FIDIC Red Book 1999 und die Harmonised Edition – ein Vergleich

Transcription

FIDIC Red Book 1999 und die Harmonised Edition – ein Vergleich
FIDIC Red Book 1999
und die Harmonised Edition –
ein Vergleich mit dem deutschen
Bauvertragsrecht
Dipl.-Wirt.-Ing. Sebastian Scharpf
Hrsg.: Univ.-Prof. Dr.-Ing. Fritz Berner
Reihe Bau- und Immobilienwirtschaft
Band 5
FIDIC Red Book 1999
und die Harmonised Edition –
ein Vergleich mit dem deutschen
Bauvertragsrecht
Dipl.-Wirt.-Ing. Sebastian Scharpf
Hrsg.: Univ.- Prof. Dr.-Ing. Fritz Berner
Band 5
Reihe Bau- und Immobilienwirtschaft
Herausgeber:
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Fritz Berner
Dipl.-Wirt.-Ing. Sebastian Scharpf
FIDIC Red Book 1999 und die Harmonised Edition –
ein Vergleich mit dem deutschen Bauvertragsrecht
1. Auflage, Stuttgart: Selbstverlag, Band 5, 2012
ISBN 978-3-9814355-4-2
Universität Stuttgart
Institut für Baubetriebslehre
Pfaffenwaldring 7
70569 Stuttgart
http://www.ibl.uni-stuttgart.de
[email protected]
Bearbeitung: Dipl.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing. Christian Berthold
Umschlagbild: LBBW Immobilien GmbH
Alle Rechte, auch der Übersetzung vorbehalten.
Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlags ist es auch nicht
gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf fotomechanischem
Wege (Fotokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen vorzunehmen.
Vorwort des Herausgebers
Der Auslandsbau hat in der deutschen Bauindustrie eine lange Tradition. Auch
deutsche Ingenieurdienstleister genießen weltweit einen guten Ruf und sind
gefragt. Bauunternehmen wie Ingenieurbüros expandieren im Ausland und
sind dort zum einen direkt, aber auch durch Niederlassungen sowie Tochterund Beteiligungsgesellschaften tätig. Gerade in den letzten Jahren konnten
Defizite im wettbewerbsstarken deutschen Baumarkt durch positive Ergebnisse im Auslandsgeschäft ausgeglichen werden. Zum anderen ist das Auslandsgeschäft durch eine Vielzahl technisch anspruchsvoller Bauprojekte in unterschiedlicher Größenordnung gekennzeichnet.
Doch ein Engagement im Ausland ist nicht nur attraktiv und chancenreich,
sondern auch durch erhebliche Risiken gekennzeichnet. Neben der Sprache
und den örtlichen Besonderheiten spielen vor allem rechtliche und bauvertragliche Belange eine entscheidende Rolle. Häufige Verwendung findet bei reinen
Bauleistungsverträgen im internationalen Geschäft das Standardvertragswerk
„Conditions of Contract for Construction“ der Internationalen Vereinigung Beratender Ingenieure (FIDIC) mit Sitz in Genf. Diese Allgemeinen Vertragsbedingungen, auch FIDIC Red Book genannt, stellen ein sehr umfangreiches
und komplexes, gleichzeitig aber zwischen Bauherr und Unternehmer ausgewogenes Vertragswerk dar. Das deutsche Bauvertragsrecht weicht hiervon
wesentlich ab.
Das vorliegende Buch gibt zunächst einen Überblick über wesentliche Vertragsstatuten im internationalen Baugeschäft, um im Anschluss deutsche bauvertragliche Konzepte mit den internationalen Bauverträgen grundlegend zu
5
vergleichen. Hierbei stellt das Standard-Vertragsmuster der FIDIC in Form des
Red Book 1999 und der Harmonised Edition eine derzeit maßgebende Grundlage für die erfolgreiche Abwicklung reiner Bauleistungen im internationalen
Bereich dar.
Durch die vorliegende Untersuchung wird dem Leser anhand einer systematischen Darstellung ein Überblick über notwendige rechtliche Vertragskenntnisse gegeben sowie die Unterschiede der beiden grundverschiedenen Vertragskonzepte schlüssig und übersichtlich dargestellt. Mit Kenntnis dieser
vertraglichen Besonderheit können Chancen und Gefahren bei der Vertragsunterzeichnung eines internationalen Bauvertrags besser bewertet werden.
Der vorliegende Band ist im Jahr 2011 am Institut für Baubetriebslehre als Diplomarbeit von Herrn Dipl.-Wirt.-Ing. Sebastian Scharpf entstanden. Ich wünsche Ihnen Erkenntnisgewinn und viel Spaß bei der Lektüre.
Stuttgart, im November 2012
Prof. Dr.-Ing. Fritz Berner
Inhalt
Vorwort des Herausgebers............................................................................ 5
Abbildungen.................................................................................................. 10
Tabellen......................................................................................................... 12
Abkürzungen................................................................................................. 14
1Einleitung.............................................................................................. 16
2
Rechtliche Hintergründe bei der Abwicklung internationaler
Bauprojekte........................................................................................... 19
2.1 Das Common Law und der römisch-germanische Rechtskreis............. 21
2.2 Die rechtliche Anbindung internationaler Bauverträge .......................... 25
2.2.1 Internationales Bauvertragsrecht................................................ 25
2.2.2 Inhaltliche Anpassung an nationales Recht................................ 28
2.2.3 Internationale Standardvertragsmuster als AGB........................ 29
3
3.1
3.2
3.3
3.4
Bauvertragliche Konzepte – Deutschland und international.......... 31
Der deutsche Bauvertrag nach BGB und VOB/B................................... 31
Der internationale Bauvertrag auf Basis von Standardvertragsmustern.33
Bestandteile von Bauverträgen – Deutschland und international.......... 34
Allgemeine Bedingungen und ihre Merkmale – Deutschland und international............................................................................................... 36
3.4.1 Vertrags- und Vergütungsarten................................................... 37
3.4.2 Einbeziehung Dritter in die Vertragsabwicklung......................... 40
3.4.3 Weitere Besonderheiten bei der Vertragsabwicklung................. 44
4
4.1
4.2
4.3
4.4
Die internationalen Standardvertragsmuster der FIDIC................... 47
Überblick über die Standardvertragsmuster der FIDIC.......................... 47
Aufbau und Merkmale der Standardvertragsmuster.............................. 51
Das Red Book 1999............................................................................... 52
Die Multilateral Development Bank Harmonised Edition........................ 55
5
Die Allgemeinen Bedingungen des FIDIC Red Book 1999 und
der Harmonised Edition in Gegenüberstellung mit dem deutschen Bauvertragsrecht...................................................................... 58
5.1 Allgemeine Bestimmungen der Bedingungen........................................ 59
5.1.1 Generelle Regelungen ............................................................... 59
7
5.1.2 Verspätete Lieferung von Plänen und Anordnungen.................. 62
5.1.3 Ergebnis des Vergleichs und Bewertung.................................... 64
5.2 Pflichten des Unternehmers................................................................... 66
5.2.1 Erstellung des Bauwerks............................................................ 66
5.2.2 Art und Weise der Leistungserbringung...................................... 68
5.2.3 Baubeginn, Zeitplan, Dokumentation des Baufortschritts .......... 73
5.2.4 Durchführung von Fertigstellungstests ...................................... 76
5.2.5 Stellung von Erfüllungssicherheiten............................................ 78
5.2.6 Sonstige Pflichten....................................................................... 80
5.2.7 Ergebnis des Vergleichs und Bewertung.................................... 84
5.3 Pflichten des Bestellers.......................................................................... 88
5.3.1 Vergütung des Unternehmers..................................................... 88
5.3.2 Mitwirkung durch den Besteller................................................... 88
5.3.3 Abnahme der vertragsgemäß erbrachten Leistungen................ 92
5.3.4 Absicherung der vertraglichen Pflichten..................................... 97
5.3.5 Ergebnis des Vergleichs und Bewertung.................................. 102
5.4 Rolle des Ingenieurs............................................................................. 106
5.4.1 Die Bestellung des Ingenieurs und dessen Pflichten................ 106
5.4.2 Anordnungen, Entscheidungen und Zertifikate......................... 108
5.4.3 Vertretung und Ersetzung des Ingenieurs................................ 109
5.4.4 Ergebnis des Vergleichs und Bewertung.................................. 110
5.5Bauzeitveränderungen......................................................................... 112
5.5.1 Bauzeitverlängerung, Beschleunigung und Verzögerungsschadensersatz ........................................................................ 112
5.5.2 Suspendierung der Arbeiten durch den Ingenieur.................... 116
5.5.3 Ergebnis des Vergleichs und Bewertung.................................. 117
5.6 Leistungsänderungen und Anpassungen............................................. 119
5.6.1Leistungsänderungen............................................................... 119
5.6.2 Behelfsbeträge und andere Anpassungen................................ 121
5.6.3 Ergebnis des Vergleichs und Bewertung.................................. 122
5.7 Vertragspreisberechnung und Bezahlung............................................ 124
5.7.1 Aufmaß der ausgeführten Leistungen...................................... 125
5.7.2 Bewertung der Einheitspreise bei Mengen- und Leistungsänderungen............................................................................... 126
8
5.7.3 Bezahlung der Vergütung......................................................... 128
5.7.4 Ergebnis des Vergleichs und Bewertung.................................. 133
5.8 Mängelhaftung...................................................................................... 135
5.8.1 System der Mängelanzeigefrist................................................ 135
5.8.2 Beseitigung von Mängeln......................................................... 138
5.8.3 Ergebnis des Vergleichs und Bewertung.................................. 139
5.9 Kündigung und Suspendierung............................................................ 142
5.9.1 Kündigung durch den Besteller................................................. 142
5.9.2 Kündigung und Suspendierung durch den Unternehmer......... 144
5.9.3 Ergebnis des Vergleichs und Bewertung ................................. 146
5.10Haftungsübergang und Höhere Gewalt................................................ 148
5.10.1Haftungsübergang.................................................................... 148
5.10.2 Höhere Gewalt – Unmöglichkeit der Leistungserbringung....... 150
5.10.3 Ergebnis des Vergleichs und Bewertung.................................. 152
5.11 Forderungsmanagement und Streitschlichtung.................................... 154
5.11.1Forderungsmanagement.......................................................... 154
5.11.2 Streitschlichtung durch die Streitbeilegungsstelle.................... 156
5.11.3 Ergebnis des Vergleichs und Bewertung.................................. 158
6
Zusammenfassung und Ausblick..................................................... 161
Glossar........................................................................................................ 164
Literaturverzeichnis................................................................................... 167
Gesetze, Normen und Richtlinien............................................................. 170
Internetquellen............................................................................................ 171
Anhang........................................................................................................ 172
9
Abbildungen
Abbildung 1:
Auftragseingänge aus dem Ausland für die deutsche
Bauindustrie.......................................................................... 16
Abbildung 2:
Internationaler Bauvertrag und internationale Standardvertragsmuster...................................................................... 20
Abbildung 3:
Rechtsgebiete, die das Baugewerbe in Common Law
Staaten beeinflussen............................................................ 22
Abbildung 4:
Rechtsgebiete, die das Baugewerbe im römisch-germanischen Rechtskreis beeinflussen......................................... 24
Abbildung 5:
Internationales Bauvertragsrecht.......................................... 25
Abbildung 6:
Internationales Bauvertragsrecht in Deutschland................. 27
Abbildung 7:
Internationale Standardvertragsmuster................................. 33
Abbildung 8:
Die vertragliche Einbindung des Ingenieurs......................... 42
Abbildung 9:
Systeme der Streitschlichtung.............................................. 43
Abbildung 10: Übersicht zur Risikoverteilung und zum Preis...................... 48
Abbildung 11: Struktur der FIDIC-Standardbauvertragsmuster................... 50
Abbildung 12: Aufbau des FIDIC Red Book 1999........................................ 53
Abbildung 13: Schema des Vergleichs........................................................ 58
Abbildung 14: Verspätete Pläne und Anordnungen..................................... 63
Abbildung 15: Ablauf von der Ausschreibung bis zum Baubeginn............... 75
Abbildung 16: Ablauf der Fertigstellungstests.............................................. 77
Abbildung 17: Ablauf der Abnahme............................................................. 93
Abbildung 18: Schematische Darstellung der Folgen der Abnahmen im
Vergleich............................................................................... 95
Abbildung 19: Die Bauzeit – vom Tag des Baubeginns bis zur Fertigstellung................................................................................ 114
Abbildung 20: Zustandekommen von Leistungsänderungen..................... 120
Abbildung 21: Übersicht über die Bezahlungsvorgänge............................ 130
Abbildung 22: Bezahlung am Ende des Vertrags – FIDIC versus VOB/B.132
Abbildung 23: Systematik der Mängelanzeigefrist..................................... 137
10
Abbildung 24: Mängelhaftung in den FIDIC-Statuten und in Deutschland.138
Abbildung 25: Anspruchsstellung durch den Unternehmer........................ 155
Abbildung 26: Streitschlichtung durch die Streitbeilegungsstelle............... 157
11
Tabellen
Tabelle 1:
Bauvertragsbestandteile............................................................ 35
Tabelle 2:
Allgemeine Bedingungen in Standardvertragsmustern und
VOB/B........................................................................................ 36
Tabelle 3:
Vertragsarten bezogen auf den Leistungsumfang..................... 38
Tabelle 4:
Vergütungsarten......................................................................... 39
Tabelle 5:
Bestandteile der FIDIC-Standardvertragsmuster....................... 51
Tabelle 6:
Die Klauseln der Allgemeinen Bedingungen des FIDIC Red
Book 1999.................................................................................. 54
Tabelle 7:
Gegenstand des Vergleichs – Regelungsbereiche.................... 59
Tabelle 8:
Allgemeine Bestimmungen – Ergebnis des Vergleichs.............. 64
Tabelle 9:
Pflichten des Unternehmers – Ergebnis des Vergleichs............ 84
Tabelle 10: Pflichten des Bestellers – Ergebnis des Vergleichs................. 102
Tabelle 11: Aufgaben und Befugnisse des Ingenieurs............................... 107
Tabelle 12: Die Rolle des Ingenieurs – Ergebnis des Vergleichs................111
Tabelle 13: Klauseln für Ansprüche auf Zeitverlängerung und Kostenersatz.......................................................................................... 113
Tabelle 14: Bauzeitveränderungen – Ergebnis des Vergleichs.................. 117
Tabelle 15: Leistungsänderungen und Anpassungen – Ergebnis des
Vergleichs................................................................................ 123
Tabelle 16: Voraussetzungen für die Anpassung des Einheitspreises....... 126
Tabelle 17: Vertragspreisberechnung und Bezahlung – Ergebnis des
Vergleichs................................................................................ 134
Tabelle 18: Mängelhaftung – Ergebnis des Vergleichs............................... 140
Tabelle 19: Kündigungsgründe des Bestellers........................................... 142
Tabelle 20: Kündigungsgründe des Unternehmers.................................... 144
Tabelle 21: Kündigung und Suspendierung – Ergebnis des Vergleichs..... 147
Tabelle 22: Risiken des Bestellers.............................................................. 149
Tabelle 23: Beispielhafte Umstände der Höheren Gewalt.......................... 150
12
Tabelle 24: Haftungsübergang und Höhere Gewalt – Ergebnis des Vergleichs...................................................................................... 153
Tabelle 25: Forderungsmanagement und Streitschlichtung – Ergebnis
des Vergleichs.......................................................................... 159
13
Abkürzungen
§Paragraph
AGB
Allgemeine Geschäftsbedingungen
AIA
American Institute of Architects
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
Bsp.Beispiel
bzw.beziehungsweise
d. h.
das heißt
ECC
Engineering and Construction Contract
EGBGB
Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche
EJCDC
Engineers Joint Contract Documents Comittee
ENAA
Engineering Advancement Association of Japan
etc. et cetera
evtl.eventuell
EU
Europäische Union
EVÜ
Europäisches Schuldvertragsübereinkommen
FIDIC
Fédération Internationale des Ingénieurs-Conseils
(dt.: Internationale Vereinigung beratender Ingenieure)
f.folgende
ff.fortfolgende
gem.gemäß
HE
Harmonised Edition
ICE
Institution of Civil Engineers
IChemE
Institution of Chemical Engineers
i. d. R.
in der Regel
IET
Institution of Engineering and Technology
IPR
Internationales Privatrecht
JCT
Joint Contracts Tribunal
MDB
Multilateral Development Bank
NEC
New Engineering Contract
RB
Red Book 1999
S.Seite
14
sog.
VOB/A
so genannt
Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen
VOB/B
Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von
Bauleistungen
vgl.vergleiche
z. B.
zum Beispiel
15
1
Einleitung
Die Betätigung deutscher Bauunternehmen im Ausland verzeichnet schon seit
Jahren eine deutliche Steigerung (vgl. Abbildung 1). Gerade bei komplexen
Großbauvorhaben, z. B. in der Infrastruktur, können sie ihre weitreichenden
Kompetenzen ausspielen. So wird auch für das Jahr 2010, das einem von einer Wirtschaftskrise geprägten Jahr folgte, wieder mit einem Zuwachs der Umsatzzahlen im Bereich des grenzüberschreitenden Bauens gerechnet.1
30
25
Direkte Auf träge
Tochter- und Beteiligungsgesellschaf ten
1,4
0,8
1,1
1,3
0,8
5
0
1,1
2,1
1,9
15
10
2,0
1,2
20
Mrd. EUR
1,7
23,7
18,0
1,5
20,1
15,4
12,3
16,7
16,4
17,0
2003
2004
2005
26,0
26,9
26,3
2007
2008
2009
8,2
1998
Abbildung 1:
1999
2000
2001
2002
2006
Auftragseingänge aus dem Ausland für die deutsche Bauindustrie2
Die Bauunternehmen müssen sich im Rahmen ihrer Auslandsaufträge intensiv
mit dem Thema der grenzüberschreitenden Vertragsgestaltung auseinandersetzen. Es muss besonders der Tatsache Rechnung getragen werden, dass
die Verträge meist auf Grundlage fremder Rechtsordnungen geschlossen werden und Anforderungen zu erfüllen haben, die aus besonderen und teilweise schwierigen Randbedingungen resultieren. Zunehmend wird deswegen auf
Standardvertragswerke verschiedener Organisationen zurückgegriffen.
Besonders großen Zuspruch finden hierbei die Vertragsmuster des Internationalen Verbands Beratender Ingenieure (FIDIC), die zum Großteil im Jahr
1999, aber auch später erstellt bzw. aufgelegt wurden. Für reine Bauleistungen
1
2
Vgl. Kehlenbach (2011)
Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e. V. (2010) mit Datenbasis von: European International Contractors
16
dient das Standardwerk „Conditions of Contract for Construction“, das unter
dem Namen FIDIC Red Book 1999 bekannt ist und sich aus allgemeinen Vertragsbedingungen und Hilfen zur Erstellung der übrigen Vertragsdokumente
zusammensetzt. Eine modifizierte Form des Red Book 1999 ist die sogenannte Harmonised Edition, die von der Weltbank und einigen regionalen Entwicklungsbanken im Zusammenhang mit internationalen Projekten der Entwicklungsarbeit genutzt wird und oft obligatorisch für in diesem Rahmen beantragte
Finanzierungen ist.
Die Allgemeinen Vertragsbedingungen dieser beiden Vertragsmuster unterscheiden sich aufgrund ihres Zuschnitts auf große, komplexe und grenzüberschreitende Bauvorhaben deutlich vom deutschen Bauvertragsrecht, das
durch das Werkvertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches und die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B)
geprägt ist. Die Unterschiede sind jedoch nicht einfach zu erkennen und erfordern eine detaillierte Betrachtung der verschiedenen Werke.
Aufgabenstellung und Ausgestaltung der Arbeit
Ziel der vorliegenden Diplomarbeit ist es daher, durch den Vergleich mit dem
deutschen Bauvertragsrecht einem unerfahrenen Dritten das notwendige vertragliche Grundwissen für die Verwendung der beiden genannten FIDIC-Vertragswerke an die Hand zu geben. Anhand einer kompakten Darstellung und
Bewertung der Ergebnisse sollen die vor- und nachteiligen Unterschiede zum
deutschen Bauvertragsrecht herausgearbeitet und damit ein schnelles Verständnis ermöglicht werden.
Zu Beginn der Arbeit wird eine Einführung in die rechtliche Abwicklung internationaler Bauprojekte bzw. in die rechtlich relevanten Grundlagen sowohl im Allgemeinen als auch auf deutscher und internationaler Ebene gegeben. Gefolgt
wird dies von der Vorstellung bauvertraglicher Konzepte in Deutschland und
von Konzepten innerhalb der international geläufigen Standardvertragswerke.
Besonderes Gewicht wird dabei auf die in den internationalen Werken häufig
wiederkehrenden Merkmale gelegt.
Erläuterungen zu den verschiedenen Vertragswerken und deren Anwendungsbereichen des Internationalen Verbands Beratender Ingenieure (FIDIC) erfolgen im darauf folgenden Kapitel. Der Schwerpunkt liegt auf der näheren Darstellung des Red Book 1999 und der Harmonised Edition.
Der Hauptteil der Arbeit, der Vergleich dieser beiden Werke mit dem deutschen Bauvertragsrecht, gliedert sich in mehrere Bereiche auf, die sich an der
17
systematischen Struktur des Red Book 1999 und der Harmonised Edition orientieren. Der umfassenden Erörterung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede innerhalb eines jeden Regelungsbereiches folgt jeweils eine übersichtliche
Darstellung der Ergebnisse und deren Beurteilung, anhand derer sich der Leser ein klares Bild von den bedeutendsten Unterschieden machen kann.
18
2
Rechtliche Hintergründe bei der Abwicklung internationaler Bauprojekte
Im Mittelpunkt der vertraglichen Leistungspflicht von Bauverträgen steht die
Erstellung eines Bauwerks durch den Unternehmer gegen Bezahlung durch
den Besteller. Bauverträge bergen aufgrund der Komplexität ihrer vertragsrechtlichen Beziehungen ein großes Maß an juristischen Fragen. Es besteht
vor allem bei Langzeitverträgen ein Spannungsverhältnis zwischen Planung
und Realität, da bei Vertragsschluss meist nicht alle Details der Ausführung
absehbar sind. Bei internationalen Bauverträgen kommt hinzu, dass die Realisierung der Projekte mit grenzüberschreitenden Sachverhalten einhergeht.
Das bedeutet,
• Besteller und Unternehmer sind in verschiedenen Staaten ansässig und
• Dritte (beratende Ingenieure, Finanzgeber, etc.) befinden sich möglicherweise in wiederum anderen Ländern.
Die unter den Verträgen abgewickelten Projekte sind oftmals infrastrukturelle
Maßnahmen von öffentlichem Interesse in den Bestellerländern. Typisch sind
dabei die großen Finanzvolumina und der Langzeitcharakter der Baumaßnahmen, die teilweise auch vorhergehende planerische Aufgaben umfassen. Aus
diesen Konstellationen können Schwierigkeiten resultieren, z. B.
• rechtlich (durch die Anknüpfung an eine bestimmte Rechtsordnung etc.),
• sprachlich oder interkulturell,
• politisch (Krieg, Unruhen etc.),
• wirtschaftlich oder
• umweltbedingt.
Hinzu kommt, dass es in den meisten Ländern nur unzureichende gesetzliche
Regelungen gibt, die die für Bauverträge notwendigen Festlegungen treffen.
So ist z. B. das deutsche Werkvertragsrecht der §§ 631 ff. des Bürgerlichen
Gesetzbuches in Bezug auf das Bauwesen sehr knapp und wenig detailliert
ausgestaltet. Aus diesem Grund müssen die Vertragsparteien die notwendigen Bestimmungen über den Vertrag selbst schaffen.1
Um sicher zu sein, unter welchen Voraussetzungen sie welche Rechte mit welchen Rechtsfolgen ausüben können, sollten die Verträge möglichst detailliert
und ohne wesentliche Interpretationsspielräume ausgelegt sein. Auf diesem
1
Vgl. Mallmann (2002), S. 1, 24 ff.
19
Weg kann z. B vermieden werden, dass im Streitfall Rechtsdogmatiken angewendet werden, die zu ungewollten Entscheidungen führen.
Zur Erstellung des Vertragsinhaltes können die Vertragsparteien entweder den
gesamten Vertragstext Klausel für Klausel aushandeln oder aber sie nehmen
auf bereits existierende Vertragsmuster und Allgemeine Bedingungen Bezug.1
Diese werden oft als sogenannte Standardvertragsmuster, Formularverträge,
Vertragswerke, Standardvertragsbedingungen oder ähnlich bezeichnet (im
Folgenden einheitlich als Standardvertragsmuster benannt). Gemeint sind damit zumeist umfangreiche Allgemeine Vertragsbedingungen (vgl. dazu Kapitel
3.4) sowie Unterlagen und Anhänge zur Vorbereitung und Ausgestaltung der
übrigen Vertragsdokumente.2
Bauvertrag
Besteller aus Land A
Rechtliche Schwierigkeiten
Internationaler
Bauvertrag
Kulturelle und sprachliche
Schwierigkeiten
Unternehmer aus Land B
Politische und wirtschaftliche Schwierigkeiten
Sonstige besondere
Randbedingungen
erfordert die detaillierte Festlegung der Rechte und Pflichten der Parteien,
sodass Interpretationen wenig Spielraum geboten wird
Verwendung von
Internationalen
Standardvertragsmustern
diese umfassen meist
Hilfen zur Erstellung der
übrigen Vertragsdokumente
Abbildung 2:
Allgemeine Bedingungen
Internationaler Bauvertrag und internationale Standardvertragsmuster
Diese Standardvertragsmuster werden überwiegend zur Abwicklung des internationalen Baugeschäfts verwendet3, um den oben genannten SchwieVgl. Hök (2005), S. 193 f., 205
Vgl. Mallmann (2002), S. 21
3
Vgl. Hök (2005), S. 194
1
2
20
rigkeiten entgegenzuwirken (vgl. Abbildung 2). Sie werden weniger von den
einzelnen Vertragsparteien, sondern hauptsächlich von unabhängigen Organisationen entwickelt, um ein faires und klares Vertragsverhältnis zu etablieren.
Erfahrung und immer wiederkehrende Verwendung über lange Zeit hinweg haben die Verträge durch Weiterentwicklungen bezüglich ihrer Formulierungen
sicher gemacht und geben Antworten auf die Bedürfnisse der Parteien.1
Jedoch spielt nicht nur die Verwendung des geeigneten Standardvertragsmusters eine bedeutende Rolle bei der Durchführung von internationalen Bauverträgen, sondern auch die rechtlichen Grundlagen, auf denen diese basieren. Auch bei Verträgen mit internationalem Bezug muss auf nationales Recht
zurückgegriffen werden, um die Durchsetzbarkeit der daraus resultierenden
Rechte und Pflichten zu gewährleisten. Denn aufgrund der Vielfalt an Rechtsordnungen gibt es keine Vereinheitlichung staatlichen Rechts auf internationaler Ebene, also kein allgemein gültiges Recht. Die Standardvertragsmuster
können lediglich dazu beitragen, den Parteien die vertragliche Beziehung zu
erleichtern.
Als grundlegend für das weitere Verständnis der internationalen Bauverträge
müssen zwei Themenkomplexe angesehen werden:
• Einblick in das Rechtssystem des Common Law, auf welchem internationale Bauverträge weitgehend basieren bzw. an das sich die Verträge anlehnen sowie die Gegenüberstellung mit dem in Deutschland angewandten
zivilrechtlichen System. Dies dient gleichzeitig der Verdeutlichung der immensen Unterschiede der verschiedenen Rechtssysteme.
• Betrachtung der rechtlichen Anbindung internationaler Verträge an eine
Rechtsordnung und die daraus resultierenden Konsequenzen für die vertraglichen Inhalte.2
2.1
Das Common Law und der römisch-germanische Rechtskreis
Das Common Law System entstand im 12. und 13. Jahrhundert in England
durch königlich ernannte Richter und wird deshalb als Richterrecht, manchmal
auch als Fallrecht bezeichnet. Streitigkeiten wurden vor die königlichen Gerichte gebracht und, selbst wenn private Belange betroffen waren, ausschließlich im Interesse des Königshauses entschieden. Somit war jeder Fall gleichzeitig auch öffentliches Recht, also Recht, das die Beziehung zwischen Staat
und Privatperson regelt.
1
2
Vgl. Bunni (2005), S. 3
Vgl. Bunni (2005), S. 17 ff., 24
21
Auch heute wird in den Common Law Staaten (z. B. Großbritannien, Irland,
USA, Kanada, Australien) noch nicht zwischen privatem und öffentlichem
Recht unterschieden. Den meisten dieser Staaten liegt eine niedergeschriebene Verfassung zugrunde. Andere Rechtsquellen sind:
• richterliche Entscheidungen, wenn diese als Präzedenzfall anerkannt sind,
• Equity (englisch: Billigkeit),
• Gesetzgebung oder Gesetzesrecht,
• Verordnungen und delegierte oder untergeordnete Gesetzgebung,
• internationale Übereinkommen
• Gewohnheitsbräuche
Um den Bezug zum Baugewerbe herzustellen, dient ein Überblick über die beeinflussenden Rechtsgebiete:
Gesetzgebung
Das Baugewerbe
beeinflussende
Rechtsgebiete im
Common Law
Equity
Vertragsrecht
Common Law
Schadensersatzrecht
Abbildung 3:
Rechtsgebiete, die das Baugewerbe in Common Law Staaten
beeinflussen
Aus Abbildung 3 wird ersichtlich, dass das für Bauverträge maßgebliche Vertragsrecht nicht aus dem Gesetzesrecht, sondern ausschließlich aus dem
Common Law hervorgeht. Ebenso verhält es sich mit dem evtl. zum Tragen
kommenden Schadensersatzrecht (z. B. bei Vertragsbruch).
Das Common Law wird aus fallspezifischen richterlichen Entscheidungen geformt, die nicht nur dazu dienen, rechtsgültige Regeln anzuwenden, sondern
die diese auch dann definieren, wenn kein spezifisches Recht, z. B. ein Gesetz
vorliegt. Regeln, die bereits durch entschiedene Fälle definiert wurden (Präzedenzfälle) und damit rechtsgültig sind, müssen von den jeweilig niedereren
Gerichten befolgt werden. Manche der Präzedenzfälle werden als sog. Law
Reports (Rechtsberichte) publiziert.
22
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Fritz Berner
Universität Stuttgart
Institut für Baubetriebslehre
Pfaffenwaldring 7
70569 Stuttgart
www.ibl.uni-stuttgart.de
ISBN 978-3-9814355-4-2