Momente zu umschreiben pflegt - nein eigentlich damit genau auf den Punkt bringt!). Es wurde oben und unten gerockt was das Zeug hält und aus tausendfachen Kehlen mit
gegrölt! Genial! Luftholen war heute eigentlich nur während des
kurzen Acoustic-Set im Mittelteil bei „Heart Of Gold“ über „Blowin‘ In The Wind“ bis „Singer Without A Song“ möglich.
Danke, Neil Young & Crazy Horse, dass Ihr das nochmals
Wirklichkeit werden ließet! Danke auch an den gleichwertigen
Support Los Lobos! Euch hatte ich schon lange auf meiner Konzertagenda.
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Musik
Beth Hart – „I’ve got the Spirit
of God!”
Beth Hart hat in den letzten paar Jahren wirklich eingeschlagen in der Szene. Vor allem ihre
Zusammenarbeit mit Joe Bonamassa bei einem
sensationellen Album mit Soulcovern („Don‘t Explain“) und dem soeben veröffentlichten „Seesaw“ (Rezension in dieser Ausgabe), einer weiteren Sammlung von Liedern von Billie Holiday,
Etta James, Aretha Franklin und anderen haben
beiden Künstlern wohlverdiente Anerkennung
und neue Fans gewonnen. Von Gary Burnett.
Beth Hart ist seit mehr als zwanzig Jahren eine hart arbeitende
Musikerin. Und in den frühen Jahren ihrer Karriere hat sie sowohl mit dem Trinken als auch mit Drogen zu kämpfen gehabt.
Sie sagt, dass entscheidend für ihre Wiederherstellung die Entdekkung eines echten christlichen Glaubens gewesen sei. In einem
kürzlich auf Youtube veröffentlichten Video für Guitar Centre
sagt Beth: Als ich aufwuchs, ging ich in eine katholische Schule
und die katholische Kirche, und ich mochte es nicht wirklich. So
kam es dazu, dass ich schließlich in eine Baptistenkirche ging.
Und es war großartig.“ Anderswo hatte sie davon gesprochen, wie
sie enge Freundschaft mit religiösen Menschen geschlossen hat,
die sie zum Bibelstudium brachten. Sie sagt: „Ich nutze Jesus als
meinen Angelpunkt und denke an seine Lehren, wenn ich drüber
nachdenke, wie ich Menschen behandeln soll.
Auf ihrem 2005er Album „Leave the Light On“ gibt es das gospelgetränkte „Sky Full of Clover“, welches auf die neue Hoffnung
im Leben hinweist, die sie gefunden hat. Da gibt es den Ort, wo
von der neuen Hoffnung im Leben erzählt, die sie gefunden hat.
Sie beschreibt einen Ort, wo wilde Orchideen wachsen, ein Land
voller Lächeln, wo „people are praising the holy one.“
Ihr 2012 erschienenes Album „Bang Bang Boom Boom“, das
ihre Talente in Gospel, Soul und Blues zeigt, ist einfach großartig:
Eine beeindruckende Sammlung selbstgeschriebener Songs, wun-
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Musik
dervoll produziert, die Erinnerungen wecken an Janis Joplin und
Etta James, zur gleichen Zeit aber auch vollkommen Beth Hart
sind. Eines der Lieder des Albums ist „Spirit of God“, das uns auf
eine rockige Reise von Beth‘s Haus hin zur Kirche nimmte, wo sie
hüftschwingend zum Altar tanzt und dann Brot auf ihre ganz eigene Weise bricht. Beth‘s Art des Gottesdienstes ist deutlich nicht
einer, wo man mit ernster Miene auf deiner Bank sitzt, leise bleibt
und während der Predigt schläft - eine Version, die es noch in viel
zu vielen Kirchen gibt. In ihrer Kirche gibt es eine „soul celebration“, wo der Prediger wild wird und den Teufel zu Boden schlägt,
der Chor „is giving it up to the Lord“ und Beth ist sich sicher,
etwas dabei zu fühlen.
Die frühesten christlichen Kirchen waren Gemeinschaften des
Geistes. Soweit es die ersten Christen betraf, war die Zeit gekommen, die die jüdischen Propheten der Vorzeit meinten, wo Gottes
Geist würde „über alles Fleisch“ ausgegossen werden (Joel) und
wo Gott Wasser ausgießen würde auf das dürstende Land und
Ströme auf den trockenen Grund „seinen Geist auf deine Nachkommen und Segen auf deine Verwandten“ (Jesaja). Grund war,
weil der Messias, Jesus, gelebt hatte, gestorben ist und wieder auferstanden war. Das bedeutete, dass der Tag, an dem Gott die Welt
verwandeln will, begonnen hatte. Das war der Tag des Geistes.
Hatte Jesus selbst nicht davon gesprochen, dass „Flüsse lebendigen
Wassers“ von denen ausgehen würden, die an ihn glauben, hatte er
nicht auf den Geist speziell hingewiesen?
Das war ein Thema, was besonders Blind Willie Johnson in seinem Song „Latter Rain“ aufgenommen hatte, dessen Text aber oft
falsch zitiert wird. Worüber er tatsächlich singt in dem Lied ist der
„Spätregen“, ein direkter Bezug auf den Propheten Joel (2,23), der
auf „Frühregen“ und „Spätregen“ für das Getreide hinweist. Der
Bezug auf den Spätregen wurde von Christen oft verwendet, um
die Ausgießung des Geistes zu Pfingsten zu beschreiben. Willie
Johnson singt „Latter rain done fall on me“, und außerdem, indem er eine frühere Passage von Joel zitiert, „It for you, it for you
and your children too.“ Er singt über die Erfahrung von Christen
mit dem versprochenen Geist, dem selben Geist Gottes, von dem
Beth Hart sagt, dass sie ihn hat, mehr als siebzig Jahre nach Willie
Johnson.
Zurück zu unseren ersten Christen, es ist schwer genau zu wissen, aber es scheint, als ob diese frühen christlichen Zusammenkünfte ziemlich lebhafte Angelegenheiten waren, und manchmal
sogar mehr als ein wenig chaotisch, wenn man sich das Urteil des
Apostels Paulus in seinem Brief an die Christen in Korinth betrachtet. Auf jeden Fall gab es da eine Dynamik, eine gemeinsame
Erwartung, wenn sie zusammenkamen, eine Gewissheit dass da
unter ihnen etwas geschah, dass sie verändert wurden und dass
durch sie die Welt ebenso geändert werden könnte.
Das zugestanden wollte Paulus, dass die Christen in Korinth
wissen sollten, dass auch wenn die Erfahrung des Geistes in der
Kirche ziemlich erregend sein kann, dass der Geist auch anderes
hervorrufen kann - selbstlose Liebe etwa, sexuelle Moral, Vertrauen und Einheit. Eines der Ziele, weshalb sie zusammen kommen
und den Geist wirken ließen, sollte es sein, sie zu einem guten
Leben zu ermutigen, wie es auch Beth beschreibt:
Nothing like a soul celebration
To set your situation right.
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Musik
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Musik
Und wenn dein „mojo ain‘t been working“ und du innerlich gebrochen bist, dann kannst du hier lernen, deinen Karren zurück
auf die Straße zu bekommen.
Beth Hart lässt „Spirit of God“ einen weiteren geistgeprägten
Gospelsong folgen. Der Text von „There In Your Heart“ sagt:
Wherever you go, whatever you do
I will be there inside of you
There in your heart…wherever you go
I will go too.
Es ist schwer hier die Anspielung auf Psalm 139 zu übersehen,
wo der Beter fragt: „Wohin kann ich gehen vor deinem Geist? Wohin kann ich fliehen vor deiner Gegenwart?“ Und er kommt zum
Schluss, dass sogar die dunklen Orte der Welt uns nicht trennen
können von der Liebe und dem Schutz von Gottes Geist. Das Lied
sagt:
I was there in the beginning, when you took your first breath
alone
I’ll be there in the ending when the world’s desire leaves your
bones,
And in all of the corners and all the wide open spaces in the dark
I’ll be there in your heart.
Beth Hart hat sicherlich einige dunkle Orte im Leben kennengelernt. Aber sie weiß um die Realität der Gegenwart des Geistes.
Wenn dein Leben eine solche Wendung erfahren hat wie ihres und das jedes Menschen, der den „Spirit of God“ hat - ist das ein
Grund zur Freude. Es sendet dich ganz sicher “hip shakin’ down
the aisle.” Und es gibt wirklich keine Entschuldigung für die Kirche, langweilig zu sein, wenn der Geist Gottes die Menschen verwandelt und sie von dort aus losgehen, um die Welt um sie herum
zu verwandeln.
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Musik
24. Blues
Baltica in
Eutin
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Musik
Fotos:
Moreland & Arbuckle
Stine Stenerud
Nina van Horn
Lance Lopes
Kalle Reuter
Yngve & His Boogie Legs
Michael van Merwyk &
Bluesoul
Big Pete Pearson
Ein Fall für die Bluespolizei?
Wohin entwickelt sich der Blues im 21. Jahrhundert? Das
war ein Thema beim 24. Internationalen Bluesfest Blues
Baltica in Eutin vom 17. bis 20. Mai 2013. Bands zwischen Retrosound und Bluesrock, politischem Engagement
und Tanzparty waren auf dem Markt der Kleinstadt zu
erleben. Die Besucher hatten ihren Spaß an der Vielfalt.
Jedenfalls solange sie nicht nur auf die ewige Wiederholung
der immer gleichen Sounds des Chicagoblues hofften. Die
selbsternannten Bluespolizisten allerdings hatten zwischendurch jede Menge Gründe, sich zu beklagen. Beobachtungen von Nathan Nörgel.
„Das ist doch kein Blues! Da hätte man ebensogut eine bayrische Blaskapelle einladen können!“ Der Fotograf verlässt empört die Szene: Auf der Bühne spielt gerade die norwegische
Band Stine Stenerud & Her Soul Replacement eine energiegeladene Soulshow. Zehn Musikerinnen und Musiker stehen da und
spielen Musik zwischen Soul & Funk, Gospel und klassischem
Rhythmm & Blues mit einer Präzision und Spielfreude, die selten
zu erleben ist. Und dabei ist die Truppe um Stine Stenerud fernab
von steifem Showgehabe: Begeistert klatscht man den Bandkollegen nach gelungenen Soloeinlagen Applaus, die Sängerin sucht
ständig den Kontakt zum begeisterten Publikum. Und wenn der
Gitarrist eines seiner Solos spielt, dann müsste eigentlich auch
dem letzten Hörer klar werden, dass Soul und Blues ganz eng mit-
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Musik
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einander verwandt sind auch in der Gegenwart. Aber natürlich ist
ein Kracher wie „Do Your Duty“ meilenweit entfernt von „Rollin
And Tumblin“ oder „Sweet Home Chicago“. Und der Rhythmus
des Funk ist nun mal kein langsamer oder schneller Texas-Shuffle.
Ein paar Stunden früher: Mit ihrer international besetzten Band
tobt Nina Van Horn über die Bühne auf dem Markt. Auf dem
Programm hat sie hauptsächlich die Songs ihres aktuellen Albums
„Seven Deadly Sins“: Lieder voller Anklagen zum Zustand der
Welt in der Gegenwart. Die Sängerin ist hier bei aller großartigen
Musikalität fast eine Predigerin, sie will nicht harmlose Partysongs präsentieren. Sie will, dass ihre Botschaft gehört wird. „Let‘s
Kill The War“ als Mitsing-Rocker, die den Magen abschnürende
Ballade über Erlebnisse auf den „Streets of Bangalore“ oder das als
Gospelchor dargebotene „Prayer (For The Ones)“: Das ist musikalisch packend (und eindeutig zwischen Bluesrock im Texas-Stil
und dem Erbe von Bessie Smith und Koko Taylor angesiedelt)
aber politisch für manche so unbequem, dass auch hier die Kritiker Grund zum Nörgeln fanden.
Michael van Merwyk, der mit seiner Band Bluesoul kurzfristig
als Ersatz für einen verhinderten Künstler einsprang, nennt seine Musik dann lieber gleich „American Roots European Style“:
Hier werden Blues und Country nicht nur textlich sondern auch
musikalisch durch die Sicht von Europäern dargeboten. Und nur
ausnahmsweise beginnt ein Lied auch mal mit „Woke Up This
Morning“. Und doch ist die Musik von Bluesoul selbst für die kritischen Hörer in den Juries bei der International Blues Challenge
in Memphis noch mehr Blues als die tausendste Neuauflage eines
texanischen Bluesrocktrios.
Wobei Eutin in Sachen Bluesrock einen großartigen Überblick
über Wege und Irrwege ermöglichte: Lance Lopez, der auf seinem
letzten Album eine ziemlich eingängige und abwechslungsreiche
Mixtur aus Country, Texas-Boogie und traditionellem BluesrockTrio bot, agierte in Eutin mit der Subtilität einer außer Kontrolle
geratenen Dampfwalze. Überlaut, überhart und ohne wirklich
erkennbare Strukturen knallte er einem beseligten und fast ertaubten Publikum seine Musik um die Ohren. So stelle ich mir
ein Bluesrockalbum von Motörhead vor. Das macht für zwanzig
Minuten ne Menge Spaß. Wenn es länger dauert, wird es langweilig und sorgt für anhaltende Gehörschäden.
Auch laut, auch heftig - aber einfach großartig: In der zweiten
Nacht feierten Moreland & Arbuckle in Eutin ihre Record Release Party. Und sie entfachten im Theater in den Schlossterassen
eine Tanzstimmung unabhängig vom Alter: Jugendliche sprangen
beseligt vor der Bühne, altgewordene Bluesfans zuckten mit mehr
als nur einem Fuß - und auch wenn das Konzert des Trios teilweise mit der Energie und Explosivität einer Punkshow daherkam,
fand sich kein Nörgler, der was dran auszusetzen gehabt hätte.
Entweder waren die um die nachtschlafene Zeit schon gegangen.
Oder aber sie haben wirklich verstanden, wie nah dran am ursprünglichen Blues diese Band eigentlich ist. Gerade die jüngeren
Fans haben das sicherlich kapiert. Während sonst immer völlig
unmotivierte Rufe nach einem „Basssolo“ die Konzerte „auflokkerten“, wünschte man sich hier statt dessen „Joe Henry“. Und
sie meinten tatsächlich diesen uralten Klassiker. Und ähnlich wie
„Rollin & Tumblin“ kam der mit einer Brachialgewalt daher, der
dem Sinn des Songs eher entspricht als eine gezähmte Akustikversion in irgendeinem Folkclub. Nein: Moreland & Arbuckle sind
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Musik
für mich eine der Bluesrockbands überhaupt. Und sie sind Musiker,
die diese Musik eben auch an jugendliche Rockfans verkaufen können, für die Bluesfestivals sonst eher uninteressant sein dürften.
Wobei in Eutin das Publikum immer erstaunlich gemischt ist: Neben den „normalen“ Bluesfans zwischen 40 Jahren und dem Rentenalter finden sich auch auf dem Markt immer auch eine Menge
junger Hörer ein. Das ist ein großer Vorteil dieses Festivals: Kostenlose Konzerte machen neugierig und sind gerade in einer Kleinstadt
äußerst anziehend. Wenn dann auch noch sehr junge Musiker wie
der erst dreizehnjährige Kalle Reuter zu erleben sind, dann funktioniert das noch besser. Und auch wenn man von Passanten ab und zu
mal Kommentare a la: „Hier ist grad ein Bluesfestival, wo in der Vergangenheit hängengebliebene Musiker spielen“ zu hören bekommt,
stimmte das in diesem Jahr nun wirklich nicht. Auch Bands wie die
spielfreudigen und witzigen Yngve & His Boogie Legs haben sich
von ihrem ursprünglichen Retro-Stil einer Rockabilly-Band fortentwickelt hin zu einem Bluesrock, der ebensogut im Indie-Rock wie
bei der International Blues Challenge funktioniert. Dort waren sie
als Vertreter Norwegens am Start, nachdem sie in Norwegen den
nationalen Wettbewerb für junge Bluesbands gewonnen hatten.
Nein, natürlich war längst nicht jedes Konzert ein Fall für die
Bluespolizisten. Gegen die rasanten und humorvollen Eskapaden
der beiden Boogiepianisten Robert Roth (Österreich) und Balasz
Daniel aus Ungarn kann man nichts haben. Außer, dass sie selbst
verkrampfte Kritiker zum Mitwippen bringen. Und mit Big Pete
Pearson (begleitet vom großartigen Guitar Ray & The Gamblers)
und Wanda Johnson am Montagabend kamen auch die Freunde
des ganz traditionellen Blues mehr als auf ihre Kosten. So lebendig wie Pearson Klassiker wie das unvermeidliche „Mojo Workin“
oder „Sweet Home Chicago“ zelebrierte, hat man sie lange nicht
gehört. Und auch die energiegeladene Show von Tommy Schneller
und seiner Band hatte das Zeug, trotz Regenwetter die Massen zum
Tanzen und Lächeln zu bringen.
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Musik
Cajun Roosters
Die multinational besetzte Band (England, Schottland, Bayern,
Belgien) überzeugte in Eutin mit ihrer durchaus traditionell gespielten Mixtur aus Cajun, Zydeco und ein wenig Country. Zum
Schluss gab es sogar noch etwas schottischen Folk.
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Musik
Kalle Reuter Experience
Er ist er dreizehn Jahre alt. Doch an der Gitarre ist Kalle Reuter
trotzdem schon großartig. Und vor allem hat er derartig viel Spielfreude, dass sie sich sofort aufs Publikum überträgt. Sein Auftritt
beim diesjährigen Bluesfest in Eutin überzeugte selbst Festivalmacher in der Schweiz, die Nachwuchshoffnung für den Blues aus
Norddeutschland vom Fleck weg zu engagieren.
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Musik
Mario Marchi & The Mojo Workers
Mario Marchi & The Mojo Workers aus der Schweiz haben sich
aus Oldtimeblues, Ragtime und Rock & Roll ihre ganz eigene
Mixtur zusammengestellt. Das Ergebnis: Äußerst unterhaltsam
und mit hohem Spaßfaktor.
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Musik
Guitar Ray
Seine Gitarre swingt, sie singt - und sie kann heftig zupacken. Guitar Ray und seine Gamblers haben bewiesen, dass das Label „Retro“ beileibe nicht synonym
mit „von vorgestern“ ist. Die Songs des Italieners sind
frisch, zupackend und unwahrscheinlich tanzbar. Und
Guitar Ray ist ein Entertainer par excellence.
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Musik
Tommy Schneller
Für Menschen mit einer Funkallergie
ist die Musik von Tommy Schneller
hochgradig gefährlich. Für andere
sind die Songs zwischen Blues, Soul
und Funk einfach nur eine Aufforderung zum Tanz. Man darf auf das
nächste Album der Band gespannt
sein, was wiederum in Zusammenarbeit mit Henrik Freischlader und
seinem Label herauskommen soll.
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Musik
Moreland & Arbuckle
Innerhalb kurzer Zeit verwandelte sich das
ehemalige Theater an den Eutiner Schlossterrassen in einen Hexenkessel. Moreland & Arbuckle hatten die offizielle Präsentation ihres
neuen Albums „7 Cities“ nach Eutin verlegt.
Und ihr energiereicher Bluesrock brachte die
Menschen aller Altersgruppen zum Tanzen.
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Musik
Harpcore: Soul & Blues The
Funky Way
Harpcore:
Tomasz Kamiński, Michał
Kielak, Bartosz Łęczycki,
Łukasz Wiśniewski, Jacek
Jaguś, Piotr Grząślewicz,
Aleksander Sroka, Adam Partyka
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Die Bluesharp kann durchaus auch die Rolle
der Leadgitarre übernehmen. Oder sie kann gemeinsam mit anderen klingen wie die Hornsection einer Soulband. Und bei Harpcore aus Polen übernimmt sie zuweilen auch die Rolle einer
Hammond-Orgel.
Es war der Höhepunkt des ersten Festivaltages beim internationalen Bluesfest in Eutin. Vier Harpspieler, zwei Gitarristen und eine Rhythmusgruppe enterten die Bühne und verbreiteten von den
ersten Takten an einen ungeheuren Spaß. Harpcore vereint Harpspieler aus vier polnischen Bands, die gemeinsam etwas für die
Rehabilitierung der Mundharmonika tun und dabei eine Menge
Spaß haben wollen. Gespielt wurden im wesentlichen Stücke, die
auch auf dem gleichnamigen Album des einzigartigen Projektes
zu finden sind. Auf dem Programm standen nicht die üblichen
Bluesklassiker sondern Soulnummern zwischen Dr. John, Stevie
Wonder und Donna Summer. Und selbst jazzige Klänge waren zu
hören. Wenn man Vergleiche ziehen will, könnte man Harpcor
beim Baltic Blues mit Sha Na Na beim Woodstock Festival vergleichen: Eine Band, die Spaß haben will und jede Menge Spaß
verbreitet. Und das auf allerhöchstem musikalischen Niveau.
Denn nicht nur die vier Harpspieler, auch die Gitarristen und die
Rhythmusgruppe sind vom Feinsten.
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Musik
Nach dem Konzert traf ich mich mit Łukasz Wiśniewski (voc,
harp) zu einem kurzen Gespräch.
RN: Es ist eine etwas ungewöhnliche Band, in der Du spielst. Ich hab
noch nie eine Band mit vier Harpspielern gesehen.
L.W.: Ja, die ist schon ziemlich einzigartig. Es gab in den 70er
Jahren mal eine ähnliche Band namens Harp Attack. Wir haben die
Band eigentlich nur zusammengestellt, um die CD zu aufzunehmen
und sind jetzt als Band unterwegs. Eigentlich kommen wir aus vier
unterschiedlichen Bands. Es ist also mehr ein Kollektiv oder ein
Projekt. Und wir wollten zeigen, dass die Harmonika nicht nur ein
Bluesinstrument ist. Wir wollen die Harmonika in den verschiedensten Stilen zeigen und deutlich machen, dass sie ein Instrument ist,
das alles spielen kann. Und natürlich wollen wir dabei eine Menge
Spaß haben.
R.N.: Den Spaß hatte das Publikum beim Konzert auch. War das
eigentlich Euer erstes Konzert in Deutschland als Harpcore?
L.W.: Für mich persönlich war es überhaupt mein erstes Konzert in
Deutschland.
R.N.: Demnächst werdet Ihr ja auch noch beim Bluewave Festival
auf Rügen zu erleben sein. Habt Ihr auf Eurer CD eigene Songs
gespielt oder das gleiche Programm wie hier im Konzert?
L.W.: Wir haben im Konzert und auf der CD hauptsächlich Soulund Blueshits in a funky way gespielt. Wir wollten das ganze nicht
auf intellektuelle Art und Weise angehen und großartig künstlerische Maßstäbe anlegen. Wir wollen einfach den Spaß an die Leute weitergeben. Wir sind keine intellektuelle Band, wir wollen nur
rocken.
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Musik
Ingrid Savbrant
Band
Sie stellte sich ganz einfach als Ingrid
vor. Und dann legte die Schwedin ein
Doppelkonzert hin: Zuerst würdigte sie
das Werk der großartigen Etta James.
Später folgte dann noch ein Set mit eigenen Songs zwischen Poprock und
Bluesrock. Eine Sängerin, die man sich
merken sollte.
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Musik
Robert Roth &
Balasz Daniel
Robert Roth aus Österreich und Balasz
Daniel aus Ungarn
gehören zur „Jungen Garde“ des europäischen BoogiePianos. Ob und in
Soloauftritten oder
im Duo - in Eutin
sorgten die beiden
immer wieder für
Begeisterung.
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Musik
Nina van Horn & Band
Nina van Horn spielte mit ihrer multinationalen
Band die Songs ihres Albums „7 Deadly Sins“
auf dem Marktplatz. Die in Texas aufgewachsene
Französin ist eine Predigerin des Mitgefühls.
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Musik
Michael van Merwyk & Bluesoul
Seit dem 2. Platz bei der International Blues Challenge in Memphis sind
Michael van Merwyk und Bluesoul eigentlich ständig auf Achse. Ihre amerikanische Rootsmusik aus europäischer Sicht vermischt Blues, Country
und Folk zu einer ganz eigenen Mixtur. Und die ist live noch faszinierender
als auf Platte.
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Musik
Stina Stenerud & Her
Soul Replacement
Noch eine Retro-SoulKapelle in der Nachfolge der Dap Kings? Weit
gefehlt: Wenn Stina Stenerud mit ihren Soul Replacements auf der Bühne steht, dann hört man
Soul und Funk mit deutlichen Blues-Untertönen,
knackigen Bläsern und
einem fantastischen Gitarristen. In Eutin hinterließen die NorwegerInnen Begeisterung - und
Ablehnung bei Puristen
und Funkallergikern.
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Musik
Yngve & His Boogie Legs
Irgendwann haben sie mal als Rockabilly Band begonnen. Doch daran erinnert bei den Norwegern von Yngve & His Boogie Legs fast nur
noch das Styling. Mit ihrem frischen Bluesrock fern der Klischees
haben sie Norwegen schon bei der International Blues Challenge vertreten. Und in Eutin verbreiteten sie jede Menge Spaß.
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Musik
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Musik
Document Records: Keeping
The Blues Alive
Gary Burnett im Gespräch mit Gary Atkinson
Gary Burnett: Gary, erzähl uns doch, was Document Records ist und
was es zu einem besonderen Label macht!
Gary Atkinson: Es ist ziemlich einzigartig. Ich schrieb CDRezensionen, als ich das Label zuerst entdeckte. Von den 70er
Jahren an gab es Label, die Blues aus der Zeit vor dem Zweiten
Weltkrieg wiederveröffentlichten. Man brachte die Arbeiten von
Künstlern in chronologischer Reihenfolge heraus - das waren Label wie Matchbox, RST, Wolf und noch andere. Johnny Parth
war in verschiedener Weise in die Arbeit dieser Label einbezogen.
Er produzierte Alben für einige verschiedene Label hier und in
Österreich. Johnny übernahm bei verschiedenen Projekten eine
unwahrscheinliche Menge Arbeit und war so in der Lage, Zugang
zu einem großen Vorrat an Originalaufnahmen zu erhalten. Irgendwann merkte er, dass er so viele Aufnahmen hatte, dass er sie
zusammenpacken und unter einem eigenen Label veröffentlichen
konnte. Und so wurden Document Records geboren.
Und er begann, diese Aufnahmen in einer unwahrscheinlichen
Frequenz zu veröffentlichen - er brachte tatsächlich um die 100
CDs im Jahr heraus. Er hatte einen sehr guten Deal mit Arhoolie
in San Francisco heraushandeln können, worin sie zustimmten,
von jeder CD, die Document herausbrachte, 250 Stück zu nehmen und zu bezahlen. Das ist der Traum jedes Labels. Normalerweise werden unverkaufte Alben ans Label zurückgegeben. Aber
auf diese Weise finanzierte sich Document in den Anfangstagen.
Die ersten 2-300 Veröffentlichungen des Katalogs verkauften
sich sehr gut und sind noch heute populär. Aber irgendwann musste Arhoolie Johnny anflehen, keine weiteren CDs zu schicken.
Sie begannen, immer obscurere Bereiche abzudecken, die nicht
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Foto: Gary Atkinson und
Jack White
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Musik
so populär bei den plattenkaufenden Öffentlichkeit waren - da gehörten etwa alte Prediger und Predigten dazu! Johnny nahm von
dieser Forderung keinerlei Notiz. So kam es zu dem Punkt, wo das
Lagerhaus von Arhoolie vollgestopft war mit CDs von Document.
Du selbst bist ungefähr vor zwölf Jahren dazu gestoßen?
Ja. Was Johnny mit der Veröffentlichung der Werke von Künstlern
wie Blind Willie McTell in chronologischer Reihenfolge geschaffen
hatte, war unglaublich, wirklich. Dafür brauchte es eine ganz besondere Persönlichkeit. Ich hatte damals ja schon Erfahrungen mit
dem Schreiben von Rezensionen. Und Johnny brauchte dringend
jemanden, der für eine vierteilige Ausgabe von Ma Rainey die Texte der Booklets schrieb. Und so fragte er mich. Und egal, was du
für Johnny erledigt hast - er bezahlte Dich in CDs! 10 CDs für eine
Reihe von Booklettexten. auf diese Weise bekam ich einen ganz
schönen Teil des Katalogs. Und das kam meiner Idee vom Himmel nahe. Ich weiß nicht, ob er auch in seinen lokalen Supermarkt
ging, und ihnen anbot, seine Lebensmittel in CDs zu bezahlen!
Das war ungefähr 1997 und das war in der Zeit, als die Leute
anfingen, PCs in ihren Wohnungen zu haben. Mir kam damals
die Idee, dass eine Webseite eine hervorragende Möglichkeit wäre,
all die Fans des Vorkriegsblues in aller Welt zu erreichen. Vielleicht
könnte man ja eine Art von Online-Shop aufbauen. Also rief ich
Johnny an und schilderte meine Idee. Er hatte aber kein Interesse.
Aber er sagte: „Warum versuchtst Du es nicht selbst?“ Und dann
sagte er noch: „Willst Du Document komplett haben?“ Ich dachte
erst, er meinte, ich könnte den Rest des Katalogs, den ich noch
nicht besaß bekommen. Aber schnell wurde es mir klar: Er wollte,
dass ich Document Records übernehme.
So handelten wir einen Deal aus und ich sagte Ja.
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Musik
Du hast das Label ja zu einem Zeitpunkt übernommen, als diese riesige Änderung von CDs hin zu Downloads gekommen war.
Ich hätte es wirklich zu keinem schlimmeren Zeitpunkt übernehmen können - das Timing war entsetzlich! Aber ich hatte mich
darauf versteift. Und es geht ja auch nicht nur darum, bestimmte
Artikel zu verkaufen - da ist eine viel größere Last von Verantwortungen auf unseren Schultern. Denn uns wurde klar, dass das, was
wir mit dem Label haben auch so etwas wie ein Museum ist mit
Massen kostbaren Dingen drin. Wenn jemand diese Tür verschließen und den Schlüssel wegwerfen würde, wäre das ein riesiger
Verlust. Unabhängige Plattenfirmen waren immer ein Stachel im
Fleisch der Majors. Wenn Firmen wie Document aufhören, dann
werden die Majors nicht zu deren Kellern gehen und sagen: Wir
müssen einfach ein Box-Set von Rec. JM Gates oder Frank Stokes
herausbringen. Diese Firmen sind nicht interessiert daran, Lizenzen von irgendwas zu erwerben, von dem man nicht mindestens
20000 Kopien verkaufen kann. Die finanzielle Seite belastet mich
nicht so sehr. Was mich nachts wach hält ist der Gedanke: Wenn es
Document nicht gäbe, wer würde die Herausforderung annehmen,
die dieses kostbare Materiallager beinhaltet?
Oft bekommen wir Bestellungen von Universitäten in den Staaten und wir haben diese witzige und ironische Situation, wo die
University of Texas Vorkriegsaufnahmen texanischer Blues-Künstler in einem kleinen verschlafenen Nest im Südwesten Schottlands
bestellt. Und die brauchen das nicht nur für das Musikstudiums
sondern auch für Afrikanisch-Amerikanische Sozialforschung und
so weiter. Was wäre, wenn es Document nicht gäbe?
Wenn Du es auf den Punkt bringen müsstest: Was macht die frühe
Bluesmusik so wichtig, so bedeutsam?
Ich denke, Jack White hat es vor ein paar Wochen ziemlich gut auf
den Punkt gebracht, als er sagte, dies seien wirklich die ersten Aufnahmen einfacher Menschen, die über ihre eigenen persönlichen
Gedanken und Gefühle sangen. Davor hattest Du Vaudeville, Music Hall Songs, Stücke von Minstrelgruppen und so weiter - das
waren keine persönlichen Lieder. Es gab so etwas oder klassische
Musik. Und auf einmal gab es da Menschen, die über die Tatsache,
dass sie Geldschwierigkeiten oder Liebeskummer hatten, sangen.
Blues war so individuell, so persönlich.
Wie hat sich Deiner Meinung nach das Interesse am Blues über die
letzten, sagen wir mal. zehn Jahre verändert? Was konntest Du in der
Zeit beobachten?
Ich denke, es ist noch ziemlich genau so wie in den späten 70er
Jahren. Bis 1961 war der Blues einfach schwarze Musik für schwarze Hörer. Liver-Auftritte, ob nun in einem Club in Chicago oder
einem Juke Joint tief im Süden: da traten schwarze Künstler für
ein schwarzes Publikum auf. Und häufig genug blieben die nicht
einfach auf ihren Plätzen sitzen und klatschten höflich. Eine der ersten Bluesaufnahmen, die ich meiner Erinnerung nach gehört hab,
war „White, Brown, Black“ von Big Bill Broonzy. Und ich zog daraus den falschen Schluss, dass eine Menge dieser Musik politisch
sein müsse. Doch das stimmt nicht, oft sind es einfach Lieder über
Liebe. Einige sind unglaublich romantisch, andere absolut brutal.
Aber zu ziemlich allen wurde getanzt. Man konnte etwa in einen
Juke Joint kommen und sah in einer dunklen Ecke Paare beim
Engtanzen zu sowas wie Charlie Pattons „Hammer Blues“.
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Musik
Für uns muss Musik zum Tanzen voller Energie sein - die Tatsache, dass ein großer Teil des Vorkriegsblues Tanzmusik war, ist für
uns heute schwer vorstellbar.
Elija Wald weist auf das gleiche Problem hin in seinem Buch „Vom
Mississippi zum Mainstream“ (OT: Escaping The Delta), dass egal was
du auch über den Blues zu sagen hast, es war Musik, um dazu zu
tanzen. Er war Entertainment. Es war eine Möglichkeit, der harten
Woche des Baumwollpflückens zu entfliehen, wenn man in den Juke
Joint ging, um sich unterhalten zu lassen.
Samstagnacht in das Barrelhouse oder den Juke Joint zu gehen,
Drinks, heiße Nächte, Leute, die Tanzen oder sich unterhalten.
Jetzt folgten die farbigen Plattenkäufer dem Trend so wie jeder andere auch. Für die war es erst Blues, dann Swing, R&B, Boogie
Woogie, dann der kraftvolle elektrische Stoff aus Chicago: Sie gingen mit der Zeit. Für den Vorkriegsblues war die Zeit vorbei und
sie orientierten sich um. Vom elektrischen Blues gingen sie weiter
zum Soul. Und dann differenzierte es sich immer weiter. So klangen Musiker wie Howlin Wolf oder Muddy Waters (großartig wie
sie sind und unabhängig davon wie sehr wir sie heute bewundern)
am Ende der 50er Jahre wie Alte Musik. Und als Tamla in den
60ern die Macht übernahm, waren sie mehr oder weniger erledigt.
Sie erreichten nur noch die ältere Generation, die mit dieser Musik
aufgewachsen war.
Aber dann kamen natürlich die Rolling Stones und die Animals,
die Yardbirds und Cream. Und die führten unabsichtlich ein anderes Publikum an diese Musik heran. Plattenfirmen wie Chess
bekamen Anfragen nach europäischen Touren ihrer Künstler. Zuvor hatte man dort nur Bill Broonzy, Lonnie Donnegan oder in
Frankreich auch Leadbelly gehört. Und obwohl man sie dort gut
aufnahm, wurde es doch nicht zum Wendepunkt für die Künst-
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Musik
ler. Und so war der einzige, der es versuchen wollte, Sonny Boy
Williamson. Als er nach Europa kam, entstand dieses klassische
Foto von ihm in London mit einer Frau mit Hochsteckfrisur im
Minirock auf seinem Knie und Sonny Boy Williamson sah sehr
zufrieden mit sich aus. So nahm er die Fotos mit zurück und zeigte
sie Muddy Waters und Howlin‘ Wolf und plötzlich standen sie alle
am Flugplatz Schlange, um auch rüber zu fliegen. Sonny Boy sagte,
man könne nicht glauben, wie man ihn dort behandelt habe. Er sei
wie Elvis gefeiert worden. So kamen sie scharenweise nach Europa.
Und sie begannen, gemeinsam mit einigen der britischen Bands
wie den Yardbirds und anderen aufzutreten. Aber an diesem Punkt
begann ein Kompromiss: Die schwarzen Blues-Konzerte begannen
Zugeständnisse an die weißen Zuhörer zu machen. Und gleichzeitig gab es weiße Musiker, die verzweifelt versuchten, so wie ihre
Idole zu klingen. So entstand ein Gemisch und Dinge wurden geopfert. Aber die Musiker mussten das machen, weil ihr vorheriges
Publikum inzwischen verschwunden war und Platten von Junior
Walker oder den Supremes kaufte. So wurde die Musik verwässert.
Manches davon mag ich, anderes nicht wirklich.
Gibt es irgendwelche heutigen Bluesmusiker, die du besonders magst?
Nein, nicht wirklich! Wenn Du Dein ganzes Leben diese Sachen
gehört hast, etliche Stunden an jedem Tag ... Als ich damit begann, war es äußerst ungewöhnlich, in die Bluesabteilung eines
Plattenladens zu gehen. Und in jenen Tagen war diese Musik sehr
obskur. Als ich in der Schule war, hatten die anderen Kids Namen
wie T-Rex oder Sweet quer über ihre Federmappen geschrieben.
Ich hatte da Peg Leg Howell oder Barbecue Bob. Diese Zeiten waren sehr einsame Erfahrungen! Ich hab mich also wirklich lange mit dieser Musik beschäftigt. Und wenn Du dann was Neues
hörst, sagst Du Dir: Das klingt doch genau wie der oder jener. Und
irgendwann hast Du nach Jahren all diese Referenzen gesammelt.
Und so braucht es schon wirklich was Besonderes, damit ich mich
aufraffe und zuhöre. Aber es ist schön, wenn Du heutzutage jemanden hörst, der zurück geht in der Geschichte, nicht die Route von
Buddy Guy sondern mehr die bodenständige Route. Das ist, was
ich mag.
Gibt es die typischen Kunden von Document Records?
(lacht) Ja, und sind sehr gruselig und einschüchternd! Nein, eigentlich gibt es die nicht. Als ich Document vielleicht vier oder
fünf Jahre hatte, meinte jemand: Erinnerst Du Dich an den „Blues
and Gospel Train“? Das war ein Programm im Granada TV etwa
1963 oder so, mit Sister Rosetta Tharpe, Muddy Waters, Sonny
Terry und Brownie McGhee und ein paar anderen. Die hatten
diese aufgegebene Bahnstation gleich außerhalb von Manchester
gekapert und in etwas verwandelt, was irgendwie an Mississippi
erinnern sollte. Es hätte funktionieren können, aber es war mitten
im Winter und alle Künstler trugen diese schweren Mäntel und
sahen erfroren aus. Diese Leute organisierten also einen Abend nur
zu diesem Programm, hatten sogar den Produzenten von damals
eingeladen usw. So ging ich also hin und war mir nicht sicher, ob
da nur ein paar alte Knacker mit Bierbäuchen sitzen würden. Ich
stellte mir auch eine lausige Anlage vor, die ständig Feedback-Kreischen und ähnliches von sich gab. Aber als ich hinkam, war der
Laden krachvoll. Und auch wenn es da Leute in meinem Alter und
älter gab, waren die meisten Besucher Studenten: fantastisch! Als
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Musik
ich irgendwann aufs Klo ging, sagte da dieser Typ zu mir: Warum
bist Du eigentlich hier? Ich sagte, ich mag den Blues. Und er: Wer
ist dein Favorit? Oh, ich weiß nicht, es gibt so viele, antwortete ich.
Und er meinte: Also mein Liebling ist Memphis Minnie. Das ist
eine Überraschung, dachte ich. Und dann kam aus einer anderen
Ecke vom Männerklo eine Stimme: Ich liebe Peetie Wheatstraw,
während eine weitere sich einmischte und meinte: Nichts kommt
gegen Blind Blake an. Das brachte mich wirklich aus der Fassung.
Und dann teilte ihnen mein Kumpel mit, dass mir Document Records gehört, und sie kannten es alle und waren erfreut und wollten
mich gar nicht gehen lassen.
Um also auf Deine Frage nach dem typischen Kunden von Document zurückzukommen: Ich hatte das Label erst ein paar Monate, als ich diesen seltsamen Anruf bekam von einem Typen, der mir
sagen wollte, wie sehr er und sein Kumpel Countryblues liebten, jede Art von Blues. Es hieß immer. Ich und mein Kumpel mögen das
und jenes, und wir lieben Document. Als ich an den Punkt kam,
wo ich der Meinung war, ich müsse endlich wieder an die Arbeit
gehen, sagte er, sie bräuchten Hilfe bei einem Projekt. Das würde
ein Buch und eine Fernsehdokumentation und eine CD umfassen.
Und dann erzählte er mir, sein Kumpel sei Bill Wyman! So kam
es, dass Document das Album „Bill Wyman‘s Blues Odyssey“ herausbrachte.
Voller Erstaunen fand ich damals heraus, dass das Document Label über den Kreis der ernsthaften Blues-Enthusiasten und -Sammler hinaus bekannt war. Das Buch und alles andere wurde mit einer
Party im „Sticky Fingers Cafe“ auf den Markt gebracht. Und die
Leute bei der Party - ich stand mittendrin und fragte mich: Was
geht hier eigentlich ab? Jeder, mit dem ich mich unterhielt, hatte
eine Menge Ahnung und sie liebten diese Musik. Und das waren
alle von David Bowie bis hin zu Bob Geldorf. Geldorf sagte zu mir:
Ah, ja - Document, ich liebe es! Das ganze Ding überraschte mich
total.
Inzwischen haben wir eine Menge Zeug an andere Label lizensiert. Auch für Filme, Werbung und Dokumentationen haben wir
Lizenzen verkauft. Und was mich da immer wieder verblüff t: Es
geht hier um sehr spezifische Anfragen für die obskursten Aufnahmen.
Und noch was zum Thema: Wer mag Document? Einer von
denen telefonierte mich vor einigen Jahren an. Und das ist Jack
White.
Das ist wirklich äußerst interessant. Wie kam dieser Kontakt zustande?
Vor einigen Jahren bekam ich eine Email von Third Man Records
mit der Mitteilung, dass Jack White mit mir sprechen wolle. Nach
ner Weile, als ich das schon fast vergessen hatte, ging meine Frau
ans Telefon und meinte: Jack White ist dran. So hatten wir diese
großartige Unterhaltung. Wir sprachen, was uns beiden wichtig
war, erzählten enthusiastisch von der Musik, die wir mochten und
so weiter. Und Jack meinte, was für einen Einfluss Document auf
ihn und seine Musik seit seiner Teenagerzeit gehabt hatte. Damals
war er in einen Plattenladen in der Nähe seiner Wohnung gegangen und hatte sich eine Menge Schallplatten von Document gekauft und sich damit selbst einen Crashkurs im alten Countryblues
gegeben.
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© wasser-prawda
Musik
Mit dem Jack Whit-Projekt bringst Du jetzt Charlie Patton, Willie
McTell und die Mississippi Sheiks wieder heraus?
Ja. Zuerst dachte ich ja, er wolle nach ein paar „Best of“ fragen.
Und so war ich sehr überrascht, dass er sich ganz auf den Ansatz
von Document einlassen wolle, Musik in chronologischer Reihenfolge herauszubringen.
Die Leute haben ja immer darüber gestritten, wie stark man
diese alten Aufnahmen restaurieren könne. Einige Sammler waren immer der Meinung, man solle die Originalaufnahmen nicht
anfassen - klar, es besteht die Gefahr, dass nach der Restaurierung
wichtige Frequenzen verschwunden sind, die für die Musik selbst
wichtig sind. Restaurierung steht hier im Gegensatz dazu, nur einfach die Kratzer und Klicks zu entfernen. Die Integrität der Musik
der Originalaufnahmen zu erhalten ist eine heikle Arbeit. Ich hab
nach langer Zeit schließlich gelernt, wie man das alles tun muss
und merkte, dass das, was Jack versuchen wollte, etwas ganz Besonders war. So nahm ich mir eine Menge Zeit, damit wir sicher
sein konnten, dass wir es richtig machten.
Unser Ziel war, dass diese LPs in die Hände von Neulingen des
Blues gelangen sollten. Wir wollten, dass die Leute erst die Cover
sahen und dann mit dem Hören beginnen und sich damit auf die
gleiche Reise begeben, die wir auch schon gemacht hatten. Wenn
also ein junger Jack White in einen Plattenladen käme und Interesse an dieser Musik bekäme, wäre es einfach großartig.
Und die Cover der neuen Alben sehen einfach toll aus.
Yeah! Ich muss zugeben, als ich das von Patton zuerst sah, war ich
geschockt. Aber ich konnte es nicht mehr aus meinem Kopf heraus
bekommen. Jetzt meine ich, sie haben wirklich den Charakter der
Musik eingefangen.
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Musik
Ich halte sie für fabelhaft - sie geben etwas von dem wieder, was die
Künstler ausmacht. Und gleichzeitig sind sie auch sehr gegenwärtig.
Genau! Sie haben einen „Wow-Faktor“ hervorgerufen, als man sie
erstmals gezeigt hat.
Gibt es die Alben als Vinyl und Download?
Ja. Zuerst dachte ich, Jack wollte sie auf Vinyl beschränken. Aber
dann sagte er, es sei ok, wenn ich das Artwork für meine eigenen
CDs verwenden würde. Zum Schluss kamen wir überein, dass
wir die Cover für Downloads von Document verwenden würden.
Wie haben sich die LPs verkauft?
Sie sind ausverkauft. Die erste Auflage bestand aus 3000 Stück
von jedem Album. Und die waren nach einer Woche verkauft.
So wird die erste Reihe von Alben gerade nachgepresst und Teil 2
kam gerade auf den Markt. Es gab ein paar Verzögerungen - mit
uns, aber auch weil Jack niemals Pause macht: Irgendwas ist immer los mit seinen Tourneen, Filmen oder was auch immer. Ich
erinnere mich, dass ich mal ganz am Anfang des Projekts zu seinem Anwalt sagte, ich könne mir nicht vorstellen, dass dies Jacks
größte Priorität sei. Sie aber sagte: Nein, da irren Sie sich, dies ist
Jacks Hauptpriorität. Dann machte sie eine Pause und meinte:
Alles, was er macht, ist seine Toppriorität.
Aber er hat so viele Interview über Document gegeben und eine
Menge Wirbel gemacht! Document hatte ja seine Momente: den
Bill Wyman Moment, einen anderen mit Paul Simon, um das Interesse wach zu halten. Aber das: Es ist nicht mehr das Selbe jetzt,
wirklich nicht.
So hat die Zusammenarbeit wahrscheinlich für Dich auch die Online-Verkäufe angetrieben?
Ja, natürlich. Es war unglaublich. Das ist ziemlich interessant: Im
August 2011 haben wir unsere Facebookseite gestartet, die meine
Frau Gillian jeden Tag updatet. Damals bekamen wir fünf oder
sechs „Likes“ am Tag. Als aber die Zusammenarbeit mit Third
Man begann, sprangen wir plötzlich auf 2000 „Likes“. Die Telefone klingelten, Leute wollten Interviews, unsere CDs wurden
ausverkauft. Das war einerseits großartig. Aber andererseits auch
alarmierend.
Die Alben von Teil 2 der Reihe sind inzwischen erhältlich?
Ja, sie sind auf dem Markt und die Interessenten können sie über
unsere Webseiten erwerben.
Vielen Dank! Das war eine wirklich faszinierende Unterhaltung!
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© wasser-prawda
Musik
Die unendliche Coolness des
legendären Dr. John
Von Matt Marshall. Zuerst veröffentlicht in American
Blues Scene. Übersetzung: Raimund Nitzsche.
Wenn die Musiklegende Dr. John in einen Raum kommt, wird
die Luft elektrisch geladen. Ohne Anstrengung und mit einem
tiefen Krächzen nicht viel lauter als ein Flüstern, fordert die Legende hinter tausend funky Beats und Dutzenden von Hits wie
„Rright Place Wrong Time“ Aufmerksamkeit. Mac Rebenac, so
sein bürgerlicher Name ist ein höflicher, international gefeierter
Sohn des Funk, Jazz, Blues und Rock von New Orleans.
Die 72jährige Piano-Ikone mit dem charakteristischen Spazierstock, der Brust voller Perlenketten (fast jede hat eine spezielle
Bedeutung) und unerhört edler Garderobe bringt den Funk in
jeden Raum, den er betritt.
Aber es sind nicht allein sein Charisma, seine Coolness und die
berühmte Voodoo Performance auf der Bühne, für die der gute
Doktor berühmt ist. Es ist vielmehr seine Fähigkeit, eine Musik
© wasser-prawda
Matt Marshall
ist emsiger Bluesliebhaber
und der Chefredakteur von
„The American Blues Scene“.
Jedes Jahr kann man ihn bei
Dutzenden Festivals oder
Konzerten überall in den
USA treffen. Außerdem betreibt er den offiziellen Shop
von American Blues Scene
Bluecentric mit verschiedensten Blues-T-Shirts.
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Musik
zu machen, die seit mehr als vier Jahrzehnten frisch, vergnüglich
und vor allem funky ist.
Wenn man Dr. John als „lebende Geschichte“ bezeichnen würde, dann erwiese man dem meisterlichen Musiker einen schlechten
Dienst. Nur ein Durchlauf seines letzten Albums „Locked Down“
beweist, dass der unablässig aufmerksame Pianist niemals näher an
der Definition dran war, wie populäre Musik klingen sollte.
Unter seinen ständig präsenten zeitlosen Hüten ist eine laufende
Enzyklopädie, ein Schwamm des Wissens und Könnens von Blues,
Jazz, der Musik von New Orleans und Dutzenden von Genres,
Stilen und Künstlern. Wieso hat er es geschaff t, was so wenigen
Musikern in der Welt gelingt: Über all die Jahre einen immer einzigartigen, immer spannenden und coolen Sound und eine ebensolche Persönlichkeit zu behalten?
„Als ich aufwuchs, hörte ich alles, was mein Vater hatte. Er besaß
einen Plattenladen“, sagt er und entspannt sich an einem großen
Eichentisch weit oberhalb des Big Muddy Blues Festivals in einem
alten Teil von Saint Louis. In weniger als einer Stunde wird er der
Headliner der Show sein, vor tausenden dicht an dicht stehenden
und schreienden Fans mit einer der wahrscheinlich besten Bands
der Szene spielen. „Mein Vater hatte vier Arten von Schallplatten,
die er verkaufte. Das waren Race Records wie Rhythm & Blues,
Blues, Jazz..., da war Bebop, Traditional Jazz und afro-kubanische
Musik, und da gab es geistliche Musik, Sprituals, Hymnen und
ähnliches und es gab Hillbilly Musik. Ein Großteil der Hillbilly
Musik war von Hank Williams oder ähnlichen. Das war so das,
was ich hörte, als ich aufwuchs.“
Buchstäblich ein Leben von Erfahrungen in und um die Musik und ebenso ein Jugend in den zwielichtigen Ecken von New
Orleans hat letztlich einen der berühmtesten Einwohnern der
Crescent City hervorgebracht. Aber er hat nicht immer nur zuge-
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Musik
hört: Er lebte die Musik, absorbierte sie, lernte von und teilte sie mit
den Menschen, die er „die Besten, die es gab“ nennt. Die Menge
Namen, mit denen er gearbeitet hat, beinhaltet Cher, Gregg Allman, James Booker, Muddy Waters, Gatemouth Brown, Eric Clapton, Mick Jagger und so ziemlich jeden anderen, der im Laufe der
Jahrzehnte in der Popmusik wichtig war. „Die Besten, die es gab“
ist ein Understatement.
Wenn er sich an die erinnert, die ihn beeinflusst haben, gehen
Dr. John die unglaublichen Geschichten nicht aus. „Ich hab Muddy Waters bei The Last Waltz (Martin Scorseses großartiger Rockfilm) spielen sehen. Die Nacht vor den Filmaufnahmen spielte er
Nine Below Zero. Ich sah jeden sogenannten Gitarrenhelden mit
verkrampfen oder herunterhängenden Kiefern... Ich wünschte, das
hätten sie gefilmt“, prahlt er. „Und das sind so die Dinge, die ich das
Glück hatte, zu erleben.“
„Ich erinnere mich an Gatemouth. Ich werd niemals vergessen, als
ich ihm sagte: Ich spiele dein Stück Okie Dokey Stomp als meine
Erkennungsmelodie! Und er meint: Don‘t fuck it up, kid! Als er das
gesagt hatte, nahm ich den Song nicht mehr als Erkennungsmelodie! So sehr bewundere ich Gate.“
„James Booker war mit mir fünf Jahre auf Tour.“ Booker, auch ein
Eingeborener aus New Orleans, war einer der begabtesten Pianisten
des 20. Jahrhunderts - aber eben auch eine gequälte Seele, der sein
Leben lang mit der Sucht kämpfte. „Da gab es so viele Typen, die
wegen Booker die Band verließen. Und irgendwie war mir das egal.
Ich liebte die Art, wie Booker spielte... Und es ist schließlich meine
Band! All die Leute haben mich auf verschiedene Weise beeinflusst.
Genau so, wie Professor Longhair half mir auch Huey Smith in
New Orleans, Earl King half mir beim Gitarrespielen. Es gab einfach so viele Leute dort.“
Wie schaff t man es als Künstler, der in den 70er Jahren populär
wurde, eine Karriere über Jahrzehnte zu erhalten? „Ich versuche,
nicht Mister Vorhersehbar zu werden“, meint er in seinem heftigen
Südstaatenakzent. Und diese Aussage triff t es wirklich, hat er doch
für sein jüngstes Album „Locked Down“ mit Dan Auerbach von
den Black Keys als Produzent zusammengearbeitet. Die Scheibe, ein
atemberaubenden, hoch gepriesenes Werk aus Rock und Afrobeats,
bekam einen Grammy. „Wenn jemand meint, sie würden von mir
das oder jenes erwarten, irren sie sich normalerweise. denn ich mach
nunmal mein eigenes Ding.“ Und sie haben sich geirrt. Niemand
hatte die explosive Richtung von Locked Down erwartet. Rebenack
faucht in den Stücken gegen die CIA und den Ku Klux Klan mit
gleicher Verachtung, rühmt sich ein „Big Shot“ zu sein, schäumt
über vor Wut, wenn es um Armut und Tod geht, und er preist Gott
dafür, dass er seine Seele gerettet hat - und er macht das in zehn
elektisierenden Stücken mit Auerbach an einer schreienden Gitarre,
unheimlichen Beats vom Schlagzeug und natürlich mit seinem unendlich coolen Können am Piano.
Popularität und Alter machen das lebenslange Spiel mit der Musikindustrie keinesfalls leichter. „Hey, hier gibt es keine einfachen
Manöver heraus. Natürlich gibt es Typen, die noch immer Gefallen
zurückzahlen... Auch ich hab immer noch Gefallen zurückzuzahlen“, betont er mit ein wenig Stolz und der unter der Oberfläche
zurückgehaltenen Melancholie von Jahren auf Tour, „das sollte ich
inzwischen eigentlich kapiert haben. Ich versuch heute nur nicht
mehr so viele Schläge abzubekommen wie früher!“ Seine ungezügelte, ständig einzigartige Sprache führt dazu, dass man gebannt jedem
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Musik
Wort folgt, sein Humor lässt die Tatsache vergessen, dass man mit
einem fünfmaligen Grammy-Gewinner und Mitglied der Rock &
Roll Hall of Fame und einem der innovativsten Musiker unserer
Zeit zusammen ist.
Wenn man es auf die elementarsten Grundlagen reduzieren soll,
worauf es beim Musikmachen ankommt, dann ist das nach Dr.
John das Tanzen. „Tanzen ist ein großer Teil von allem, was wir
tun. Wenn Du die Leute nicht zum Tanzen bringen willst - wieso
zum Teufel machst Du dann überhaupt Musik?“
Und in Zukunft, will er im Stile von „Locked Down“ weitermachen, wie sehen seine Pläne aus? An der Stelle starrt er zunächst
ohne Worte und macht zwei Sekunden Pause, bevor er mit „Hör
mal gut zu, mein Sohn!“ die Konversation an sich reißt. „Ich versuche nicht, Mr. Vorhersehbar zu sein. Ich will nicht Mr. Alleskönner sein. Ich will einfach nur Musik machen. Und ich will
Musik machen nach all meinen Fähigkeiten.“
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Musik
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Musik
Zehn Fragen an: Aynlsey Lister
Von Dave Watkins
1: Was war Dein frühester Musikgeschmack und wie hast Du
die Welt des Blues entdeckt?
Seit fünfzehn Jahren
gehört Aynsley Lister
zu den angesagten
Künstlern im britischen
Bluesrock. Grund genug, dass Dave Watkins ihm seine zehn
Fragen stellt.
Ich wuchs eigentlich mit dem Hören der Plattensammlung meines Vaters auf. Jede Nacht lief die Stereoanlage. Seine Sammlung
bestand meist aus den Blues und Rockbands der 60er/70er Jahre wie Cream, John Mayall, Fleetwood Mac, den Stones, Vanilla
Fudge, Jethro Tull - um nur ein paar zu nennen. Er war schon
immer ein Gitarrenfan, so drangen immer viele Gitarrensolos aus
den Boxen!
2: Wer waren die Künstler, die dich dazu brachten, dass Du
diese Musik spielen wolltest. Und wann stelltest Du fest, dass
Du dazu das Talent hast?
Mit acht Jahren bekam ich meine erste Gitarre, eine klassische
mit Nylonsaiten. Ich lernte, indem ich ein Video mit Eric Clapton
schaute. Ich sah genau hin, wo seine Hand auf dem Hals war und
versuchte, den gleichen Klang auf meiner Gitarre nachzuahmen.
Das gelang eigentlich ziemlich schnell - vielleicht weil ich so jung
war.
3: Deine ersten Aufnahmen - hörst Du sie immer noch an?
Wie beurteilst Du sie heute? Und gibt es welche, die Du nicht
mehr anhören würdest?
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Musik
Nein, ich höre niemals meine früheren Sachen. Wie jeder Künstler
willst Du Dich davon nur noch fortentwickeln. Aufnahmen sind
immer richtig und relevant in der Zeit, wo man sie macht. Aber
Du selbst änderst dich, entwickelst Dich und wirst schließlich mit
Deinen Fähigkeiten besser. Ich denke als Songschreiber habe ich
eine Menge dazu gelernt in der Zeit. Anfangs war ich völlig auf die
Gitarre fokussiert. Heute versuche ich, das größere Bild im Auge
zu behalten.
4: Welche anderen Jobs hast Du gemacht, um Deine Musikkarriere zu unterstützen?
Ich hab das Glück, dass meine Musik mein Vollzeitjob seit inzwischen mehr als 15 Jahren ist. Ich begann schon in jungen Jahren
in Clubs zu spielen, so dass ich nicht nur einige gute Erfahrungen
machte sondern auch schon eine Anhängerschar gewann, bevor ich
wirklich Vollzeitmusiker wurde.
5: Wie schwer ist es, von seiner Musik zu leben? Und gibt es irgend etwas, dass diese Ziel für alle Musiker einfacher erreichbar machen würde?
Das kann hart sein, besonders wenn Du in einer Gegend beginnst,
wo Dich niemand kennt. Es kann eine Weile dauern, gute Fans zu
gewinnen. Aber wenn das auf die richtige Weise angepackt wird
und Du Dich auf sie verlassen kannst, dann können sich die Dinge
ändern. Management und Marketing eines Künstlers sind in vielerlei Weise die wichtigsten Punkte - ich hab lange gebraucht, um
das zu verstehen. Wie in jedem Geschäft musst Du Dich auf die
richtige Weise präsentieren und es wirklich als Geschäft betrachten
und nicht nur als Musik. Ich glaub, viele Musiker haben zu kämpfen, weil sie die Geschäftsseite links liegen lassen und meinen, die
Musik sei genug. Ich habe ne Menge lernen müssen in den letzten
paar Jahren, das größte Ding war aber zu begreifen, dass die Musik
allein eben nicht genug ist ohne einen starken Rückhalt und einer
Marketingstrategie dahinter!
6: Auf welchen Deiner eigenen Songs bist Du besonders stolz?
Erzählst Du uns die Geschichte hinter dem Lied?
Schwere Frage, aber auf jeden Fall etwas vom neuen Album. Zur
Zeit ist es wahrscheinlich „Free“. Das hab ich über einen engen
Freund geschrieben, der vor zwei Jahren gestorben ist. Er hatte mit
dem Krebs zu kämpfen und hatte es geschafft, fünf Jahre war er
frei von der Krankheit, nur um vier Monate später an einem Herzfehler zu sterben. Ich wollte einen Song mit echter lyrischer Tiefe
schreiben, aber gleichzeitig nicht so düster ... etwas mit Atmosphäre, dass dich auf eine kleine Reise mitnimmt, dich aber gleichzeitig
tritt wie ein Maultier!
7: Wenn Du zum Schreiben hinsetzt, was kommt zuerst - der
Text, die Melodie oder die Idee für ein ganzes Lied?
Ziemlich oft höre ich das ganze Stück in meinem Kopf, bevor ich
überhaupt die Gitarre zur Hand nehme, das ist fast wie eine Vision,
in der ich eine CD in den Player lege und auf Start drücke: Wie der
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Musik
Song losgeht, sich aufbaut, die Instrumentierung, alles! Manchmal beginnt es auch mit einer Melodie oder einer Hookline. Die
kommen mir immer einfach in den Kopf, aber es sind die Stücke
dazwischen, die manchmal länger dauern, die Füllung sozusagen.
Ich bin immer auf den Schwerpunkt, den Kern des Liedes fokussiert. Normalerweise baue ich den Song um ihn herum und zurück. Wenn es die lyrische Idee ist, funktioniert es genauso: Zuerst kommt die Hookline. Ab und zu fange ich mit den Lyrics an,
aber normalerweise habe ich schon melodische rhythmische Idee
im Kopf, wie die Lyrics zu Musik passen, die Phrasierung und so
weiter.
8. Erzähl uns was über das Lieblingsinstrument in Deiner
Sammlung. Gibt es irgend ein anderes Instrument, dass du
gerne hättest oder spielen lernen möchtest?
Das ist meine alte 335! Das ist eine Gitarre, die mein verstorbener
Freund gefunden hat. Es ist einfach eine außerordentliche Gitarre,
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Musik
ein völlig einzigartiges Stück. Sie kommt heutzutage nicht mehr so
oft raus, nur bei gelegentlichen Solo-Shows taucht sie auf.
Mit der Band spiele ich normalerweise eine heftige Les Paul, die
mir Damian Probett handgefertigt hat. Das ist mit Abstand die
Beste, die ich seit langem hatte. Und außer der Strat, die er mir zur
Zeit baut, habe ich alles, was ich brauche.
9. Wo möchtest Du Deine Karriere gerne hinführen sehen in
der Zukunft? Was sind Deine wichtigsten Ziele?
Natürlich will ich größere Zuschauerzahlen haben und auch in
neuen Gegenden spielen. Großartig wäre es auch, häufiger im Radio gespielt zu werden. Und schon immer mochte ich die Vorstellung, dass ein bekannter Name eins meiner Lieder aufnehmen und
es in den Mainstream überführen würde, das wäre wirklich cool!
10. Was machst Du außer Musik am liebsten?
Mountainbiken, Komasaufen und Chillen.
Zusatzfragen:
1. „Home“: Was wolltest Du mit diesem Album erreichen - und hast
Du das auch komplett geschaff t?
Ich wollte einfach mein allerbestes Album aufnehmen. Ich habe
eine Weile mit dem Schreiben gebraucht und hab da nichts beschleunigt. Ich ging ins Studio, als ich fertig war und im Rückblick
bin ich froh, dass ich mir die Zeit gelassen habe. Da ich so lange
auf Tour bin wollte ich ein Album voller Songs, die auch gut in
Konzerte hineinpassen, Lieder, die nicht nur auf Platte gut klingen, sondern die auch beim Live-Spielen Spaß machen und sehr
vielseitig sind. Ich wollte ein Album, das all dass berührt, was mich
als Künstler aus macht, sowohl meine Singer/Songwriter-Seite, als
auch den Bluestypen. Ich hab jede Minute genossen, die es brauchte das Album zu machen und ich bin überglücklich!
2. Welches Lied der Musikgeschichte hättest Du gern geschrieben?
„Happy Birthday“ - Stell Dir nur mal die Tantiemen vor! Wusstest
Du, dass da ein Copyright dafür eingetragen wurde?!
3. Was ist das größte Gitarrenriff aller Zeiten?
Schwere Entscheidung ... Ok, die Antwort des heutigen Tages
ist„Back In Black“ von AC/DC.
4. Was sind Deine Lieblingskekse?
Chocolate Hobnobs.
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Platte Des Monats
Mike Zito And The Wheel Gone To Texas
War der Vorgänger „Greyhound“ ein Album über das Unterwegssein und die Flucht vor den Problemen, so ist Mike
Zito‘s neues Werk „Gone To Texas“ ein Liederzyklus über den
Kampf gegen die inneren Dämonen und äußeren Probleme.
Texas habe ihn gerettet, schreibt Songwriter/Gitarrist Mike Zito
über das Thema seines neuen Albums. In Zeiten, als der Staat noch
nicht zu den USA gehörte, war Texas ein beliebter Fluchtort für
Menschen vor allem mit finanziellen Problemen. Und damit auch
ein Ort, um neu anzufangen. Zito war nur mit seiner Gitarre aufgebrochen, um vor allem mit seiner Drogensucht klarzukommen.
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Platte Des Monats
Und in Texas fand er den Halt, die Krankheit in den Griff zu bekommen. Und neben seiner Solokarriere hat ihm besonders auch
die Mitwirkung in der Royal Southern Brotherhood künstlerisch
angetrieben. Dass Zito daher jetzt auch bei Ruf Records veröffentlicht, muss nicht wirklich überraschen. Zum Rooster des umtriebigen Labels passt er auf jeden Fall hervorragend.
Ein Teil seiner Geschichte erzählt er jetzt in den Songs auf „Gone
To Texas“, für dass er sich eine perfekt zu seinem Bluesrock passende Band zusammengestellt hat. Seine Gitarre wird ergänzt durch
Saxophon, Keyboards und ab und zu hervorragend stimmige weibliche Background-Vocals. Und dann waren auch noch Gäste wie
Sonny Landreth (Rainbow Bridge) und Delbert McClinton (The
Road Never Ends) bei den Aufnahmen dabei. Eingespielt wurde
das Album in New Orleans, was durchaus reizvolle musikalische
Kontraste zu dem texanischen Sound von Zitos Songs geliefert hat.
Hier treffen deftiger Bluesrock auf die Leichtigkeit der Stadt des
Mardi Gras und den Swampsound Louisianas.
Wobei man Zito‘s Alben meiner Meinung nach in keiner Weise
gerecht wird, wenn man sie auf ihre immer hervorragende Musik
reduziert. Kaum ein anderer Songwriter im Blues und Bluesrock
(wenn man von Anders Osborne und in ganz anderer Weise von
Al Basile absieht) hat zur Zeit derartig treffende und überzeugende
Songs, die neben aller persönlichen Thematik auch die Geschichte
des Landes aus der Perspektive der sogenannten „kleinen Leute“
- oder sagen wir besser: der unteren Mittelschicht erzählen können. Wenn Kritiker Zito gar mit Bruce Springsteen vergleichen mit
seinen Songs von den amerikanischen Kleinstädten, dann hat das
durchaus seine Berechtigung. Und bei „I Never Knew A Hurricane“ wird auch musikalisch die Verwandtschaft zum Boss deutlich.
Angesichts der letzten Meldungen über Sturmkatastrophen in den
USA mag man sich natürlich fragen, ob der Vergleich der Grausamkeit und Coolness der unglücklich Geliebten mit einem Wirbelsturm nicht als zynisch angesehen wird. Aber der Gefahr hatten
sich ja auch schon andere ausgesetzt. Man erinnere sich nur an das
großartige „Like A Hurricane“ Neil Youngs.
Auch in „Don‘t You Think You‘re Pretty“ klagt Zito wieder über
die Frauenwelt - doch diesmal nicht als romantisch-melancholischer Träumer sondern als wirklich angepisste Mann, dem die Zikken der Frau einfach auf den Geist gehen. Seine Gitarre schreit
dazu den Blues und der Groove scheint sich bedrohlich zu steigern.
Ganz anders ein Song wie „Death Row“: Scheinbar klassischer
Akustikblues mit Dobro dient als Grundlage für die Bekenntnisse eines Gescheiterten, der in der Todeszelle sitzt und zum Nachsinnen und Beten kommt. Wobei für Zito deer Kampf niemals
wirklich zu Ende geht - immer wieder muss man sich neu aufraffen, weiterzugehen und sich nicht aufzugeben („The Road Never
Ends“). „Voices of Dallas“ entwickelt eine regelrecht geisterhafte
Atmosphäre zwischen Tom Waits und absoluter Einsamkeit. Es ist
selbst in Texas die Gefahr, am neuen Leben zu scheitern. Gerade
in der Anonymität der Großstadt. So ist der Gospelklassiker „Let
Your Light Shine On Me“ inhaltlich und musikalisch der perfekte
hoffnungsvolle Abschluss eines Blueszyklus, der in dieser Art zu
den Glücksfällen des Rezensenten gehört. (Ruf/in-akustik)
Raimund Nitzsche
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Platten
Rezensionen A-Z
Ana Popovic - Can You Stand The Heat
Man solle mit dem Blues nicht so viel experimentieren, hatte
Ana Popovic bei ihrem letzten Album gesagt. Er verliere sonst
seine Besonderheit. Jetzt ist die Gitarristin in Memphis. Ihr neues
Album „Can You Stand The Heat“ ist über weite Strecken eine
soulig-funkige Hommage an diese Stadt. Ein Widerspruch? Nur
für Leute, die nicht wirklich zuhören können.
Es wird heiß auf Ana Popovics‘ neuem Album. Nicht nur von den
Titeln her. Schon der Opener und Titelsong macht das klar. Eine
heiße Funknummer mit vollem Gebläse und ihrer schneidendenGitarre. Sowas hat man früher Sommerhit genannt. Aber der lässt
ja noch ein wenig auf sich warten. Bei „Hot Summer Night“ ist
es ähnlich. Nur dass sich Ana hier gesanglich und gitarristisch
ein heißes Duett mit Lucky Peterson liefert. Und „Boys Night
Out“ ist ein Party-Song, der selbst völlig bluesignorante Tänzer
in Bewegung setzt.
Memphis ist der rechte Ort für eine solche Musik: Soul und
Funk, der nicht nur von ferne an die Hochzeiten von Stax erinnert, Bluesgitarrenläufe, die von BB King und Little Milton
ebensoviel haben wie von Buddy Guy oder Jimi Hendrix. Das ist
Soulblues, wie er sein sollte, der vor allem durch Popovics Gitarre
fern ist vom Retro/Classic-Soul a la Daptone. Nein, Ana Popovic
hat nicht zuviel am Blues zu versändern versucht. Und man kann
ihr auch nicht wirklich vorwerfen, vom derzeitigen Retro-SoulBoom einfach nur ein wenig zu profitieren. Jeder Song zielt ins
Herz und die Füße. Und nur wer wirklich auf Funkanleihen mit
Gesichtsmuskelkrampf reagiert, hat Probleme mit einem der besten Alben, das diese Gitarristin bislang veröffentlicht hat.
Nathan Nörgel
Anthony Gomez - ... Before The Beginning
Schon auf „Up 2 Zero“ hatte Anthony Gomez sich vom Bluesrock
deutlich zurück zum Blues bewegt. Und für „... Before The Beginning“ hat er gleich noch den Strom abgestellt. Herausgekommen
ist ein faszinierendes Album mit einer Menge Gospelfeeling.
Machen wir mal ein Unplugged-Album: In der Vergangenheit
kamen dabei meist (die großartigen Ausnahmen lassen sich an einer Hand abzählen) uninspirierte Lagerfeuerplatten heraus. Und
auch jemand, der eigentlich immer dem elektrischen Blues zugetan war, kann nicht von jetzt auf gleich ein Album mit purem
Countryblues vorlegen. Soweit meine innere Reaktion, als ich las,
dass Anthony Gomes ein akustisches Bluesalbum vorgelegt hat.
Aber jegliche Befürchtungen waren schon beim ersten Hördurchlauf zu den Akten gelegt. „... Before The Beginning“ ist kein Versuch in Sachen klassischer Mississippi-Country-Blues sondern
eine Sammlung neuer Songs, die man am ehesten als akustischen
Soulblues bezeichnen kann. Statt des einsamen Bluesman mit
seiner Gitarre legt Gomez direkt mit einem ordentlichen Backgroundchor los: „Blues Is Good“, „Lady Soul“ oder „Old Ten
Wheeler“ - das sind Songs, die zeitweise ein wenig nach den späten
50er Jahren klingen, als der Soul aus Blues, Gospel und vielleicht
ein wenig Country entstand. Der Kanadier mit portugiesischen
Vorfahren ist hier ein einschmeichelnder Sänger, der aber immer
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Platten
genügend Feuer in seinen Vortrag legt, um auch die definitiven
Tanzmuffel zumindest innerlich in Bewegung zu versetzen.
Wer sich hier etwas an frühere Alben von Ruthie Foster erinnert
fühlt, dürfte richtig liegen. Auf jeden Fall ist „... Before The Beginning“ ein absolut hörenswertes Album, dass man getrost allen
seinen bluesliebenden Freunden weiterempfehlen kann.
Raimund Nitzsche
Babajack - Rooster
Akustischer Blues & Folk mit rauher Energie - nicht umsonst zählen Babajack in der britischen Szene zur Zeit zu den hoch gefeierten
Acts. Das macht auch ihr drittes Album „Rooster“ klar: Fast komplett live im Studio eingespielt treffen die Vorlieben für den Vorkriegsblues von Son House und Charley Patton auf osteuropäische
und afrikanische Sounds und aktuelle Themen.
Eigentlich mag Babajack es nicht, wenn man sie als Bluesband beschreibt. Aber der Blues bildet nun mal unbestreitbar das musikalische Zentrum dieses Akustiktrios. Schon der Opener „When The
Money‘s All Gone“ macht das klar mit dem hypnotischen SlideRiff und der treibenden Bluesharp (beide Instrumente gespielt von
Trevor Steger) über den Rhythmen von Cajon und anderen Percussionsinstrumenten (Becky Tate) und dem sturen Kontrabass von
Marc Miletitch. Hinzu kommt, dass Becky Tate eben nicht nur
ein wenig nach einer Bluessängerin klingt: Das Ergebnis ist ein
rauher, direkter Sound, der einen von Anfang an gepackt hält: Das
ist akustischer Bluesrock. Und nur manchmal wird das Konzept
völlig überraschend aufgebrochen in andere Richtungen. Wenn etwa „Skin and Bone“ mittendrin plötzlich nach dem Balkan und
nach Nordafrika klingt, dann ist man zunächst verblüff t. Und
dann stellt man fest: klar doch, für diese Band ist so ein Schwenk
logischn und überzeugend. Und vor allem für diesen Song.
Babajack‘s Lieder sind normalerweise weit vom vorherrschenden
Bluesklischee entfernt. Und vielleicht ist es das, weshalb die drei
Künstlerinnen sich eher als Folkmusiker oder ähnliches sehen. Für
den bierbäuchigen Bluesrocker beim Bikertreffen ist das vielleicht
wirklich nicht die richtige Musik. Aber sonst: im britischen Blues
und auch sonst in Europa ist das eine absolut herausragende Band.
Und „Rooster“ ist ein Album, dem man unbedingt eine Chance einräumen sollte. Damit sollte man sich aber nicht zu viel Zeit
lassen. Denn schon für den Herbst ist das vierte Album des Trios
angekündigt. Darauf bin ich jetzt jedenfalls schon gespannt.
Nathan Nörgel
Beth Hart & Joe Bonamassa - Seesaw
Zwei Jahre nach „Don‘t Explain“ kommt die zweite gemeinsame
Platte von Beth Hart & Joe Bonamassa. Nach dem Soul ist auf
„Seesaw“ die stilistische Bandbreite breiter gespannt vom Blues und
Soul bis zu Jazz und Swing.
Diesmal ist Hochglanz angesagt: Schon bei „Them There Eyes“,
mit dem das Album beginnt, fühlt man sich in einen Ballsaal eines
Luxushotels versetzt. Die Bläser strahlen, die Gitarrenlinien sind
sauber. Lediglich das Saxophon röhrt etwas dreckig zu Beginn.
Und Beth Hart kommt mit einer Eleganz in der Stimme daher,
bei der man ihre schiere Power und rohe Energie fast vergessen
könnte, die ihr in der Vergangenheit Vergleiche mit Janis Joplin
eingebracht hat.
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Platten
Zum Glück geht sie später doch noch heftiger zur Sache. Schon bei
„Close To My Fire“ ist sie wieder ganz überzeugend beim Blues gelandet. Und davon hält sie auch das weiterhin polierte Bandumfeld
nicht ab. Bei „Nutbush City Limits“ macht Beth einen auf Tina
Turner in ihren Jugendjahren. Und Joe Bonamassa setzt mit kurzen Einwürfen einen angenehm dreckigen Akzent zu dem selbst
hier noch auf Fernsehunterhaltung getrimmten Bläserumfeld. Das
ist auf Dauer überhaupt das größte Problem, was ich mit „Seesaw“ habe: Auf die Politur kann ich verzichten. Blues und Soul
können - und bei einer Sängerin wie Beth Hart müssen sie das
sogar - mit ner Menge Dreck und Direktheit daherkommen. Für
den Fernsehgarten sind andere Stile und andere Sängerinnen geeigneter. Leider folgen auch Bonamassas Gitarrenlinien hier (anders
als auf „Don‘t Explain“) zuweilen dem Drang zum Posieren mit
technischen Fertigkeiten, als dass sie sich dem Stück unterordnen.
Ein Solo wie bei „I Love You More Than You‘ll Ever Know“ muss
ich nicht unbedingt haben. Ansonsten ist „Seesaw“ aber ein Album, dass man mit ner Menge Spaß immer wieder hören kann.
Anspieltipps sind neben dem Titelsong das Zydeco-verliebte „Can‘t
Let You Go“ und „Strange Fruit“, das bei Hart und Bonamassa genau die geisterhafte Atmosphäre bekommt, die dieses Lied braucht.
(Provogue/Rough Trade)
Raimund Nitzsche
Cassie Taylor - Out Of My Mind
Jahrelang spielte sie in der Band ihres Vaters Otis. Dann ging sie
mit Dani Wilde und anderen „Girls with Guitar“ als Blues-Caravene weltweit auf Tour. Mit „Out Of My Mind“ hat Cassie Taylor
jetzt ihr erstes eigenes Album veröffentlicht.
Mindestens zwei Dinge hat Taylor bei ihrem Vater gelernt. Und beides ist in hervorragender Weise auf „Out Of My Mind“ zu hören:
Das eine ist eine musikalische Vielseitigkeit zwischen traditionellen
Bluesklängen bis hin zu psychedelischen Bluesrock-Exkursionen.
Und das andere, für mich fast noch wichtigere, ist der Sinn für
engagierte, gerne auch politisch aufgeladenes Songwriting. Schon
der Opener „Ol‘ Mama Dean“ ist ein Beispiel dafür: Ein Lied
über eine Gefangene, die um Freiheit und die Möglichkeit eines
Neuanfangs betet. Doch auch in Liebesliedern hat sie es einfach
drauf, anrührend und klischeefrei - und damit direkt zu Herzen
gehend - zu schreiben und zu singen. Ob es um das Gefühl der
Verliebtheit geht, wenn man plötzlich weiß, den oder die Richtige
für das Leben gefunden zu haben („Out Of My Mind“) oder die
Liebe, die Menschen jahrzehntelang zusammenbleiben lässt über
alle Schwierigkeiten hinweg („Lay My Head On Your Pillow“): das
sind wunderschöne Songs, die einem unspektakulär ins Ohr gehen
und drin bleiben. Und „New Orleans“ ist einfach eine großartige
Liebeserklärung an eine der Städte mit der schönsten Musik, die es
auf diesem Planeten gibt. Und der Groove dazu ist unwiderstehlich.
„Out Of My Mind“ dürfte eines der besten Debüts des Bluesjahres
2013 sein. Jedenfalls meiner Meinung nach. (Yellow Dog)
Raimund Nitzsche
CD Woodbury Band - Monday Night!
Aus dem Staate Washington kommt das Studiodebüt der CD
Woodbury Band, die dort seit 2009 den Status eines Geheimtipps
hat. Gitarrist/Songwriter CD Woodbury und seine Bandkollegen
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Platten
haben mit „Monday Night!“ ein eingängiges und hörenswertes
Stück Elektroblues mit gehörigen Funkdosen eingespielt. Ob damit der Schritt aus dem Status des Geheimtipps gelingt?
Der Montagmorgen ist normalerweise nicht der schönste Moment
der Woche. Und die Montagnacht ist auch nicht viel besser. Außer
man kann sie gemeinsam mit Freunden bei guter Musik in der
Kneipe seiner Wahl verbringen. Diese Musik braucht genügend
Power, um die letzten Müdigkeitsspuren des Wochenendes zu vertreiben. Und sie darf nicht so trübselig sein, dass davon gleich der
Rest der ganzen Woche verdüstert wird. „Monday Night!“ passt da
ganz gut: Treibende Rhythmen, trockene Texte ohne zuviel Sentimentalität, eine heftige Telecaster spielt den Boogie. Und ab und
zu bringt das Saxophon nocht das gewisse Extra hinzu: Die CD
Woodbury Band würde gut als Hausband in meine Lieblingskneipe passen. Dann würde ich häufiger mal mit den Mannen über das
Leben, die Musik und die Frauen schnacken. Und ansonsten wissend in mein Bier nicken und die Energie im Fußwippen aus mir
heraus lassen. Klar, die bösen Frauen sind immer ein Grund für
den Kneipenblues - „Mean Old Jenny“ etwa tobt im Boogie durch
den Laden und auch die namenlose Frau im Opener „These Blues
Keep Me Right Here“, die den Sänger klagend zurückgelassen hat.
Darauf noch einen Drink. Diese Montagnacht mit ihrer Mischung
aus Melancholie und Party trotz alledem ist empfehlenswert.
Raimund Nitzsche
David Egan - David Egan
Seine Songs wurden schon von Joe Cocker, John Mayall, Percy
Sledge oder Irma Thomas aufgenommen. Sein Piano klingt nach
dem Süden, nach Louisiana und nach verräucherten Kellerbars.
Sein selbstbetiteltes drittes Album präsentiert den Songwriter und
Pianisten als jazzigen Bluessänger und -songwriter in der Nachbarschaft von Mose Allison und Al Basile.
Jahrelang zog David Egan mit der Cajunband Filé durch Louisianas Tanzschuppen. Doch wer jetzt ein Album voller traditioneller Tanznummern, Walzer, Two Steps oder ähnliches erwartet,
dürfte zunächst enttäuscht sein, wenn das Album mit „That‘s A
Bil Ol‘ Hurt“ losgeht: Piano, ein Saxophon und ein Sänger in den
Traditionen von Charles Brown, Mose Allison oder Soulcroonern
wie Percy Sledge. Einfühlsam und unaufdringlich - aber immer
mit der Kraft des Dance-Hall-gestählten Performers singt er. Auch
wenn er in Songs wie „Dance To The Blues“ oder „Funky Dreams“
etwas heftiger zur Sache geht mit seiner Band - auf diesem Album
wird niemals einfach losgerockt. Im Zentrum stehen die Lieder,
die vom Leben im Süden erzählen, von den zerbrechenden oder
gelingenden Träumen, von der Traurigkeit, wenn man Ziele erreicht, und sie doch nicht so strahlend wie erhoff t waren. Und irgendwann wird er („Outta Mississippi“) sogar noch zum ziemlich
wütenden Prediger. Hier hämmert das Klavier, die ansonsten ziemlich strahlende Gitarre von Buddy Flett schreit verzerrt und das Saxophon gibt zynische Kommentare. Man atmet vor Erleichterung
auf, wenn das unwiderstehliche Stück nach mehr als fünf Minuten
am Ende angekommen ist.
Dies ist kein Album, das man nebenbei hören kann. Wenn man es
dennoch tut, entgeht einem die eigentliche Schönheit des Werkes,
die es aus dem Meer der Neuerscheinungen heraushebt.
Raimund Nitzsche
© wasser-prawda
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Platten
Doug Deming & The Jewel Tones feat. Dennis Gruenling - What’s it gonna Take
Erst fällt der Frühling aus, dann steht die halbe Republik unter
Wasser. Da tut es gut, eine CD in die Hand zu bekommen, die
einfach gute Laune verbreitet.
Der von Detroits East Side stammende Gitarrist und Sänger Doug
Dehming hat sich dem Texas-, East Coast-, Jump- und Rootsblues
verschrieben. Ich kannte Doug Dehming bislang nicht, halte ihn
aber für eine echte Bereicherung – das ist Gitarrenarbeit, Gesang
und Songwriting vom Feinsten (der Bursche hat Superbenzin im
Blut).
Dennis Gruenling kenne ich seit Jahren als einen der ganz großen Blues Harper. Wenn gesagt wird „DENNIS GRUENLING
is without a doubt one of the baddest, swingingest, most innovative
harmonica blowers on the planet“ ist da nur ein ganz klein bißchen
Augenzwinkern versteckt.
Deming und Gruenling sind ein kongeniales Paar – unterstützt
werden sie bei dieser Live Aufnahme aus der Blue Rock Bakery in
Sarasota FL von Andrew Gohmann am Bass und Devin Neel an
den Drums. Der Harper Anthony Smith spielt auf einem Stück.
Die Rhytmusgruppe treibt die beiden Protagonisten, fängt sie dann
aber wieder zum richtigen Zeitpunkt ein – toll.
Die Songauswahl ist ungewöhnlich aber äußerst stimmig. Eigenkompositionen wie der Aufmacher „What’s it gonna Take“ (wir
sind in Texas!) werden mit bekannten Stücken kombiniert. Auf der
Setlist steht Willie Mabons „Poison Ivy“ ebenso wie John Hendricks Jump Blues „I want you to be my Baby“. Ganz ungewöhnlich
auf einer Blues CD aber hier absolut passend Buddy Johnsons „A
pretty Girl (A Cadillac and some Money)“. Da will man gleich das
Baby ins Cabrio packen und losfahren. Alles in allem, da kommt
keine Langweile auf.
Ich lasse einfach Doug Deming zu Worte kommen. “We have no
gimmicks,” sagt er “We play pure, traditional music from the heart,
with an image that conveys a deep respect for the genre.” Dem ist
nur hinzuzufügen, daß sie das sehr gut machen. Ich bin schon auf
die nächste CD gespannt, ein Club Konzert muß einfach lebendig
und toll sein. (VizzTone)
Bernd Kreikmann
Gwyn Ashton - Fisƞul Of Blues (EP)
Wem Gwyn Ashtons letztes Album „Radiogram“ zu viel Rock und
zu wenig Blues war, dürfte mit „Fistful of Blues“ wieder mit dem
Gitarristen versöhnt werden. Denn auf der EP hat sich Ashton
konsequent an den Blues rückerinnert ohne dabei seinen Biss zu
verlieren.
Das zeigt sich schon am Opener der mit vier Titeln über 20 Minuten langen Scheibe. „Take You Home Tonight“ mit seinem knarzigen Gitarrenriff ist rauh genug, für einen heftigen Rocker. Doch
Ashton nimmt immer dann die Härte raus, wenn sie seiner Stimme im Wege stehen würde: Eine schöne Nummer von der Musik
her. Das Thema - ok, für viele nicht nur im Blues eh das Thema
Nummer Eins. In „Waiting for the Day“ ist ebenso wie in „On The
Borderline“ die immer spürbare Power zurückgehalten und baut
trotz des gebremsten Tempos eine sich steigernde Spannung auf.
Und dann ist da noch „When You‘re Alone“, eine Ballade so richtig
für das Spätprogramm im Radio: Hier ist zu hören, dass Ashton
eine Menge für den verstorbenen Gary Moore übrig haben muss.
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© wasser-prawda
Platten
Aber das ist hier von mir nicht despektierlich gemeint. Denn der
Lebende hat es zum Glück vermieden, in diese Banalitäten abzustürzen, die für mich einen Großteil von Moore‘s Blues fast unhörbar machen. Nein - hier baut er ein sich steigerndes und immer
rauher werdendes Gitarrensolo auf, was für manche Nachtradioredakteure vielleicht doch schon wieder zu hart ist. Aber dann setzt
wieder seine sanfte Balladenstimme ein, und alles ist selbst von denen verziehen. Schöne Nummer, schöne, unspektakuläre EP. Bin
gespannt auf das nächste „echte“ Album.
Nathan Nörgel
Homemade Jamz Blues Band - Mississippi Hill County
Als 2008 mit „Pay Me No Mind“ das Debüt der Homemade Jamz
Blues Band herauskam, waren zwei Themen beherrschend in der
Presse: das jugendliche Alter der drei Musikerinnen und die Tatsache, dass sie gerade bei der International Blues Challenge einen
sensationalen zweiten Platz in der Bandwertung hingelegt hatten.
Spätestens mit „Mississippi Hill County“, dem vierten Album, sollte man diese Themen zu den Akten legen. Denn das ist ohne Kinderbonus einfach ein hörenswertes knackiges Elektrobluesalbum
in der Tradition von Junior Kimborough und anderen Heroen aus
dem nördlichen Mississippi.
Der Beat ist zwingend und unerbittlich, endlos mäandern die Gitarrenriffs. Und wie ein Schrei um Erlösung der Gesang. „Red
Eye Flight“ heißt der Song. Und wenn er nach dreieinhalb Minuten vorbei ist, dann holt man erst mal Luft, um sich sogleich von
den scheinbar „weicheren“ Akkorden von „Heartless“ zu verlieren.
Nein: Jede Frage nach dem Alter der Protagonisten sollte man sich
verkneifen. Insbesondere die danach, ob in einer behüteten Kindheit aufgewachsene Teenager überhaupt den Blues haben könnten.
Hier sind Musiker am Werke, die über Jahre eigentlich nichts anderes gemacht haben, als sich in diese Musik mit ihren selbstgebastelten Instrumenten zu verbeißen, ihn sich zu erobern und ihre
eignen Wege durch das weite Feld zu finden. War zunächst noch
der Bluesrock in der Manie von Stevie Ray Vaughan Fans zu hören,
ist der Rock jetzt verschwunden zugunsten der intensiven und teilweise fast unterträglich aufgebauten Spannungen, die für die den
Albumtitel liefernde Gegend typisch sind. Das ist schon verblüffend. Besonders wenn man bedenkt, dass die Familienband (zwei
Brüder mit der jüngeren Schwester am Schlagzeug) die Songs bis
auf „Ain‘t No Sunshine“ selbst geschrieben hat. (Und selbst das ist
glücklicherweise nicht so nervig geraten wie 95 Prozent aller Versuche, diese Nummer zu covern.) Hilfe kam höchstens vom Vater
wie schon in den vergangenen Jahren. Die HJBB ist wirklich eine
der spannendsten Familienbands auf der Szene zur Zeit. Und diese
Scheibe könnte, wenn der Sommer denn kommen sollte, so manche schwüle Nacht noch heftiger machen.
Raimund Nitzsche
James Boraski & Momentary EvoluƟon - Comin‘
Home
Ein kanadisches All-Star-Ensemble hat sich Songwriter James Boraski für sein Album „Comin‘ Home“ gesucht. Herausgekommen
ist eine schöne Mixtur aus Blues und Rootsrock, wo Boraski nicht
nur eigene Songs sondern auch Stücke von JJ Cale, Gitarrist Jack de
Keyzer und anderen interpretiert. Und bei einigen Stücken taucht
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Platten
dann sogar noch der Bluesdoktor Marshall Lawrence mit seiner
Gitarre auf und verpasst dem ganzen den letzten Glanzpunkt.
„Kannst Du Dir mal mein neues Album anhören?“ Diese Frage
bekomme ich mittlerweile häufiger gestellt. Und meist sage ich
spontan ja, auch wenn ich nicht weiß, worauf ich mich da jeweils einlasse. Hier war es auf jeden Fall eine äußerst angenehme
Überraschung: James Boraski zählt zu den Songwritern, denen
man ganz entspannt zuhören mag. Schon der Opener/Titelsong
gibt die Richtung vor: rockiger Blues mit der großartigen Gitarre
von Jack de Keyzer, der in Momentary Evolution den Posten des
Leadgitaristen innehat. In „„Who Told Ya“ geht es noch ein Stück
weiter zurück in die Bluesclubs der 50er, wofür nicht zuletzt der
unvergleichliche Stil von Marshall Lawrence zurückzuführen sein
dürfte. Aber auch das rockende Piano tut sein Werk ganz stilvoll.
Und das Saxophon - endlich mal wieder im Bluesumfeld ein echtes
Bluessaxophon! Von Song zu Song wird deutlich: Hier hat sich eine
Band zusammengefunden, die einfach großartig zusammenpasst,
die von Chicago bis zum Texasbluesrock a la Stevie Ray Vaughan
oder der Entspanntheit von JJ Cale („Sensitive Kind“) gleichermaßen nahe an der Perfektion ist.
Die Geschichten erzählen von den Beziehungslügen ebenso wie
vom Unterwegssein oder den Helden, über die niemand Lieder
schreibt. Ein von Herzen kommender Hörtipp für Freunde nicht
nur der kanadischen Bluesszene sondern für alle, denen die Geschichten im Blues wichtig sind.
Nathan Nörgel
James Hunter Six - Minute By Minute
Ein paar Jahre war aus persönlichen Gründen von James Hunter
kein neues Album erschienen. Jetzt zog es ihn samt Band ins Umfeld von Daptone. Rauher als sonst, auch tanzbarer - und noch immer wundervoll sind die Songs von „Minute By Minute“ geraten.
Nein, eine musikalische Revolution sollte man von James Hunter nicht erwarten. Längst hat der langjährige Gitarrist von Van
Morrison seinen Stil gefunden: Klassischen Rhythm & Blues,
Rock&Roll und Soul im Stile der 50er und frühen 60er Jahre
nimmt er, um seine ganz eigenen musikalischen Geschichten zu
erzählen. Immer geprägt von einer vornehmen Melancholie und
ohne aufgesetztes Posertum.
Alben wie „People Gonna Talk“ oder „The Hard Way“ hatten ihn
in Soulkreisen endlich über das Vereinigte Königreich hinaus bekannt gemacht. Und da er live gerade auch in den USA viel unterwegs war, ist die Entscheidung, „Minute By Minute“ von Gabe
Roth (Amy Winehouse, Sharon Jones & The Dap Kings) in New
York produzieren zu lassen, ziemlich naheliegend. Außerdem hat
sich Hunter eine etwas größere Band mit mehr Bläsern zugelegt,
die den Sound abwechslungsreicher gestaltet. Eingespielt wurde dem Daptone-Ethos gemäß live im Studio. Und hier entfaltet
sich die Magie der Songs von Hunter: Seine rauhe und emotionsreiche Stimme schwebt über seinen markanten Gitarrensolos,
die Saxophone treiben das Geschehen zeitweise mit der Vehemenz
des frühen James Brown voran, während Piano und/oder Orgel
die bluesigsten Akzente setzen. Alles ist durchsichtig, die Arrangements lassen den Musikern Platz, solistische Akzente zu setzen.
Und wenn sie gemeinsam funkige Riffs vortragen, entsteht dennoch kein überladener Motown-Sound sondern der Klang einer
intimen Combo.
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Platten
Was Hunter schon immer ausgezeichnet hat, ist sein feiner zurückhaltender Stil, Gefühle immer gebrochen durch Humor zum Ausdruck zu bringen. Wo Hiphopper heute oft mit ihrer Power protzen, sich notfalls mit Gewalt durchzusetzen, da schlägt Hunter im
Opener „Chicken Switch“ vor, sich notfalls wie ein feiges Hühnchen zurückzuziehen, ehe man einen auf die Fresse bekommt, Wobei Hunter - man sollte ihn wirklich als letzen Gentleman des Soul
bezeichnen - einen solchen Begriff natürlich niemals verwenden
würde. Und wenn er in „Heartbreak“ sein Liebesleid klagt, dann
ist das zwar fast herzzerreißend - doch gleichzeitig lässt einem der
Song die Möglichkeit, das Ereignis auch ironisch distanziert zu
betrachten. Und das Schlusslied „If I Only Knew“: Darauf wäre
selbst ein Sam Cooke zu Recht stolz gewesen. „Minute By Minute“ ist nicht einfach nur ein weiteres Soul-Album im Geiste der
Vergangenheit - es ist eine mitreißende und zutiefst anrührende
Scheibe von einem der besten Soulsänger Europas. Und hoffentlich
dauert es bis zum nächsten Album nicht wieder fünf Jahre!
Raimund Nitzsche
Jimmy Thackery & The Drivers feat. JP Soars – As live
as it gets
Manchmal müssen andere einfach frech sein und wir haben Glück!
Es wird gesagt, daß das folgende Album im Herbst 2011 bei der
berühmt berüchtigten Legendary Rhythm & Blues Cruise mitgeschnitten wurde – und jetzt kommt es: zum großen Teil ohne Wissen von Jimmy Thackery.
Jimmy Thackery ist für einen altgedienten Blueser wie mich so etwas wie der Godfather of White Blues Rock. 1953 in Pittsburgh,
Pennsylvania geboren, von den Siebzigern bis in die Achtziger Mitglied der Nighthakws aus Washington D.C., ab 91 Chef bei Jimmy
Thackery & The Drivers. Seit dieser Zeit 22 Alben, von denen ich
keines missen mag.
Schnörkelloses Spiel, keine Gimmicks nötig, kommt mit einem
oder zwei Pedals aus. Thackery spielt einen mitreißenden klaren
Stil, sucht keine Umwege, läßt es krachen, kann aber auch ruhig
und balladesk – in jedem Fall aber melodiös.
Zur vorliegenden Doppel CD. Jimmy Thackery hat sich für diesen
Gig einen kongenialen Mitgitarristen zur Seite gestellt: JP Soars
(von dem werden wir in Zukunft noch viel hören). Die Drivers,
Mark Bumgarner (bass) und George Sheppard (drums), sind dabei
und als großartige Zugabe die Hydraulic Horns (Joe McGlohon,
Tenor Sax und Jim Spake, Baritone Sax). Die Hydraulic Horns
runden den Sound perfekt ab.
Die geballte Ladung bekommen wir auf zwei vollgepackten CDs
(etwa 100 Minuten), Live und wie auf dem Cover zu lesen <unvarnished and unedited. No ‚tricks‘, no ‚fixes‘, no studio miracles>. Ich
bin überzeugt , daß das stimmt – Jimmy Thackery hat es mir im
Gespräch bestätigt. War das ein einmaliger Abend im Meisenfrei
Blues Club Bremen. Wer das Glück hatte, das Konzert von Jimmy
Thackery & The Drivers Ende Januar mitzuerleben, weiß wovon
ich spreche.
Thackery und Soars improvisieren (bis zu 17 Minuten lange Songs),
liefern sich lange spannende druckvolle Gitarrenduelle, die Rhythmusgruppe treibt, die Bläser fallen mächtig ein und bekommen
den ihnen gebührenden Rahmen – einfach absolute Spitzenklasse.
© wasser-prawda
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Platten
Die Songauswahl: Thackery und Klassiker von Johnny Guitar
Watson, Muddy Waters und J.B. Lenoir. Die Abfolge der Songs
ist stimmig und wohlüberlegt, bei Jimmy Thackery glaube ich
nicht an improvisierte Setlists.
Für mich das Beste was ich seit langer Zeit an Live-Alben gehört
habe. Die CDs gehören in jede Blues-Rock Sammlung. Und das
Schönste, man kann sie inzwischen sogar in Deutschland kaufen
(ich mußte mir mein Exemplar noch von JT schicken lassen). (2
CDs), 2012
Bernd Kreikmann
John Fogerty - Wrote A Song For Everyone
Langsam wird es Zeit, dass John Fogerty sich „seine“ alten Songs
zurückerobert. Auf seinem neuen Album hat er sich Kollegen von
Bob Seger bis hin zu Tom Morelly, Kid Rock und den Foo Fighters eingeladen, um gemeinsam die zeitlosen Klassiker neu zu zelebrieren.
Es gibt wenige Rocksongs, die derartig zeitlos sind wie die von
Creedence Clearwater Revival. Wenn man als DJ immer wieder
nach ihnen gefragt wird (egal was grad das Thema der Veranstaltung ist) und immer wieder die Tanzfläche voll ist, dann ist
das schon bezeichnend. Als Songwriter hat John Fogerty lange
gebraucht, um innerlich Abstand zu der Bandgeschichte und
vor allem den jahrelangen juristischen Querelen danach zu bekommen. Doch spätestens mit „Blue Moon Swamp“ hatte er sich
„freigeschwommen“. Und jetzt ist er bereit, sich mit neuer Energie auch den Klassikern zuzuwenden. Solche Projekte sind in den
letzten Jahren zeitweise ganz gewaltig gescheitert (wie etwa „See
My Friends“ von Ray Davies), weil die eingeladenen Künstler den
Spagat zwischen Originaltreue und persönlicher Note nicht hinbekamen. „Wrote A Song For Everyone“ tappt nicht in diese Falle.
Ob nun die „Foo Fighters“ gleich zum Anfang „Fortunate Son“
runterrocken oder später die Zac Brown Band „Bad Moon Rising“
zwischen Bluesrock und Country interpretieren oder zum Schluss
die Rebirth Brass Band, Allen Toussaint und Jennifer Hudson
„Proud Mary“ zwischen Cajun und Mardi Gras zelebrieren: Die
Interpretationen sind immer voller Respekt vor dem Original und
gleichzeitig voller Lust auf musikalische Entdeckungen. So macht
Erbepflege Spaß! (Columbia/Sony)
Nathan Nörgel
Joy Dunlop - Faileasan
Tief verwurzelt in der keltischen Tradition ihrer schottischen
Heimat und mit ihren Liedern gleichzeitig in der Gegenwart zwischen Folk, Jazz und Pop: Sängerin Joy Dunlop hat mit ihrem
zweiten Album „Faileasan“ (Reflections) ein betörend schönes
Folkalbum veröffentlicht.
Eigentlich bin ich nicht wirklich in der Lage, dieses Album korrekt zu rezensieren. Denn ich bin des Gälischen überhaupt nicht
mächtig. Aber sobald Joy Dunlop zu singen beginnt, dann wird
man unwillkürlich in die melancholischen oder verträumten Lieder eingesogen, die die von der schottischen Westküste stammende Sängerin mit lokalen Musikern eingespielt hat. Man glaubt zu
versthehen, worin es in den traditionellen Songs geht - und freut
sich darüber, dass zumindest für die Songtitel englische Übersetzungen beigefügt wurden im Waschzettel.
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Platten
Wer bei schottischer Folklore zuerst an militant dröhnende Dudelsackorchester denkt, hat Pech. Klar: Ohne die Bagpipes kommt
dieses Album nicht aus. Doch sind sie hier kein Militärintrument
zur Einschüchterung der Gegner sondern sie passen sich in ein teils
traditionelles teils modernes Instrumentarium als Begleitung ein.
Und über all dem - und wenn es drauf ankommt auch ohne alle
Begleitung - schwebt das diese klare Stimme, für die Rezensenten gerne mal „engelsgleich“ als Metapher holen und freiwillig ins
Phrasenschwein einzahlen. „Faileasan“ ist ein traumhaft schönes
Album mit einer Sängerin, die es schaffen könnte, einen Platz neben Rebecca Pidgeon und Sara K einzunehmen in meiner persönlichen Liste der Lieblingssängerinnen außerhalb des Blues.
Raimund Nitzsche
Lonnie Lester - The Story of
Sein erstes „eigenes“ Album veröffentlichte Soulsänger Lonnie Lester erst im Jahr 2000. Doch schon seit den 60er Jahren war er in
Kalifornien, Chicago und anderswo unterwegs. Tramp Records hat
in seiner Reihe „The Story Of“ die zumeist beim Chicagoer Label
Nu Tone erschienenen Singles erstmals auf CD veröffentlicht.
Kirchenchor, Doo-Wop und die zahllosen Stars wie Sam & Dave
oder Aretha Franklin, vor denen er auf der Bühne stand: All das
kann man in den sechzehn Songs von „The Story Of Lonnie Lester“ hören. Das kein Memphis Soul a la Stax, das ist kein polierter Popsoul nach Marke Motown: Hier singt ein auf den endlosen
Touren des Chitlin Circuit gereifter Sänger. Die Singles, die Tobias
Kirmayer für den Sampler versammelt hat, sind rauh, erdig und
direkt. Und Lonnie Lester ist ein Sänger, der Soul und Blues schon
mit der Muttermilch aufgesogen hat und der hier seine musikalische Heimat gefunden hat. Dass er wie so viele seiner Kollegen der
Hochzeit des klassischen Soul niemals über regionale Bekanntheit
herausgekommen ist, ist schon tragisch. Doch immerhin hat Lester
niemals aufgehört, Musik zu machen. Und selbst mit 75 Jahren ist
er noch immer in Indianapolis, wo er seit den 70er Jahren wohnt live zu erleben. Und jetzt kann man in typischer Tramp-Manier mit
Booklet und ausführlichem Text die „Frühgeschichte“ nachvollziehen. Schönen Dank nach München für eine weitere lohnende
Nachhilfe in Musikgeschichte!
Raimund Nitzsche
Moreland & Arbuckle - 7 CiƟes
Konzeptalben im Blues sind heutzutage noch seltener als Konzeptalben überhaupt. Moreland & Arbuckle lassen sich davon nicht
abschrecken: „7 Cities“ ist ein Album rund um die Suche von Konquistator/Entdecker Coronado nach den legendären „Sieben Goldstädten“ in der Prärie von Kansas.
Quivira, eine der legendären Städte, wo Coronado vergeblich nach
Gold suchte, liefert dem Opener den Titel: Ein Lied über das Streben nach Macht, möglichst der Weltherrschaft, das letztlich zu
Wahnsinn und Sturz führt. Ob man bei Liedern wie „The Devil And Me“ oder „Tall Boogie“ unbedingt noch an dem Thema
festhalten will, oder sich einfach an dem treibenden Blues-/RootsRock erfreut, bleibt dem Hörer überlassen. Motive wie das ewige
Getriebenseins, das Scheitern an den eigenen Ansprüchen blitzen
immer wieder auf. Reduziert auf Gitarre, Harp und deftige Drums
ist das der musikalische Kosmos, der viel eher nach dem Mississip-
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Platten
pi-Delta der Vorkriegszeit als nach spanischen Entdeckern in der
Vorzeit von Kansas klingt.
Wenn man Moreland & Arbuckle als heimatverbunden bezeichnet, dann dürfte man sie nicht beleidigen. Und auch ihre Musik
ist so erdverhaftet und bodenständig, wie nur denkbar. Auch wenn
das inzwischen um einen Schlagzeuger erweiterte Duo seinen
Sound immer mal wieder in Richtung Stadiontauglichkeit erweitert hat: Am besten kommt ihre Musik in vollgepackten kleinen
Clubs, wo ihr heftiger Bluesrock einen direkt in Beine und Bauch
trifft. Die Geschichten ihrer Lieder sind ähnlich rauh, direkt und
kommen ohne viele Zwischentöne aus. Das ist die Stärke - aber auf
Dauer auch die Schwäche von Moreland & Arbuckle. Denn viel
Abwechslung kann man nicht erwarten: Laut, heftig und rockend
oder zurückgenommen gefühlvoll sind die beiden Pole. Und zwischen denen wechselt die Band gern auch mitten im Lied hin und
her.
„7 Cities“ zählt trotz dieser mangelnden Vielseitigkeit für mich zu
den Bluesrockalben des Jahres. Und wer die Chance hat, Moreland
& Arbuckle live zu erleben, sollte sie nutzen. Nur einen Hörschutz
sollte man nicht vergessen, denn der Abend wird laut und heftig.
(Telarct/in-akustik)
Raimund Nitzsche
Popa Chubby - Universal Breakdown Blues
Theodore Joseph Horowitz (geb. 1960 in New York) aka Popa
Chubby ist ein ganz besonderer Typ. Zwischen 1991 und 2011 legte er 25 eigene CDs vor (Best Of Cds und Compilations nicht mitgerechnet). Er ist ein weißer Bluesmusiker (Gitarrist, Sänger und
Songschreiber), der nach eigenen Worten eher mit „umgekehrtem
Rassismus“ zu kämpfen hatte. Er hat sich durchgesetzt, sein Blues
ist so stark mit Rockelementen versetzt, dass die Grenzen fließend
sind. Seine CDs benötigen schon einen guten Verstärker, die Bude
muss wackeln. Das geht dann in die Füße. Er kann aber auch Balladen spielen und singen wie kaum ein anderer.
Popa produziert andere Musiker (Big Ed Sullivan, Arthur Neilson,
Bill Perry, Matt Smith und Paul Camilieri). Er geht jährlich auf
ausgedehnte Tourneen – ich habe ihn nun seit 2001 regelmäßig
in meinem Lieblingsclub in Isernhagen bei Hannover gesehen. Er
bietet während der Tourneen Kurse und Workshops für Gitarristen
an und ist mit seiner beeindruckenden Erscheinung sicherlich das
selbstgewählte harte Gesicht des Blues Rock. Popa beherrscht die
Bühne, seine Mitmusiker laufen Gefahr, übersehen zu werden.
Also ein besonderer Typ, fleißig, hart und durch nichts kaputt zu
bekommen. So habe ich ihn Anfang des Jahrtausends kennengelernt und werde seine „Fuck Bush“-Zeit nie vergessen. Niemand
konnte seinen Gefühlen auf der Bühne einen solch unmittelbaren
Ausdruck verleihen wie Popa. Wäre ich der angesprochene Bush
gewesen, ich wäre nachdenklich und still geworden.
Und so ein Typ wird 50, verliert seine Frau und kämpft um seine
Kinder. Er muß wie viele von uns plötzlich mit harten Realitäten im privaten Umfeld umgehen lernen und seine Erfahrungen
verarbeiten. Popa wäre wohl nicht er selbst, wenn er nicht in sich
gegangen wäre und sich selbst neu erfunden hätte.
Ein Beleg dafür ist die vorliegende CD. Der Opener I Don’t Want
Nobody schlägt uns Popas Frust krachend um die Ohren. Gleich
darauf die Erkenntnis I Ain’t Giving Up - den Eindruck vermittelt
er auch glaubhaft. Nächster Schritt Rock Me Baby und 69 Dollars
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Platten
(da geht es um Einkäufe im Schnapsladen), na also er denkt schon
wieder an beides. Deshalb (?) möchte er Going Back To Amsterdam
um dort mit dem The Finger Banging Boogie aufzutreten. Er bietet
uns also das ganze Paket menschlicher Wünsche und Träume.
Heftig seine dazwischengestreute Version von Over The Raibow.
Ich kann ja vieles verstehen Ted, auch die Einsamkeit eines Mannes, aber lass‘ es bitte damit genug sein – es ist zu schön.
Vor zwei Wochen konnte ich das Ganze dann live erleben. Popa
Chubby muß laut sein, aber das war zu viel. Die Bude zum Platzen
gefüllt, viele von uns haben sich in den Vorraum zurückgezogen.
Beeindruckend der Auftritt von Popa. Bekanntlich praktiziert er
ja schon länger Tai Chi und Chi Kung aber die Räucherkerze zu
Beginn des Konzertes – damit wurde auch das Publikum beglückt
– war definitiv ein neues Highlight; das Ding wurde nach dem
Herumschwenken am Gitarrenhals befestigt. Ich hoffe, es hilft.
Universal Breakdown Blues ist eine der besten Popa Chubby-CDs
(Over the Rainbow verzeihe ich ihm). Die CD ist ein Kracher mit
balladesken Einlagen, sauber eingespielt und produziert. Anders als
bei seinem Liveauftritt begleiten ihn erstklassige Musiker. Genau
die richtige CD für alle, die gerne etwas um die Ohren bekommen
möchten – Qualität garantiert! (Provogue)
Bernd Kreikmann
Remembering LiƩle Walter
Compilations sind ja so eine Sache. Oft zusammengeschustert, billiges Zeug in schlechter Qualität auf den Markt geworfen – also
vorsichtig sein. Es gibt natürlich auch Zusammenstellungen, die
das Ohr und mehr erfreuen. So eine CD hat das Blinde Schwein
vorgelegt.
Die Musiker dieser Live CD sind: Billy Boy Arnold, Charlie Musselwhite, Mark Hummel, Sugar Ray Norcia und James Harman.
Noch Fragen? Zur Information der nicht so bluesophil angehauchten, diese Herren sind die besten bei Blind Pig unter Vertrag stehenden Bluesharpspieler und gehören zur absoluten internationalen Spitzenklasse.
Jeder dieser Protagonisten hat seinen eigenen unverwechselbaren
Stil und trotzdem berufen sie sich alle auf Marion Walter Jacobs
aka Little Walter - ihr großes Vorbild. Charlie Musselwhite und
Billy Boy Arnold waren mit ihm befreundet und standen mit ihm
auf der Bühne. Little Walter ist mit 38 Jahren 1968 in Chicago verstorben. Er ist der Musiker, der die Harp elektrisch verstärkte und
damit saxophonähnliche Töne erzeugen konnte. Vielleicht stammt
daher auch der Spitzname Mississippi Saxophone für die Harp. Little
Walter wurde bekannt durch seine Stücke wie Mean old world, Off
the wall und Blues with a feeling. Willie Dixon schrieb für ihn My
Babe, mit dem er zum letzten Mal die ersten Plätze der Hitparaden
belegte. Den Beschreibungen nach muß Little Walter ein unangenehmer Zeitgenosse gewesen sein, seine Musiker verließen ihn und
er versank bis zu seinem frühen Tod in der Bedeutungslosigkeit.
Die fünf Harp Spieler zollen dem Werk Little Walters Tribut, indem sie seine größten Hits und andere seiner Stücke auf ihre Art
interpretieren und ihn wieder dahin heben, wo er musikalisch hingehört. Alle beteuern, daß sie das Vorbild nicht erreichen – ich
kann das nicht beurteilen. Ich kann aber sagen, daß die Harper einen Superjob abliefern. Begleitet werden sie dabei von großartigen
Musikern, die uns auch nicht unbekannt sind.
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Produziert von Mark Hummel wurde die CD in San Diego live
eingespielt.
Eine mitreißende CD entstand, die für alle und nicht nur für Fans
der Blues Harp interessant ist. Ein zeitloses Stück großartig gespielten und produzierten Blues.
Augen auf: Charlie Musselwhite und Sugar Ray Norcia haben die
letzten Jahre regelmäßig Clubkonzerte in Deutschland gespielt.
Hingehen, das Geld ist gut angelegt!(Blind Pig/Fenn Music)
Bernd Kreikmann
Richard Townend & Friends - We Are Where We Are
Melancholisch, relaxt und packend: Richard Townend ist ein faszinierender Songschreiber in der Welt des Blues. Mit The Mighty
Bosscats hat er eine Band an der Seite, die aus seinen Liedern Musterbeispiele für zeitgemäßen Blues machen. Aber auch als Solist
(wie hier mit Freunden im Studio) kann man sich dem Reiz seiner
Lieder schwer entziehen.
Nein, dass hier ist nicht Chris Rea, das ist auch nicht JJ Cale - keiner
von denen würde Lieder schreiben wie „Ain‘t Got Religion“ oder
„Hang An Innocent Man“. Richard Townend sind die Geschichten, die er in seinen Liedern erzählt, wichtiger als die Verkäuflichkeit. Und so ist „We Are Where We Are“ eine Sammlung von zehn
faszinierenden Liedern, auf deren Texte man gerne hört, an denen
man sich reiben kann, denen man auch widersprechen kann. Musikalisch ist das relaxter Blues voller Überraschungen (großartig
etwa das Saxophonsolo im Titelsong). The Mighty Bosscats sind
halt auch nicht die „normale“ Band, die man am Wochenende in
seiner Lieblingskneipe spielen hört. Obwohl der Kneipe das gut
tun würde: Nicht die ewigen Klischees, nicht die immer gleichen
Riffs und Songs sondern spannende Musik voller Melancholie und
Schönheit.
Nathan Nörgel
Southern Hospitality - Easy Livin‘
Schon der Titel ist Programm. Der Bandname Southern Hospitality (Gastlichkeit des Südens) klingt einladend, der Titel Easy
Livin‘ triff t uns krisengeschüttelte Europäer wohlig ins Mark und
das Cover mit der ansehnlichen Southern Lady unter Palmen in
der Hängematte liegend rundet das Ganze ab. Ich will da hin und
das sofort!
Wir haben es hier mit einem Debütalbum zu tun, dessen Titel und
Aufmachung den Inhalt weitgehend beschreiben. Aber was heißt
hier Debüt? Wenn sich bekannte junge Top Musiker wie Damon
Fowler (guitar, lap steel, vocals), Victor Wainwright (piano, hammond B3, vocals) und JP Soars (guitar, cigar box guitar, dobro guitar, vocals) zusammentun, von Chuck Riley (bass) und Chris Peet
(drums) als Rhythm Group befeuert werden und Tab Benoit das
Album produziert, dann entsteht da etwas sehr Ernstzunehmendes. Die fünf Musiker und Tab Benoit als Stimme der Wetlands
das ist der Süden, das Delta, Southern Rock. Die Allman Brothers
klingen ebenso durch wie Howlin‘ Wolf und etwas Little Feat. Die
Band ist nicht klar einzuordnen – weshalb auch? Sie ist Blues Band,
Jam Band, Southern Rock Band und auch Roots Band. Dieser musikalische Gumbo machts dann aber auch so interessanter. Dazu
drei gleichberechtigte Frontmänner, deren Stimmen jeweils eigenständig herüberkommen, sich aber auch großartig ergänzen. Die
unterschiedlichen Gitarren und - stile sorgen für Abwechslung,
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die Hammond B3 füllt den Raum, die Rhythmusgruppe ist stets
präsent und aufmerksam aber niemals aufdringlich. Für mich eine
Neuentdeckung Chris Peet an den Drums. Er zeigt tolles Einfühlungsvermögen und absolute Stilsicherheit. Alles zusammen sorgt
für ein ungemein abwechslungsreiches in sich geschlossenes Album
der Spitzenklasse bei dem Langweile und Eintönigkeit Fremdworte sind. Hoffentlich tourt Southern Hospitality demnächst auch
bei uns. Das letzte Mal, daß ich einem Konzert so erwartungsvoll
entgegengesehen habe, war bei der Royal Southern Brotherhood –
ich bin sicher, Southern Hospitality wird meine Erwartung mindestens ebenso erfüllen, wenn nicht übertreffen. Die ersten Kritiker
reden bereits von einer Supergruppe. Hoffen wir, daß die Burschen
durchhalten und ihr Ding weiter machen, egal was gesagt oder
geschrieben wird.
Ganz großer Kauftipp für die entspannten Blueser unter uns oder
diejenigen, die es werden oder wieder werden wollen. (Blind Pig)
Bernd Kreikmann
SƟna Stenerud & Her Soul Replacement - Coming
Home
Soul, Funk, Gospel, Blues - wenn die norwegische Sängerin Stina Stenerud mit ihrem Soul Replacement loslegt, dann brennt die
Luft. Mit ihrem 2012 erschienenen zweiten Album „Coming Home“ hat sie mancherorts schon Vergleiche zu Sharon Jones provoziert.
„Don‘t Turn Your Heater Down“ - eigentlich hätte sich Stenerud
diesen Ratschlag sparen können. Denn dieses Duett mit Adam
Douglas ist eine derartig heiße Nummer, dass die anwesenden Personen schon durch ihre Bewegung genügend Wärme produzieren
dürften, um den norwegischen Winter vergessen zu lassen. Von
derartiger Güte finden sich auf „Coming Home“ noch einige Songs
und bilden ein Album, dass nicht nur die Soulfans sondern auch
die Bluesfreunde ohne Scheuklappen begeistern kann. Stina Stenerud ist eine derartig großartige Sängerin - und ihre mit vollem
Bläsersatz versehene Band spielt zwischen Jazz, Funk und Soul so
fantastisch zusammen, dass einem das freudige Grinsen förmlich
ins Gesicht getackert erscheint.
Schwachpunkte sind komischerweise gerade Balladen wie der Titelsong: Das klingt dann weniger nach den 60er Jahren im Memphis Soul sondern eher wie eine auf radiofreundlichkeit getrimmte
Mixtur aus 70s Softrock und Stevie Wonder. Ist nur leider zu langweilig geraten. Ansonsten: Kaufen, Hören, Tanzen!
Nathan Nörgel
The Cash Box Kings - Black Toppin‘
Es wird Zeit, daß die Cash Box Kings auch einmal zu uns finden.
Um den Harp Spieler Joe Nosek gruppieren sich weitere drei Top
Musiker. Joe Nosek, der Sänger Oscar Wilson, der Schlagzeuger
Kenny „Beedy Eyes“ Smith (den kennen wir doch auch als Drummer der Mississippi Heat) und der Gitarrist Joel Peterson haben
sich voll der Musik der 40er und 50er Jahre verschrieben. Wenn
man ihren Stil unbedingt charakterisieren möchte, dann ist es
Chicago Blues gemischt mit West Coast Jump Einflüssen.
Auf ihren bislang vorgelegten sechs CDs stürmen sie mit voller
Wucht durch die Zeit in der der Blues eine herausragende Rolle in
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Platten
der amerikanischen Populärmusik einnahm und der Rock’n Roll
geboren wurde (MW: the Blues had a Baby called Rock’n’Roll).
Die Musik der vier ist pralles Leben, ungezügelt, teils rau, mit viel
Spaß und Einsatz gespielt (ich empfehle die Live CDs).
In der Blues Garage Isernhagen schaut Jimmy Hendrix wohlwollend auf die Bands herab; bei den Cash Box Kings sind es mit
Sicherheit Chicagogrößen wie Muddy Waters, Hubert Sumlin und
Howlin‘ Wolf die sich und ihre Musik wiedererkennen. Ich meine,
auch vereinzelt Delta Blues Einflüsse herauszuhören.
Black Toppin‘ unterscheidet sich von den Vorgängern. Die Stükke sind eine Mischung aus Nosek Eigenkompositionen und überaus gelungenen Covern. Der Opener – eine Nosek Komposition
- „Blues Falling Down On Me“ geht mit seinen scharfen Gitarrenriffs voll unter die Haut. Für Wllie Dixons „Too Late“ ist es
wirklich nie zu spät, besonders in der vorgelegten Version. Und
selbst der traditionelle „Walking Blues“ zeigt starke Wirkung. Mit
„Run Run Run“ ist sogar Lou Reed vertreten. Der Sänger Oscar
Wilson steuert mit „Black Toppin“ den Titelsong bei. Sollte man
nicht wissen, was mit dem Titel gemeint ist, höre man hin – Oscar
erklärt es.
Die Könige der Bargeldkasse haben wieder ein überzeugendes Album vorgelegt. Sie treiben uns tabulos durch die Songs, verzerren
Gitarren und Gesang und sind vielleicht auf dem Weg eine Rockband zu werden – dann hätten sie sich neu erfunden.
Dazu ist das Ganze äußerst tanzbar; wenn es denn richtig ist, daß
sich bei uns alten Bluesern Ekstase darin manifestiert, daß wir
sachte mit dem rechten Fuß wippen, habe ich beim Anhören dieser
CD mit dem ganzen Bein gewackelt. (Blind Pig/Fenn Music)
Bernd Kreikmann
The Communal Well - Under A Western Sky
The Communal Well aus Paris laden uns auf ihrem zweiten Album
„Under A Western Sky“ zu einer Reise quer durch den amerikanischen Kontinent ein. Musikalische Zutaten der Band sind Americana und eine tüchtige Prise Blues.
Wenn in amerikanischen Highschool-Filmen jemand ausruft
„Roadtrip“, dann kocht die Stimmung über: Ab ins Auto, raus auf
die Straße und dazu jede Menge übler Späße und noch mehr Bier.
Solch ein Roadtrip ist das hier nicht. Was The Communal Well
machen, ist ruhiger, eher von der Art in Roadmovies wie „Sidewalks“. Klar, es gibt die treibenden Bluesrhythmen schon im Opener „The Road“. Aber es ist eher eine melancholische, düstere Reise,
wo die Musik mal nach dem Delta eines Robert Johnson, mal nach
mexikanischen Mariachi, manchmal nach den Stones zu Zeiten
von Exile on Mainstreet und ab und zu nach den düsten CountryKlängen von 16 Horsepower klingt. Und wer will kann zuweilen
auch das Erbe von Jack White anklingen hören oder den Texas
Boogie von Stevie Ray Vaughan.
Die sechs Musiker, die sich in Paris zu The Communal Well zusammengefunden haben sind Sänger/Gitarrist Roger Hoeberichts,
Jules Berube (Drums), Guy Cunis (lead and rhythm guitars), Mark
Heim (Trumpet, coronet and vocals), Sylvian Herrera (Bass), Greg
Kinsey (mharm) und Casey O’Brien (perc). „Under The Western
Sky“ macht klar, dass das eine Band ist, die man unbedingt im
Blick behalten sollte.
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Willie “Big Eyes” Smith & Roger “Hurricane” Wilson
– Live Blues Protected by Smith & Wilson
Wer mich kennt weiß, daß ich ständig auf der Suche nach guter
Bluesmusik bin, die nicht unbedingt leicht erhältlich sein muß.
Meist, weil sich für Europa kein Plattenlabel gefunden hat oder die
CDs im Eigenverlag erschienen und sehr schwer zu erhalten sind.
Genau solch ein Juwel ist die rein akustische Live-CD von Willie
„Big Eyes“ Smith und Roger „Hurricane“ Wilson von 2012.
Aufgenommen wurde die Show am 11.09.2009 im ausverkauften
Whitaker Center in Harrisburg, Pennsylvania.
Willie „Big Eyes“ Smith ist uns allen als legendärer Bluesmann bekannt, der Harp und Schlagzeug spielte, sang und lange Jahre an
der Seite von Muddy Waters arbeitete. Seine letzte Platte spielte er
kurz vor seinem Tod (16.09.2011) mit dem ebenfalls zwischenzeitlich verstorbenen Pinetop Perkins ein. Für dieses Album bekam er
einen Grammy für das beste traditionelle Blues Album (Joined at
the Hip, 2010).
Roger „Hurricane“ Wilson ist ein auch körperlich beeindruckender
Bluesmann, der seit 40 Jahren ständig on the road ist. Er hat das
Projekt angestoßen und die CD auf seinem eigenen Label herausgebracht. Hier haben sich zwei für ein Konzert zusammengefunden, von denen man dies nicht erwarten mußte (Überraschung!).
Vier der dreizehn Songs steuerte Roger Wilson bei, die anderen
sind teils gute alte Bekannte: Der Opener, Sonny Boy Williamsons
Song, “Eyesight to the Blind” ist ein absolut reduzierter Blues –
Harp, Gitarre, zwei Stimmen. Slim Harpos Dauerbrenner „Scratch
my Back“ startet mit einem sehr zart durch die Gitarre begleiteten
dreiminütigem Harpsolo, Muddy Waters ist mit “Long Distance
Call” und “Got my Mojo Workin’” vertreten, Willie Dixon mit
dem unzerstörbaren “Hoochie Coochie Man”.
Hier sind zwei große Bluesmusiker am Werk, beide Veteranen die
sich seit Jahrzehnten um den Blues verdient gemacht haben. Sie
nehmen eine Gitarre, eine Harp, ihre Stimmen und zwei Barhokker (nehme ich zumindest an) und spielen vor einem begeisterten
Publikum ein großartiges Konzert ein mit allem, was notwendig
und richtig gut ist. Das hört man den Reaktionen des Publikums
und der Musiker an.
Leider wird es ein solches Konzert nicht mehr geben – aber die CD
ist sowohl ein Dokument als auch eine Einspielung, die in jede
gepflegte Bluessammlung gehört. Man holt sie gern wieder und
wieder für eine ruhige Stunde heraus – dieser Blues ist zeitlos. Wie
der Titel sagt: Blues Protected By Smith & Wilson.
Ich habe gesehen, daß die CD in Deutschland als Download angeboten wird; ich selbst habe mich mit Roger Wilson in Verbindung
gesetzt und er hat mir die CD geschickt – auch ein Weg (Roger ist
ein netter Typ und Paypal ein prima Medium!). DICKER KAUFTIPP! (BLUESTORM RECORDS)
Bernd Kreikmann
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Feuilleton
Die Greifswalder Bücherverbrennung 1933.
Ein Gespräch mit Karl-Heinz Borchardt
Am 10. Mai 1933 wurden im gesamten Deutschen Reich
Bücher unliebsamer Autoren verbrannt. Diese Aktion wurde vielerorts als Höhepunkt der Aktion Wider den undeutschen Geist inszeniert. Über die Besonderheiten der
Greifswalder Bücherverbrennung, die Folgen sowie die
Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit dieser Aktion
sowie sprach Erik Münnich mit dem Wissenschaftler KarlHeinz Borchardt.
Erik Münnich: Was waren die zentralen Ziele der Aktion Wider
den undeutschen Geist und in welchen gesamtdeutschen Kontext
muss man diese stellen?
Karl-Heinz Borchardt: Ziel war sicherlich auch, den Bibliotheken und Leihbüchereien zu zeigen, welche Bücher unerwünscht
waren und welche stärker propagiert werden sollten. Das war
ein zentrales Anliegen. Wer sich die betreffende Rede Goebbels
durchliest, der wird unschwer erkennen, dass das auch ein Akzent
in dieser Rede war: Den Blick zu richten auf das, wofür man eintrat. Das sollte auch im Zusammenhang mit der Bücherverbrennung deutlich gemacht werden.
Erik Münnich: Warum wird die Greifswalder Aktion als besonders bzw. anders dargestellt?
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Feuilleton
Karl-Heinz-Borchardt: Es gibt Briefe der Greifswalder Studentenschaft an die Führung der Deutschen Studentenschaft in Berlin,
in denen davon gesprochen wird, dass in Greifswald eine reichsweit
einzigartige Aktion gestartet wurde, die die positiven Akzente stärker herausarbeiten wollte. Das heißt, in der regionalen Presse sind
in den Wochen vor der Bücherverbrennung verschiedene Artikel
erschienen, die nationalsozialistische Literatur propagierten.
Erik Münnich: Welche Rolle spielten die öffentlichen Institutionen bei der Organisation dieser Aktion?
Karl-Heinz-Borchardt: Dies ist sehr vielschichtig zu sehen. Es
gab verschiedene Institutionen, die direkt mitarbeiteten - z. B. der
Ausschuss der Berliner Bibliothek unter Leitung von Hermann,
der die ersten schwarzen Listen erstellte. Diese schwarzen Listen
lagen auch den Studenten in den verschiedenen Hochschulorten
vor. An diesen orientierten sie sich zunächst. Zu dem kam auch,
dass nach und nach verschiedene Parteiorganisationen der NSDAP
und letztlich auch das Propagandaministerium sich bei der Aktion
engagierten. Außerdem beteiligten sich die Hochschuldozenten an
den einzelnen Universitätsorten.
Erik Münnich: Dies gilt auch für die Greifswalder Universität?
Karl-Heinz-Borchardt: Ja, selbstverständlich auch für die Greifswalder Universität. Ich würde sogar sagen, insbesondere für die
Greifswalder Universität, weil sich die Studentenschaft und die
Mitarbeiter der Deutschen Philologie bei dieser Aktion engagierten. Das heißt, fast alle Mitarbeiter des Instituts für Deutsche Philologie hatten sich Autoren herausgesucht - Autoren, die ganz im
Sinne des Nationalsozialismus schrieben -, deren Werke propagiert
wurden sind. Zum Teil sind sie auch nach Greifswald eingeladen
worden. Der herausragende Autor - wenn man von einem herausragenden Autor im Nationalsozialismus sprechen kann - ist ganz
sicherlich Hanns Johst. Johst hat es immerhin geschaff t, auch
Theatersäle zu füllen und er war nach Greifswald eingeladen. Prof.
Stammler hat Johst in der Aula der Universität begrüßt.
Erik Münnich: Existieren Zeugnisse über die Resonanz der Einwohner Greifswalds? Und wie lässt sich die Wirkung der Aktion
auf die Greifswalder Bevölkerung bewerten?
Karl-Heinz-Borchardt: Es existieren sehr wenige Zeugnisse. Es
gibt den Bericht über die Bücherverbrennung auf dem Marktplatz,
der am 11. Mai erschienen ist. Ansonsten gibt es kaum Zeugnisse.
Auch die Studenten selbst haben die Verbrennung der Bücher nicht
so hoch geachtet wie die Studenten anderer Hochschulorte. Das
heißt, in Greifswald stand viel stärker die Aktion Für den deutschen
Geist und nicht Wider den undeutschen Geist im Vordergrund.
Erik Münnich: Wie gingen bzw. gehen öffentliche Institutionen allen voran die Universität - mit ihrer Rolle bei der Bücherverbrennung um? Gibt es hier Nachholbedarf?
Karl-Heinz-Borchardt: Diesen gibt es sicher. Wenn man sich die
Publikationen anschaut, die sich mit dem Thema beschäftigen, ist
man überrascht, dass das Thema - wenn ich jetzt allein auf Greifs-
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Feuilleton
wald blicke - erst in den letzten Jahren eine wirkliche Rolle spielte.
Lange Zeit ist es unbeachtet geblieben. Diese Thematik spielte erst
im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit an der Universität eine Rolle.
Erik Münnich: Warum ist es heute noch wichtig, an die Bücherverbrennung zu erinnern?
Karl-Heinz-Borchardt: Weil man ganz sicher auch sagen muss,
dass diese Aktion 1933 nicht erfolglos geblieben ist. Sehr viele
Autoren, die 1933 erstmals auf die sogenannten schwarzen Listen
kamen, sind in den folgenden Jahren aus dem Literaturbetrieb verschwunden. Zum Teil sind sie auch nach 1945 nicht wieder publiziert wurden. Das ist eine Gegebenheit, die man zur Kenntnis
nehmen muss und es wäre sicherlich auch von Interesse, dem mal
wirklich nachzugehen und zu hinterfragen, welche Autoren das
sind, weswegen diese Autoren später nicht in Verlagsprogramme
aufgenommen worden sind - es gibt auch Ausnahmen, dass die Bücher, die 1933 verbrannt wurden, später verstärkt publiziert wurden - und warum diese Literatur über Jahrzehnte keine Rolle mehr
spielte.
Erik Münnich: Was ist für die Auseinandersetzung darüber hinaus wünschenswert?
Karl-Heinz Borchardt: Zu bemerken ist sicherlich - wenn man
sich die gesamte Aktion ansieht -, dass der Propagandaminister
Goebbels relativ spät eingestiegen ist. Am 03. Mai wurde bei ihm
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Feuilleton
angefragt, ob er die sogenannte Brandrede halten würde. Und erst
am 09. Mai hat der persönliche Adjutant Goebbels den Studenten
eine Zusage gegeben. Das heißt, Goebbels selbst wertete diese Aktion als befremdend, denn es war ja eine Aktion, die gegen etwas
gerichtet war. Die Propaganda des Dritten Reiches ist erst eingestiegen, als sie begriff, dass diese Bücherverbrennung 1933 auch im
Kontext zu sehen ist der gesamten Aktionen in den ersten Tagen
der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Denn die Bücherverbrennung am 10. Mai ist 100 Tage nach dem Machtantritt Hitlers. Das war eine Zeit der allmählichen Konsolidierung der Macht
einerseits und es gab andererseits innerhalb der verschiedenen Institutionen der Partei und paramilitärischer Verbände verschiedene
Eigeninitiativen. Die Nationalsozialisten versuchten diese stärker zu
strukturieren. Das heißt, dass die führende Rolle im Machtzentrum
Berlin liegen sollte. Und so kann die Bücherverbrennung 1933 auch
gesehen werden als Teil eines Konzepts der Zerschlagung jedweder
Opposition in Kultur und Wissenschaft.
Erik Münnich: Ich bedanke mich für dieses Gespräch.
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Feuilleton
call for poems
Δέδυκε μὲν ἀ σελάννα
καὶ Πληίαδες· μέσαι δὲ
νύκτες, πάρα δ᾿ ἔρχετ ὤρα·
ἔγω δὲ μόνα κατεύδω
hier zwei übersetzungen:
Moon has set
and Pleiades: middle
night, the hour goes by,
alone I lie.
(Anne Carson, aus: If not, winter.
Fragments of Sappho, New York
2002)
Untergegangen ist der Mond
und die Pleiaden. Mi e der
Nacht, vorüber geht die Stunde
ich aber schlafe allein.
(Dirk Uwe Hansen, aus: Sappho –
Scherben – Skizzen. Übersetzungen
und Nachdichtungen, Potsdam
2012)
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Greifswalder freiraum-verlag plant Anthologie deutsprachiger Gedichte nach und für Sappho.
stumm der name, unsterblich die verse (sagt der epigramma ker pinytos); unsterblich nicht, weil sich die wenigen reste, die
der nachwelt von sapphos versen geblieben sind, als reliquien
verehren lassen, sondern weil zu allen zeiten dichter_innen sie
zum material genommen und am leben erhalten haben. doch
wo findet die unsterbliche sappho in unserer gegenwart ihren
platz?
diese frage zu beantworten, soll im herbst 2014 im greifswalder freiraum-verlag eine anthologie heu ger deutschsprachiger gedichte über / für / nach / gegen / mit sappho erscheinen,
ausgewählt und herausgegeben von michael gratz und dirk
uwe hansen.
wir bi en daher um einsendung einschlägiger dichtungen in
einem unkomplizierten format (doc, odt, txt) und in begleitung
der üblichen bio-bibliographischen angaben an:
[email protected]
bis ende april 2014. die gedichte sollten frei von rechten dri er
sein.
und neben dem pflicht- wird das buch auch einen kürteil haben: mit einer eigenen version / bearbeitung von oder reak on auf sapphos gedicht vom untergegangenen mond (fr. 168b
– ihre vier unsterblichsten verse) soll jede teilnehmerin / jeder
teilnehmer vorgestellt werden.
© wasser-prawda
Feuilleton
© wasser-prawda
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Bücher
Lavie Tidhar - Osama
Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller
Rogner & Bernhard 2013
303 Seiten
ISBN 978-3-95403-014-9
€ 22,95
Realitätssuche im Terrorismus
Erschienen als Hardcover/Plus
mit Code zum einmaligen Finden Sie Mike Longshot! Mit diesem Auftrag wird PrivatDownload des E-Books
schnüffler Joe von der geheimnisvollen Frau beauftragt. Seine
Reisen auf der Suche nach dem Autor billigster Terror-Thriller
mit dem „Helden“ Osama Bin Laden sind eine rätselhafte
Tour durch die Realität - oder das was wir für sie halten.
Der Anfang ist Klischee. Der eine ebenso wie der andere. Der eine:
Die Schilderung eines Terroranschlags von Islamisten eröffnet „Osama“. Scheinbare Detailtreue zur Vorspiegelung einer Realität überdeckt nur mühsam den Trash eines Terror-Thrillers vom Fließband.
Autor ist Mike Longshott, der eine ganze Reihe über „Osama der
Vergelter“ verfasst hat, die Privatdetektiv Joe zwischendurch liest,
wenn mal - wie eigentlich häufig - im Büro nichts los ist und die
Whiskeyflasche der einzige Begleiter im Job ist. Doch dann kommt
- wie sollte es anders sein - die schöne Frau mit dem Geheimnis
und damit ein Auftrag, den er annimmt, weil sonst kaum was los
ist. Und schon kommt er in Gefahr: Es schießen Unbekannte auf
ihm, er wird gewarnt, den ominösen Autoren, der in einem Pariser
Pornoroman seine Thriller verfasst, weiter nachzuspüren. Doch Joe
hat nichts anderes, als seinen Job. Und der sieht halt auch vor, dass
man immer wieder mal zusammengeschlagen wird. Wenn er auch
zunächst überhaupt nicht versteht, wieso eigentlich. Doch damit ist
er in guter Gesellschaft: Von Marlowe bis Matula gehört die Tracht
Prügel ebenso zur Jobbeschreibung wie die geheimnisvolle Schönheit, die nicht nur mit ihrem Geld die Pleite verhindert, sondern die
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Bücher
auch als lockendes Ideal irgendwo wie eine Belohnung am Ende
wartet. Doch um die zu bekommen, muss man nicht nur das Rätsel lösen und hinter all die schrecklichen Geheimnisse der scheinbar guten Gesellschaft kommen, man muss den Job auch einfach
überleben.
Von Paris über London und New York geht die Reise. Joe begegnet Nutten, die sich plötzlich auflösen, Opiumsüchtigen und einem ominösen Komitte für Gegenwärtige Gefahr (KGG), deren
Agenten in den schwarzen Anzügen für die diversen Schläge verantwortlich zeichnen. Erst langsam wird Joe klar, dass dies eine
seltsam brüchige Realität ist, durch die er sich bewegt. Dem Leser
wird das dank Tidhars zunächst spärlichen Hinweisen schon eher
deutlich: Joe lebt in einer Welt, wo Saint-Exupery der erste Präsident Frankreichs nach dem Zweiten Weltkrieg ist und de Gaulle
bereits 1944 in Algerien gefallen ist.
Kritiker haben „Osama“ wegen dieser parallelen Realitäten oft mit
den Werken von Philipp K. Dick („Blade Runner“) verglichen.
Doch ebenso deutlich ist eben auch, dass der Roman des in Israel geborenen Autors die Hardboiled-Krimis in der Tradition von
Chandler, Hammett und deren Erben steht. Und in den immer
wieder eingestreuten Auszügen aus den „Vergelter“-Romanen wirdd
auch der Müll, der heutzutage oft als Polit- oder Techno-Thriller
auf den Markt geworfen wird, herangezogen. Und nur langsam
wird nicht nur Joe klar, dass das eine Täuschung ist: Was Longshotts Werke sind, ist eigentlich eine ziemlich akkurate Schilderung
der Al-Quaida-Anschläge von Afrika über den 9. September bis zu
den Attentaten von London.
Und als Joe die Fragwürdigkeit seiner Realität immer deutlicher
wird, brechen die Grenzen zwischen den verschiedenen Welten immer häufiger zusammen. Bis dann schließlich Joe und der Leser
hineingestoßen werden in die Worte und Gedanken der Opfer von
Osamas Terror: Diese Welt von Joe, dem Schnüffler hat für den realen Terror ebensowenig Platz wie die des Lesers, der immer möglichst schnell wieder zur Tagesordnung seiner kleinen geregelten
und sicheren Lebens zurückkehren möchte. Doch wo bleiben die
Opfer? Joe findet Longshott, die Frau findet ihn - doch ein Happy
End gibt es doch nicht. Seine Realität in Laos ist eine Flucht. Und
er ist nicht bereit, diese scheinbare Sicherheit jemals wieder zu verlassen.
Wie kann man glaubhaft über Terror schreiben? In der Erzählung
„Meine Reisen mit Al-Quaida“ hatte Tidhar die Ereignisse geschildert, wie er zufälligerweise mehrfach genau in der Nähe von Terroranschlägen von Al-Quaida war in Nordafrika, der Sinaihalbinsel und in London. „Osama“ verfolgt den Terror weiter literarisch
- zerpflückt ihn als grausam-pornografisches Klischee und versucht
den namenlosen Opfern eine Stimme zu verleihen. Und das hebt
den Roman heraus aus all den Vergleichen mit den Fantasy-Realitäten Dicks oder auch den zu Klischees geronnenen Nachahmern
Hammetts. Herausgekommen ist eine aufwühlende Anklage gegen den Terror, eine Anklage, die sich verkleidet ins Kleid der Groschenromane und ihrer künstlichen Ästhetik. Faszinierend - und
verstörend. Nur manchmal zu langatmig für den „normalen“ Krimileser. Aber der wird wohl eher weniger zu „Osama“ greifen.
Raimund Nitzsche
© wasser-prawda
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Bücher
Hans Georg Thümmel:
Greifswald - Geschichte
und Geschichten
Die Stadt, ihre Kirchen und
die Universität
Verlag Ferdinand Schöningh
2011
306 Seiten (Broschur)
€ 39,90
ISBN: 978-3506767202
Gelehrte Plaudereien zu Geschichte und Geschichtchen
nebst Bemerkungen zur Wissenschaft und dem Leben in
Diktaturen oder: Was aus dem
Greifen wurde, weiß ich nicht
Einen Streifzug durch die Geschichte von Stadt,
Universität und Kirchen Greifswalds unternimmt
Hans Georg Thümmel in seinem 2011 erschienenen Buch. Entstanden aus einer Vortragsreihe
ist das ein unterhaltsam zu lesender Abriss von
Greifswalds Geschichte bis hin zur Zeit nach der
Wende.
Den Kirchenhistoriker und Experten für christliche Kunst Hans
Georg Thümmel hat man mal einen der letzten Universalgelehrten genannt. Ob nun christliche Archäologie, russische Religionsphilosophen oder wie in Lektürekursen mit seinen Studenten
mittelalterliche Predigtmärlein - vor seinem Interesse war kaum
ein Gebiet sicher. Und schon immer hat Thümmel geschrieben.
Jetzt also einen Überblick zur Stadtgeschichte Greifswalds, wobei
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© wasser-prawda
Bücher
für ihn hier die reine Stadtgeschichte immer zusammen mit der
der Universität zusammen gesehen wird. Eine Entscheidung, die
sofort einleuchtet, ebenso wie die, gleichzeitig auch - und hier
kommt der Kirchen- und Kunsthistoriker zum Zuge - die Geschichte der Kirchengebäude der Stadt und der dazugehörenden
Gemeinden.
Hier bezieht Thümmel nicht nur seine eigenen Arbeiten etwa
zur Geschichte der Universität aus den letzten Jahren ein sondern
auch neueste archäologische und bauhistorische Untersuchungen. Allerdings - und das macht sein Buch vor allem auch für
Nichthistoriker interessant - streut er in einem lockeren Plauderton unzählige Anekdoten, kleinere Ereignisse und persönliche Erinnerungen ein. Und so ist ein äußerst anregend und vergnüglich
zu lesendes Werk entstanden, dem man seine Herkunft aus einer
Vortragsreihe im Greifswalder Dom noch anmerken kann.
Klar, dass auf 300 Seiten keine Vollständigkeit inklusive einer
kompletten Bewertung der Quellenlage erwarten kann. Aber darauf kommt es Thümmel nicht an. Ein Abriss, eine Anregung zur
Erinnerung und zum Weiterlesen und -forschen ist das Buch geworden, ebenso auch die Anfrage eines Wissenschaftlers an die
aktuelle Entwicklung der Universitäten, die Erinnerungen eines
Zeitgenossen an die Zeit seit der DDR. Und es sind die Fragen
und Meinungen eines Wissenschaftlers und engagierten Christen
über den Weg der Wissenschaften ebenso wie über pauschale
Fehlurteile über Menschen, die in Diktaturen lebten.
Auch hier überschreitet Thümmel den Standpunkt des um eine scheinbare Objektivität bemühten Wissenschaftlers. Er wird
zum engagierten Streiter für eine Universität, die gegen alle wirtschaftlichen Erfordernisse doch noch die Ideale einer breiten Allgemeinbildung verfolgen sollte. Und fern jeder Ostalgieseligkeit
verteidigt er die Lebensweise von DDR-Bürgern, denen eigentlich
oft nur die Anpassung an die Verhältnisse blieb, wenn sie denn im
System überleben und wirken wollten. Gerade das ist ein Beitrag,
dem man viel mehr Leser wünschen möchte.
Einen entscheidenden Fehler hat das 300 Seiten starke Buch aus
meiner Sicht: Mit fast vierzig Euro ist es viel zu teuer. Der Verlag
hätte durchaus erkennen können, dass „Greifswald - Geschichte
und Geschichten“ eben kein reines Fachbuch ist, für das solche
Preise gezahlt werden von Fachbibliotheken und Studentinnen.
Es ist ein Buch, was eine viel breitere Leserschaft ansprechen kann
und soll. Aber die ist wohl kaum bereit, derartig hohe Preise zu
bezahlen. Vielleicht kann man ja mal eine preiswerte Taschenbuchausgabe in Angriff nehmen?
Raimund Nitzsche
© wasser-prawda
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Sprachraum
Franziska Röchter
(geboren 1959) ist eine
deutsch-österreichische Dichterin und Autorin. Sie tritt als
Poetry-Slammerin auf und ist
Sprecherin von Hörbüchern
für Kinder und Erwachsene.
In ihrem 2011 gegründeten
chiliverlag gibt sie seit 2012
Bücher heraus. Die erste Veröffentlichung „Der Fisch ist Käse - Veggie? Voll logisch!“ ließ
sie von jungen Menschen zwischen 14 und 24 schreiben. Es
wurde vom Deutschen Vegetarierbund zum Veggie-Sachbuch
2013 nominiert.
Werke in Auswahl
•
•
•
•
Hummeln im Hintern.
Gedichte. 1. Auflage. Steinmeier, Deiningen 2009,
Trete ein in Wundergärten …. 1. Auflage. P & B,
Wangen 2009,
Haben Sie Komfortstatus?.
Slam-Poetry. 1. Auflage.
Wunderwaldverlag, Erlangen 2011.
nacht der hunde – sangre
y pan. Audiophile Poesie.
1. Auflage. Wunderwaldverlag, Erlangen 2011,
(Illustrationen:
Adam
Grimann, Klang: Bernd
Wohlfahrt).
Das Copyright von Texten und
Fotos liegt bei Franziska Röchter.
Franziska Röchter - Gedichte
sie fiel
in einen tausend jahre langen schlaf
sie fiel und fiel sie sank und sank verschwindet
so gegenwart? so denken ward gestundet
sie fiel und sank sie gli verschwand sie löste
sich schwebte fort verflüch gte versprengte
sich lenkte nicht mehr renkte nichts mehr ein
sie wehte formlos übers feld verflüch gte
sich hauchte sich als note eines du es
am wind vorbei durchs wiesengras ins weltenreich
der atmosphärisch-nocturnalen sinne
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© wasser-prawda
Sprachraum
deep play
vergebet den sünden
bock suche ich nicht
kultur nur aus streit
hähnen hennen revier
verhalten konflikt
gegner sehe ich nicht
sportlich macht we
dichten ist parlament
arische demokra e ist
an k ist nicht fair
ness un dorma ist we
bewerb dich bloß nicht
außer du magst modern
game cock ist cock
oder old english
bantham und cornish
pasty gibts auch mit
potatoes ihr
großen galleros
fleisch.los
das ist doch langsam ein bisschen dämlich
ich fühl mich wie im kindergarten
dass man erwachsenen menschen | denkenden
im einundzwanzigsten jahrhundert binsen
weisheiten um die ohren hauen
muss und sollte obwohl das kapieren
derselben am |ein|tri |ins|un|ter|be|wusst|sein
scheitert wegen dem |||so war das schon immer
jeder mensch weiß doch getreide nämlich
alle sorten grünpflanzen arten
nicht den verrohten umwegelenkenden
erquälern anzudrehn impliziert linsen
nüsse und wurzeln selbst zu kauen
vorteil | es schont die gedärme | nieren
forciert auch den eigenen abstand zum schwein
denken | macht den weltenhunger nicht schlimmer
[und überhaupt wurde ich nur dichter
denn lehrer dürfen nicht poli sieren
einer der wahrheit sagt ist nicht richter
von gut und böse | diagnos zieren
muss man doch auch in der anatomie
leichen sezieren | erfleisch tranchieren
idiopathische euthanasie]
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Sprachraum
dein platz
dein platz in uns wird immer besetzt sein
der leere stuhl harrt geduldig der dinge
die nicht geschehen in diesem leben
unser jahresbaum sammelt weiter ringe
wir treten in neue räume ein
dort wird es andere stühle geben
dein platz war groß er hinterlässt leere
in uns in zimmern im haus im herzen
wir reisen nach jerusalem im stehen
in kellern und speichern flackern noch kerzen
die gewissheit allen endes verdrängt die schwere
die du in den raum gabst um licht zu sehen
dragoco
ich komm aus der stadt der dü e
es schwebte dort immer was in der lu
von bu ersäure und himbeeraroma
von kunstvanille muskatnuss und knoblauch
über den häusern in wolken
war es jeden tag ein anderer
wehte täglich ein gänzlich neuer
niemand konnte es ahnen-wind
der sich durch kleidungen wandte
einer wusste was es geben
würde einer rollte die fässer
durch die hallen mischte die tonnen
schweren pulver in liter kanistern
einer trug weder mundschutz noch ohren
schallschutz war nicht das thema
einer kam beinah jeden mi ag
zur gleichen uhrzeit nach haus zum essen
niemand wusste aus welcher richtung
abends um fünf der wind wehte
roch er nach Propenylguaethol
half nicht mal mehr ein vollbad
nur das parfüm aus dem gleichen hause
konnte den du übertünchen
dieser eine war mein vater
lebte für seine du stoffirma
starb um die sechzig an leberzhirrose
ich rieche das alles noch heute
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Sprachraum
© wasser-prawda
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Sprachraum
Friedrich Gerstäcker:
Herr Schultze
Ein Märchen
Die Zeit der Wunder ist vorüber und die Welt glaubt nicht
mehr an das Überirdische, denn sie will alles in nüchterner, hausbackener Wirklichkeit haben, um es so recht aus Herzensgrund
begreifen, das heißt betasten zu können. Kommt dann wirklich
einmal etwas Geisterhaftes, zeigt sich einmal in stiller Mitternachtsstunde dem einzelnen, dem Auserwählten, ein anständiges,
ordentliches Gespenst, so könnte dieser später bei allen Heiligen,
und noch überdies Stein und Bein schwören, es glaubte ihm niemand ein Wort davon. Entweder hieße es: „Der gute Mann habe
mit wachenden Augen geträumt“, oder die lieblose Bruder- und
Schwesterschar urteilte vielleicht noch strenger und sagte am Ende gar: „Er ist ein Narr, daß er denken kann, vernünftige Leute
sollten sich so etwas weismachen lassen!“
Was um des Himmels willen ist nun mit einer solchen Welt
anzufangen? – Gar nichts.
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Sprachraum
In solch ähnlicher Verlegenheit befand sich vor noch nicht so
langer Zeit der liebe Gott selbst. Auf der Erde, und besonders in
den deutschen Bundesstaaten, sah‘s in jeder Hinsicht windig und
bös aus. Mit der Politik der Kammern waren allerdings die Kammerherren und Kammerdiener, sonst aber auch niemand zufrieden; die Religion drohte gleichfalls wieder eben aus Religion ganz
irreligiös zu werden, denn selbst die Laien fühlten sich nicht mehr
sicher, als ganz gewöhnliche Menschen schlafen zu gehen und als
Apostel wieder aufzustehen – und was die Ernten betraf, so war
es wirklich zum Verzweifeln. Einmal schien es zu dürr, einmal zu
naß, einmal viel Mehltau, ein anderes Mal Hagel, kurz, es kam in
jedem Jahr etwas anderes, was die Getreidepreise hinauftrieb, Brot
und Fleisch teurer machte und die Armen – i. e. solche, die nicht
gewußt hatten reich zu werden – so bedrückte, daß des Betens
und Bittstellens kein Ende mehr wurde. Die Notleidenden wandten sich dann aber teils persönlich an ihn selbst, teils plagten und
peinigten sie die armen Heiligen und Schutzpatrone bis auf‘s Blut.
Dazu kam nun noch, daß die Menschen wirklich anfingen, ihm
leid zu tun. Er hätte ihnen so gern geholfen! – Wie aber das anfangen? Die Gesetze der Natur konnte und wollte er deshalb nicht
ändern, und das ungeheure Walten jener wirkenden und schaffenden Urkräfte zu stören, wäre, der paar Erdenbewohner wegen,
auch etwas viel verlangt gewesen. Aber es gab natür1iche Mittel,
und die sollten hier helfen.
Nichts war einfacher als die Religion – er hatte das Ganze schon
früher einmal dem Moses in einer Viertelstunde diktiert – in dieser
Hinsicht hoff te er bald Frieden zu stiften; auch die Politik mußte
in Ordnung gebracht werden – es waren ja alles seine Kinder, und
wenn auch die einen, wie das wohl die Geschwister häufig tun,
die anderen unterdrückt und sich die Sachen zugeeignet hatten,
die gar nicht für sie allein bestimmt gewesen, so konnte das – und
dazu hatte er ihnen ja eben die Vernunft gegeben – bald wieder
geregelt werden.
Was denn endlich den vielen Mißwachs der Ernten betraf, so
erzeugte die Erde selbst in ihrem Innern Mittel gegen diese Übelstände, denn sie trug und trägt ja in sich selbst den Keim, das alles
zu verbessern und zu seinem höchsten Grad der Vollkommenheit
zu führen. Nun frug es sich nur, wie es möglich sei, dies den Menschen selbst bekannt zu machen, und auf welche Art es sich hoffen
ließ, von ihnen verstanden zu werden.
Durch eine feurige Schrift am Himmel? – Die Freigeister und
Professoren hätten eine solche als etwas Natürliches erklärt, und
die Theologen ihr eine ganz andere Auslegung gegeben. Durch
eine Stimme von oben? – Das war erstens schon dagewesen, und
dann würden auch die Leute höchstens gesagt haben: „Heute hat
es doch einmal gedonnert, daß man ordentlich Worte verstehen
konnte.“ – Es war zum Verzweifeln.
Da beschloß denn Gott Vater, aus unendlicher Liebe für das
Menschengeschlecht, ein Buch über die zu verbessernden Verhältnisse und besonders über Ackerbau und Viehzucht, für welche
beiden Zweige er sich vorzugsweise interessierte, zu schreiben und
damit selbst auf die Erde hinabzusteigen.
Zeit hatte er ja für den Augenblick: dieWelt lief im allgemeinen
in ihren ewigen Kreisen ruhig fort, und wenn ihm nicht manchmal ein Komet durchbrannte und, einen Schweif roher Gesellen
auf den Hacken, mit offenen Laternen und Pechfackeln die stillen
Straßen des Firmaments auf staatsgefährliche Weise durchtobte, so
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Sprachraum
war keine Unordnung zu fürchten. Doch auch selbst hierüber hatten ihn die Berechnungen der besten Astronomen beruhigt, die ja
die Erscheinung des nächsten noch bis auf x Jahre hinausgeschoben.
Sein Plan ward also, kaum gewollt, auch schon ausgeführt. Mit
Gedankenschnelle flogen die Zeiten mit der Enthüllung jener göttlichen, uns noch unbekannten Urkräfte des Erdkörpers auf das Papier nieder, und wenn sich der liebe Gott auch, seit er damals die
zehn Gebote entworfen, nicht mehr mit literarischen Arbeiten beschäftigt hatte, so ging die Sache doch verhältnismäßig ungemein
schnell.
Das geschehen, rauschte er, die Liebe für seine oft unfolgsamen
Kinder im treuen Vaterherzen, auf unsere schöne Erde hiernieder,
um einen Verleger für sein Werk zu suchen, und stieg, wie sich das
von selbst versteht, in Leipzig, und zwar im ersten Gasthof, daselbst
ab.
Um aber jedes Aufsehen zu vermeiden, mußte er natürlich die
Gestalt des Menschen – die edle, schöne Gestalt des Mannes, wie
er ihn früher nach seinem eigenen Bilde erschaffen – annehmen
und kleidete sich zwar sehr einfach, aber doch nach der gerade bestehenden Mode. Vor dem Hotel hielten mehrere Droschken, und
eine derselben brachte ihn denn auch bald zu dem Buchhändler
Schmerz, bei dem er ohne weitere Umstände eintrat und ihm nach
wenigen einleitenden Worten sein fertiges Manuskript anbot.
Herr Schmerz – ein langer, hagerer Mann mit tiefliegenden, dunkeln Augen – nötigte ihn sehr artig zum Sitzen, las dann den Titel
des Manuskriptes und frug, sich leicht gegen den Fremden verneigend:
„Mit wem habe ich die Ehre?“
Das war nun allerdings eine sehr natürliche Frage; jeder Buchhändler wünscht doch zu wissen, mit wem er es zu tun bekommt.
Dem lieben Gott kam sie aber nichtsdestoweniger unerwartet, denn
er durfte dem Mann doch nicht sagen, wer er sei; Herr Schmerz
hätte ihm das auch im Leben nicht geglaubt. Er faßte sich also kurz
und antwortete, indem er, um nicht unartig zu scheinen, die Verbeugung erwiderte:
„Schultze!“
„Ah – Herr Schultze – mir sehr angenehm! Und Sie wünschen
also dies hier drucken zu lassen?“
„Ich wünsche dadurch einem dringenden Bedürfnis abzuhelfen“,
sagte der liebe Gott, und Herr Schmerz schlug das Manuskript
schnell auf, denn er glaubte wahrscheinlich, es lauere der Antrag zu
einem neuen Theatergeschäftsbüro oder zu einer illustrierten Zeitung im Innern; bald sah er jedoch, daß er sich geirrt habe, und
frug – schon etwas beruhigt:
„Und über was handelt es? Der Titel ist etwas – etwas umfassend: Enthüllungen der geheimsten und segensreichsten Urkräfte
des Erdballs –“
„Über alles – Viehzucht und Ackerbau – Religion und Politik.“
„Sie sind Literat?“
„Nicht eigentlich; ich bin mehr Ökonom, habe aber dieses Werk
aus reiner Liebe zur Sache geschrieben, denn ich liebe die Menschen
und weiß, welchen Dienst ich ihnen damit erzeigen werde.“
Herr Schmerz blätterte ein wenig im Manuskript herum, um einzelne Sätze darin zu lesen, und schüttelte dabei bedeutend mit dem
Kopf.
„Sehr flüchtig geschrieben das, sehr, – Herr – Herr“
„Schultze“, sagte der liebe Gott.
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Sprachraum
„Ach ja, Herr Schultze – sehr flüchtig – die Setzer beklagen sich
so immer!“
„Ich sollte denken, es käme hier mehr auf den Inhalt als die
Schrift an!“ sagte der Fremde. „Wie unscheinbar sieht zum Beispiel
eine Kartoffel aus, und was schließt sie nicht alles in sich ein? In ihrem Innern lebt und wirkt eine kleine, für sich abgeschlossene, aber
deshalb nicht weniger kunstvolle Welt; dem Menschen unbekannte Kräfte und Lebenstriebe durchströmen sie, und atmende Wesen
bewegen sich in dieser festen, saftigen Fleischmasse mit derselben
Leichtigkeit, mit der sich die Menschen durch die Luft bewegen,
und wenn im Frühjahr die Keime –“
„Sie haben Phantasie, Herr Schultze“, unterbrach ihn etwas ungeduldig Herr Schmerz – „aber dürfte ich Sie wohl bitten, mir den
Inhalt dieser Schrift etwas näher anzugeben?“
„Recht gern. – Es ist, wie Ihnen auch der Titel sagt, eine Enthüllung geheimer, bis jetzt noch nicht gekannter, vielleicht nicht einmal
geahnter Naturkräfte, um zuerst dem Mißwachs und den Viehseuchen entgegenzuwirken, und gleichzeitig das moralische Schaffen
und Treiben der Menschen – von denen der große Haufe nun doch
einmal in den Tag hineinlebt – zu ordnen und zu regeln. Was die
ersten Kapitel – Mißwachs und Seuchen – betriff t, so existierten in
früheren Zeiten andere Verhältnisse. Die Bevölkerung des Erdballs
war zu schwach, und die Erde erzeugte mehr, als ihre Bewohner
konsumieren konnten. Daher mußte ich diesem Übelstand durch
natürliche Mittel abzuhelfen suchen.“
„Sie?“
„Ich – meine die Natur. jetzt aber hat jene Ursache aufgehört,
und deshalb soll auch die Wirkung nachlassen. Das Menschengeschlecht ist an Zahl so gewachsen, daß es, wenigstens in Europa,
alles braucht, was es erzeugen kann, und ich wünschte nun dieses
zum Nachteil werdende Hindernis gehoben zu sehen. Das können
sie aber nicht verlangen, daß ich deshalb die ewigen Naturgesetze
ändern sollte, um – „
„Nein!“ sagte Herr Schmerz.
Der liebe Gott sah ihn im ersten Augenblick erstaunt an, besann
sich aber schnell und lenkte wieder ein: „Um solchen Übelständen
nämlich abzuhelfen, kann man also, wie ich sagen wollte, doch nicht
verlangen, daß die einmal bestehenden Gesetze der Natur geändert
werden sollten. Dafür liegt aber auch in ihren eigenen Kräften, in
ihren geheimsten, innersten Lebensfasern das Heilmittel gegen diese nicht mehr nötigen Zuwachsminderungen, und ich habe das alles
hier kurz und bündig, aber auch leicht faßlich niedergeschrieben.
Drucken Sie es, und geben Sie das dafür übliche Honorar in die
hiesige Armenkasse. – Sie werden überdies Nutzen genug davon haben.“
Herr Schmerz, vielleicht durch dies keineswegs gewöhnliche Benehmen neugierig gemacht, oder auch, weil ihm das ganze Äußere
des Fremden eine gewisse Ehrfurcht einflößte, scheute sich, augenblicklich eine bestimmte Antwort zu geben, und bat nur, ihm das
Mariuskript bis morgen zu lassen, wo er sich dann darüber zu entscheiden versprach.
Zur verabredeten Stunde am nächsten Tag stellte sich der Fremde
wieder ein und bat um seine Antwort. Herr Schmerz machte indessen heut ein äußerst bedenkliches Gesicht und blickte kopfschüttelnd und mit emporgezogenen Augenbrauen auf das Manuskript
herab, das er in der Hand hielt.
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„Ich komme, um Ihre Entscheidung über den Druck meines
Werkes zu hören“, sagte der Fremde.
„Ja, sehen Sie – bester Herr Schultze“, begann endlich der Buchhändler nach kurzer Pause – „das ist so eine Sache mit dem Druck
dieses Heftes. Einesteils glaube ich – aufrichtig gestanden – gar
nicht, daß das Buch etwas machen wird. Für ein rein wissenschaftliches Werk ist zuviel Phantasie, – für Phantasie zu viel Wissenschaftliches darin, und dann – druckten wir es nicht äußerst splendid, daß es über zwanzig Bogen gäbe, so striche uns der Zensor die
ganze Geschichte. Sie halten sich ja gar nicht ein bißchen an das
Bestehende, werfen alles über den Haufen, was nun doch einmal
da ist, und reden von Sachen, die über menschliche Begriffe fast
hinausgehen. Ich habe darin herumgeblättert – etwas altväterischer
Stil – nun, dergleichen ließe sich abändern – aber – das nehmen
Sie mir nicht übel – ein bißchen zu prätentiös ist das Ganze auch
noch geschrieben. Sie reden da in einem fort: das muß so sein und
das so, hier tue dies und da tue das, die Wirkung wird dann im
ersten Jahr so, im zweiten so, und im dritten und den folgenden so
sein; die Behandlungsart von A wirkt auf B, und die Unterlassung
würde sich für drei Jahre, wieder so, und für andere zehn wieder so
gestalten. Nein, das geht nicht, mein bester Herr Schultze, damit
kommen wir nicht mehr durch. Ja, in alten Zeiten, da ließ man
sich das gefallen, dam als gehörte nur eine etwas dreiste Stirn dazu,
die Welt glauben zu machen, was man wollte; aber jetzt gehen wir
der Sache tiefer auf den Grund.
„Überdies erlauben Sie sich auch über Politik, und besonders
über Religion Äußerungen, die ich selbst nicht einmal unter dem
Namen Schultze vertreten möchte. Am Ende brauchten wir ja gar
keine Priester und Prediger mehr; und dann die Beleuchtung Ihrer
sozialen Verhältnisse? Nein, mein guter Herr Schultze: würde ich
das Buch, das allerdings Geist verrät, wirklich drucken, so glaubte
uns erstlich kein Mensch ein Wort von dem, was drinnen steht;
dann kämen wir wegen des einen Teils in die schönste Kriminaluntersuchung, und über den andern Teil fielen nachher die Rezensenten wie wahnsinnig her. Das wenigste, was sie sagten, wäre,
ich hätte einen neuen hundertjährigen Kalender verlegt. Und wenn
sie‘s dann nur noch kauften – wenn es noch ginge! Ich käme aber
wahrhaftig nicht einmal auf die Kosten, denn ein Leihbibliothekenbuch ist das nicht.“
„Nein, allerdings nicht“, sagte der Fremde – „aber verlegen Sie es
nur; ich garantiere Ihnen, daß Sie gute Geschäfte damit machen.“
„Sie garantieren mir das? Welche Bürgschaft könnten Sie mir
denn dafür geben?“
„Meinen Namen!“
„Bester Herr Schultze!“ rief Herr Schmerz.
„Ja so!“ sagte der liebe Gott – „Sie wollen es also nicht? Sie weisen
es zurück?“
„Ich bin Ihnen wirklich für das Vertrauen, das Sie in mich gesetzt, ungemein verpflichtet, aber ich habe jetzt in der Tat so viele
Manuskripte daliegen, – eins drängt so das andere; – mein Nachbar Beißig wird sich aber sicherlich ein Vergnügen daraus machen,
– der hat überdies mehrere landwirtschaftliche und wissenschaftliche Werke gebracht.“
„Und Sie glauben, daß Herr Beißig –“
„Oh, ich bin es fest überzeugt; versuchen Sie es nur! – Oh – keine
Komplimente, bester Herr Schultze! – jenes ist der Ausgang, wenn
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ich bitten darf; die Tür hier führt in die Küche. Habe die Ehre,
mich gehorsamst zu empfehlen!“
Der liebe Gott fand sich gleich darauf mit seinem in Makulatur eingeschlagenen Manuskript, auf welchem mit großen Rotstiftbuchstaben „Hr. Schultze“ geschrieben stand, auf der Straße
und blieb im ersten Augenblick wirklich etwas überrascht stehen.
Das hatte er nicht erwartet! – Er wollte die Menschen glücklich
machen, und triff t dafür auf solche Schwierigkeiten. „Nun, Herr
Beißig wird es auf jeden Fall nehmen!“
Aber siehe da – auch hier schien es, als ob er vergebens angeklopft
habe; neue Schwierigkeiten, neue Entschuldigungen. Wieder wurde er zu einem andern geschickt, und nachmittags nahm er sich eine Droschke auf eine Stunde, um schneller aus einer Verlagshandlung in die andere kommen zu können.
Volle sechs Tage hatte er so mit immer gleichem Erfolg auf dem
Pflaster gelegen; er beschloß also, den siebenten zu ruhen und am
nächsten Montag die noch übrigen fünfundfünfzig Buchhändler
aufzusuchen, um sich später gar keine Vorwürfe machen zu dürfen.
Da klopft es, als die Glocken eben zu läuten begannen, leise an
seine Tür.
„Herein!“ rief er, gerade nicht in der besten Laune.
„Ich habe das Vergnügen, mit Herrn Schultze zu sprechen?“
„So nennt man mich hier.“
„Ihren Paß, wenn ich bitten darf.“
„Ich habe dem Wirt schon gesagt, daß ich keinen bei mir führe.“
„Dann muß ich Sie freilich bitten, mir zu folgen.“
„Aber, mein Herr –“
„Ich bedaure recht sehr – aber Sie wissen – meine Pflicht“
„Ich gehe auf keine Fall mit Ihnen!“
„Sie werden sich doch der Obrigkeit nicht widersetzen wollen?“
Was wollte der liebe Gott jetzt machen? An dem ihm selbst geweihten Tage Skandal anfangen? Welch ein Beispiel hätte er dadurch gegeben! Er setzte seinen Hut auf und folgte.
Im Polizeibüro wurde er freilich mit der größten Artigkeit behandelt, denn in seinem ganzen Wesen lag etwas so Edles, Ehrfurcht
Einflößendes, das ihm überall Freundlichkeit und Zuvorkommenheit sicherte; gegen die einmal bestehenden Gesetze ließ sich aber,
das wußte er ja aus eigener Erfahrung, nichts tun – einen Paß hatte
er nicht – der von ihm angegebene Ort, woher er stamme – „Himmelsburg in Engelland“, ließ sich auf keiner Karte Albions entdekken, und somit mußte ihm denn, wie sich das vorhersehen ließ, die
Weisung werden, sich binnen vierundzwanzig Stunden einen Paß
zu schaffen oder – die Stadt zu verlassen.
Jetzt bekam der liebe Gott die Sache aber auch satt. Bloß der
Menschen wegen hatte er sich all diesem unterzogen, und nun traten ihm aus jeder Ecke neue Hindernisse entgegen. Zwar hätte er
sich im Augenblick selbst einen Paß herstellen können; durfte er
aber das auf einen fremden Namen tun? Das wäre wieder gegen
seine eigenen Gesetze wie die der Menschen gewesen. – Nein, er
sah jetzt ein, daß es die Sterblichen gar nicht besser verdienten; sie
wollten das alles, was sie drückte und quälte, behalten – sie wollten
kein Licht haben, und wenn sie sich die Schädel an den Wänden
einstießen. So beschloß er denn, in den Himmel zurückzukehren
und das von den Blinden verschmähte Werk im Feuer zu vernichten.
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Sein Wille war Tat. In lodernder Glut verzehrte sich das göttliche
Manuskript – dieser allein Millionen werte Autograph – und jauchzend wirbelten die boshaften Luft- und Feuergeister die Aschenatome in das reine sonnige Blau des Firmaments, und spielten und
tanzten damit im tollen, wilden Übermut hoch, hoch auf zu der
endlosen Höhe. Der liebe Gott aber schaute ihnen sinnend nach
und murmelte endlich gutmütig lächelnd vor sich hin:
„Das hätt‘ ich mir, wenn ich nicht allwissend wäre, allenfalls denken können!“
Dann in Licht zerfließend, stieg er wieder empor zu den reinen,
göttlichen Räumen des Lichts, zu dem Urquell des von Strahlen
durchfluteten Alls. Rosige Wolken drängten sich um ihn her und
hoben und trugen den Gott, Freude glühend und Frieden leuchtend, hinan – hinan in das Äthermeer der Unendlichkeit, in die
kreisenden Sonnenwelten des ewigen Seins.
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Edgar Allan Poe:
Die schwarze Katze
Mit Illustrationen zu
den „Tales of Mystery
And Imagination“ von
Aubrey Beardsley und
Harry Clarke
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Daß man den so unheimlichen und doch so natürlichen Geschehnissen, die ich jetzt berichten will, Glauben schenkt, erwarte ich
nicht, verlange es auch nicht. Ich müßte wirklich wahnsinnig sein,
wenn ich da Glauben verlangen wollte, wo ich selbst das Zeugnis
meiner eigenen Sinne verwerfen möchte. Doch wahnsinnig bin ich
nicht – und sicherlich träume ich auch nicht. Morgen aber muß ich
sterben, und darum will ich heute meine Seele entlasten. Aller Welt
will ich kurz und sachlich eine Reihe von rein häuslichen Begebenheiten enthüllen, deren Wirkungen mich entsetzt – gemartert – vernichtet haben. Ich will jedoch nicht versuchen, sie zu deuten. Mir
brachten sie die fürchterlichste Qual – anderen werden sie vielleicht
nicht mehr scheinen als groteske Zufälligkeiten. Es ist wohl möglich, daß später einmal irgendein besonderer Geist sich findet, der
meine anscheinend phantastischen Berichte als nüchterne Selbstverständlichkeiten zu erklären vermag – ein klarer und scharfer Geist,
weniger exaltiert als ich, der in den Umständen, die ich mit bebender Scheu enthülle, nichts weiter sieht als die einfache Folge ganz
natürlicher Ursachen und Wirkungen.
Seit meiner Kindheit galt ich als ein weichherziger und anschmiegsamer Mensch. Ja, meine hingebende Herzlichkeit trat so offen hervor, daß sie oft den Spott meiner Kameraden herausforderte. Da ich
eine ganz besondere Zuneigung für die Tiere empfand, beglückten
mich meine Eltern gern mit allerlei Lieblingen. Mit diesen verbrachte
ich all meine freie Zeit, und nie war ich glücklicher, als wenn ich sie
fütterte und liebkoste. Diese Liebhaberei wuchs mit mir heran, und
noch im Mannesalter war sie mir eine Hauptquelle meiner Freuden.
Wer jemals für einen treuen und klugen Hund wahre Zärtlichkeit
hegte, den brauche ich nicht auf die innige Dankbarkeit, die das
Tier uns dafür entgegenbringt, hinzuweisen. In der selbstlosen und
opferfreudigen Liebe eines Tieres ist etwas, das jedem tief zu Herzen
gehen muß, der je Gelegenheit hatte, die armselige ›Freundschaft‹
und geschwätzige Treue des ›erhabenen‹ Menschen zu erproben.
Ich heiratete früh und war herzlich froh, in meinem Weibe ein
mir verwandtes Gemüt zu finden. Als sie meine Liebhaberei für allerlei zahmes Getier erkannt hatte, versäumte sie keine Gelegenheit,
solche Hausgenossen der angenehmsten Art anzuschaffen. Wir besaßen Vögel, Goldfische, einen schönen Hund, Kaninchen, einen
kleinen Affen und – eine Katze.
Diese letztere war ein auffallend großes und schönes Tier, ganz
schwarz und erstaunlich klug. Wenn wir auf ihre Intelligenz zu sprechen kamen, gedachte meine Frau, die übrigens nicht im geringsten
abergläubisch war, manchmal des alten Volksglaubens, daß Hexen
oft die Gestalt schwarzer Katzen anzunehmen pflegen. Nicht, daß
sie damit jemals eine ernstliche Anspielung hätte machen wollen –
ich erwähne es nur, weil ich gerade jetzt daran denken mußte.
Die Katze war mein bevorzugter Freund und Spielkamerad. Ich
selbst fütterte sie, und wo ich im Hause stand und ging, war sie bei
mir. Nur schwer konnte ich sie davon zurückhalten, mir auch auf
die Straße zu folgen.
So bestand und bewährte sich unsere Freundschaft mehrere Jahre lang. In dieser Zeit aber hatte mein Charakter infolge meiner
teuflischen Trunksucht – ich erröte bei diesem Bekenntnis – eine
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völlige Wandlung zum Bösen durchgemacht. Ich wurde von Tag
zu Tag mürrischer, reizbarer, rücksichtsloser gegen die Gefühle anderer. Ich erlaubte mir selbst meiner Frau gegenüber rohe Worte.
Schließlich schlug ich sie sogar. Meine Tiere mußten unter meiner
Verkommenheit selbstverständlich ganz besonders leiden. Ich vernachlässigte sie nicht nur, sondern mißhandelte sie auch. Auf die
Katze indessen nahm ich noch immer so viel Rücksicht, daß ich
sie nicht ebenso schlecht behandelte wie die Kaninchen, den Affen
und auch den Hund, die ich bei jeder Gelegenheit mißhandelte,
wenn sie mir zufällig oder aus alter Anhänglichkeit in den Weg
liefen. Doch mein Leiden wuchs – denn welches Leiden ist lebenszäher als der Hang zum Alkohol! –, und endlich mußte selbst die
Katze, die jetzt alt und daher etwas grämlich wurde, die Ausbrüche
meiner Übellaunigkeit fühlen.
Eines Nachts, als ich schwer betrunken aus einer meiner Schnapsspelunken nach Hause kam, schien es mir so, als ob die Katze mir
ausweiche. Ich packte sie – und da, wahrscheinlich erschreckt durch
meine Heftigkeit, riß sie mir mit den Zähnen eine leichte Schramme über die Hand. Im Augenblick geriet ich in wahnsinnige Wut.
Ich war nicht mehr ich selbst. Mein wahres Wesen war plötzlich
entflohen, und an seiner Stelle spannte eine viehische, trunkene
Bosheit jeden Nerv in mir. Ich nahm aus der Westentasche ein
Federmesser, öffnete es, riß das arme Tier am Halse empor und
bohrte bedachtsam eins seiner Augen aus der Augenhöhle heraus!
– Die brennende Glut der Scham und kalte Schauer des Entsetzens
überfallen mich jetzt, da ich jener höllischen Verruchtheit gedenke.
Am andern Morgen, nachdem ich meinen Rausch verschlafen
hatte und mir die Vernunft zurückgekehrt war, empfand ich halb
Grauen, halb Reue über das Verbrechen, dessen ich mich schuldig
gemacht hatte; aber es war das nur ein schwaches, oberflächliches
Gefühl, und meine Seele blieb unbewegt. Ich stürzte mich aufs
neue in wüste Ausschweifungen, und bald war im Wein jede Erinnerung an meine Untat ersäuft.
Inzwischen erholte sich die Katze langsam. Die leere Augenhöhle
bot allerdings einen schrecklichen Anblick, aber Schmerzen schien
das Tier nicht mehr zu haben. Wie früher ging es im Hause umher, floh aber, wie nicht anders zu erwarten, in wahnsinniger Angst
davon, sobald ich in seine Nähe kam. Es war mir noch immer so
viel von meinem Gefühl geblieben, daß ich diese offenbare Abneigung eines Geschöpfes, das mich vordem so geliebt hatte, anfangs
schmerzlich empfand. Doch dieses Empfinden wich bald einem
anderen – der Erbitterung. Und dann kam, wie zu meiner endgültigen und unaufhaltsamen Vernichtung, noch der Geist des Eigensinns hinzu. Diesen Geist beachtet die Philosophie nicht, und dennoch bin ich wie von dem Leben meiner Seele davon überzeugt,
daß Eigensinn eine der ursprünglichsten Regungen des menschlichen Wesens ist – eine der elementaren, primären Eigenschaften
oder Empfindungen, die dem Charakter des Menschen seine Richtung geben. Wer hat nicht schon hundertmal eine gemeine oder
dumme Handlung begangen, einzig und allein weil er wußte, daß
er eigentlich nicht so handeln sollte! Haben wir nicht eine beständige Neigung, das Gesetz zu übertreten, nur weil wir eben wissen,
daß es ›Gesetz‹ ist? Ich sage, dieser Geist des Eigensinns war es, der
mich endgültig umwarf. Es war jene unergründliche Gier der Seele,
sich selbst zu quälen und im Trotz gegen ihre erhabene Reinheit allein um des Bösen willen das Böse zu tun, die mich antrieb, meine
Schuld an der wehrlosen Katze noch zu erweitern, so weit nur eben
möglich. So legte ich ihr eines Morgens eine Schlinge um den Hals
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und knüpfte sie an einem Baumast auf; ich erhängte sie unter strömenden Tränen und bittersten Gewissensqualen; erhängte sie, eben
weil ich wußte, daß sie mich geliebt hatte, und weil ich fühlte, daß
sie mir keinen Grund zu dieser Greueltat gegeben hatte; erhängte
sie, weil ich wußte, daß ich damit eine Sünde beging – eine Todsünde, die meine unsterbliche Seele so befleckte, daß, wenn irgendeine
Sünde nicht vergeben werden könnte, die unendliche Gnade des
allbarmherzigen Gottes sich meiner Seele nicht erbarmen könnte.
In der auf diese grausame Tat folgenden Nacht wurde ich durch
Feuerlärm aus dem Schlafe aufgeschreckt. Meine Bettvorhänge
brannten. Das ganze Haus stand in Flammen. Mit knapper Not
entrannen wir, meine Frau, unsere Magd und ich, dem Feuertode.
Alles wurde vernichtet. Meine ganze irdische Habe war dahin, und
ich überließ mich von nun an haltloser Verzweiflung.
Ich habe nicht die Schwäche, zwischen meiner Schandtat und diesem Unglück einen Zusammenhang, wie etwa Ursache und Wirkung, suchen zu wollen. Da ich aber eine Kette von Tatsachen anführe, so glaube ich, auch das allerkleinste Glied nicht unerwähnt
lassen zu dürfen. An dem Tage nach dem Brande besichtigte ich die
Trümmerstätte. Die Mauern waren bis auf eine eingestürzt. Dies
war eine nicht sehr starke Scheidewand, ungefähr aus der Mitte
des Hauses, gegen die das Kopfende meines Bettes gelehnt hatte.
Sie hatte der Einwirkung des Feuers hartnäckig widerstanden, eine
Tatsache, die ich dem Umstand zuschrieb, daß dort der Bewurf erst
kürzlich erneuert worden war. Vor dieser Mauer stand eine dichte
Menschenmenge, und einzelne Personen schienen eine bestimmte
Stelle eingehend und aufmerksam zu untersuchen. Die Worte ›sonderbar!‹ ›seltsam!‹ und andere ähnliche Ausrufe erregten meine Neugier. Ich trat heran – und sah auf die helle Fläche eingedrückt das
Reliefbild einer großen Katze. Der Abdruck war erstaunlich naturgetreu. Um den Hals des Tieres lag ein Strick.
Als ich zuerst diesen Höllenspuk erblickte – denn für etwas anderes konnte ich es nicht halten –, geriet ich außer mir vor Staunen
und Entsetzen. Schließlich aber kam mir die Überlegung zu Hilfe.
Der Garten, in dem ich die Katze erhängt hatte, lag dicht bei dem
Hause. Auf den Feuerlärm hin war sofort eine Menschenmenge in
den Garten eingedrungen, und irgendeiner mußte dort das Tier
abgeschnitten und durch das offenstehende Fenster in mein Zimmer geworfen haben, wahrscheinlich in der guten Absicht, mich
dadurch aus dem Schlaf zu wecken. Durch stürzendes Mauerwerk
war das Opfer meiner Grausamkeit in die Masse des frisch aufgetragenen Bewurfs eingedrückt worden, und der Kalk dieses letzteren
in Verbindung mit der Brandglut und dem Ammoniak des Kadavers hatten dann das Reliefbild so wunderbar geprägt, wie es nun
zu sehen war.
Obgleich ich dieser eigenen vernünftigen Erklärung bereitwillig
Glauben schenkte, konnte mein Gewissen sich nicht so leicht beruhigen, und das Ereignis lastete schwer auf meiner Seele. Monatelang
beschäftigte sich meine Phantasie mit der Katze, und es erwachte in
mir ein Gefühl, das beinahe Reue sein konnte. Es kam so weit, daß
ich den Verlust des Tieres bedauerte und mich in den Spelunken, in
denen ich mich jetzt meistens herumtrieb, nach einer anderen Katze
umsah, die der ermordeten möglichst ähnlich sein und deren Platz
bei mir ausfüllen sollte.
Als ich einmal in der Nacht halb stumpfsinnig vor Trunkenheit
in einer ganz gemeinen Schnapskneipe saß, wurde ich plötzlich
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auf einen schwarzen Gegenstand aufmerksam, der oben auf einem
riesenhaften Oxhoft Branntwein oder Rum, dem Hauptmöbel der
dunstigen Höhle, thronte. Da ich schon einige Minuten lang stier
auf die Höhe des Fasses geblickt hatte, war ich jetzt erstaunt darüber, daß ich den Gegenstand dort oben nicht schon früher bemerkt
hatte. Es war eine schwarze Katze – eine sehr große – gerade so groß
wie die ermordete und dieser auch in allem ähnlich – bis auf eins:
die meine hatte nicht ein einziges weißes Haar an ihrem ganzen
Körper, diese Katze aber hatte einen großen, allerdings nicht scharf
abgegrenzten weißen Fleck, der fast die ganze Brust bedeckte.
Als ich sie berührte, erhob sie sich sofort, schnurrte laut, rieb sich
an meiner Hand und schien von der Beachtung, die ich ihr schenkte, entzückt zu sein. Das war also ganz ein Geschöpf, wie ich es
suchte. Ich bot dem Wirt sofort an, ihm das Tier abzukaufen; der
aber erhob keinen Anspruch auf die Katze: er kenne sie gar nicht –
habe sie nie vorher gesehen.
Ich liebkoste das Tier, und als ich mich zum Heimgehen anschickte, zeigte es Lust, mich zu begleiten. Das erlaubte ich ihm. Unterwegs beugte ich mich manchmal zu ihm nieder und streichelte es.
In meinem Hause fühlte sich die Katze sofort heimisch, und auch
mit meiner Frau war sie vom ersten Tage an sehr befreundet.
In mir aber regte sich bald eine Abneigung gegen die Katze; das
war gerade das Gegenteil dessen, was ich erwartet hatte, aber – ich
weiß nicht, wie und weshalb es so kam – ihre aufdringliche Liebe zu mir war mir unangenehm, ja sogar zuwider. Nach und nach
steigerte sich dieses Gefühl der Abneigung und des Ekels bis zu bitterstem Haß. Ich ging dem Vieh aus dem Wege; was mich davon
zurückhielt, es zu mißhandeln, war allein ein gewisses Schamgefühl
und die Erinnerung an meine frühere Greueltat. Einige Wochen
lang konnte ich mich noch so weit beherrschen, die Katze weder
zu schlagen noch sonstwie absichtlich schlecht zu behandeln, aber
allmählich – mit jedem Tage mehr – sah ich sie nur noch mit unaussprechlichem Abscheu und floh bei ihrem unerträglichen Anblick
entsetzt davon, wie vor dem Gifthauch der Pestilenz.
Was meinen Haß gegen das Katzenvieh zweifellos genährt hatte,
war eine Entdeckung gewesen, die ich sofort, nachdem ich es zu mir
genommen, gemacht hatte – die Entdeckung, daß es, wie die erste
Katze, um eins seiner Augen beraubt war. Für meine Frau hingegen, die, wie ich schon sagte, jene unendliche Herzensgüte besaß,
die auch mich einst auszeichnete und mir viele reine und harmlose
Freuden gebracht hatte, war dies nur ein Grund mehr, das Tier zu
lieben.
Mit meiner Abneigung gegen die Katze schien deren Vorliebe für
mich nur zu wachsen. Sie folgte meinen Schritten mit einer unbeschreiblichen Beharrlichkeit, von der man sich kaum einen Begriff
machen kann. Wenn ich mich setzte, kroch sie unter meinen Stuhl
oder sprang auf meine Knie und belästigte mich mit ihren widerwärtigen Liebkosungen. Wenn ich aufstand, um fortzugehen, lief
sie mir zwischen die Beine, so daß ich in Gefahr geriet, hinzufallen,
oder sie hing sich mit ihren langen und scharfen Krallen in meine
Kleider und kletterte mir bis zur Brust hinauf. Obwohl ich mich
dann stets versucht fühlte, sie mit einem Faustschlag umzubringen,
schreckte ich doch davor zurück, teils im Gedanken an mein früheres Verbrechen, hauptsächlich aber – ich will es nur gleich bekennen
– aus sinnloser Angst vor der Bestie.
Diese Angst war nicht gerade Furcht davor, daß mir das Tier irgendeine Verletzung zufügen könnte, aber ich wüßte auch nicht,
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wie ich sie anders erklären sollte. Ich kann nur mit Beschämung
gestehen – ja, selbst in dieser Verbrecherzelle schäme ich mich dessen –, daß die Gefühle des Schreckens und Entsetzens, die das Tier
in mir hervorrief, durch ein Hirngespinst, wie man sich kaum eines närrischer denken kann, maßlos gesteigert wurden. Meine Frau
hatte mich mehr als einmal auf die Form des weißen Brustfleckes
aufmerksam gemacht, von dem ich bereits gesprochen habe, und
der das einzig sichtbare Unterscheidungsmerkmal zwischen dieser
fremden und der von mir umgebrachten Katze bildete. Man wird
sich meiner obigen Beschreibung entsinnen, wonach dieser Fleck,
obschon er ziemlich groß war, ursprünglich nur undeutlich hervortrat; doch nach und nach, in kaum merklich fortschreitendem
Wachstum – einem Vorgang, den meine Vernunft lange Zeit als
reine Augentäuschung zu verwerfen strebte –, wurde dieses Zeichen
in scharfen Umrissen deutlich sichtbar. Es hatte nun die Form eines
Gegenstandes, den ich nur mit Grausen nennen kann und dessen
Abbild mich mehr als alles andere schreckte und entsetzte, so daß
ich das Scheusal am liebsten umgebracht hätte, wenn ich nur den
Mut dazu hätte finden können. Es war das Bild – so sei es denn
herausgesagt – eines Galgens! – O schrecklich drohendes Werkzeug
des greuelhaften Mordens – des martervollen Todes!
Und jetzt war ich wirklich elend – elend weit über alles Menschenelend hinaus. Und ein vernunftloses Vieh – von dessen Geschlecht ich eines verächtlich umgebracht hatte – ein vernunftloses
Vieh konnte mich – mich, den Menschen, das Ebenbild Gottes – so
unsäglich elend machen! Ach, ich kannte nicht mehr den Segen der
Ruhe, weder bei Tag noch bei Nacht! Bei Tage ließ das Tier mich
nicht einen Augenblick allein, und in der Nacht fuhr ich fast jede
Stunde aus qualvollen Angstträumen empor, um den heißen Atem
des Viehes über mein Gesicht wehen zu fühlen und den Druck seines schweren Gewichts – wie die Verkörperung eines Alpgespenstes,
das ich nicht abzuschütteln vermochte – auf meiner Brust zu tragen.
Unter der Wucht solcher Qualen erlag in mir der schwache Rest
des Guten. Böse Gedanken wurden die Vertrauten meiner Seele – schwarze, ekle Höllengedanken! Meine bisherige Stimmung
schwoll an zu bösem Haß gegen alles in der Welt und gegen die
ganze Menschheit; und meistens war es nun, ach! mein schweigend duldendes Weib, die das unglückliche Opfer meiner häufigen,
plötzlichen und zügellosen Wutausbrüche wurde.
Eines Tages begleitete sie mich irgendeines häuslichen Geschäftes
wegen in den Keller des alten Gebäudes, das wir in unserer Armut
zu bewohnen genötigt waren. Die Katze folgte mir die Stufen der
steilen Treppe hinab und war mir dabei so hinderlich, daß ich beinahe kopfüber hinuntergestürzt wäre. Das machte mich rasend. In
sinnlosem Zorn vergaß ich die kindische Furcht, die meine Hand
bisher zurückgehalten hatte, ergriff eine Axt und führte einen Hieb
nach dem Tier, der augenblicklich tödlich gewesen wäre, wenn er
sein Ziel getroffen hätte. Aber meine Frau fiel mir in den Arm. Diese Einmischung brachte mich in wahrhaft teuflische Wut. Ich entwand mich ihrem Griff und schlug die Axt tief in ihren Schädel ein.
Sie brach lautlos zusammen.
Nachdem dieser gräßliche Mord geschehen war, machte ich mich
sogleich und mit voller Überlegung daran, den Leichnam zu verbergen. Ich wußte, daß ich ihn weder am Tage noch in der Nacht
aus dem Hause schaffen konnte, ohne dabei Gefahr zu laufen, von
den Nachbarn beobachtet zu werden. Mancherlei Pläne schossen
mir durch den Sinn. Zuerst dachte ich daran, den Körper in kleine
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Stücke zu zerhacken und diese durch Feuer zu vernichten. Dann
beschloß ich, ihm im Boden des Kellers ein Grab zu graben. Ich
überlegte mir aber auch, ob ich ihn nicht lieber im Hof in den
Brunnen werfen sollte – oder ob ich ihn wie eine Ware in eine
mit unauffälligen Aufschriften versehene Kiste packen und diese
durch einen Träger fortschaffen lassen sollte. Endlich kam ich auf
einen Gedanken, der mir der richtige Ausweg zu sein schien: ich
entschloß mich, die Leiche in den Keller einzumauern – ganz so,
wie es alten Erzählungen zufolge die Mönche des Mittelalters mit
ihren bedauernswerten Opfern gemacht haben mochten.
Zur Ausführung gerade dieses Plans war der Keller sehr geeignet. Die Mauern waren leicht gebaut und erst kürzlich mit einem
groben Mörtel beworfen worden, der infolge der Feuchtigkeit der
Kellerluft noch nicht hart geworden war. Überdies war an einer der
Mauern ein Vorsprung, hinter dem sich ein unbenutzter Rauchschlot oder eine Feuerstelle befand und der neuerdings wieder ausgefüllt und den übrigen Wänden des Kellers gleichgemacht worden
war. Ich zweifelte nicht daran, daß es mir leicht möglich sein würde, an dieser Stelle die Ziegelsteine herauszunehmen, den Leich-
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nam in die Höhlung hineinzubringen und die Wand wieder zuzumauern, so daß kein Mensch etwas Verdächtiges entdecken könnte.
Und diese Berechnung täuschte mich nicht. Mit Hilfe eines Brecheisens gelang es mir mühelos, die Steine zu lockern; nachdem ich
den Leichnam mit aller Vorsicht aufrecht gegen die innere Wand
gelehnt hatte, stützte ich ihn in dieser Stellung fest und füllte das
Mauerloch ohne Schwierigkeit wieder aus, genau so, wie es zuvor
gewesen war. Ich hatte mir in aller Stille Mörtel, Sand und Haar
zu verschaffen gewußt und stellte daraus einen Bewurf her, der von
dem der anderen Wände nicht zu unterscheiden war; mit diesem bestrich ich sehr sorgfältig die neue Vermauerung. Als ich damit fertig
war, fand ich zu meiner Befriedigung, daß nun alles in Ordnung
sei. Man sah der Mauer nicht im geringsten an, daß sie aufgebrochen worden war. Den Schutt am Boden hatte ich mit peinlichster
Sorgfalt entfernt. Triumphierend sah ich auf mein Werk und sagte
zu mir selbst: »Hier wenigstens ist deine Arbeit nicht umsonst gewesen.«
Das nächste, was ich nun tat, war, mich nach der Bestie umzusehen, die so viel Elend veranlaßt hatte, denn ich hatte ihr inzwischen
längst das Urteil gesprochen: sie mußte sterben! Hätte sie sich jetzt
vor mir blicken lassen, so wäre es zweifellos sofort um sie geschehen
gewesen; aber es schien, als ob das verschlagene Tier, noch beunruhigt durch meinen heftigen Wutanfall, es mit Absicht vermied, mir
in meiner gegenwärtigen Stimmung vor die Augen zu kommen. Es
ist unmöglich zu beschreiben oder auch nur sich vorzustellen, wie
tief beruhigend das Gefühl der Erlösung war, das ich über die Abwesenheit der verhaßten Katze empfand. Auch in der Nacht ließ sie
sich nicht blicken – und so schlief ich, seitdem ich sie in mein Haus
gebracht hatte, wenigstens eine Nacht hindurch tief und ruhig; ja,
ich schlief, selbst mit der Last des Mordes auf der Seele.
Der zweite und der dritte Tag vergingen, ohne daß mein Quälgeist zurückkehrte. Ich atmete wieder auf wie ein Befreiter. Der
Schrecken hatte das Ungeheuer für immer vertrieben. Ich sollte es
nie mehr erblicken! Meine Seligkeit war grenzenlos! Das Bewußtsein meiner schwarzen Tat störte mich nur wenig. Ein paar Nachfragen, die erhoben worden waren, hatte ich schlagfertig beantwortet. Selbst eine Haussuchung hatte stattgefunden – aber natürlich
war nichts zu entdecken gewesen. Ich brauchte also für die Zukunft
nichts mehr zu befürchten.
Am vierten Tage nach dem spurlosen Verschwinden meiner Frau
kam ganz unerwartet eine Polizeikommission und begann von neuem, alle Räumlichkeiten gründlich zu durchsuchen. Ich war jedoch
nicht im geringsten darüber beunruhigt, da ich sicher war, daß die
Leiche in ihrem geheimen Versteck nicht entdeckt werden konnte. Die Beamten forderten mich auf, sie bei der Durchsuchung zu
begleiten. Sie übersahen keinen Winkel, kein Versteck. Schließlich
stiegen sie zum dritten- oder viertenmal in den Keller hinab. Ich
blieb ruhig wie Stein. Mein Herz schlug so friedlich wie das eines
Menschen, der in Unschuld schläft. Ich folgte den Herren von einem Ende des Kellers bis zum andern. Die Arme über der Brust
verschränkt, ging ich festen Schrittes einher. Die Beamten waren
vollkommen beruhigt und schickten sich an, fortzugehen. Die Freude meines Herzens war zu groß – ich mußte sie irgendwie äußern!
Ich brannte darauf, wenigstens ein Wort des Triumphes auszurufen,
das zugleich aber auch die Herren in ihrer Überzeugung von meiner
Unschuld bestärken sollte.
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Sprachraum
»Meine Herren«, sagte ich, als sie bereits wieder die Kellerstufen
emporstiegen, »ich bin entzückt, Ihren Verdacht zerstreut zu haben. Ich wünsche Ihnen viel Glück und ein wenig mehr Höflichkeit. Nebenbei bemerkt, meine Herren, dies – dies ist ein sehr gut
gebautes Haus« (in dem verrückten Wunsch, irgend etwas Herausforderndes zu sagen, wußte ich kaum, was ich überhaupt redete), »ich möchte sagen, ein hervorragend gut gebautes Haus. Diese
Mauern – gehen Sie schon, meine Herren? –, diese Mauern sind
solide aufgeführt.« Und hier – rein aus tollem Übermut – schlug
ich mit einem Stock, den ich gerade bei der Hand hatte, kräftig auf
die Stelle des Mauerwerks, hinter der sich die Leiche meines einst
so geliebten Weibes befand.
Aber – möge Gott mir gnädig sein und mich retten aus den
Krallen meines Erzfeindes! – kaum war der Schall meiner Schläge verhallt, als eine Stimme aus dem Grabe mir Antwort gab. Es
war ein Schreien, zuerst erstickt und abgebrochen wie das Weinen
eines Kindes, dann aber schwoll es an zu einem ununterbrochenen, durchdringenden und unheimlichen Gekreisch, das keiner
menschlichen Stimme mehr zu vergleichen war – zu einem bald
jammervoll klagenden, bald höhnisch johlenden Geheul, wie es
nur aus der Hölle kommen kann, wenn das Wehklagen der zu ewiger Todespein Verdammten sich mit dem Frohlocken der Höllengeister zu einem Schall vereint.
Es ist wohl überflüssig, noch davon zu sprechen, was ich in diesem Augenblick empfand. Ohnmächtig taumelte ich an die gegenüberliegende Mauer. Die Leute auf der Treppe standen regungslos,
von Schreck und Entsetzen gelähmt. Im nächsten Moment aber
arbeitete ein Dutzend kräftiger Hände daran, die Mauer einzureißen. Sie fiel. Der schon stark in Verwesung übergegangene und
mit geronnenem Blut bedeckte Leichnam stand aufrecht vor den
Augen der Männer. Auf seinem Kopfe saß, mit weit aufgesperrtem
roten Rachen und dem einen glühenden Auge, die fürchterliche
Katze, deren teuflische Gewalt mich zum Mörder gemacht und
deren Stimme mich nun den Henkern überlieferte. Ich hatte das
Scheusal in das Grab mit eingemauert.
© wasser-prawda
99
Sprachraum
A.S. der Unsichtbare
Kriminalroman von Edgar Wallace. Aus
dem Englischen von Ravi Ravendro
12. Fortsetzung. Kapitel 19-21.
19
Andy hatte Glück, den Sergeanten gleich zu treffen, der zugegen
gewesen war, als Artur Wilmot das Haus betreten hatte.
»Nein, Sir, ich glaube, er war fast die ganze Zeit im Schlafzimmer. Er war überhaupt nicht lange hier«, erwiderte der Beamte auf
seine Frage.
Andy lief die Treppe hinauf, jedesmal zwei Stufen zugleich nehmend. Er hatte Merrivans Schlafzimmer schon drei- oder viermal
durchsucht. Rein gefühlsmäßig wußte er, daß das Geheimfach irgendwo in der Nähe des Bettes sein mußte. Das Wappen und die
Tudor-Rose zogen seine Aufmerksamkeit auf sich, da er bemerkte,
daß das eine flache Ende des Blumenblattes geradestand und mit
dem Bettpfosten einen rechten Winkel bildete, während es an dem
anderen Pfosten nach der Seite gedreht war. Er zog an der Rose,
und als das nichts half, versuchte er, sie zu drehen. Plötzlich knackte es, und eine Schublade öffnete sich.
Sie schien leer zu sein. Als er aber genauer hinschaute, sah er ein
Stück Papier, auf dem drei verschiedene Geldbeträge notiert waren. Die erste Zahl war 6700 Pfund, sie war durchgestrichen. Die
zweite 6500 Pfund, aber auch dieser Betrag war gestrichen und
darunter geschrieben: 6370 Pfund. Die Differenz zwischen den
beiden letzten Summen betrug 130 Pfund. Das war der Preis des
Brillantringes. Andrew war nun klar, daß in dieser Schublade auch
die Wechsel und die Heiratsurkunde jenes ehemaligen Dienstboten verborgen gewesen sein mußten und außerdem bestimmt noch
diese 6370 Pfund!
Merrivan war doch ein gewissenhafter Mann gewesen. Er hatte genau Buch geführt über das Geld, das im Geheimfach aufbewahrt wurde. Wenn er etwas davon genommen hatte, strich er die
alte Summe aus und schrieb den Betrag darunter, der übrigblieb.
Andy ging zu Stella zurück, er war jetzt viel zuversichtlicher. Sie
saß noch genauso da, wie er sie verlassen hatte.
»Andy, du wirst doch nicht wirklich deinen Abschied einreichen?« sagte sie, als er wieder in das Zimmer trat. »Ich werde den
ganzen Sachverhalt wahrheitsgetreu aufschreiben und dir dieses
Schriftstück übergeben.«
»Wie willst du denn Scotties Eingreifen erklären?«
Sie senkte den Kopf.
»Daran habe ich nicht gedacht.«
»Nein, meine Liebe, wir sind das beste Beispiel für das nette,
alte Sprichwort von den Betrügern, die sich in ihren eigenen Netzen fangen. Wir sind so miteinander verkettet, daß keiner von uns
ohne den anderen herauskommen kann. Aber ich werde meinen
Abschied trotzdem nicht nehmen. Wir wollen die Sache auf sich
beruhen lassen, bis ich höre, wie man in Scotland Yard darüber
denkt.«
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Zwischen dem Yard und der Redaktion des ›Megaphone‹ herrschte
eine alte Spannung. Andy erhielt also lediglich eine Aufforderung,
persönlich zum Yard zu kommen. Er sprach dort eine Stunde mit
seinem unmittelbaren Vorgesetzten. Das Ergebnis dieser Unterredung war, daß er sich nicht nur vollständig rechtfertigen, sondern
sogar seine Stellung festigen konnte. Und als er nach Beverley Green
zurückkehrte, fand er ein Schreiben von Downer vor, in dem sich
dieser halb und halb entschuldigte. Das war sonst nicht seine Art.
Mr. Nelson hatte inzwischen auch den Artikel gelesen. Er tobte.
Glücklicherweise traf er weder Downer noch Artur Wilmot. Scottie
versuchte, ihn zu besänftigen.
»Es ist einfach ungeheuerlich, Macleod«, rief er wütend. »Ich werde diese Kerle wegen Verleumdung verklagen. Am besten wäre es,
diesen Schuften den Schädel einzuschlagen!«
»Bezüglich der Klage können Sie natürlich tun, was Sie wollen«,
erwiderte Andy. »Immerhin würden Sie mich in eine sehr schwierige
Lage bringen, wenn Sie sich jetzt in die Sache einmischen wollten.
Ich werde schon etwas unternehmen, um Downers Ausführungen
zu entkräften. Er hat wahrscheinlich schon einen neuen, scharfen
Artikel für morgen zurechtgebaut, aber wenn ich mich nicht sehr
irre, wird er nicht gedruckt werden. Man kann einen Berichterstatter in derselben Weise angreifen wie einen Staatsanwalt. Man muß
nur die Glaubwürdigkeit ihrer Zeugen erschüttern. Und ich werde
jetzt Artur Wilmot einen Schrecken einjagen, an den er sein Leben
lang denken soll.«
Wilmot hatte in Downer einen klugen und urteilsfähigen Menschen gefunden. Er versicherte dem Journalisten verschiedene Male,
daß er keine schnellen Freundschaften schließe. Downer behauptete
natürlich, er habe diesen Eindruck auch gehabt. Sie speisten zusammen im Beverley-Hotel zu Abend.
»Ihr Artikel war ein wenig scharf, Mr. Downer.«
»Nein, ich glaube nicht«, sagte Downer gleichgültig, »Er bringt
allerdings die junge Dame in eine unangenehme Lage, aber wir haben doch zunächst einmal unsere Pflichten als Staatsbürger. Und
obgleich ich nicht annehme und niemals angenommen habe, daß
sie etwas von dem Mord weiß, hat sie sich doch recht sonderbar
benommen.«
»Das ist auch meine Meinung. Ich möchte nur betonen, daß ich
unter keinen Umständen als derjenige erscheinen möchte, der Ihnen
diese Informationen gegeben hat. Als ich Ihnen sagte, daß ich sie in
das Haus gehen sah, versprachen Sie mir hoch und heilig, meinen
Namen nicht zu erwähnen.«
»In Verbindung mit dieser Tatsache«, verbesserte Downer. »Sie
können versichert sein, daß ich nicht ein Wort über Sie schreibe,
das Sie auch nur im leisesten kompromittieren könnte. Sie haben
mir eigentlich noch nichts von Ihren Privatangelegenheiten erzählt,
Mr. Wilmot. Ich verstehe das; Sie sind eben einer dieser zurückhaltenden Menschen, die ihr Herz nicht auf der Zunge tragen, aber ich
vermute, daß diese junge Dame Sie nicht gerade sehr gut behandelt
hat.«
»Das ist richtig«, erwiderte Wilmot kurz. »Aber wir wollen nicht
darüber sprechen. Ich habe durchaus nichts gegen sie, und wie Sie
vorhin schon bemerkten, haben wir gewisse Pflichten als Bürger dieses Landes.«
»Ganz gewiß.«
Sie gingen langsam nach Beverley Green zurück und benützten
den Weg, der am weitesten von Nelsons Haus entfernt war. Downer
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wurde ein wenig ungeduldig. Er hatte eine ganze Anzahl von Tatsachen gesammelt, aber gerade dieses eine Mal brauchte er Wilmots
Erlaubnis, sie zu veröffentlichen, bevor er seinen Artikel abschicken
konnte. Später, wenn er erst alle Fäden in der Hand hatte, würde
er sich nicht mehr um seine Genehmigung oder Zustimmung zu
kümmern brauchen.
Es war schon spät, aber er nahm Artur Wilmots Einladung an,
noch auf ein paar Minuten zu ihm hinaufzukommen. Er wurde in
denselben Raum gebeten, in dem Andy den halbfertigen Damenhut
auf dem Tisch gesehen hatte.
Es war ein schönes Eckzimmer mit harmonischen Proportionen.
Zwei bunte Glasfenster waren in tiefe Nischen eingelassen und von
dunkelblauen Samtvorhängen verdeckt. Wilmot hatte die Wahrheit
gesagt, als er Andy erklärte, daß kein Dienstbote den Raum betreten durfte, denn er mußte die Tür erst aufschließen, bevor sie
hineingehen konnten.
»Nehmen Sie bitte Platz«, sagte Artur und drehte das Licht an.
»Der Stuhl drüben ist bequemer. Trinken Sie etwas?«
»Nein, danke. Ich habe noch viel vor. Nun erzählen Sie mir mal
etwas von der jungen Dame. Ich muß die Fortsetzung meines Artikels von gestern bringen. Haben Sie begründete Ursache zu der
Annahme, daß Macleod in das Mädchen verliebt ist?«
»Einen Augenblick«, erwiderte Wilmot, stand auf, ging zu den
zugezogenen Vorhängen am anderen Ende des Raumes und schob
sie beiseite. »Ich wußte es doch, ich habe einen Luftzug gefühlt –
das Fenster steht auf! Der Himmel mag wissen, wer es aufgemacht
hat.« Er schloß es, zog die Vorhänge wieder zu und setzte sich. »Das
ist nun gerade die Sache, die ich Sie bitten möchte, nicht zu berühren. Das Mädchen ist eben in dem Alter, in dem man leicht zu
beeinflussen ist, und er hat wahrscheinlich großen Eindruck auf sie
gemacht.«
»Also bestehen zwischen den beiden doch Beziehungen?« fragte
Downer schnell.
»Ja, es ist eine Art von« – Wilmot zögerte – »ich weiß nicht recht,
wie ich es ausdrücken soll. Er ist bedeutend älter als sie, und er hat
alle Tricks gebraucht, um ...«
»Nein, ich glaube kaum, daß man es so bezeichnen kann«, entgegnete Mr. Downer. »Sollen wir nicht lieber sagen, daß sich eine
Freundschaft zwischen ihnen entwickelt hat? Die Leser verstehen
schon, was ich damit sagen will. Ich möchte nämlich die Vorstellung hervorrufen, daß er sich mit dem Mädchen eingelassen hat.«
Es klopfte leise an die Tür, und ein Dienstmädchen trat ein.
»Mr. Macleod möchte Sie sprechen.«
Die beiden wechselten einen schnellen Blick, und Downer nickte.
»Bitten Sie ihn herein«, sagte Wilmot, dem es plötzlich sehr unbehaglich wurde.
»Guten Abend, Downer – guten Abend, Mr. Wilmot.«
Andy blieb an der Tür stehen und betrachtete sie.
»Wollen Sie nicht Platz nehmen?« fragte Wilmot nervös. »Sie kennen Mr. Downer?«
»Sehr gut sogar«, erwiderte Andy gelassen.
»Sie sind doch nicht etwa über meinen Artikel ärgerlich?« fragte
Downer mit gutgeheucheltem Erstaunen. »Sie sind schon zu lange
im Fach, um sich darum zu kümmern, was die Zeitungen sagen.«
»Dieser Herr ist also die Quelle Ihrer Informationen?« Andy wies
mit dem Kopf zu Wilmot hinüber.
»Das möchte ich nicht behaupten.«
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»Downer, Sie halten sich in Ihren Artikeln gewöhnlich so eng wie
möglich an die Wahrheit. Aber diesmal haben Sie einen Bericht losgelassen, der dazu bestimmt war« – Downer lächelte – »die Ziele der
Justiz zu durchkreuzen. Unterbrechen Sie mich nicht. Ich habe Ihnen so etwas noch nie sagen müssen, und ich hoffe, daß ich es nicht
wieder tun muß. Miss Nelson mag eine Klage gegen Ihre Zeitung
erheben, oder nicht, das steht in ihrem Ermessen. Wenn sie es aber
tut, dann wird es Ihre Zeitung zwanzigtausend Pfund kosten.«
»Mein Bericht geht auf eine zuverlässige Quelle zurück.«
»Sie meinen damit doch nicht etwa diesen Mann?« Andy zeigte auf den düster dreinschauenden Wilmot. »Ich werde Ihnen
gleich zeigen, wie sehr Sie sich auf ihn verlassen können.« Er trat
auf Arthur Wilmot zu und schaute verächtlich auf ihn hinunter.
»Ich bin gekommen, um mich nach dem Verbleib einer Summe von
6370 Pfund zu erkundigen, die aus einem Geheimfach in Mr. Merrivans Bett entwendet wurden.«
Wilmot sprang auf, als ob er einen Schlag bekommen hätte.
»Was – was?« stammelte er.
»Außerdem sind noch verschiedene Dokumente von Ihnen gestohlen worden!«
»Gestohlen?« wiederholte Wilmot mit schriller Stimme. »Wie dürfen Sie das sagen? Ich bin der Erbe meines Onkels!«
»Sie wurden von Ihnen gestohlen, ich sage es noch einmal mit
allem Nachdruck. Ob Sie der Erbe Ihres Onkels sind, wird das Gericht entscheiden. Es lag eine gewisse Heiratsurkunde dabei« – er
schaute Wilmot scharf an, als er sprach, und er bemerkte seine Verwirrung. »Ich glaube, daß Sie noch in ernste Schwierigkeiten kommen werden. Was haben Sie mir darüber mitzuteilen?«
Artur Wilmot atmete schwer, er war unfähig zu sprechen.
Andy wandte sich an den Journalisten.
»Wird es Ihnen nun klar, daß dieser Mann unter einem schweren
Verdacht steht und daß auch Sie eine Anzeige zu gewärtigen haben,
da Sie mit ihm unter einer Decke stecken, um eine unschuldige Frau
zu verdächtigen?«
»Ich habe mit der ganzen Sache nichts zu tun«, antwortete Downer. »Ich berichte nur die Tatsachen, die ich vorfinde.«
»Sie erfinden aber noch ein wenig dazu, Sie sind weit davon entfernt, objektiv zu sein, Downer. Im Gegenteil, Sie nehmen Partei.
Ich muß hieraus den Schluß ziehen, daß Sie von dem Diebstahl
wußten.«
»Ich würde mich doch an Ihrer Stelle hüten, von einem Diebstahl
zu reden«, unterbrach ihn Mr. Wilmot, der seine Fassung wiedergefunden hatte. »Ich gebe zu, daß ich verschiedene Dinge aus jener
Schublade genommen habe, aber das war der Wunsch meines Onkels.«
»Haben Sie denn die Sache seinem Rechtsanwalt gemeldet?« fragte
Andy trocken.
»Das war nicht nötig.«
»Das war sehr nötig«, verbesserte Andy.
»Ich nahm diese Dinge, weil ich fürchtete, sie könnten in die Hände der Dienstboten fallen.«
»Was lag denn noch in der Schublade?«
»Wenn Sie früher gekommen wären, hätte ich Ihnen alles übergeben«, lenkte Wilmot ein.
»Ich möchte wissen, was Sie genommen haben.«
»Einen Trauschein, eine Geldsumme – es kann der Betrag gewesen sein, den Sie nannten, obgleich ich ihn nicht nachgezählt habe
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–, dann noch eine Liste von Sicherheiten und –«, er machte eine
Pause und sprach dann mit besonderem Nachdruck weiter – »zwei
gefälschte Wechsel von Mr. Nelson zugunsten Albert Selims, die
von meinem Onkel akzeptiert waren. Aber die Unterschriften Mr.
Merrivans waren gefälscht. Diese Wechsel sind mir von einem Verbrecher gestohlen worden, der in Ihren Diensten steht. Wahrscheinlich sind sie vernichtet worden.«
»Wann war das?« fragte Andy.
»Vor zwei Tagen.«
»Haben Sie die Sache angezeigt?«
»Nein, Sie wissen sehr gut, daß ich das nicht getan habe.«
»Warum denn nicht?« fragte Andy kühl. »Das Gesetz schützt Sie
ebensogut wie jeden anderen. Sie erwarten doch nicht etwa, daß
ich Ihnen glaube, Sie hätten sich ruhig zwei wertvolle Dokumente
stehlen lassen und kein Wort davon gesagt, obwohl der ganze Ort
von Polizeibeamten wimmelt?«
Wilmot schwieg.
»Auf alle Fälle will ich die Sachen jetzt sehen. Wo sind sie?«
»Dort im Wandschrank«, sagte Wilmot mürrisch.
Er nahm einen Schlüsselbund aus der Tasche und begann daran
zu suchen.
»Wo zum Teufel ist denn der Schlüssel zum Safe?«
Wilmots Bestürzung war echt. Hastig ließ er einen Schlüssel nach
dem anderen durch die Finger gleiten.
»Der Schlüssel war heute nachmittag noch an dem Bund, als ich
zum Baden ging. Ich habe ihn nur einen Augenblick aus der Hand
gelegt.«
Er schob das Paneel beiseite, das den Geldschrank verdeckte.
»Die Tür ist ja gar nicht geschlossen«, sagte Andy.
Mit einem überraschten Ausruf öffnete Wilmot die Tür ganz und
faßte hinein.
»Großer Gott!« rief er erleichtert. »Ich dachte, jemand habe sie
gestohlen!«
Er warf die Brieftasche auf den Tisch.
»Und die anderen Dokumente?«
»Hier ist die Liste der Sicherheiten und hier ...« er suchte und tastete noch einmal. Andy sah, daß er verstört war. »Aber ich kann einen
Eid darauf leisten, daß ich ihn hierhergelegt habe.«
»Was denn?«
»Der Trauschein ist verschwunden!«
Andys Blick fiel in diesem Moment zufällig auf die Tür. Zwischen
dem Türrahmen und den dunkelblauen Samtvorhängen, welche da
ein Fenster verdeckten, war der Lichtschalter angebracht. Andy sah,
wie eine Hand hinter dem Vorhang hervorkam und sich zum Schalter hinbewegte. Er war starr vor Erstaunen. Plötzlich hörte man ein
Knacken, und der Raum lag vollkommen im Dunkeln. Im nächsten Augenblick blitzte eine Taschenlampe auf.
»Rühren Sie sich nicht von der Stelle!« rief eine heisere Stimme.
»Wenn Sie es tun, schieße ich Sie sofort nieder, wer es auch gerade
sein mag!«
»Wer sind Sie?« fragte Andy.
»Mein Name ist Albert Selim.«
Schon hatte sich die Tür geöffnet und wieder geschlossen. Sie hörten, wie der Schlüssel umgedreht und gleich darauf die Haustür
zugeschlagen wurde.
Andy sprang zu dem Fenster, das nach der Straße zu lag, und riß
den Vorhang beiseite. Aber durch die bunten Glasfenster hätte man
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auch am hellen Tag nichts erkennen können. Er riß das Fenster auf
und sah hinaus. Von dem Einbrecher war nichts mehr zu sehen.
»Das ist wieder so ein Abenteuer Ihres Freundes Scottie«, sagte
Wilmot zähneknirschend.
Andy wandte sich ihm zu.
»Mein Freund Scottie, wie Sie ihn zu nennen belieben, hätte kaum
sechstausend Pfund in Ihrem Geldschrank gelassen. Außerdem hat
er nicht so gepflegte Hände wie der Mann, der das Licht ausschaltete.«
Auf Andys schrillen Pfiff stürzte ein Polizist herbei.
»Schicken Sie den Sergeanten zu mir und rufen Sie Ihre Station an, daß alle Leute zu einer Durchsuchung des Geländes ausgeschickt werden. Sehen Sie zu, daß Sie jede mögliche Unterstützung
bekommen – aber machen Sie schnell!«
20
Um diese Zeit hätte Scottie ausgegangen sein können, aber zufällig
hatte er Stella geholfen, Kenneth Nelsons neues Gemälde einzupacken. Er habe das Haus den ganzen Abend nicht verlassen, erzählte
Stella. Der Detektiv ging zu Wilmot zurück. Downer war inzwischen
gegangen.
»Ich will das Geld an mich nehmen«, sagte Andy und hob die
Brieftasche auf. »Und nun sagen Sie mir alles, was Sie von dem
Trauschein noch wissen.«
»Glauben Sie wirklich, daß es Albert Selim war?«
»Ich bin sicher, daß es der Mann war, der Mr. Merrivan tötete«,
erwiderte Andy kurz. »Er bedrohte uns mit derselben Waffe, mit der
er den Mord beging.«
Mr. Wilmot schauderte.
»Der Trauschein beurkundete eine Heirat zwischen einem gewissen John Severn und einem Dienstmädchen namens Hilda Masters.
Die Ehe wurde vor etwa dreißig Jahren geschlossen und in der St.Pauls-Kirche, Kensington, eingesegnet.«
Andy notierte sich diese Einzelheiten.
»Erschien der Name Ihres Onkels in irgendeiner Weise auf der
Urkunde?«
Wilmot schüttelte den Kopf.
»Sie kennen John Severn nicht? Hat Ihr Onkel Ihnen gegenüber
nie den Namen erwähnt?«
»Nein. Ich möchte Ihnen aber noch etwas wegen des Geldes sagen, Macleod. Ich will nicht in Ungelegenheiten kommen, wenn es
sich vermeiden läßt. Ich habe es wirklich nur genommen, um es in
Sicherheit zu bringen. Wie sind Sie denn dahintergekommen?«
»Sie kennen meine Methoden, Wilmot«, erwiderte Andy sarkastisch. »Die ganze Sache kann für Sie sehr übel werden. Ich gebe
Ihnen den guten Rat, um Downer einen weiten Bogen zu machen.
Der hat mit Ihnen kein Erbarmen und wird Sie ebenso verraten, wie
er Albert Selim verraten würde, wenn er ihn fangen könnte.«
Ein ähnlicher Gedanke war Wilmot auch schon gekommen.
»Wegen der Verleumdungsklage ist auch Downer nicht ganz
wohl«, meinte er. »Ich glaube, in seinem nächsten Artikel wird er
zahmer sein. Außerdem wird ihm ja auch Selim genügend Stoff dafür geben.«
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Sprachraum
Andy war derselben Ansicht. Er sprach noch einmal bei Stella vor,
ehe er ins Gästehaus ging. Scottie hatte sich schon zur Ruhe gelegt,
er war direkt musterhaft geworden.
»Alle Leute in Beverley sind über den Artikel sehr aufgebracht
und haben mir ihre Anteilnahme ausgedrückt«, sagte Stella. »Ich
habe noch nie soviel Besuch gehabt wie heute. Sheppards waren
hier, Masons, sogar die Gibbs, die doch so ruhige Leute sind. Alle
sind sehr ungehalten über Artur Wilmot. Was wird die Zeitung
wohl morgen bringen?«
»Sehr wenig. Downer wird über den Einbruch in Wilmots Wohnung berichten und den Besuch dieses geheimnisvollen Albert Selim mit allen Einzelheiten schildern. Er wird auch die Gelegenheit
wahrnehmen, sich zu verteidigen. Man droht in ähnlichen Fällen
den Zeitungen häufig mit Verleumdungsklagen. Downer wußte,
daß er den Bogen überspannt hatte. Ich habe schon gemerkt, daß er
etwas nervös war, als ich heute seinen Brief erhielt. Es gehört schon
viel dazu, ihn nervös zu machen, aber wahrscheinlich waren ihm
schon selbst Zweifel an der Glaubwürdigkeit Wilmots gekommen.«
Die Schleier, die über dem geheimnisvollen Mord von Beverley
Green lagen, wurden immer dichter und undurchdringlicher. Auch
Albert Selims Erscheinen brachte Andy der Lösung keinen Schritt
näher. Warum hatte der Mann sich einer so großen Gefahr ausgesetzt, nur um einen offensichtlich wertlosen Trauschein in seinen
Besitz zu bringen? Wer war dieser John Severn, und wer war das
Dienstmädchen Hilda Masters?
Ins Gästehaus zurückgekommen, erhielt er von Zeit zu Zeit telefonische Berichte von den Polizeibeamten, die die Gegend nach
dem Fremden absuchten. Die Polizei der Nachbarorte unterstützte
sie. Die Hauptstraßen wurden abpatrouilliert und die Nebenwege
überwacht. Mit der kleinen Mannschaft konnte man allerdings das
offene Land nicht absperren, damit mußte bis zum Tagesanbruch
gewartet werden.
Um ein Uhr nachts trat er kurz vor die Tür, um ein wenig frische
Luft zu schöpfen. Das Zimmer bedrückte ihn, und er hatte Kopfschmerzen bekommen.
In Beverley Green war um diese Zeit jedes Haus dunkel, auch aus
Stellas Zimmer drang kein Lichtschein.
Inspektor Dane kam eben mit dem Rad an, um ihm den letzten
Bericht persönlich zu überbringen.
»Wir haben jedes Auto zwischen hier und Cranford Corner angehalten. Glauben Sie, daß es ratsam wäre, eine Durchsuchung sämtlicher Häuser von Beverley Green vorzunehmen?«
»Ich wüßte nicht, warum. Sollte Selim tatsächlich ein Bewohner
des Ortes sein, so könnten wir das durch eine Haussuchung auch
nicht feststellen. Außerdem wäre es gesetzwidrig, wenn wir nicht
die nötigen Befehle aus London haben. Vielleicht ...«
Andy wurde plötzlich unterbrochen, denn durch die Stille der
Nacht tönte ein Schuß. Gleich darauf fielen ein zweiter, ein dritter
und nach kurzer Zeit noch ein vierter. Sie kamen aus der Richtung
der Hügel jenseits des Ortes.
»Wilddiebe können es nicht gut sein«, meinte Inspektor Dane.
»Wilddiebe benützen gewöhnlich keine Pistolen.«
Das Telefon im Gästehaus klingelte stürmisch. Die Haustür war
offen geblieben, und sie hörten es schon, bevor Johnston herausgestürzt kam, um Andy zu rufen.
»Mr. Salter ist am Apparat. Er möchte Sie dringend sprechen!«
Andy lief hinein und nahm den Hörer auf.
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»Sind Sie es, Mr. Macleod? Haben Sie die Schüsse gehört?«
»Jawohl.«
»Ich habe geschossen. Es ist ein Raubüberfall auf Beverley Hall gemacht worden. Jemand versuchte einzubrechen. Er ist in Richtung
Spring Covert entflohen. Können Sie herkommen?«
Andy holte seinen Wagen aus der Garage und fuhr mit Inspektor
Dane in schnellstem Tempo die Hauptstraße entlang.
Mr. Salter sah blaß und angegriffen aus. Er trug einen Schlafrock
über dem Pyjama und erwartete die Beamten in seiner Bibliothek.
»Es tut mir leid, daß ich Sie stören mußte, Macleod«, begann er.
»Haben Sie den Mann zu Gesicht bekommen?« fragte Andy
schnell.
»Ich konnte ihn nur von hinten sehen. Er muß mindestens schon
eine halbe Stunde im Haus gewesen sein, bevor ich ihn hörte. Ich
hätte ihn wahrscheinlich gar nicht bemerkt, wenn er nicht die
Frechheit besessen hätte, in mein Schlafzimmer zu kommen.«
Salter zeigte ihnen das Fenster, das aufgebrochen worden war. Es
gehörte zu dem kleinen Arbeitszimmer neben der Bibliothek.
»Er war auch in der Bibliothek. Sehen Sie, diese Schubladen sind
gewaltsam geöffnet worden.«
Die Fächer waren ganz herausgezogen, ihr Inhalt auf den Boden
verstreut.
»Vielleicht glaubte er, hier Geld zu finden. Aber ich bewahre hier
nichts Wertvolles auf.«
»Ist er auch in anderen Räumen gewesen?«
»Ich glaube, er war auch im Zimmer meines Sohnes – er ist augenblicklich nicht hier, er studiert in Cambridge –, aber das kann ich
nicht genau sagen.«
Er führte sie ins obere Stockwerk, aber hier war alles in bester
Ordnung, obgleich die Tür zum Zimmer des jungen Salter offenstand.
»Es ist sehr leicht möglich, daß er zuerst diesen Raum mit dem
meinen verwechselte. Mein Schlafzimmer liegt direkt gegenüber.
Ich weiß nicht, wovon ich aufwachte. Vielleicht quietschte die Tür,
obwohl sie regelmäßig geölt wird. Ich setzte mich im Bett aufrecht
und hörte noch das Geräusch seiner Schritte, dann war er fort. Als
ich aus der Tür herauskam, sah ich ihn noch einen kurzen Augenblick am anderen Ende des Ganges. Ich lief die Treppe hinunter
und rief nach Tilling. Ich habe ihn dann noch einmal gesehen, als
er durch das Bibliotheksfenster stieg. Ich habe stets eine Pistole in
meinem Zimmer, und ich schoß hinter ihm her, als er die Stufen der
Terrasse hinunterlief und im Dunkeln verschwand.«
»Hörten Sie ihn nicht sprechen?«
Mr. Salter schüttelte den Kopf.
Es war das Werk eines erfahrenen Einbrechers, das erkannte Andy
sofort. Und wenn er nicht absolut sicher gewesen wäre, daß Scottie in diesem Augenblick den Schlaf des Gerechten schlief, hätte er
schwören mögen, daß er den Einbruch verübt hatte.
Aber dieser Einbrecher hatte offenbar keinen festen Plan gehabt.
Scottie hätte auch keine Papiere aus den Schubladen herausgeworfen und obendrein noch Salter in seinem Schlafzimmer gestört.
Man ging wieder in die Bibliothek zurück.
»Das ist der zweite Raubüberfall heute abend in Beverley Green«,
sagte Andy und erzählte von dem Vorfall bei Wilmot.
»Albert Selim?« meinte Mr. Salter nachdenklich. »Ich möchte
mich Ihrer Theorie fast anschließen, Mr. Macleod.«
»Vermissen Sie etwas?«
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»Ich glaube kaum, es befand sich nichts in der Bibliothek, das sich
zu stehlen lohnte, höchstens ein paar Pachtverträge, die ihn aber
schwerlich interessiert haben können.«
»Was ist denn das?«
Andy ging zum Kamin. Er war leer, da das Wetter ungewöhnlich
warm war, aber auf der Feuerstelle lag die Asche von verbranntem
Papier! Wieder eine Parallele zu der Ermordung Merrivans!
»Haben Sie etwas verbrannt?«
»Nein. Ist die Schrift noch erkennbar – manchmal ist das ja der
Fall.«
Andy kniete nieder und beleuchtete die Asche mit seiner Taschenlampe.
»Nein, es ist leider fast nichts mehr zu erkennen.« Vorsichtig nahm
er ein größeres Stückchen verbrannten Papiers heraus und brachte
es zum Tisch.
»Es sieht aus wie ›RYL‹, meinte er. »Eine sonderbare Kombination
von Buchstaben.«
»Es könnte Orylbridge geheißen haben«, erwiderte Boyd Salter.
»Ich habe dort Grundeigentum.«
Bei diesen Worten hob er einige Papiere vom Fußboden auf.
»Es ist mir jetzt unmöglich, alle Dokumente zu ordnen und zu
sehen, was fehlt. Vielleicht kommen Sie morgen früh noch einmal,
Doktor.«
Andy wartete noch, um den Bericht zweier Parkwächter entgegenzunehmen, die aufgestanden waren und die Gegend abgesucht
hatten.
»Dieser Fall geht mir langsam auf die Nerven, Dane«, sagte er, als
der Wagen den Hügel hinunter zum Parktor fuhr. »Eins ist sicher:
In diesem Tal verbirgt sich irgendwo ein Mörder, mag er nun Albert
Selim oder sonstwie heißen. Offenbar ist er von hier. Es gibt keine
andere Erklärung für seine Schnelligkeit und Sicherheit. Er kennt
hier jeden Zoll Boden, und er sucht nach irgend etwas. Er tötete
Merrivan, um es zu finden, er tötete Sweeny, weil ihm der zufällig
im Obstgarten über den Weg lief. Er brach in Beverley Hall ein, um
auch dort zu suchen. Aber warum hat er in beiden Fällen Papiere im
Kamin verbrannt?«
»Wo hätte er sie sonst verbrennen sollen?« fragte Inspektor Dane.
»Der Kamin war doch in beiden Fällen ganz in der Nähe.«
Andy erwiderte nichts darauf.
Er erinnerte sich jetzt daran, daß er auch ein drittes Mal verbranntes Papier gesehen hatte. Stella hatte sich in derselben Weise der
Dinge entledigt, die sie vernichten wollte.
Um halb drei verabschiedete er sich von dem Polizeiinspektor. Im
Osten dämmerte schon der neue Tag, als er in sein Zimmer kam.
Er warf noch einen Blick zu dem Haus Nelsons hinüber und blieb
erschrocken stehen. Stella mußte wach sein, denn er sah Licht durch
ihre Jalousien schimmern.
Er wartete fast eine volle Stunde. Erst als es ganz hell geworden
war, wurde drüben das Licht ausgemacht.
Andrew seufzte und ging zu Bett.
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Scottie kam am Morgen, noch bevor Andy aufgestanden war. Er
hatte die Hände in den Hosentaschen und sah sehr unzufrieden aus.
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»Hallo, Scottie«, sagte Andy und stützte sich auf den Ellenbogen.
»Was gibt‘s?«
»Nichts, nur die allgemeine Moral gefällt mir hier nicht.« Scottie
setzte sich. »Ich gehe wieder in die Stadt, Macleod. Hier ist es mir
zu aufregend. Sie machen sich hier auch nur einen schlechten Namen. Ich habe diesen Federfuchser, diesen Downer, heute morgen
getroffen. Er sagte, das sei der schlechteste und undankbarste Fall,
der ihm je untergekommen ist, und er habe einen guten und aussichtsreichen Mord dafür weggegeben.«
»Haben Sie seinen Artikel in der Zeitung gesehen?«
Scottie nickte.
»Er ist sehr zahm, Macleod. Er sah, in welche Gefahr er sich gebracht hatte, und außerdem sprang doch dieser maskierte Mann
hinter dem Vorhang hervor und bedrohte ihn mit der Waffe.«
»Ob er maskiert war oder nicht, weiß niemand. Ich glaube es
nicht. Was hat er über Miss Nelson geschrieben?«
»Er hat sie freigesprochen. Es sei alles zufriedenstellend aufgeklärt
worden. Er entschuldigte sich fast in dem Artikel.«
»Dann geht er also fort?« fragte Andy befriedigt.
Scottie schüttelte den Kopf. »Das sagt er bloß. Er wird sicher noch
eine Woche hierbleiben!« Er ging zur Tür. »Vielleicht komme ich
noch mal zurück, Macleod. Auf Wiedersehen.«
Er war gegangen, bevor Andy ihn fragen konnte, ob Stella Nelson
schon zu sprechen sei.
Andy war nun auf dem toten Punkt angekommen, er war in eine
Sackgasse geraten. Er würde bald nach London zurück müssen, und
der Mord würde dann unter die ›unaufgeklärten Fälle‹ eingereiht
werden.
Das eigentliche Geheimnis lag in der Verkettung, die Darius Merrivan, Albert Selim und den Mörder miteinander verband.
Andy wollte gerade Stella aufsuchen, als ein Telegramm von Scotland Yard eintraf.
›Kommen Sie sofort zurück. Wentworth verschwunden. Geschäftsmann Ashlar Building. Nachforschungen bei Bank ergaben
hohes Konto. Grund zu Annahme, daß Selim und Verschwinden
Wentworth in Zusammenhang.‹
Andy hatte schon verschiedenes über den Stand der Firma erfahren, bevor er die Stenotypistin befragte.
»Am letzten Freitag war er zum letztenmal hier«, sagte sie niedergeschlagen, »er hat mir mein Gehalt ausgezahlt und Geld für die
Portokasse und andere Kleinigkeiten gegeben. Er sagte, daß er am
Montag oder Dienstag wiederkommen werde. Ich sprach mit ihm
über das Geschäft, denn wir tun eigentlich überhaupt nichts. Ich
fragte ihn, wie lange dieser Zustand noch anhalten könne, bevor
er das Büro ganz schließen würde. Aber er war guter Laune und
erwiderte, daß er mir bald etwas Angenehmes mitteilen könne. Er
sagte das in der scherzhaften Art, in der er stets mit mir zu sprechen
pflegte.«
»Sie wissen, wo er wohnt?«
»Nein. Ich vermute nur, daß er sich häufig in Hotels aufhält. Er
schrieb ein paarmal, wenn er abwesend war, und gab als Absender
immer ein Hotel an, obwohl ich ihm nie Briefe nachsandte. Ich erinnere mich noch an eine andere Bemerkung, die er machte, als ich
ihn das letztemal sah. Er sagte, es sei doch merkwürdig, daß man
nie etwas von Mr. Selim zu sehen bekäme.«
»Erinnern Sie sich an ein Hotel, von dem aus er Ihnen schrieb,
und wissen Sie, an welchem Datum er den letzten Brief absandte?«
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»Ich habe die Korrespondenz aufbewahrt. Ich dachte schon, daß
Sie danach fragen würden.«
Andy durchblätterte kurz die Briefe. Es waren bekannte Hotels in
den verschiedensten Teilen Englands. Er notierte die Namen.
»Haben Sie eine Fotografie von Mr. Wentworth?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Wie sah er denn aus?«
In diesem Punkt war sie sehr unsicher, sie war selbst erst neunzehn
Jahre und hielt jeden Mann über Fünfunddreißig für ›alt‹.
Er ging etwas gebeugt, erinnerte sie sich, und trug eine große
Hornbrille. Von seinen Geschäften wußte sie fast gar nichts, sie war
auch erst seit einem Jahr bei ihm angestellt. Sie kannte auch keine
anderen Firmen, mit denen er irgendwelche Geschäfte getätigt hatte. Sie schickte nie Rechnungen aus, und offenbar war ihre einzige
Aufgabe, Besucher zu empfangen, die nicht erschienen und Auszüge aus der Tagespresse über die Lebensmittelbörse zu machen. Sie
zeigte eine Menge Blätter, die sie im Lauf der Zeit zusammengestellt
hatte. Jeden Freitagnachmittag erhielt sie pünktlich ihr Gehalt.
Andy suchte die beiden Londoner Hotels auf, die auf seiner Liste standen. Die Fremdenbücher wurden nachgeschlagen, und man
fand tatsächlich, daß Mr. Wentworth an den betreffenden Daten
dort gewohnt hatte. Aber die Hotelangestellten wußten auch nichts
Näheres über ihn, für sie war er nur eine Nummer.
Andy ging zu Scotland Yard zurück und berichtete.
»Wentworth und Albert Selim sind ein und dieselbe Person«, sagte
er. »Wentworth & Wentworth ist eine Schwindelfirma und hat nur
den Zweck, Selim Zutritt zum Gebäude zu verschaffen. Erinnern
Sie sich daran, daß Selims einziger Angestellter nur zwischen elf
und ein Uhr im Büro sein durfte? Wentworth selbst erschien im
Ashiar Building nie vor zwei und auch nur an bestimmten Tagen.
Der Sekretär Selims hatte dann frei. Für Wentworth war es eine
leichte Sache, in Selims Büro zu gehen, die Briefe zu holen und
dann wieder in den Räumen der Firma Wentworth & Wentworth
zu erscheinen. Wentworths Bankier hat mir gesagt, daß er etwa ein
Dutzend große Kästen voll Dokumente hat. Die werden es uns vielleicht möglich machen, die Identität endgültig festzustellen.«
»Hat Wentworth Geld von der Bank abgehoben, seitdem er verschwunden ist?«
»Dieselbe Frage habe ich auf seiner Bank auch gestellt, und man
sagte mir, daß das nicht der Fall ist. Das ist sehr leicht erklärbar.
Albert Selim wußte, daß wir sofort in sein Büro gehen würden. Er
vermutete vielleicht auch, daß wir den Zusammenhang zwischen
ihm und Wentworth durchschauten. Wenn er nun als Wentworth
einen Scheck von der Bank zog, setzte er sich der Gefahr aus, gefaßt
zu werden.«
Andy erhielt die notwendige Vollmacht, um zu den Depots von
Wentworth Zutritt zu erhalten. Er saß den ganzen Nachmittag bis
in die Nacht hinein im Privatbüro des Bankdirektors und prüfte
den Inhalt von sechs übervollen Stahlkassetten.
Seine Tätigkeit wurde erleichtert, als er entdeckte, daß zwei Kästen die Akten der eigentlichen Firma Wentworth enthielten. Offenbar hatte Selim das Geschäft vor einigen Jahren aufgekauft, das
schon damals nicht gut ging. Aber unter seiner Leitung waren die
Verhältnisse immer schlimmer geworden. Er hatte ja auch keine
Veranlassung, Geld durch legitimen Handel zu verdienen, wenn er
einen viel leichteren Weg gefunden hatte, zu Reichtum zu kommen.
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Dieser Weg brachte zwar einige Gefahren mit sich, aber er warf ungeheure Verdienste ab.
Die anderen Stahlkassetten waren gefüllt mit Besitzurkunden und
alten Verträgen, die alle zugunsten Albert Selims lauteten.
Dieser Mann schien in allen Teilen des Landes Besitzungen zu
haben, hier eine Farm, dort ein Haus, an einer anderen Stelle eine
Kohlenmine. Andy fand auch Einzelheiten über erworbene Schürfrechte, Details über eine Zuckerplantage in Westindien und viele
andere Dokumente, die den ungeheuren Reichtum Selims bekundeten.
Es war beinahe Mitternacht, als der letzte Stapel Akten auseinandergenommen und durchgesehen wurde. Andy entdeckte plötzlich
einen bekannten Namen auf einem alten Vertrag.
›John Aldayn Severn.‹
Severn!
Der Vertrag war zwischen Albert Selim auf der einen Seite, ›hierin
später der Verleiher genannt‹, und John Aldayn Severn auf der anderen Seite geschlossen. Als Andy las, staunte er mehr und mehr über
die ungewöhnlichen Bedingungen, die hier festgelegt waren. Die
Abmachung besagte, daß der Verleiher dem ihm unbekannten Severn lebenslänglich eine Summe von fünftausend Pfund jährlich zur
Verfügung stellte. Severn beurkundete, daß er an Selim regelmäßig
die Hälfte seiner Einkünfte zahlen werde, falls er einen Besitz erbte,
aus dem er Einnahmen habe, und zwar würde er diese Zahlungen
›für ihm erwiesene besondere Dienste‹ leisten. Auf die Erbschaft
selbst war nicht näher eingegangen.
Andy schaute das Dokument nachdenklich an. Es war fünf Jahre
nach Severns Heirat datiert, wenn Artur Wilmots Angaben richtig
waren. Hatte Severn wohl jemals eine Summe erhalten? Und, wenn
ja, hatte er den Vertrag erfüllt?
Der Bankdirektor hatte zwei Angestellte zurückgelassen, die Andy
bei seinen Arbeiten behilflich waren. Alle Unterlagen, die Selims
Konto betrafen, standen zu seiner Verfügung, aber es war schwer,
die Herkunft aller Eingänge festzustellen.
Andy las den Vertrag noch einmal genau durch. Die Zahlungen
sollten jeweils am 1. März und 1. September geleistet werden. Er
ging wieder die Eingänge während der letzten zwanzig Jahre durch.
Am 1. März und 1. September jeden Jahres waren auf Selims Konto Summen eingezahlt worden, die zwischen sieben- und neuntausendfünfhundert Pfund schwankten. Also hatte Severn tatsächlich
seine jährlichen Zahlungen bekommen und selbst vereinbarungsgemäß gewisse Summen an Selim abgeführt.
Das ist der Mann, den ich suche, sagte sich Andy. Wenn ich Severn habe, werde ich auch Selim finden.
Am nächsten Morgen durchsuchte er sorgfältig alle Adreßbücher
von Grundbesitzern, die er finden konnte. Der Name Severn erschien dreimal, aber in jedem Fall handelte es sich nur um kleinen Besitz, und Andys telegrafische Anfragen waren ergebnislos. Er
konnte über die Person von John Aldayn Severn, der in dem Vertrag
erwähnt war, nichts ermitteln. Der Name war in der Gegend von
Beverley vollkommen unbekannt. Aber Andy besann sich, daß es ja
einen Mann gab, der ihm Auskunft geben konnte.
Mr. Boyd Salter war so etwas wie eine Autorität auf diesem Gebiet, er kannte sehr viele Gutsbesitzer. Andy machte ihm an dem
Morgen, als er nach Beverley zurückkam, sofort einen Besuch.
»Ich glaube, daß der Severn, den Sie suchen, vor einigen Jahren
nach Australien ausgewandert ist. Ich sagte Ihnen schon, daß es ei-
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nem meiner Freunde einmal sehr schlecht erging, als er sich in den
Klauen des Wucherers Selim befand. Der Mann, den ich damals
erwähnte, war Severn. Ich kannte ihn sehr gut, und ich wußte auch,
daß er von dem Geldverleiher ausgesogen wurde.«
»Warum hat Merrivan aber Severns Trauschein aufbewahrt?«
»Keine Ahnung! Da wir gerade von Merrivan sprechen, ich habe
den Einbrecher tatsächlich verwundet.«
»Das interessiert mich sehr – woher wissen Sie das?«
»Wir fanden am nächsten Morgen einige Blutspuren an einem
Blatt. Während Ihrer Abwesenheit habe ich mir erlaubt, Inspektor
Dane davon in Kenntnis zu setzen; soviel ich weiß, sind seine Anfragen bei den Ärzten der Umgegend erfolglos gewesen.«
Andy fuhr nicht im Auto nach Beverley Green zurück, sondern
ging zu Fuß. Er ließ seinen Wagen durch den Chauffeur Salters zum
Gästehaus bringen und folgte selbst der vermutlichen Spur des Diebes. Madding, der Parkwächter, zeigte ihm die Stelle, wo die Blutspuren gefunden worden waren. Er betrachtete das rote Baumblatt;
auch die Zweige der Sträucher in der Nähe waren mit Blut befleckt.
Andy ging auf dem Waldweg nach Beverley Green zurück. Er
kam durch den Obstgarten, in dem Sweeny gefunden worden war.
Sein Weg führte ihn am Tennisplatz vorbei, und er gelangte schließlich auf dem Umweg über Merrivans Grundstück zur Hauptstraße.
Er läutete an Stellas Tür, ein Dienstmädchen öffnete ihm.
»Miss Nelson ist nicht zu Hause, Sir.«
»Wo ist sie denn hingegangen?« fragte Andy erstaunt.
»Würden Sie nicht lieber mit Mr. Nelson sprechen? Er ist im Atelier. Sie kennen ja den Weg.«
Andy fand den Maler, der ganz verstört vor seiner Arbeit saß. Nelson begrüßte seinen Gast herzlich.
»Sie wissen gar nicht, wie froh ich bin, daß Sie wieder zurück sind,
Macleod. Ich bin in großer Sorge.«
»Wo ist Stella?«
»Sie sollte eigentlich bei ihren Tanten sein«, erwiderte Nelson.
»Wie – sie sollte sein – ist sie denn nicht dort?«
»Ich schickte ein Telegramm und fragte an, wann sie zurückkommen würde, und meine Schwester antwortete, daß sich Stella nur
einen Nachmittag dort auf gehalten, habe und in Geschäften nach
dem Norden weitergereist sei.«
»Das wird auch stimmen«, meinte Andy erleichtert.
Er hätte nicht sagen können, was er eigentlich erwartet hatte, aber
die Nachricht klang nicht beunruhigend. Er verstand, daß Stella
ihren Vater nicht ins Vertrauen zog, selbst wenn es sich um sein
eigenes Wohl handelte.
»Das würde mich ja auch nicht bedrücken«, sagte Nelson, als ob
er Andys Gedanken erraten hätte. »Ich werde Ihnen zeigen, warum
ich so besorgt bin.«
Er ging mit dem verwunderten Andy die Treppe hinauf und öffnete die Tür zu einem hübschen, kleinen Schlafzimmer.
»Dies ist Stellas Zimmer«, erklärte Nelson überflüssigerweise,
denn Andy kannte die Lage ja ganz genau.
»Ich ging an dem Tage, als sie abreiste, herauf – Sie fuhren übrigens an demselben Tag in die Stadt. Ich wollte ein paar weiche
Lappen holen – Stella verwahrt immer einige für mich. Aber der
Schrank war zugeschlossen. Glücklicherweise hatte ich einen passenden Schlüssel. Das erste, was ich sah, als ich die Tür öffnete, war
das.«
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Er reichte zu einem Wandbrett hinauf und nahm ein kleines Bündel Leinen- und Mullstücke herab, die voll braunroter Flecken waren.
»Und sehen Sie einmal hier.«
Er zeigte auf den Fußboden, wo man deutlich Blutspuren sehen
konnte.
»Und dort am Rand der Waschschüssel waren auch Flecke. Sie
muß sich geschnitten haben, ohne mir etwas davon zu erzählen.
Wahrscheinlich hat sie sich an der Hand verletzt. Sie kann sich selbst
verbinden, denn sie hat während des Krieges einen Krankenschwesterkurs mitgemacht. Sie hat sich damals sehr dafür interessiert.«
Andy starrte auf die Bandagen, ohne sie zu sehen. Er erinnerte
sich plötzlich an das Licht, das er nach dem Raub in Beverley Hall
in Stellas Zimmer gesehen hatte. An die Blutspuren, die im Park
gefunden worden waren. Es war doch unmöglich, daß Stella diesen
Einbruch begangen hatte! Aber ihr plötzliches Verschwinden bestätigte fast seinen Verdacht. Warum war sie so unerwartet abgereist?
»Haben Sie Stellas Hand gesehen, als sie fortging?«
»Nein, sie hatte sie im Muff. Es war schon sonderbar, daß sie an einem so warmen Tag überhaupt einen Muff trug. Ich erinnerte mich
sofort daran, als ich das blutige Verbandzeug hier oben fand. Sie
schien auch sehr nervös zu sein, was doch sonst nicht ihre Art ist.«
»Ich gebe mich geschlagen«, sagte Andy verzweifelt.
Noch am selben Nachmittag packte er seinen Koffer. Er warf
noch einen letzten Blick auf das Tal zurück, bevor er die Richtung
nach London einschlug.
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Prudenci Bertrana:
Josafat oder Josafat oder Unsere Liebe Frau von der Sünde
86 Seiten 14,8 x 21,0 cm;
ISBN: 978-3-943672-20-6
11,00 EUR (D)
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Jürgen Buchmann:
Lüneburger Trilogie.
96 Seiten; 14,8 x 21 cm;
ISBN: 978-3-943672-09-1
10.00 EUR (D)
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Uwe Saeger:
Ein Mensch von heute
92 Seiten; 14,8 x 21 cm
ISBN: 978-3-943672-17-6
10,00 EUR (D)
(Auch als E-Book erhältlich.)
Angelika Janz:
tEXt bILd. Ausgewählte Werke 1: Visuelle Arbeiten und
Essays
120 Seiten; 14,8 x 21 cm; 11,95 EUR (D)
ISBN: 978-3-943672-09-1
11,95 EUR (D)