çukurova-universität sozialwissenschaftliches institut abteilung
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ÇUKUROVA-UNIVERSITÄT SOZIALWISSENSCHAFTLICHES INSTITUT ABTEILUNG FÜR DEUTSCHDIDAKTIK TRANSKULTURELLE DIMENSIONEN DER DEUTSCHSPRACHIGEN LITERATUR TÜRKISCHER MIGRANTEN UND IHRE VERMITTLUNG IM DAF-UNTERRICHT Umut BALCI DOKTORARBEIT ADANA - 2010 ÇUKUROVA-UNIVERSITÄT SOZIALWISSENSCHAFTLICHES INSTITUT ABTEILUNG FÜR DEUTSCHDIDAKTIK TRANSKULTURELLE DIMENSIONEN DER DEUTSCHSPRACHIGEN LITERATUR TÜRKISCHER MIGRANTEN UND IHRE VERMITTLUNG IM DAF-UNTERRICHT Umut BALCI Betreuerin: Yrd. Doç. Dr. Munise YILDIRIM DOKTORARBEIT ADANA - 2010 ii An den Vorstand des Instituts für Sozialwissenschaften der Çukurova-Universität Wir akzeptieren diese Arbeit, die zur Erlangung der Doktorwürde an der Abteilung für Deutschdidaktik des Instituts für Sozialwissenschaften eingereicht wurde. Betreuerin: Yrd. Doç. Dr. Munise YILDIRIM Gutachter: Prof. Dr. Ali Osman ÖZTÜRK Gutachterin: Yrd. Doç. Dr. Silvia ZİNZADE AKINCI Gutachter: Yrd. Doç. Dr. Sabahattin ÇAM Gutachterin: Yrd. Doç. Dr. Cavidan ÇÖLTÜ İMREN Bestätigung Ich bestätige, dass diese Unterschriften zu der oben genannten Jury gehören. ...../..../.... Prof. Dr. Azmi YALÇIN Leiter des Instituts Anmerkung: Die Benutzung der in dieser Arbeit verwendeten originalen oder anderen Quellen entnommenen Zitaten, Diagrammen, Abbildungen und Fotographien unterliegt dem Gesetz zum Rechtsschutz von geistigen und künstlerischen Werken Nr. 5846. iii ÖZET ALMAN DİLİNDE YAZILMIŞ TÜRK GÖÇMEN EDEBİYATININ KÜLTÜRDÖNÜŞÜMSEL BOYUTLARI VE YABANCI DİL OLARAK ALMANCA DERSLERİNDE KULLANIMI Umut BALCI Doktora Tezi, Alman Dili Eğitimi Anabilim Dalı Danışman: Yard. Doç. Dr. Munise YILDIRIM Mayıs 2010, 284 Sayfa Bu çalışmada, Almanya’da yaşayan Türk göçmenlerinin Almanca metinlerinin yabancı dil olarak Almanca derslerinde kullanımı sınanmaktadır. Çünkü göçmen edebiyatı olarak anılan bu metinlerle ilgili Türkiye’de birçok bilimsel çalışma yapılmasına karşın, bunların kültürlerarası eğitim bağlamında ele alınışı ihmal edilen bir konu olmuştur. Beş bölümden oluşan bu çalışmada Almanya’ya göç ve bu göç çerçevesinde ortaya çıkan göçmen edebiyatı farklı açılardan ele alınmaktadır. Göçmen edebiyatının Alman dil eğitimi derslerinde kullanılmasını amaçlayan bu çalışmada, farklı öğrenim/öğretim teknikleri göz önünde bulundurulmuştur. Çalışmanın amacı, Türk göçmen yazarlara ait metinlerin, yabancı dil olarak Almanca derslerinde kullanılmasının kültürlerarası eğitim bağlamında büyük bir önem taşıyacağını göstermektir. Çünkü bu metinler Almanya’da yaşayan Türklerin sosyal, kültürel ve siyasi yaşantılarına dair bilgiler içermekte; ayrıca benlik, çok kültürlülük, uyum gibi sosyal ve sosyolojik sorunları farklı bakış açılarıyla konu edinmektedir. Almancayı Türkiye’de öğrenen Türk öğrencilerin bu dili öğrenirken karşılaştıkları zorluklar dikkate alındığında, bu metinlerin dil öğretiminde kullanımının öğrencilerin ilgisini arttıracağı düşünülmektedir. Çünkü bu metinler çoğunlukla Alman yazarların edebi metinlerine göre daha basit bir dil yapısına sahip olup hem Türk hem de Almanların yaşantılarından kültürel öğeler içermektedir. Anahtar Sözcükler: Göçmen Edebiyatı, Yabancı Dil Öğretimi, Kültürlerarası Eğitim. iv ZUSAMMENFASSUNG TRANSKULTURELLE DIMENSIONEN DER DEUTSCHSPRACHIGEN LITERATUR TÜRKISCHER MIGRANTEN UND IHRE VERMITTLUNG IM DAF-UNTERRICHT Umut BALCI Doktorarbeit, Abteilung für Deutschdidaktik Betreuerin: Yrd. Doç. Dr. Munise YILDIRIM Mai 2010, 284 Seiten Die vorliegende Arbeit behandelt die Didaktisierungsmöglichkeit der deutschsprachigen Literatur türkischer MigrantInnen im DaF-Unterricht in der Türkei, weil die Migrantenliteratur hinsichtlich der interkulturellen Pädagogik in der Türkei bisher kaum berücksichtigt worden ist, obwohl in diesem Bereich viele wissenschaftliche Arbeiten verfasst wurden. Die Arbeit besteht aus fünf Kapiteln, in denen die Migration nach Deutschland und die Migrantenliteratur aus verschiedenen Zugangsweisen thematisiert werden. Wir haben uns bemüht, die Texte der Migrantenliteratur unter besonderer Berücksichtigung der Lehr– und Lernperspektive zu didaktisieren. Unser primäres Ziel ist zu zeigen, dass die Verwendung literarischer Texte türkischer MigrantInnen im DaF–Unterricht sinnvoll ist, da diese Literatur den Lernenden einerseits das soziale, kulturelle und politische Leben der in Deutschland lebenden MigrantInnen vor Augen führt, andererseits eine Auseinandersetzung mit Problemen der türkischen MigrantInnen und der Deutschen ermöglicht. Der Tatsache folgend, dass türkische Studierende beim Erlernen der deutschen Sprache auf viele Schwierigkeiten stoßen, kann die Migrantenliteratur beim Erwecken des Interesses an der deutschen Sprache eine bedeutende Rolle spielen, weil die Literatur türkischer MigrantInnen aus der Sicht türkischsprachiger Deutschlernender relativ einfachere Strukturen hat. Schlüsselwörter: Migrantenliteratur, Fremdsprachendidaktik, interkulturelle Pädagogik v VORWORT Beim Schreibprozess dieser Arbeit habe ich viele AkademikerInnen und SchriftstellerInnen besucht, denen ich hier für ihre Freundlichkeit, Anregungen und Gespräche danken möchte. Mein großer Dank gilt Frau Dr. Munise YILDIRIM für ihre Betreuung und hilfreiche Unterstützung beim Schreibprozess der Arbeit. Ich möchte außerdem den Studierenden der zweiten Klasse von der Abteilung für Deutschlehrerausbildung der Pädagogischen Fakultät der Universität Onsekiz Mart danken, die im Sommersemester 2008/2009 an den Lehrveranstaltungen freundlich und aktiv teilgenommen haben. Meinen Dank möchte ich an dieser Stelle auch Prof. Dr. Ali Osman ÖZTÜRK zum Ausdruck bringen, der mir bei meinem Studium Mut gegeben und mich stets unterstützt hat. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Otto HOLZAPFEL und Herrn Prof. Dr. Tahir BALCI für ihr sorgfältiges Korrekturlesen der vorliegenden Arbeit. Schließlich möchte ich bei meinen Kollegen in Çanakkale, Dr. Nihan DEMİRYAY und Lekt. Ülkenur KAYNAR, für ihre wertvollen Vorschläge herzlich bedanken. Umut BALCI Gewidmet an Granatapfel-Blüte vi INHALTVERZEICHNIS BESTÄTIGUNGSSEITE……..………………………………………………………..ii ÖZET ......................................................................................................................... iii ZUSAMMENFASSUNG ............................................................................................ iv VORWORT ................................................................................................................. v LISTE DER BILDER ................................................................................................ xi LISTE DER PLAKATE............................................................................................ xii LISTE DER ABBILDUNGEN ................................................................................xiii ERSTER TEIL EINFÜHRUNG 1.1. Zielsetzung ......................................................................................................... 5 1.2. Aufbau der Arbeit ............................................................................................... 8 1.3. Zur Methode....................................................................................................... 9 ZWEITER TEIL INTER-/MULTI-/TRANSKULTURELLES LERNEN IM DAF-UNTERRICHT DRITTER TEIL SOZIOLOGIE UND KULTUR DER TÜRKISCHEN MIGRANTEN 3.1. Literatur und Soziologie ................................................................................... 19 3.2. Kultur, Interkulturalität, Multikulturalität und Transkulturalität ........................ 21 3.3. Türken in Deutschland ...................................................................................... 22 3.3.1. Ausländerpolitik ..................................................................................... 23 3.3.2. Kulturschock .......................................................................................... 26 3.3.3. Identität und Identitätsproblematik ......................................................... 26 3.3.4. Integration.............................................................................................. 28 3.3.5. Subkultur ............................................................................................... 30 3.3.6. Kanak Attak ........................................................................................... 31 3.3.7. Literatur als Mittel zur Verständigung .................................................... 34 3.3.8. Veränderung der Eigenwahrnehmung ..................................................... 35 VIERTER TEIL LITERATUR DER TÜRKISCHEN MIGRANTEN 4.1. Begriffsbestimmungen...................................................................................... 37 4.2. Entstehung und Entwicklung der türkischen Migrantenliteratur ........................ 47 4.3. Formen der Türkischen Migrantenliteratur........................................................ 52 vii 4.3.1. Volkslieder............................................................................................. 52 4.3.2. Lyrik ...................................................................................................... 54 4.3.3. Epik ....................................................................................................... 54 4.4. Inhaltliche Analyse der Literatur türkischer Migranten ..................................... 54 4.4.1. Die AutorInnen der ersten Generation .................................................... 55 4.4.1.1. Yüksel Pazarkaya ....................................................................... 56 4.4.1.2. Bekir Yıldız ............................................................................... 57 4.4.1.3. Aras Ören................................................................................... 58 4.4.1.4. Fakir Baykurt ............................................................................. 59 4.4.1.5. Nevzat Üstün ............................................................................. 59 4.4.1.6. Habib Bektaş .............................................................................. 59 4.4.1.7. Güney Dal .................................................................................. 60 4.4.1.8. Şinasi Dikmen ............................................................................ 61 4.4.1.9. Themenschwerpunkte der Literatur der ersten Generation .......... 62 4.4.2. Die AutorInnen der zweiten Generation ................................................. 64 4.4.2.1. Feridun Zaimoğlu ....................................................................... 64 4.4.2.2. Zafer Şenocak ............................................................................ 65 4.4.2.3. Osman Engin ............................................................................. 66 4.4.2.4. Zehra Çırak ................................................................................ 67 4.4.2.5. Saliha Scheinhardt...................................................................... 68 4.4.2.6. Aysel Özakın ............................................................................. 69 4.4.2.7. Alev Tekinay ............................................................................. 70 4.4.2.8. Nevfel Cumart............................................................................ 70 4.4.2.9. Renan Demirkan ........................................................................ 71 4.4.2.10. Themenschwerpunkte der Literatur der zweiten Generation ..... 72 4.4.3. Die AutorInnen der dritten Generation ................................................... 76 4.4.3.1. Emine Sevgi Özdamar ................................................................ 77 4.4.3.2. Selim Özdoğan ........................................................................... 78 4.4.3.3. Orkun Ertener ............................................................................ 79 4.4.3.4. Themenschwerpunkte der Literatur der dritten Generation ......... 79 viii FÜNFTER TEIL DIDAKTISIERUNG DER MIGRANTENLITERATUR 5.1. Unterrichtsmodelle und Unterrichtsbeispiele..................................................... 87 4.4.4. Zum thematischen Generationswechsel .................................................. 80 5.1.1. Textauswahl ........................................................................................... 87 5.1.2. Methodische Vorgehensweise ................................................................ 89 5.1.3. Zeitdauer ................................................................................................ 90 5.1.4. Zielsetzung............................................................................................. 91 5.1.5. Unterrichtsmethode ................................................................................ 92 5.1.5.1. Produktionsorientierter Unterricht .............................................. 93 5.1.5.2. Textanalyse nach Rezeptionsästhetik .......................................... 93 5.1.5.3. Auswertung nach der qualitativen Methode ................................ 94 5.1.6. Situation der Klasse ............................................................................... 95 5.2. Unterrichtsmodelle ........................................................................................... 96 5.2.1. Unterrichtsmodell 1; Brautbeschauer ..................................................... 96 5.2.1.1. Textinhalt ................................................................................... 96 5.2.1.2. Lernaktivitäten ........................................................................ 96 5.2.1.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten ..... 97 5.2.1.4. Textanalyse .............................................................................. 118 5.2.2. Unterrichtsmodell 2: Ehegattenzusammenführung oder Wie finde ich eine Frau? ............................................................................................................. 127 5.2.2.1. Textinhalt .......................................................................................... 127 5.2.2.2. Lernaktivitäten ......................................................................... 128 5.2.2.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten ... 129 5.2.2.4. Textanalyse .............................................................................. 136 5.2.3. Unterrichtsmodell 3; Fremde ist wo du gekränkt wirst ......................... 138 5.2.3.1. Textinhalt ................................................................................. 138 5.2.3.2. Lernaktivitäten ......................................................................... 138 5.2.3.3 Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten .... 140 5.2.3.4. Textanalyse .............................................................................. 145 5.2.4. Unterrichtsmodell 4; Gedanken über die Rückkehr .............................. 147 5.2.4.1. Textinhalt ................................................................................. 147 5.2.4.2. Lernaktivitäten ......................................................................... 147 ix 5.2.4.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten ... 148 5.2.4.4. Textanalyse .............................................................................. 151 5.2.5. Unterrichtsmodell 5: Doppelmann ....................................................... 153 5.2.5.1. Textinhalt ................................................................................. 153 5.2.5.2. Lernaktivitäten ......................................................................... 154 5.2.5.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten ... 155 5.2.5.4. Textanalyse .............................................................................. 168 5.2.6. Unterrichtsmodell 6: Tierweisungen VI ............................................... 169 5.2.6.1. Textinhalt ................................................................................. 169 5.2.6.2. Lernaktivitäten ......................................................................... 169 5.2.6.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten ... 170 5.2.6.4. Textanalyse .............................................................................. 175 5.2.7. Unterrichtsmodell 7: Dütschlünd, Dütschlünd übür üllüs ..................... 176 5.2.7.1. Textinhalt ................................................................................. 176 5.2.7.2. Lernaktivitäten ......................................................................... 176 5.2.7.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten…177 5.2.7.4. Textanalyse .............................................................................. 191 5.2.8. Unterrichtsmodell 8: Homo Germanicus ............................................. 194 5.2.8.1. Textinhalt ................................................................................. 194 5.2.8.2. Lernaktivitäten ......................................................................... 194 5.2.8.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten ... 195 5.2.8.4. Textanalyse .............................................................................. 205 5.2.9. Unterrichtsmodell 9: Sprich langsam, Türke! ...................................... 208 5.2.9.1. Textinhalt ................................................................................. 208 5.2.9.2. Lernaktivitäten ......................................................................... 209 5.2.9.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten ... 210 5.2.9.4. Textanalyse .............................................................................. 217 5.2.10. Unterrichtsmodell 10; Länder, Türken, Abenteuer .............................. 220 5.2.10.1. Textinhalt ............................................................................... 220 5.2.10.2. Lernaktivitäten ....................................................................... 220 5.2.10.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten . 221 5.2.10.4. Textanalyse ............................................................................ 233 5.2.11. Die letzte Aktivität als Zusammenfassung aller Aktivitäten: Zelt ....... 237 5.3. Schlussbemerkungen zum didaktischen Teil ................................................... 237 x 5.3.1. Probleme und kulturelle Eigenschaften der behandelten Texte ............. 238 5.3.1.1. Texte der ersten Generation ...................................................... 239 5.3.1.1.1. Brautbeschauer ........................................................ 239 5.3.1.1.2. Ehegattenzusammenführung oder wie finde ich eine Frau?....................................................................................... 240 5.3.1.1.3. Fremde ist, wo du gekränkt wirst ............................. 241 5.3.1.1.4. Gedanken über die Rückkehr ................................... 243 5.3.1.2. Texte der zweiten Generation ................................................... 245 5.3.1.2.1. Doppelmann ............................................................ 245 5.3.1.2.2. Tierweisungen ......................................................... 246 5.3.1.2.3. Dütschlünd Dütschlünd übür üllüs ........................... 247 5.3.1.2.4. Homo Germanicus ................................................... 249 5.3.1.3. Texte der dritten Generation ..................................................... 250 5.3.1.3.1. Sprich Langsam, Türke! von Kerim Pamuk ............. 250 5.3.1.3.2. Länder, Türken, Abenteuer ...................................... 251 5.3.2. Hauptthemen der Generationen und ihr Motto ...................................... 253 5.3.2.1. Hauptthemen der ersten Generation .......................................... 253 5.3.2.2. Hauptthemen der zweiten Generation ....................................... 253 5.3.2.3. Hauptthemen der dritten Generation ......................................... 253 5.3.3. Welche Texte gefallen ihnen am besten? Warum? ................................ 254 SCHLUSSFOLGERUNGEN .................................................................................. 259 LITERATURVERZEICHNIS ................................................................................ 271 LEBENSLAUF ........................................................................................................ 284 xi LISTE DER BILDER Bild 1: Die Vögel auf dem Baum ........................................................................... 171 Bild 2: Migration und ihre Folgen .......................................................................... 172 Bild 3: Vokuhila ..................................................................................................... 213 Bild 4: Opferfest .................................................................................................... 223 Bild 5: Eine türkische Zeitung und ihre Schlagzeile................................................ 224 Bild 6: Fleisch ........................................................................................................ 225 Bild 7: Solidarität .................................................................................................. 225 Bild 8: Respekt ...................................................................................................... 225 Bild 9: Schlacht auf der Straße ............................................................................... 226 Bild 10: Hygienische Orte für Schlachten ............................................................... 226 Bild 11: Vaterland .................................................................................................. 230 Bild 12: Ausländer raus!......................................................................................... 230 Bild 13: Das arabische Alphabet ............................................................................ 232 Bild 14: Das türkische Alphabet ............................................................................. 232 xii LISTE DER PLAKATE Plakat 1: Türkische Kultur...................................................................................... 148 Plakat 2: Deutsche Kultur ....................................................................................... 149 Plakat 3: Doppelmann ........................................................................................... 160 Plakat 4: Der in zwei geteilte Mann ........................................................................ 161 Plakat 5: Der Mann mit zwei Welten ...................................................................... 163 Plakat 6: Die gebrochene Zweisprachigkeit ........................................................... 164 Plakat 7: Der Koffer ............................................................................................... 165 Plakat 8: Migrationszelt ......................................................................................... 237 xiii LISTE DER ABBILDUNGEN Abbildung 1: Überall Ausländer ............................................................................. 173 Abbildung 2: Ausländer ......................................................................................... 174 Abbildung 3: Rückkehr ......................................................................................... 230 1 ERSTER TEIL EINFÜHRUNG Die vorliegende Arbeit untersucht im engeren Sinne die transkulturellen Dimensionen der deutschsprachigen Literatur türkischer MigrantInnen und ihre Vermittlung im DaFUnterricht in der Türkei. Mit dem Einwandern der Arbeitsemigranten nach Deutschland wurde die Migration nach dem Zweiten Weltkrieg eines der bedeutendsten Themen in Deutschland, das im Laufe der Zeit Fragen zu Begriffen wie „Heimat“, „Fremde“, „Integration“, „Kulturmischung“, „Assimilation“ und „Identität“ auftreten ließ. Die soziologischen und kulturwissenschaftlichen Dimensionen dieses Themas werden bis heute diskutiert. Die Arbeitsmigranten wurden in den 50er Jahren zuerst nur für zwei Jahre nach Deutschland eingeladen. Wegen des Mangels an Arbeitskräften wurden jedoch mit ihnen danach langzeitige Arbeitsverträge abgeschlossen (Yano, 2007; 2). Jene Menschen, die unter der Vorstellung nach Deutschland eingewandert waren, nur einige Jahre in Deutschland zu arbeiten und danach in ihre Heimat zurückzukehren (vgl. Kocadoru, 1997; 2), haben sich darum bemüht, ihre Herkunftskultur aufrechtzuerhalten. Das Bemühen darum, die eigene Kultur zu bewahren, führte bei jenen, die sich „zwischen zwei Kulturen geblieben“ fühlten, vom „Kulturschock“ bis hin zu einer „Identitätsproblematik“. Für die MigrantInnen war die Literatur ein Mittel, ihre ambivalente Situation, in der sie sich befanden, zum Ausdruck zu bringen. Jene MigrantInnen, die die deutsche Sprache gut beherrschten, haben in den 1980er Jahren begonnen, in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften Gedichte, Geschichten und Erinnerungen zu veröffentlichten. Daneben publizierten sie aber auch Bücher. Sie konnten dadurch auf die deutsche Literatur einwirken. An der 1980 gegründeten Zeitschrift „Südwind“ beteiligten sich MigrantInnen verschiedener Länder und bemühten sich darum, für ihre Identitätsproblematik eine Lösung zu finden. Zunächst starteten sie den Versuch, für die von ihnen vorgelegte Literatur einen Namen zu finden. Um jedoch schließlich ihre 2 Identitätsproblematik leichter lösen zu können, mussten sie sich selbst und im Besonderen ihre eigene Literatur mit all ihren Eigenschaften kennen lernen. Die MigrantInnen berührten im Allgemeinen Themenfelder wie „Migration“ an sich, „Kulturschock“, „Anpassung“ und „Identitätsproblematik“. Auch ihre Literatur ist genauso wie ihr Leben zwischen zwei Kulturen gepresst geblieben (Kuruyazıcı, 1990; 98). Lange Zeit hat sie weder in der deutschen, noch in der türkischen Literatur für sich einen Platz finden können. In den letzten Jahren gewann sie jedoch an Bedeutung und wurde hinsichtlich ihrer kulturellen, soziologischen, psychologischen und linguistischen Dimensionen untersucht. Vom Beginn der Arbeiteremigration in den 1960er Jahren nach Deutschland bis heute lassen sich die türkischen MigrantInnen in drei Generationen einteilen, zwischen denen zwar zeitlich keine genauen Grenzen festlegbar sind, die jedoch erkennbare Unterschiede soziokultureller und kommunikativer Art aufweisen. Die erste Generation umfasst etwa den Zeitraum 1960-1985, d. h. vom Beginn der Arbeitermigration nach Deutschland bis zum „Rückkehrgesetz“ der deutschen Regierung 1984 (Lange, 1996; 10). Die Menschen dieser Generation stammten weitestgehend aus ländlich geprägten Gebieten der Türkei und verfügten über ein geringes Bildungsniveau. Nach ihrer Ankunft in Deutschland lebten sie für lange Zeit weit entfernt von ihren Familien und mit großer Sehnsucht nach ihrer Heimat. Da sie die deutsche Sprache nicht bzw. nicht ausreichend beherrschten, hatten sie Probleme, sich an die ihnen fremde Kultur anzupassen, der gefühlten und gelebten Einsamkeit sowie der fehlenden Akzeptanz zu entrinnen, und sie litten unter ihren schweren Arbeits– und Lebensbedingungen, woraus letztendlich die Problematik ihres „Kulturschocks“ (Kuruyazıcı, 1990; 93) resultierte. Die AutorInnen der ersten Generation begannen in den 65er Jahren, ihre literarischen Produkte zu publizieren. Anfangs schrieben sie in türkischer Sprache, da sie – wie bereits erwähnt – die deutsche Sprache nicht bzw. nicht ausreichend beherrschten. Um ihre Probleme besser und verständlicher ausdrücken zu können, wählten sie als literarische Form die Epik. Ihre Themen waren hauptsächlich • die Schwierigkeit, in der anderen Kultur zu leben, • die schweren Arbeitsbedingungen, • ihre Sprachprobleme 3 • die Sehnsucht nach der Heimat, • ihre Einsamkeit, • die Isolierung aus der Gesellschaft und • der Gedanke, an die Heimkehr etc. Einige der emigrierten AutorInnen der ersten Generation wie Yüksel Pazarkaya, Bekir Yıldız, Aras Ören, Fakir Baykurt, Nevzat Üstün, Güney Dal, Fethi Savaşçı oder Şinasi Dikmen haben sowohl in türkischer als auch in deutscher Sprache geschrieben. Das besondere Ziel dieser AutorInnen lag darin, den Deutschen ihre schwierige Lebenssituation und ihre damit verbundenen Probleme bzw. Gefühle zu zeigen. Größtenteils nahmen sie bei ihrem Erzählen eine kritische und ironische Haltung meistens ihrer eigenen Kultur ein. Die zweite Generation umfasst die Periode 1985-1995 und wird in zwei Gruppen geteilt. Zur ersten Gruppe sind jene zu zählen, die im Rahmen des „Rückkehrgesetzes“ nicht in die Türkei zurückgekehrt, sondern in Deutschland geblieben sind. Zur zweiten Gruppe gehören die in Deutschland geborenen Kinder der ersten Generation. Die Mehrheit der Angehörigen der zweiten Gruppe wuchs im Kontext der deutschen Sprache auf, hat Deutschland als eine neue bzw. zweite Heimat betrachtet und war darum bemüht, sich an die deutsche Kultur und an das deutsche Gesellschaftsleben anzupassen. Dennoch fühlten sie sich „zwischen zwei Kulturen geblieben“ und waren auf unaufhörlicher Suche nach ihrer Identität. Die Literatur nutzten sie als ein Mittel, um ihre Identität und Individualität zu finden und ihre Situation zu kritisieren. In ihren Werken spiegeln sich der Wunsch nach Akzeptanz und die ablehnende Haltung gegenüber absoluter Anpassung wider. Deshalb war für diese MigrantInnen eher das Thema als die Sprache von Bedeutung. In der Literatur fast aller MigrantInnen der zweiten Generation ist zu sehen, dass sie Themen wie „Suche nach eigener Kultur“, „Fremdheit“, „Identitätsverlust“, „Fremdverstehen“ etc. auf verschiedene Weisen aufgegriffen haben. Als bekannteste AutorInnen der zweiten Generation sind u. a. Feridun Zaimoğlu, Zafer Şenocak, Osman Engin, Zehra Çırak, Nevfel Cumart, Renan Demirkan und Salih Omurcak zu nennen. Diese AutorInnen haben ihre Literatur anders als die der ersten Generation zumeist in der deutschen Sprache verfasst und sich thematisch auf soziologische und kulturelle 4 Themen wie z.B. „Identitätsproblematik“, „Mischkultur“, „Integration“, „die gespaltene Zunge“ etc. konzentriert. Die MigrantInnen der ersten Generation wandten sich hauptsächlich Problemen wie „schwere Arbeitsbedingungen“ und „Heimweh“ zu. Sie waren überwiegend darum bemüht, ihre eigene Kultur aufrechtzuerhalten und sahen sich eher inmitten eines Kulturschocks als einer Identitätsproblematik, was auch in ihrer Literatur zum Ausdruck kommt. Dagegen lernten die MigrantInnen der zweiten Generation die deutsche Kultur besser kennen und begannen zum einen, sich Stück für Stück mit ihr zu identifizieren, und zum anderen sich ihrer eigenen Kultur zu entfremden. In ihrer Literatur spiegelt sich neben dieser Anpassungsbereitschaft auch der Ausdruck ihrer psychologischen Unterdrückung wieder, die auf soziokulturelle Gründe zurückzuführen ist. Ausgehend von der Literatur der zweiten Generation wurden ab 1985 soziokulturelle Themen wie „Identität“, „Akzeptanz“, „Integration“ und „Assimilation“ diskutiert und abgehandelt. Unterschiede zwischen beiden Generationen lassen sich des Weiteren an der sprachlichen Gestaltung erkennen. Während die AutorInnen der ersten Generation ihre Literatur besonders in epischen Formen zum Ausdruck verfasste, brachte die zweite Generation neben epischen auch lyrische Werke heraus. Mit Hilfe der Literatur in einer künstlerischen Sprache, die nicht nur Kritik und Ironie, sondern auch Sprachspiele und rhetorische Figuren enthält, sah man sich in der Lage, jene Gedanken und Gefühle auszudrücken, die außerhalb der Literatur in deutscher Sprache schwer zu äußern sind. Die dritte Generation umfasst die Jahre von 1995 bis zur Gegenwart. Ihre Angehörigen betrachten Deutschland als Heimat und haben überwiegend die deutsche Staatsbürgerschaft erworben. Sie verstehen sich als Deutsche bzw. als Deutsche türkischer Herkunft. Obwohl sie mit Problemen wie „Identitätsproblematik“ oder „Kulturkonflikt“ vertraut sind, haben sie sich nicht in den Vordergrund gedrängt. Ihre Literatur konzentriert sich vor allem auf die Lebensart der deutschen und der türkischen Gesellschaft und sie verfassen häufigst autobiographische Werke und Erinnerungen, indem sie auch gegen die Religion und patriarische Herrschaft Kritik ausüben, bzw. sie kritisieren vielmehr ihre Landesleute, die sich immer noch nicht der deutschen Kultur angepasst haben. 5 Der krasseste Unterschied zwischen den ersten zwei Generationen und der dritten ist der folgende; Statt die fremde Kultur als ein Problem zu sehen und die eigene und die fremde Kultur gegeneinander zu stellen, verweist die dritte Generation auf Harmonie und Schönheit der Unterschiede beider Kulturen. Die Angehörigen der dritten Generation vertreten eine „Zwischenkultur“ und haben eine Kulturverbindung und damit eine neue Sprache geschaffen, die auch das Interesse der Deutschen auf sich gezogen hat. Darüber hinaus eröffnete sich für die Deutschen die Möglichkeit, in der Literatur der Migranten dieser Generation die eigene Kultur aus einer anderen Perspektive betrachten zu können. Ein anderes charakteristisches Merkmal der Literatur der dritten Generation ist die Beschäftigung mit Themen wie der Sexualität, die für die ersten beiden Generationen vielmehr verschleiert waren1 und ironisch-humoristische Züge tragen. Als eine typische Vertreterin der Literatur der dritten Generation gilt Emine Sevgi Özdamar, in deren Werken all jene Besonderheiten zum Ausdruck kommen, die bereits erwähnt worden sind. Aus soziologischer Sicht haben die MigrantInnen eine völlig neue literarische Strömung geschaffen, um Probleme wie „Migration“, „Identität“, „Herkunft“ und „Multikulturalität“ hervorzuheben. Diese „Kanak Attak“ genannte Strömung hat nicht nur die gesellschaftlichen Probleme der MigrantInnen thematisiert, sondern auch neue sprachliche Formen entwickelt, die weder deutsch noch türkisch sind. Dieses Sprachverhalten wird von den Wissenschaftlern als soziologisch bedingte Reaktion bzw. Gegenbewegung gesehen. 1.1. Zielsetzung Die Methodik des DaF-Unterrichts hat eine lange Tradition, die in Deutschland bis zu den 1970er Jahren zurückreicht. Dagegen hat sie in der Türkei eine relativ jüngere Geschichte. Obwohl in den 60er und 70er Jahren in Deutschland wissenschaftliche methodisch-didaktische Forschungen angestellt worden sind, waren diese nicht auf fremd– bzw. interkulturelle Erfahrungen orientiert. In den 80er Jahren hat man in Deutschland angefangen, die fremdkulturelle Perspektive als Lernziel im DaFUnterricht zu betrachten (siehe dazu: Berberoğlu, 1995; 15). Die Betonung der Kulturdifferenzen und Anpassungsschwierigkeiten in den deutschen Schulbüchern 1 Ausnahmen gab es trotzdem wie z.B. bei Aras Ören “Eine seltsame Ehe”. 6 (Brunner, 2004; 71) weckte ein großes Interesse an Themen der MigrantInnen und an ihrer Literatur. Interkulturelles Lernen bedeutet, das Eigene mit dem Fremden zu vergleichen, die auftretenden Vorurteile und Stereotypen zur Diskussion zu stellen, ihre Gründe zu analysieren und schließlich Wege zu ihrer Überwindung zu finden. Über die kulturellen Unterschiede nachzudenken hat daher schrittweise an Bedeutung gewonnen. Obwohl die Migration nach Deutschland in den 50er Jahren angefangen hat, sind die ersten wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit der Migrantenliteratur befassen, erst in den 80er Jahren entstanden (für weitere Hinweise siehe: Lange, 1996; 3). In den gleichen Jahren erschienen Arbeiten von Wissenschaftlern aus dem Bereich der interkulturellen Pädagogik. Nach Lange haben diese Wissenschaftler aufzuzeigen versucht, dass Migrationsliteratur – da in ihr Erfahrungen der Migration aus der Perspektive der Betroffenen verarbeitet werden – für die Absichten und Ziele des interkulturellen Lernens „brauchbar“ sei (Lange, 1996; 3), und sie haben dazu verschiedene Didaktisierungsvorschläge entworfen. Norbert Hopster ist einer der ersten, die in ihrer literaturdidaktischen Konzeption mit interkultureller Prägung von der Migrantenliteratur ausgehen. Nach Rösch (1992; 60) sei Migrantenliteratur nicht der einzige Lehr– und Lerngegenstand einer interkulturellen Didaktik, aber sie sei einer, der bislang noch ungenügend berücksichtigt wurde. Im Bereich der interkulturellen Pädagogik erscheinen ab den 80er Jahren in den europäischen Ländern viele wissenschaftliche Arbeiten und Symposien, die kulturspezifisch sind und sich auf das interkulturelle Lernen beziehen. Erwähnenswert sind vor allem die Arbeiten von Heidi Rösch, Dieter Horn, Andrea Zilke und Paraschos Berberoğlu. In der Türkei gibt es ebenfalls Literaturwissenschaftler, die schon im Bereich der Migration unterschiedliche Arbeiten in Angriff nahmen. In ihren Arbeiten konzentrierten sie sich aber besonders auf die politischen Hintergründe der Arbeitsmigration und auf ihre Reflektion in der Literatur. Die wissenschaftlichen Arbeiten von Yüksel Kocadoru ragen in diesem Sinne hervor. Aus seiner Sekundärliteratur kann man folgende wichtige Themen aufzählen: 7 • Die dritte Generation von türkischen Autoren in Deutschland – neue Wege, neue Themen • Ost–westliche Ästhetik, deutschsprachige Literatur von Türken • Studien zum Bild der Türken und seiner Geschichte in Österreich Untersuchungsschwerpunkte dieser Arbeiten sind: • die türkische Migrationsgeschichte, • die Literatur türkischer MigrantInnen und deren Motive. In diesem Punkt ist auch die Arbeit von Ali Osman Öztürk „Alamanya Türküleri; Türk Göçmen Edebiyatının Sözlü / Öncü Kolu“ zu erwähnen. Diese Arbeit hat die Lieder der türkischen Migranten in Deutschland zum Gegenstand und bewertet die mündlichen Werke als Vorläufer der Migrantenliteratur. Ausgehend von den Liedern, die am Anfang der Migration von den ersten MigrantInnen mit dem türkischen Musikinstrument „Saz“ begleitet gesungen worden sind, thematisiert er die deutsch– türkischen Beziehungen und ihre Reflektion auf die mündliche Migrantenliteratur. Trotz vieler wissenschaftlicher Arbeiten wurde die Migrantenliteratur hinsichtlich der interkulturellen pädagogischen Arbeiten in der Türkei bisher kaum berücksichtigt. Daher wird in dieser Arbeit die Didaktisierungsmöglichkeit der deutschsprachigen Literatur türkischer MigrantInnen untersucht. Da die Migrantenliteratur interkulturell produziert wird und für den interkulturellen Lernprozess geeignet ist, konzentrieren wir uns auf sie. Folgende Fragestellungen bilden unseren Ausgangspunkt: • Inwiefern ist der Einsatz von deutschsprachiger Literatur türkischer MigrantInnen im DaF-Unterricht in der Türkei interessant und erforderlich? • Mit welchen Lehrtechniken können die Texte erfolgreich vermittelt werden? • Bei der Vermittlung von welchen Lernzielen/Kompetenzen spielt die Migrantenliteratur eine besondere Rolle? • Für Texte welcher Generation interessieren sich die Studierenden am meisten, warum? Mit der Didaktisierung der Migrantenliteratur geht in dieser Arbeit die Lehr– und Lernperspektive einher. Wir möchten zeigen, dass die Verwendung literarischer Texte türkischer MigrantInnen im DaF–Unterricht im Hinblick auf das interkulturelle Lernen sinnvoll ist. Denn diese Literatur führt den Lernenden einerseits das soziale, kulturelle und politische Leben der in Deutschland lebenden MigrantInnen vor Augen, 8 andererseits ermöglicht sie ihnen eine Auseinandersetzung mit Fragen und Problemen wie Identität, Multikulturalität, Akzeptanz sowie einen Blick auf Kultur und Probleme der türkischen MigrantInnen und der Deutschen. Der Tatsache folgend, dass türkische Studierende beim Erlernen der deutschen Sprache auf viele Schwierigkeiten stoßen, kann die Migrantenliteratur beim Wecken des Interesses an der deutschen Sprache eine bedeutende Rolle übernehmen, weil die Literatur türkischer MigrantInnen aus der Sicht türkischsprachiger Deutschlernender vielmehr relativ einfache Strukturen hat. 1.2. Aufbau der Arbeit Die vorliegende Arbeit sucht Möglichkeiten, die deutschsprachige Literatur türkischer MigrantInnen im DaF-Unterricht in der Türkei zu didaktisieren. Sie besteht aus fünf Kapiteln, in denen die Migration nach Deutschland und die Migrantenliteratur aus verschiedenen Zugangsweisen behandelt werden. „Interkulturelles Lernen“, „multikulturelles Lernen“ und „transkulturelles Lernen“ sind Begriffe, die in Bezug auf Soziologie, Kultur und Pädagogik große Unterschiede aufweisen. Daher werden sie im zweiten Kapitel kontrastiv untersucht. Das dritte Kapitel stellt die Problematik "Identität und Migration" mit dem Schwerpunkt „türkische Einwanderer in Deutschland“ dar. In diesem Zusammenhang werden zunächst Begriffe wie Kultur, Interkulturalität, Multikulturalität und Transkulturalität behandelt. Auch die Ausländerpolitik der Bundesrepublik wird zur Diskussion gestellt, um zu zeigen, • welche kulturelle Wandlung die türkischen MigrantInnen in einer ungefähr 45jährigen Zeitspanne durchlebt haben, • welche soziologischen Hintergründe in dieser Zeit eine besondere Rolle gespielt haben und • was für einen Einfluss die Kommunikation auf beide Kulturen ausgeübt hat. Im vierten Kapitel werden • die Terminologiediskurse der Migration seit der Entstehung der Migrantenliteratur und ihre sozialen, kulturellen und politischen Folgen deutlich gemacht, • die Entstehung und Entwicklung der türkischen Migrantenliteratur sowie ihre Formen erforscht und hiernach kurze biographische Kenntnisse über die türkischen AutorInnen vermittelt, 9 • schließlich wird ausgewählte deutschsprachige Literatur türkischer MigrantInnen verschiedener Generationen analysiert, um zu zeigen, wie der soziokulturelle Wandel der Einwanderer im Laufe der Zeit das Thema der Migrantenliteratur gestaltet hat. Im fünften Kapitel wird eine empirische Untersuchung zur Didaktik der deutschsprachigen Literatur türkischer MigrantInnen ausgeführt, um Antworten auf die folgenden Fragestellungen zu finden: • Warum ist der Einsatz von deutschsprachiger Literatur türkischer MigrantInnen interessant und erforderlich? • Unter welchen Lehrtechniken kann der Einsatz der Migrantenliteratur erfolgreich vermittelt werden? • Bei der Vermittlung von welchen Lernkompetenzen spielt die Migrantenliteratur eine besondere Rolle? Im Schlusskapitel sollen zunächst die gesammelten Erkenntnisse der ersten vier Kapitel zusammengefasst und dann die Ergebnisse des didaktischen Teils in Zusammenhang mit den behandelten Texten zusammentragen werden. 1.3. Zur Methode Die Verwendung von eigen- und interkulturellen deutschsprachigen literarischen Texten türkischer AutorInnen im DaF-Unterricht wurde hinsichtlich der interkulturellen Pädagogik bisher kaum berücksichtigt. Deshalb hat man dafür keine eigene Methode entwickelt; man greift diese Texte nach zuvor entwickelten literaturwissenschaftlichen Methoden auf. Diese Tatsache macht offensichlich, dass es ein Bedarf nach einer Methode besteht, die für die Verwendung der deutschsprachigen Literatur ausländischer AutorInnen konstruiert ist und zu ihrer Analyse dienen kann. In der vorliegenden Arbeit haben wir für die Didaktisierung der interkulturellen Texte in der Türkei Lehr-/Lerntechniken entwickelt, die auf Arbeiten von drei europäischen Wissenschaftlern basiert. Das sind Heidi Röschs „Migrationsliteratur im interkulturellen Kontext“ (1992), Paraschos Berberoğlus „Kulturerfahrung im Unterricht, Migrationstexte und ihre Anwendung im DaF-Unterricht“ (1995), und Anja Langes „Migrationsliteratur – ein Gegenstand der Interkulturellen Pädagogik?“ (1996). 10 Die vorliegende Arbeit ist pädagogisch-didaktisch angelegt und verfolgt das Ziel, die Verwendung der Migrantenliteratur der Türken in Deutschland in Bezug auf interkulturelle Lernprozesse im DaF-Unterricht in der Türkei auszuprobieren. Darüber hinaus möchten wir für den Fremdsprachenlehrer in der Türkei eine neue Unterrichtsdimension konzipieren. Diese Methode richtet sich nicht nach einer ethnisch definierten Zielgruppe aus, sondern zielt auf türkische Studierende des Faches „Deutsch als Fremdsprache“. In diesem Zusammenhang gewinnt die Migrantenliteratur an Bedeutung, weil sie als Medium interkulturellen Lernens in den Vordergrund gerückt wird (für weitere Hinweise siehe: Lange, 1996; 59). Die Migrantenliteratur problematisiert die „gestalteten Erfahrungen“ (Rösch, 1992; 8) der Ausländer und nimmt in diesem Sinne ihre Quellen aus der realen Welt. Sie stellt die Interkulturalisierung, Multikulturalisierung und auch Transkulturalisierung vor, die im interkulturellen und pädagogischen Bereich in der Türkei bisher nicht berücksichtigt wurden, obwohl sie bei der Kulturvermittlung eine besondere Rolle spielen. Davon ausgehend beziehen wir uns auf das Kulturvermittlungsverfahren der interkulturellen Germanistik und der Literatursoziologie. Die Lehrveranstaltungen fanden im Sommersemester 2009 an der Abteilung für Deutschlehrerausbildung der Pädagogischen Fakultät der Çanakkale - Onsekiz - Mart Universität statt. Die Probanden waren Studierende der ersten Klasse. Ein Bündel von allen Texten, die im Laufe des Semesters in den Lehrveranstaltungen einzeln behandelt wurden, wurde in der ersten Stunde an die Studierenden verteilt. Es handelt sich um insgesamt zehn epische und lyrische Texte von allen drei Generationen, die aufgrund ihrer Fremdsprachenunterricht formalen geeignet und sind. inhaltlichen Das sind Strukturen nämlich Texte, für die den die soziokulturellen Probleme türkischer Migranten in Deutschland humoristisch, ironisch, kritisch oder satirisch thematisieren. Sie entsprechen dem Geschmack und den Lesegewohnheiten unserer Studierenden sowohl inhaltlich als auch sprachlich. Davon ausgehend wird das Ziel verfolgt, die Motivation der Studierenden immer hoch und ihre Konzentration auf den Unterricht wachzuhalten. Vorlesen: Die Texte wurden zuerst von den Studierenden absatzweise laut vorgelesen. Beim Lesen unterstrichen sie die unbekannten Wörter und die schwer zu erschließenden 11 Textstellen. Dabei wurde das Ziel verfolgt, die schwer verständlichen Stellen und unbekannten Wörter zu erläutern, damit die Studierenden die Texte sprachlich und inhaltlich als Ganzes begreifen konnten. Die Lesephase diente dazu, den Lesern den Text verständlicher zu machen und ihn im Gedächtnis zu ordnen. Dabei bemühten sich die Studierenden, die vorkommenden Leerstellen zu füllen, was ihre Neugier weckte. Kommunikative Textanalyse: Nach dem Lesen äußerten die Studierenden schrittweise ihre Gedanken über den Inhalt des Textes. Die Tatsache, dass interkulturelle Texte Verständigungsbarrieren enthalten können, machte die Stück-für-Stück-Analyse des Textes unentbehrlich. Der kommunikative Unterrichtsablauf brachte die Studierenden dazu, aktiv zu sein und ihre Meinungen in freier Atmosphäre auszudrücken. Durchführen der Lernaktivitäten: Nach spontanen Äußerungen der Studierenden, die die Erfassung des Inhalts und der Codes des Textes gewährleisteten, wurden für jeden Text mindestens vier Lernaktivitäten ausgeführt, um die soziale und fachliche Kompetenz der Studierenden zu fördern. Es gab außerdem einige Lernaktivitäten, die auf Produktionsorientiertem Unterricht beruhten. Die Aufgabe, aus einem Text einen neuen Text mit gleichem Inhalt und gleicher Problematik zu produzieren, hat die Studierenden zur Kreativität und auch zur Zusammenarbeit ermutigt und sie außerdem dazu geführt, zwischen zwei Texten bzw. zwischen zwei Kulturen hin und her zu pendeln. Vorher haben wir den Studierenden eine kurze Information über interkulturelles, multikulturelles und transkulturelles Lernen vermittelt und auch erzählt, was Vorurteile und Stereotyp sind. Ausgehend von der Frage, wie man die gegenseitigen Vorurteile abbauen könne, wurden diverse Lernaktivitäten durchgeführt, die den Studierenden Gelegenheit boten, die Vorurteile und Stereotypen in den Texten zu finden, zu interpretieren und in der Klasse vorzuspielen. Wir konnten feststellen, dass diese Lernaktivitäten die Identifikation der Studierenden mit den Deutschen erleichtern. Da sie sich in die Position anderer zu versetzen lernen, erkennen sie die kulturellen Unterschiede leichter. Außerdem können wir mit den Studierenden Begriffe wie z.B. Fremdbild, Eigenbild, Rassismus etc. diskutieren. Sie handeln im Sinne des interkulturellen Lernens solidarisch und lernen somit dass ursprünglich/prinzipiell alle Kulturen gleichwertig sind. 12 Auswertung: In der nächsten Phase haben wir die Unterrichtsabläufe ausgewertet und versucht, die jeweilige Reaktion der Studierenden auf die Themen und auf den Unterrichtsablauf einzeln zu interpretieren und zu einer allgemeinen Bewertung zu gelangen. In dieser Phase wurden ihre Motivation, ihre Teilnahme am Unterricht und ihre Annäherung an interkulturelle Situationen schrittweise bewertet. Die mündlichen und schriftlichen Aussagen der Studierenden wurden nach der qualitativen Methode ausgewertet. Wir haben den Unterrichtablauf jeweils auf Tonband gespeichert, danach die Äußerungen transkribiert und in Form von Notizen festgehalten. Von den gestellten Fragen ausgehend wurde zuerst jede Aussage inhaltlich geordnet und danach stichwortartig interpretiert. Die Antworten haben wir unter den Untertiteln „Analyse“, „Lernaktivitäten“ und „Auswertung des Unterrichtsablaufs“ klassifiziert. Einige davon wurden in tabellarischer Übersicht gezeigt, einige Antworten wurden jedoch in den Text der vorliegenden Arbeit eingearbeitet. Alle Texte wurden nach dem gleichen Unterrichtsmodell, aber mit diversen Lernaktivitäten behandelt und unter dem Haupttitel „Die Texte der deutschsprachigen türkischen MigrantInnen im DaFUnterricht“ gesammelt. Bei der Textanalyse haben wir anstelle einer werkimmanenten Betrachtungsweise die Rezeptionsästhetik als Ausgangsbasis gewählt. Von der Tatsache ausgehend, dass kein Text eine festgelegte Bedeutung hat, berücksichtigten wir bei der Textanalyse die fundamentale Erkenntnis der Rezeptionsästhetik, dass die Bedeutung eines Textes erst im Zusammenspiel von Wortlaut und Leser hergestellt wird (siehe dazu: Lange, 1996; 60). Rezeptionsästhetik, deren Perspektive sich den Leser als Adressaten eines literarischen Textes zum Ziel setzt, will die Wechselwirkungen zwischen politischen, gesellschaftlichen und sozialen Ereignissen und ihrer Bedeutung aufdecken. In diesem Zusammenhang haben die Studierenden alle zehn Texte nach der Rezeptionsästhetik analysiert, indem sie die politischen, gesellschaftlichen und sozialen Ereignisse der Migrationsgeschichte in Betracht zogen. 13 ZWEITER TEIL INTER-/MULTI-/TRANSKULTURELLES LERNEN IM DAF-UNTERRICHT Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die deutsche Regierung mit den westlichen Ländern Verträge abgeschlossen, um dem Mangel an Arbeitskräften abzuhelfen. Ab 1960 kamen die ersten Arbeitsemigranten nach Deutschland; so begann man im Hinblick auf die Erziehung und die Pädagogik neue Begriffe zu diskutieren. Interkulturelles Lernen, interkulturelle Erziehung und Multikulturalität waren einige der Begriffe, die wichtig wurden (für weitere Hinweise siehe: Berberoğlu, 1995; 21). Es ist von Bedeutung, in diesem Punkt die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zwischen den Begriffen „Interkulturell“ und „Multikulturell“ festzuhalten. Mit „interkulturell“ werden diverse Forschungsrichtungen sowie Forschungsinteressen bezeichnet. Während der Begriff „multikulturell“, der [in] Konkurrenz zum Begriff „interkulturell“ steht und deskriptiv der „Beschreibung und Analyse eines realen Phänomens in der sozialen Wirklichkeit“ dient, befindet sich „interkulturell“ eher im Zusammenhang mit der Bezeichnung eines pädagogischen Konzepts, mit Hilfe dessen die Erziehungswissenschaft auf die Dissonanzen der multikulturellen Gesellschaft Antworten gibt (Berberoğlu, 1995; 21). Die beiden Ableitungen haben denselben Stamm; der Unterschied ergibt sich aus den Präfixen "multi-" und "inter-" und den beiden Begriffen zugesprochenen Denotationen und Konnotationen. Während der Begriff „multikulturell“ seinen Ursprung aus der sozialen Wirklichkeit nimmt und auf dem Zusammenleben der Menschen aus unterschiedlichen Kulturen am gleichen Ort beruht, gewinnt der Begriff „interkulturell“ im pädagogischen Bereich an Bedeutung. Davon ausgehend kann man sagen, dass der Begriff „multikulturell“ sich auf die Migration ab den 60er Jahren bezieht. Der Europarat definiert die Begriffe „multikulturell“ als Faktum der wachsenden Vielfalt der Kulturen und ethnischen Gruppen in einer Gesellschaft“ und „interkulturell“ als „den Prozess aktiver Kommunikation und Interaktion zwischen den nebeneinander existierenden kulturellen Gruppen einer Gesellschaft zum Ziel der 14 wechselseitigen Auseinandersetzung, Verständigung und Bereicherung“ (siehe dazu: Berberoğlu, 1995; 24). Auch Vancea stellt eine ähnliche Definition auf, die im Hinblick auf die Multikulturalität eine Zielvorstellung benennt: Ein auf Toleranz und wechselseitiger Anerkennung basierendes Zusammenleben divergenter Bevölkerungsgruppen (Vancea, 2008; 15). Über diese beiden Definitionen hinaus sieht man, dass der Begriff „multikulturell“ auf die ethnischen Gruppen in einer Gesellschaft und der Begriff „interkulturell“ auf die Kommunikation dieser Gruppen beruhen. Nach der Migration haben viele ethnische Gruppen in Deutschland zusammengelebt, die am Anfang einander fremd waren. Das war eine günstige Atmosphäre für zusätzliche kulturelle Probleme. Deshalb wurde der Begriff „interkulturelles Lernen“ im Erziehungsbereich als ein Mittel zur gegenseitigen Verständigung, zu Toleranz und Akzeptanz gesehen und zu dem Lehrplan der deutschen Schulen, Gymnasien und Universitäten als zugehörig verstanden. Vancia betont in diesem Sinn die Bedeutung der interkulturellen Kommunikation und der Bildung im Erziehungsbereich, indem sie darlegt: Zu interkultureller Kommunikation und Bildung gehören auch Schreib– und Lesarten, die eine dialogische Annäherung der Kulturen und Verflechtung verschiedener Perspektiven in Aussicht stellen (Vancea, 2008; 1). Grundsätzliches Ziel dieser Ansätze ist es, die Vermittlung der interkulturellen Informationen in der multikulturellen Gesellschaft zu schaffen, gegenseitige Duldsamkeit, Anerkennung und Akzeptanz bei den Schülern und Studierenden zu leisten und gegenseitiges Verständnis zu erleichtern. Somit werden schließlich kulturspezifische Verhaltensweisen der Schüler und der Studierenden sensibilisiert (für weitere Hinweise siehe: Berberoğlu, 1995; 22 ff). Vancea sagt dazu: Interkulturalität im Sinne von wechselseitigen kulturellen Beziehungen macht ein Wissen über das Eigene als kulturelles Selbstbild sowie ein Wissen über den Anderen als Fremdkultur erforderlich (Vancea, 2008; 19). 15 Außerdem würden die Studierenden durch das interkulturelle Lernen befähigt, von der Diskriminierung fremder Studierender in ihrer Klasse abzurücken und sich solches auch in ihrem Freundeskreis abzugewöhnen, um damit den „Ethnozentrismus abzubauen“ (Berberoğlu, 1995; 28). Sie werden das auch gelernt haben, weil es zu den Traditionslinien der deutschsprachigen AutorInnen früherer Epochen gehört, sich zu Phänomenen wie Ethnozentrismus, Nationalismus und Kosmopolitismus zu äußern. Viele haben daran mit ihren Werken mitgewirkt (siehe dazu: Vancea, 2008; 10). Um mit Vancia zu sprechen, können historische Parallelen ein erhellendes Licht auf aktuelle Fragen und Debatten zur Interkulturalität, Toleranz, kulturellen Identität und zum kollektiven Gedächtnis werfen (Vancea, 2008; 11). Deshalb ist es von Bedeutung, Strategien für die Thematisierung und die Überwindung von Ethnozentrismus zu entwickeln und den auf die Migration beruhenden Fremdsprachenunterricht nach diesen Strategien durchzuführen. Den Rassismus und den Ethnozentrismus mit kritischen Fragen aufzugreifen und zu thematisieren, spielt bei der Überwindung von Ethnozentrismus eine große Rolle. Das Gegenteil schürt die ethnischen Gefühle der Studierenden. Ohne sich mit dem Rassismus und Ethnozentrismus kritisch auseinanderzusetzen, würde man diese empfindlichen Punkte mit einer multikulturellen Perspektive vergleichweise aufgreifen; denn die interkulturelle Germanistik analysiert und didaktisiert das Eigene nicht aus interkultureller, sondern aus fremd- oder auch multikultureller Perspektive, das heißt für fremdkulturelle LeserInnen und LernerInnen des Deutschen als Fremdsprache und als fremde Literatur (Rösch, 1992; 69). In diesem Sinn spielt Interkulturalität bei der Überwindung des Ethnozentrismus eine wichtige Rolle, indem sie den fremdkulturellen Menschen einen neuen Raum mit Empathie und Toleranz eröffnet. In diesem Sinn wird der Focus erweitert und manche Werte werden reflektiert, wieweit man das Bild des Fremden in die eigene Welt aufnehmen möchte. In gleicher Richtung betont auch Alois Wierlacher, dass es der Interkulturellen Germanistik nicht um das Eindringen in deutsch–europäisches Denken gehe, sondern um die Berücksichtigung multikultureller Perspektiven, bezogen auf deutschsprachige Texte, und um ein Miteinanderverstehen, das Selbstverstehen einschließt (Rösch, 1992; 69). In diesem Zusammenhang ist das Ziel des interkulturellen Lernens durch multikulturelle Perspektiven zu erreichen. 16 Interkulturelles Lernen im DaF-Unterricht realisieren zu können, ist abhängig von einigen Kriterien, die sowohl die Lehrkräfte in den Universitäten und ihre Fähigkeiten als auch die gewählten Methoden betreffen. Berberoğlu greift diese Kriterien in drei Bereichen auf; das sind • eine offene sowie kreative Haltung, • die Kenntnis der diversen Kulturen, die in den Schulen repräsentiert sind, und • die Verfügbarkeit adäquater pädagogischer sowie didaktischer Hilfsmittel (siehe dazu: Berberoğlu, 1995; 24). Diese drei Bereiche sind abhängig von den Lehrenden, die bei der Auswahl der Lehrmaterialien die Situation und die Erwartungen der Lernenden berücksichtigen müssen, damit interkulturelles Lernen sein Ziel erreichen kann. Außerdem spielen die weiteren mit dem Thema des Unterrichts übereinstimmenden Lernaktivitäten eine besondere Rolle. Der Lehrende soll zuerst über den Text hinaus im Hinblick auf das interkulturelle Lernkonzept passende Lernaktivitäten bestimmen und sie lernerzentriert durchführen. Bei diesen Lernaktivitäten soll es um Gegenstände der MigrantInnen bzw. um ihre Lebensweise und ihre Kommunikation mit den Fremden gehen. Der Tatsache folgend, dass die Zielgruppe Studierende der Abteilung für Deutschlehrerausbildung sind, sollen sich die Lernaktivitäten in interkultureller Richtung entwickeln. Die Analyse der gewählten Texte spielt dabei eine besondere Rolle, weil sie interkulturell produziert wurden und daher ein großes interkulturelles Potential enthalten. Dieses Potential ist für den interkulturellen Lernprozess geeignet und macht das interkulturelle Lernen interessant (siehe dazu: Lange, 1996; 84). Dafür kann man unterschiedliche Materialien in Gebrauch nehmen, die Dokumente über Kultur und Migration benutzen; zu diesem Zweck kann man aber auch Plakate vorbereiten. In einem interkulturell orientierten Unterricht ist es unvermeidlich, über die ethnischen und sozialen Differenzen der Kulturen zu sprechen. Wenn wir uns vor Augen halten, dass die Unterrichtsmaterialien Texte der türkischen MigrantInnen in Deutschland sind, geht es im Unterricht um den Vergleich der türkischen und der deutschen Kultur, ohne die grundsätzliche Gleichwertigkeit dieser Kulturen zu vergessen. Das Bild einer unterdrückten, ungebildeten islamischen Frau konstruiert auf der anderen Seite das Bild einer emanzipierten, gebildeten christlichen Frau. Um diese Gegenpole deutlich zu machen, spricht Traugott Schöfthaler von bi–logischem Denken 17 beziehungsweise der bi-kulturellen und bi-kognotiven Erziehung, die das „Fremde“ mit dem „Eigenen“ zu verbinden versucht (Rösch, 1992; 45). Um mit Schöfthaler zu sprechen, ist beim interkulturellen Lernen ein Kulturvergleich unentbehrlich, weil jede Interpretation einer fremden Kultur auch eine Aussage über die eigene Kultur enthält (siehe in: Rösch, 1992; 45). In dieser Hinsicht dient das interkulturelle Lernen dazu, die kulturellen Unterschiede dank der Empathie als Normalfall zu sehen. Die Interaktion zwischen der deutschen und der türkischen Kultur im interkulturell orientierten Unterricht macht das Lernen multikulturell. In diesem Zusammenhang kann man sich vorstellen, dass Migrationstexte jene Produkte sind, die das interkulturelle und auch das multikulturelle Lernen tatsächlich fördern. Rösch macht für die Migrationstexte deutlich, dass nicht ihre Kulturspezifik, sondern ihr interkulturelles Potential sie für interkulturelles Lernen so bedeutsam macht (Rösch, 1992; 47). Neben dem inter– und multikulturellen Lernen kann man auch von einem transkulturellen Lernen im DaF–Unterricht sprechen. Transkulturalität, die mit der Interkulturalität eng verbunden ist, bedeutet nicht nur einen Kontakt zwischen den fremden Kulturen, sondern auch gegenseitiges Übernehmen fremdkultureller Elemente, die auf möglichen Gemeinsamkeiten beruhen. In Verbindung mit dem DaF–Unterricht wurde der Begriff Transkulturalität von Rolf Ehnert auf DaF bezogen, der ihn im Zusammenhang mit der Geschichte der Fremdsprachenlehrmethoden als Bezeichnung der neusten Strömung in der DaF-Didaktik nach der „Kommunikativen Methode“ unter dem Begriff „Transkultureller Kommunikationsansatz“ verwendet (Mairose-Parovsky, 1997; 78). Die Zielrichtung des DaF–Unterrichts gründet sich in diesem Sinn nicht mehr nur auf kommunikative und/oder interkulturelle, sondern auf transkulturelle Kompetenz, wobei die Studierenden dazu gefördert werden, Einverständnis für eine fremde Kultur zu haben und dadurch den Fremdheitsgedanken abzubauen. Hier ist die Rede von „transkulturellen Synergie-Effekten“, die durch das Zusammenwirken von sprachlichen, sozialen und interkulturellen Verhaltensweisen in echten Begegnungssituationen 18 zustande kommen. Echte Begegnungssituationen sind nach dem hier vertretenen Ansatz die Phasen des multikulturellen Lernens, in denen pädagogische Aktionspraktiken – von Interaktionsspielen bis zu Rollenspielen – zum Einsatz kommen (Mairose-Parovsky, 1997; 79). Davon ausgehend, dass die Transkulturalität anstelle von Kulturkonfrontation eine Kulturintegration bedeutet (Mairose-Parovsky, 1997; 80), verwandelt die interkulturelle Kommunikation sich schrittweise in einen Prozess, der zur Integration von Fremd– und Eigenwahrnehmung führt. In den „Stuttgarter Thesen zur Rolle der Landeskunde im Französischunterricht“, die 1982 erschienen, betonte man die Rolle der transkulturellen Kommunikationsfähigkeit und in diesem Zusammenhang die Untrennbarkeit der Fremdsprache und Landeskunde sowie der Forderung nach Beschäftigung mit mehreren Kulturen (für weitere Hinweise dazu siehe; Mairose-Parovsky, 1997; 78). 19 DRITTER TEIL SOZIOLOGIE UND KULTUR DER TÜRKISCHEN MIGRANTEN Dieser Teil der Arbeit enthält den theoretischen Hintergrund unserer weiteren Argumentation und basiert auf die Darstellung der Problematik "Identität und Migration" mit dem Untersuchungsschwerpunkt „Türkische Einwanderer in Deutschland“. In diesem Zusammenhang werden Begriffe wie kulturelle Unterschiede, Akzeptanz, Integration, Assimilation, Identität bzw. Identitätsproblematik, Multikulturalität, Kulturaustausch, Interkulturelle Kommunikation etc. behandelt. Außerdem soll in diesem Teil untersucht werden, • welche kulturelle Wandlung die türkischen MigrantInnen in einer ungefähr 45jährigen Zeitspanne durchlebt haben, • welche soziologischen Hintergründe in dieser Wandlung eine besondere Rolle gespielt haben und • was für einen Einfluss die Kommunikation auf beide Kulturen ausgeübt hat. Dabei wird zum einen auf Wechselwirkungen zwischen Kulturen, gesellschaftlichen Ordnungen und Mentalitäten bei radikalem Wandel2 eingegangen, zum anderen wird die These verfolgt, dass sich die Eigenwahrnehmung bzw. das Identitätsverständnis türkischer Einwanderer von Generation zu Generation verändert 3.1. Literatur und Soziologie Soziologie ist eine Wissenschaft, Lehre vom Zusammenleben der Menschen in einer Gemeinschaft oder Gesellschaft, von den Erscheinungsformen, Entwicklungen und Gesetzmäßigkeiten gesellschaftlichen Lebens (Duden, 1983; 1117). Davon ausgehend, dass die Literatur eine künstlerische Erscheinung des gesellschaftlichen Zusammenlebens ist, wird die Verflechtung zwischen Literatur und Soziologie erklärungsbedürftig. Dies ist außerdem fürs Verstehen der Begriffe Kultur, Interkulturalität, Multikulturalität, Transkulturalität und ihrer Relation zur Literatur relevant. 2 insbesondere mit dem Aspekt der Kommunikation über Werte, Gewalt sowie Menschenwürde 20 Die erläuternde Funktion der Literatur ist ihr erster Verflechtungspunkt mit der Soziologie, wobei die konkreten und bildhaften Beschreibungen der soziologisch gesehenen Erlebnisse und ihre Reflektion auf die Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen. Wichtig scheint es uns, in Bezug auf Soziologie darzustellen, wie literarische Beschreibungen die Leser an die Erlebniswelt heranführen und ihr Interesse daran wecken: Literatur kann in einem illustrativen Sinne verwendet werden, um soziologisch bedeutsame Themen und Phänomene zu veranschaulichen (Kuzmics, Mozetic, 2003; 26). In diesem Zitat betont man die analytische Beschreibung der sozialen Welt mittels Literatur, deren Bedeutung von der Soziologie abhängt, weil Literatur unmittelbar die Welt der Menschen bzw. die soziologischen Themen bearbeitet: Wichtige soziologische Untersuchungsfelder und Konzeptualisierungen, von der Kultur über die Schichtung bis zur Bürokratie, von Jugend über Macht bis zur Anomie werden durch literarische Texte aufgearbeitet (Kuzmics, Mozetic, 2003; 26). Ebenfalls sieht man Literatur als eine Quelle des Verstehens historischer und sozialer Zusammenhänge. Obschon manche Dokumente aus der Hitler-Zeit, die die sozialen Ereignisse jener Zeit erläutern, am Ende des Zweiten Weltkrieges von den Nazis vernichtet wurden, kann man der Literatur der jeweiligen AutorInnen viele Informationen über diese Ereignisse entnehmen. In ähnlicher Weise sprechen Kuzmics und Mozetic von der Literatur, aus der man eine ganze Menge über die Sklaverei in Amerika erfahren kann; selbst wenn andere Quellen über die Sklaverei fehlten, wüssten wir über sie aus Romanen nicht wenig (Kuzmics, Mozetic, 2003; 30). Wenn man literarische Werke in diesem Sinne bewertet, reflektiert diese Literatur eine Zeitanalyse, die all die soziokulturellen und politischen Situationen jener Zeit kenntlich macht. Dementsprechend versteht man die wechselseitige Verflechtung zwischen Literatur und Soziologie. Man kann wichtigen Themen der Soziologie wie z.B. Macht, Konflikt, Entfremdung, Identität etc. in der Literatur jeder Zeit begegnen. Darüber hinaus wird in den folgenden Teilen der Arbeit die Literatur der türkischen MigrantInnen in Deutschland analysiert, 21 um den Sprach– und Kulturwechsel durch Migration bzw. den soziokulturellen Wandel zu erläutern. 3.2. Kultur, Interkulturalität, Multikulturalität und Transkulturalität Zum besseren Verstehen des Lebens der Türken in Deutschland und ihrer Verhaltensweisen in der deutschen Gesellschaft werden wir in diesem Teil den Begriff „Kultur“ einzelheitlich erläutern. Im weiteren Sinne umfasst Kultur alles, was menschlich ist. Deshalb wäre es äußerst unangebracht, ihn nur mit einigen Worten zu streifen. Das Wort „Kultur“ stammt aus dem lateinischen „cultura“ und bedeutet Landbau bzw. Erde bearbeiten (Wahrig, 2000; 787), was uns eindeutig zeigt, dass dieser Begriff in Relation zu fundamentalen Tätigkeiten des Menschen auf der Welt steht. Diese Tätigkeiten zeigen nach geographischen und sozialen Eigenschaften der Regionen große Unterschiede, die sich in Sprache, Religion, Musik, Kleidung, Erscheinungsbild und Leben ausdrücken, welche die verschiedenen Kulturgruppen charakterisieren. In diesem Zusammenhang definiert Lintfert die Kultur als die Gesamtheit der geistigen, künstlerischen und sozialen Lebensweise einer Gruppe, Gemeinschaft oder einer ethnischen Volksgruppe (Linfert, 1998; 9). Kulturgruppen erhalten mithin eigenkulturelle, traditionelle Elemente, die in verschiedenen Gesellschaften unterschiedliche Bedeutungen tragen. In diesem Sinne erklärt man den Begriff „Interkulturalität“ („inter“ bedeutet „miteinander/untereinander“) als Begegnung verschiedener Kulturen am gleichen Ort: Das Konzept der Interkulturalität, das die Prozesse der Kulturbegegnungen und- verflechtungen beschreibt, geht von einer dynamischen Interaktion der Kulturen aus und nimmt sich als Ziele die Gleichberechtigung, die Wahrung von Eigenarten sowie den friedlichen Konsens zur Lösung von Konflikten vor (Vancea, 2008; 18). In diesem Zusammenhang weist der Begriff auf die neuen soziokulturellen Phänomenen im Zeitalter der Migration hin, in dem sich die Menschen aus unterschiedlichen Kulturen untereinander begegnen und in interkulturellen Kontakt treten. Ohne weiteres kann man sagen, dass Interkulturalität ihren Ursprung im Kontakt des fremdkulturellen 22 Menschen mit seiner Umgebung hat. Ebenfalls erläutert Vancea diesen Begriff vergleichend mit der Multikulturalität und der Transkulturalität: Während Multikulturalität das Nebeneinander der Kulturen, die Transkulturalität die Übernahme von fremden Kulturelementen bezeichnet, nimmt die Interkulturalität auf die zunehmende Vernetzung von Kulturen Bezug sowie auf die Erkenntnis, dass diese im Austausch stehen und sich gegenseitig beeinflussen (Vancea, 2008; 19). Über dieses Zitat hinaus kann man behaupten, dass Kulturelemente, die stets miteinander korrespondieren und sich gegenseitig beeinflussen, auf gegenseitiger Verständigung beruhen und den Begriff „Toleranz“ vorbedingen. Unter Toleranz versteht man Respekt, Akzeptanz und Anerkennung der unterschiedlichen Kulturen in unserer Welt. Somit ist Toleranz nicht nur eine staatliche Praxis, die auf einer juristischen Ebene angesiedelt ist, sondern auch eine individuelle Tugend, die sowohl von Personen wie auch von Gruppen und der Gesellschaft selbst praktiziert wird und die Lösung von Konflikten ermöglicht (siehe: Vancea, 2008; 21ff). Während Interkulturalität – wie bereits dargestellt– auf dem Kontakt der Völkergruppen untereinander basiert, bildet das Zusammenleben der fremdkulturellen Bevölkerungsgruppen den Ausgangspunkt der Multikulturalität. In Verbindung mit dieser Definition betrachtet Vancea die Multikulturalität als „Vielvölkergesellschaft“ (Vancea, 2008; 15). Dagegen bedeutet Transkulturalität, die mit der Interkulturalität eng zusammenhängt, nicht nur einen Kontakt zwischen den fremden Kulturen, sondern gegenseitiges Übernehmen fremdkultureller Gemeinsamkeiten beruhen. Ebenfalls definiert Elemente, die auf möglichen Mairose-Parovsky den Begriff Transkulturalität als Kulturintegration anstelle von Kulturkonfrontation (MairoseParovsky, 1997; 80). 3.3. Türken in Deutschland Der Zweite Weltkrieg hat in der politischen, kulturellen und sozialen Geschichte Deutschlands eine ganz neue, aber auch sehr problematische Seite geöffnet. Die deutsche Bevölkerung, die Not und Leiden des Krieges unmittelbar erlebt hat und seine abträglichen Folgen lange Zeit nach Kriegsschluss zu ertragen hatte, sah sich nach dem Krieg mit einem neuen sozialen Problem konfrontiert; Arbeitermigration. Um das 23 zerstörte Land wieder aufbauen zu können, hat die Bundesrepublik Deutschland in den 50er Jahren mit einigen europäischen Ländern Anwerbeverträge abgeschlossen, welche die Folge hatten, dass viele Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Migration aus europäischen Ländern wie Italien und Spanien bildete für die Deutschen deshalb kein großes Problem, weil diese Länder in hohem Maße ein ähnliches, teilweise auch gemeinsames Kulturerbe haben. Der Strom einer großen Menge von türkischen Arbeitern, die anfangs gutgeheißen wurden, hat im Laufe der Jahre die Ängste vor ökonomischer und sozialer Konkurrenz, aber vor allem vor kultureller Überfremdung mit sich gebracht, weil die Türken im Jahre 1987 mit 31,8% und die Jugoslawen mit 13,1% die höchsten Anteile an den Ausländern in der Bundesrepublik stellten (Esser, Friedrich, 1990; 11). 3.3.1. Ausländerpolitik Die migrationsbedingten Veränderungsprozesse haben die soziokulturelle und wirtschaftliche Struktur Deutschlands tief verändert und zugleich die kulturellen Überfremdungsängste geschürt. Dadurch gewann die interkulturelle Kommunikation an Bedeutung. Mit der Zeit ist die Bundesrepublik zweifellos zu einem Einwanderungsland geworden, ohne dass Politik und Bevölkerung hieraus die Konsequenzen gezogen hätten (Esser, Friedrich, 1990; 12). Parallel zu den migrationspolitischen Entscheidungen der Bundesrepublik hat sich auch die soziokulturelle Situation des Landes geändert. Um die Politik der Bundesrepublik und den soziokulturellen Wandel beider Gesellschafen aufeinander beziehen und sich diese Relation konkret vorstellen zu können, möchten wir zuerst einen stichwortartigen Überblick über die Ausländerpolitik der BRD bieten. Dass die ArbeitsmigrantInnen in die Bundesrepublik gekommen waren, war entscheidend eine Reaktion auf die wirtschaftliche, soziale und politische Situation in den Herkunftsländern und auf den wirtschaftlichen Aufschwung in der Bundesrepublik (Lange, 1996; 9). Das Kommen der ArbeitsmigrantInnen in die Bundesrepublik hatte politische, soziale und wirtschaftliche Gründe seitens der Herkunftsländer und der Bundesrepublik. Während es in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg in 24 bestimmten Bereichen Arbeitskräftemangel gab, herrschte in der Türkei eine große Arbeitslosigkeit, welche die Türken zur Migration zwang. Die Migration nach Deutschland umfasst eine etwa 55-jährige Zeitspanne; in diesem Prozess entwickelte sich die Ausländerpolitik der BRD in fünf Phasen (siehe: Lange, 1996, 9 ff und Yano, 2007; 2). 1. Phase von 1953 bis 1973: Anwerbephase oder Gastarbeiterperiode. Diese Phase fängt mit der ersten deutsch-italienischen Vereinbarung an und dauert bis zum Anwerbestopp am 23.11.1973. Deshalb bezeichnet man diese Phase auch als Anwerbephase. In dieser Phase wurden außer mit Italien auch mit vielen anderen Ländern Verträge abgeschlossen; mit Griechenland und Spanien (1960), mit Portugal (1964), mit Tunesien und Marokko (1965) und mit Jugoslawien (1968). Ziel dieser Vereinbarungen war es, den Arbeitskräftemangel in der Bundesrepublik zu beheben und den wirtschaftlichen Aufschwung zu unterstützen. In diesem Prozess hat die Bundesregierung unterschiedliche Maßnahmen getroffen, um die Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter zu verbessern. Trotz dieser Maßnahmen waren die Arbeitsbedingungen in den 60er Jahren schlecht (siehe: Lange, 1996; 10). Die sich ziemlich schnell entwickelnde deutsche Industrie zeigte eindeutig, dass die Bundesrepublik ihr Ziel in kurzer Zeit erreichte. Dagegen trat schrittweise ein soziales Problem hervor, das vom Dauerzustand der Gastarbeiter in Deutschland herrührte. 2. Phase von 1973 bis 1979; Rückkehrförderung. Diese Phase wird durch die „Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung“ gekennzeichnet (Yano, 2007; 5). In dieser Phase hat man sich darum bemüht, die Arbeitermigration unter Kontrolle zu bekommen und somit die Zuwanderung zu begrenzen. Deshalb wurden die Gastarbeiter zur Rückkehr angeregt. Aber die Migration nach Deutschland nahm stetig zu, wobei der Familiennachzug der ausländischen Arbeiter eine große Rolle spielte. 3. Phase von 1979 bis 1981: Phase der Integrationskonzepte. In dieser Zeitspanne haben die Gewaltanschläge auf Unterkünfte von Türken und asiatischafrikanischen Flüchtlingen einen Höhepunkt erreicht, weil die zweite Ölpreisexplosion den Hass gegen die Türken in die Höhe hat schießen lassen (Yano, 2007; 6). Erstmals wurden die Voraussetzungen und die Auswirkungen 25 der Zuwanderung realistisch diagnostiziert. Dann sind die Bemühungen in Richtung auf soziale Integration der Gastarbeiter und ihrer Familien gewachsen. 4. Phase von 1981 bis 1990: Asylproblematik und die Begrenzungen. Wegen der Zuwanderungsprobleme, die sich ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gravierten, geriet die Regierung bei der Suche nach Lösungen in einen Irrtum, der dann die Besorgnis und die Empörung der Öffentlichkeit mit sich brachte. Die Maßnahmen gegen die Ausländer der Nicht-EG-Mitgliedstaaten vom Dezember 1981, die den Ehegattennachzug beschränkten und das Nachzugsalter für Kinder auf das 16. Lebensjahr herabsetzten, verlagerten Kompetenzen in der Ausländerpolitik von den arbeitsmarktpolitischen zu den ordnungspolitischen Instanzen (Yano, 2007, 7). 5. Phase von 1990 bis 2000: Die neue Zuwanderungssituation. Das Ausländergesetz von 1990 zielte auf Erleichterungen für die Einbürgerung, und zwar besonders für die Jugendlichen. Dagegen haben die Vereinigung der beiden deutschen Staaten und die damit einhergehende innere Migration von Ost nach West die vorhandenen sozialen Probleme vervielfacht. Deshalb sind im Laufe der Zeit die Phänomene der Fremdenfeindlichkeit verstärkt aufgetaucht. Angesichts dieser Situation ist die Zahl der Einbürgerungen in kurzer Zeit angestiegen. Das riesige Anwachsen der Anzahl von Ausländern führte die deutsche Regierung dazu, im Jahre 2000 neue Maßnahmen zu ergreifen, welche die Lebensbedingungen der Ausländer erleichtern und somit den Integrationsprozess intensivieren sollten: Im Januar 2000 trat ein neues Staatsangehörigkeitsrecht in Kraft, das die Entscheidung für die Einbürgerung erleichtern soll. Die Lebensbedingungen von Ausländern werden jedoch weitgehend durch Ausländergesetze geregelt (Thore, 2004; 13). In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass sich die politischen Entscheidungen der Bundesrepublik besonders auf zwei Punkte stützen: einerseits eine Politik der universellen Gleichheit der Menschen und der menschlichen Würde, andererseits eine Politik der Differenz, die die Besonderheiten einzelner Bevölkerungsgruppen anerkannt und ihnen die Freiheit zur Entfaltung ihrer Denkweisen und Sitten gewährt (Vancea, 2008; 16). 26 Wie oben gestreift wurde, hat die Migration die BRD in einer etwa 50-jährigen Zeitspanne im sozialen und kulturellen Sinne tief verändert. Dabei spielte die Politik der deutschen Regierung eine besondere Rolle. Den Willen zur sozialen und politischen Anerkennung der Migranten sieht man in der veränderten politischen Haltung. Rassistische Abwehrreaktionen gegenüber Migranten wurden verurteilt, und somit wurden für die Migranten gute Lebensbedingungen angestrebt (siehe: Thore, 2004; 13ff). 3.3.2. Kulturschock In den ersten Jahren der Migration ist die Rede von einem „Kulturschock“, so Pazarkaya. Der Kulturschock ist abhängig von dem Bildungsniveau der ersten türkischen Arbeiter und von ihrer sozialen Umgebung in dem Herkunftsland; Arbeiter aus einem Agrarland wie die Türkei kamen in ein hochindustrialisiertes Land wie die BRD, erlebten diese neue Welt als einen Schock und hatten große Anpassungsschwierigkeiten (Kuruyazıcı, 1990; 93). Den Kulturschock der türkischen MigrantInnen können wir unschwer in ihrer künstlerischen Auseinandersetzung nachlesen, weil sie ihre ersten Eindrücke von der Konfrontation mit Deutschen und ihre Fremderfahrung mittels Literatur kritisch und anklägerisch zu Wort gebracht haben. Das in der Literatur der ersten Migrationsjahre bearbeitete Motiv „Sehnsucht nach der Heimat“ bedeutete in diesem Sinne eine Rückblende in die Vergangenheit, eine Vorstellung von der Zeit und Erinnerung an die Heimat, was die MigrantInnen in ein Dilemma führen musste. Die mit der Sehnsucht nach Heimat geprägten Gefühle der ersten Generation stehen bei der Verwirklichung interethnischer Beziehungen vor ihnen wie eine Wand, weshalb die Türken dieser Zeit im Vergleich zu den anderen MigrantInnen aus verschiedenen ethnischen Gruppen besonders wenig zu einer Assimilation neigten (siehe dazu: Esser, 1990; 87). 3.3.3. Identität und Identitätsproblematik Durch die Wirtschaftskrise von 1966/67 sind die Fremdenfeindlichkeit in der deutschen Gesellschaft und die kulturellen Konflikte mit den Ausländern angestiegen (Yano, 27 2007; 14). Obwohl die deutsche Seite keinen Zwang zur Rückkehr ausübte, fühlten sich die Ausländer unter kulturellem Druck, weshalb viele Ausländer in dieser Zeit in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Dagegen sahen sich die in Deutschland gebliebenen Ausländer mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert, die auf sie einen tiefen psychologischen Druck machten, weil die Zahl der fremdenfeindlichen Straftaten wie Brandanschläge stets anstieg. Unter all diesen sozialen und politischen Umständen haben die Ausländer sich darum bemüht, ihre eigene Identität zu finden. Aufgrund der vom Ende der 80er bis in die 90er Jahre herrschenden sozio– und interkulturellen Probleme, die in dieser Zeit die gegenseitigen Ängste, Aggressionen und Spannungen zwischen einheimischer und zugewanderter Bevölkerung erhöhten, haben die Zugewanderten eine große Identitätskrise erlebt. Esser und Friedrichs unterscheiden „Identität“ nach drei wichtigen Merkmalen; soziale Identität (Mitgliedschaftsdefinition und deren Bewertung), personale Identität (spezielle Definition und Bewertung Mitgliedschaftsdefinition) und individueller Ich-Identität Besonderheiten (Esser/Friedrichs, 1990; bei 14). der Die Entstehung dieser drei Identitäten ergibt sich aus dem Identifikationsprozess in einer Gesellschaft, in der sich die entsprechenden Einflüsse auf die Personen sowohl positiv als auch negativ auswirken können. In der primären Sozialisation führen die Identifikationen zu starken Identifizierungen: Während der primären Sozialisation werden aufgrund des beschriebenen Prozesses zunächst die grundlegenden sozialen, kulturellen und religiösen Orientierungen vermittelt. Es wird die soziale Identität auf der Grundlage von Identifikationen aufgebaut (Esser/Friedrichs, 1990; 15). Ethnische Zugehörigkeit, Nationalität und auch Geschlechterrolle gehören in diesem Sinne zur sozialen Identität. Personale Identität wird dagegen im Prozess der kindlichen Sozialisation aufgebaut: Die wichtigsten Bedingungen für die Entwicklungen einer derartigen personalen Identität sind die soziale Möglichkeit für eine individuelle Biographie und ein individuelles Mitgliedschaftsprofil, ohne dass diese individuellen Abweichungen negativ sanktioniert würden (Esser/Friedrichs, 1990; 15). 28 Ich-Identität baut sich dagegen auf Selbstvertrauen der Personen auf, welches besonders beim Problemlösen zu Tage kommt. Um mit Esser und Friedrichs zu sprechen, ist Ich-Identität eine Art von generalisiertem Wissen davon, in der Lage zu sein, auch völlig neue Problemsituationen, auch unter Entwicklung neuer Lösungsrezepte, zu meistern (Esser/Friedrichs, 1990; 16). Ebenfalls definieren Hill und Schnell sie als das subjektive Empfinden seiner eigenen Situation und seiner eigenen Kontinuität und Eigenart (Hill/Schnell, 1990; 27). Aus dieser Tatsache folgt, dass eine Person sich nur in einer Gesellschaft zur Persönlichkeit aufbauen kann, wenn die problemlose Untrennbarkeit der Person mit der Umgebung gewährleistet und gesichert ist. Der Wandel von bestimmten situationalen Bedingungen in einer Gesellschaft bestimmen in diesem Sinne die oben genannten drei Identitäten einer Person. Bezüglich der Bewertung der Migration in die Bundesrepublik und ihres Einflusses auf die MigrantInnen der zweiten Generation ist zu bemerken, dass die MigrantInnen der zweiten Generation die oben genannten drei Identitätsprozesse durchlebt haben. Nach den sozialen und den personalen Identitätsproblemen der ersten Generation, die aufgrund der ersten Begegnung mit einer fremden Kultur aufgetaucht sind und in Anlehnung daran zu einem Kulturschock geführt haben, haben die MigrantInnen der zweiten Generation Ich-Identitätsprobleme erlebt, die in dem Sinne der Ablösung von der Herkunftskultur bewertet werden müssen, was für die MigrantInnen zu einer Krise geführt hat. Die Identitätszerstörung bei der zweiten Generation ist andererseits durch die Prozesse der Integration beeinflusst worden. 3.3.4. Integration Man bringt den Begriff „Integration“ mit dem Begriff „Identität“ in Verbindung, um die Merkmale der Identität in Bezug auf die Migration zu betonen. Auch in diesem Teil der Arbeit ist es unser Ziel aufzuzeigen, dass man Integration und Identität zueinander in Relation setzen muss. Bei der Identitätsproblematik türkischer MigrantInnen spielt ihr Widerstand gegen die Integration eine wichtige Rolle. Dieser Begriff wird oft mit „Assimilation“ verwechselt. 29 Ebenfalls wird Integration von einigen Wissenschaftlern als eine Gefahr der kulturellen Entfremdung bewertet (siehe dazu: Lange, 1996; 15). Die folgende Definition von Lintfert könnte man auch in dieser Richtung verstehen: Integration erfordert beispielweise den Erwerb deutscher Sprachkenntnisse, den Verzicht auf übersteigerte national– bzw. religiös orientierte Verhaltensweisen sowie das Anpassen in die geltenden Normen und Verhaltensmuster (Lintfert, 1998; 29). Es ist von Bedeutung an dieser Stelle zu betonen, dass Integration auf interkultureller Kommunikation beruht und bei einer Annäherung an eine fremde Kultur an Bedeutung gewinnt. Darunter wird also nicht der Verlust der eigenen kulturellen Eigenschaften und Verhaltensweisen verstanden. Dagegen haben die türkischen MigrantInnen die Integration lange Zeit als ein soziales Problem gesehen, das schrittweise zum Verlust der eigenen Kultur bzw. zur Assimilation führt. Bei der Assimilation ist die Rede von einer einseitigen Anpassung, bei der das Bewahren der kulturellen Identität erschwert wird. In Anlehnung an Lidz weist Weber darauf hin, dass Integration eine eigene Entscheidung der Personen sei und diese Entscheidung die kulturelle und ethnische Identität nicht zerstöre: ...sie erfordert auch ein emotionales Gleichgewicht, das es einer Person gestattet, elastisch zu sein, sich an andere anzupassen, ohne dabei einen Identitätsverlust befürchten zu müssen. Sie verlangt auch ein Grundvertrauen zu anderen und Vertrauen auf die Integrität des eigenen Selbst (Weber, 1989; 52). Integration ist in diesem Sinne ein Prozess für eine Persönlichkeit, die der fremden Kultur und ihrer Verhaltensweise gegenüber offen ist; dieser Prozess spielt bei der Entwicklung des Selbstkonzepts eine wichtige Rolle. Berberoğlu weist ebenfalls darauf hin, dass Integration eine Persönlichkeit voraussetzt, die sich ihrer kulturellen Herkunft bewusst ist sowie den Orientierungen [gegenüber], die im Gastland bestehen, offen ist (Berberoğlu, 1995; 90). Darüber hinaus könnte man weitere Unterschiede zwischen Integration und Assimilation hervorheben. Statt Verlust der eigenen Werte treten bei der Integration Respekt und Anerkennung der gegenseitigen Werte in den Vordergrund. Zwischen Identität und Integration tritt hiermit keine auf die MigrantInnen sich negativ 30 auswirkende Situation auf, wenn damit nicht eine einseitige Anpassung an die deutsche Gesellschaft gemeint ist. Den Begriff der Integration kann man in Anlehnung an Berberoğlu in fünf Punkten zusammenfassen: 1. Integration muss sowohl von der Seite der Minderheit als auch von der Seite der Mehrheit geschehen. 2. Integration sollte auf der zwischenmenschlichen Ebene vollzogen werden. 3. Der Stellenwert von Sprache sowie von Sprachlehre ist im Zusammenhang mit der Integration hoch. Es ist sehr wichtig im fremdkulturellen Umfeld über die Fähigkeit zu verfügen, in Kontakt zu kommen, sich mitzuteilen, zu handeln, das Gefühl zu haben, dass man akzeptiert ist, dass man in diesem fremden Umfeld eingegliedert ist. 4. Das Vermitteln deutscher Sprachkenntnisse sollte einen Beitrag zur Verbalisierung von Bedürfnissen, Empfindungen und Emotionen leisten. 5. Negative Erfahrungen sowie Befürchtungen und Problemstellungen sollten in Begriffe umgesetzt werden. Nur das „Definierte“ kann verstanden und verarbeitet werden. (Berberoğlu, 1995; 98 ff). 3.3.5. Subkultur Der Stress des „Dazwischenbleibens“, der zugleich die Identitätsproblematik der türkischen MigrantInnen in Deutschland schürt, führt bei den türkischen MigrantInnen das Gefühl der „Heimatlosigkeit“ herbei, weil die MigrantInnen sich nunmehr weder in Deutschland noch in der Türkei zu Hause fühlen. Sie sind in Deutschland Ausländer und in der Türkei „Almancı“ (Deutschländer). Eine Isolierung von beiden Gesellschaften führt die MigrantInnen dazu, ihre eigene Kultur, die weder Deutsch noch Türkisch ist und als Subkultur bezeichnet wird, zu schaffen. Rösch beschreibt die Subkulturen als Gruppenkulturen, die ethnisch, sozial oder religiös definiert werden können (Rösch, 1992; 65). Das Leben zwischen zwei Kulturen und darüber hinaus die 31 Sozialisationsbrüche unter einer Subkultur rufen die Akkulturationsproblematik in unser Bewusstsein. Nach Lintfert stammt der Begriff Akkulturation aus der Kulturanthropologie und bezeichnet die Verschmelzung zweier verschiedener Kulturen (siehe: Lintfert, 1998; 28), die die Menschen in eine Identitätskrise führt. Durch ein Zitat von Rudolph erklärt Berberoğlu die Akkulturation wie folgt: Akkulturation ist die Prozesse und Phänomene, die bei einem durch (direkten und indirekten) Kulturkontakt bedingten Kulturwandel auftreten. Akkulturation wäre damit derjenige kulturelle Wandel, der nicht durch menschlich beeinflusste natürliche Faktoren oder durch kulturendogene Faktoren – z.B. durch kultureigenständige Erfindungen im weitesten Sinne – bedingt ist (Berberoğlu, 1995; 180). In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass die von den MigrantInnen der zweiten Generation geschaffene Subkultur zugleich eine Suche nach der eigenen Persönlichkeit bedeutet und eine Anstrengung dazu beinhaltet, die Sozialität nicht zu verlieren, kurz gesagt, Widerstand gegen die Akkulturation zu leisten. Wenn wir uns die gegenseitigen interkulturellen Beziehungen der MigrantInnen dreier Generationen und die der Deutschen vor Augen halten, könnte man unschwer sagen, dass das soziale Leben der zweiten Generation in Deutschland bzw. ihr Leiden, ihre Bestrebungen für die eigene Persönlichkeit sowie für ihre in dieser Richtung entwickelte Literatur der folgenden dritten Generation hinsichtlich der Möglichkeiten von Sozialisation, Anpassung und Solidarität völlig neue Wege geöffnet hat. 3.3.6. Kanak Attak Zur Überwindung der o.e. Probleme wie „Migration“, „Identität“, „Herkunft“ und „Multikulturalität“ haben die MigrantInnen für sich eine neue literarische Strömung geschaffen, als deren prominentester Vertreter mit seiner provozierenden „Kanak Sprak“ Feridun Zaimoğlu gelten kann. „Kanake“ ist ein diskriminierendes Schimpfwort und bezeichnet die ausländischen Arbeitnehmer, bes. Türken, die ungebildet und einfältig sind (Duden, 1983; 662). Skiba weist in seinem Beitrag auf die etymologische Bedeutung dieses Begriffs hin: 32 Zaimoğlu nennt sein literarisches Erstlingswerk Kanak Sprak, Sprache der Kanaken. Etymologisch weist der schillernde Begriff „Kanake“ nach Neukaledonien. Dort meinte „Kanak“ ursprünglich nichts weiter als „Mensch“ und diente zur Selbstbezeichnung der Mitglieder des dortigen Volkes. Die französischen Kolonialisten, die im 19. Jahrhundert die Inselgruppe besetzen, übernahmen den Begriff und verwendeten ihn als diffamierende Fremdbezeichnung. „Kanaken“ waren in ihren Augen keine gleichwertigen Menschen, sondern Menschen und Menschenfresser zugleich (Skiba, 2004; 184f). Wie in diesem Zitat betont wird, hat der Begriff „Kanake“ mit den französischen Kolonialisten und gerade wegen ihrer aus der Fremdheit auftretenden Distanz zu den Neukaledoniern eine Bedeutungsverschlechterung durchgemacht. Skiba macht auf eine ähnliche Bedeutungsänderung in Deutschland aufmerksam: Eine ähnliche Bedeutungsverschiebung erfuhr der Begriff „Kanake“ in Deutschland. Seit den 60er Jahren diente er zur abfälligen Titulierung meist türkisch- oder kurdischstämmiger „Gastarbeiter“, denen man mangelnde Hygienestandards nachsagte und unterstellte, in aufdringlicher Weise deutsche Frauen zu belästigen (Skiba, 2004; 185). Die „Kanak Attak“ genannte Strömung hat nicht nur die gesellschaftlichen Probleme der MigrantInnen hinsichtlich der „Identität“ oder der „Herkunft“ thematisiert, sondern auch sprachlich völlig Neues geschaffen; in ihr wurde eine neue Sprache entwickelt, die weder Deutsch noch Türkisch ist. Dieses Sprachverhalten wird von den Wissenschaftlern als soziologische Reaktion bzw. Gegenwirkung gesehen. Mit diesem Begriff weist Zaimoğlu auf den sozialen Druck der hektischen Sprache hin, der die MigrantInnen in der deutschen Gesellschaft zur Einsamkeit und zugleich zur Identitätsproblematik führt, weil sie sich aufgrund ihrer mangelnden Sprachkenntnisse nicht richtig verständlich machen konnten. Im Hinblick auf Stilistik schreibt Zaimoğlu alle Buchstaben klein, indem er die grammatischen Regeln ausser Acht lässt. Diese Annäherung sieht man auch in den konkreten Texten von Max Bense, der alle Buchstaben klein schreibt, um zu zeigen, dass alle sprachlichen Elemente gleichwertig sind (Pazarkaya, 1996;87). 33 Die Problematik „Kanake“ wurde auch von einer der ersten deutschen Hip-HopGruppen „Fresh Familee“, die in den 90er Jahren von türkischen, marokkanischen, mazedonischen und deutschen Jugendlichen gegründet war, behandelt. In seinem Lied „Fresh Familee I“ problematisiert Ahmet Gündüz die Migrantenproblematik mit einem gebrochenen Deutsch. Das Lied beginnt mit einigen Zeilen, die sich an das gebrochene Deutsch der ersten Einwanderer aus der Türkei anlehnt, die aber in ihrer Pointierung und Schlagfertigkeit die Erwartungen geschickt in die Irre führt. Ganz selbstverständlich wechselt der Sänger gegen Schluss des Textes ins Hochdeutsche, um zu gegenseitigem Respekt aufzufordern3: Mein Name ist Ahmed Gündüz, laß mich erzählen euch / Du musse gut schon zuhören, ich kann nix sehr viel Deutsch / Ich komm von die Türkei, zwei Jahre hier / Und ich viel gefreut, doch Leben hier is schwer / In Arbeit Chef mir sagen; Kanacke hä wie gehts / Ich sage; Hastirlan doch Arschloch nix verstehn / Mein Sohn gehn Schule, kann schreiben jetzt / Lehrer ist ein Schwein, er gibt ihm immer Sechs / Gestern ich komm von Arbeit, ich sitzen in der Bahn / da kommt ein besoffen Mann und setzt sich nebenan / Der Mann sagt; Öhf, du Knoblauch stinken / Ich sage; Ach egal, du stinken von Trinken […] Ich bin ein Mensch, du bist ein Mensch. Bruder, gib mir deine Hand und laß uns friedlich leben (Gündüz, 2007). Gündüz weist in seinem Lied ironisch und scherzhaft auf die Sprache der türkischen MigrantInnen in Deutschland und zugleich auf die gegenseitigen Vorurteile hin. Um die gegenseitigen Vorurteile abzubauen und das friedliche Zusammenleben zu schaffen, stellt er eine Lösung vor, die zu gegenseitigem Respekt auffordert. Zaimoğlus „Kanak Attak“ ist der Ausdruck von Identität der zwischen zwei Sprachen bleibenden MigrantInnen. Er lässt seine Figuren bewusst „gemischt“ sprechen (Skiba, 2004; 203), um zu zeigen, dass sie in sich keine türkische und keine deutsche Identität haben, sondern sie sind Menschen einer Subkultur. Um mit Skiba zu sprechen, betreibt Zaimoğlu als Schriftsteller ein ironisches Spiel mit Identitäten, lässt seine Figuren zwischen den Sprachen springen und sie nie gehörte Wörter sagen (Skiba, 2004; 203). 3 Für weitere Hinweise darauf, siehe; CD. Import&Export a la Turka. Turkish Sounds from Germany compiled by DJ İpek İpekçioğlu. 2007. 34 Hinsichtlich der interkulturellen Kommunikation der türkischen Migranten der zweiten Generation mit der deutschen Aufnahmegesellschaft und deren soziologischpsychologischen Folgen wird die zweite Generation von den Soziologen und Kulturwissenschaftlern zur „verlorenen“ Generation abgestempelt. 3.3.7. Literatur als Mittel zur Verständigung Um die soziokulturellen Probleme zu überwinden und die gegenseitige Verständigung zu erreichen, haben viele Politiker und Wissenschaftler erhebliche Bemühungen unternommen. Literatur war in diesem Zusammenhang ein wichtiges Mittel, weshalb viele Verlage und literarische Zeitschriften das Ziel verfolgten, Sprachrohr aller Kulturen zu sein und somit die interkulturelle Solidarität zu betonen. Bei dem Kulturaustausch und der gegenseitigen Verständigung zwischen Deutschen und Türken spielten in diesem Sinne der „Ararat-Verlag“ und der „Dağyeli Verlag“ eine führende Rolle, indem sie zweisprachige Texte veröffentlicht haben. Lange betont: Der Ararat-Verlag bemüht sich seit Ende der 70er Jahre um einen Kulturaustausch zwischen türkischen und deutschen LeserInnen, indem er zweisprachige Texte veröffentlicht. Auf gegenüberliegenden Seiten ist sowohl der türkische als auch der deutsche Text abgedruckt, jeder Band enthält außerdem einen sprachlichen Übungsteil, der das gegenseitige Interesse für die Fremdsprache anregen und eine erste Hilfe zur Verständigung sein soll (Lange, 1996; 19). Ausgehend von dem obigen Zitat ist zu bemerken, dass das Hauptziel des AraratVerlags und der anderen kleineren Verlage, die für die interkulturelle Literatur gegründet wurden, nicht nur die Bloßlegung der Probleme der MigrantInnen war; sondern sie waren selbst Vermittler zwischen beiden Kulturen, die die kulturellen Güter unterschiedlicher Länder ins rechte Licht rücken wollten, wodurch auch die Fremdfeindlichkeit reduziert und die interkulturelle Solidarität gestärkt werden konnten. Zeitschriften wie „Südwind“ oder „Anadil“, die in den 80er Jahren zweimonatlich erschienen und von Yüksel Pazarkaya herausgegeben wurden (Sölçün, 2007; 141), spielten dabei eine wichtige Rolle. Pazarkaya hat in „Anadil“ türkische und deutsche Texte auf einer Seite nebeneinander veröffentlicht, um die türkische Kultur den Deutschen bekanntzumachen und somit zur Überwindung oder Reduzierung der 35 gegenseitigen Vorurteile beizutragen. Durch seine interkulturellen Arbeiten hat er eine führende Rolle gespielt. 3.3.8. Veränderung der Eigenwahrnehmung Ab den 1980er Jahren, besonders nach dem Schwinden des Kulturschocks der ersten Begegnung zwischen den Deutschen und den türkischen MigrantInnen hat sich die gegenseitige Kommunikation dieser Völker schrittweise verbessert. Viele Deutsche und Türken haben angefangen, einander besser kennen zu lernen und die vorkommenden Vorurteile empathisch zu überwinden. Ihre interkulturellen Beziehungen, die sich auf die einheimische Bevölkerung in mancher Hinsicht positiv auswirkten, haben den Begriff der „multikulturellen Gesellschaft“ zustande gebracht (siehe dazu: Lange, 1996; 1). Der Begriff „multikulturelle Gesellschaft“ steht nicht nur mit der Politik und der Kultur in Verbindung, sondern beeinflusst alle kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Schichten einer Gesellschaft. Deswegen befinden sich die multikulturellen Gesellschaften in einer Situation, die für interkulturelle Probleme offen ist. Unter diesen Umständen könnte man die Betonung der kulturellen Differenzen auf die Menschen sowohl positiv als auch negativ verstehen. Die Akzentuierung der Differenzen wirkt auf die Kulturen insofern positiv, als trotz der Differenzen die Gleichwertigkeit aller Kulturen im Vordergrund steht (siehe; Lange, 1996; 2). Die sozialen, kulturellen und literarischen Tätigkeiten der MigrantInnen der dritten Generation haben in diesem Sinne positiv geprägt. Die dritte Generation hatte bezüglich der interkulturellen Kommunikation mit den Deutschen im Vergleich zu den vorherigen Generationen kaum Probleme. Diese Generation sah den Migrationsprozess als Prozess der Aneignung der neuen Kultur, des Aufbaus neuer Sozialbeziehungen und der sozialen und personalen Identifikation mit der deutschen Gesellschaft. Diese Haltung kann man auch in ihrer Literatur ausgedrückt sehen. Die Emotionalität der dritten Generation bleibt im Schatten der Vernunft, weil viele AutorInnen die türkische und die deutsche Kultur, die vorkommenden 36 gesellschaftlichen Probleme und zugleich das Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft realistisch dargestellt haben. Die Themenschwerpunkte dieser Generation sind meistens die gegenseitige Humanität und die Solidarität. Ihre Werke spiegeln eine bunte Sprachhaltung wieder. Die Arbeitswelt, die Sehnsucht nach der Heimat, die Identität, die Assimilation etc. sind keine beliebten Themen mehr. Dagegen werden überwiegend Motive bearbeitet, die das friedliche Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft in den Vordergrund stellt. Mit dieser Haltung lässt sich die Identitätsbildung der MigrantInnen weiter entwickeln, und darüber hinaus sind die Ausländer nicht mehr Unterdrückte und Leidende, sondern Lebende, genau so wie alle Menschen in der gleichen Gesellschaft. Bei dieser persönlichen Entwicklung spielten die Filme von Fatih Akın, die thematisch überwiegend um Integration, Identitätsbildung, Toleranz sowie um harmonisches Miteinander von Menschen unterschiedlicher Herkunft/ Rasse/Religion kreisen, eine bedeutende Rolle. Nach einem problematischen Integrationsprozess der zweiten Generation ist es bei der dritten Generation offensichtlich, dass die gegenseitigen Erwartungen der Türken und der deutschen Aufnahmegesellschaft dank dem Abbau der gegenseitigen Vorurteile und dank der Solidarität in hohem Maß erfüllt wurden. Die Mentalität dieser Generation ist im Vergleich zu der der vorherigen Generationen nun mehr um den Leitspruch „Wir sind da und wir sind ein Stück dieses Landes“ (Kocadoru, 2003; 29) gestaltet. 37 VIERTER TEIL LITERATUR DER TÜRKISCHEN MIGRANTEN In diesem Teil der Arbeit möchten wir anhand der Allgemeinen und der Vergleichenden Literaturwissenschaft ausgewählte deutschsprachige Literatur türkischer MigrantInnen verschiedener Generationen analysieren. Hierbei soll einerseits gezeigt werden, wie der soziokulturelle Wandel der Einwanderer im Laufe der Zeit die Migrantenliteratur umgeprägt hat. Andererseits wird die These verfolgt, ob sich die Veränderung der Eigenwahrnehmung bzw. des Identitätsverständnisses der türkischen Einwanderer von Generation zu Generation auch in der Literatur widerspiegelt. In diesem Punkt soll in erster Linie der soziale und kulturelle Wandel der Generationen stichwortartig, aber auch vergleichsweise beurteilt werden, um die Wirkung dieses Wandels auf die Werke klarer herauszustellen. Die Literatur der unterschiedlichen Migrationsgenerationen wird dabei chronologisch erläutert; die behandelten Themen werden im Hinblick auf ihre soziologischen und kulturwissenschaftlichen Dimensionen gegenwartsbezogen verglichen. Der Sprache, die die MigrantInnen in ihrer Literatur gebraucht haben, soll in diesem Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit zukommen, da aus soziologischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive die Frage, warum die MigrantInnen der zweiten und dritten Generation ihre Literatur in der deutschen Sprache abgefasst hätten, von Bedeutung ist. Abschließend wird der zweite Teil der Arbeit die Situation der Migrantenliteratur in der literarischen Welt zur Diskussion stellen. 4.1. Begriffsbestimmungen Die Benennung Migrantenliteratur ist umstritten, und es gibt keinen Begriff, der sie mit ihren politischen, sozialen und wirtschaftlichen Hintergründen im Ganzen umfasst. Ab den 80er Jahren bemühten sich viele Wissenschaftler darum, eine passende Bezeichnung zu finden. Deshalb ist es von Bedeutung, 38 • nach der Beziehung zwischen der Literatur und ihrer politischen Geschichte, • nach der Entwicklung der deutschsprachigen Literatur türkischer MigrantInnen in Deutschland, • nach ihren soziologischen, politischen und interkulturellen Besonderheiten zu fragen und • schließlich zu verstehen, welche Begriffe für diese Literatur am besten geeignet sind. „Ausländerliteratur“ ist ein Oberbegriff und umfasst die Literatur aller Ausländer verschiedener ethnischer Gruppen in Deutschland, die aus unterschiedlichen Gründen nach Deutschland ausgewandert sind. Rösch weist in ihrer Arbeit auf diese Gründe hin: Der Begriff der AusländerInnenliteratur meint eine Literatur von AusländerInnen. AusländerInnen steht hier nicht nur für ArbeitsmigrantInnen, sondern auch für Flüchtlinge (aus der sogenannten Dritten Welt), SystemmigrantInnen (aus Osteuropa) und vielleicht auch Aus- und ÜbersiedlerInnen, die zwar einen deutschen Pass haben, aber Deutsch nicht als Erst-, sondern als Zweitsprache sprechen und schreiben (Rösch, 1992; 13). Nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich Deutschland in einer wirtschaftlichen Krise, während die anderen westlichen Länder ein wirtschaftliches Wachstum verzeichneten. Aufgrund des Mangels an Arbeitskräften hatte die Bundesregierung beschlossen, den Bedarf für einen gewissen Zeitraum mit den „Gastarbeitern“ zu decken. Deshalb hat man mit einzelnen Ländern wie z.B. Italien (1955), Griechenland (1960) und Spanien (1960) schrittweise Verträge abgeschlossen (Yano, 2007; 2). Somit sind viele Ausländer in den 60er und 70er Jahren aus verschiedenen Ländern mit dem Zweck der Arbeitsaufnahme in die Bundesrepublik eingewandert (Yano, 2007; 1). Nach dem Militärputsch 1960 hat auch die Türkei sich in einer wirtschaftlichen Krise befunden, und die Regierung, die das Land mit Militärgesetzen regierte, bemühte sich darum, die Krise zu überwinden und für ihre Bürger neue Arbeitsfelder zu finden. In diesem Sinn bot Deutschland der türkischen Regierung die Möglichkeit, unqualifizierte Arbeitskräfte zu „exportieren“ und damit die Zahl der Arbeitslosen in der Türkei zu senken. Zudem würden so vom Ausland Devisen fließen, und die qualifizierten Arbeiter, die in zwei oder drei Jahren zurückkommen sollten, so Kocadoru (1997;2), 39 könnten mit ihren neu gewonnenen Erfahrungen die technologische Entwicklung des Landes voranbringen. Mit dieser Zielsetzung hat die türkische Regierung Deutschland angeboten, einen Vertrag abzuschließen. Die kosmopolitische Situation der Türkei, ihre hohe Bevölkerungszahl und religiöse Motive nährten auf Seiten Deutschlands lange Zeit Vorbehalte gegen so einen Vertrag. Aber dank der beharrlichen Bemühungen der türkischen Seite sowie mit Rücksicht auf deren NATO-Mitgliedschaft und auf die Fortdauer des Arbeitskräftemangels in der BRD wurde am 30. Oktober 1961 zwischen beiden Ländern schließlich ein Vertrag unterzeichnet. Nicht alle oben genannten Verträge mit den Zuzugsländern sind gleich formuliert worden. In den Abkommen mit der Türkei und mit Marokko gab es Sonderbestimmungen bezüglich der Begrenzung des Aufenthalts. Ein Hinweis auf die jährliche Verlängerungsmöglichkeit der Arbeitsund Aufenthaltserlaubnis fehlte in den Vereinbarungen mit Ausnahme Marokko, Tunesien und der Türkei (Yano, 2007; 3). Nach der Anwerbevereinbarung begann der Zuzug türkischer Arbeitskräfte nach Deutschland, die in den ersten Jahren (d.h. bis 1973) deshalb als „Gastarbeiter“ bezeichnet wurden (Kocadoru 1997; 2)4, weil die Regierungen beider Staaten davon überzeugt waren, dass der unterzeichnete Vertrag nur kurze Zeit gültig bliebe und die türkischen Arbeiter nach ein paar Jahren in ihre Heimat zurückkehren würden. Der Begriff „Gastarbeiter“, der aus der Umgangssprache stammte, war die gängigste Bezeichnung für die Ausländer in den 60er und 70er Jahren (Yano, 2007; 1). Dieser Begriff übertrug sich auf die Literatur der in Deutschland lebenden MigrantInnen. So ist ihre Literatur im Laufe der Zeit als „Gastarbeiterliteratur“ bezeichnet worden. Tekinay setzt sich mit den Problemen der Begriffsfindung in der frühen Phase der Migrantenliteratur auseinander: Weil es Schwierigkeiten gab, für diese neue Strömung, dass nämlich Fremde deutsche Literatur schaffen, einen Oberbegriff zu finden, versuchte man, verschiedene Bezeichnungen einzuführen, wie zum Beispiel „Gastarbeiterliteratur“, die sicherlich abwertend klingt und 4 Früher gab es noch den Begriff „Fremdarbeiter“ mit weiteren, negativ beladenen Assoziationen, auf den wir hier nicht eingehen wollen 40 darüber hinaus nicht zutreffend ist, denn nur die wenigsten der Vertreter dieser Bewegung sind richtige Gastarbeiter (Tekinay, 1997; 28). Die Bezeichnung „Gastarbeiterliteratur“ war für die ersten Jahre der Migration bezogen auf die politischen und sozialen Hintergründe - insofern logisch und hinreichend, als diese Literatur anfangs von Menschen geschaffen wurde, die erst kurze Zeit als Arbeiter in Deutschland waren. Sie waren keine Künstler, Studierende oder Asylsuchende, sondern nur ungebildete Arbeiter (siehe dazu: Lange, 1996; 6). Biondi und Schami jedoch haben den Begriff „Gastarbeiterliteratur“ in ihren Arbeiten innerhalb der PoLi-Kunst-Bewegung nur ironisch verwendet und durch die Bezeichnung „Literatur der Betroffenheit“ ersetzt (Rösch, 1992; 21ff). Der Begriff „Literatur der Betroffenheit“ verweist darauf, dass die Autoren sich innerhalb der deutschen Gesellschaft als Gastarbeiter einer Randgruppe zugehörig fühlten. Ihrer Literatur kam eine gesellschaftskritische Funktion zu. In diesem Sinn hat die PoLiKunst-Bewegung (Polynationaler Literatur- und Kunstverein), die 1980 von Biondi und Schami gegründet wurde, das Ziel verfolgt, Sprachrohr der ausländischen Arbeiter und der unterdrückten Minderheiten zu sein, ihre literarische Bewegung weltweit bekannt zu machen und die den ImmigrantInnen in der Aufnahmegesellschaft widerfahrende Diskriminierung anzuprangern. Sie kämpften ohne deutsche Bevormundung für ihre Rechte und für eine bessere Kommunikation unter nichtdeutschen KünstlerInnen (Sölçün, 2007; 141): Die PoLiKunst-Bewegung war eine Bewegung von immigrierten AutorInnen, die sich ihrer Diskriminierung in der Aufnahmegesellschaft entgegenstellen wollten (Rösch, 1992; 22). Wie von Rösch dargelegt, konzentriert sich die Kritik der ersten AutorInnen auf die den Alltag der MigrantInnen prägende Diskriminierung in der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Die persönliche Betroffenheit steht im Mittelpunkt und wird zur Antriebsfeder dieser Literatur. Damit verknüpft ist die zeitgenössische Diskussion, ob die PoLiKunst-Bewegung die Migrantenliteratur zur Protestliteratur gemacht hat. Rösch stellt diesbezüglich fest: Die Zukunft der Migrationsliteratur wird vielmehr zeigen, ob sich die PoLiKunst-Bewegung als eine Art Sturm-und-Drang-Phase der Migrationsliteratur darstellen wird. (…) Ich verstehe diesen Prozess 41 als positiven Entwicklungsprozess einzelner AutorInnen, die sich letztendlich um die Migrationsliteratur als „Literatur der Betroffenheit“ verdient gemacht haben und weiter verdient machen werden (Rösch, 1992; 24). In seinem Beitrag stellt Tanzer dar, dass die türkischen AutorInnen in Deutschland sich nur sehr kurz für eine Politisierung haben begeistern können. Dabei spielte ihre Konzentration auf interkulturelle Probleme eine besondere Rolle: An den Aktivitäten des Polynationalen Literatur- und Kunstvereins (= PoLiKunst), […] nahmen Türken, wenn überhaupt, nur zurückhaltend teil (Tanzer, 2004; 306). Das Phänomen „Gastarbeiter“ in der deutschen Wirtschaft endete mit dem Anwerbestopp von 1973 (Kocadoru, 1997; 3). Die deutsche Regierung verfügte ein Ende der Anwerbemaßnahmen auf Grund der wirtschaftlichen Krise im Land und der damit einhergehenden hohen Arbeitslosigkeit. Am Status der bisherigen Gastarbeiter in Deutschland änderte sich nichts, sie behielten ihre Arbeitsstellen, aber die deutsche Regierung strebte nun nach einer konkreten Lösung, den ununterbrochenen Zuzug der Arbeiter zu stoppen und die Arbeitslosenquote zu senken. Auch die Türkei befand sich nun in einer wirtschaftlichen Krise, und die Migration von Türken war in den Jahren der Ölkrise von 1973 und 1974 markant gestiegen (Kocadoru, 1997; 4). Trotz des Anwerbestopps wuchs die Zahl der türkischen ArbeiterInnen in Deutschland vor allem aufgrund der Eheschließungen und überschritt die Marke von zwei Millionen. Dies veranlasste die Bundesregierung zu radikalen Maßnahmen; Von nun an mussten die Türken ein Visum beantragen, um nach Deutschland kommen zu können, und die Migranten hatten kein Recht, ein Arbeitszeugnis zu bekommen. Als weiteres Instrument wurde am 28. November 1983 das „Rückkehrgesetz“ verabschiedet (Yano, 2007; 2), das die Gastarbeiter durch finanzielle Anreize zu motivieren hatte, in ihre Heimat zurückzukehren. Nach dem Anwerbestopp 1973 haben sich die vormaligen Gastarbeiter in ihrer Mehrzahl entschlossen, dauerhaft in Deutschland zu bleiben. Der Begriff „Gastarbeiter“ verlor damit die ihm ursprünglich zugewiesene Bedeutung und wurde zunehmend durch die Bezeichnung „Einwanderer“ ersetzt. Dies stand jedoch im Widerspruch zu der von konservativen Kreisen fortwährend vorgetragenen These, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei. 42 Die etwa zehnjährige Zeitspanne nach 1973 wird als Migrationsperiode bezeichnet, weil besonders die türkischen ArbeiterInnen nicht mehr emigrierend5, sondern dank Eheschließungen und Familiennachzug gruppenweise nach Deutschland gekommen sind. Auch Yano weist in seinem Artikel auf die Eheschließungen und den Familiennachzug und deren Auswirkungen auf die Literatur der MigrantInnen hin: In dem Maße jedoch, wie deren Aufenthaltsdauer zusammen mit dem Familiennachzug anwuchs und somit die Zuwanderungs- in eine faktische Einwanderungssituation überging, wurde der Begriff Gastarbeiter zunehmend als ungeeignet empfunden (Yano, 2007; 1). Die Periode der Migration dauerte bis etwa 1980, d. h. bis zur Einsetzung einer Militärregierung in der Türkei (Kocadoru, 1997; 4). Von da an lässt sich eine stärkere politisch motivierte Emigration aus der Türkei feststellen. Die nach Deutschland Eingewanderten wollten sich auf Dauer in der neuen Heimat einrichten; ihr schriftstellerisches Wirken verbindet sich mit dem Begriff „Migrantenliteratur“. Der Unterschied zwischen beiden Begriffen – Gastarbeiterliteratur einerseits, Migrantenliteratur andererseits – basiert auf der gesellschaftlichen Kontextualisierung; Während die Entstehung des Begriffs Gastarbeiterliteratur das Konzept eines Arbeitsaufenthaltes auf Zeit widerspiegelt, umfasst Migrantenliteratur auch die Werke der aus politischen Gründen nach Deutschland Emigrierten (Asylsuchende, Studierende, Künstler, Autoren etc.). Sie sind in Deutschland wohnhaft und kommen aus verschiedenen Nationen, entstammen unterschiedlichen ethnischen Gruppen, sozialen und kulturellen Herkünften. Kocadoru stellt die Abgrenzung gegenüber dem Begriff „Exilliteratur“ zur Diskussion: Heutzutage wäre eine iranische Literatur im deutschsprachigen Raum eine Emigranten- deutschsprachige Literatur oder von Exilliteratur, Türken ist eine aber die natürliche Entwicklung, deren Anfänge in den 60er Jahren liegen (Kocadoru, 1997; 4). Hier vergleicht Kocadoru die Verhältnisse der deutschsprachigen Literatur türkischer MigrantInnen in Deutschland mit denen der iranischen Literatur. Er betont, dass die 5 Wegen des Anwerbestopps dürfte doch eigentlich Emigrieren nicht mehr möglich gewesen sein. 43 iranischen AutorInnen nur aus politischen Gründen nach Deutschland emigriert sind6. Deshalb könnte man die deutschsprachige Literatur von Iranern als Exilliteratur bezeichnen. Dagegen ist die deutschsprachige Literatur von Türken eine natürliche Entwicklung, die bis in die 1960er Jahre zurückgeht und deren Wurzeln anfangs nicht auf politischen, sondern auf wirtschaftlichen Gründen beruhen. Ebenfalls ist es von Bedeutung in diesem Zusammenhang die These von Sölçün zu erwähnen: Die Autor/innen, die infolge der politischen Unterdrückung ihr Land verlassen mussten, brachten die eigenständige, im Endeffekt heimatorientierte Perspektive der Exilanten in diese Literatur ein (Sölçün, 2007; 135). Nach dem Militärputsch 1980 haben die Türken angefangen, aus politischen Gründen nach Deutschland zu emigrieren. Wichtig scheint es, an diesem Punkt zu betonen, dass hinsichtlich des politischen Hintergrunds der Migration ab den 80er Jahren sich auch das Thema der Migrantenliteratur geändert hat. Die türkischen MigrantInnen thematisierten in ihren Werken neben interkulturellen Problemen der Türken in Deutschland auch die der herrschenden Politik in der Türkei, und zwar ironisch und satirisch. Die Werke von Yüksel Pazarkaya spielen dabei eine führende Rolle. Pazarkaya hebt in seinen Werken neben den politischen Hintergründen zu den beschriebenen Motiven auch die kulturellen Eigenschaften der Türken und ihre Interaktion mit der deutschen Kultur hervor, was für die deutsche Literatur eine bereichernde Funktion hatte. In diesem Sinn beschreibt man den Begriff „Migrantenliteratur“ – um mit Rösch zu sprechen – als nicht nur deutsche Literatur und lenkt das Interesse auf herkunftskulturelle Einflüsse (Rösch, 1992; 18). Bisher haben wir uns darum bemüht, die Bezeichnungen der Literatur türkischer MigrantInnen in Bezug auf die türkische Migrationsgeschichte und ihren politischen Hintergrund zu klären. Die Vielfältigkeit der Texte und der AutorInnen bestimmen die Bezeichnung dieser Literatur. Lange sagt dazu, dass • verschiedene Gattungen und verschiedene literarische Traditionen aus verschiedenen Herkunftsländern, die in die Texte einfließen, 6 • Unterschiede in Geschlecht und Alter, • Zugehörigkeit zur „ersten“ oder zu den folgenden Generationen usw. Der bekannteste Autor der iranischen Exilliteratur ist in diesem Sinn Refik Schami, der aus den 44 Schwierigkeiten bei der Begriffsbestimmung verursachen (siehe dazu: Lange, 1996; 7). Aus der Sicht der türkischen Migrationsgeschichte sind die oben geklärten Begriffe unbestritten; aber wenn wir uns vor Augen halten, dass die Literatur der MigrantInnen und die Literatur über die Migration in Deutschland nicht nur aus den Werken der Türken besteht, tritt das Bedürfnis nach einem erweiterten Begriff auf, der die Werke aller AutorInnen aus verschiedenen Ländern umfasst. Dementsprechend weist Heidi Rösch auf den Begriff „Migrationsliteratur“ hin: Migrationsliteratur ist eine Literatur, die sich mit dem Gegenstand der Migration im weitesten Sinne befasst, diese eindeutig parteiisch, das heißt aus der Perspektive unterdrückter Minderheiten bearbeitet und auch ästhetisch gestaltet (Rösch, 1992; 33). Es ist relevant, von dieser Definition ausgehend zu betonen, dass der Begriff Migrationsliteratur aus zwei Perspektiven bewertet werden kann. Sie ist eine Literatur, die von den MigrantInnen aus verschiedenen Nationen geschrieben wird; sie stellt das Thema Migration in den Mittelpunkt (Lange, 1996; 7). Von diesem Standpunkt aus umfasst Migrationsliteratur im Vergleich zu anderen Begriffen ein breites Umfeld. Die neueren Arbeiten gehen dagegen von einem ganz anderen Begriff aus, der auf den ersten Blick den Anschein hat, keine direkte Relation zur Migration zu haben; Die andere deutsche Literatur. Wer ist diese „andere“? Ist das Literatur von Deutschen oder von Fremden bzw. Literatur für Deutsche oder für Fremde? Wie oben dargelegt, spielen die politischen und sozialen Hintergründe der Migration und ihre historische Entwicklung bei der Bezeichnung der Literatur eine besondere Rolle. Die bisher benützten Begriffe wie Ausländerliteratur, Gastarbeiterliteratur, Migrantenliteratur und Migrationsliteratur bezeichnen verschiedene literarische Strömungen, die entsprechend der im Laufe der Zeit jeweils veränderten Situation der MigrantInnen im deutschen gesellschaftlichen Leben wichtig wurden. Heutzutage ist aber der Begriff „Migration“ selbst in einen großen Prozess des Wandels geraten, weil die Menschen aus zahllosen, ganz unterschiedlichen Gründen zu auswandern angefangen haben. Der dadurch entstandene Perspektivenwechsel wirkt sich direkt auf die Literatur der MigrantInnen in Deutschland aus. Der Ausgangspunkt der Literatur ist politischen Gründen nach Deutschland emigrieren musste. 45 nicht mehr das Thema Arbeiter oder MigrantInnen, sondern die Menschen allgemein, die aus den unterschiedlichsten Gründen mit den Deutschen in Deutschland zusammenleben. Um diesen begrifflich kleinen, aber inhaltlich tiefen Unterschied zu betonen, bezeichnet man die Literatur der unter den Deutschen lebenden Menschen als „die andere deutsche Literatur“. Im März 2003 hat an der Universität Istanbul ein Symposium mit dem Titel „Grenzüberschreitungen“ stattgefunden. Ziel dieses Symposiums war es – um mit Kuruyazıcı zu sprechen –, neue Tendenzen in den deutschsprachigen Minderheitenliteraturen in und außerhalb von Deutschland zur Diskussion zu stellen (Kuruyazıcı, 2003; 12). Titel des Bandes, der die auf dem Symposium vorgetragenen wissenschaftlichen Arbeiten enthält, ist „Die andere deutsche Literatur“. Auch diese Benennung weist auf die oben genannte, sich stets verändernde Situation der Migration und auf ihren entsprechenden interkulturellen Wandel hin. Wie aus den oben angeführten Argumenten zu ersehen ist, war die Bezeichnung der Literatur der MigrantInnen in Deutschland immer diskutierbar. Die Begriffe wie Gastarbeiter-, Ausländer-, Migranten-, Exil- oder Migrationsliteratur weisen eindeutig auf eine Literatur hin, die nicht eine deutsche Literatur ist, sondern eine Variante dieser Literatur, die sich unter besonderen Bedingungen entwickelt(e). Rösch betont in ihrer Arbeit drei Kriterien, die zur Zuordnung dieser Literatur dienen sollen. Das erste Kriterium ist das Thema der Literatur von MigrantInnen, die sie gestaltet haben. Schreiben in einem fremden Sprach– oder Kulturraum ist das zweite Kriterium. Das dritte Kriterium ist, Schreiben als Mittel des Kampfes gegen die Unterdrückung anzuwenden (für weitere Hinweise siehe: Rösch, 1992; 12). Betonenswert ist an dieser Stelle auch die Situation der türkischen AutorInnen und ihre Tätigkeiten im Bereich der Migrantenliteratur, weil sie hier nicht nur allein als AutorInnen zu sehen sind, sondern auch als Forscher und Theoretiker. Sie haben Emigrantenverlage gegründet und ihre Primär– und Sekundärliteratur publiziert. Um mit Rösch zu sprechen spielen türkische Autoren in den meisten Arbeiten zur MigrantInnen– und Migrationsliteratur eine große, um nicht zu sagen zentrale Rolle (Rösch, 1992; 15). 46 Als Theoretiker und Erforscher der Migrantenliteratur weist auch Yüksel Pazarkaya in seinen theoretischen Arbeiten auf die Literatur türkischer MigrantInnen und auf das Benennungsproblem dieser Literatur hin. Pazarkaya ist der Meinung, dass alle oben genannten Begriffe sich auf ethnisch, national oder sozial definierte Gruppen beziehen und ein politisches Zeichen setzen. Eine entsprechende Benennung verschärft die Differenzen in der Gesellschaft und erschwert das Zusammenleben. Bei dem Diskussionsabend7 „Migranten Literatur in Deutschland“, der von der Initiative der Europäischen Türken in Berlin organisiert wurde, hat er die Frage „Gibt es Migranten Literatur in Deutschland?“ verneint und seine Stellungnahme wie folgt begründet: Meinerseits sind die Begriffe wie Migrantenliteratur, Gastarbeiterliteratur oder Ausländerliteratur nicht geltend. All diese Begriffe bringen die Diskriminierung in den Sinn (Pazarkaya, 2008; o.S.). Nach Pazarkayas Meinung gibt es nämlich überhaupt keine Migrantenliteratur; es gebe im Grunde nur Literatur allgemein, deren Themen, Inhalte und Ziele unterschiedlich gewichtet seien. Daneben gibt es aber auch Literaturwissenschaftler und einer der grössten Literaturkritiker wie Marcel Reich-Ranicki, die die Literatur der Ausländer in Deutschland als Rand-Literatur bewerten. Auch von dieser Bewertung distanzieren sich viele AutorInnen, indem sie sich weder von dem einen noch von dem anderen Lager vereinnahmen lassen: Ich bitte um Entschuldigung, aber sie interessiert mich nicht. Ich weiß, ein wichtiges Thema, für die Bundesrepublik wichtig, und überhaupt, ist nicht mein Problem, meine Sache (Aytaç, 2001; 100). Zusammenfassend lässt sich über die Bezeichnung der entsprechenden Literatur sagen, dass das Benennen dieser Literatur sich im Hinblick auf die politischen und sozialen Veränderungen in der historischen Entwicklung der Migration ganz unterschiedlich gestaltet hat. Besonders die Literaturwissenschaftler bestreben sich, den Standpunkt dieser Literatur zu bestimmen und dafür einen angemessenen Namen zu finden, indem sie von der interkulturellen Kommunikation der Deutschen und der MigrantInnen und 7 Der Diskussionsabend wurde am 6. März 2008 von der Initiative der Europäischen Türken in Berlin (BATI) organisiert, und Yüksel Pazarkaya hat an diesem Abend mit dem Beitrag “Es gibt keine Migrantenliteratur, es gibt nur Literatur” teilgenommen. 47 von ihren Werken ausgehen. Demgemäß macht der jeweils unterschiedliche Standpunkt der Literaturwissenschaftler das Benennen dieser Literatur nicht eindeutig und weiterhin diskutierbar. 4.2. Entstehung und Entwicklung der türkischen Migrantenliteratur Im engeren Sinne ist Literatur hinsichtlich der inter-/kulturellen Identitätsbildung und Fremdwahrnehmung ein wichtiges ästhetisches Kommunikationsmittel. Diese literarische Kommunikation spielt nach Vancea in der mentalen und affektiven Konstruktion kultureller Identitäten und Grenzen eine Doppelrolle; Identifikationsfeld, an dem sich die Imagination kollektiver Gemeinschaft vollzieht, und Medium zur Vermittlung von Differenz– und Fremderfahrungen (für weitere Hinweise dazu siehe; Vancea, 2008; 41). Danach hat die Literatur der türkischen MigrantInnen in Deutschland ihren Ursprung in dem Bedürfnis nach der Vermittlung von Differenz– und Fremderfahrungen der türkischen Gastarbeiter im Migrationsprozess. Die Fremdarbeiter, die anfangs aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kamen und ihre eigene Kultur und Denkweise mitbrachten, haben seit den 50er Jahren mit den Deutschen eine gemeinsame Kommunikationskultur aufgebaut, die die Migrantenliteratur der etwa 50 Jahre deutscher Nachkriegszeit hervorbrachte. Kuruyazıcı sagt in ihrem Beitrag dazu: Der fremden Welt gegenüber klammerten sie (Migranten) sich zwar fest an die eigene Tradition und Kultur, aber gleichzeitig wuchs bei ihnen immer mehr [das] Bedürfnis, die fremden Erlebnisse zum Ausdruck zu bringen, die Konfrontation mit der neuen soziokulturellen Umgebung literarisch zu bewältigen. Somit entstand eine Reihe von literarischen Texten (Kuruyazıcı, 1990; 93). Wie Kuruyazıcı im obigen Zitat zum Ausdruck gebracht hat, schildert diese Literatur die Erfahrungen der Migration und die Situation der türkischen MigrantInnen in Deutschland in drei Generationen. Ebenfalls führt Pazarkaya aus, dass die Briefe der in Deutschland tätigen Türken, in denen sie der Heimat von ihrem Leben in der Fremde berichteten, bei der Entstehung der schriftlichen Migrantenliteratur eine bestimmende Rolle spielten (Pazarkaya, 1985; 17). Da für die türkischen AutorInnen die deutsche Sprache noch fremd war, wurde die Anfangsphase der Migrantenliteratur noch überwiegend von Übersetzungen beherrscht (siehe; Sölçün, 2007; 136). 48 Die mit den Anwerbeverträgen in den 50er Jahren entstandene Migrantenliteratur hat in den 80er Jahren das Interesse vieler Literatur– und Sprachwissenschaftler auf sich gezogen. In dieser Zeit sind die ersten Artikel und Anthologien erschienen. Irmgard Ackermann vom Institut für Deutsch als Fremdsprache der Universität München spielte mit ihren wissenschaftlichen Arbeiten dabei eine führende Rolle, und somit gewann die sogenannte Gastarbeiterliteratur im literaturwissenschaftlichen Bereich bzw. in der Ausländergermanistik und/oder in der Interkulturellen Germanistik an Bedeutung. Um mit Thore zu sprechen bemühen die ersten in Deutschland entstandenen Arbeiten sich noch hauptsächlich um die Verortung der Migrantenliteratur auf einen Platz innerhalb der deutschen Literatur (für weitere Hinweise siehe: Thore, 2004; 34ff). Im pädagogischen Bereich treten besonders zwei Dissertationen hervor, die auch die türkische Migrantenliteratur behandeln. Die erste ist Heidi Röschs Dissertation von 1992;8 die zweite ist die Dissertation Andrea Zielke.9 auch in ihren anderen Arbeiten greift Zielke die Situation türkischer Frauen in der deutschen Gesellschaft und die türkischen AutorInnen auf. Die auf Deutsch verfassten Texte türkischer AutorInnen haben in dieser Zeit in den Anthologien und Zeitschriften einen Platz gefunden. Es gab viele Türken deutscher Sprache. Um mit Yeşilada zu sprechen eine der insgesamt vier von I. Ackermann im Deutschen Taschenbuch Verlag edierten Anthologien "nicht-deutscher Literatur" war ausschließlich den Türken deutscher Sprache gewidmet (Yeşilada, 2007; o.S.). Es gibt auch Zeitschriften, die von türkischen Herausgebern ediert worden sind. Darunter zählt man die Literaturzeitschrift Anadil, die in den 80er Jahren zweimonatlich erschien und von Yüksel Pazarkaya herausgegeben wurde (siehe dazu: Sölçün, 2007; 141). Die türkischen und deutschen Texte waren deshalb auf einer Seite nebeneinander gedruckt, weil Pazarkaya sich besonders darum bemühte, interkulturell zu arbeiten, die 8 Migrationsliteratur im interkulturellen Kontext. Eine didaktische Studie zur Literatur von Aras Ören, Aysel Özakin, Franco Biondi und Refik Schami. 9 Migrantenliteratur im Unterricht. Der Beitrag der Migrantenliteratur zum Kulturdialog zwischen deutschen und ausländischen Schülern. 49 türkische Kultur den Deutschen bekannt zu machen und somit beim zur Überwindung und Reduzierung der gegenseitigen Vorurteile beizutragen. Wie die Zeitschrift „Anadil“ legten auch das 1985 vierteljährlich erschienende „Forum“ und das seit 1986 von der „Duisburger Initiative“ alle zwei Monate herausgebrachte Periodikum „dergi/die Zeitschrift“ großen Wert darauf, literarische Texte und politisch-kulturelle Stellungsnahmen der der türkischen Schriftsteller zu veröffentlichen (Sölçün, 2007; 141f). Der Ararat-Verlag und der Dağyeli Verlag sind in dieser Zeit ein Sprachrohr der türkischen MigrantInnen geworden. Bei der Entstehung und Entwicklung der Migrantenliteratur spielten neben den oben genannten theoretischen Arbeiten und den Verlagen auch die literarischen Preise, die den ausländischen AutorInnen verliehen wurden, eine große Rolle. Mehrere türkische AutorInnen wurden im Laufe der Zeit mit dem Adelbert Chamisso-Preis, Ingeborg Bachmann-Preis, Hölderlin-Preis etc. ausgezeichnet. Wie erwähnt wurde, vermittelt die Migrantenliteratur Erfahrungen über die Migrationsgeschichte und thematisiert das soziokulturelle Leben der MigrantInnen im Ausland. Ausgangspunkt dieser Literatur sind die MigrantInnen und ihre Kommunikation mit den Deutschen bzw. ihre Erlebnisse in Deutschland. Rösch erwähnt in Bezug auf die Migrantenliteratur der 80er Jahre auch den Begriff „Jammerliteratur“: Die Migrationsliteratur der 80er Jahre musste sich immer wieder den Vorwurf gefallen lassen, eine „Jammerliteratur“ zu sein; das heißt, über die Beschreibung der traurigen Lebenssituation von ArbeitsmigrantInnen nicht hinauszukommen (Rösch, 1992; 61). Schreiben über die Situation in Deutschland hieß am Anfang der Migrationsgeschichte "Jammern" oder „Schrei aus der Fremde“ (Kuruyazıcı, 1990; 94). Das bedeutete zugleich eine Beruhigung bzw. eine Therapie (Lange, 1996; 13), die ihre Schmerzen heilte und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft verstärkte. Durch die Briefe, die die MigrantInnen an die in der Heimat Verbliebenen gesandt haben, haben sie lange Zeit ihre Erfahrungen und Gefühle ausgedrückt. Diese spontane 50 Kreativität ist im Laufe der Zeit einer künstlerischen Dimension gewichen. Daraus entstand die Migrantenliteratur. Dabei spielte die Sprache selbst die führende Rolle. Um mit Öztürk zu sprechen, bedeutet Ortswechsel Sprachwechsel, die Entwurzelung der eigenen Sprache aus dem Eigenraum und der Existenzkampf im Fremdraum (Öztürk, 2004; 155). Die Sprache, die die MigrantInnen in ihren Werken verwendet haben, war am Anfang der 60er Jahre die Muttersprache, weil sie die deutsche Sprache noch nicht beherrschten. Die sich in kleinen Schritten vermehrende Kommunikation mit den Deutschen und das in Verbindung damit wachsende Verstehen der deutschen Sprache führte die MigrantInnen dazu, zwischen zwei Sprachen hin und her zu pendeln und danach ihre Werke zweisprachig bzw. halb deutsch, halb türkisch zu schreiben. Das Pendeln zwischen zwei Sprachen hat eine migrantenspezifische Sprache geschaffen, die im Vergleich zum Hochdeutschen grammatisch und pragmatisch fehlerhaft ist. In ihrem Artikel „In drei Sprachen leben“ weist Alev Tekinay auf die mangelhafte Sprachkompetenz der Ausländer hin und betont, dass die fremden AutorInnen die kulturellen und sprachlichen Eigenschaften ihrer Muttersprache bewusst oder unbewusst auf die deutsche Sprache übertrugen. Die Übertragung eigenkultureller und -sprachlicher Phänomene führte zur Entstehung einer neuen deutsche Sprache, die mit andersartigen Bildern und Metaphern geschmückt und bereichert ist: Die gemeinsame Schriftsprache der schreibenden Fremden war zwar Deutsch, aber jeder fremde Autor hatte seine sprachlichen Eigenheiten, die in der Erzählkunst seiner Muttersprache ihre Wurzeln haben. Wenn man bedenkt, dass die fremden Schreiber in der Regel aus Herkunftsländer der Gastarbeiter stammen, aus Ländern, in denen eine fundierte Erzähltradition herrscht und in denen es noch berufsmäßige Märchenerzähler gibt, ist es verständlich, dass diese Autoren die trockengewordene deutsche Gegenwartssprache mit Bildern und Metaphern schmücken konnten (Tekinay, 1997; 27). 51 Diese neue Ausdruckweise, die aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse zu Interferenzfehlern10 führte, spiegelt die soziale Realität der MigrantInnen in der deutschen Gesellschaft und identifiziert sich mit ihrem Sprachgefühl. Die MigrantInnen bringen ihre Meinungen nur so zum Ausdruck, wie sie es können und wie sie es fühlen. Kaum von Bedeutung war es für sie, eine vollkommene Sprache zu verwenden, weil sie der Meinung waren, dass diese hektische Sprache ihre Realität im Ausland spiegelte. Hierzu bemerkt Lange: Die auf Deutsch schreibenden MigrantInnen legen großen Wert darauf, dass ihre Texte so, wie sie geschrieben sind, anerkannt werden, und nicht durch Korrekturen von Lektoren „glattgebügelt“ werden (Lange, 1996; 16). Tekinay greift die Sprachhaltung der ausländischen AutorInnen auf und weist darauf hin, dass eine solche Sprachhaltung unter den Deutschen ein großes Interesse an der Literatur und am kulturellen Leben der Ausländer geweckt hat: Die Emigration war ihr unvermeidliches Thema, eine bittere Wunde, die zugleich eine unerschöpfliche Quelle war, und die jeweilige Muttersprache mit ihrem Bilder- und Symbolreichtum ließ sich ohne weiteres ins Deutsche übertragen. Gewiss war es ein ungewöhnliches Deutsch, ein Deutsch, das kein Muttersprachler produzieren würde, zwar nicht fehlerhaft, aber eben ungewohnt, und trotzdem oder gerade deshalb so reizvoll (Tekinay, 1997; 28). Aus der Tatsache, dass Sprache und Literatur wichtige Bestandteile der kulturellen Identität sind (Vancea, 2008; 11), folgern wir, dass das Schreiben in der Muttersprache und das Wechseln zwischen zwei Sprachen auf einen kulturellen Wandel und eine schrittweise Integration hervorrufen, die von einigen Wissenschaftlern als eine Gefahr kultureller Entfremdung bewertet wurden (siehe dazu: Lange, 1996; 15). Aber davon ausgehend, dass die in Deutschland lebenden MigrantInnen aus unterschiedlichen Nationalitäten bestanden/bestehen, war/ist wichtig, in Deutsch zu schreiben, weil sie damit als MigrantInnen aus anderen Nationen die Gründe ihrer Betroffenheit und ihrer Gefühle leichter vermitteln konnten. 10 wie sie z. B. bei der Wiedergabe türkischer Idiome und Redewendungen in deutscher Sprache zu erkennen sind 52 Die Entstehung der Migrantenliteratur beruhte auf den Erfahrungen der MigrantInnen über die Hintergründe der Migration. Die in den ersten Jahren der Migration von den Autoren behandelten Themen haben sich im Laufe der Zeit mit dem soziologischen und kulturellen Wandel in der deutschen Gesellschaft umgeformt. Nunmehr wollte man die rassistischen Strukturen in der Aufnahmegesellschaft bloßstellen und das Daseinsrecht der MigrantInnen in der deutschen Gesellschaft betonen. Somit fanden auch die Deutschen eine Gelegenheit, über ihre eigene Kultur aus einer fremden Perspektive zu lesen und nachzudenken. In diesem Sinn dokumentiert die türkische Migrantenliteratur seit ihrer Entstehung durch Zeitschriften und Verlage die soziokulturelle Situation der türkischen MigrantInnen in Deutschland. Waehrend die AutorInnen der ersten und zweiten Generation wegen der kulturellen Unterschiede die Deutschen und ihre Kultur kritisierten, ist diese Haltung bei den AutorInnen der dritten Generation in Wechsel geraten und sie fingen an, ihre Eigenkultur zu kritisieren. 4.3. Formen der Türkischen Migrantenliteratur In den bisher erschienenen Werken beschäftigen sich die Wissenschaftler überwiegend mit dem Inhalt der Migrantenliteratur; dagegen bleibt die Form im Hintergrund. Deshalb möchten wir in diesem Teil die Formen der türkischen Migrantenliteratur analysieren und die entsprechend gesammelten Erkenntnisse zur Diskussion stellen. Die deutschsprachigen türkischen AutorInnen haben die soziale und politische Reflektion ihrer Kommunikation mit den Deutschen in verschiedenen Gattungen zum Ausdruck gebracht. Gedichte, Kurzgeschichten, Romane, Tagebücher sind die Gattungen, die die türkischen AutorInnen benutzt haben. Bevor wir die Entwicklung dieser Gattungen im Hinblick auf die Migrationsgeschichte zur Diskussion stellen, scheint uns angebracht, an dieser Stelle zu erwähnen, was den Ausgangspunkt der Migrantenliteratur bildete bzw. welche Texte bei ihrer Entstehung eine führende Rolle spielten. 4.3.1. Volkslieder Die sich im Laufe der Zeit entwickelnde Literatur der türkischen MigrantInnen nimmt ihre Quellen aus der Literaturtradition im Herkunftsland, wie sie die türkischen 53 Arbeiter nach Deutschland mitgebracht haben. Die mit dem türkischen Musikinstrument Saz gesungenen türkischen Lieder waren in diesem Sinn am Anfang der Migration die einfachsten Ausdrucksmöglichkeiten für die inneren Gefühle der zwischen Heimat und Fremde lebenden türkischen Arbeiter. Pazarkaya setzt sich mit der Entstehung der Migrantenliteratur auseinander und stellt an diesem Punkt die Funktion der Volkslieder dar; In den Männerwohnheimen wurde an Feierabenden und Feiertagen die Saz aus der Stoffhülle genommen; dann wurden nicht nur die mitgebrachten Lieder gesungen, sondern es entstanden, wie von selbst, neue Lieder, Lieder der Fremde, Deutschland-Lieder. Die Irritation der Menschen in der neuen Umgebung, ihre Begegnung mit einer ungewohnten Gesellschaft, einer fremden Kultur, mit unbekannten, oft ungeahnten Produktionsmitteln und -verhältnissen, ihr Heimweh, ihre Sehnsüchte und Hoffnungen, ihre neuen Leiden und Freuden besangen sie in den tradierten Formen des Volksliedes, bestehend aus silbenzählenden, gereimten Vierzeilern, manchmal auch mit befreiender Selbstironie (Pazarkaya, 1985; 17). Ebenfalls betont auch Ali Osman Öztürk die führende Rolle dieser Gattung und meint, dass die Lieder, die von den ersten MigrantInnen gesungen worden sind, die Entstehungsquelle der schriftlichen Migrantenliteratur seien und eine mündliche Migrantenliteratur entstehen ließen (Öztürk, 2001; 2ff). Die von den türkischen Arbeitern gesungenen Lieder sind Zeugnisse der Auswirkungen der Arbeitsmigration auf die betroffenen Menschen, weil diese Menschen in den ersten Jahren der Migration ihre leidenschaftlichen Gefühle aus der Sehnsucht nach der Heimat mittels Lieder ausgedrückt haben. Abgesehen davon, dass diese Lieder in türksicher Sprache abgefasst sind, nehmen sie all die schon erwähnten Eigenschaften der schriftlichen Migrantenliteratur in sich auf (Öztürk, 2001; 2). Weiterhin macht Öztürk in seiner Untersuchung darauf aufmerksam, dass die Lieder bei der Entstehung der schriftlichen Migrantenliteratur deshalb eine so wichtige Aufgabe gespielt haben, weil sie die große Masse der Gastarbeiter unschwer erreichten, während die schriftliche Literatur noch im Hintergrund blieb (Öztürk, 2001; 3). Gründe dafür liegen darin, dass die Türken in den ersten Jahren der Migration die deutsche Sprache noch nicht herrschten und viele von denen ungebildet waren. 54 4.3.2. Lyrik Hinsichtlich der Migrantenliteratur und ihrer sozialen Folgen ist festzustellen, dass die daraus hervorgehende Lyrik auf der Tradition der Volkslieder beruht, die als die mündlichen Vorläufer der schriftlichen Migrantenliteratur gelten können. In diesem Sinn nimmt die Lyrik ihre Quellen aus der Form des Volksliedes mani, mit dem die türkischen Arbeiter ihren Sehnsüchten und Hoffnungen, ihren neuen Leiden und Freuden lange Zeit Ausdruck gaben. Die Lyrik ist eine literarische Form, die – neben den AutorInnen der ersten Generation wie Yüksel Pazarkaya und Habib Bektaş – überwiegend von den AutorInnen der zweiten Generation verwendet wurde. Zafer Şenocak, Zehra Çırak, Nevfel Cumart u.a. sind die bekanntesten Lyriker der zweiten Generation. 4.3.3. Epik Während die AutorInnen der zweiten Generation für ihre Literatur die literarische Form „Lyrik“ wählten, zeigten die AutorInnen der ersten und dritten Generation eine Neigung zu Prosatexten. Kurzgeschichten, Tagebücher, Romane, Erzählungen, Märchen, Witze, Briefe etc. bilden die Literaturgattungen dieser Generationen. Abgesehen von einigen Stücken von Şinasi Dikmen blieben die Theaterstücke dagegen ganz im Hintergrund. Während Bekir Yıldız, Saliha Scheinhardt und Aysel Özakın mit ihren autobiographischen Romanen bekannt wurden, ragten Şinasi Dikmen und Osman Engin mit ihren satirischen Texten, Aras Ören mit seinen Erzählungen, Fakir Baykurt, Güney Dal und Feridun Zaimoğlu mit ihren Romanen hervor. 4.4. Inhaltliche Analyse der Literatur türkischer Migranten Vom Beginn der Arbeitermigration nach Deutschland in den 1960iger Jahren bis heute lassen sich die türkischen AutorInnen in drei Generationen, zwischen denen zeitlich keine genauen Grenzen festlegbar sind, einteilen. Im Folgenden versuchen wir, die türkischen AutorInnen nach ihren Themen und ihrem Schreibstil einzuteilen, um ihre Literatur beurteilen zu können. Bedeutsam scheint uns an dieser Stelle daran zu 55 erinnern, dass nicht alle AutorInnen im Zuge der Migration nach Deutschland kamen, sondern politische und soziale Gründe eine große Rolle dabei gespielt haben, die im Folgenden einzeln untersucht werden. Im Laufe dieses Abschnittes werden wir des Weiteren kurze autobiographische Informationen über türkische AutorInnen vermitteln, die sich in der deutschen und türkischen literarischen Gesellschaft einen Namen machten. Ziel dieses Teils ist es, Themenschwerpunkte aller drei Generationen festzustellen und auf sie aufmerksam zu machen. Somit wird es möglich darzustellen, welche Themen von welcher Generation und warum am häufigsten behandelt wurden. Hierbei soll einerseits gezeigt werden, wie der soziokulturelle Wandel der Einwanderer im Laufe der Zeit das Thema der Literatur türkischer MigrantInnen umgestaltet hat. 4.4.1. Die AutorInnen der ersten Generation Die AutorInnen der ersten Generation sind eigentlich die Pioniere der Migrantenliteratur (Kocadoru, 2004; 134); dabei spielen besonders die literarischen Tätigkeiten von Yüksel Pazarkaya, Aras Ören und Güney Dal eine führenden Rolle (Kocadoru, 2003; 10). Sie begannen in den 65er Jahren, ihre Literatur zu publizieren und schrieben - abgesehen von einigen Autoren wie Yüksel Pazarkaya und Şinasi Dikmen - in türkischer Sprache, da sie die deutsche Sprache gar nicht bzw. mangelhaft beherrschten. Sie bedienten sich im Allgemeinen prosaischer Gattungen, um ihre soziokulturellen Probleme besser und verständlicher übertragen zu können. Şinasi Dikmen fiel mit seinen satirischen Texten auf. Ihre Werke handeln meistens von • ihren negativen Erlebnissen in der anderen Kultur, • den schweren Arbeitsbedingungen, • ihren Sprachproblemen, • der Sehnsucht nach der Heimat, • ihrer Einsamkeit, • der Ausschließung aus der Gesellschaft und • den Gedanken an die Heimkehr. 56 Wie Kocadoru meint, bedeutete das Schreiben für sie einen Widerstand gegen die soziokulturellen Schwierigkeiten, aufgrund deren ihre Literatur als „Literatur der Betroffenheit“ genannt worden ist (Kocadoru, 2003; 10). 4.4.1.1. Yüksel Pazarkaya Yüksel Pazarkaya siedelte nach seiner Schulzeit in der Türkei im Jahr 1958 nach Deutschland über. Nach dem Chemie-Studium in Stuttgart studierte er Germanistik und Philosophie und promovierte 1973 in der Literaturwissenschaft. Seitdem arbeitet er als Schriftsteller. Zuvor hatte er 1961 als Erster überhaupt eine deutsch-türkische Theaterarbeit initiiert, die zunächst in der von ihm mitbegründeten Stuttgarter Studiobühne stattfand. Ab 1986 war er als Rundfunkredakteur beim WDR in Köln beschäftigt11. Pazarkaya wurde 1987 mit dem Bundesverdienstkreuz, 1989 mit dem Adelbert-vonChamisso-Preis, 1991 mit dem Orhan-Asena-Preis, 1994 mit dem Kinderbuchpreis des Bremer Senats und schließlich 2005 mit der Sonderauszeichnung bei der Vergabe des Haldun-Taner-Preises ausgezeichnet. Daneben wurden ihm 2001 die ChamissoPoetikdozentur der Technischen Universität Dresden und 2006 die Ehrendoktorwürde der Naturwissenschaftlich-Philosophischen Fakultät der Onsekiz-Mart-Universität in Çanakkale verliehen. Pazarkayas Tätigkeiten im literarischen Bereich sind sehr umfangreich. Er schrieb im Bereich der konkreten Poesie viele Gedichte und theoretische Artikel in Zusammenarbeit mit der Stuttgarter Schule/Gruppe, die von Max Bense gegründet worden ist. Deshalb nennt man Pazarkaya auch den einzigen türkischen Vertreter der konkreten Poesie. Als Übersetzer hat er viele Gedichte vom Türkischen ins Deutsche und vom Deutschen ins Türkische übersetzt. Daneben ist er ein Autor/Lyriker/Erzähler der Literatur türkischer MigrantInnen der ersten Generation; Zwischen den Betroffenen und den Beobachtenden vertritt Yüksel Pazarkaya, der schon vor der endgültigen Migration in der Bundesrepublik lebte und studierte, eine besondere Position. Am Migrationsprozess nahm er nicht als Arbeiter teil, sondern als 11 Die autobiographischen Informationen beziehen sich auf die deutsche Wikipedia. 57 engagierter Intellektueller, für den die Begegnung mit den Landarbeitern und Handwerkern aus der Heimat äusserst anregend war (Sölçün, 2007; 137). Seine Werke sind u.a. „Rosen im Frost. Einblicke in die türkische Kultur“ (1982), „Ich möchte Freuden schreiben. Zwei Gedichtzyklen“ (1983), „Spuren des Brots. Zur Lage der ausländischen Arbeiter“ (1983), „Die Wasser sind weiser als wir. Türkische Lyrik der Gegenwart“ (1987), „Der Babylonbus. Gedichte“ (1989), „Ich und die Rose“ (2002) und „Odyssee ohne Ankunft“ ( 2004). Die mit der Migration nach Deutschland mitgebrachte anatolische Kultur und die Sprachlosigkeit und Naivität der Türken behandelt er in seinen ersten Gedichten; Diese Texte, die Jahre später in dem zweisprachigen Band Irrewege/Koca Sapmalar (1985) gesammelt wurden, gelten zu Recht als erste literarische Äußerungen zum Thema der türkischen Migration in Deutschland und besitzen einen dokumentarischen Wert in der Chronologie der dichterischen Reflexionen (Sölçün, 2007; 137). Seine Werke haben eine zusammenbringende Funktion; deshalb sieht man ihn als einen Vermittler zwischen der deutschen und türkischen Kultur an. In seinen Werken versucht er, die türkische Kultur durch die Gabe von richtigen Informationen darzustellen und sie mit dem Ziel zu vermitteln, die Vorurteile der Deutschen gegen die Türken möglichst zu reduzieren. In diesem Sinne fungieren seine literarischen Erzeugnisse als eine Brücke zwischen zwei Sprachen und zwei Kulturen. 4.4.1.2. Bekir Yıldız Bekir Yıldız arbeitete zwischen 1962 und 1966 bei Heidelberg und kehrte danach in die Heimat zurück. Er veröffentlichte seine Texte in der Türkei auf Türkisch. Er thematisiert in seinem ersten Roman „Die Türken in Deutschland“ seine Erlebnisse und Erfahrungen in Deutschland. Dieser autobiographische Roman handelt von dem Leben eines Gastarbeiters, der sich auf einer Zugreise nach Deutschland mit den Gründen der Migration auseinandersetzt und danach von seiner Konfrontation mit den Deutschen und ihren Lebensgewohnheiten erzählt (siehe; Pazarkaya, 1985; 19). 58 Auch in seinem Band „Deutsches Brot“ (1974), das ein negatives Bild von Deutschland zeichnet, problematisiert er die Leiden der Arbeiter, die ihre Familien in der Heimat zurückgelassen haben. Seine Erzählungen zeigen, um mit Sölçün zu sprechen, was für eine schwierige Zeit der Autor in der Fremde verbracht haben muss. Jedoch wirken seine Schwarzweißbilder und seine leichtfertige Doppeloptik störend (Sölçün, 2007; 136). Dagegen behandelt er in seinem Buch „Yaman Göç“ in Form von Reportageerzählungen die Rückwanderungswelle türkischer Arbeiter aus Deutschland (Pazarkaya, 1985; 19). 4.4.1.3. Aras Ören Aras Ören fing erst in Deutschland zu schreiben an. Aufgrund von politischen Gründen ist er nach Deutschland emigriert. Er schreibt in seiner Herkunftssprache. 1985 wurde ihm zusammen mit Refik Schami der Adelbert-von-Chamisso-Preis für das literarische Schaffen nicht-deutschsprachiger Autoren in der Bundesrepublik verliehen. Er befasst sich in seinen Gedichten, Erzählungen und auch in einem Roman mit dem Leben in Berlin und Istanbul. Besonders das multikulturelle Leben Berlins spielt in Hinsicht auf die Themen seiner Werke eine führende Rolle (Karakuş, 2001b; 115). Seine „Berlin Trilogie“ erhebt deshalb die Typen, denen sich Pazarkayas Gedichte widmen, gewissermaßen auf eine synthetische Ebene; Sie alle stehen für soziale und individuelle Lebensabschnitte und sind von der Sehnsucht nach einem besseren Leben ergriffen (Sölçün, 2007; 137). Örens Literatur, in der er eine realitätsbezogene Sprache zu finden versuchte (Sölçün, 2007; 137), ist gesellschaftskritisch ambitioniert und oftmals gar nicht geeignet, Verständnis für die türkische Bevölkerung zu wecken (Siehe dazu: Rösch, 1992; 87). Obschon der erste Prosaband von Ören „Bitte nix Polizei“ auf den ersten Blick als Kriminalroman gewertet werden kann, gibt es in dieser Erzählung keinen Kriminalfall, sondern man erzählt symbolisch von einem Mann, dessen Identität durch die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen getötet worden ist. Sölçün stellt dar, dass Ören in diesem Prosaband das Thema Illegalität behandelt; doch seine Hauptgestalt kämpft, bei allem Versteckspiel, um ihre Legalität und zugleich um ihre Persönlichkeit (Sölçün, 2007; 140). 59 In seinen weiteren literarischen Werken nimmt er die Fremdheit und die Sprachlosigkeit der ersten Generation sowie die Situation der Frauen in der männlichen Kultur als Grundlage.12 4.4.1.4. Fakir Baykurt Baykurt, der aus politischen Gründen nach Deutschland umsiedelte, war auch in seinem Herkunftsland ein Schriftsteller. Vor seiner Umsiedlung nach Deutschland hatte er mehr als zwanzig Bücher veröffentlicht. Während seines Aufenthalts in Duisburg schrieb er zwei Erzählbände und einen Roman, die alle in der Türkei erschienen sind (Pazarkaya, 1985; 23). Seine Erzählungen und Romane handeln von den türkischen Arbeitern und ihren Familien im Ruhrgebiet und geben einen Einblick in die Gesamtentwicklung der Migration (Sölçün, 2007; 139). 4.4.1.5. Nevzat Üstün Nevzat Üstün schreibt meistens, wie die AutorInnen seiner Generation, über die türkischen Arbeiter in Deutschland, um seine innerlichen Gefühle darzustellen. Deshalb gilt er als ein Pionier der Migrantenliteratur, weil er sich in seiner Erzählung „Almanya Almanya“ (1965) zum ersten Mal den Aspekt der Migration thematisiert hat. Nach Pazarkaya war die Erzählung „Almanya Almanya“ nicht nur die erste zum Themenkreis „Deutschland“, sondern sie griff auch zum ersten Mal und so früh schon einen Aspekt der Migration und ihrer Folgen auf (Pazarkaya, 1985; 18). 4.4.1.6. Habib Bektaş Bektaş emigrierte 1973 als Arbeiter nach Deutschland. Sein erstes Werk „Yaşamı Kuşatmak“ (Belagerung des Lebens) enthält seine Gedichte und Erzählungen, die das Leben eines Menschen behandeln, der sich unter fremden Menschen einsam fühlt und deshalb Identitätsprobleme erlebt. Ebenfalls thematisiert er in seinen weiteren Werken „Hamriyanım“ das Leben eines türkischen Arbeiters in Deutschland, in „Gölge Kokusu“ das Leben einer türkischen Familie, die die Wechselwirkung der deutschen 12 Für weitere Hinweise über die literarischen Werke von Ören siehe; Pazarkaya (1985; 24). 60 und türkischen Kultur widerspiegelt und in „Meyhane Dedikleri“ die Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Fremdheit der Migranten (siehe dazu Karakuş, 2001c; 178ff). Wenn man alle Gedichte und Geschichten von Bektaş thematisch als eine Gesamtheit ansieht, erkennt man eindeutig, dass in seinen Werken die Probleme der ausländischen Arbeiter, die sich untereinander von der schweren Arbeitssituation, der Einsamkeit und der Sehnsucht nach der Heimat etc. erzählen, sehr häufig auftauchen. Bektaş stellt aber nicht nur die Probleme der türkischen, sondern auch die der ausländischen Arbeiter dar, weil sie in Deutschland ein gemeinsames Schicksal erleben; Sehnsucht nach der Heimat und der Einsamkeit. Deshalb erscheint in seinem Gedicht „İstasyon Kahvesi“ die „İstasyon“ [Bahnhof] als Treffpunkt der ausländischen Arbeiter hervor, die ihre Sehnsucht nach der Heimat symbolisch darstellt (für weitere Hinweise siehe, Karakuş, 2001c; 180). Gel otur masamıza Türk müsün yoksa Yunanlı mı Olsun otur Sen de yabancısın bizim gibi ve de işçi. (Zitiert aus; Bektaş, 1981; 8). Es ist klar zu sehen, dass Bektaş in diesem Gedicht vom Mevlanas Gedicht „Ne olursan ol, yine de gel“ inspiriert ist, in dem nicht die Nationalitäten sondern die Menschheit betont wird. 4.4.1.7. Güney Dal Güney Dal ist einer der türkischen Autoren, die aus politischen Gründen nach Deutschland emigrieren mussten. Er schreibt alle seine Werke auf Türkisch; sie wurden im Laufe der Zeit ins Deutsche übersetzt. In seinem ersten Roman „İş Sürgünleri“, der Spuren aus der politischen Situation der Türkei enthält und in Anlehnung daran einen sozialistischen Blickwinkel widerspiegelt, behandelt er die Unterdrückung der Menschen. Das Werk handelt von der ArbeiterDemonstration bei der Ford-Fabrik im Jahr 1974 (Ecevit, 2001; 164). Um mit Sölçün zu sprechen, schaffen weder das politische Engagement bei einem Streik noch die gemeinsamen Arbeitsplätze eine menschliche Grundlage für die 61 gegenseitige Annäherung von deutschen und türkischen Arbeitern (Sölçün, 2007; 137). Ebenfalls thematisiert er in seinem zweiten Roman „E-5“13 die Heimatlosigkeit, die schwere Arbeitssituation und die Angst der ausländischen Arbeiter. Auch seine Erzählungen, die er in dem Band „Yanlış Cennetin Kuşları“ gesammelt hat, handeln mit einer ironischen Distanz von den Türken, die im Ausland unterdrückt werden. (siehe; Ecevit, 2001; 165ff). Der Roman „Kılları Yolunmuş Maymun“, der die Narrativität in einer komplizierten Welt spiegelt (Sölçün, 2007; 140), „Fabrikada Bir Saraylı“ und „Gelibolu’ya Kısa Yolculuk“ gehen thematisch in die gleiche Richtung wie seine vorherigen Romane, aber stilistisch weisen sie eine große Entwicklung auf und zählen zu der Fiction-Literatur (Ecevit, 2001; 171), weshalb Dal 1997 mit dem Adelbert von Chamisso-Preis ausgezeichnet wurde. 4.4.1.8. Şinasi Dikmen Der Satiriker Şinasi Dikmen kam 1972 in die Bundesrepublik. Er schrieb Erzählungen und Kabarettszenen auf Deutsch und führte sie mit Muhsin Omurca auf der Bühne auf. 1984 gründete er das Kabarett „Knobi-Bonbon“, das 1988 mit dem „Deutschen Kleinkunstpreis“ ausgezeichnet wurde. In den 80er Jahren begann er satirische Texte zu schreiben und in verschiedenen Sammlungen zu veröffentlichen. 1997 gründete er zusammen mit Ayşe Aktay die „Käs-Kabarett-Änderungsschneiderei“ (für weitere Hinweise auf die biographischen Informationen siehe; Durzak, 2004; 112). In seinen satirischen Texten werden sowohl die bedeutungslose Bürokratie als auch die gegenseitigen Vorurteile der Deutschen und der Türken thematisiert. Seine Beschreibungen, die den Leser über die multikulturelle Situation in Deutschland nachdenken lässt, ironisieren gerade die naive Ehrlichkeit der türkischen MigrantInnen in der deutschen Gesellschaft und die Reaktion der Deutschen auf ihre Situation. Seine Darstellung hat eine Doppelperspektive; er erzählt seine Geschichten aus türkischer und deutscher Perspektive, was ihm beim Erzählen eine sachliche Haltung ermöglicht. Auch Baypınar betont, dass sich Dikmen in seinen satirischen Werken darum bemüht, zwischen Türken und Deutschen eine Brücke zur gegenseitigen Verständigung zu schlagen; 13 Das ist der Name der Hauptverkehrsverbindung zwischen Deutschland und der Türkei. 62 Şinasi Dikmen, der sich in seinen Schriften um die Verständigung zwischen Türken und Deutschen bemüht, will eher „heilen“ als „verletzen“. Durch sein überwiegend liebenswürdig, freundlich, versöhnlich wirkendes satirisches Werk will er nicht „Unruhe“ stiften, sondern dazu beitragen, dass zwischen den beiden Völker eine Brücke geschlagen wird, eine Brücke der gegenseitigen Verständigung, Toleranz, der Freundschaft (Baypınar, 1990; 86). In diesem Zusammenhang ist auch die These von Durzak zu erwähnen, die den Ausgangspunkt der Literatur von Dikmen, die die sozialen und emotionalen Defizite der MigrantInnen ironisch thematisiert, über die Fremdheits- und Irritationserfahrungen in Deutschland aufstellen; Diese bekenntnishafte Literatur appelliert einerseits an die Solidarität von Migranten-Leser, die eine ähnliche Situation durchlebt haben […] und andererseits an die Einsichtsfähigkeit von muttersprachlichen Lesern, die auf soziale Missstände in ihrer Lebensumgebung aufmerksam gemacht werden (Durzak, 2004; 112). Dikmen veröffentlichte drei wichtige Werke; „Wir werden das Knoblauchkind schon schaukeln“ (1983), „Der andere Türke“ (1985) und „Hurra, ich lebe in Deutschland“ (1995), in denen er besonders die aufgrund der kulturellen Fremdheit der ersten Begegnung auftauchenden komischen Haltungen der Türken der ersten Generation und der Deutschen ironisch und satirisch verarbeitet. Die kulturellen Unterschiede bilden für Dikmen den Ausgangpunkt seiner Stücke, in denen er sowohl die Türken als auch die Deutschen gleichermaßen verspottet. 4.4.1.9. Themenschwerpunkte der Literatur der ersten Generation Die Themenschwerpunkte der Literatur türkischer AutorInnen von der ersten Generation handeln überwiegend von den Schwierigkeiten des Lebens im Aufnahmeland in einer fremden Kultur. Die Kontrastierung von Heimat und Fremde bildete im Allgemeinen die Quelle der literarischen Produktion dieser Zeit. Die häufigsten Motive sind die Sehnsucht nach der Heimat, die schwere Arbeitssituation, bzw. die Arbeitswelt der Ausländer, die Diskriminierung, der Kulturschock etc. 63 Die schwere Arbeitssituation steht in den Werken dieser Generation deshalb im Mittelpunkt, weil die türkischen Arbeiter an die schweren industriellen Arbeiten noch nicht gewöhnt waren. Um mit Lange zu sprechen, werden mit dem Industriegesellschaft Wechsel die von einer Schwierigkeiten Agrarder in einer Arbeitswelt in Deutschland geschildert (Lange, 1996; 31), weil diese Situation für die von einer Agrargesellschaft kommenden ausländischen Arbeiter zu schwer und zugleich gesundheitsschädlich war. Darüber hinaus wurden die Motive um das Leben der Gastarbeiter herum bearbeitet. Im Unterschied zu dem in der zweiten Generation behandelten Thema „Heimatlosigkeit“ tritt in dieser Generation „die Sehnsucht nach der Heimat“ hervor, denn in den ersten Jahren der Migration fühlten sich die ausländischen Arbeiter noch ihrem Herkunftsland zugehörig. Deshalb bearbeiteten sie in ihren Werken Motive wie Bahnhof, Zug, Heimweh, Sehnsucht nach Freunden, Kindern und Verwandten in der Heimat. Die Konfrontation mit den Deutschen und ihren Lebensgewohnheiten lässt sich durch zwei Themen beschreiben; durch Kulturschock und Diskriminierung. Unter einer fremden Kultur zu leben führt die Türken schrittweise zur Einsamkeit, die im Laufe der Zeit in eine Identitätskrise umschlägt. Die gegenseitige Fremdheit der Türken und Deutschen - sie kannten einander noch nicht - bringt die Angst vor einer fremden Kultur und darüber hinaus die gegenseitigen Vorurteile mit sich, welche lange Zeit nicht überwunden werden konnten. In Folge dieser Angst und Fremdheit bricht die Fremdenfeindlichkeit und in Anlehnung daran die Diskriminierung aus, welche von den türkischen AutorInnen in den literarischen Werken als bittere Themen übertragen worden sind. Die oben genannten Themen beziehen sich nicht nur auf türkische Arbeiter und auf ihre Probleme, sondern auf alle ausländischen Arbeiter, die in Deutschland ein gemeinsames Schicksal teilen; die Sehnsucht nach Heimat und die Einsamkeit. Zusammenfassend kann man sagen, dass die ersten Erfahrungen der Gastarbeiter und ihre Gefühle den Ausgangspunkt der Literatur der ersten Generation bildeten. Sie haben sich lange Zeit mit den Gründen der Migration auseinandersetzt und ihre Gefühle literarisch ausgedrückt, wodurch sie zu den Pionieren der nachfolgenden AutorInnen 64 geworden sind. Die Definition der „Fremde“ von Pazarkaya skiziert den Themenkreis der türkischen AutorInnen der ersten Generation eindeutig. Nach Pazarkaya bedeutet Fremde Trennung, Heimweh, Not und Entbährung, seelischen und geistigen Reifeprozess, Lebenserfahrung (Pazarkaya, 1985; 19). 4.4.2. Die AutorInnen der zweiten Generation Im Unterschied zu den AutorInnen der ersten Generation haben die AutorInnen der zweiten Generation ihre Literatur in deutscher Sprache verfasst; sie konzentrierten sich auf soziologische und kulturelle Themen wie z.B. die „Identitätsproblematik“, „Mischkultur“, „Integration“ etc. konzentriert, weil sie bikulturell erzogen worden waren. Bulut weist auf diesen Punkt hin und sschreibt, dass diese Schriftsteller ihre Kindheit in der Türkei verbracht haben und nach ihrer Übersiedlung nach Deutschland mit großen Adaptationsschwierigkeiten und Persönlichkeitsproblemen konfrontiert worden sind (Bulut, 1995; 241). In ihren Werken haben sie das Gefühl des „Dazwischenseins“ (Kuruyazıcı, 1990; 98) mit Hilfe verschiedener Bilder dargestellt, weshalb sie als die zwischen zwei Kulturen und zwei Sprachen Gebliebenen genannt werden. In diesem Zusammenhang kann man sagen, dass ihre Literatur sich um drei Fragen entwickelt hat, die die Menschen dieser Generation zur Identitätskrise führen; • Wer bin ich? • Woher komme ich? und • Wohin gehe ich? (Kocadoru, 2003; 21). 4.4.2.1. Feridun Zaimoğlu Zaimoğlu schreibt Zeitungsartikel für „Die Zeit“ und die „Süddeutsche Zeitung“ und hat im Jahr 2002 den Hebbel-Preis erhalten. Sein erster Roman „Abschaum“ wurde unter dem Titel „Kanak Attak“ verfilmt. Er thematisiert in seinen Bänden „Kanak Sprak“, „Koppstoff“ und „Abschaum“ die Sprachproblematik der MigrantInnen der zweiten Generation, die zwischen zwei Kulturen hin- und hergehen. Der Roman „Liebesmale, scharlachrot“ (2000), der in Form eines Briefromans die Identitätssuche thematisiert, und das Buch „German Amok“ (2002), das in Form eines Künstlerromans das dramatische Leben eines deutsch-türkischen Malers erläutert, gelten in Deutschland als die Werke, die die deutsche Literatursprache bereichert und erweitert haben (siehe dazu: Bullivant, 2004; 96). 65 Zaimoğlu lehnt das Jammern bzw. die Betroffenheit der Türken in Deutschland mit einer bissigen Sprache ab, weshalb seine Haltung mit der Darstellungsweise von Autoren der dritten Generation Ähnlichkeiten zeigt (siehe; Kocadoru, 2004; 136). In seinen Romanen, besonders im „German Amok“ thematisiert er den Sex. Durch dieses Thema, die die AutorInnen seiner Generation als ein Tabu ansehen, steht er literarisch den AutorInnen der dritten Generation sehr nahe. Er zählt aber trotzdem zu den AutorInnen der zweiten Generation, da er in seinen Texten mit aller Deutlichkeit die Aussage „Wir Kanaken“ betont und die Konflikte zwischen der deutschen und türkischen Jugend in den Sinn zurückruft (Karakuş, 2001a; 77). 4.4.2.2. Zafer Şenocak Şenocak, der im Jahre 1988 mit dem Adelbert von Chamisso-Preis der Robert BoschStiftung ausgezeichnet wurde, schreibt seine Werke eher in Prosa als in Lyrik. Sein literarisches Schaffen zieht das Interesse der deutschen Literaten auf sich. In seinen Gedichten problematisiert er besonders die sozialen und kulturellen Probleme der zweiten türkischen Migrantengeneration. Um die Gründe der sozialen Probleme dieser Generation ans Tageslicht zu bringen, nimmt er eine tiefe soziokulturelle Analyse der bestehenden Schwierigkeiten durch. Wie Bullivant in ihrer Arbeit betonte, lag das Hauptproblem der zweiten Migrantengeneration bei der Organisationslosigkeit der türkischen Jugendlichen, bei ihrer Haltung gegen die deutsche Sprache und bei ihrer einseitigen Türkeiorientierten-Denkweise, die all ihr Dasein in Deutschland tief beeinflussten; Um die eigenen Interessen zur Sprache zu bringen und zu wahren „müsste die türkische Jugend Deutschlands das Obrigkeitsdenken der Eltern abstreifen und eine einseitige Türkeiorientierung aufgeben“. Um einen solchen Widerstand durchzusetzen müsste die zweite Generation „sich selbst organisieren und institutionalisieren, durch Wort und Tat sich bemerkbar zu machen (Bullivant, 2004; 91f). An diesem Zitat ist zu erkennen, dass es den Kern Şenocaks Werke bildet, die türkischen Jugendlichen zu verstehen und für ihre soziokulturellen Probleme eine Lösung zu finden. Er sich in seinen Gedichtbänden „Flammentropfen“ und „Ritual der Jugend“, den gefährlichen Abgrund zwischen den zwei Sprachen und zwei Kulturen zu 66 beseitigen, indem er zwischen ihnen eine Brücke baut (Özoğuz, 2001; 201). Aus diesem Grund thematisiert er in seinen Gedichten die Sprachproblematik der türkischen MigrantInnen und ihre seelische Situation unter den Deutschen. Darüber hinaus wird seine Kreativität durch die Motive wie Sprache, Identität, Hörigkeit etc. gelenkt. Ungeachtet der Tatsache, dass Şenocak in seinen Gedichten die sowohl sprachlich als auch kulturell zwischen zwei Welten gebliebenen Menschen in den Mittelpunkt seines Werks stellt, reflektiert er seinen Lesern keine Hoffnungslosigkeit, sondern die Freude daran, zwei verschiedenen Kulturen gleichzeitig zu umarmen (Özoğuz, 2001; 208). 4.4.2.3. Osman Engin Es gibt unter den AutorInnen der türkischen Migrantenliteratur nur drei Autoren, die die Ironie und Satire in ihren Werken meisterlich verwenden; Diese sind Şinasi Dikmen aus der ersten Generation, Osman Engin aus der zweiten Generation und Kerim Pamuk aus der dritten Generation. Osman Engin stellt die Türken in Deutschland und ihre Kommunikation mit den Deutschen unter eine mikroskopische Beobachtung und sammelt sich somit interkulturelle Themen. Seit 1983 veröffentlicht er in Magazinen und Zeitungen regelmäßig satirische Kurzgeschichten aus dem deutsch-türkischen Alltagsleben.14 Seine erste eigenständige Buchveröffentlichung erschien 1985 unter dem Titel „Der Deutschling“. Engin erhielt für seine Satiren diverse Auszeichnungen. Neben einem Literaturpreis in seiner Heimatstadt Bremen erhielt er unter anderem Literaturpreise in Berlin und Gelsenkirchen. 2006 folgte der ARD-Medienpreis, für den Engin bereits 2004 einmal nominiert war. Er erhielt ihn für den kurzen WDR-Magazinbeitrag Ich bin Papst, der, so die Jury, humorvoll mit alltäglichen Vorurteilen und Klischees“ spielt. Engin sei „eine beeindruckende Satire gelungen über die deutsch-türkischen Beziehungen und die oft absurden Situationen im Umgang mit vermeintlichen Ausländern. 14 z.B. in der Frankfurter Rundschau, der Titanic oder der taz. 67 Bis heute erschienen Texte von Engin auch in deutschen, französischen, dänischen, holländischen, schwedischen und kanadischen Schulbüchern. Osman Engin hat jeden Donnerstagnachmittag eine Hörfunkrubrik "Alltag im Osmanischen Reich" beim Funkhaus Europa (Radio Bremen 96,7/WDR 103,3). Zurzeit wird einer seiner Romane, „Kanaken-Gandhi“ (2000), verfilmt 15. Seine Werke sind u.a. „Lieber Onkel Ömer - Briefe aus Alamanya“ (2008), „Tote essen keinen Döner“ (2008), „Don Osman auf Tour“ (2007), „Getürkte Weihnacht“ (2006), „West-östliches Sofa“ (2006), „Don Osman“ (2005), „GötterRatte“ (Roman, 2004), „Oberkanakengeil“ (2003), „Kanaken-Gandhi“ (Roman, 2001), „Dütschlünd, Dütschlünd übür üllüs“ (1994), „Alles getürkt!“ (1992), „Der Sperrmüll-Efendi“ (1991), „Deutschling“ (1985). 4.4.2.4. Zehra Çırak Zehra Çırak wurde 1961 in Istanbul geboren und musste mit drei Jahren nach Deutschland emigrieren. Sie hat vier Gedichtbände verfasst. Im Jahre 1991 wurde sie mit dem Hölderlin-Preis für Lyrik und 2001 für ihren letzten Gedichtband „Leibesübungen“ (2000) mit dem Adelbert von Chamisso-Preis der Robert BoschStiftung ausgezeichnet. In ihren Werken weist sie sehr häufig auf das Doppelleben der türkischen MigrantInnen in Deutschland hin und thematisiert die Schwierigkeiten mit der fremden Sprache. Da sie sowohl in ihrer Heimat als auch in Deutschland gelebt hat und bilingual aufgewachsen ist, verwendet sie in ihren Werken die Sprachbilder aus beiden Sprachen (Öztürk, 2004; 157). Ihre autobiographischen Prosatexte handeln überwiegend von zwei Sprachen, die auch die Persönlichkeit der MigrantInnen der zweiten Generation in zwei spaltet. Deshalb sieht man meistens in ihren Texten das literarische Bild der „Brücke“ sich in den Vordergrund drängen (siehe; Lange, 1996; 29 und Kuruyazıcı, 1990; 98f). Im folgenden Gedicht „sich warmlaufen“, das aus drei Zeilen besteht, ist das literarische Bild der „Brücke“ dargestellt, das mit der Kälte, bzw. mit der Unruhe identifiziert wird; Weil man weiß, daß auch Brücken ein Ende haben braucht man sich beim Übergang nicht zu beeilen doch auf Brücken ist es am kältesten. (Zitiert aus; Çırak, 1991; 11) 15 Die autobiographischen Informationen beziehen sich auf die deutsche Wikipedia. 68 In diesem Gedicht tritt das Bild der „Brücke“ als Symbol vor, das das Ortsproblem thematisiert (Öztürk, 2004; 158). Diese Brücke verbindet zwei Orte bzw. zwei Ufer, zwei Kontinente oder zwei Kulturen miteinander, die von der Autorin gleich beliebt sind. Dagegen betont man hier symbolisch die Unruhe und die Schwierigkeit auf der Brücke zu verbleiben. Da die Autorin die beiden Orte gleichermaßen liebt, kann sie sich nicht entscheiden, in welche Richtung zu gehen ist. Je länger man auf der Brücke bleibt, desto größer wird der innere Schmerz. In diesem Sinn gewinnt die deutsche Volksweisheit „Der eine baut die Brücke und der andere geht hinüber“ die Bedeutung, dass die AutorInnen der zweiten Generation die Brücke bauen, damit die Nachkommenden unschwer hinüber gehen können. In diesem Zusammenhang nehmen ihre Texte – genauso wie auch bei Zafer Şenocak der Fall ist - die erfüllende Aufgabe an, über die interkulturellen Unterschiede hinwegzusehen und die Vorurteile möglichst zu tilgen. Auch Oraliş betont in ihrem Aufsatz diesen Standpunkt und sagt, dass es der einzige Wunsch von Çırak war, in einer gemischten Kultur zu leben, die aus ganz unterschiedlichen Kulturen besteht (Oraliş, 2001; 213). 4.4.2.5. Saliha Scheinhardt Scheinhardt konzentriert sich in ihren Werken auf Motive, die aus ihrer Kindheit stammen. Bekannt geworden ist sie mit ihren Reportagenerzählungen über die Situation türkischer Frauen in der Bundesrepublik und in der Türkei. In ihrem ersten autobiographischen Werk „Träne für Träne werde ich heimzahlen“ problematisiert sie die Lieblosigkeit, den Hass, den Streit und die Armut der Menschen. „Drei Zypressen“, „Und die Frauen weinten Blut“, „Frauen, die sterben, ohne dass sie gelebt hätten“, „Die Stadt und das Mädchen“ sind ihre weiteren Werke, in denen sie die schwere Situation der türkischen Frauen zur Diskussion stellt. Diese Werke sind nicht Fiktion, sondern nehmen ihre Themen aus der realen Welt heraus (Aytaç, 2001c; 244). In diesen Werken werden sehr häufig die Motive wie z.B. Familiendruck, Lieblosigkeit, Hoffnungslosigkeit bearbeitet. In ihrem letzten Roman „Die Stadt und das Mädchen“ nimmt Scheinhardt im Unterschied zu ihren vorherigen Romanen die Gründe ihrer harten, ungeeigneten und grausamen Haltung gegen die Türkei selbstkritisch unter die Lupe (Aytaç, 2001c; 244). 69 Sie schreibt deutsch, lehnt ihre Sprache aber sehr eng an das Türkische an. Sie benutzt Lehnübersetzungen und überträgt die Bildersprache des Türkischen ins Deutsche (siehe; Rösch, 1992, 52). Dagegen bringt Aytaç in ihrem Aufsatz offensichtlich zum Ausdruck, dass Scheinhardt noch kaum ein ästhetisches Niveau habe, für sich unter der deutschen oder türkischen Literatur Platz finden zu können (Aytaç, 2001c; 247). 4.4.2.6. Aysel Özakın Özakın war auch in ihrem Herkunftsland eine Schriftstellerin. Sie studierte am pädagogischen Institut in Ankara und arbeitete später als Dozentin für Französisch am pädagogischen Institut Atatürk in Istanbul. 1974 erhielt sie den Sabahattin-AliErzählpreis. Aufgrund politischer Gründe ist sie nach Deutschland emigriert und konnte innerhalb kurzer Zeit im deutschen Literaturbetrieb für sich Platz finden. Sie schreibt autobiographisch. „Der fliegende Teppich. Auf der Spur meines Vaters“, in dem sie ihre Beziehung zu ihrem Vater in ihrer Kindheit und Jugend beschreibt, und „Die Preisvergabe“, in dem sie das Leben von Frauen in der türkischen Gesellschaft thematisiert, erschienen schon in den 80er Jahren in deutscher Übersetzung (Rösch, 1990a; 155). Genauso wie in ihrem Werk die „Preisvergabe“ thematisiert sie auch im Roman „Die blaue Maske“ das Geschlechterverhältnis, weshalb man die beiden Romane als multikulturell bewertet. In ihren Erzählbänden „Soll ich hier alt werden?“ und „Das Lächeln des Bewusstseins“ und auch in ihrem autobiographischen Roman „Die Leidenschaft der anderen“ thematisiert sie die Situation der Frauen in der Gesellschaft. Nur ihre Erzählung „Schatten und Schritte“ handelt von der Migration (Rösch, 1990a; 156). Sie vergleicht in dieser Erzählung das Bild von türkischen und deutschen Frauen und Männern und stellt die orientalische und europäische Lebensauffassung gegenüber. In ihrer Erzählung „Mutter hat ihre Arbeit verloren“ problematisiert sie türkische Menschen, die von den Deutschen deshalb als fremd und rückständig diskriminiert werden, weil sie aus ländlichen Gebieten der Türkei kommen und als ungebildet gelten. Im Unterschied zu den Themen ihrer Romane und Erzählungen diskutiert sie in ihrem Gedicht „Die Türken in Deutschland leben zwischen zwei Welten“ (1985) die deutsche Ordnung und Pünktlichkeit aus (siehe dazu: Laudenberg, 2004; 142). 70 Ihre oben erwähnten Werke zeigen, dass Özakıns Literatur als Emanzipationsliteratur zu verstehen ist, die sich nicht nur auf das Geschlecht, sondern auch auf die Klasse und Ethnie bezieht (Rösch, 1990a; 167). 4.4.2.7. Alev Tekinay Alev Tekinay hat im Vergleich zu den anderen türkischen AutorInnen in Deutschland eine besondere Lage, weil sie zuerst in der Türkei die deutsche Sprache erlernte und dann nach Deutschland übersiedelte, um vor Ort Germanistik zu studieren. Ihr Fachgebiet ist Deutsch als Fremdsprache. Dank ihres Untersuchungsschwerpunktes ist es ihr erspart geblieben, einen Kulturschock zu erleben (Aytaç, 2001b; 223). Seit 1983 ist sie an der Universität Augsburg als Lektorin tätig. In ihren Werken thematisiert sie die Probleme von Ausländern der zweiten Generation, die ihre Identität in zwei Welten bzw. in Deutschland und in der Türkei suchen. Sie bezeichnet die Literatur der zweiten Generation als „Brückenliteratur“ (Kocadoru, 2004; 135), weil die Autoren dieser Generation zwischen zwei Kulturen und Sprachen bzw. zwischen Orient und Okzident stets hin und her pendeln. Ihre Literatur schließt deshalb keine Vorurteile ein, weil sie alle Kulturen auf der Welt als gleichwertig ansieht und als Schwerpunkt ihrer Werke die Humanität und in Anlehnung daran eine bunte Welt herausstellt. Aus diesem Grund wird sie von manchen Literaturkritikern mit Optimismus kritisiert (Aytaç, 2001b; 223f). In ihrem Roman „Der weinende Granatapfel“ behandelt sie die Türken und die Deutschen, die am gleichen Ort in Harmonie zusammenleben. Dagegen bearbeitet sie nur in ihrem letzten Roman „Nur der Hauch von Paradies“ die Problematik der zweiten Generation, die von den Deutschen immer noch als fremd angesehen wird, obwohl sie Deutschland als ihre eigene Heimat betrachtet (Aytaç, 2001b; 229). 4.4.2.8. Nevfel Cumart Nevfel Cumart wurde als Kind einer türkischen Familie in Deutschland geboren, deshalb ist er weder Migrant noch Gastarbeiter. Er studierte Turkologie, Arabistik und Islamkunde an der Universität Bamberg. Er ist ein deutscher Journalist, Schriftsteller und Übersetzer. 1983 erschien sein erster von inzwischen insgesamt dreizehn Gedichtbänden. Damit gehört Cumart zu den produktivsten publizierenden deutschen 71 Lyrikdichtern der jüngeren Gegenwart. In diesem Zusammenhang erhielt der Autor auch mehrere Preise. Seine Werke sind u.a. „Im Spiegel. Stade“ (1983), „Ein Schmelztiegel im Flammenmeer“ (1988), „Verwandlungen“ (1995) „Zwei Welten“ (1996) und „Seelenbilder“ (2001)16. Er schreibt häufig Gedichte, die die inneren Gefühle der zwischen zwei Welten gebliebenen Menschen thematisieren. Genauso wie in seinen meisten Gedichten behandelt er im Gedicht „Zwischen zwei Welten“ die Auseinandersetzung des Autors mit seiner eigenen Identität, indem er seine seelischen Wunden und seine Leidenschaft wegen der Fremdheit und Sehnsucht nach Heimat bearbeitet. 4.4.2.9. Renan Demirkan Demirkan ist mit ihrer Familie im Alter von sieben Jahren nach Hannover umgesiedelt. Dort studierte sie Schauspiel. Sie wurde 1989 mit dem „Goldene Kamera-Preis“ und 1990 mit dem „Adolf-Grimme-Preis“ ausgezeichnet. Sie hat dank ihres ersten Romans „Schwarzer Tee mit drei Stück Zucker“ (1991) das Interesse der deutschen Leser an sich gezogen und wurde innerhalb von kurzer Zeit in Deutschland eine bekannte Autorin. Dabei spielte natürlich eine Rolle, dass Demirkan in Deutschland schon als Schauspielerin bekannt war. Aber wichtiger scheint es anzumerken, dass sie diesen literarischen Erfolg durch ihren Schreibstil und durch die Bearbeitung von universalen Themen erreichte (für weitere Hinweise siehe, Kuruyazıcı, 2001; 249). Ihr Roman „Schwarzer Tee mit drei Stück Zucker“ entwickelt sich um eine schwangere Frau herum, die im Krankenhaus auf den Arzt wartet. Die Widerspiegelung des Bewusstseinstroms hat ihren Grund nicht darin, die kulturellen Stücke aus dem Herkunftsland zu betonen; denn die eigenen kulturellen Motive bleiben im Hintergrund. Sie will in erster Linie die universalen, allgemeingültigen kulturellen Streifen in den Vordergrund stellen. Um mit Bulut zu sprechen, versucht sie fern von allen möglichen Vorurteilen, neutral an die Kulturen der beiden Völker heranzugehen, um den Problemen, mit 72 denen die türkische Seite konfrontiert ist, auf den Grund zu gehen (Bulut, 1995; 242). Gleicherweise thematisiert sie in ihrem zweiten Roman „Die Frau mit Bart“ (1994) das Leben zweier Frauen, die ein ähnliches Schicksal teilen; Ein von den schlechten Lebensbedingungen gesteuertes Leben, die Leiden ihres Ehelebens und somit die auftauchende Identitätskrise (Kuruyazıcı, 2001; 250). 1999 ist ihr dritter Roman „Es wird Diamanten regnen vom Himmel“ erschienen, auf den ihre Geschichten „Über Liebe, Götter und Rasenmähn“ (2003) und ihr autobiographischer Roman „Septembertee“ (2008) folgten. 4.4.2.10. Themenschwerpunkte der Literatur der zweiten Generation Die Migrantenliteratur umfasst – wie bereits dargelegt- eine ungefähr 50 jährige Zeitspanne, die heute immer noch im Fluss ist. Obschon man diese Literatur durchweg von ihrem Anfang bis heute als Gesamtheit bewertet, stellt die Migrantenliteratur der 80er Jahre thematisch einen Durchbruch dar; Nicht mehr wurde herablassend von Gastabeiterliteratur gesprochen; die zweite Migrantengeneration, die in Deutschland großgeworden war und Deutsch als Mutter- oder zweite Sprache gelernt hatte, fing an, sich zu Wort zu melden (Bullivant, 2004; 91). Demnach ist die Literatur der AutorInnen der zweiten Generation entscheidend in den Vordergrund getreten, weil sich in dieser Zeit die Themen im Unterschied zu denen der ersten und dritten Generation stilistisch und thematisch in ganz verschiedene Richtungen entwickelten, die die inneren Konflikte der MigrantInnen problematisierten. Diese Tatsache hat das Interesse der Deutschen und der Türken auf die Literatur der AutorInnen der zweiten Generation gezogen. Um die sog. Identitätskonflikte ausdrücken zu können, haben die türkischen AutorInnen in ihren Texten unterschiedliche Motive bearbeitet, die die interkulturelle Rezeption der Texte erleichterten. Die von den türkischen AutorInnen der zweiten Generation am meistens bearbeiteten Motive sind die Brücke, der Vogel, der Flug, die Tür und der Seiltanz, die auf zwei Länder, zwei Kulturen, zwei Heimaten oder zwei Identitäten hinweisen. Das Hauptziel der AutorInnen der zweiten Generation ist, die Artikulation des Leidens zu lösen. Ackermann stellt das wie folgt dar; 73 Die Fähigkeit zur Artikulation unterscheidet sie [zweite Generation] von den vielen ihrer Altergenossen und Landsleute, die in ihrem Leiden stumm bleiben. Stummheit verstärkt das Leiden, macht es ausweglos. Artikulation des Leidens ist ein erster Schritt, dagegen anzugehen. In diesem Sinne werden die Autoren zum Sprachrohr für die vielen, die stumm bleiben (Ackermann, 1985; 28). An diesem Zitat kommt das Schreibziel der AutorInnen der zweiten Generation ans Tageslicht; Schreiben für die eigene Identität. Das Thema „Identitätssuche“ ist vielmehr das eigentliche Thema der Literatur von türkischen MigrantInnen der zweiten Generation. Hier betont man die Angst der türkischen MigrantInnen vor dem Verlust der eigenen Identität. Wie Lange im Folgenden zum Ausdruck bringt, fühlen sich die MigrantInnen unter den Deutschen isoliert, weil sie sich in Deutschland mit einer fremdenfeindlichen Situation konfrontiert sehen und daher in ihrem Verhalten irritiert werden; Die MigrantInnen finden sich relativ isoliert in einer desinteressierten, oft fremdfeindlichen eingestellten Umwelt. Sie sind irritiert durch bestimmte Verhaltensweisen der deutschen Bevölkerung, und dieses Unverständnis stellen sie in ihren Texten dar (Lange, 1996; 33). Durch ihre Texte haben die AutorInnen der zweiten Generation lange Zeit die verletzte Identität und das Leiden der MigrantInnen widergespiegelt. Lange nennt das „Schreiben als eine Form der Therapie“ (Lange, 1996; 33), weil die AutorInnen die Literatur als Mittel genutzt haben, ihren Leiden zu entweichen. Die Identitätsproblematik der türkischen MigrantInnen in Deutschland beruht nicht nur auf der Isolation aus der deutschen Gesellschaft, sondern auch auf der Heimatlosigkeit; denn die MigrantInnen fühlen sich nunmehr weder in Deutschland noch in der Türkei zu Hause. Sie sind in Deutschland Ausländer und in der Türkei „Almancı“ (Deutschländer). Eine Isolation aus beiden Gesellschaften führt die MigrantInnen dazu, ihre eigene Kultur, die weder deutsch noch türkisch ist und als Subkultur bezeichnet wird, zu schaffen. Auch ihre Sprache ist anders; sie beherrschen beide Sprachen mangelhaft. Diese hektische Sprache nebst ihrem Verhalten wirkt sich in der Gesellschaf negativ aus, weshalb Zaimoğlu dafür den Begriff „Kanak“ abgeleitet hat (siehe dazu: Zaimoğlu, 1995). 74 „Kanake“ ist ein diskriminierendes Schimpfwort und bezeichnet die ausländischen Arbeitnehmer, bes. Türken, die ungebildet und einfältig sind (Duden, 1983; 662). Mit diesem Begriff weist Zaimoğlu auf den sozialen Druck der hektischen Sprache hin, der die MigrantInnen in der deutschen Gesellschaft zur Einsamkeit und zugleich zur Identitätsproblematik führt, weil sie wegen ihrer defizitären Sprachkompetenz sich in der Gesellschaft nicht zum Ausdruck bringen können. Eine andere Blickweise ist eine Sprache der Rebellion, die sich durch die fehlerhaften wörtlichen Übertragungen aus dem Türkischen ins Deutsche über alle ethnisch begründeten Sprachbarrieren hinwegsetzt (siehe; Brunner, 2004; 85f). Neben der Suche nach der Identität wird in den Texten dieser Generation der Begriff „Integration“ sehr häufig bearbeitet. Dieser Begriff wird sehr oft mit dem Begriff „Assimilation“ verwechselt. Integration beruht auf interkulturelle Kommunikation und gewinnt bei einer Annäherung an eine fremde Kultur an Bedeutung. Die Integration kommt vor, wenn ein Türke Blutwurst und ein Deutscher Kebab isst (Biondi, Naoum, u.a., 1982; 5). Aber die türkischen MigrantInnen haben die Integration lange Zeit als ein soziales Problem angesehen, die in Schritten zum Verlust der eigenen Kultur bzw. zur Assimilation führt. Ein anderes Thema, das in Verbindung mit Integration und Assimilation abgehandelt wurde, ist die Sprachproblematik der zweiten Generation, die als die Erosion der Muttersprache (Thore, 2004; 19) verstanden wird. Da die Autoren der zweiten Generation neben der Muttersprache meistens auch eine Fremdsprache und die Sprache des Aufnahmelandes beherrschten, führte sie diese Mehrsprachigkeit einer Identitätsproblematik. Mit ihrer Aussage über die Mehrsprachigkeit bekräftigt Alev Tekinay die Relation zwischen der Mehrsprachigkeit und der Identitätsproblematik im Aufnahmeland; Durch zwei Sprachen war ich zwei verschiedene Menschen, hatte ein türkisches und deutsches Ich, die sich ständig stritten und nie in Einklang bringen ließen (Tekinay, 1997; 29). Auch in den meisten Gedichten von Nevfel Cumart kommen die Sprachprobleme der Ausländer zutage; sie reflektieren – wie im obigen Zitat zu sehen ist- die Relation zwischen der Sprache und Identität; über die sprache 75 die sprache meiner eltern ist arabisch heimlich nur gesprochen die sprache ihres landes ist türkisch gesprochen auf der straße in der geborgten heimat ist deutsch die sprache meiner gedichte (Zitiert aus; Cumart, 1996; 23) Im engeren Sinne ist in diesem Gedicht die Rede von der Mehrsprachigkeit und/oder im weiteren Sinne von Sprachlosigkeit, die den Autor zu einem inneren Konflikt führen. Er betont, dass er seine Muttersprache nur heimlich sprach, weil die offizielle Sprache Türkisch war. Daneben lebte er in Deutschland und schrieb seine Gedichte in deutscher Sprache. Dieses dreieckige Sprachgefühl lässt bei ihm Identitätsprobleme wachsen. In den Texten dieser Generation reflektieren sich außerdem die rassistischen Angriffe der Nazis gegen Ausländer (Fremdfeindlichkeit und Hass). Cumarts Gedicht „brennende nächte“ ist ein Beispiel dafür, dass er die Gefühle der Ausländer über diese Angriffe zum Ausdruck bringt. In diesem Gedicht weist Cumart auf die rassistischen Nazi-Angriffe in Rostock, Mölln, Solingen und Bielefeld hin und betont, dass die Ausländer immer Angst vor diesen Anschläge haben. Die literarischen Werke dieser Generation haben durch ihre Themen, Motive und Ausdrucksweise die Bedeutung der Migrantenliteratur gesteigert und das Interesse der Menschen auf sich gezogen, wodurch diese Literatur in der literarischen Welt einen festen Platz bekommen konnte. Nach Kuruyazıcı sei das auch eine Bereicherung der deutschsprachigen Literatur, weil somit von der türkischen Literaturtradition in die deutsche Literatur viele literarische und kulturelle Eigenschaften, die dem deutschen Leser eine neue Welt eröffnen und ihr Kulturbewusstsein bereichern, eingeflossen seien (Kuruyazıcı, 1990; 99). Auch Weinrich betont in seinem Aufsatz die positive Wirkung der Migrantenliteratur auf die deutsche Literatur und bringt zum Ausdruck, 76 dass die Ausländerliteratur in Deutschland zweifellos ein neuer Bereich der deutschen Literatur sei, durch den das literarische Leben in Deutschland bereichert wird (Weinrich, 1985; 15). 4.4.3. Die AutorInnen der dritten Generation Die Literatur von Autoren der dritten Generation entwickelt sich im Vergleich zur Literatur der ersten und zweiten Generation thematisch in eine ganz andere Richtung. Die Emotionalität dieser Generation bleibt im Schatten der Vernunft, weil die AutorInnen die türkische und deutsche Kultur, die vorkommenden gesellschaftlichen Probleme und zugleich das Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft realistisch dargestellt haben. Im Folgenden weist Kocadoru auf die gleichen Punkte hin; Ganz anders und viel realistischer verhält sich die dritte Generation von Autoren türkischer Herkunft in Deutschland, die seit Mitte der 90er Jahre auf sich aufmerksam machen. Es handelt sich um eine Generation, die sich selbst Fragen stellt und selbst nach Antworten sucht. Eine Generation zudem, die weder betroffen ist, noch sich auf Identitätssuche befindet, weil sie weiß, was sie ist (Kocadoru, 2004; 135). Ebenfalls drückt Kocadoru in einem anderen Beitrag aus, dass die türkischen AutorInnen in Deutschland sich nicht mehr auf die sich immer wiederholenden Themen wie Migration oder Arbeitermigration konzentrieren, was ihre literarische Bedeutung in Deutschland verringert, sondern sie müssen in ihren Texten neue Themen bearbeiten. Nur somit können sie ihre Literatur weiterentwickeln (Kocadoru, 2001; 56). Darüber hinaus sind die Ausländer nicht mehr die Unterdrückten und die Leidenden, sondern genau so wie alle Menschen die Lebenden. Selim Özdoğan, Emine Sevgi Özdamar, Şener Saltürk, Orkun Ertener, Kadir Kurt, Kerim Pamuk, Maja Şentürk und İsmet Elçi sind die AutorInnen dieser Generation, die in ihren Werken sehr unterschiedliche Themen und Motive bearbeiten, obschon sie inhaltlich das gleiche Ziel verfolgen; friedliches Zusammenleben mit den Deutschen. 77 4.4.3.1. Emine Sevgi Özdamar Özdamar wurde 1991 für ihren Prosatext „Das Leben ist eine Karawanserei“ mit dem Ingeborg Bachmann-Preis ausgezeichnet, was dazu beitrug, dass die deutschsprachige Literatur türkischer MigrantInnen in der deutschen literarischen Welt an Bedeutung gewann (Kocadoru, 2001; 51). Özdamar ist eine Schriftstellerin, die in letzter Zeit hinsichtlich ihres Sprachgebrauchs sehr häufig zutage kommt. In den autobiographischen Werken „Das Leben ist eine Karawanserei hat zwei Türen aus einer kam ich rein aus der anderen ging ich raus“, „Die Brücke vom goldenen Horn“17, „Mutter Zunge“ und „Der Hof im Spiegel“ verwendet sie teils bewusst teils anscheinend unbewusst18 eine in Deutschland ungewöhnliche Sprache, die voll mit Interferenzfehlern aus türkischen Metaphern und Sprichwörtern durch die Übertragung vom Türkischen ins Deutsche gespickt ist. Nach Brunner schafft sie sich durch wörtliche Übertragungen von Redewendungen und bildhaften Ausdrücken aus dem Türkischen ins Deutsche eine befremdlich wirkende neue Sprache, die die Regeln der Grammatik der Deutschen kokett ignoriert (Brunner, 2004; 87). Dagegen schätzt Zafer Şenocak den Schreibstil von Özdamar nicht; er kritisiert ihre Haltung unter dem Gesichtspunkt, dass die verinnerlichten Sprachefehler schlussendlich zu Identitätskrise führen. Aber wichtiger scheint es ihm, dass die Benutzung so einer fehlerhaften Sprache in der Art agiert, dass sie die Bilder in den Köpfen der Deutschen gegen die Türken negativ prägen (für weitere Hinweise darauf siehe; Bullivant, 2004; 93). Ihre Sprache weist auf eine Reise hin, die nicht nur von Ort zu Ort gemacht wird, sondern vom Türkischen ins Deutsche bzw. von der türkischen in die deutsche Kultur. Wie Özdamars Imagination geht ihre Sprache auf Reisen; nicht nur vom Türkischen ins Deutsche, sondern auch vom Kruden, ja Vulgären, zum Zärtlichen; gelegentlich macht sie bei der Politik halt, steigt um zu Witz und Ironie, legt gerne längere Reise-Pausen bei Erotik und Sinnlichkeit ein (Tunner, 2004; 162). Wie Tunner schreibt, liegen der Schreib-Reise Özdamars unterschiedliche Motive wie z.B. Erotik, Politik und Kultur zu Grunde. Sie arbeitet diese Motive grausam mit 17 Beide Werke enthalten viele Informationen über die türkische Geschichte und Politik. 78 vulgärem und ironischem Stil in ihre Werke ein. Während Erotik in den Werken der AutorInnen der ersten und zweiten Generation fast nie bearbeitet wird, tritt sie in den Werken Özdamars als ein natürliches Lebensbedürfnis in den Vordergrund, das einerseits ganz normal andererseits entmenscht und gefühllos widergespiegelt wird. Die Hinweise auf die Sexsüchtigkeit sind außerdem ein Beleg dafür, dass sie ein Tabu in der Migrantenliteratur durchbrochen und ihre Erfahrungen multidimensional bearbeitet hat. Was ist das Schreibziel von Özdamar im allgemeinen Sinn? Sie bemüht sich darum, aus unterschiedlichen kulturellen Stücken, die meistens aus ihrer türkischen Erinnerung stammen, eine Harmonie zu schaffen, weil sie dessen bewusst ist, dass der Weg zur Integration von der Sprache ausgeht und die Sprache alle interkulturellen Strukturen bestimmt. Zur Gewährleistung der oben angesprochenen Harmonie zwischen den fremden Menschen in einer multikulturellen Gesellschaft verwendet sie in ihren Werken Sprichwörter, Metaphern, offene und verdeckte Zitate, Schlagzeilen aus Tageszeitungen, von den Großeltern übernommene Redewendungen, Ausdrücke aus dem türkischen und deutschen Alltag, Gebetsformeln, Traumreden, Wörter aus der Wörterkiste des Arabischen und des Persischen ein, weil - um mit Tunner zu sprechen- die Sprache die Reisende begleitet, wie der Leser die Reisende begleitet (Tunner, 2004; 163). Diese Schreibkunst zeigt die Wechselwirkung zwischen Kulturen eindeutig (für weitere Hinweise siehe, Kuruyazıcı, 1996; 179ff). Kurzum bildet die Auseinandersetzung mit der Sprache und somit die Reflektion der Herkunftskultur den Ausgangspunkt von Özdamar. 4.4.3.2. Selim Özdoğan Özdoğan ist ein Schriftsteller, dem bewusst ist, dass er sich auf einer multikulturellen Welt befindet. Trotzdem lehnt er die Betonung und die Übertreibung der auf Ethnie reduzierten Gefühle. Er stellt in seinen Werken überwiegend die allgemeinen 18 In diesem Zusammenhang wird die These vertreten, dass Özdamar die deutsche Sprache nicht so gut beherrsche; deshalb tauchen in ihren Werken viele Interferenzfehler unbewusst (Bullivant, 2004; 93) 79 menschlichen Gefühle, die keine ethnische Grenze kennen, dar. Deshalb ist Pazarkaya der Meinung, dass Özdoğans Texte nicht auf Themen begrenzt sind, die die interkulturellen Probleme der türkischen MigrantInnen in Deutschland behandeln. Seine Worte richten sich an eine große Lesergemeinde, die nicht nur aus Türken sondern auch aus Europäern besteht (Karakuş, 2001a; 78). Nach Özdoğan ist es kaum von Bedeutung, wer ich bin und woher ich komme, wenn ich nun in 20 bin und auf meine Geliebte warte (Kocadoru, 2003; 29). Hier betont man die Lebensfreude, ohne die eigene kulturelle Identität in den Vordergrund zu ziehen. 4.4.3.3. Orkun Ertener Orkun Ertener ist im Alter von vier Jahren nach Deutschland übergesiedelt und wuchs als Sohn türkischer Einwanderer in Rüsselsheim auf. Nach dem Studium der neueren deutschen Literatur und Medien war Ertener Lehrbeauftragter an der Universität Marburg am Medienwissenschaftlichen Institut. Seit 1994 ist er als freier Drehbuchautor erfolgreich. Er saß von 2000 bis 2002 in der Jury des CivisMedienpreises und 2005 schloss sich Ertener als Autor und Produzent der Writer Producer Company an19. Ertener ist ein Fernsehdrehbuchautor. Seine literarische Ausdruckweise steht unter dem Einfluss der Pop-Kultur, die sich durch die Massenmedien in den Vordergrund drängt. Die unter dem Einfluss der Pop-Kultur entwickelte Sprache zeigt in literarischen Werken keine Einheit. Sie tritt unverständlich vor und beruht auf dem Sprachgebrauch der jungen Generation auf der Straße. Die Disko-Sprache und aus Hollywoodszenen gewählte Wörter bestimmen die Eigenschaften dieses Sprachgebrauchs (für weitere Hinweise siehe, Kocadoru; 2004; 136f). 4.4.3.4. Themenschwerpunkte der Literatur der dritten Generation Die von den türkischen AutorInnen der dritten Generation behandelten Themen entwickeln sich im Vergleich zu den Themen der ersten und zweiten Generation auf einem ganz anderen Weg. Die eindeutige Themeneingrenzung (Brunner, 2004; 75) wie z.B. die Arbeitswelt, die Sehnsucht nach der Heimat, die Identität, die Assimilation etc. liegen nicht mehr vor. Überwiegend werden Motive bearbeitet, die das friedliche 80 Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft in den Vordergrund stellt. Die AutorInnen der dritten Generation betonen in ihren Werken ironisch und satirisch, dass sie nun ein Stück des Aufnahmelandes sind und dass sie in diesem Land wie alle anderen Bürger soziale und politische Rechte haben. Die AutorInnen der dritten Generation kämpfen, so Kocadoru, für ihre sozialen und politischen Rechte in Deutschland und sagen ganz offen; Wir sind da und wir sind ein Stück dieses Landes (Kocadoru, 2003; 29). Die Themenschwerpunkte zeigen eine breite Palette, die eine bunte Sprachhaltung widerspiegelt; Es ist wie eine Abrechnung, eine Abrechnung mit sich selbst, mit der eigenen Familie und mit der deutschen Gesellschaft, wobei Kritik und Selbstkritik erbarmungslos am Werk sind. Und es zeigt deutlich, wie reif und selbstsicher diese neue Generation ist, die sich weder in Tränen der Betroffenheit ergeht, noch sich in den Irrgärten der Identitätssuche verliert. Es ist eine Generation, die couragiert ihr Gesicht zeigt und ihren Platz in der deutschen Gesellschaft beansprucht (Kocadoru, 2004; 138). Die Sprache dieser Generation ist nicht mehr eine Kanak-Sprache, sondern eine DiskoSprache, die mit den Leihwörtern aus dem Englischen gestaltet und unter der jungen Gesellschaft populär geworden ist (Kocadoru, 2003; 31). Weiters sagt Kocadoru a.a.O., dass der Einfluss der Hollywood-Szenen in dieser Literatur, besonders in den Werken von Şener Saltuk und Orkun Ertener, leicht zu bemerken sei. 4.4.4. Zum thematischen Generationswechsel Die deutschsprachige Literatur der Türken wird thematisch und stilistisch in drei Generationen eingeteilt. Die Literatur der AutorInnen dersten und zweiten Generation ist mit der Migration, ihren Hintergründen und ihrer Abfolge sehr eng verbunden. Ihre Interessenten sind in diesem Zusammenhang die ausländischen Arbeiter. Ackermann legt dar, dass die 19 Die autobiographischen Informationen beziehen sich auf die deutsche Wikipedia. 81 Literatur dieser Generation in diesem Sinn als "Epos der Migration“ gilt (Ackermann, 1995; 326). Dagegen entfaltet sich die Literatur der dritten Generation thematisch deutlich anders. Man bearbeitet in dieser Zeit überwiegend Motive, die das friedliche Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft in den Sinn rufen. Die Leserschaft der dritten Generation besteht nicht nur aus ausländischen Arbeitern, sondern auch aus Deutschen. Die Literatur der ersten Generation wird als Pionier der Migrantenliteratur angesehen, weil die Werke dieser Generation von den ersten Migrationserfahrungen der türkischen Gastarbeiter stark geprägt sind und die AutorInnen schon zum Teil in der Türkei als Autoren bekannt waren. Darunter zählen Aras Ören, Güney Dal, Fakir Baykurt, Habib Bektaş etc., die sich sehr mit der Migrationssituation auseinandersetzen (Ackermann, 1995; 325). Somit haben sie den nachfolgenden Generationen die Wege der Literatur geöffnet. Bei der Literatur der zweiten Generation steht die Migrationsthematik im Hintergrund. Sie konzentriert sich auf die Kultur und die Identität der Zeit. Sölçün bezeichnet diese Generation als Phänomen, das schon Ende der 80er Jahre zu erkennen war und die deutliche Wendung von der Begegnung mit der Fremde zur Selbstbegegnung in der Fremde begründet (Sölçün, 2007; 142). Während die AutorInnen der ersten Generation in ihren Werken die „Sehnsucht nach der Heimat“ problematisierten, trat dieses Thema in der Literatur der zweiten Generation als „Heimatlosigkeit“ hervor. Ebenfalls findet man bei vielen Themen einen ähnlichen Formwechsel; die „Einsamkeit“ der ersten Generation hat sich in der zweiten Generation in die „Verfremdung“ umgewandelt. In gleicher Weise änderten sich die „Anpassung“, der „Kulturschock“ und die „Fremde“ in die „Identitätsproblematik“, „Identitätssuche“, „Mischkultur“, „Integration“ und „Assimilation“ um. Nicht nur die Themen, sondern auch die bearbeiteten Motive haben sich geändert. Während die AutorInnen der ersten Generation die Motive wie z.B. „kaltes Deutschland“, „entwurzelte Bäume“, „Bahnhof“, „Vogel“, „Bäume“, „Post“, „Zug“ und „Blätter“ bearbeiteten, bevorzugten die AutorInnen der zweiten Generation die Motive wie „Wand“, „Brücke“, „Angst“, „leidende Seele“, „Grenze“, „Tür“, „Tor“, „Seil-Tanz“, „gespaltene Zunge“ und „Flügel“. Das Motiv der „Brücke“ ist fast allen AutorInnen 82 dieser Generation gemeinsam, weil sie sich innerlich zwischen der Heimat und der Fremde fühlten. Die Brückenmetapher verkörpert die „Heimat im Unterwegs“, die befreiende Entgrenzung, aber auch Einsamkeit und Isolation. Dies ist bei vielen in Deutschland lebenden Schriftstellern aus anderen Kulturräumen der Fall, die im „Dazwischen“, zwischen der ursprünglichen Heimat und der Fremde, ihre Identität finden (Vancea, 2008; 18). In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung zu erwähnen, dass die ästhetische Dimension der Literatur der zweiten Generation durch die vollkommene Verwendung von Metaphern an Bedeutung gewonnen hat. Am Beispiel von Osman Engin gemessen hat die Hinwendung zum ironischen und zum spielerischen Schreiben den literarischen Wert dieser Generation erhöht. Durch seine humorvolle Erzählhaltung stellt er sowohl die Deutschen wie auch die Türken hinsichtlich ihres interkulturellen Kontakts zur Diskussion; Was beobachtet der Fremde an der deutschen Kultur, was beobachtet er am Verhalten der Deutschen und was nicht und vor allem wie deutet er dieses (deutsche) Verhalten für sich. Missverständnisse allerorts kennzeichnen diese kurzen Satiren. Aber auch die Türken in Deutschland sind Gegenstand seiner Satire (Tanzer, 2004; 307). Eine ähnliche Hinwendung zur Ironie kann man auch in den satirischen Texten von Şinasi Dikmen aus der ersten Generation sehen, der die Problematik der gegenseitigen Wahrnehmung, der Fremdwahrnehmung zum Gegenstand gemacht hat (Tanzer, 2004; 306). Engin und Dikmen setzten zum ersten Mal die Satire bei der Bewältigung der Migrationssituation als eine funktionsfähige Literaturgattung ein (Sölçün, 2007; 140f). Die These von Terkessidis über das Kabarett und die Satiren der türkischen AutorInnen ist in diesem Sinn wichtig; Mit ihrem grundlegenden Ansatz bleiben Kabarett und Satire von Autoren mit Migrationshintergrund letztlich dem Prinzip der Aufklärung verhaftet; Sie thematisieren die „Vorurteile“ als Bruchstellen des erworbenen Wissenszusammenhangs und drängen auf eine Integration des Wissens. Dies verweist selbstverständlich auch auf die Beseitigung der gesellschaftlichen Missstände, die mit 83 dem „rassistischen Wissen“ verleugnet oder legitimiert werden (Terkessidis, 2007; 300). Die Literatur der dritten Generation zeigt im Vergleich zu den ersten zwei Generationen hinsichtlich der bearbeiteten Themen und Motive einen ganz unterschiedlichen Charakter. Denn das Selbstvertrauen der Menschen der dritten Generation und ihre Lebensfreude unter den Deutschen in einer multikulturellen Gesellschaft prägen die Werke dieser Generation. Respekt, Anerkennung und Toleranz sind die individuellen Tugenden (Vancea, 2008; 21). Sie treten in dieser Generation als zentrale interkulturelle Verhaltensweisen hervor. Die Literatur dieser Generation leistet außerdem mit der Beschreibung von Sex-Szenen, welche in der ersten und zweiten Generation ein Tabu waren, einen thematischen Unterschied. Um mit Tanzer zu sprechen sind die AutorInnen der dritten Generation träger mehrerer Kulturen, sich aber völlig selbstverständlich als Teil der deutschen Gegenwartskultur verstehen und ihre Texte als Beitrag zur deutschen Gegenwartsliteratur sehen, der keine eigene Etikettierung mehr braucht (Tanzer, 2004; 308). Ein Zitat von Vancea macht das Schreibziel und die Bestrebungen der AutorInnen dritter Generation deutlich; Den interkulturellen Raum können die Dichter mit ihren Geschichten menschlicher und wohnlicher machen (Vancea, 2008; 204). Zusammenfassend ist zu sagen, dass die türkischen AutorInnen hinsichtlich ihrer Literatur unterschiedliche Ansichten hatten; deshalb haben sie ein breites Themenfeld mit unterschiedlichen Blickwinkeln und Zielen geschaffen. Um die in drei Generationen behandelten Themen und Motive darzustellen und die vorkommenden Unterschiede zu betonen, möchten wir im Generationswandel in einer Tabelle konkretisieren. Folgenden den thematischen Selbstvertrauen Lebensfreude Selbstkritik des Eigenbildes Disko-Sprache Hollywood-Szene Zusammenleben mit den Deutschen Eigene Realität Sich total als Deutsche akzeptieren Liebe Jungen Krimi Kino Erotik „Pioniere der Migrantenliteratur“ „Schreiben zum Bewahren der eigenen Identität“ THEMATISCHER GENERATIONSWANDEL Themen Motive Kaltes Deutschland Sehnsucht nach der Heimat Entwurzelte Bäume Anpassungsprobleme Trauer Ökonomische Probleme Leidenschaft Einsamkeit Bahnhof Fremde Vogel Diskriminierung Bäume Arbeitsbedingungen Post Heimkehr Zug Kulturschock Blätter Türken in Deutschland Heimweh Wand Heimatlosigkeit Brücke Dazwischensein Angst Zugehörigkeit leidende Seele Verfremdung Grenze Identitätsproblematik Gespaltene Zunge Identitätssuche Tür/Tor Mischkultur Seil-Tanz Integration Flügel Assimilation Lieblosigkeit Interkulturelle Konflikte Hoffnungslosigkeit Sprachproblematik „Wir sind da und wir sind ein Stück dieses Landes“ Dritte Generation „Rekonstruierte Literatur“ Zweite Generation „Brückenliteratur“ Erste Generation „Literatur der Betroffenheit“ 84 85 FÜNFTER TEIL DIDAKTISIERUNG DER MIGRANTENLITERATUR Dieser Teil der Arbeit thematisiert die deutschsprachige Literatur türkischer MigrantInnen im DaF-Unterricht in der Türkei. Folgende Fragestellungen sollen dabei verfolgt werden: • Inwiefern ist der Einsatz von deutschsprachiger Literatur türkischer MigrantInnen im DaF-Unterricht in der Türkei interessant und erforderlich? • Mit welchen Lehrtechniken kann die Migrantenliteratur erfolgreich vermittelt werden? • Bei der Vermittlung von welchen Lernzielen/Kompetenzen spielt Migrantenliteratur eine besondere Rolle? • Für Texte welcher Generation interessieren sich die Studierenden am besten? Warum? Die vorliegende Arbeit ist nicht auf ethnisch definierte Zielgruppen ausgerichtet, sondern auf Individuen, die die deutsche Sprache an türkischen Universitäten lernen. In diesem Zusammenhang wird die Migrantenliteratur als Medium für interkulturelles Lernen in den Vordergrund der Untersuchung treten. Mit anderen Worten; Die Funktion der Migrantenliteratur im interkulturellen Kontext wird zur Diskussion gestellt. Wir möchten zeigen, dass die Verwendung literarischer Texte türkischer MigrantInnen im DaF-Unterricht sinnvoll ist. Denn diese Literatur stellt den Lernenden einerseits das soziale, kulturelle und politische Leben der in Deutschland lebenden MigrantInnen vor, andererseits ermöglicht sie ihnen eine Auseinandersetzung mit Fragen und Problemen der Identität, Multikulturalität, Akzeptanz sowie einen Blick auf Kultur und Probleme der türkischen MigrantInnen und der Deutschen. Dadurch erwerben die Studierenden wichtige persönliche, fachliche und soziale Kompetenzen und Fertigkeiten. Zu den persönlichen Fähigkeiten sind Lern- und Leistungsbereitschaft, Gewissenhaftigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Selbstständigkeit, Fähigkeit zu Kritik und Selbstkritik, Kreativität und Flexibilität zu zählen. Unter der fachlichen Fähigkeit ist die grundlegende Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift zu verstehen. 86 Die soziale Kompetenz bedeutet in unserem Kontext Höflichkeit, kritische Haltung, Freundlichkeit, Empathie und Toleranz. Die türkischen Studierenden treffen beim Lernen der deutschen Sprache auf viele Schwierigkeiten. Insbesondere das Erwecken des Interesses an der deutschen Sprache und die Motivationsförderung bedürfen einer besonderen Aufmerksamkeit seitens der Lehrkraft. Die Migrantenliteratur kann hierbei eine bedeutende Rolle übernehmen. Die Tatsache, dass die Literatur türkischer MigrantInnen aus der Sicht türkischsprachiger Deutschlernender einfachere Strukturen hat, die auf die Studierenden zum Teil einen spielerischen Eindruck lassen, spricht für den Einsatz dieser Literatur im Unterricht. Aufgrund der sprachlichen und inhaltlichen Besonderheiten der Migrantenliteratur würden die Lernenden am Deutschlernprozess aktiv teilnehmen und die deutsche Sprache leichter lernen; z. B. könnten sie die spezifische Sprachverwendung (Idiome, Sprichwörter, Ritualen) in der Literatur türkischer MigrantInnen mit derjenigen im Deutschen vergleichen und somit die Interferenzfehler feststellen. Neben dem fremdsprachlichen Fortschritt können die Lernenden ihren sozialen Denkhorizont erweitern, indem sie sich selbst in die Position anderer setzen lernen und bestehende Vorurteile abbauen. In der vorliegenden Arbeit werden zugleich die interkulturellen Aspekte der türkischen Migrantenliteratur in Deutschland Studierenden entsprechen. Darunter berücksichtigt, zählt man die den Bedürfnissen besonders die der interkulturelle Kommunikationsfähigkeit. Bei der Analyse der gewählten Literatur wird - von der literatursoziologischen Methode, besonders von der Rezeptionsästhetik ausgehend - die Frage „Wie und warum wird es erzählt?“ in den Mittelpunkt gestellt. Darüber hinaus wird die Relation zwischen den gesellschaftlichen und kulturellen Zuständen sowie ihre sprachliche und thematische Reflexion innerhalb der Migrantenliteratur behandelt. In diesem Punkt gewinnt die Verbindung von Literatur und gesellschaftlichem Leben eine besondere Bedeutung. 87 5.1. Unterrichtsmodelle und Unterrichtsbeispiele 5.1.1. Textauswahl Für diese Arbeit haben wir die Texte der türkischen MigrantInnen in Deutschland gewählt, weil ihre Sprache, Sprachverwendung und Themen unseren Studierenden nahe stehen. Dieser Teil beinhaltet die Unterrichtseinsätze der Literatur türkischer MigrantInnen in Deutschland aus drei Generationen. Aus jeder Generation werden zwei Werke von jeweils zwei Schriftstellern für die Einsätze gewählt und mit den Studierenden behandelt. Dabei wird die Tatsache berücksichtigt, dass die Literatur türkischer MigrantInnen in Deutschland nach ihren soziokulturellen Besonderheiten und nach zeitlichen Unterschieden in drei Stufen geteilt wird. Die gewählten Einsätze aller drei Generationen werden aus „Epik“ (kurze Formen) und „Lyrik“ (Gedichte) gewählt, weil diese Gattungen formal und inhaltlich für den Fremdsprachenunterricht geeignet sind. Es handelt sich um Texte, die die soziokulturellen Probleme türkischer MigrantInnen in Deutschland humoristisch, ironisch, kritisch oder satirisch thematisieren. Davon ausgehend wird das Ziel verfolgt, die Motivation der Studierenden immer hoch und ihre Konzentration auf den Unterricht wach zu halten. Für die Lehrveranstaltungen haben wir insgesamt zehn Texte ausgewählt und für jeden Text verschiedene Lernaktivitäten geplant, an denen die Studierenden aktiv teilzunehmen haben. Aus der ersten Generation werden zwei Gedichte von Yüksel Pazarkaya und zwei Texte von Şinasi Dikmen analysiert, weil diese Autoren, anders als die anderen der gleichen Generation, ihre Werke in deutscher Sprache verfasst haben. Aus der zweiten Generation werden zwei Gedichte von Zafer Şenocak und zwei Texte von Osman Engin und schließlich aus der dritten Generation zwei Texte von Kerim Pamuk analysiert. Aus der dritten Generation wurde deshalb kein lyrischer Text in die Arbeit aufgenommen, weil die AutorInnen dieser Generation überwiegend Prosa verfasst haben. Die lyrischen Texte haben sie eher zum Zeitvertreib geschrieben und in Zeitschriften veröffentlicht. An dieser Stelle ist es wichtig zu sagen, dass wir uns mit mehreren Werken einzelner Autoren aus jeder Generation befassen, um die in den Texten behandelten Themen nicht 88 auf bestimmte Elemente zu reduzieren, sondern den Studierenden einen breiten Themenkreis zu bieten. Die in den Lehrveranstaltungen zu behandelnden Unterrichtseinheiten aus der Literatur türkischer MigrantInnen in Deutschland sind; Aus der ersten Generation, 1. Şinasi Dikmen • Brautbeschauer (Text) • Ehegattenzusammenführung oder; Wie finde ich eine Frau? (Text) 2. Yüksel Pazarkaya • Fremde ist wo du gekränkt wirst (Gedicht) • Gedanken über die Rückkehr (Gedicht) Aus der zweiten Generation, 1. Zafer Şenocak • Doppelmann (Gedicht) • Tierweisungen VI. (Gedicht) 2. Osman Engin • Dütschlünd, Dütschlünd, übür üllüs (Text) • Homo Germanicus (Text) Aus der dritten Generation, 1. Kerim Pamuk • Sprich langsam, Türke! (Text) • Länder, Türken, Abenteuer (Text) Da es zwischen den Texten der Autoren aller drei Generationen thematische Unterschiede gibt, haben wir für unsere Analyse Texte aus drei Generationen gewählt. Die erwähnten Texte sind meistens satirisch oder kritisch und enthalten Informationen über die Situation türkischer MigrantInnen in Deutschland. Die realistisch geformten Texte erleichtern die Selbstidentifizierung der Studierenden mit der Kultur der Deutschen und der türkischen MigrantInnen. Man darf jedoch bei alldem nicht vergessen, dass auch die Studierenden an den Abteilungen für Deutschlehrerausbildung in der Türkei mit der Kultur der türkischen MigrantInnen in Deutschland nicht vertraut sind. 89 Die gewählten Texte sind außerdem landeskundliche Texte, weil durch sie viele Kenntnisse über die deutsche und türkische Kultur vermittelt werden. Wir haben die Texte mit Schaubildern, Fotos, Karikaturen etc. ergänzt, aus denen unterschiedliche Sichtweisen zum jeweiligen Thema deutlich hervorgehen. Die Karikaturen der türkischen MigrantInnen in Deutschland, die sich im Allgemeinen ironisch auf ihre soziokulturellen und auch politischen Probleme konzentrieren, dienen dazu, die Motivation der Studierenden hoch zu halten und sie zur Kommunikation anzuregen. Alle Texte und visuellen Materialen sind als Impuls für vielfältige Lernaktivitäten gedacht. 5.1.2. Methodische Vorgehensweise In der ersten Stunde wird jedem/jeder Studierenden ein Exemplar mit allen in den Lehrveranstaltungen behandelten Texten gegeben. Am Anfang der Lehrveranstaltungen werden die Studierenden in drei Gruppen geteilt. Jede Gruppe hat die Aufgabe, von einer bestimmten Generation ausgehend die Besonderheiten der Textvorlagen zu notieren; das sind das Ziel des Erzählers, die auftauchenden Probleme, die augenfälligen Unterschiede zwischen der türkischen und der deutschen Kultur, die Vorurteile beider Seiten und die typisch deutschen bzw. typisch türkischen Haltungen. Die erste Gruppe übernimmt die Textvorlage der ersten Generation, die zweite die Texte der zweiten Generation und die dritte die Textvorlage der dritten Generation. Am Ende der Lehrveranstaltungen werden die Studierenden aller drei Gruppen gemischt und wieder drei neue Gruppen gebildet, damit sie ihre Notizen vergleichen können. Somit können wir die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen drei Generationen konkretisieren und darüber diskutieren. Die Texte werden zuerst von den Studierenden absatzweise laut vorgelesen. Beim Lesen unterstreichen sie die unbekannten Wörter und die schwer zu erschließenden Stellen. Dabei verfolgen wir das Ziel, die schwer verständlichen Stellen und die unbekannten Wörter zu erläutern, damit die Studierenden die Texte sprachlich und inhaltlich begreifen. Nach dem Vorlesen geben wir ihnen einige Minuten Zeit, damit sie über die Texte nachdenken können. Schon Auseinandersetzung über den Text, wie Lange bemerkt; das Vorlesen eröffnet die 90 Der Vorgang des Lesens ist also entscheidend, durch ihn wird die Bedeutung eines Textes aktualisiert. Die Aktualisierung kann nicht unbegrenzt stattfinden, die LeserInnen rekurrieren immer wieder auf den Text und füllen lediglich die „Leerstellen“, also die Verständnislücken, die der Text offen lässt, um das Engagement des Lesers zu erhöhen (Lange, 1996; 61). Die Lesephase dient also dazu, den Lesern den Text verständlicher zu machen und ihn im Gedächtnis zu ordnen. Dabei bemühen sich die Studierenden, die vorkommenden Leerstellen zu füllen, was ihre Motivation schrittweise erhöht. Nach dem Lesen äußern die Studierenden schrittweise ihre Gedanken über den Inhalt des Textes. Die Tatsache, dass interkulturelle Texte Verständigungsbarrieren enthalten können, macht die Stück-für-Stück-Analyse des Textes unentbehrlich. Kommunikativ ausgeführter Unterrichtsablauf führt die Studierenden dazu, aktiv zu sein und ihre Meinungen in freier Atmosphäre auszudrücken. Nach den spontanen Äußerungen der Studierenden, durch die sie den Inhalt des Textes begreifen und seine Kodes lösen, werden die Aktivitäten ausgeführt. In der nächsten Phase werden die Unterrichtsabläufe ausgewertet. Dabei wird versucht, die jeweilige Reaktion der Studierenden auf die Themen und auf den Unterrichtsablauf einzeln zu interpretieren und davon ausgehend zu einer allgemeinen Bewertung zu gelangen. Ihre Motivation, ihre Teilnahme am Unterricht, ihre Annäherung an interkulturelle Situationen etc. werden in dieser Phase stufenweise bewertet. Schließlich werden die Texte zusammengefasst, die Aussagen und Aufgaben der Studierenden in die Arbeit montiert. 5.1.3. Zeitdauer Vorgesehen ist, jeden Text in sechs Unterrichtsstunden zu behandeln. In den ersten drei Stunden lesen die Studierenden den Text absatzweise vor, um erste Eindrücke über die Texte und über die Themen zu erhalten, die Motive festzustellen und die wichtigen Punkte unterstreichen zu können. In diesen drei Stunden werden sie außerdem Gelegenheit haben, über die schwer erschließbaren Stellen nachzudenken und ihre Gedanken auszutauschen. 91 In den nächsten drei Stunden werden die Motive in den Texten und ihre Erscheinung in der deutschen und türkischen Kultur kontrastiv thematisiert, d.h. die gegenseitigen (Vor-)Urteile etc. zur Diskussion gestellt. Andererseits werden diverse Gruppenaktivitäten veranstaltet. 5.1.4. Zielsetzung Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf die Sprach- und Kulturvermittlung, durch die verschiedene Fertigkeiten und Fähigkeiten entwickelt werden sollen. Es geht darum, den Studierenden die soziokulturellen Probleme der in Deutschland lebenden MigrantInnen nahezubringen und sie zu einem interkulturellen Vergleich zwischen der türkischen und deutschen Kultur zu führen. Dadurch entwickeln sie ihre soziale Kompetenz, insbesondere ihre Teamarbeitsfähigkeit, weil sie lernen, in Gruppen zu arbeiten und miteinander in Kontakt zu bleiben. Auch Fähigkeiten wie Höflichkeit, Freundlichkeit, Empathie und Toleranz werden in diesem Entwicklungsprozess gefördert, da die Texte immer wieder aus türkischer und deutscher Sicht bewertet werden. So können sie lernen, sich selbst in die Position anderer hineinzuversetzen. Sie werden Vorurteile gegen die Deutschen abbauen und die kulturellen Besonderheiten eines Volkes differenzierter behandeln. Kurz gesagt; Sie werden durch die Entwicklung einer interkulturellen Kompetenz die Fähigkeit zu sozial verantwortlichem Verhalten erwerben bzw. ausbauen. Außer der sozialen Kompetenz entwickeln sie auch ihre fachliche Fähigkeit, die die grundlegende Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift umfasst sowie die persönliche Fähigkeit, die Zuverlässigkeit, die Lern- und Leistungsbereitschaft, die Ausdauer bzw. das Durchhaltevermögen, die Belastbarkeit, die Sorgfalt, die Gewissenhaftigkeit, die Verantwortungsbereitschaft, die Selbstständigkeit, die Fähigkeit zu Kritik und Selbstkritik, die Kreativität und Flexibilität (für weitere Hinweise siehe dazu: Mattes, 2002; 9). Ein anderes Ziel ist es, die Erfahrung zu vermitteln, dass die Menschen erst dann friedlich zusammenleben können, wenn sie akzeptieren, dass andere Menschen anders sind. Die Menschen sollen nicht gezwungen werden, so zu werden wie die anderen. Das 92 kann man erreichen, wenn man in Lehrveranstaltungen die Befähigung der Studierenden zu interkultureller Kommunikation anregt. Da die gewählten Texte zentrale Themen wie Abstammung, Kultur und Sprache sowie deren Relation mit der Nation und Emotionalität aussprechen, kann man sagen, dass sie den Studierenden die Welt aus unterschiedlichen Blickrichtungen vorstellen. Die Tatsache, dass die Studierenden an den Abteilungen für Deutschlehrerausbildung an türkischen Universitäten während und nach ihrem Studium eine Gelegenheit finden, mit den Studierenden anderer Länder, die im Rahmen des Erasmus-Programms die türkischen Universitäten besuchen, in Kommunikation zu treten, macht die oben genannten Ziele unentbehrlich. Die auf interkulturelles Lernen konzentrierten Lehrveranstaltungen erreichen bei den Studierenden zusätzliches Verständnis für ausländische Studierende, interkulturelles Verstehen, gegenseitige Toleranz und Motivation zum Abbau von Vorurteilen. Ausgehend von der Frage „Wie könnte man die gegenseitigen Vorurteile abbauen?“ werden diverse Lernaktivitäten durchgeführt, die den Studierenden die Gelegenheit bieten, die Vorurteile in den Texten zu finden, zu interpretieren und in der Klasse vorzuspielen. Es ist unschwer zu behaupten, dass diese Lernaktivitäten die Identifikation der Studierenden mit den Deutschen erleichtern. Weil sie sich in die Position anderer zu versetzen lernen, eignen sie sich die kulturellen Unterschiede leichter an. Außerdem lassen sich die Studierenden gegen Rassismus und Nationaldenken erziehen und konzentrieren sich bei ihrem Studium auf Solidarität und interkulturelles Lernen. Somit lernen sie, dass alle Kulturen prinzipiell gleichwertig sind. 5.1.5. Unterrichtsmethode In dieser Arbeit konzentrieren wir uns besonders auf den „Produktionsorientierten Unterricht, auf die Textanalyse nach Rezeptionsästhetik und auf die mündlichen und schriftlichen Aussagen der Studierenden, die nach der qualitativen Methode ausgewertet werden. 93 5.1.5.1. Produktionsorientierter Unterricht Intertextualität ist „die Existenz eines Textes in einem anderen“ (Berberoglu, 1995; 31). Davon ausgehend, dass kein Text allein ein Faktum ist, sondern in Verbindung mit anderen Texten eine Bedeutung gewinnen kann, stellt es sich eindeutig heraus, dass Texte, die ein Teil des gesellschaftlichen und soziokulturellen Lebens sind, auch als Mittel interkultureller Verständigung fungieren können. In diesem Zusammenhang stellt die Analyse von intertextuellen Bezügen in der Produktion von Texten eine wichtige Aufgabe dar, die darauf beruht, aus einem Text einen neuen Text zu schaffen. Dabei schaffen die Studierenden einen neuen Text mit gleichem Inhalt und gleicher Problematik. Im Hinblick auf die Intertextualität sehen wir die Zieltexte als einen Teil der Ausgangstexte. Solch eine Lernaktivität wird die Studierenden zur Kreativität und auch zur Zusammenarbeit ermutigen und sie außerdem dazu führen, zwischen zwei Texten bzw. zwischen zwei Kulturen hin und her zu pendeln. Eine intertextuelle Vorgehensweise, die sich mit der Bedeutung der einzelnen Wörter, Sätze und Textpassagen befasst, erhöht die Bedeutung der Anwendung interkulturell angelegter Texte, weil „intertextuelle Kommunikation ohne weiteres in der Mitte – zwischen den Kulturen und zwischen den Sprachen liegt“ (Berberoglu, 1995; 36). 5.1.5.2. Textanalyse nach Rezeptionsästhetik Bei der Textanalyse haben wir anstelle einer werkimmanenten Betrachtungsweise, die sich in Deutschland nach 1945 massiv durchgesetzt hat und den Text als Ganzheit und einzige Realität betrachtet (Berghahn, 1979; 390), die Rezeptionsästhetik als Ausgangsbasis gewählt. Von der Tatsache ausgehend, dass kein Text eine festgelegte Bedeutung hat, berücksichtigen wir bei der Textanalyse die fundamentale Erkenntnis der Rezeptionsästhetik, dass die Bedeutung eines Textes erst im Zusammenspiel von Wortlaut und Leser hergestellt wird. (siehe dazu, Lange, 1996; 60). Rezeptionsästhetik, deren Perspektive gänzlich auf den Leser als Adressaten eines literarischen Textes richtet, dient dazu, Wechselwirkungen zwischen politischen, gesellschaftlichen und sozialen Ereignissen und ihrer Bedeutung aufzudecken. Eine Textanalyse außerhalb der Geschichte, außerhalb der historischen und soziologischen Rezeption des Textes ist niemals möglich. Dieser Tatsache folgend haben die Studierenden die zehn Texte, die wir aus der Literatur der türkischen MigrantInnen 94 gewählt haben, nach der Rezeptionsästhetik analysiert, indem sie die politischen, gesellschaftlichen und sozialen Ereignisse der Migrationsgeschichte in Betracht zogen. Die rezeptionsästhetische Textanalyse hat den Studierenden außerdem eine Gelegenheit gegeben, die erzählten Motive zu aktualisieren und ihre Meinungen - die Grenze des Autors überschreitend - auszudrücken, was ihre Kreativität anregen und somit ihr Selbstvertrauen erhöht hat. Bei diesem Profit spielt auch die unterschiedliche Aktualisierung der Texte von jedem Studierenden eine besondere Rolle. 5.1.5.3. Auswertung nach der qualitativen Methode Die Antworten der Studierenden wurden nach der qualitativen Methode ausgewertet. Wir haben den Unterrichtablauf jeweils auf Tonband gespeichert, danach die Aussagen der Studierenden transkribiert und in Form von Notizen festgehalten. Von den gestellten Fragen ausgehend wurde zuerst jede Aussage inhaltlich geordnet und nach unserem Konzept stichwortartig interpretiert. Die Antworten haben wir unter den Untertiteln „Analyse“, „Aktivitäten“ und „Auswertung des Unterrichtsablaufs“ erstellt und einige davon in tabellarischer Übersicht in die Arbeit eingefügt. Alle Texte wurden nach gleichem Unterrichtsmodell, aber mit diversen Lernaktivitäten behandelt und unter dem Haupttitel „die Texte der deutschsprachigen türkischen MigrantInnen im DaFUnterricht“ gesammelt. Die qualitative Methode konzentriert sich auf die Beobachtung von Daten, die aus den Lehrveranstaltungen gesammelt werden, und auf ihre Analyse bzw. Interpretation. Diese Methode gibt uns die Gelegenheit, die Aussagen der Studierenden einzeln zu interpretieren und am Ende eines jeden Textes zusammenzufassen. Außerdem haben wir die Analyseergebnisse der Texte kontrastiv gegenübergestellt, um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen der Literatur von drei Generationen türkischer MigrantInnen festzustellen. Auch Berberoglu weist in seiner Arbeit auf die Bedeutung der qualitativen Interpretation hin; Folgende zwei Gründe haben mich zur Auswahl des interpretativen Verfahrens bewegt; 1. Die Möglichkeit einer Deutung, die sich nach der Subjektivität der Aussagen der Schüler richtet. 2. Die Möglichkeit einer Deutung, die der Methode der Datenerhebung entspricht (Berberoglu, 1995; 179). 95 In diesem Zitat betont man die Subjektivität der Aussagen der Schüler und auch die Datenerhebung, die bei der Textinterpretation und dem interkulturellen Lernen die qualitative Methode unentbehrlich machen. 5.1.6. Situation der Klasse • Klasse: Erste Klasse • Unterricht: Schreibfertigkeit • Zahl der Studierenden: 37 • Zeitdauer der Lehrveranstaltungen: Ein Semester und jede Woche wurde drei Untrrichtstunden durchgeführt. • Gruppe: Aus den Studierenden wurden drei Gruppe gebildet, damit sie kommunikativ eine Gruppenarbeit leisten. Alle Studirenden waren Türke und keine von ihnen war Remigrant. Die Texte wurden mit den Studierenden der ersten Klasse der Abteilung für Deutschlehrerausbildung an der Universität Çanakkale Onsekiz Mart behandelt. Es war für uns von Bedeutung, diese Texte deshalb mit den Studierenden der ersten Klasse zu behandeln, weil sie noch kaum Informationen über die Literatur türkischer MigrantInnen in Deutschland, über ihre dortige Situation, über ihre Kommunikation mit Deutschen und anderen Fremden und über den migrationsspezifischen Sinn der „Toleranz“, „Anpassung“, „Integration“, „Identitätsproblematik“ verfügten. Somit haben wir das Ziel befolgt, sowohl die Lebensumstände wie auch die Texte (Tatsachen und Diskurse) der MigrantInnen näher zu bringen. An den Lehrveranstaltungen mit Gruppenarbeit haben 37 Studierende teilgenommen. Wir haben den Studierenden ermöglicht, ihre eigenen Erfahrungen in freier Atmosphäre im Hinblick auf interkulturelles Lernen zum Ausdruck zu bringen und die beiden Kulturen zu vergleichen, was sie stets zu neuer Kreativität regte. Auch die Haltung der Lehrenden spielt eine besondere Rolle, wenn man die o.g. Ziele erreichen will. Für einen erfolgreichen Unterrichtsablauf sollte ein Dozent besonders darauf achten, • mit den Studierenden eine guten Kontakt zu haben, • stets lebhaft zu bleiben, • all seine Vorbereitungen zuvor zu treffen, 96 • den Studierenden Mitsprache und Mitgestaltung einzuräumen, • seine Motivation in der Klasse nicht zu verlieren, • die Studierenden zu beobachten. 5.2. Unterrichtsmodelle In den folgenden Texten wird eine interkulturelle Lehrpraxis durchgeführt, wobei die interkulturellen Motive von den Studierenden behandelt und zum Zweck eines interkulturellen Gedächtnis benutzt werden. 5.2.1. Unterrichtsmodell 1; Brautbeschauer20 5.2.1.1. Textinhalt Der Text „Brautbeschauer“ konzentriert sich inhaltlich auf die soziale Situation türkischer MigrantInnen in Deutschland und auf ihre interkulturelle Kommunikation mit Deutschen. In diesem Thema kommen verschiedene Motive vor wie z.B. Frauenrechte, Engagement, Integration, Kulturaustausch, Konvertieren, türkische und deutsche Sitten sowie Erziehungsprobleme in beiden Kulturen. 5.2.1.2. Lernaktivitäten; Über den Text „Brautbeschauer“ hinaus werden im Unterricht 4 Aktivitäten durchgeführt, die dazu dienen, die Schreib- und Lesefertigkeit der Studierenden zu trainieren und ihre Fähigkeit zu kreativem Denken voranzutreiben. Aktivität 1; Wörtliche Übersetzungen finden und interpretieren; Bei dieser Aufgabe werden die wörtlichen Übersetzungen des Textes entdeckt und die Interferenzfehler festgestellt, indem man über die Sprachwendung hinaus zwischen der türkischen und deutschen Sprache einen sprachlichen und bedeutungsbezogenen Vergleich anstellt. Aktivität 2; Zur Sprech- und Kommunikationsfähigkeit, Empathie und Toleranz; Vorurteile finden und interpretieren; Hier wird die Liste der gegenseitigen Vorurteile 20 Bei den Seitenangaben beziehe ich mich auf die Publikation; Dikmen, Şinasi (1986); Der andere Türke. Berlin. Express-Edition. S. 13-32. 97 aufgestellt; die Studierenden bringen ihre Meinungen über diese Vorurteile zum Ausdruck und tauschen Gedanken aus, um feststellen zu können, woher diese Vorurteile stammen. Wichtig scheint mir außerdem vor Augen zu halten, ob der Erzähler im Text die Gründe dieser Vorurteile erklärt und dem Leser eine Lösung bietet. Aktivität 3; Was ist typisch türkisch und typisch deutsch? Die Studierenden bemühen sich darum, die Stelle, die man als typisch türkisch und typisch deutsch nennt, zu zitieren und sie begründend zu interpretieren. Aktivität 4; Die Darstellung der Figur Nuri Pelivan zwischen Rolle und Wirklichkeit; In diesem Punkt haben sich die Studierenden darum bemüht, ausgehend von den Aussagen im Text, die sie zitiert haben, die zwei verschiedenen Charaktere von Nuri Pehlivan gegenüberzustellen, um feststellen zu können, dass die Menschen unter verschiedenen Situationen verschiedene Gesichter haben können. 5.2.1.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten Aktivität 1; Bei dieser Aktivität haben die Studierenden die wörtlichen Übersetzungen gefunden und die Interferenzfehler festgestellt: 1. Der Mund eines Menschen ist kein Sack, den man zubinden kann. Offensichtlich geht dieses Idiom auf das türkische „İnsanın ağzı torba değil ki büzesin“ zurück. Da der Erzähler voraussetzt, dass dieses Idiom von einem NichtTürkischsprachigen nicht verstanden werden könnte, stellt er zuerst die wörtliche Übersetzung und danach ihre Bedeutung (wenn einem etwas nicht gefällt) nebeneinander. Diese Vorgehensweise kann man als Verstehenshilfe interpretieren, die der Autor bewusst dem deutschen Leser gibt. Sonst hätte die deutsche Leserschaft Verstehensprobleme. Sehr selten sieht man in den literarischen Werken so eine Haltung der Autoren. Die Studierenden haben versucht, die deutschen Idiome mit gleicher Bedeutung zu finden, was bei ihnen die Fähigkeit zur Verantwortungsbereitschaft entwickelt hat. Die Studierenden, die bei dieser Aktivität eine Gruppenarbeit durchgeführt haben, haben alternative deutsche Idiome mit gleicher Bedeutung gefunden; 98 [Bahar Kotan, Şirin Serpen, Sinem Atuk, Aslı Hotalak, Inna Dragneva]21; Wer jedem das Maul stopfen wollte, müsste viel Mehl haben Man kann die Artikulation der Menschen durch keine menschliche Kraftanstrengung unterbinden Elin ağzı torba değil ki büzesin Elin ağzı torba değil ki büzesin 2. Den Esel immer auf die Berge führen Im Hintergrund haben wir wiederum ein türkisches Idiom, und zwar das „Eşeği yokuşa sürmek“. Hier ist anders als im ersten Beispiel die Bedeutung des Idioms nicht geschrieben, was die Leser zum Missverstehen führen kann. Es wurde aber festgestellt, dass die türkischen Studierenden im ersten Blick die Bedeutung dieser Idiome verstanden haben, weil sie die türkischen Idiome sehr gut kennen. Zum Verstehen des Inhalts und des Ziels des Autors spielen diese Idiome für die türkischen Studierenden eine erleichterte Funktion. Drei Studierende haben das folgende Idiom als Alternative zu „Den Esel immer auf die Berge führen“ gezeigt; [Kerem Erol, Aslı Hotalak, Inna Dragneva]; Der Glaube kann Berge versetzen İşi yokuşa sürmek 3. Dickkopf und Herzstück Die Studierenden sind in Anlehnung an zwei türkische Wörter zur Idee gekommen, dass das Wort „dickköpfig“ kein deutsches Wort ist, sondern der Autor habe es wohl dem türkischen Wort „kalın kafalı“ nachgebildet. Dasselbe gilt auch für „Herzstück“. [Bahar Kotan, Şirin Serpen, Esra Yıldıran]; Herzstück bedeutet Teil eines Herzens. Das ist eine wörtliche Übersetzung. Außerdem benutzt man statt dickköpfig meistens dummkopf. [Aslı Hotalak, Inna Dragneva]; Herzstück ist Wort für Wort Übersetzung. In gleicher Bedeutung benutzt man im Deutschen Mittelpunkt und statt dickköpfig hartnäckig. 4. Brautbeschauer 21 Die zitierten Aussagen und Aufgaben der Studierenden werden nicht numerisch, sondern namentlich 99 Die Studierenden denken, dass das Wort „Brautbeschauer“ eine wörtliche Übersetzung ist, weil Familie Grünberger es nicht kennt; deshalb bestrebe sie sich, seine Bedeutung zu finden. Die Grünbergers schlagen das Wort im Lexikon nach und lassen sich beim türkischen Konsulat und bei türkischen Bekannten darüber informieren. Aktivität 2; Die Studierenden haben bei dieser Aktivität eine Liste der gegenseitigen Vorurteile aufgestellt und ihre Meinungen über diese Vorurteile zum Ausdruck gebracht. Sie haben Gedanken ausgetauscht, um feststellen zu können, woher diese Vorurteile stammen. Vorurteil 1; Seine Landsleute, diese rückständigen Türken, die ihre Frauen unterdrücken, ihre Tochter diskriminieren, ihre Söhne verhätscheln und verwöhnen, sie alle kennen Deutsche. [Barış Aydın, M. Ali Kelekçi, Funda Gürbüz, Sonay Kabadayı]; Die Gründe dieses Vorurteils sind; a) Im Ausland werden die türkischen Menschen rückständig gekannt, weil sie die Türkei wie Irak, Iran glauben. Sie sind Muslim und wir sind auch, aber wir sind laizistischer als sie. b) Auch in den Dörfen der Türkei gibt es diese Sachen. Die Söhne sind wichtiger als die Töchter. c) Die Frauen beschäftigen sich immer mit vielen Sachen. Die türkischen Männer wollen von ihren Frauen etwas. d) Die Töchter sind nicht immer bei ihren Familien, deshalb sind sie so wichtig und sie werden von den Vätern unterdrückt. e) In der Türkei passieren diese Sachen heute nicht so viel wie die Vergangenheit, aber die Menschen im Ausland denken daran, dass die Türken rückständig sind wegen eines Menschen. [Gülce Karacaer]; Ich denke, das ist ein Vorurteil, weil nicht alle türkische Männer ihre Frauen unterdrücken, ihre Tochter diskriminieren usw. Aber einige Männer machen das. Şinasi Dikmen seht nur diese einige und schreibt nur über sie. [Burcu Kaleli, Nihal Küçük, Cansu Candemir, Gülçin Pelit]; gegeben. Außerdem werden sie sprachlich nicht korrigiert. 100 In dieser Satz gibt es Verallgemeinerung. Manche Türken unterdrücken ihre Frauen und ihre Tochter, weil sie sie schützen möchten. Die türkischen Männer sind neidisch. Sie diskriminiert ihre Töchter, denn die Söhne tragen den Familiennamen. Das gilt aber für die ältere Generation. Heute trifft man sich mit so einer Diskrimination nicht, ja mit der Ausnahme der ländlichen Gebiete. Deshalb könnte man keine Verallgemeinerung machen. [Canan Temel]; Natürlich ist das nicht richtig. Weil in der Türkei gibt es so Väter, die ihre Töchter nicht als Menschen ansehen aber sie sind in der Minderheit. Beispielweise, ich komme aus dem Osten. Osten wird gewissen, dass viele Töchter ohne Erziehung sind. Aber heute ist es nicht so, sogar im Osten. Im Westen %90 Töchter sind Erzogen. Vorurteil 2; Nuri Pehlivan kenne ja die Deutschen, und er wisse, dass sie außer sich selbst niemanden haben. [Barış Aydın, M. Ali Kelekçi, Funda Gürbüz, Sonay Kabadayı]; Die Gründe dieses Vorurteils sind; a. In der Türkei ist die Hilfe wichtig. Die Menschen helfen immer einander. Für Nuri Pehlivan ist das wichig. b. Die türkischen Menschen sind warmblütig, aber die Deutschen sind kaltblütig und sie kümmern sich um einander nicht. c. In Deutschland werden die Menschen immer allein. Sie denken nur an sich selbst. Sie machen alles allein. d. Die Gedanken, der Menschen in Deutschland ist verschiedener als die Türken. Auch die Sitten sind verschieden. e. Für Nuri Pehlivan sind die Sitten sehr wichtig, deshalb denkt er daran, dass die Deutschen verschieden. [Nihal Küçük, Cansu Candemir]; Nuri Pehlivan kennt die Deutschen. Wenn er nach Deutschland gefahren ist, hat er viele Schwierigkeiten gesehen. Er denkt daran, dass die Türke in Deutschland wohnen können, aber die Türke und die Deutsche können nicht Freundschaft schließen. [Mücahit Kara]; 101 Das ist ein Vorurteil, denn nicht alle Deutschen leben nur für sich selbst. Es gibt Deutschen, die sehr gut miteinander, d.h. mit Verwandten eng zueinander sind. Das ist nicht nur bei den Türken ein besonderer Merkmal, sondern auch bei den Deutschen. Natürlich gibt es auch für sich selbst lebende Deutschen. Doch man kann dadurch nicht sagen, dass es bei allen Deutschen so ist. [Burcu Kaleli]; Nuri vergleicht in dieser Aussage die türkischen und deutschen Sitten miteinander und seinen einseitigen Blickwinkel führt ihn zur Irre. Für die Türken ist Nachbarschaft sehr von Bedeutung, sie besuchen einander fast jeden Tag, essen und trinken zusammen etc. Bei den Deutschen gibt es dagegen eine Distanz. Diese Distanz versteht Nuri (bewusst oder unbewusst) falsch. [Gülce Karacaer]; Er glaubt, dass er die Deutschen gut kennt, aber er kennt sie nicht. Dinge, die er weiß glaubt, sind seine Vorurteile. Vorurteil 3; Viele Frauenrechtlerinnen schimpfen mit oder ohne Recht auf die türkischen Väter, weil diese ihre Töchter nicht als Menschen ansehen. [Barış Aydın, M. Ali Kelekçi, Funda Gürbüz, Sonay Kabadayı]; Die Gründe dieses Vorurteils sind; a. Im Ausland sehen die Menschen nur ein Mann, der seine Töchter diskriminiert und auf diese Weise glauben sie, dass alle türkischen Männer so behandeln. Wir möchten an dieser Stelle auf die Verallgemeinerung hinweisen. b. In einigen Städten der Türkei sind die Töchter nicht wichtiger als die Söhne, denn die Söhne tragen die Nachnamen der Familien. c. Die türkischen Männer zeigen ihre Gefühlen nicht, obwohl sie seine Töchter lieben. [Burcu Kaleli]; Auch dieser Blickwinkel ist nur für die alte Generation gültig. Genauso wie bei allen anderen Menschen, auch die türkischen Menschen haben unterschiedliche Charaktere, und deshalb wäre es uninteressant, wenn manche der Türken ihre Tochter oder ihre Söhne mehr von Bedeutung sehen. So was ist keine Besonderheit, die nu zu den Türken gehören 102 [Gülce Karacaer]; Seit Jahren in der Türkei gibt es eine Diskriminierung zwischen dem Sohn und der Tochter. In der Türkei wollen ungefähr achtzig Prozent des Mannes einen Sohn haben. Die Töchter sind immer Hintergrund. Aber in andererseits verändern sich dieser Blickwinkel von Tag zu Tag. Aber leider gibt es in der Türkei so ein Gedanke. Ein Mann glaubt, dass er sein Stamm nur mit einem Sohn weiterführen wird. [Burcu Kaleli]; Die türkischen Väter kennen nicht die Frauenrechtlerinnen. Sie glauben, dass die türkischen Frauen immer im Haus bleiben müssen, aber nichts ihre Rechte verteidigen müssen. Vorurteil 4; Die türkischen Jugendlichen haben keine Ahnung, wie man ein Mädchen ausführt. Sie wollen mit jeder Frau sofort ins Bett. [Barış Aydın, M. Ali Kelekçi, Funda Gürbüz, Sonay Kabadayı]; Die Gründe dieses Vorurteils sind; a. Die türkischen Männer emigrierten ins Ausland zu arbeiten uns sie waren entfernt von ihren Frauen. Vielleicht machten sie diese Sache, deshalb haben die Menschen gegen die türkischen Männer. b. Der Mann, der dieses Vorurteil hat, konnte diese Sachen machen. c. Vielleicht drückten die türkischen Männer sich selbst diese aus und sie wollten die Frauen nur diese Sachen. [Burcu Kaleli]; Nach meiner Meinung weiss Nuri nicht, wie man eine Frau ausführt, darum denkt er, dass alle Männer so. Und er möchte seine Tochter schützen. Er glaubt, dass er die türkischen Männer kennt. [Gülce Karacaer]; Dieses Urteil ist teils richtig. Da es in der Türkei viele Sitten und davon abhängig viele Verboten gibt, finden die Frauen und Männer weniger Möglichkeit, einander kennenzulernen. Vielleicht deshalb träumen die türkischen Männer von den Frauen, als ob die Frauen ein Sexobjekt wären. Im realen Leben versuchen die Männer immer neue Wege, mit den Frauen kennenzulernen oder sie ins Bett zu führen. [Nihal Küçük, Cansu Candemir]; 103 Die türkischen Jungen denken daran, dass Lebensbesonderheit verschiedener als Deutschen ist. Die Lebensbesonderheit ist nicht sehr wichtig für die türkischen Jungen. Sie träumen vor der Frauen im Bett. [Fatma Aşıcı]; Die Verhalten der Deutschen und der Türken sind wegen der kulturellen Unterschiede sehr anders. Sie können sehr anders benehmen, deshalb finde ich diese Aussage als Vorurteile. [Elif Yergezen]; Das ist eine Vorurteile, aber für mich das ist so. In der Türkei wachsen die Männer mit dieser Meinung; Die Frauen sind nur sexuelle Objekte und die Männer sind stärker als die Frauen. Vorurteil 5; Herr Grünberger wollte mit Nuri Pehlivan alles am Telefon besprechen, aber Nuri wollte natürlich nichts mit einem wildfremden Menschen zu tun haben. [Barış Aydın, M. Ali Kelekçi, Funda Gürbüz, Sonay Kabadayı]; Die Gründe dieses Vorurteils sind; a. Obwohl er als moderner Mensch aussieht, ist er eigentlich dagegen diese Sachen. b. Er kann seine wahren Gefühlen innen verstecken. Vielleicht will er seine Töchter mit seinem Mitbürger heiraten. c. Eigentlich ist er nicht so modern, wie wir gedacht hat. [Burcu Kaleli]; Nuri sagt, dass die Deutschen wildfremden Menschen sind. Er kennt die Deutschen nicht genau. Er behandelt grob. [Gülce Karacaer]; Dieser Aussage zeigt uns widersprüchliches Verhalten von Nuri. Einerseits versucht er an dem deutschen Leben zu integrieren, andererseits will er sie schlechtmachen. Fremd kann man sein, aber ein Begriff wie „wildfremd“ stellt die Vorurteile eindeutig vor. [Gülçin Pelit]; Herr Grünberger ruft Nuri an und Nuri schliesst den Telefon, Er macht dem Herrn Grünbergervorwürfer. Er denkt, dass Deutsche wilde Menschen sind. Das ist 104 Vorurteile und das Verhältnis ist falsch. Mensch ist Mensch für mich. Das ist nicht wichtig, welche Nationalität er hat. [Mücahit Kara]; Ich verstehe nicht, wieso Nuri Pehlivan den Hörer aufgelegt hat und nicht mit Herrn Grünberger gesprochen hat. Er hatte nämlich ein Vorurteil, den er dachte, er sei ein fremder Mensch. Das hat zwar gestimmt, aber man müsste mal mit ihm reden um sein Problem verstehen können. Er hatte nichts mit den Deutschen zu diskutieren, weil er sich selbst nicht in die Lage des Hernn Grünbergers versetzen konnte. Vorurteil 6; Eine Frau hat keine Erziehung zum objektiven Denken genossen. [Barış Aydın, M. Ali Kelekçi, Funda Gürbüz, Sonay Kabadayı]; Die Gründe dieses Vorurteils sind; a. Die Frauen sind so emotional, dass sie immer an alles mit ihren Herzen denken. b. Die Männer denken meistens logisch, sie sind nicht so emotional wie die Frauen. c. Die Frauen sind schwacher als die Männer. In der Frauen sind die Gefühlen intensiver als die Männer. [Burcu Kaleli]; Hier sieht man die Frauen passiv und ungebildet, mit der Andeutung, dass die Männer kluger sind. Das ist unakzeptierbar, weil die Frauen alles denken und machen können, was die Männer denken und machen. [Elif Yergezen]; Dieser Satz ist am schärfste Vorurteile gegen die Frauen. Meistens die Männer denken so; die Frau versteht nichts. Vielleicht sie denken so unter dieser Gedanken; Die Frauen sind abhängig ihr. Sie denken selbst stärker als die Frauen. Aber diese werden meistens in der Türkei gesehen. [Gülçin Pelit]; Die Frauen werden eine Mutter und sie haben Mutterschaftgefühl. Sie denken more emotional, deshalb können sie nicht objektive denken. [Nihal Küçük, Cansu Pelit]; 105 Männer denken daran, dass die Fühlen von Frauen emotional sind. Denn die Frauen sind eine Mutter, ihre Herze haben Weichheit. [Gülce Karacaer]; Nuri denkt an, dass eine Frau keine objektive Denken hat, weil in der Türkei nur Männer denken und machen usw. Ein verschiedene Grund ist, dass Frauen emotional denken. Sie verhalten sich mit ihren Gefühlen. Vorurteil 7; Er sprach mit seiner Tochter darüber, dass die Deutschen langsam lernen müssten, wie sie mit einer gebildeten türkischen Familie umzugehen hätten, erst dann würde er sein Jawort geben. Dabei zeigte er auf das Etikett der Flasche; Sowas bringen nur die Deutschen mit. [Mücahit Kara]; Die Deutschen müssten lernen wie man mit einer gebildeten türkischen Familie umgeht. Das ist für mich ein Vorteil, denn die Deutschen sind sehr kluge Menschen. Ich denke, dass sie auch genau wissen, wie man mit einer gebildeten Familie umgeht. Sie leben nämlich in Deutschland und wer in Deutschland lebt, weiß, wie man mit gebildeten Menschen umgeht. Nuri war jedoch sehr eilig. Er wollte dass alles seinermassen schön läuft und alles geschah, was er wollte. [Nihal Küçük, Cansu Candemir]; Nach türkischer Sitte wird Schokolade und Blume gebracht, wenn eine Familie ein Mädchen von türkischer Familie beschauet. Aber die Deutschen wissen das nicht. [Burcu Kaleli]; Diese Aussage ist sowohl eine Kritik über das Verhalten von Familie Grünberger als auch Vorurteile. Sie müssen nicht auf diese Weise verhalten, denn sie wissen nicht so viel über diese Menschen und nur mit diese unwichtige Dinge wie eine Flasche muss man nicht verallgemeinern das Urteil. Bei dieser Aktivität haben die Studierenden aus dem Text die Stelle, die sie für vorurteilshaltig halten, zitiert und analysiert. Bei ihrer Analyse haben sie die Gründe der Vorurteile festzustellen versucht und besonders die Frage nach ihrer Quelle in den Mittelpunkt gestellt. 106 Wie oben zu sehen ist, haben die Studierenden sieben Stellen zitiert und interpretiert. Es ist unschwer zu sehen, dass fast alle Studierenden bei dem ersten Vorurteil darauf hinweisen, dass es in der Türkei immer noch eine Diskriminierung zwischen den Kindern gibt, die aus älteren Zeiten, bzw. aus türkischer Tradition herkommt. Daneben wiesen sie außerdem darauf, dass so eine Diskriminierung eher in großen Städten als in ländlichen Gebieten zu sehen ist. Ein anderer wichtiger Punkt, der hervorgehoben werden muss, ist die Verallgemeinerung. Obwohl in der Türkei auch heute so eine Diskriminierung zutage kommt, ist es ein Fehler, Verallgemeinerung zu machen. Denn heute ist die Zahl der Menschen, die ihre Kinder diskriminieren, viel geringer als in der Vergangenheit. Das zweite Vorurteil bezieht sich auf die Deutschen. Sechs Studierende haben diese Stelle gewählt und sind zur Idee gekommen, dass die Deutschen in diesem Punkt zu Unrecht kritisiert worden sind. Nach den Studierenden liegt der Grund dieses Vorurteils in kulturellen Unterschieden zwischen den Deutschen und den Türken. Für Türken ist die Nachbarschaft von großem Belang. Sie unterhalten sich miteinander über alles, essen sehr oft zusammen, trinken nachmittags Tee etc. Es gibt im Türkischen viele Idiome, die die Relevanz der Nachbarschaft hervorheben; • Ev alma komşu al (Kauf keine Wohnung, sondern einen Nachbarn) • Komşu komşunun külüne muhtaçtır (Der Nachbar braucht die Asche seines Nachbarn). Das sind Belege für die türkischen Traditionen wie Gastfreunschaftlichkeit und Respekt gegenüber dem Anderen. Das kommt daher, dass es in der Türkei mehr ländliche Gebiete als in Deutschland gibt. Obwohl auch die Deutschen eng zueinander sind, ist das Niveau ihrer Nachbarschaft niedriger. Auch an dieser Stelle weisen die Studierenden darauf hin, dass nicht alle Deutschen so wie nicht alle Türken gleich sind. Die Haltung gegenüber dem dritten Vorurteil kommt dem ersten Vorurteil nahe. Hier werden vor allem die Unterschiede zwischen den alten und neuen Generationen sowie die Falschheit der Verallgemeinerung betont. Bei der Interpretation des vierten Vorurteils geht es um einen interkulturellen Vergleich der Verhaltensweisen von Deutschen und Türken. Die Sexualität ist in der Türkei immer noch ein Tabu, weshalb 107 türkische Jugendliche bei ihren Liebesbeziehungen große Probleme erleben. Für deutsche Jugendliche gilt dieses Thema nicht als ein Problem. Davon ausgehend kann man sagen, dass türkische Jugendliche die Sexualität immer im Kopf haben. So eine Situation führt sie zu fatalen Fehlern. Außerdem haben die Studierenden auf eine Verallgemeinerung hingewiesen, die die Menschen irreführt. Regionale Unterschiede und Multikulturalität verungültigen die Verallgemeinerung. Es gibt in der Türkei Regionen, wo die Sexualität kaum ein Tabu ist. Einige Studierende haben dagegen zum Ausdruck gebracht, dass die Leibesbeziehungen türkischer Jugendlicher im Vergleich zu denen der Deutschen sehr anders sind. Bei ihren Beziehungen stellen die Türken ihre Liebe in den Vordergrund, dagegen konzentrieren sich die Deutschen eher auf Sex. So eine Aussage der Studierenden ist wichtig, weil sie somit sehen können, dass auch sie den gleichen Fehler bzw. eine Verallgemeinerung machen. Die Stelle, die die Studierenden als ein Vorurteil markiert haben, brachte sie dazu, deutsche und türkische Jugendliche miteinander zu vergleichen und einen Sinn für Toleranz, Empathie und gegenseitiges Verstehen zu haben. Die Studierenden haben beim fünften Vorurteil gegen Nuri eine große Reaktion gezeigt, weil er Herrn Grünberger als wildfremd reflektiert hat. Bei den Interpretationen haben die Studierenden immer wieder betont, dass gar kein Menschen, egal wo er herkommt, wildfremd sei. Deshalb sei Nuris Verhalten total unverständlich. Beim sechsten Vorurteil handelt es sich um die Rolle von Männern und Frauen im sozialen Leben, die einer scharfen Kritik unterzogen wurden. Die Idee, dass die Männer bei der Entscheidung immer besser als die Frauen sind, ist als ein Vorurteil der Studierenden zu betrachten, das sowohl deutsche als auch türkische Frauen betrifft. Davon ausgehend haben die Studierenden die Rolle der Frauen und Männer in der Gesellschaft und in der Familie zur Diskussion gestellt. Die Meinungen kreisen darum, dass Frauen und Männer gleich sind und dass jede Frau das Recht hat, ihre Meinung ganz offen zum Ausdruck zu bringen und Entscheidungen zu treffen. Im Hinblick auf die Türkei kann man sagen, dass Frauen in östlichen Gebieten bzw. arbeitslose Frauen ihre Rechte bewusst und unter Zwang, aber manchmal unbewusst ihren Männern überlassen, weil sie keine ökonomische Freiheit haben. 108 An der siebten Stelle, die als vorurteilhaltig markiert wurde, geht es um ein Problem, das wiederum auf kulturelle Unterschiede zurückgeht. Davon ausgehend, dass jede Kultur ihre Besonderheiten hat, könnte man sagen, dass die Art des Geschenks, das man im Falle von Besuch mitbringt, irrelevant ist. Die Studierenden haben in diesem Punkt darüber diskutiert, was Deutsche und Türken im Allgemeinen mitbringen, wenn sie zu Besuch gehen. Schokolade und Blumen sind Gemeinsamkeiten beider Kulturen; dagegen gibt es auch Unterschiede; der Wein ist z.B. in der türkischen Kultur kein geläufiges Mitbringsel. Es hat sich erwartungsgemäß ergeben, dass die Türken gerne Rakı trinken, während die Deutschen Bier und Wein bevorzugen. Aktivität 3; Die Studierenden bemühen sich darum, die Stelle, die als typisch türkisch und typisch deutsch gelten könnte, zu zitieren und sie zu interpretieren. 1. Typisch Türkisch Wie würden sie regieren, wenn sie hörten, dass Arzu, die einzige Tochter des Sozialarbeiters Nuri Pehlivan, einen Deutschen heiratete. [Nihal Avdar, Kadriye Erkan, Zeynep Akduman, Serap Sinop]; Das ist ein typisches Verhalten der Türken. Sie denken nur daran, was die anderen Menschen über ihre Bescheide sagen. In der Türkei ist es sehr von Bedeutung. Es gibt bei uns Gesellschaftsdruck. [ Şenay Bal, Emine Apur, Rukiye Karaca, Burçin Özgün]; Die Türken beachten Meinungen von ihren Bekannten. Sie denken nur an ihre türkischen Freundinnen. Familie Pehlivan denkt nur daran; Was würden sie erzählen, wenn ihre Bekannte hörten, dass Arzu einen Deutschen heiratete. Sie denken immer nur ans Urteil von ihren Freunden. Eine Frau hat keine Minute Ruhe, wenn ein Gast kommt und seine Frau war eine türkische Frau. [Nihal Avdar, Kadriye Erkan, Zeynep Akduman, Serap Sinop]; Die türkischen Frauen arbeiten immer, wenn ein Gast kommt, sie servieren das Essen, dann der Kaffe, später spüren sie das Geschirr. Das ist typisch in türkischen Familien. In deutschen Familien sind die Frau nicht wie die türkische Frauen. 109 [ Şenay Bal, Emine Apur, Rukiye Karaca, Burçin Özgün]; Als die Familie Grünberger zum Besuch kam, servierte Frau Pehlivan immer. Für Frau Grünberger war das eine Überraschung, deswegen dachte sie, dass die Türken so sind. Das ist ein Kulturunterschied. E ist eine Realität, dass in der Türkei meistens die Frauen bedienen. Wie ich von Nihal Abla aus Samsun gehört habe, hat sich deine Tochter im Bus wie eine Hure benommen; sie hat im Bus so laut gelacht, dass sich sogar der Busfahrer umgedreht hat [Nihal Avdar, Kadriye Erkan, Zeynep Akduman, Serap Sinop]; Die Nachbarinnen von Familie Pehlivan sagen ganz offen, dass Arzu wie eine Hure ist, weil sie im Bus laut gelacht hat. In der Türkei gibt es leider solche unverständlichen Haltungen. [ Şenay Bal, Emine Apur, Rukiye Karaca, Burçin Özgün]; Was ihn bei seiner Frau besonders stört, ist, dass sie immer wieder auf ihre türkischen Nachbarinnen hört und damit die Ruhe zu Hause stört. [Nihal Avdar, Kadriye Erkan, Zeynep Akduman, Serap Sinop]; Der Klatsch ist in der Türkei ein Mode. Die Frauen organisieren Frauentage, an denen sie einander Gold schenken. In diesen Tagen sprechen sie immer über die Männer und über den anderen Menschen. So was lebt man außerdem im Friseur. [ Şenay Bal, Emine Apur, Rukiye Karaca, Burçin Özgün]; In diesen Sätzen erzählt man, dass die türkischen Frauen sich im Allgemeinen mit ihren Nachbarinnen über alles, sogar über ihre Familie ihre persönlichen Dinge unterhalten. Das ist ein Verhalten von der typischen Türkisch. Er (Nuri) hat sie ein paar Mal geschlagen, damit sie es besser kapiert, aber an ihrer Engstirnigkeit ist nicht zu rütteln. [Nihal Avdar, Kadriye Erkan, Zeynep Akduman, Serap Sinop]; Hier wird auch typisch türkisches Verhalten erzählt. Nuri denkt, dass seine Frau dumm, engstirnig, dickköpfig, ungebildet ist, dass sie nichts versteht. Auf diesem Grund denkt er, dass er seine Frau schlagen darf. Das zeigt uns, dass die Frauen in der Türke, manchmal wertlos ausgesehen werden. 110 [ Şenay Bal, Emine Apur, Rukiye Karaca, Burçin Özgün]; Die Türken schlagen ihre Frauen. Wenn die Frau dumm ist, zu viel redet, zu viel einkauft, zu viel spazieren geht, der Mann anstrengend ist, nervös ist, betrunken ist, Geldlos ist, schlagen die Männer ihre Frauen. Trotzt allem gedieh die Sache so weit, dass Nuri Familie Grünberger versprach, Tanten und Onkel Arzus zu fragen, ob sie mit der Heirat einverstanden seien. [Nihal Avdar, Kadriye Erkan, Zeynep Akduman, Serap Sinop]; In diesem Satz erzählt man, dass die Türken mit den anderen Mitgliedern von der Familie sprechen, immer wenn sie einen wichtigen Entschluss nehmen, aber die Deutschen alles selbst entscheiden. [ Şenay Bal, Emine Apur, Rukiye Karaca, Burçin Özgün]; Die Deutschen entscheiden alles selbst, erziehen ihre Kinder selbst, aber bei uns ist es anders. Nuri Pehlivan habe den Beruf nur gewechselt, um ein höheres Ansehen zu gewinnen [ Şenay Bal, Emine Apur, Rukiye Karaca, Burçin Özgün]; Die Türken interessieren sich für das Gewinn von anderen Menschen. Z.B. Wie haben andere Menschen so viel Geld gewonnen? Die deutsche Mannschaft spielt in einem sehr wichtigen Pokalspiel und ein Deutscher beschäftigte sich mit diesen Nebensächlichkeiten. [ Şenay Bal, Emine Apur, Rukiye Karaca, Burçin Özgün]; Es gibt Ironie zur Fußballfanatiker. Das Verhalten von Nuri ist sehr falsch, unakzeptierbar. Er denkt, dass Fußball wichtiger als die Heirat von seiner Tochter ist. Fanatismus von Fußball ist sehr typisch für Türken. [Nihal Avdar, Kadriye Erkan, Zeynep Akduman, Serap Sinop]; Er denkt, dass Familie Grünberger auch später immer kommen kann, aber Fußballspiel überträgt nur heute. Fußball ist für die Türken wichtiger als viele andere Dinge. 111 Er hatte nichts dagegen, dass Frauen in der Gesellschaft reden und sich mit Männern unterhalten, aber so ein wichtiges Thema musste von einem Mann behandelt werden. [Nihal Avdar, Kadriye Erkan, Zeynep Akduman, Serap Sinop]; Das ist typisch Türkisch. Nuri sieht in dieser Stelle die Frauen unwichtig, d.h. aus zweier Klasse. Er denkt, dass die Frauen über die wichtigen Themen nicht sprechen dürfen. 2. Typisch Deutsch Mit einer Flasche in der Hand, Marke Trollinger, die Nuri überhaupt nicht mochte, er trank meistens Moselwein und Frau Grünberger brachte einen Blumenstrauß mit. [Betül Özdemir, Sevim Kırlangıç, Nevin Genç, Nesrin Turan, Nilgün Güneş]; In diesem Satz gibt es ein typisches deutsches Verhalten. Wenn die Deutschen als Brautbeschauer zum Besuch von einer türkischen Familie kommen, bringen sie eine Flasche Wein mit. Nach den türkischen Sitten bringt man Süßigkeit, Schokolade oder Blumen mit, wenn eine Familie als Brautbeschauer kommt. [Ezgi Koşar, Şengül Çiftçi, Azime Boz, Çiğdem Özkan]; Nach unserer Kultur bringen wir den Blumenstrauß oder Schokolade mit, aber die Deutschen bringen Wein mit. So mussten sie erst im Lexikon nachsehen, wie alle normalen Deutschen, die ihre Kenntnisse über Gott und die Welt entweder vom Fernsehen oder aus dem Lexikon haben. [Betül Özdemir, Sevim Kırlangıç, Nevin Genç, Nesrin Turan, Nilgün Güneş]; Das ist typisch Deutsch. In diesen Sätzen erzählt man, dass die Deutschen erst im Lexikon nachsehen, immer wenn sie sich mit einem unbewussten Wort begegnen. Das zeigt uns, dass die Deutschen fleißig sind. [Ezgi Koşar, Şengül Çiftçi, Azime Boz, Çiğdem Özkan]; Hier gibt es gleichzeitig ein übertreibendes Verhalten von Deutschen. Es ist nach Türken sehr komisch, weil wir keine Gewohnheit haben, im Lexikon nachzusehen. Herr und Frau Grünberger kennen das Wort „Brautbeschauer“ nicht, deshalb sehen 112 sie wie alle normalen Deutschen im Lexikon nach. Die Aussage „Wie die alle normalen Deutschen“ zeigt uns, dass die Deutschen neugierig und fleißig sind. Wenn die Deutschen etwas tun, dann mit allen Konsequenzen. [Ezgi Koşar, Şengül Çiftçi, Azime Boz, Çiğdem Özkan]; Hier erzählt, warum die Deutschen immer Verantwortung haben. Das ist ein typisch Deutsch. Wie im Folgenden zu sehen ist, haben einige Studierenden die dritte Aktivität bildlich dargestellt; 113 [Şengül Çiftçi, Ezgi Koşar]; TYPISCH TÜRKISCH Türken verwöhnen ihre Söhne. Türken schlagen ihre Frauen. Türken kennen die Sitten und Brautbeschauer. Türken betreten das Haus ohne Schuhe. Türkische Frauen bedienen immer. Türken unterdrücken ihre Frauen. TYPISCH DEUTSCH Deutschen diskriminieren ihren Kinder nicht. Deutschen lieben ihre Frauen. Deutschen finden ihre Frauen sich selbst. Deutschen betreten das Haus mit Schuhen. Deutschen helfen ihren Frauen. Deutschen unterstützen ihre Frauen. 114 [Emine Apur]; 115 Wie oben zu sehen ist, haben die Studierenden zehn Stellen als typisch türkisch betrachtet, dagegen drei Stellen typisch deutsch. Sie haben sich bemüht, die gewählten Stellen kontrastiv zu analysieren. Wenn wir alle markierten Stellen vergleichen, können wir unschwer sehen, dass die Studierenden die Deutschen im Hinblick auf ihr gesellschaftliches Leben positiver bewerten als die Türken. Es fällt auch auf, dass das Verantwortungsbewusstsein der Deutschen stärker als das der Türken ist. Im Folgenden konkretisieren wir die genannten Unterschiede, die von den Studierenden festgestellt haben, stichwortartig in einer Tabelle; Typisch türkisch Typisch deutsch Was würden die Anderen sagen! Egal, was die Anderen sagen! Die Frau ist eine Bedienungsmaschine! Die Frau und zusammen! Klatsch und über die Anderen reden Weniger Klatsch und über sich reden der Mann bedienen Kommunikation zwischen dem Mann und Kommunikation zwischen dem Mann und der Frau ist problematisch der Frau beruht auf Solidarität Die Männer schlagen ihre Frauen Die Männer schlagen ihre Frauen nicht Türken entscheiden nicht allein, sondern Sie entscheiden sich selbst sie fragen all ihre Verwandte Ansehen in der Gesellschaft ist wichtig Ansehen in der Gesellschaft ist weniger wichtig Für eine türkische Frau ist der Mann Für eine deutsche Frau ist der Mann unerreichbar, heilig normal Fußballfanatiker Nur Zuschauer In der Familie entscheiden die Männer In der Familie entscheiden sie zusammen Zu Besuch bringen sie Süßigkeiten und Zu Besuch bringen sie Wein, Blumen und Blumen mit Schokolade mit. Um zu lernen, fragen sie die Anderen Um zu lernen, untersuchen sie alles und lesen Bücher Wenn sie etwas tun, dann oberflächlich Wenn sie etwas tun, dann mit allen Konsequenzen Sowohl Männer als auch Frauen sind Nicht eifersüchtig eifersüchtig 116 Sie trinken Tee, Kaffe und Rakı Sie trinken Kaffe, Bier und Wein Sie bereisen ihre Stadt Sie bereisen die Welt Aktivität 4; Bei dieser Aktivität wurde zuerst der Text ausgeteilt; jede/r Studierende hat etwa eine Seite durchgelesen. Ein Studierender kam an die Tafel und schieb die jeweiligen Stellen über Nuri Pehlivan. Im Folgenden sehen wir die zitierten Stellen und danach die Kommentare der Studierenden. Der erste Teil des Textes; Die Rolleninszenierung Nuris in zitierten Aussagen • Seine Landsleute, diese rückständigen Türken, die ihre Frauen unterdrücken, ihre Töchter diskriminieren, ihre Söhne verhätscheln und verwöhnen, sie alle kennen Deutsche. Nuri Pehlivan ist keiner von denen. • Durch seinen beweglichen Geist und durch seinen Fleiß lernte er die deutsche Sprache schnell. • Er ist fleißig, engagiert und beängstigt. • Seine Bildung ist hervorragend. • Er hat nichts dagegen, wenn türkische Mädchen mit deutschen Jungen ausgehen. • Als er feststellte, dass seine Frau mit ihrem beschränkten Wissen seine Tochter nicht erziehen konnte; er übernahm auch diese Aufgabe. • Wir müssen unsere einzige Tochter allein erziehen, du und ich, meistens ich allein, da dürfen sich die anderen .Frauen nicht einmischen. • Deine Tochter möchte einen Deutschen heiraten. Und damit du es weißt, ich habe nichts dagegen! Die zitierten Aussagen zeigen eindeutig, dass die gespielte Rolle von Nuri Pehlivan vom Anfang des Textes bis zum Kennenlernen der Familie Grünberger einen kultivierten und anpassungsfähigen toleranten Mann widerspiegelt. Der zweite Teil des Textes; Die Entlarvung der Rolle Nuris in zitierten Aussagen 117 • So ein Mensch konnte nichts dagegen haben, dass seine Tochter einen Deutschen heiratet. Aber alles musste nach türkischer Sitte zugehen. • „Wir kennen uns ja sehr lange und wissen, dass wir sehr gut zueinander passen“ galt bei Nuri nicht. • Herr Grünberger wollte mit Nuri Pehlivan alles am Telefon besprechen, aber Nuri wollte natürlich nichts mit einem wildfremden Menschen zu tun haben. • Er hatte nichts dagegen, dass Frauen in der Gesellschaft reden und sich mit Männern unterhalten, aber so ein wichtiges Thema musste von einem Mann behandelt werden. • Dabei zeigte er auf das Etikett der Flasche; So etwas bringen nur die Deutschen mit. • Die Türken hatten nichts gegen die deutschen Sitten, die ihnen manchmal unverständlich wären, und die Deutschen sollten das Gleiche tun. • Eine Frau hat keine Erziehung zum objektiven Denken genossen. • Nuri Pehlivan kenne ja die Deutschen, und er wisse, dass sie außer sich selbst niemanden haben. • Frau Grünberger lernte Türkisch, damit sie sich mit Frau Pehlivan unterhalten konnte. Nuri gefiel das nicht, weil jeder auf seinem Teppich bleiben sollte. • Die beiden Männer diskutierten darüber, ob die Mentalität der Türken besser sei als die der Deutschen. • Zum ersten Mal seit fünf Jahren schlug er seine Frau, weil sie am Abend mit Frau Grünberger zum Essen gehen wollte. Zum Abendessen. Jawohl. Allein zum Abendessen. • Frau Grünberger, diese saudumme Frau, widersprach dem mit der Begründung, dass Arzus Heirat die Tanten und Onkel nichts anginge. • Dass ihr Deutschen nur für euch selbst lebt, weiß jede Sau, wir aber leben füreinander. 118 Nach dem Kennenlernen der Familie Grünberger zeigt er seinen echten Charakter, wie es an oben zitierten Aussagen ersichtlich ist. Besonders die Konjunktion „aber“ und die Wortteile „nicht dagegen“ stellen seine zwei Gesichter eindeutig vor. Der Text lässt sich zweiteilen; im ersten Teil erfährt der Leser etwas über Nuris „Charakterrolle“; Es stellt sich durch die satirische Darstellung Şinasis heraus, dass es sich dabei um eine „Rolle“ handelt. Im zweiten Teil wird die Vermutung des Lesers, dass Nuri nur eine Rolle spielt, bestärkt. Nuris Aussagen und Verhaltensweisen – insbesondere diejenigen, die im Widerspruch zu seiner propagierten Rolle stehen gleichen einer „Selbstentlarvung“ Nuris. Davon ausgehend ist es zu bemerken, dass die Funktion der Satire hier eigentlich zur Offenlegung von Nuris „echtem“ Charakter gebraucht wird. Der Titel der Geschichte heißt „Brautbeschauer“ und nicht „Der wahre Türke“ oder etwas Ähnliches. Das zeigt uns, dass der Titel eigentlich nicht auf eine „Entlarvungsgeschichte“ verweist. Zunächst ist kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen „Brautbeschauer“ und „Nuri“ auszumachen. Die Titelwahl von Sinasi Dikmen und ihre Funktion bzw. Bedeutung deutet darauf hin, dass „Brautbeschauer“ als eine Art „Schlüssel“ fungiert, in diesem Fall eben auch in Verbindung mit der ganzen Heiratsgeschichte als Schlüssel, der den „echten“ Charakter Nuris (er)öffnet. 5.2.1.4. Textanalyse Am Anfang des Textes beschreibt man Nuri Pehlivans inneren Charakter, sein Verhalten und seine Haltung zum sozialen Leben in Deutschland; man macht dahingehend einen Vergleich zwischen ihm und seinen türkischen und deutschen Freunden, damit die Leser erste Eindrücke über Pehlivan und über seine Situation gewinnen können. Die Erzählhaltung des Erzählers erkennt man an seinem Stil und der Kombination der Wörter. Ich möchte hier über einen Mann berichten, der nicht nur unter den Türken einmalig ist, sondern auch unter seinen Kollegen (S.13). Hier weist der Erzähler ganz ironisch auf die besondere Situation von Pehlivan unter seinen Freunden und Kollegen hin. 119 Seine Landsleute, diese rückständigen Türken, die ihre Frauen unterdrücken, ihre Töchter diskriminieren, ihre Söhne verhätscheln und verwöhnen, sie alle kennen Deutsche. ...(S.13). Das Zitat, das eine ironische Bedeutung hat, zeigt uns ein Türkenbild, das gleichzeitig impliziert, dass Nuri nicht so ist. Ironische bzw. satirische Bedeutung erhält diese Implikatur dadurch, dass sich erweist, dass Nuri auch so ist, was aus den folgenden Seiten des Textes deutlich wird. An Stellen wie die eben genannten ist die Meinung des Erzählers und die wiedergegebene Meinung Nuris oft nicht deutlich getrennt, somit erfordert es den Scharfsinn des Lesers, die eigentliche Aussage zu erschließen. „Er ist Türke, er ist Sozialarbeiter, aber ein ganz besonderer Mensch (S. 13).“ In dieser Aussage verfolgt Dikmen mit der Konjunktion „aber“ das Ziel, die Leser über die Situation und über das Türkenbild zum Nachdenken zu bringen. Davon ausgehend wird im Unterricht diskutiert werden, ob die anderen Türken im Vergleich zu Pehlivan nicht anders sind und ob das oben genannte Türkenbild, das von (deutschen) Frauenrechtlerinnen sehr hart kritisiert wird, auf die Türken passt, wenn ein interkultureller Vergleich zwischen den beiden Kulturen durchgeführt wird. Die Aussage „man soll nicht nur auf das Böse schimpfen, sondern auch das Gute loben (S.13)“ ist zwar ironisch und nicht ganz ernst gemeint, aber sie ist insofern provokativ und voller bissige Kritik, als die Frauenrechtlerinnen überwiegend kein positives Image haben. Seine Bildung ist hervorragend. Er verwechselt zwar manchmal die Namen, aber auf diese Kleinigkeit kommt es ja nicht an (S.14). Die Ironie liegt in diesem Satz im Wort „Kleinigkeit“, da später deutlich wird, dass dieses Wort mit einer großen Bildungslücke von Nuri korreliert, wodurch die Aussage „hervorragend“ wiederum negiert wird. Im Laufe dieses Absatzes antwortet Nuri auf die Frage seiner Tochter, wer das Stück „Wilhelm Tell“ geschrieben hätte; „Ein Schweizer namens Schiller, der der Schwager von Kaiser Goethe war (S. 14). In Bezug auf Schiller ist die Aussage richtig, aber dass er ein Schweizer und der Schwager von Kaiser Goethe war, zeigt teils humoristisch, teils satirisch die große Bildungslücke Nuris. Im Hinblick auf seine Haltung zu seiner Tochter und seiner Frau wird zur Diskussion gestellt, ob Nuri tolerant ist. Zuerst wurde der Begriff „tolerant“ mit Beispielen erklärt und ein interkultureller Vergleich gemacht, indem über diesen Text hinaus der 120 Blickwinkel der Türken und der Deutschen hinsichtlich dieses Begriffs besprochen wurde. In dieser Phase waren unsere Bemühungen darauf gerichtet, die Studierenden neben dem Begriff „Toleranz“ auch über Begriffe wie „Anpassung“, Integration“ sowie „Assimilation“ zum Nachdenken zu bringen und bei den Studierenden zu gewährleisten, diese Begriffe mit dem in Deutschland auftretenden multikulturellen Leben in Verbindung zu bringen. Toleranz und Anpassung von Nuri nimmt man meistens ironischerweise im Zusammenhang mit seinem Verhalten zu seiner Frau und seiner Tochter sowie seiner eigenen Situation in der deutschen Gesellschaft war. Er hat nichts dagegen, wenn türkische Mädchen mit deutschen Jungen ausgehen. Mit wem sollen sie sonst ausgehen? Die türkischen Jugendlichen haben keine Ahnung, wie man ein Mädchen ausführt. Sie wollen mit jeder Frau sofort ins Bett (S.14)“ und Seine Toleranz kennt keine Grenze, sonst hätte er es mit seiner blöden Frau nicht so lange ausgehalten (S.15). Diese zwei Beispiele zeigen uns, dass Nuri nur theoretisch tolerant ist. Er zeigt sich sowohl gegenüber seiner Tochter als auch seiner Frau ganz offen und gibt vor, ihnen ihre eigene Freiheit zu lassen, damit sie ihr Leben nach ihren Wünschen weiterführen können. Mit Nuris Kritik an türkischen Jugendlichen, dass sie keine Ahnung hätten, wie man ein Mädchen ausführt, will er zeigen, dass er sich an die deutsche Gesellschaft sehr gut angepasst hat und dass er anders, d.h. moderner als andere Türken ist. In der Praxis aber ist zu sehen, dass er besonders auf seine Frau Druck ausübt, damit sie die Dinge so sieht wie er selbst. Er ist der Meinung, dass nur er in der Lage ist, die Dinge zu begreifen und dass er seiner Frau nur dadurch, dass er mit ihr über die Dinge redet, die richtige Weltsicht vermitteln kann. Auch auf der Seite 21 ist zu sehen, dass er seine Frau als eine Bedienmaschine sieht, die kein Recht dazu hat, in der Gesellschaft ihre eigenen Gedanken zum Ausdruck zu bringen. Aus dem Verhalten Nuris seiner Frau gegenüber kann man folgern, dass er alle Frauen für dumm hält. Er meint, dass „eine Frau keine Erziehung zum objektiven Denken genossen hat (S.22)“, deshalb kann sie nicht richtig entscheiden und deshalb muss seine Frau nur bedienen; Ich entscheide immer richtig, ich bin als Sozialarbeiter daran gewöhnt, Entscheidungen zu treffen, nicht aber meine Frau (S.22). 121 An dieser Stelle entlarvt Nuri sich ironischerweise selbst, weil er behauptete, dass er ein toleranter, offener, moderner Mensch sei, dagegen ist er in Wirklichkeit nie objektiv. Er ist außerdem bei der Erziehung theoretisch gegen Gewalt und immer böse auf seine Frau, wenn sie Arzu schlägt. Bei seiner Frau findet er Gewalt inakzeptabel, aber wenn er selbst schlägt, ist dies aus seiner Sicht normal, mit der Begründung, dass er ja ein „moderner“ Mensch sei. In diesem Zusammenhang gerät er seitens der Toleranz in Widerspruch. Er ist gegen seine Frau immer einseitig, weil er sich meistens nur darum bemüht, ihre negative, fehlende Seite zu sehen. Keine Rede davon, dass es an seiner Art und Weise liegen könnte; auf keinen Fall, denn dann müsste er Selbstkritik üben und Schuld eingestehen. Auf Seite 16, wo seine Frau ihm die Meinung Nihals aus Samsun erzählt, möchte man Nuri für seine Reaktion und Antwort Recht geben; denn die Einstellung seiner Frau, die sie gegenüber ihrer Tochter zeigt, kann sich auf die Erziehung Arzus nur negativ auswirken. Nuri reagiert hier; Wir müssen unsere einzige Tochter allein erziehen, du und ich, meistens ich allein, da dürfen sich die anderen Frauen nicht einmischen (S.16). Dagegen steht sein Verhalten bei der Entscheidung über die mögliche Ehe der Tochter im unauflöslichen Widerspruch, wenn er sagt, dass er seine Nachbarn in der Türkei und in anderen Ländern fragen müsse, ob sie gegen diese Heirat seien. Darüber hinaus könnte man sagen, dass er gegenüber seinen Freunden in Deutschland und in der Türkei sowie gegenüber sich selbst zwei verschiedene Charaktere lebt und widerspiegelt, um zu zeigen, dass er ein moderner Mensch ist und dass er sich ans deutsche Gesellschaftsleben sehr gut anpassen konnte. Einen weiteren Hinweis darauf tritt auf der Seite 17 hervor, wo Nuri von der Absicht Arzus, einen Deutschen zu heiraten, hört und sagt, dass Arzu ihrer Mutter darüber nichts sagen soll, weil er diese zuerst davon unterrichten wolle. Er sagt; Ich jedenfalls habe nichts dagegen, wenn du einen Deutschen heiratest. Du kennst mich ja (S.17), was aber seiner späteren Handlungsweise widerspricht. Er ist sich dessen bewusst, wo er lebt und was er machen soll, um von Deutschen und auch Türken in Deutschland akzeptiert zu werden; deshalb spielt er je nach Situation, in der er sich befindet, eine Rolle. Es ist leicht zu sehen, dass Nuri auf den nachfolgenden Seiten bezüglich seines Denkens und seiner Haltung mit sich selbst in großen Widersprüchen steht, welches ganz 122 offensichtlich bestätigt, dass er manchmal eine türkische und manchmal eine deutsche Rolle spielt. Nuri, der ein bewusster Türke war. Er war nicht wie die anderen Türken, die sich für Türken hielten, weil sie als Türken geboren worden waren/ Nuri, der die Mittelschule verlassen musste, weil die Lehrer seine Anpassungsfähigkeiten nicht erkannt hatten/ Nuri, der durch seine Tätigkeit Vergleichsmöglichkeiten hat (S.18) Trotzt allem meint Nuri paradoxerweise, dass alles hinsichtlich der Entscheidung über die zukünftige Ehe seiner Tochter nach türkischer Sitte vorgehen muss und die Eltern von Wolf-Dieter einen Brautbeschauer schicken müssen. Dieses Paradox ist natürlich kein Zufall; damit will der Autor auch zeigen, wie die Türken in Deutschland angefangen haben, zwischen zwei Kulturen zu stehen. Nuri will einerseits wie ein Deutscher sein, andererseits traut er sich aber nicht die türkische Kultur ganz abzuwähren. Denn mit so einer Haltung würde er von seinen Landsleuten für immer abgestoßen. Mit dem Auftauchen der Problematik „Brautbeschauer“ verschärft der Erzähler seine Kritik sowohl an den Deutschen als auch an den Türken, die bei ihrem Verhalten die kulturellen Unterschiede außer Acht lassen. Bei Nuris Aussage „da sie auch erwachsene Menschen seien, wüssten sie bestimmt, was Brautbeschauer sind (S.19)“ gibt es keinen Einblick in die Kulturunterschiede. Weiterhin ist zu bemerken, dass der Erzähler an manchen Stellen, wo er zum Ausdruck bringt, dass Herr und Frau Grünberger wie alle normalen Deutschen ihre Kenntnisse über den Gott und die Welt entweder vom Fernsehen oder aus dem 25-bändigen Lexikon hätten, seine Objektivität verliert. Es ist schwer festzustellen, ob er an dieser Stelle die Deutschen lobt oder kritisiert. Aus der deutschen Sicht ist so eine Haltung eine lächerliche Kritik, d.h. Humor, weil der Erzähler eine einzelne Situation verallgemeinert. In folgenden Sätzen kritisiert er die Türkei, indem er sie „als ein modernes Land“ mit Menschen, die ihre primitiven Gewohnheiten nicht abschaffen können, als ein Paradox zeigt. Die Aussage “wildfremder Mensch“, die den Blickwinkel Nuris spiegelt, ist außerdem aus der Sicht der Deutschen provokativ und aus türkischen Sicht lächerlich. 123 Von der Kritik des Erzählers bekommen sowohl Herr Grünberger als auch Nuri wegen ihres gegenseitigen Verhaltens ihren Anteil; Herr Grünberger wollte mit Nuri Pehlivan alles am Telefon besprechen, aber Nuri wollte natürlich nichts mit einem wildfremden Menschen zu tun haben. Er legte den Hörer einfach auf (S.19). Alle drei Dinge, alles am Telefon zu besprechen, die Aussage „wildfremder Mensch“ und den Hörer aufzulegen sind unangemessen. Man bespricht diese wichtigen Dinge nicht am Telefon, dagegen sollte Nuri den Hörer nicht auflegen, sondern höflich sein. Die oben genannten kulturellen Unterschiede verstärken sich beim Besuch von Herrn und Frau Grünberger bei den Pehlivans. Mit der Aussage Nachdem sie sich vorgestellt und Platz genommen hatten, sprach Frau Grünberger sofort das Thema Hochzeit an (S.20) weist der Erzähler auf die kulturellen Unterschiede und auf die Situation der türkischen und deutschen Frauen in ihrer Familie hin; er führt die Leser somit zum Vergleich beider Kulturen. Das Problem liegt in zwei Situationen, die oben im zitierten Satz unterstrichen sind; „Frau Grünberger“ und „sofort“. Nach Nuri und vielen türkischen Männern seinesgleichen müssen die wichtigen Themen von Männern behandelt werden. Aus diesem Grund bleiben die türkischen Frauen bei Entscheidungen im Hintergrund. Außerdem sollte man sich zuerst über verschiedene, d.h. unwichtige Dinge unterhalten; nach einer bestimmten Zeit schneidet der Mann das Thema „Heirat“ mit dem Gespräch an. Ein anderer kultureller Unterschied beim Familienbesuch zeigt sich, als Herr Grünberger mit einer Flasche in der Hand ankommt; Nuri findet das beschämend und kritisiert diese Handlung. Im Zusammenhang mit einem interkulturellen Vergleich gewinnt an dieser Stelle die Frage „Was würde denn ein Türke mitbringen?“ an Bedeutung. Im Allgemeinen bringt ein Türke Schokolade, Lokum oder eine andere Süßigkeit mit, weil man in der Türkei daran glaubt, dass man süß (positiv) redet, wenn man süß isst. Das kommt aus einem türkischen Sprichwort, das so lautet; „Süß essen und dann süß reden“. Nuri bringt zum Ausdruck, dass die Türken nichts gegen die deutschen Sitten hätten, die ihnen manchmal unverständlich wären, und die Deutschen sollten das gleiche tun (S.21). 124 Wenn wir uns all das Verhalten von Nuri vor Augen halten, dann können wir sehen, dass Nuri nicht wegen seiner Toleranz so eine Aussage zum Ausdruck bringt, sondern weil er „duldet“. Er hat sich eigentlich nicht integriert, wird nicht akzeptiert, ist nicht angepasst; er bemüht sich auch nicht darum. Es ist evident, dass er bei jedem Verhalten von Familie Grünberger etwas zu kritisieren sucht, weil er die Situation erdulden muss, obwohl er gegen so eine Heirat ist. Die Aussagen „Die Deutschen haben außer sich selbst niemanden“, „Nach dem dritten Besuch bewegte sich Frau Grünberger in der Wohnung Nuri Pehlivans so, als sei es ihre eigene“, „Frau Grünberger verdarb das ganze Glück“ sind Übertreibungen. Tatsächlich macht Frau Grünberger nur Kaffee und möchte über Frau Pehlivan und über ihre Situation in der Familie mehr erfahren. Nuri sieht die Familie Grünberger als Gegner, was der vorgegebenen gegenseitigen Toleranz widerspricht. Besonders an der Stelle, wo Nuri sagt, dass Frau Grünberger keine türkische Frau sei und daher Türkisch lerne, um sich mit Frau Pehlivan unterhalten zu können, (S. 23-24), deutet auf einen krassen Widerspruch hin, weil Nuri sich andererseits beharrlich darum bemüht, dass Familie Grünberger alles nach türkischen Sitten tut. Ein Diskussionspunkt ist, warum Nuri auf das Verhalten von Frau Grünberger so eine Reaktion zeigt. Er denkt, dass Frau Grünberger das Ziel verfolgt, seine Frau zu assimilieren. Daneben hat er vor der geistigen Entwicklung seiner Frau Angst, was seine Position in der Familie verunsichert. Ausgehend von der Situation seiner Frau und ihrer Distanz zur deutschen Sprache wird außerdem die Mehrsprachigkeit und Multikulturalität in Deutschland sowie die Einstellung der Deutschen zum Sprachgebrauch der türkischen MigrantInnen zur Diskussion gestellt; Sie sind doch nicht in der Türkei, sie vergisst, dass die ganze Familie in Deutschland lebt und dass die Menschen in Deutschland deutsch sprechen müssen (S.16). Diese Aussage hat die Studierenden dazu geführt, sich die Situation der türkischen MigrantInnen in Deutschland im Hinblick auf ihre Haltung gegenüber der deutschen Sprache vorzustellen und einen interkulturellen Vergleich zu machen. Diese Aussage impliziert auch zwei satirische Hinweise; der eine ist das Argument der Deutschen, dass die MigrantInnen in Deutschland die deutsche Sprache sprechen müssten; der zweite Hinweis bezieht sich auf die Mehrsprachigkeit in der Türkei. Man kritisiert an dieser 125 Stelle die Sprachpolitik beider Länder. Es scheint uns von Bedeutung, dass die Studierenden über die Frage Welche Lebenshaltungen der türkischen MigrantInnen in Deutschland führen die Deutschen zur Idee, dass die MigrantInnen die deutsche Sprache lernen müssen? hinaus darum bemüht haben, sich selbst in die Position der Anderen hineinzuversetzen und ohne Vorurteile die Situation zu bewerten. Auch die witzige Stelle auf Seite 17, wo die Mutter mehrmals ohnmächtig wird, als sie den Namen Wolf-Dieter hörte, ist hinsichtlich der Analyse der Stereotype von Bedeutung. Die Reaktion der Mutter ist verständlich, weil der Name furchtbar deutsch sei. Offensichtlich hat der Autor so einen Namen deshalb gebraucht, weil er die Stereotype, die in einem Verhältnis zu einer bestimmten Zeitspanne eines Landes stehen, hinterfragen und die typisch kulturellen Elemente zweier Kulturen gegenüberstellen will. Kaum ein deutscher Junge trägt in Deutschland der 80er Jahre noch so einen altmodischen, aber als typisch deutsch stereotypisierten Namen. Die Mutter fällt in Ohnmacht, weil sie nur an ihre türkischen Freundinnen denkt, was sie erzählen würden, wenn sie hörten, dass Arzu, die einzige Tochter des Sozialarbeiters Nuri Pehlivan, einen Deutschen heiratete (S.17). Aus deutscher Sicht ist das eine Übertreibung, weil es nicht so von Bedeutung und nicht ein Problem sein kann, wenn zwei Menschen anderer Kulturen heiraten. Der Autor betont die Situation nur aus der türkischen Seite. Er stellt sie so dar, als ob nur die Türken gegen so eine Heirat wären. Aber in der Wirklichkeit sind auch die deutschen Eltern nicht anders. Dagegen ist es aus türkischer Sicht beschämend und gleichbedeutend mit einem Gesichtsverlust. Der Autor stellt an dieser Stelle als Hauptproblem ironischerweise die türkische Sicht dar, weil die Türken dieser Zeit ihre eigenen Entscheidungen über ihre Familie so treffen, dass sie sich von Gerüchten ihrer Nachbarn bzw. ihrer Umgebung beeinflussen lassen. In den darauf folgenden Sätzen ist zu sehen, dass der Erzähler über die Haltung der Mutter eine kritische Aussage macht, indem er sagt, dass die Mutter nur an ihre Freundinnen und nie an ihren Ehemann denkt. Wenn man aber ihre Lebensart, ihre Ausbildungssituation und ihre Umgebung berücksichtigt, wird es klar, dass sie emotional an die gesamte Familie denkt. 126 Eine ähnliche Emotionalität sieht man auch beim Verhalten des Vaters gegenüber dem Bräutigam Wolf-Dieter. Da Nuri die Ehe seiner Tochter mit einem Deutschen innerlich nicht akzeptiert, jedoch nichts dagegen tun kann, bezeichnet er Wolf-Dieter als Idioten; Wusste dieser Idiot nicht, dass Arzu immer noch nicht seine Frau war (S.25)?“ Nuri liebt seine Tochter; und das Gefühl, die Tochter zu verlieren, bereitet ihm Leid; deshalb reagiert er gegen Wolf-Dieter immer negativ. Schließlich beginnt Nuri auch an seiner Tochter Kritik zu üben, weil sie Wolf-Dieters Verhalten verteidigt. Nuris Aussage, Arzu habe keine Ahnung, wie es in einer anständigen türkischen Familie zugeht, bedeutet zugleich, dass auch die Pehlivans keine anständige türkische Familie sind. Auch beim Entscheidungsprozess ist zwischen Deutschen und Türken ein kultureller Unterschied zu sehen (S.26). Während Deutsche alles selbst entscheiden, geht es bei Türken eher traditionelle Weise vor; sie fragen nämlich bei irgendeiner Entscheidung – sei es nur formal – auch ihre Nachbarn, ob sie damit einverstanden seien. Die Nachbarn zu fragen kann aber auch als eine Übertreibung von Dikmen verstanden werden; damit will er wahrscheinlich betonen, wie viel Wert die Türken auf die Meinung anderer legen. Frau Grünberger ist der Meinung, dass Arzus Heirat die Tanten und Onkel nichts angeht, und Nuri wird daraufhin auf sie sehr böse. Paradoxerweise hatte Nuri vorher gemeint, dass er anders als die anderen Türken sei, die traditionell sind und sich nicht an die deutsche Kultur anpassen. Wo er vorher noch die Erziehungs- und Entscheidungsweise der Deutschen gelobt hat, flieht er plötzlich ins „Türke-Sein“. Bis alle Antworten der Nachbarn zusammen waren, dauerte es über ein Jahr. Dazwischen wurde Wolf-Dieter beschnitten, und seine Familie überlegte es, zum Islam überzutreten. Es ist unbekannt, was Familie Grünberger in dieser Zeit durchlebt hat und welche Gegebenheiten sie zu diesen Gedanken geführt haben. Trotzdem kann man behaupten, dass sie in dieser Zeitspanne die türkische Kultur näher kennengelernt und bestimmte Besonderheiten erworben hat. Im Laufe der Zeit wollte Frau Grünberger lieber zu Hause bleiben und sich um ihren Mann kümmern; es ärgerte sie, wenn ihr Mann mit Schuhen das Wohnzimmer betrat. Dieser einseitige Kulturaustausch ist als eine Rückentwicklung und unreflektierte Anpassung der Familie Grünberger zu bewerten, weil Familie Pehlivan ihre Distanz zur deutschen Kultur bewahren hat, obwohl sie in Deutschland zwischen den Deutschen lebt. Man stellt die Grünbergers als 127 eine türkische Migranten-Familie dar, die in der Türkei „Almancı“ genannt werden, weil sie in die Türkei reisen, um dort Türkisch zu lernen und sich mit der türkischen Mentalität vertraut zu machen. Die kulturelle Verwandlung sieht man am Ende der Geschichte nur bei den Grünbergers. Sie konvertierten, lernten Türkisch, tranken aus religiösen Gründen keinen Alkohol mehr, und Wolf-Dieter hat schließlich seinen Namen zu Vedat Demir geändert. Das alles wurde groß gefeiert. An dieser Stelle stellt Herr Grünberger Nuri die wichtigste Frage, die seine Verwandlung sehr gut widerspiegelt und die Nuri schockiert; Ich danke dir, Nuri, für das, was du für uns getan hast. Ich wollte immer deine Tochter für meinen Sohn, im Namen Allahs, mit Genehmigung Mohammeds und mit der Unterstützung der Heiligen. Ich habe jetzt nur eine einzige Frage; Ist deine Tochter noch Jungfrau? (S.31). Sie schlagen Nuri mit seiner eigenen Waffe und machen ihn lächerlich, indem sie auf die Eheschließung verzichten. Zum Schluss kann man sagen, dass beim Thema des Textes es um die Kommunikation zweier Familien geht, die schrittweise und gegenseitig ihre Rollen tauschen. Es ist ziemlich klar, dass beide Familien wegen ihrer gegenseitigen Verhaltensweisen sehr scharf kritisiert werden. Die oben zitierten Kommentare machen anschaulich, dass die Studierenden sich darum bemüht haben, sich sowohl in die Deutschen als auch in die Türken hineinzufühlen und die Motive ohne Vorurteile zu kommentieren. 5.2.2. Unterrichtsmodell 2: Ehegattenzusammenführung oder Wie finde ich eine Frau? 5.2.2.1. Textinhalt Im Text geht es um einen 21-jährigen türkischen Ausländer, der sich im Ausländeramt von einem deutschen Beamten beraten lässt, was zu tun ist, um die Geliebte aus der Türkei nach Deutschland zwecks Heirat holen zu können. Er erfährt, dass er nach dem neuen Gesetzt nicht aus seiner Heimat heiraten darf, wenn er nicht aus einem EG-Land kommt. Er lernt im Urlaub in der Türkei ein Mädchen kennen und will sie heiraten. Da er nicht aus einem EG-Land kommt, rät der Beamte ihm, eine türkischstämmige Frau 128 zu heiraten, die in Deutschland lebt. Aber der Ausländer akzeptiert das auf keinen Fall, deshalb wird er vom Beamten zurückgewiesen. 5.2.2.2. Lernaktivitäten Im Hinblick auf die Motive werden fünf Aktivitäten ausgeführt, die zur Förderung der interkulturellen Fähigkeiten der Studierenden beitragen sollen. Unter diesen Fähigkeiten kann man sprachliche die Lern- und Leistungsbereitschaft, die Fähigkeit zur Kreativität, die Ausdrucksfähigkeit, die Befähigung zum Rollenspiel und zur Verantwortungsbereitschaft zählen. Besonders bei der vierten Aktivität möchten wir die Studierenden anregen, aus dem vorgegebenen Text einen neuen Text zu produzieren, was ihre Kreativität steigert. Aktivität 1; Im Text geht es um ein Rollenspiel. Deshalb wird von den Studierenden erwartet, die Szene im Konsulat vorzuspielen. Ziel dieser Aktivität ist es, die sprachliche Ausdruckfähigkeit, die Befähigung zu sozial verantwortlichem Verhalten, die Lern- und Leistungsbereitschaft, die Verantwortungsbereitschaft und die Kreativität der Studierenden zu fördern. Schließlich lernen sie, ihre Körperhaltung zu kontrollieren. Zwei Studierende haben die zwei Rollen (Beamter und Ausländer) übernommen und den Dialog vor den anderen Klassenkameraden vorgespielt. Aktivität 2; Zur Förderung der Aussprache; Nach dem Rollenspiel werden Wörter und Satzteile, deren Aussprache den Studierenden schwerfiel, tabellarisch aufgelistet und geübt. Aktivität 3; In dieser Phase werden die Studierenden gebeten, einen Vergleich zwischen dem Beamten und dem Ausländer zu machen, der in der Regel auf kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Deutschen und Türken hinweist. Die folgende Tabelle leitet sie an: Erster Student Zweiter Student Beamter Ausländer Situation Haltung Probleme Charakter 129 Widersprüche Kulturspezifische Unterschiede Gemeinsamkeiten Sprache Aktivität 4; Textproduktion; Die Studierenden sollen diesen Dialogtext in eine Kurzgeschichte umformen. Dafür führen sie eine Gruppenarbeit aus. Wir bilden vier Gruppen mit je acht Teilnehmern. Am Anfang gibt man den Studierenden einige Hinweise über die Merkmale des Umformens, danach vollenden sie die Aufgabe zu Hause. 5.2.2.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten Aktivität 1; Bei dieser Aktivität haben zwei Studierende die zwei Rollen (Beamter und Ausländer) übernommen und den Dialog vor den anderen Klassenkameraden vorgespielt. Da die anderen Studierenden in der Klasse für das Rollenspiel eine enorme Neigung hatten, haben wir den Verlauf der Aktivität geändert und den Dialog-Text abschnittweise von allen Studierenden vorspielen lassen. Das Rollenspiel hat sozusagen garantiert, dem Unterricht einen effektiven Einstieg zu verleihen und die Aufmerksamkeit der Studierenden auf die nachkommenden Aktivitäten zu steigern. Dabei haben die Verantwortungsgefühle der Studierenden eine große Rolle gespielt. Aktivität 2; Nach dem Rollenspiel haben die Studierenden den Text noch ein Mal vorgelesen. Beim Vorlesen haben sie die Wörter und Satzteile, deren Aussprache ihnen schwer fiel, aufgelistet und mit anderen Studierenden geübt. Die folgenden elf Wörter waren für die Studierenden schwer auszusprechen; • Aufenthaltsgenehmigung • Ehegattenzusammenführung • Aufenthaltsberechtigung • Grammatikalisch • Nichtsdestotrotz • Bundesinnenminister • Meldepflicht 130 • Bundesregierung • Arbeitsmöglichkeit • Arbeitslosengeld • Radebrechend Es fällt auf, dass alle schwer aussprechbaren Wörter ausnahmslos Zusammensetzungen sind. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass das Türkische keine Konsonantenhäufung im An- und Auslaut der Wörter toleriert und die Anzahl der mehrgliedrigen Zusammensetzungen im Vergleich zum Deutschen relativ gering ist. Deshalb muss in einem anderen Zusammenhang auf dieses Problem eingegangen werden; Aufenthaltsgenehmigung Bei diesem Wort haben das Bindevokal –s und die Konsonanten –hm die Aussprache erschwert. Ehe/gatten/zusammen/führung Dieses Wort ist mehr- bzw. viergliedrig. Aufenthaltsberechtigung Bei diesem Wort erschwert das Bindevokal –s die Aussprache. Grammatikalisch Die Doppelkonsonanz erschwert die Aussprache. Nichtsdestotrotz Doppel- und Dreifachkonsonanten sind für türkische Studierende schwer auszusprechen, weil im Türkischen keine Konsonantenhäufung möglich ist (abgesehen von Lehn- bzw. Fremdwörtern). Bundesinnenminister Zusammengesetztes Wort mit Bindevokal Meldepflicht Die Aussprache der Affrikate (-pf-, -z-) fällt den Studierenden am schwersten. Bundesregierung Obwohl dieses Wort keinen Bindevokal und keine Doppelkonsonanten hat, sprachen die Studierenden es schwer aus. Arbeitsmöglichkeit Bindevokal –s; im Türkischen ist der Bindevokal selten. Arbeitslosengeld Bindevokal –s. Radebrechend Das Wort radebrechend ist eigentlich nicht schwer auszusprechen, aber die Studierenden haben bei seiner Aussprache Schwierigkeiten erlebt. Aktivität 3; Der Beamte und der Ausländer spielen zwei gegensätzliche Rollen. Der einer ist gebildet und arbeitet im Ausländeramt, der andere ist dagegen ein ungebildeter Arbeiter. In diesem Punkt wollten die Studierenden einen Vergleich zwischen dem Beamten und dem Ausländer machen, der die kulturellen Gemeinsamkeiten der Deutschen und Türken in den Mittelpunk stellt. Unterschiede 131 Erster Student Beamter Chef im Ausländeramt, qualifiziert Situation Haltung Probleme Charakter Widersprüche Kulturspezifische Unterschiede Gemeinsamkeiten Sprache Zweiter Student Ausländer Gastarbeiter, unqualifiziert Diszipliniert, aufrecht, realistisch Höflich, hartnäckig, hilfsbereit, geduldig egoistisch, treu Sein Problem ist der Ausländer und Ihm geht es um seine Haltung. Gesetze der deutschen Regierung über die Ausländer, seine Frau in der Türkei, den Beamten im Ausländeramt Er hat immer unterschiedliche Er kämpft für seine Alternativen, die Probleme lösen zu Rechte, ist trotzig können. Liebe ist sehr einfach. Er reagiert gegen die Gefühllos, aber logisch. Liste der ledigen Frauen Zuerst die Arbeit und Zuerst die Gefühle, dann Lebensbedingungen, dann die die Arbeit und Gefühle Lebensbedingungen Vermittler. Brautbeschauer Höflich, freundlich, väterlich- Er spricht eine korrekt, erläuternd und spricht eine alltägliche Sprache, offizielle Sprache. ängstlich und fehlerhaft. Von dieser Tabelle ausgehend kann man sagen, dass der Beamte und der Ausländer verschiedene Charaktere haben. Der Beamte stellt seine Arbeit in den Mittelpunkt, danach kommen seine Gefühle. Er ist qualifiziert und gebildet, deshalb spricht er eine offizielle Sprache. Dagegen ist der Ausländer ungebildet. Er benutzt die Alltagssprache, aber kämpft für seine sozialen Rechte. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Haltung der Deutschen im Sinne der sozialen Verantwortung logischer als die der Türken ist. Aktivität 4; Am Anfang der Aktivität wurden den Studierenden einige Hinweise über die Kriterien des Umformens eines Dramas in eine Kurzgeschichte vermittelt. Während einige in Gruppen gearbeitet haben, haben manche diese Aktivität einzeln aufgegriffen. Die Aufgabe wurde zu Hause vollendet. Im ersten Schritt haben die Studierenden den Dramentext “Ehegattenzusammenführung” analysiert und ihn in eine Kurzgeschichte umgeformt. Unter Rücksicht auf den Inhalt des Ausgangstextes haben sie einen neuen Text verfasst. 132 Obwohl es sich um Kurzgeschichten handelt, können sie die Studierenden zu tiefen Gedanken führen und über den Inhalt nachdenken lassen. Ausgehend von diesen ungefähr auf ein/zwei Seiten begrenzten Geschichten haben manche Studierende Texte bis zu zehn Seiten produzieren können. Dieser Tatsache folgend können die Studierenden die Grenze der Geschichte überschreiten und für sich eine neue eigene Geschichte, d.h. eine fiktive Welt erschaffen. Ein anderer Grund, warum die Kurzgeschichten den Studierenden eine breite Möglichkeit zum Nachdenken geben, liegt in der Struktur dieser Geschichten. Durch die kurzen Sätze erzählt man kurze und unkomplizierte Handlungen, die in sich eine große Tiefe verbergen. Kriterien des Umformens: Obschon solch eine Arbeit stark von der Wahrnehmung und Kreativität der Studierenden abhängig ist, bedürfen diese Vorschläge ernsthafter Methoden und Techniken. Zuerst muss man auf den Raum und Materialen aufpassen und sie auf die Kurzgeschichte übertragen. Die Zahl der Personen in einem Dramentext ist groß, deshalb sind eine oder zwei Hauptfiguren für eine Kurzgeschichte ausreichend. Die Sprache der Kurzgeschichte soll im Präsens sein. Man hat einen dem Sprachniveau der Studierenden entsprechenden verständlichen Wortschatz zu benutzen. Der Umschreibprozess kann in drei Schritten geschehen. Bei der ersten Phase wird der Ausgangstext ausführlich analysiert. Die zweite Phase besteht aus dem Umschreiben, d.h. dem Umformen des Ausgangstextes in eine Kurzgeschichte. Bei der dritten und letzten Phase wird der erarbeitete Text in der Klasse besprochen und beschrieben. Im Folgenden zitieren wir einige Kurzgeschichten, die von den Studierenden von einem Dramentext in die Form einer Kurzgeschichte ausgestaltet wurden. Beispiel 1; [Burcu Kaleli]; Ein junger Ausländer kennt in der Türkei im Urlaub ein Mädchen und er möchte sie heiraten. Eines Tages kommt er ins Ausländeramt, um zu fragen, ob er heiraten darf. Der Beamte versteht ihn nicht, weil da nicht ein Standesamt ist, sondern ein Ausländeramt. Der Ausländer spricht über das neue Gesetzt, nach dem er seine Frau nach Deutschland nicht mitbringen 133 darf. Der Beamte empfiehlt ihm, dass er zuerst seine Zukunft absichern und danach eine Frau finden soll. Der Beamte erzählt, dass der Ausländer keine sichere Arbeitsstelle hat und seine Sprache fehlerhaft ist. Nach dem Beamten sei es besser, wenn der Ausländer aus Deutschland heiratet. Wenn alle ausländische Jugendliche aus ihrer Heimat heiraten möchte, sei das für Deutschland eine Katastrophe. Der Beamte bietet dem Ausländer viele Alternative von ledigen Frauen, die in Deutschland leben. Der Ausländer akzeptiert das aber nicht, deshalb wird der Beamte immer mehr nervös. Am Ende explodiert der Beamte und schreit; Wenn du nur aus deiner Heimat heiraten willst, bleibst du immer ledig, oder verheiratet-ledig, weil du deine Frau niemals nach Deutschland mitbringen darfst. Beispiel 2; [Elif Yergezen]; Eines Tages geht ein Mann zum Ausländeramt. Er möchte heiraten, deshalb fragt er die Beamtin, ob er heiraten darf. Sie fragt ihn sein Alter. Er ist schon 20 und arbeitslos. Die Beamtin sagt, dass er nicht heiraten darf, weil er nicht aus EG-Land kommt. Sie zeigt ihm eine Akte, die voll mit ledigen Frauen ist, aber der Ausländer ist eigensinnig und will nur das Mädchen in der Türkei heiraten. Die Beamtin schlägt ihm eine Frau aus Spanien, eine aus der Türkei und noch eine aus der Türkei vor. Sie zeigt ihm Fotos der Frauen, aber verneint immer wieder all die Vorschläge. Sie wird böse, nervös, weil der Ausländer sagt, dass er keine Frau aus der Akte heiraten will. Sie ärgert sich sehr und vertreibt ihn. Beispiel 3; [Funda Gürbüz] Eines Tages geht ein Ausländer, heißt Hüseyin, ins Ausländeramt. Er will ein türkisches Mädchen, heißt Funda, heiraten. Herr Müller, der Beamte im Ausländeramt, ist sehr höflich. Er fragt Hüseyin, was er will, aber Hüseyin ist sehr ängstlich. Herr Müller versucht, ihn zu beruhigen. Dann erzählt Hüseyin, dass er in der Türkei im letzten Urlaub ein Mädchen kennengelernt hat, die er heiraten will. Aber Hüseyin hört über das neue Gesetzt der deutschen Regierung über die Ausländer und dass er seine Frau nach Deutschland nicht mitbringen darf. 134 Herr Müller will ihm helfen, deshalb erklärt er alles höflich und schrittweise. Wenn die Menschen nicht aus einem EG-Land kommen, dürfen sie ihre Frauen nach Deutschland nicht mitbringen. Trotzdem Hüseyin das weiss, will er seine Frau nach Deutschland unbedingt mitbringen. Herr Müller fragt nach seinem Alter. Er ist fast einundzwanzig, hat keine sichere Arbeit. Herr Müller verhält väterlich und erzählt, dass Hüseyin zuerst seine Zukunft absichern, einen Beruf lernen und eine Aufenthaltsberechtigung bekommen soll, danach sei es besser zu heiraten. Er kann auch nicht gut Deutsch, trotzdem nimmt er Herrn Müller nicht in Ernst. Da Herr Müller merkt, dass er Hüseyin nicht überzeugen kann, fängt er ihm zu erzahlen an, dass es in Deutschland viele Ausländer gibt. Wenn alle Jungen in ihren Heimatländern heiraten und ihre Frauen nach Deutschland mitbringen möchten, was würde die Status von Deutschland. Herr Müller bemerkt, dass Hüseyin auf jeden Fall heiraten will, deshalb fängt er dafür eine Lösung zu finden an. Er ruft seine Sacharbeiterin. Sie kommt mit vielen Akten in der Hand, stellt sie auf den Tisch. Die Akten waren voll mit den ledigen Frauen. Zuerst empfiehlt Herr Müller Dolares Marquez, aber Hüseyin akzeptiert das nicht, weil sie eine Fremde ist. Herr Müller erzählt diesmal über die Vorteile eine Fremde zu heiraten. Er akzeptiert auch Müzeyyen aus der Türkei nicht, weil sie schon verheiratet war. Auch Hatice ist für Hüseyin nicht die günstige Frau, weil sie schon mit einem anderen Mann verlobt war. Münevver auch nicht. Er will unbedingt Funda heiraten. Herr Müller wird darauf sehr böse und schreit; „Ich versuche für dich Lösungen zu finden, aber du verarschst mich“. Endlich vertreibt Herr Müller ihn. Beispiel 4; [Kerem Erol] Ein Ausländer tritt zurückhaltend ins Ausländeramt herein. Er beginnt mit dem Beamten zu sprechen. Er will heiraten, aber das neue Ausländergesetz bildet für ihn ein Problem, denn nach dem neuen Gesetzt darf er seine Frau nach Deutschland nicht mitbringen, weil er aus nicht einem EG-Land kommt. 135 Der Beamte empfiehlt ihm, dass er erst seine Zukunft absichern muss, dann kann er heiraten. Nach dem Ausländer ist das ein Verstoß gegen Menschenrechte. Der Beamte erzählt, dass es für Deutschland eine Katastrophe sei, wenn alle Ausländer ihre Frauen nach Deutschland mitbringen möchten. Auch in Deutschland gibt es Arbeitslosigkeit. Der Ausländer ist hartnäckig und sagt, dass nicht alle Ausländer in einem gleichen Tag heiraten. Der Beamte schlägt ihm vor, dass er ihm helfen wird, wenn der Ausländer in Deutschland heiraten will. Dann spricht der Beamte für eine Spanierin, aber der Ausländer weist auf die Sprachproblem hin, weil er kein Spanisch kann. Der Beamte schlägt dann noch einige Frauen vor, die alle aber verheiratet oder verlobt waren, deshalb lehnt der Ausländer alle Vorschläge ab. Dann wird der Beamte plötzlich nervös und er lass den Ausländer raus. Wir haben oben vier Beispiele zitiert, die von den Studierenden von einem Dramentext in eine Kurzgeschichte umgestaltet wurden. Wie in allen vier Beispielen zu sehen ist, haben die Studierenden ihre Kurzgeschichten im Präsens geschrieben. Die von den Studierenden produzierten Geschichten Ein junger Ausländer, Eines Tages und Ein Ausländer haben einen offenen Anfang. Man muss sich aber vor Augen halten, dass der Beginn mit Eines Tages... die Einführungsworte der epischen Form Märchen sind. Außerdem kommen sie in den Kurzgeschichten häufig vor. Die ausgestalteten Kurzgeschichten haben ein offenes Ende, weil die Studierenden über das Leben des Ausländers keine weiteren Kenntnisse vermittelt haben; Wir wissen also nicht, ob er seine türkische Freundin geheiratet hat. Und das ist wiederum eine Besonderheit der Kurzgeschichte. Bei dieser Aktivität wurde von den Studierenden nicht eine professionelle und makellose Kurzgeschichte erwartet, sondern nur die aktive Teilnahme am Produktionsprozess verlangt. Den Studierenden, die einen neuen Text erarbeitet haben, hat man bei ihrer Tätigkeit große Freiheit erlaubt, damit sie den neuen Text nach ihrer Weltanschauung und ihrer Kreativität bearbeiten können. Man sollte außerdem die Struktur des neu geschaffenen Textes nicht außer Acht lassen. Da beim Umschreiben die Merkmale des 136 Ausgangstextes kenntlich bleiben müssen, sollte auch die sprachliche Form des Zieltextes unkompliziert sein. Es war lehrreich, am Ende der Aktivität mit den Studierenden zusammen eine allgemeine Bewertung zu machen. Es wurde auch in allen Einzelheiten untersucht, wie sich der Text inhaltlich und formal im Vergleich zum Ausgangstext veränderte. Die neuen und die alten Motive wurden verglichen und die Unterschiede festgestellt. An diesem Schritt haben die Studierenden die Differenzen zwischen dem Ausgangs- und dem Zieltext konkret gesehen und somit den Gewinn, den sie während dieser Aktivität erworben haben, bemerkt. 5.2.2.4. Textanalyse Der Titel Ehegattenzusammenführung oder; Wie finde ich eine Frau zeigt uns, dass es unmittelbar um das Thema Heirat geht. Am Anfang des Textes beschreibt man mit einem Satz den Ort der Handlung. Der junge Ausländer geht ins Ausländeramt, um für die Fragen in seinem Kopf über das neue Ausländergesetz eine Antwort zu finden. Diese Adresse ist in der Regel nicht falsch, weil er der Meinung ist, dass dieses Amt dazu da ist, für die Probleme der Ausländer in Deutschland eine Lösung zu finden und ihnen Hilfe anzubieten. Der Beamte ist höflich und hilfsbereit. Er ist sich bewusst, warum er da ist und was er für die Ausländer zu leisten hat. Der Ausländer fragt, ob er heiraten dürfe. Diese Frage klingt am Anfang wie eine widersinnige Frage, weil nicht das Ausländeramt, sondern das Standesamt sich mit diesen Sachen beschäftigt. Eigentlich war das Thema aber das neue Ausländergesetz, nach dem die Ausländer nicht ihre Frauen nach Deutschland mitbringen dürfen, wenn sie nicht aus einem EG-Land kommen. Die Antwort des Beamten, so etwas sei ihm noch nie passiert (S.33), ist ein Widerspruch, weil der Beamte im Laufe des Gesprächs die Sachbearbeiterin ruft, damit sie ihm die Akte der ledigen Frauen bringt. Das stellt eindeutig klar, dass so etwas schon mehrmals passiert ist. Der Ausländer hatte im letzten Urlaub in der Türkei ein Mädchen kennengelernt, das er unbedingt heiraten will. Widersprüchlich ist nicht nur das Verhalten des Beamten, sondern auch das des Ausländers, weil er akzeptiert, aus 137 den Akten für sich eine passende Frau zu finden, obwohl er in ein Mädchen in der Türkei verliebt ist. Sein Verhalten zeigt eindeutig, dass er heiraten will, egal wer die Frau ist und woher sie kommt. Im Text kommen sehr häufig ironische Stellen vor. Denken verursacht Kopfschmerzen (S.34) ist ironisch gemeint, weil die Ausländer damit als Menschen gezeigt werden, die nicht richtig nachdenken können. Kopfschmerzen Wenn die Ausländer Kopfschmerzen haben, → Richtigarbeiten können Sie nicht richtig arbeiten. ↓ Wenn Sie nicht richtig arbeiten können → Anwesenheit wird ihre Anwesenheit in Deutschland überflüssig. Mit seiner Meinung will der Beamte dem Ausländer mittelbar aufzeigen, dass nur er selbst in der Lage ist, die Probleme aller Ausländer in Deutschland zu lösen. Zweitens meint er, dass Deutschland nur gesunde Arbeiter braucht. Heiraten der Ausländer mit Partnern aus ihrer Heimat beurteilen die Deutschen deshalb als einen negativen Prozess, weil die Heirat mit Personen aus der Heimat die Zahl der Ausländer in Deutschland vermehrt. Außerdem können die ungesunden Ausländer den Deutschen nicht ökonomisch helfen, was ihrer Existenz in Deutschland widerspricht. Sie befinden sich in Deutschland, um die deutsche Wirtschaft voranzutreiben. Wenn die Ausländer nicht arbeiten, bekommen sie von der deutschen Regierung Arbeitslosengeld, was die Nationalökonomie Deutschlands belastet. Deshalb bemüht sich der Beamte darum, den Ausländer zu manipulieren und ihn in den seiner Meinung nach richtigen Weg zu lenken. Der Beamte empfiehlt dem Ausländer, erst dann eine Aufenthaltsberechtigung zu beantragen und einen Beruf zu haben, wenn seine Zukunft unsicher ist (S.34). So eine Vorgehensweise zeigt im Hinblick auf die Bewertung der Situation eindeutig, wie die deutsche und die türkische Mentalität unterschiedlich sind. Man hat den Eindruck, dass Deutsche im Vergleich zu Türken logischer denken, weil sie zuerst ihre Zukunft absichern und danach heiraten wollen. Dagegen gehen die Türken erst ihren Gefühlen nach, ohne ihre Zukunft abzusichern, was im Laufe der Zeit familiäre Probleme mit sich bringt. 138 Mit der Frage „Was spielt das Fremdsprachenlernen bei der Integration für eine Rolle?“ wird in diesem Text die Integrationsproblematik ironisch zur Diskussion gestellt. Der Beamte sagt, dass der Ausländer eine Deutsche heiraten solle, damit die Integration leichter läuft; Wenn ihr beide Kinder habt, sprechen auch die Kinder deutsch. Unser Innenminister wünscht sich so eine Integration und Sie wollen ihm bei seiner Mühe nicht helfen?“ (S.36) Der Beamte hat vor, den Ausländer zum Erlernen der deutschen Sprache zu motivieren und damit seine Aufgabe zu erleichtern; daneben ist diese Aussage eine Warnung an den Ausländer. Obwohl der Ausländer unbedingt seine Freundin in der Türkei heiraten will, zeigt er keine scharfe Reaktion, schimpft nicht, sondern versucht, dafür eine Lösung zu finden, ohne den Beamten zu beleidigen. Das kann er aber nicht schaffen, weil er unbedingt jemand aus der Türkei heiraten will. Die Haltung des Ausländers macht den Beamten, der bisher immer höflich war, schrittweise nervös, weshalb er am Ende seine Höflichkeit verliert und den Ausländer wegschickt. 5.2.3. Unterrichtsmodell 3; Fremde ist wo du gekränkt wirst 5.2.3.1. Textinhalt Im Text geht es um das Kränken der Ausländer in Deutschland. Man legt durch diverse Beispiele dar, unter welchen Umständen sich die Ausländer verletzt fühlen können. In diesem Zusammenhang stellt man die gegenseitige Kommunikation der Deutschen und der Ausländer bildlich dar. In der letzten Strophe zeigt der Autor den Weg zum Überwinden des Kränkens und zum friedlichen und glücklichen Leben. 5.2.3.2. Lernaktivitäten Von diesem Text ausgehend wird geplant, im Unterricht drei Aktivitäten zu praktizieren, die die Studierenden befähigen können, einen Sinn für Fremde und Heimat zu haben. Diese Aktivitäten helfen den Studierenden, interkulturelle Vorurteile abzubauen, indem sie sich in die Position der Anderen versetzen lernen. Aktivität 1; Die Studierenden werden die Lücke in der ersten Säule füllen; somit wird unschwer festgestellt, was sie unter dem Begriff „Fremde“ verstehen. Solch eine Aktivität, die spielerisch durchgeführt wird, wird den Studierenden die Möglichkeit 139 bieten, ihre Gedanken über die „Fremde“ offen zum Ausdruck zu bringen; dadurch kann man die positiven und negativen Seiten dieses Begriffs feststellen und zum Abbau interkultureller Vorurteile beitragen. Im zweiten Schritt werden die Studierenden die Lücken in der zweiten Säule füllen, die sich auf die Heimat richten. Mit Hilfe der in zwei gegenseitigen Richtungen entwickelten Antworten werden die Studierenden die Chance haben, die Fremde und die Heimat miteinander zu vergleichen und über die Position der anderen nachzudenken. Fremde ist, wo du Fremde ist, wo du Fremde ist, wo du Fremde ist, wo du Fremde ist, wo du Fremde ist, wo du Fremde ist, wo du Fremde ist, wo du Fremde ist, wo du Fremde ist, wo du …………… …………… …………… …………… …………… …………… …………… …………… …………… …………… …… ist, wo du lebst. …… ist, wo du arbeitest. …….ist, wo du Kulturen kennst. ……. ist, wo du die Liebe siehst. ……..ist, wo du die Sehnsucht fühlst. ……. ist, wo du um Hilfe bittest. ……. ist, wo du dich wohl fühlst. ……. ist, wo du weinst. ……..ist, wo du zum Lachen kommst. ……..ist, wo du deine Hoffnung verlierst. Von dieser Aktivität ausgehend verfolgen wir das Ziel, die Studierenden spielerisch über die zentralen Punkte der Fremdheit aufzuklären und sich in Menschen aus einem anderen Land und einer anderen Kultur einzufühlen. Aktivität 2; Bei dieser Aktivität sollen die Studierenden versuchen, von der Frage „Wo bist du eigentlich in Fremde?“ ausgehend einen ganz kurzen Text zu schreiben. Am Ende der Aktivität werden die kurzen Texte inhaltlich und grammatisch analysiert und die Meinungen der Studierenden zur Diskussion gestellt. Aktivität 3; Das Gedicht wird zweigeteilt. Die ersten drei Strophen, die sich inhaltlich auf das „Kränken“ und seine Gründe beziehen, bilden den ersten Teil; die vierte Strophe ist der Gegensatz zu den ersten drei. In dieser Phase konzentrieren sich die Studierenden auf den zweiten Teil bzw. auf die Lösung des Autors und bringen ihre Gedanken über diese Lösung zum Ausdruck. 140 5.2.3.3 Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten Einführungsphase; Bevor die Studierenden mit den Aktivitäten angefangen haben, haben sie kurz über die Gründe der Migration gesprochen, um einen vergnüglichen Einstig in den Unterricht zu machen und das Thema zu verinnerlichen. Auf die Frage „Warum haben die Türken in den 50er Jahren nach Deutschland emigriert?“ haben die Studierenden unterschiedliche Antworten gegeben: • Kerem Erol; In 50er Jahren gab es in der Türkei Arbeitslosigkeit. Dagegen brauchte Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg Arbeitskräfte, um das Land zu rekonstruieren. Das war für die Türken eine Möglichkeit, Geld zu verdienen und es in die Türkei zu schicken. • Funda Gürbüz; Um Geld zu verdienen haben sie nach Deutschland emigriert. Die Deutschen hatten alles, was sie brauchen, aber in der Türkei war die gesellschaftliche und politische Situation ganz schlecht. • Gülden Güneş; Sie haben daran geglaubt, dass sie in Deutschland besser leben können. • Kadriye Erkan; Sie waren in der Türkei arm und hatten Hunger. Deutschland war für sie eine Erlösung von Sorgen und Kummer. • Bahar Kotan; Nach dem Putsch herrschte in 60er Jahren in der Türkei eine Militärregierung und in Bezug darauf mussten viele Menschen wegen der politischen Gründen nach Deutschland emigrieren. Demnach haben die Türken aus drei wichtigen Gründen nach Deutschland emigriert; aus ökonomischen, sozialen und politischen Gründen. Nach der Einführungsphase, bei der die Studierenden die Gründe der Migration in ihrem Kopf konkretisiert haben, haben die Studierenden angefangen, die Aktivitäten auszuführen. Aktivität 1; Bei dieser Aktivität haben die Studierenden die Lücke in der ersten Säule gefüllt, ihre Meinungen ganz offen zum Ausdruck gebracht, was uns gezeigt hat, was sie unter dem Begriff „Fremde“ verstehen. Fremde ist, wo du deine Gefühle verlierst. Fremde ist, wo du deine Rechte nicht benutzen kannst. Fremde ist, wo du immer wieder weinst. Fremde ist, wo du dich allein fühlst. 141 Fremde ist, wo du dich an die Schwierigkeiten gewöhnst. Fremde ist, wo du deinen Stolz und deine Hoffnung verloren hast. Fremde ist, wo du in sich eine Wunde trägst. Fremde ist, wo du Sehnsucht nach seinen Freunden hast. Fremde ist, wo du auf jedes Nummernschild des Autos schaust. Fremde ist, wo du fremd bist. Fremde ist, wo du deine Kindheit vermisst. Fremde ist, wo du deine Heimat suchst. Im zweiten Schritt haben die Studierenden die Lücken in der zweiten Säule gefüllt, die sich auf die Heimat richten. Fremde/ Heimat ist, wo du lebst. Sicherheit der Zukunft ist, wo du arbeitest. Die Welt ist, wo du die Kulturen kennst. Augen/ Herz/ Schatz ist, wo du die Liebe siehst. Eine fremde Stadt ist, wo du die Sehnsucht fühlst. Die Hölle ist, wo du um Hilfe bittest. Heimat/ Zu Hause/ Toilette ist, wo du dich wohl fühlst. Ausland ist, wo du weinst. Klassezimmer ist, wo du zum Lachen kommst. Die Stadt der Exfreundin ist, wo du deine Hoffnung verlierst. Von dieser Aktivität ausgehend verfolgt man das Ziel, die Studierenden spielerisch über die zentralen Punkte der Fremdheit Erfahrungen sammeln zu lassen und sich in Menschen aus einem anderen Land und einer anderen Kultur einfühlen zu können. Im ersten Schritt haben die Studierenden ihre Assoziationen über die Fremdheit ausgedrückt. Von den gegebenen Beispielen aus kann man behaupten, dass die Studierenden den Begriff „die Fremde“ mit „Kränken“ in Beziehung setzen. Die Fremde ist, wo Menschen gekränkt werden, sich allein fühlen, nach den Freunden und der Heimat Sehnsucht haben und ihre Hoffnung verloren haben. Es scheint uns von Bedeutung zu sagen, dass die Studierenden nicht nur das „Ausland“, sondern auch die eigene Heimat als Fremde ansehen können. Im zweiten Schritt haben 142 die Studierenden die zweite Säule gefüllt. Die Antworten sind in die gleiche Richtung wie beim ersten Schritt gegangen. Aktivität 2; Bei dieser Aktivität haben die Studierenden einen ganz kurzen Text verfasst, indem sie von der Frage „Wo bist du eigentlich in Fremde?“ ausgingen. Dafür wurde den Studierenden etwa 15 Minuten Zeit gegeben. Am Ende wurden die kurzen Texte inhaltlich und grammatisch analysiert und diskutiert. Im Folgenden zitieren wir einige Stellen von den Texten, die von den Studierenden in 15 Minuten geschrieben wurden, um festzustellen, was sie über die Fremde denken und welche Lösungen sie sich vorstellen, um die Fremde zu beseitigen: [Zeynep Akduman]; Ich lebe in der Türkei kein Heimweh, obwohl ich heute entfernt von meinem Geburtsort lebe. Ich fühle mich nicht allein, weil ich hier viele Freundinnen habe. Ich spreche mit den Menschen in meiner Umgebung gleiche Sprache, deshalb bilde ich mit ihnen eine gute Kommunikation. Wenn ich in Deutschland gewesen wäre, dann könnte ich Heimweh haben. Ich kenne da niemanden, niemand weiß, woher ich komme, was ich spreche, deshalb könnte mich in Deutschland ich mit vielen Schwierigkeiten treffen. In diesem Beispiel bildet die Studentin eine Relation zwischen der Fremde und der Kommunikation mit den Menschen in ihrer Umgebung. Sie bringt zum Ausdruck, dass der Mensch alle Schwierigkeiten beseitigen könne, wenn er mit den anderen Menschen eine Kommunikationsbrücke bilde. [Çiğdem Özkan]; Die Fremde ist Sehnsucht. Es ist nicht von Bedeutung, wo du bist und lebst. Die Fremde ist jemanden sich selbst allein zu fühlen, obwohl es um ihn viele Menschen gibt. Die Welt gehört uns. Überall ist unsere Heimat. Es gibt auf dieser Welt kein neues Land und kein neues Meer. Wo du lebst, gehört dort dir. Die gesprochene Sprache spielt dabei keine Rolle, weil wir Auge haben, die die anderen Menschen sehen. Somit können wir die fremden Menschen verstehen. Unser Verstand hilft uns dabei. Deshalb bin ich der Meinung, dass die Fremde ist, wo die Menschen in der Gesellschaft sich allein fühlen. 143 In diesem Beispiel weist die Studentin auf die geistige Einsamkeit und Kommunikationslosigkeit hin, die die Fremde hervorbringen. Um die Fremde in sich nicht zu fühlen, muss man in der Gesellschaft aktiv sein. [M. Ali Kelekçi]; Alles, was auf dieser Welt ist, gehört den Menschen. Wenn wir uns kräftig fühlen, können wir überall leben. Um sich die Fremde in uns nicht zu fühlen, müssen wir die Welt als eine Ganzheit sehen. In diesem Beispiel will der Student eine Lösung zeigen, wie man die Fremde abbauen kann. Der Mensch muss die Grenze im Kopf überschreiten, um die Fremde zu bewältigen. [Elif Yergezen]; Fremde ist Einbildung. Wir sind in dieser Welt geboren. Wir sind hier Bürger. Auf dieser Welt ist überall unser Haus, daneben gehört nirgendwo uns. Diese Welt ist für Menschen vergänglich. Sie interpretiert die Welt als das Wohngebiet der Menschen. Für sie gibt es keine Grenzen, keine Nationen und kein Fremdsein. Man ist überall zu Hause. Die Grenzen und die Schwierigkeiten bilden die Menschen selbst, egal wo sie sind. [Esra Yıldıran]; Die Menschen im Ausland sprechen eine Fremdsprache und haben Gewohnheiten, die wir nicht kennen. Um sie verstehen und besser kennenlernen zu können müssen wir ihre Sprache gut beherrschen. Das bringt mit sich die Integration. Wenn ich in Deutschland lebe, lerne ich die deutsche Sprache, somit kann ich die Fremde in mir abbauen. In diesem Beispiel weist die Studentin auf die Sprache und Integration hin. Sie denkt, dass die Menschen im Ausland sich leicht integrieren lassen und die Fremden besser verstehen können, wenn sie die dort gesprochene Sprache gut beherrschen. [Funda Gürbüz]; Die Fremde ist irgendwo, wo ich mich unglücklich fühle. Im Ausland oder in der Türkei kann ich mich unglücklich fühle. Die Fremde ist abhängig von den Gewohnheiten. Jeder Mensch sucht um sich die Autos seines Landes, das 144 Essen seiner Familie, die Menschen, die er kennt! Wenn der Mensch diese Gewohnheiten nicht findet, dann kann er sich in der Fremde fühlen. In diesem Beispiel betont man die Gewohnheiten der Menschen. Wenn jemand von seinen Gewohnheiten weitab bleibt, fühlt er sich in der Fremde. [Şengül Çiftçi]; Wir glauben daran, dass wir in der Fremde weinen, aber wir weinen wegen der Sehnsucht nach unseren Freunden. Aber auch in der Heimat fühlt man sich in der Fremde, wenn jemand allein, unglücklich und hoffnungslos ist. Wenn wir glücklich sind und Hoffnung haben, gibt es für uns keine Fremde. In diesem Beispiel sieht man eine Eins-zu-eins-Beziehung zwischen den inneren Gefühlen und der Fremde. Wenn jemand sich hoffnungslos und unglücklich fühlt, fühlt man sich in der Fremde. Die Studierenden sehen die Gründe der Fremde in der Kommunikationslosigkeit, in der geistigen Einsamkeit, in der Hoffnungslosigkeit und im Unglück. Diese Emotionen führen die Menschen dazu, die Fremde in sich zu fühlen. Um die Fremde beseitigen zu können, müssen die Ausländer mit den Deutschen ein stärkeres Kommunikationsnetz bauen. Dafür müssen sie zuerst die deutsche Sprache beherrschen und die deutsche Kultur nah kennenlernen. Natürlich spielt bei der Kommunikationslosigkeit auch die Haltung der Deutschen eine wichtige Rolle. Es ist ein gegenseitiges Spiel. Es genügt nicht, wenn sich nur eine Seite an etwas anpasst; die andere Seite muss auch einen Schritt tun, damit ein Gleichgewicht entsteht. Nur durch das Gleichgewicht kann Glück, Hoffnung und Geborgenheit entstehen. Aktivität 3; Mit dieser Aktivität möchten wir die Sprechfähigkeit der Studierenden fördern. Die Studierenden haben sich besonders auf die vierte Strophe konzentriert. Sie haben den Lösungsvorschlag des Autors diskutiert, wie das Kränken vermieden werden kann. Von Bedeutung scheint uns in diesem Punkt, dass die Studierenden zwischen dem Meer und den Menschen einen Vergleich machen, was sie zu einer Lösung näher gebracht hat. 145 Meereswasser enthält Salz, von dem das Meer seinen Widerstand nimmt. Die Menschen haben in sich Liebe, von der sie ihren Widerstand gegen alle Gehässigkeit nehmen. Die Lösung ist; Liebe → endlose Liebe in uns. Dementsprechend haben die Studierenden die Meinung vertreten, dass die Menschen ohne Rücksicht auf Abstammung einander respektieren sollen. Die Welt gehört allen Menschen und nur durch Liebe und gegenseitigen Respekt kann man auf dieser Welt in Frieden weiterleben. 5.2.3.4. Textanalyse Das Gedicht wird in zwei geteilt. Die ersten drei Strophen, die sich inhaltlich auf das „Kränken“ und seine Gründe beziehen, bilden den ersten Teil; die vierte Strophe ist der Gegensatz zu den ersten drei. In diesem Zusammenhang ist es bei der Analyse von Bedeutung, das Gedicht in zwei Schritten in die Hand zu nehmen, wobei zuerst die ersten drei Strophen und danach ihre Verbindung mit der letzten Strophe behandelt werden. Im ersten Vers stellt der Autor den Schlüssel des Gedichts vor, der bei der Analyse die zentrale Rolle übernimmt; wird er gekränkt, schwindet freude; In diesem Vers werden zwei Wörter, d.h. kränken und freude gegeneinander gestellt, um zu zeigen, dass sie gleichzeitig kaum hervorkommen, weil sie inhaltlich kontrastiv sind. Wenn jemand gekränkt wird, verliert er seine Freude und Lebenslust, was ihn im Laufe der Zeit entmutigen kann. In der ersten Strophe kommt das Wort schmächtige Blicke als Grund des Kränkens vor, weil diese Blicke die menschlichen Gefühle fassen und die Menschen zur Hoffnungslosigkeit und zum inneren Leid führen. Hilflosigkeit übernimmt in diesem Punkt eine zentrale Bedeutung, weil die Menschen unter schmächtigen Blicken weiterleben und ihre Köpfe willenlos hängen müssen, obwohl sie diese schlechte Situation schwer ertragen können. In der zweiten Strophe haben die Wörter lieblose und barsche worte eine Schlüsselfunktion. Die Menschen, die den anderen ihre Hand reichen müssen, um etwas haben zu können, leiden unter der Unfreundlichkeit derjenigen, die barsche Worte sagen. Wegen der unfreundlichen Art bei der Kommunikation fühlen sich die Menschen 146 gekränkt; deswegen widerspricht so ein unhöfliches Verhalten der gegenseitigen Toleranz und dem Verständnis. Die dritte Strophe konzentriert sich auf das Wandern von einem Ort zum anderen und auf dessen negativen Einfluss auf den Menschen. Für ein wohles Leben reicht einem ein bestimmter Ort bzw. eine Heimat. Dagegen geraten die Menschen in viele Probleme, wenn sie ohne Heimat bleiben und stets hin und her laufen. Eindeutig ist, dass der Autor sein Gedicht auf die türkische Migration in den 60er Jahren nach Deutschland stützt. Mit den schmächtigen Blicken in der ersten Strophe richtet sich die Kritik gegen deutsche Arbeitsgeber, weil sie die Arbeiter abwehren, die nach Deutschland deshalb emigriert haben, um Geld zu verdienen und somit ihr Leben weiterzuführen. Man betont an dieser Stelle, dass diese Arbeiter im Grunde ungewollt, und zwar aus ökonomischen Gründen nach Deutschland emigriert haben. In der zweiten Strophe kritisiert man gleichfalls die Arbeitsgeber, die mit barschen Worten die Arbeiter geringschätzen. In der dritten Strophe thematisiert man dagegen das Heimweh, die Sehnsucht nach Liebe und die Migration. In der letzten Strophe zeigt der Autor den Lesern, wie man die in ersten drei Strophen thematisierten Probleme überwinden könnte; er weist auf die Liebe hin. Er hebt die Kraft im Menschen hervor, indem er zwischen dem Meer und dem Menschen, zwischen dem Salz und der Liebe eine symmetrische Relation bildet. Widerstand des Meeres kommt vom Salz ↓ ↓ ↓ Widerstand des Menschen kommt von Liebe Die Botschaft des Gedichts ist, dass jeder Mensch in sich seine eigene Lösung trägt; Die Liebe ist die Lösung. Die Lösung ist in uns und in der Fremde oder in der Heimat; überall kann man Probleme haben, die nur anhand der Liebe zu überwinden sind. Dabei spielt Solidarität, Toleranz und Humanität eine große Rolle. 147 5.2.4. Unterrichtsmodell 4; Gedanken über die Rückkehr 5.2.4.1. Textinhalt Das Gedicht „Gedanken über die Rückkehr“, das aus zwei Teilen besteht, handelt von der Zugehörigkeit der Türken in Deutschland. Man stellt die Frage; Wozu gehöre ich; zu den Deutschen und ihrer Kultur oder zu den Türken und zur türkischen Kultur? Im ersten Teil des Gedichts ist die Rede von den Erlebnissen des Autors in seiner Heimat, d.h. in der Türkei, die er rückblendend reflektiert. Dagegen erzählt er im zweiten Teil vom Leben der Jungen der dritten Generation, von ihrer Situation und ihren Gefühlen in Deutschland. 5.2.4.2. Lernaktivitäten Von diesem Text ausgehend planen wir drei Aktivitäten. Die erste Aktivität dient zur Kreativität der Studierenden; die zweite soll ihre Sprech- und Kommunikationsfähigkeit und die dritte ihre Mitteilungsfähigkeit fördern. Aktivität 1; Zur Leistungsfähigkeit und Kreativität; In diesem Gedicht beschreibt der Autor zwei Länder mit ihren besonderen kulturellen Eigenschaften. Die Studierenden bereiten unter dieser Aktivität Plakate mit kulturellen Eigenschaften beider Länder vor, um die im Text beschriebene Situation zu visualisieren. Aktivität 2; Zur Sprech- und Kommunikationsfähigkeit; 4 Gruppen werden gebildet. Zwei Gruppen werden den ersten Teil des Gedichts aus verschiedenen Gesichtspunkten diskutieren, dazwischen beobachten die anderen zwei Gruppen diese Diskussion. Danach werden die anderen zwei Gruppen den zweiten Teil des Gedichts diskutieren und die anderen Gruppen diese Diskussion wiederum anschauen. Aktivität 3; Zur Förderung der Mittelungsfähigkeit; Der Ausgangspunkt ist die Frage: Womit könnt ihr euch in diesem Text identifizieren? Die Studierenden sollen die kulturspezifischen Textstellen, mit denen sie sich identifizieren, zitieren und analysieren. Außerdem haben sie die übriggebliebenen kulturspezifischen Stellen festzustellen und zu begründen, warum sie sich mit diesen Punkten nicht identifiziert haben. 148 5.2.4.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten Aktivität 1: Diese Aktivität verfolgt das Ziel, die Leistungsfähigkeit und die Kreativität der Studierenden zu entwickeln. In diesem Gedicht beschreibt der Autor zwei Länder mit ihren besonderen kulturellen Eigenschaften. Die Studierenden haben in der Klasse zuerst zwei Gruppen gebildet, und jede Gruppe hat ein Plakat vorbereitet, das die kulturellen Eigenschaften dieser beiden Länder enthält. Die Studierenden haben zuallererst zu Hause eine Recherche gemacht, um für die im Gedicht beschriebenen kulturellen Eigenschaften passende Bilder zu finden. Eine Gruppe hat Bilder von Deutschland und von der deutschen Kultur, eine andere Gruppe Bilder von der türkischen Kultur gefunden und zum Unterricht mitgebracht. Im Folgenden werden die beiden Plakate der Studierenden zitiert. Bemerkenswert ist, dass die vorbereiteten Plakate und die Teile des Gedichts sehr gut zusammengepasst haben. Über diese Aktivität hinaus haben die Studierenden die deutsche und die türkische Kultur bildlich nebeneinander gestellt. Plakat 1: Türkische Kultur 149 Plakat 2: Deutsche Kultur Aktivität 2: Zur Sprech- und Kommunikationsfähigkeit haben wir in der Klasse 4 Gruppen gebildet. Die ersten zwei Gruppen haben sich mit dem ersten Teil des Gedichts auseinandergesetzt, während die anderen Gruppen diese Anstrengung beobachteten. Danach haben die nächsten zwei Gruppen den zweiten Teil des Gedichts zur Diskussion gestellt, während die anderen diese Diskussion beobachteten und darüber Notizen machten. Am Ende der Auseinandersetzungen haben wir in der Klasse über diese Auseinandersetzungen eine allgemeine Bewertung gemacht und sind mit dieser Aktivität zum Ende gekommen. Diese Aktivität wurde auf Tonband genommen. Aktivität 3: Suche nach der Identifikation: Aus der Frage „Womit könnt ihr euch in diesem Text identifizieren?“ ausgehend haben die Studierenden die kulturspezifischen Punkte, mit denen sie sich identifizierten, zitiert und analysiert. Daneben haben sie die übriggebliebenen kulturspezifischen Punkte zitiert und zum Ausdruck gebracht, warum sie sich mit diesen Punkten nicht identifizieren konnten. Ziel diese Aktivität war es, die Mitteilungsfähigkeit der Studierenden zu fördern. Die von den Studierenden zitierten kulturspezifischen Punkte: 150 [Nilgün Güneş]: Ich bin doch von nirgendsher gekommen. Nirgendshin kann ich zurückkehren. Manchmal fühle ich mich Heimatlos und ich weiß nicht genau, wohin ich gehöre. [Sonay Kabadayı]: Nirgendshin kann ich zurückkehren. Meine Vergangenheit kann ich nie wieder leben. [Elif Yergezen]: Weil ich die Sprache hier nicht verstehe, komme ich in Verruf. Wenn ich eine Fremdsprache in einem Ausland nicht kann, kann ich keine Kommunikation bilden. [M. Ali Kelekçi]: Nie sah ich hier einen Sarg auf Schultern. Ich erinnere mich das Jenseits. Ich denke, dass eines Tages viele Freunde mich auf den Schultern tragen werden. [Rukiye Karaca]: Meine Schuhe setzen hier keinen Straßenstaub an. Jetzt gibt es keinen Straßenstaub. Und ich habe Sehnsucht nach meiner Kindheitstage. Während meiner Kindheit war überall Erde, aber jetzt alles ist von Beton. [Şirin Serpen]: Pflaumen und Mandeln sehe ich nicht mehr blühen. Im Zentrum (in einer Großstadt) gibt es keine Obstbäume. Als ich ein Kind war, lebte ich in einem Dorf, wo es viele Obstbäume gab. Ich konnte sie blühen sehen und fühlte mich wie ein Schmetterling. [Inna Dragneva]: In Kindergarten und Schule ging ich hier. Ich lebte damals so was. Früher ging ich in die Schule, aber nicht in meiner Heimat, sondern im Ausland, also in der Türkei. Deshalb identifiziere ich mich mit diesem Satz. [Sinem Atuk]: Kein Gesicht erinnert mich hier an meine Kindheitstage, denn ich kenne die Menschen in Çanakkale nicht. Deswegen erinnert mich kein Gesicht an mein Leben. Das ist sehr schlecht, aber ich gewöhne mich langsam daran. [Şengül Çiftçi]: Kein Gesicht erinnert mich hier an meine Kindheitstage. Hier rannte ich nicht in Gassen. Ich vermisse immer meine Kindheit. Jetzt ist es nicht möglich in 151 Gassen zu rennen. Alle Leute verändern sich. Ich kenne niemanden. Man kann die Vergangenheit nicht wieder leben. Wie oben in den zitierten Aussagen der Studierenden zu sehen ist, konzentrieren sich fast alle Studierenden auf die Vergangenheit und auf ihre Kinderjahre. Die Sprache, die Landschaft und besonders positiven Seiten der die Kultur ihres Landes sind die Hauptpunkte, mit denen sich die Studierenden identifiziert haben. 5.2.4.4. Textanalyse In dem Gedicht Gedanken über die Rückkehr, das aus zwei Teilen besteht, geht es um die Problematik „Zugehörigkeit der Türken in Deutschland“. Dieses Thema greift man nach den zwei unterschiedlichen Blickwinkeln des Autors auf, die das Leben und die Emotionen der türkischen MigrantInnen der alten und der neueren Generationen in Deutschland hervorheben. Im ersten Teil des Gedichts thematisiert man die alte Generation und ihren Blick in die Vergangenheit, wie sie vor ihrer Migration nach Deutschland gelebt haben. Deshalb beschreibt man in diesem Teil das kulturelle und soziale Leben der 60er Jahre in der Türkei. In jedem Vers wird eine besondere Dimension der türkischen Kultur angesprochen. Das Gedicht fängt mit der Aussage Kein Gesicht erinnert mich hier an meine Kindheitstage an, die auf eine Rückbesinnung auf die Vergangenheit hinweist. Mit diesem Vers fängt der Autor an, seine Erinnerungen wieder ins Gedächtnis zu rufen. Gewöhnlich kann man in der Türkei sehen, wie die Kinder auf den Gassen herumrennen und in Gruppen spielen. Damit bringt der Autor zum Ausdruck, dass er nicht in Deutschland, sondern in der Türkei seine Kindheit verlebte. Eine andere charakteristische Eigenschaft der türkischen Kultur ist die hohe Wertschätzung der Nachbarschaft. Die Nachbarn bringen in der Türkei einander Kuchen, Essen, Obst usw. Das tun sie gerne, um die Kommunikation mit ihren Nachbarn wach zu halten. Den ersten Schrei eines Kindes im Nachbarnhaus zu hören, ist in Türkei sehr gewöhnlich, weil damals die türkischen Frauen ihre Kinder nicht im Krankenhaus, sondern zu Hause zur Welt brachten. 152 Eine weitere Eigenschaft der türkischen Kultur tritt bei der Beerdigung hervor. In der Türkei trägt man den Sarg zusammen auf den Schultern und bringt ihn bis zum Grab. Alle Verwandten und Nachbarn des Verstorbenen kommen auf dem Friedhof zusammen und begraben den Verstorbenen. Ein anderer Hinweis des Autors richtet sich auf das Ramadanfest. Am Ramadanfest werden in der Türkei für die Kinder die Festplätze geschmückt, damit sie zusammen in Gruppen und in Sicherheit spielen und eine gute Zeit verbringen können. Andererseits hört man abends mit dem Untergang der Sonne einen Kanonenschuss, der die Aufmerksamkeit der Leute auf das Fastenbrechen zieht. Es ist wichtig zu verstehen, dass man die Straße in der Türkei als kulturelles türkisches Bild vor Augen hat. Die Mehrzahl der Straßen in türkischen Stadteilen sind staubbedeckt, weshalb die Kinder mit staubbedeckten Schuhen nach Hause kommen. Diese Eigenart bildet in Gedanken jedes türkischen Menschen ein unvergessliches Bild aus seiner Vergangenheit. Auch die Landschaft der Türkei muss man sich in diesem Gedicht deshalb als eine kulturelle Besonderheit vorstellen, weil die Türkei ein Agrarland ist und viele Arten von Pflanzen, Gemüse und Obst zu sehen sind. Pflaumen, Mandeln, Berge von Melonen, Körbe voller Feigen, Aprikosen, blaue und weiße Maulbeeren, die man im Gedicht besonders betont, zeigen den Reichtum der Türkei an Agrarprodukten. Eines der speziell türkischen Getränke ist Anisschnaps bzw. Rakı. Normalerwiese trinkt man in der Türkei beim Essen keine alkoholischen Getränke. Wenn es bei besonderen Anlässen der Fall sein sollte, fängt das Abendessen meistens mit kleinen Aperitifs – Meze - an. Wein und Bier trinkt man relativ seltener als Rakı, ein Anisschnaps, der mit eiskaltem Wasser verdünnt wird, wobei eine milchigweiße Färbung entsteht. Das Getränk wird sehr treffend Löwenmilch oder Arrak (ein arabisches Wort) genannt. Der letzte Vers des Gedichts bildet den Wendepunkt, weil der Autor hier ganz offen zum Ausdruck bringt, dass er trotz aller Schönheiten und bunter kultureller Eigenschaften der Türkei keine klare Neigung und Lust hat, in die Türkei zurückzukehren. Er ist sich bewusst, dass all jene Schönheiten der Vergangenheit angehören, aber dass sie ewig in seinen Gedanken als sehr schöne Erinnerungen ihren Platz haben werden. 153 Im zweiten Teil des Gedichts sieht man, dass der Autor diesmal das Leben in Deutschland und die deutsche Kultur thematisiert hat, indem er die Erlebnisse mit den Augen der türkischen MigrantInnen der neueren Generation in eine Gedichtform bringt. Im Gegensatz zur ersten Generation haben die MigrantInnen der zweiten Generation ihre ganze Kindheit in Deutschland verbracht, und deshalb haben sie von der türkischen Kultur fast nie etwas mitbekommen. Sie sprechen nicht die türkische, sondern die deutsche Sprache. Man betont in der ersten Strophe, dass ihre Sprachkenntnisse nur aus Deutsch bestehen und dass sie außer ihrem Namen kein türkisches Wort kennen. Sie haben Kindergarten und Schule in Deutschland besucht, die deutschen Spezialitäten wie z.B. Wurstbrot und Pfannkuchen gegessen. Auf den Marktplätzen und in den Kaufhäusern haben sie eingekauft, den Geburtstag ihrer Freunde gefeiert, und sie sind nicht mit der Kutsche und alten Bussen, sondern mit der ganz modernen U-Bahn gefahren. Das waren soziale und kulturelle Eigenschaften der Deutschen, mit denen auch die junge Generation der Türken gelebt hat. Während im ersten Teil des Gedichts die Sehnsucht der türkischen MigrantInnen der ersten Generation nach ihrer Heimat und nach türkischer Kultur zum Ausdruck gebracht wird, treten im zweiten Teil die Gedanken und Gefühle der türkischen MigrantInnen der dritten Generation auf, die die türkische Kultur gar nicht kennen, obwohl sie türkischer Herkunft sind. Die Frage Wozu gehöre ich: zu den Deutschen und ihrer Kultur oder zu den Türken und zur türkischen Kultur? bleibt in Gedanken der jungen dritten Generation unbeantwortet; sie charakterisiert ihre ungeklärte und unsichere Situation. 5.2.5. Unterrichtsmodell 5: Doppelmann 5.2.5.1. Textinhalt Im Gedicht Doppelmann geht es um die Integration- und Anpassungsprobleme der MigrantInnen in Deutschland, die der Autor in vier Strophen symbolisch gedichtet hat. In diesem Gedicht stellt man die Begriffe wie „zwischen zwei Welten“ und „verlorene Generation“, die die Situation der Jugendlichen aus ethnischen Minderheiten beschreiben, zur Diskussion. 154 5.2.5.2. Lernaktivitäten Über das Gedicht Doppelmann hinaus werden fünf Aktivitäten durchgeführt, die die Schreib-, Lese- und Sprechfertigkeiten der Studierenden sowie ihre Kommunikationsfähigkeit, Flexibilität und ihr kreatives Denken fördern sollten. Aktivität 1: Zur Entwicklung der Kreativität und Flexibilität: Diese Aktivität zielt auf die Entdeckung der Metaphern in dem Text ab. In dieser Phase wird den Studierenden zuerst die rhetorische Figur „Metapher“ definiert, dann zeigt man ihnen aus dem Film „Der Postmann“ drei Szenen (insgesamt fünf Minuten), die die Bedeutung der Metapher konkretisieren. Diese Phase dient dazu, die Studierenden zu motivieren und einen vergnüglichen Einstieg in den Unterricht zu machen. Die Studierenden lesen die metaphorischen Wörter im Text heraus. Sie versuchen außerdem die Hintergründe dieser Metaphern zu analysieren und die Codes zu lösen. Aktivität 2: Zur Förderung der Schreibfähigkeit und Kreativität: Die Studierenden schreiben in Fünfergruppen das Gedicht mit unmetaphorischen Wörtern nach. Bei dieser Aktivität werden kleine Blätter verteilt, die den Studierenden als Grundlage für ihre Gedichte dienen. Am Schluss werden die Produkte einzeln vorgelesen und besprochen. Aktivität 3: Zur Kommunikationsfähigkeit und Zusammenarbeit: In jeder Strophe beschreibt man eine Situation. Was für ein Zusammenhang besteht zwischen diesen Situationen? Stellen Sie bitte jede Strophe auf ein Plakat bildlich dar! Aktivität 4: Zur Entwicklung der Schreibfähigkeit: Die Studierenden schreiben ihre eigenen Gedanken über das Leben in einer multikulturellen Gesellschaft! Aktivität 5: Zur Sprechfähigkeit: Im Hinblick auf das Thema des Gedichtes stellen die Studierenden zwei Fragen über wichtige Probleme der türkischen MigrantInnen in Deutschland zur Diskussion. Diskussionspunkte sind: „Wie könnte es sein, dass jemand sich halb Türke und halb Deutscher fühlt?“ und „Verändert sich die Einstellung der Menschen, wenn man zwei Heimaten hat? Begründen Sie Ihre Meinung!". 155 5.2.5.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten Aktivität 1: Bei dieser Aktivität haben die Studierenden sich bemüht, die metaphorischen Wörter im Gedicht zu finden und die zu interpretieren. In dieser Phase haben wir ihnen drei Szenen aus dem Film „Der Postmann“ gezeigt, die die Bedeutung der Metapher konkretisieren. Wir haben etwa 15 Minuten über die Bedeutung der Metapher gesprochen und unterschiedliche Beispiele gegeben. Somit haben sie in diesem Schritt zuerst die rhetorische Figur „Metapher“ mit all ihren Besonderheiten begriffen und darüber hinaus die metaphorischen Wörter im Text entdeckt. Wie in folgenden Abbildungen zu sehen ist, haben die Studierenden sich besonders auf fünf Wörter konzentriert und versucht, die Codes der entdeckten Metaphern zu lösen. Die erste Metapher, die von den meisten Studierenden festgestellt wurde, ist der Titel des Gedichts „Doppellmann“. Die Studierenden einigten sich darüber, dass der Autor mit diesem Wort auf die Identitätsproblematik der MigrantInnen in Deutschland hinweist. Nach ihnen zeigt das Wort Doppellmann uns „Zwei Identitäten“, daneben haben einige Studierende auf die „Zwei Charaktere“ und „Dilemma“ hingewiesen. Doppelmann zwei Identitäten Dilemma zwei Charaktere Eine andere Metapher war Planeten, die die Studierenden auf Deutschland und die Türkei bezogen haben. Während die Mehrheit der Studierenden auf zwei Länder hinwies, sind einige Studierende zur Idee gekommen, dass Planeten zwei Identitäten und zwei Kulturen symbolisierten. zwei Planeten zwei Identitäten DeutschlandTürkei zwei Kulturen Über ihre Meinungen hinaus haben die Studierenden zwischen "Planet" und "zwei Länder" deshalb eine Relation gebildet, weil der Planet eine Kugel, d.h. Sphäre ist, auf der die Menschen leben. In diesem Zusammenhang haben sie sich zwei Länder vorgestellt; auf dem einen sind die MigrantInnen geboren, während sie auf dem anderen arbeiten und ihr Leben weiterführen. 156 In der folgenden Abbildung sieht man, dass die Studierenden das Wort Welt als Metapher betrachten und sie mit der Kultur identifizieren. Eine seltenere Alternative der Metapher zwei Welten waren zwei Sprachen und zwei Identitäten. zwei Welten zwei Kulturen zwei Sprachen zwei Identitäten Bei dieser Aktivität war das Wort Grenze die letzte Metapher, welche die Studierenden entdeckt haben. In Anlehnung an Grenze wiesen sie auf die Sprache der MigrantInnen in Deutschland hin. Sie meinten, dass die MigrantInnen in Deutschland zwei Sprachen sprechen, dagegen beherrschen sie keine sehr gut, weshalb sie sich inmitten von Integrationsproblemen finden. Mit dem Wort Zungen haben die Studierenden die Sprache assoziiert. Leben, Gebundenheit, deutsche und türkische Kultur waren andere Assoziationen. die Grenze Sprache Generation zwei Länder Aktivität 2: Bei dieser Aktivität hatten die Studierenden etwa 15 Minuten Zeit, um das Gedicht „Doppelmann“ mit unmetaphorischen Wörtern schreiben. Jede Studierende hat sich bemüht, das Gedicht selbständig umzuformen. Unter vielen Aufgaben zitieren wir im Folgenden vier Beispiele: Beispiel 1: Zwei Charaktere [Esra Yıldıran] Ich stehe auf zwei verschiedene Länder Sie sind Deutschland und Türkei Wenn sie sich in Bewegung setzen zerren sie mich mit ich falle Ich habe zwei Kulturen in mir, deutsche und türkische Kultur Aber keine ist ganz Sie bluten ständig Ich habe zwei Heimat und Sprache 157 Nach meiner Meinung gibt es keine Grenze zwischen der Türkei und Deutschland Ich bin nicht frei Ich bleibe zwischen zwei Kulturen, Sprachen und Identitäten Beispiel 2: Die Verlaufende [Elif Yergezen] Ich habe meine Füße worauf ich will und ich soll Wenn sie sich in Bewegung setzen zerren sie mich mit ich falle Ich trage in mir, was ich fühle und ich sehe aber keine ist ganz sie bluten ständig Zwei Sprachen verlaufen mitten durch meine Zunge Ich rüttelte daran wie ein Häftling das Spiel an einer Kerker Beispiel 3: Zwei Identitäten [Cansu Candemir] Ich habe meine Füße auf zwei Länder Ein ist meine Heimat, der Türkei Andere ist Deutschland Wenn sie sich in Bewegung setzen zerren sie mich mit ich falle Ich trage zwei Identitäten in mir 158 aber keine ist ganz Ich bin weder Türke noch Deutsche Ich weiss nicht, was ich bin Sie bluten ständig Es gibt eine Linie in mir Welche Sprache spricht meine Zunge? Es gibt zwei Kulturen Aber sie gehören mir nicht Das ist meine Wunde in mir Ich fühle mich Verlust Beispiel 4: Doppelidentitäten [Çiğdem Özkan] Ich habe meine Füsse auf zwei Heimat Wenn sie sich in Bewegung setzen zerren sie mich mit ich falle Ich trage zwei Kulturen in mir aber keine ist ganz sie bluten ständig Meine Sprache verläuft mitten durch meine Zunge Ich fühle mich schuldig wie ein Mann, der mit dem Wunde spielt. In den oben zitierten Beispielen sieht man, dass die Studierenden im Gedicht fünf metaphorische Wörter festgestellt und in ihren umgeformten Gedichten alternative 159 Ausdrücke für diese Wörter gefunden haben. Der Titel wurde in dem ersten Beispiel deshalb in „Zwei Charaktere“ umgeändert, weil die Studierenden auf die Idee kamen, dass der Autor wegen seines Lebens in einer multikulturellen Gesellschaft unbewusst zwei Charaktere erworben hatte. In dem zweiten Beispiel sieht man als Alternative das Wort „Der sich Verlaufende“, mit dem die Studierenden auf einen Mann hinweisen, der sich auf dem Weg verläuft und verirrt. In den dritten und vierten Beispielen tritt das Wort „Zwei/Doppel Identität“ auf, mit dem die Studierenden auf das Dilemma einer komplexen Persönlichkeit hinweisen. Ausgehend von den Alternativen zum Titel ist zu sagen, dass die Studierenden das Thema des Gedichts problemlos verstehen und den Titel mit angemessenen nicht metaphorischen Wörtern ersetzen konnten. Fast alle Studierenden haben das metaphorische Wort „zwei Planeten“ als "zwei Länder" gesehen. „Zwei Persönlichkeiten“, „zwei Leben“, „zwei Heimaten“ und „zwei Kulturen“ waren die anderen Alternativen. Wenn wir uns das Wort „Planet“ und seine Bedeutung vorstellen, ist es leichter zu verstehen, dass es auf einen Ort hinweist, an dem die Menschen leben, weshalb sich die Alternativen der Studierenden auf Deutschland und auf die Türkei konzentrierten. Beim zweiten Beispiel ist zu sehen, dass die Planeten zwei Orte symbolisieren: den Ort, an dem die Menschen leben möchten, und den Ort, an dem sie leben müssen. Im Hinblick auf die Migration und ihre Nachwirkungen betont man in diesem Beispiel den Unterschied zwischen „mögen“ und „müssen“. Das dritte metaphorische Wort ist „zwei Welten“. Während das Wort „Planet“ auf einen Ort hinweist, bezieht sich das Wort „Welt“ auf die Kultur, die den genannten Ort mit Leben füllt. Auch in diesem Punkt haben die Studierenden über verschiedene Alternativen geschrieben, die in ihrer Vorstellung diese Kultur betreffen. Bei dem ersten und dem vierten Beispiel bringt man die türkische und die deutsche Kultur ganz offen zum Ausdruck, indem man bei der zweiten die Rolle der Kultur im gesellschaftlichen Leben und in den Gefühlen der Menschen betont. Beim dritten Beispiel betont man die Identitäten, bei denen immer ein Mangel zu spüren ist. Bei dem vierten Wort „Grenze“ kam den Studierenden die Alternative „Sprache“ in den Sinn, weil sie sich hier von dem 160 Wort „Zunge“ inspirieren ließen. Sie haben damit eine Relation zwischen den Wörtern „Grenze“, „Zunge“ und „Sprache“ gebildet. Zu der fünften Stelle ist es zu bemerken, dass die Studierenden über die metaphorische Bedeutung der Wörter nicht einig waren. Beim ersten Beispiel zeigt man, dass das Wort „Häftling“ auf die Gebundenheit hinweist, beim dritten auf einen Verlust und beim vierten auf einen Mann, der sich schuldig fühlt, weil er darüber schreibt. Beim vierten Beispiel konzentriert man sich auf das Wort „Wunde“, das einen Kerker symbolisiert. Aktivität 3: Bei dieser Aktivität haben sich die Studierenden darum bemüht, die Situationen in jeder Strophe bildlich auf einem Plakat zu beschreiben. Sie haben diese Situationen zuerst einzeln und danach gemeinsam vergleichend aufgegriffen. Wir haben zuerst fünf Gruppen gebildet, und jede Gruppe hat eine Strophe auf einem Plakat dargestellt. Die erste Gruppe hat den Titel des Gedichtes übernommen und ihre Gedanken auf einem Plakat dargestellt; Plakat 3: Doppelmann 161 Wie im kopierten Plakat zu sehen ist, hat die erste Gruppe den Titel des Gedichts mit unterschiedlichen Bildern und Sprachspielen verdeutlicht. In die Mitte des Plakats haben sie den Titel gestellt und daraus Wörter abgeleitet, die mit dem Thema des Gedichts korrelieren. Die abgeleiteten Wörter sind Durcheinander, Person, Länder, Fremd, Einsamkeit und Niemand. Die sechs Bilder auf dem Plakat zeigen Menschen mit zwei Köpfen, die auf zwei Kulturen, zwei Identitäten und eine jeweils unterschiedliche Heimat hinweisen. Dieses Plakat thematisiert also Menschen, die in bzw. zwischen zwei Welten leben müssen. Wie unten zu sehen ist, hat die zweite Gruppe die erste Strophe des Gedichtes bildlich dargestellt: Plakat 4: Der in zwei geteilte Mann 162 Auf diesem Plakat sehen wir einen Mann, der in zwei geteilt ist. Der eine Teil zeigt uns die Außensicht der türkischen Menschen mit ihren kulturellen Besonderheiten; der andere Teil spiegelt dagegen die Deutschen und ihre Kultur wider. Der Mann hat Haare mit drei Farben, d.h. Schwarz, Rot und Gelb [Gold], die die Farben der deutschen Flagge sind. Sie zeigen uns, dass dieser Mann Deutschland in seinem Kopf trägt, dagegen sehen wir auf seinem Herzen die türkische Flagge, was bedeutet, dass er die Türkei und die türkische Kultur in seinem Herzen hegt. In der einen Hand hat er ein Glas mit türkischem Rakı, in der anderen ein Glas mit deutschem Bier. Auch die Hose, die er trägt, zeigt uns die Kleidungsgewohnheiten beider Kulturen. Während die Türken im Allgemeinen klassische, lange Hosen tragen, haben die Deutschen lieber kurze Hosen. Bei der Diskussion ethnischer Unterschiede muss man sehr vorsictig sein. Sonst läuft man Gefahr, dass dadurch neue Vorurteile entstehen. Daher wäre vielleicht die obige Formulierung so besser: In Deutschland wird die Art der Kleidung eher dem Belieben des Individuums überlassen, während die diesbezügliche Flexibilität im türkischen Alltag geringer ist. Das Gleiche gilt auch für alkoholische Getränke. Die Diskussion mit den Studierenden muss ein ständiger Prozess von Verdeutlichung, Charakterisierung und Relativierung sein. Das ist natürlich schwer zu leisten, müsste aber in den Gedanken präsent sein. Das Wort zwei Planeten bringt die Studierenden auf die Idee, dass dieses auf Deutschland und auf die Türkei hinweist, weshalb der Mann seine Füße auf eine Landkarte stellt. Paradoxerweise steht aber die türkische Seite des Mannes auf der deutschen Landkarte, sein deutscher Teil auf der türkischen Landkarte. Damit wollen die Studierenden das Thema Migration und dessen Vorteile sowie die interkulturelle Kommunikation, das Zusammenleben und die Solidarität der Menschen aus verschiedenen Kulturen symbolisieren. 163 Eine andere Gruppe hat die zweite Strophe übernommen und sie bildlich dargestellt; Plakat 5: Der Mann mit zwei Welten Auf dem Plakat sieht man einen Mann, der in jeder Hand eine Welt trägt. Die beiden Welten stehen im Gleichgewicht; die eine ist Deutschland und die andere die Türkei. Auf seiner Stirn steht die Flagge von Deutschland, während er auf seinem Herzen die türkische Flagge trägt. Die Studierenden wollen mit diesem Plakat betonen, dass der Mann in sich zwei Welten trägt, von denen keine allein ganz ist. Deshalb haben die Studierenden auf dem Plakat ihre Worte zweisprachig geschrieben: Ich trage iki dünya (zwei Welten) in mir, ama (aber) keine ist ganz. Sie bluten daima (ständig). Integrationsprobleme, Anpassung und Leben in der Fremde führen zu Identitätsproblemen. Sie bleiben sowohl der deutschen Kultur als auch der türkischen Kultur fremd, und darunter leiden sie immer. Das Interesante an beiden Plakaten ist, dass der Kopf deutsch und das Herz türkisch ist. Mit dem Kopf wollen sie die Vernunft und mit dem Herz die Gefühle betonen. Die Türken in Deutschland sind mit ihren Gefühlen eigentich in ihrer Heimat, die meisten würden lieber in der Türkei leben, aber wegen ihrer ökonomischen Situation sind sie in Deutschland. Das Herz sagt etwas Anderes als der Kopf. 164 Auf dem folgenden Plakat sehen wir die dritte Strophe des Gedichtes, die von den Studierenden bildlich dargestellt wurde: Plakat 6: Die gebrochene Zweisprachigkeit Auf dem Plakat sehen wir die dritte Strophe, die auf zwei gegenüber gestellten Teilen geschrieben ist. Das Plakat ist mit einer Grenze mittendurch geschnitten, und auf der einen Seite stehen Bilder, die die deutsche Kultur reflektieren, während die Bilder auf der anderen Seite die türkische Kultur zeigen. Interessanterweise steht in der Mitte des Plakats ein Foto von einem Mädchen, das mittendurch in zwei Teile geteilt ist. Auf dem einen Teil des Mundes steht die deutsche Flagge und auf dem anderen Teil die türkische Flagge: auch das deutet auf die gebrochene Zweisprachigkeit bzw. auf die gespaltene Identität der MigrantInnen in Deutschland hin. Wir sehen außerdem einen Hinweis auf die Integration und die Anpassung durch türkische und der deutsche Ausweise. Auf dem deutschen Ausweis sieht man einen Mann mit einem türkischen Vornamen und einem deutschen Nachnamen. Er ist mit einer deutschen Frau verheiratet, was den Integrationsprozess eines solchen Migranten zeigt. 165 Die letzte Strophe thematisiert das Leid und die inneren Gefühle der MigrantInnen, die zwischen zwei Kulturen leben. Plakat 7: Der Koffer Auf dem Plakat sieht man eine weiße Taube, die sich selbst gefangen fühlt. Sie bleibt hinter dem Gitter, das in Form eines Koffers gemalt ist. Die Studierenden verweisen mit diesem Koffer auf die MigrantInnen, die aus ökonomischen Gründen ihre Heimat verlassen haben. Der auf zwei Welten gestellte Koffer symbolisiert die Gebundenheit der MigrantInnen an zwei Kulturen. Sie bleiben zwischen zwei Kulturen, trotzdem können sie weder auf Deutschland noch auf die Türkei verzichten. Während die Schmetterlinge ganz frei fliegen, fühlt sich die Taube in einem Koffer wie verhaftet. Aktivität 4: Bei dieser Aktivität haben die Studierenden ihre eigenen Gedanken über das Leben in einer multikulturellen Gesellschaft geschrieben, indem sie sich in die Position irgendeines Menschen stellen, der in einer multikulturellen Gesellschaft lebt. Sie haben versucht, sich die Vor- und Nachteile des Zusammenlebens der Menschen aus unterschiedlichen Kulturen vorzustellen. Im Folgenden zitieren wir zwei Beispiele: 166 Beispiel 1: Verschiedenheiten sind Reichtum [Kerem Erol] „Multikulturell“ bezeichnet eine Situation, in der mehrere Kulturen miteinander in Beziehung stehen. Die multikulturelle Gesellschaft ist wie ein wunderbares Gemälde. Eine jede Farbe bildet ein schönes Stück des Gemäldes. So ist es auch mit einer multikulturellen Gesellschaft. Wenn verschiedene Kulturen zusammenkommen, entsteht eine wirksame, dynamische Gesellschaft. Jede Kultur ist gleichzeitig eine Farbe; das Ideale für die Farben ist, miteinander zu harmonieren. Zum Beispiel leben in der Türkei verschiedene Kulturen miteinander. Diejenigen, die verschiedene Kulturen haben, lernen vieles voneinander. Daher ist es für die Kulturen vorteilhaft, sie zueinander näher zu bringen und enger zu verbinden. Wie eine schöne Melodie aus unterschiedlichen Noten besteht, so besteht auch eine schöne Gesellschaft aus unterschiedlichen Kulturen. Beispiel 2: Die Wechselwirkung [Funda Gürbüz] In meiner Gesellschaft gibt es verschiedene Menschen. Ihre Kulturen, Religionen und Gedanken sind verschiedener als wir. Die Menschen in dieser Gesellschaft sind ständig in der Wechselwirkung. Sie kennen verschiedene Kulturen und vielleicht verhalten sie wie die Menschen in anderer Kultur. Sie können sich wie sie anziehen oder sie können wie sie auch weinen oder lachen. Nämlich beginnen sie sich einander zu ähneln. Im Laufe der Zeit können sie nicht wissen, welcher Kultur sie gehören, denn sie unterschiedliche Kulturen haben. Die Kulturen beeinflussen viele Besonderheiten der Menschen, deshalb können sie wie einander verhalten, aber die Religionen wird von der Kultur nicht beeinflusst. Wir können in der Türkei sehen, dass die Menschen in die Kirche oder in die Mosche gehen. Die Menschen beten. Diese Sachen sind verschieden und die Menschen ähneln sich einander nicht. Kurz gesagt kann der Mensch zwischen zweien Kulturen nicht wissen, welcher er gehört, deshalb fühlt er sich durcheinander. In den beiden Beispielen ist es ganz klar zu sehen, dass die Studierenden auf die Wechselwirkung der Kulturen hinweisen. In dem ersten Beispiel stellt man die multikulturelle Gesellschaft mit einem Gemälde gleich, das aus der harmonischen 167 Kombination unterschiedlicher Farben besteht. Jede Farbe führt eine Kultur auf, die den Reichtum einer Gesellschaft vor Augen führt. Außerdem weist man in den Beispielen auf die soziale Struktur der Türkei hin, weil auch in der Türkei Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zusammen leben. Von Bedeutung ist, dass die Studierenden das Leben in einer multikulturellen Gesellschaft nicht als einen Nachteil, sondern als Reichtum sehen. Aktivität 5: In dieser Aktivität wurden den Studierenden zwei Fragen gestellt, die die Probleme der türkischen MigrantInnen in Deutschland thematisieren. Die gestellten Fragen sind: • Wie könnte es sein, dass jemand sich halb Türke und halb Deutscher fühlt? • Verändert sich die Einstellung der Menschen, wenn man zwei Heimaten hat? Wie?“. Die Studierenden haben ihre Meinungen über diese zwei Fragen mündlich zum Ausdruck gebracht und etwa 20 Minuten miteinander diskutiert. Im Folgenden zitieren wir einige Meinungen der Studierenden, damit wir besser verstehen können, ob sie die Thematik des Textes und das Ziel des Autors haben begreifen können. Zeynep Akduman; Ich fühle mich durcheinander, wenn ich mich halb Türke und halb Deutsche fühle. Ich kann meine Identität verlieren, wer ich bin, woher ich komme, was ich mache etc. Weder mich selbst noch die Deutschen kenne ich nicht ganz, deshalb bleibe ich immer halb. Mehmet Ali: Ich muss mein Leben in Deutschland weiterführen, aber die Deutschen sagen, „du, was machst du hier?“ Diese Frage führt mich zur Selbstkritik und deshalb kritisiere ich meine Situation in Deutschland. Wenn ich in Deutschland bin, möchte ich zurück in die Türkei und wenn ich in der Türkei bin, dann vermisse ich das Leben in Deutschland. Das ist ein Paradox, was ich lebe. Funda Gürbüz; Man kann im Ausland leben, aber dagegen nicht ganz integrieren. Wenn ich im Ausland lange Zeit lebe, dann fühle ich mich nicht als eine Türkin aber auch nicht als eine Deutsche. Ich bleibe zwischen zwei Kulturen. 168 Wie oben zitiert, haben die Studierenden Empathie gebildet und sich in die Position der MigrantInnen hinversetzt. Das Leben im Ausland führt sie zum Nachdenken und zur Selbstkritik, weil sie sich sowohl in Deutschland als auch in ihrer Heimat fremd fühlen. Nach den Studenten bleiben die MigrantInnen immer zwischen zwei Kulturen und zwei Ländern, was bei ihnen Identitätsprobleme auftauchen lässt. 5.2.5.4. Textanalyse Das autobiographische Gedicht Şenocaks skizziert ein klares Bild der Situation der Jugendlichen in einer multikulturellen Gesellschaft und spiegelt nicht nur die Gefühle der türkischen MigrantInnen, sondern auch diejenigen aller MigrantInnen aus verschiedenen Nationen, die in Deutschland leben. Das Hauptthema des Gedichts ist die Identitätsproblematik der Jugendlichen in Deutschland, für deren Ausdruck der Autor sich metaphorischer Wörter bedient. Die Metaphern symbolisieren eine Situation, die die Sorgen und Probleme der MigrantInnen enthalten. Die mit dem Titel Doppelmann betonte doppelte Identität weist auf die Spannung zwischen Gefühlen und Realität der Emigranten im Ausland. Diese Spannung führt sie schrittweise zu einer doppelten Identität. In der ersten Strophe zeichnet der Autor ein Bild eines Ausländers, der sich zu zwei Ländern gehörig fühlt. Einen seiner Füße hat er auf dem einen Planeten (die Türkei), während sein anderer Fuß auf dem anderen Planeten (Deutschland) steht. Die beiden Länder stehen nebeneinander wie Einzelteile. Der Ausländer eignet sich die Kultur, das gesellschaftliche Leben und die Probleme beider Länder an. Unerwartete schlechte Ereignisse in beiden Ländern wirken auf ihn gleichwertig. Wie in der ersten sieht man auch in der zweiten Strophe zwei Welten, die die deutsche und türkische Kultur symbolisieren. Man betont in dieser Strophe, dass die MigrantInnen sich deshalb weder die deutsche noch die türkische Kultur vollständig aneignen können, weil sie sowohl körperlich als auch selisch zwischen beiden Kulturen hin- und herlaufen, was ihnen Leid und Sorgen bereitet. Dieses Schwanken und seine Nachwirkungen verursachen eine dritte Kultur, die man auch als Zwischenkultur bzw. Subkultur oder - in Analogie zum linguistischen Begriff Interlenguage - als Interkultur 169 bezeichnen kann. Die Spuren der Zwischenkultur sieht man bei fast allen MigrantInnen als verbales oder nonverbales Verhalten. In der dritten Strophe wird z.B. die Sprachhaltung der MigrantInnen betont. Der Autor fühlt sich, als ob seine Zunge, die zwei Sprachen spricht, mittendurch geschnitten sei. Einen Teil seiner Zunge bringt die türkische Kultur und ihr Einfluss zum Ausdruck, während der andere Teil die deutsche Kultur äußert. In der letzten Strophe betont der Autor dagegen, dass er eine starke Verantwortung in sich fühlt, über diese Themen zu schreiben, obwohl er leidet, wenn er darüber nachdenkt oder schreibt. 5.2.6. Unterrichtsmodell 6: Tierweisungen VI 5.2.6.1. Textinhalt Im Gedicht Tierweisungen geht es um „Arbeitermigration von der Türkei nach Deutschland“. In diesem Gedicht werden deshalb zwei Symbole hervorgehoben, nämlich der Baum und die Vögel, weil der Autor über diese zwei Begriffe hinaus auf das Verlassen des eigenen Landes deuten will. 5.2.6.2. Lernaktivitäten Anhand dieses Gedichtes werden wir vier Aktivitäten angehen, mit dem Ziel, die Studierenden aktiver zu machen und ihre Fertigkeiten zu entwickeln. Zu diesen Fertigkeiten zählen wir besonders die Schreib-, Sprech- und Teamarbeitsfähigkeit bzw. die Kommunikationsbereitschaft. Daneben werden die Studierenden ihre Erfahrungen über die Folgen der Migration erweitern. Aktivität 1: Die Studierenden werden zuerst die Metaphern (acht Metafern) im Text entdecken. Worauf deuten die Metaphern hin? Machen Sie eine Tabelle mit den Metaphern samt ihren Bedeutungen? Aktivität 2: Stellen Sie die Metaphern im Text bildlich auf einem Plakat dar! Zeichnen Sie bitte ein Bild, das dem Thema passt! Aktivität 3: Zur Schreibfähigkeit: Könnte man vom Text ausgehend sagen, dass die MigrantInnen ein Stück von ihnen zu Hause hinterlassen haben? Was ist dieses Stück? Schreiben Sie bitte ihre Gedanken nieder! 170 Aktivität 4: Mit der Tatsache, dass der Text im Hinblick auf die Rezeption der türkischen MigrantInnen in Deutschland zwei Welten darstellt, setzen sich die Studierenden durch folgende Fragen auseinander: • Was ist Heimat und Fremde? • Wie könnt ihr diese zwei Begriffe vergleichen?“ 5.2.6.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten Aktivität 1: Nach dem Vorlesen des Textes haben die Studierenden versucht, die Metaphern zu entdecken. Diese Aktivität haben wir durchgeführt, um die ersten Eindrücke der Studierenden zu erfahren und festzustellen, ob sie im ersten Blick die Kodes richtig gelöst haben. Die von den Studierenden festgestellten Metaphern: Der Baum weist auf die Türkei hin. Baum = Türkei Der Vogel weist auf die Migranten hin. Vogel = Migranten Die Farben weisen auf die unterschiedlichen ethnischen Gruppen hin. Farben = ethnische Gruppe Andere Namen weisen auf die Leute hin, die in der Türkei leben. Namen = Ali, Hasan, Mehmet etc. Unterm Baum symbolisiert Deutschland. Unterm Baum = Deutschland Vogel neben Vogel symbolisiert die Menschenmenge, die aus unbekannten Menschen besteht. Vogel neben Vogel = Menschenmenge Gleiche Farbe symbolisiert die Türken, d.h. die Migranten in Deutschland. Gleiche Farbe = Türken in Deutschland Gleiche Namen symbolisieren die Gastarbeiter oder Ausländer. Gleiche Namen = Ausländer Die Studierenden haben also acht metaphorische Wörter festgestellt. Im Laufe des Unterrichts haben wir das Thema und unsere Analyse vertieft und somit kontrolliert, ob die oben vorgestellten Metaphern richtig gelöst wurden. Aktivität 2: Bei dieser Aktivität haben die Studierenden die festgestellten Metaphern auf zwei Plakaten bildlich dargestellt. Es ist von Bedeutung zu sagen, dass die Studierenden auf dem ersten Plakat die ersten zwei Strophen des Gedichts und auf dem zweiten Plakat die letzten zwei Strophen gemalt haben. 171 Bild 1: Die Vögel auf dem Baum (oben) 172 Bild 2: Migration und ihre Folgen 173 In Anlehnung an das erste Bild kann man sagen, dass die Studierenden die ersten zwei Strophen ganz konkret gemalt haben, ohne die Symbole und Metaphern zu berücksichtigen. Auf der linken Seite des Bildes sieht man die Welt der Vögel, d.h. einen Baum mit unterschiedlichen Vögeln. Auf den Ästen sind die Vögel mit ihren Namen und Farben gemalt. Diese Aktivität hat den Studierenden die Möglichkeit gegeben, die Namen vieler Vogelarten zu lernen und somit ihren Wortschatz zu bereichern. Darunter zählt man Zaunkönig, Kuckkuck, Singvogel, Eule, Papagei, Taube, Wachtel, Elster, Regenpfeife, Rabe, Sperling, Kanarienvogel, Schmetterling etc. Auf der rechten Seite sieht man dagegen einen kahlen Baum, der all seine Blätter (Vögel), die auf dem Boden tot liegen, verloren hat. Darüber hinaus könnte man sagen, dass das Verlassen der eigenen Heimat Schwierigkeiten und Tod mit sich bringt. Auch auf dem zweiten Bild sind zwei Bäume, die die Türkei und Deutschland symbolisieren. Auf der linken Seite des Bildes steht ein Baum, der die Türkei symbolisiert. Auf seinen Ästen gibt es diesmal keine Vögel, sondern türkische Namen wie z.B. Yusuf, Müzeyyen, Zafer, Selman, Demet, Burcu, İpek, Hasan und Fatma. Diese Namen verlassen die Türkei und emigrieren nach Deutschland. Danach haben sie nicht mehr verschiedene Namen: alle heißen Ausländer. Der Begriff Ausländer und sein Einfluss auf die Deutschen wurden im Unterricht durch Karikaturen verfestigt; Abb. 1: Überall Ausländer 174 Abb. 2: Ausländer Die Studierenden haben anhand des Bildes, das sie in Bezug auf die zweite Aktivität gemalt haben, versucht, das Gedicht bildlich darzustellen. Nach dieser Aktivität kamen die Studierenden zur Idee, dass dieses Gedicht die positive und negative Nachwirkung der Migration total symbolisiert. Aktivität 3: Ausgehend von den Fragen • Könnte man sagen, dass die MigrantInnen ein Stück von ihnen zu Hause hintergelassen haben? • Was ist dieser Stück? haben die Studierenden versucht, im Hinblick auf das Gedicht ihre eigenen Gedanken zusammenzufassen. Diese Aktivität wurde mit Schreibfähigkeit der Studierenden zu fördern. dem Ziel durchgeführt, die 175 Aktivität 4: Darüber hinaus, dass der Text im Hinblick auf die Aufnahme der türkischen MigrantInnen zwei Welten darstellt, setzen sich die Studierenden mit zwei Fragen auseinander: „Was ist Heimat und Fremde? Wie könnt ihr diese zwei Begriffe vergleichen?“ 5.2.6.4. Textanalyse Das Gedicht Tierweisungen, das aus vier Strophen mit je zwei Versen besteht, beschreibt ein Bild von türkischen MigrantInnen in Deutschland und von ihrer Situation im gesellschaftlichen Leben. In den ersten zwei Strophen, die sowohl einzeln als auch zusammen analysiert werden können, beschreibt man einen Baum, auf den sich viele Arten von Vögeln setzen. Es ist von Bedeutung, diese Verse schrittweise zu analysieren und die Symbole mit ihren Lösungen schematisch darzustellen. Alle Verse können sowohl konnotativ (metaphorisch) als auch denotativ interpretiert werden. Der Baum verlor Vogel für Vogel: In diesem Vers beschreibt der Autor einen Baum, der seine Vögel wie seine Blätter nach und nach verliert. Darüber hinaus könnte man sagen, dass der Autor in Analogie zum Fallen der Blätter ein Bild vom Ausfliegen der Vögel beschreibt. Symbolisch gesehen erscheint der Baum als ein Land, wo die Menschen zusammenleben. Im Hinblick auf das Thema „Migration der Türken nach Deutschland“ symbolisiert der Baum die Türkei. In Anlehnung daran symbolisieren die Vögel die Emigranten, die in den 60er Jahren nach Deutsachland emigriert sind. Jeder trug andere Farben / einen anderen Namen: In diesem Vers ist die Rede von Vögeln, die unterschiedliche Namen und Farben haben. Metaphorisch weist aber der Autor auf die Menschen hin, die mit einer Gesamtheit unterschiedlicher Kulturen ein Land bzw. eine Gesellschaft bilden. Davon ausgehend könnte man sagen, dass die Farben die ethnischen Gruppen in einem Land und auch die Menschen mit einer Vielfalt an Charakteren, Berufen etc. symbolisieren. Die Metapher einen anderen Namen haben deutet auf die Vielfalt der Menschennamen in der Türkei. Unterm Baum lag Vogel neben Vogel: Wir haben schon gesagt, dass der Baum die Türkei und die Vögel die türkischen Migranten symbolisieren. Von diesem Standpunkt 176 aus tritt unterm Baum als Deutschland auf, wohin die Türken in den 60er Jahren aus ökonomischen Gründen emigriert sind. Man betont in diesem Vers, dass die türkischen Emigranten eine Gruppe gebildet haben. Diese Menschenmenge hat sich lange Zeit aus dem deutschen Leben isoliert; das hatte teils politische, teils soziale Gründe. Jeder trug die gleiche Farbe / den gleichen Namen: Die Menschen, die in der Türkei eine Vielfalt an Kulturen, Berufen und Charakteren gebildet hatten, haben in Deutschland denselben Namen: Ausländer. Die gleiche Farbe symbolisiert hier die Türken und die türkische Kultur (bzw. die Subkultur in Deutschland), und der gleiche Name symbolisiert alle Ausländer. Die folgende Karikatur konkretisiert diesen Blickw 5.2.7. Unterrichtsmodell 7: Dütschlünd, Dütschlünd übür üllüs 5.2.7.1. Textinhalt Im Text erzählt man von den Schwierigkeiten auf dem Weg zur deutschen Staatsbürgerschaft. Eine türkische Familie, die sich jahrelang um die Einbürgerung bemüht, versucht immer wieder die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten und gibt ihre Hoffnung nie auf. Für eine Einbürgerung müssen sie die Einbürgerungsprüfung, die aus unterschiedlichen sozialen, kulturellen und politischen Fragen besteht, schaffen. Obwohl sich Herr Engin unaufhörlich auf die Prüfung vorbereitet und dazwischen fast alle Autoren der deutschen Literatur und die deutsche Nationalhymne sehr gut studiert, kann er die Prüfung auf keinen Fall bestehen. Um der Bürokratie zu entkommen, kommt er zur Idee, einen russischen Ausweis zu bekommen und sich als RusslandDeutscher einzubürgern zu lassen. 5.2.7.2. Lernaktivitäten Ausgehend von diesem Text zielt man darauf, insgesamt vier Aktivitäten durchzuführen, die dazu dienen, die Schreib-, Sprech- und Kommunikationsfähigkeit der Studierenden zu fördern sowie ihre Kenntnisse über die deutsche Literatur und Landeskunde zu erweitern. Aktivität 1: Zur Schreibfähigkeit: Die Studierenden versuchen, den Text mit seinen zentralen Problemen kurz zusammenzufassen! 177 Aktivität 2: Diskussionspunkt zur Sprech- und Kommunikationsfähigkeit; Erste Phase: Was sind die Kriterien, die deutsche Staatsangehörigkeit zu bekommen? Zitieren Sie bitte die Stellen im Text und stellen sie sie zur Diskussion! Zweite Phase: Der Ausländertext, dessen Fragen die Themenfelder Politik in der Demokratie, Geschichte und Verantwortung sowie Mensch und Gesellschaft umfasst, wird mit Overheadprojektor an die Wand gespiegelt; die Studierenden haben sich bemüht, über die Frage nachzudenken und sie zu beantworten. Diese Phase dient dazu, die landeskundlichen Kenntnisse über Deutschland zu vertiefen. Aktivität 3: Als Hausaufgabe untersuchen die Studierenden die deutschen Autoren, die im Text erwähnt werden; sie stellen fest, zu welchen Epochen sie gehören! Aktivität 4: Diskussionspunkt zur Sprech- und Kommunikationsfähigkeit: Warum ist es für die Türken in Deutschland so wichtig, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen? 5.2.7.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten Aktivität 1: In dieser Aktivität haben die Studierenden den Text zusammengefasst: zentrale Themen des Textes sollen geschont bleiben. Voraussetzung ist, die Kohärenz des Textes nicht zu verlieren. Unten sind einige Zitate aus den Arbeiten der Studierenden: [Nihal Avdar]: Osman Engin ist ein Türke, der eine deutsche Staatsbürgerschaft bekommen will. Er hat drei Töchter, zwei Söhne und eine Frau. Seine zweijüngste Tochter heißt Zeynep, die immer plaudert. Herr Engin nahm sie zu den traditionellen Behörden einmal mit. Als Engins zuständige Sacharbeiterin Kottzmeyer ihn etwas fragte, gemischte sie das Gespräch zwischen dem Vater und der Sacharbeiterin und blamierte sie seinen Vater. Deshalb nahm er sie nie wieder mit. Herr Engin hat vielmals Prüfungen für einen deutschen Pass gehabt, aber er hat die Prüfungen nicht bestehen können. Um die nächste Prüfung bestehen zu können hat er die deutsche Nationalhymne, alle Titel von Goethe und 178 Schillers Werken gelernt. Und die Biographien von Lassalle, Feuerbach, Hegel und Karl May hat er studiert. Er ist in ein Zimmer für die Prüfung hineingetreten. Frau Kottzmeyer hat ihn etwas über die deutsche Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts gefragt. Obwohl er viele Dinge über moderne deutsche Literatur gelernt hat, war es für die Prüfung nicht genug. Wieder hat er leider die Prüfung nicht bestehen können, weil sie zu schwer war. Es war fast unmöglich, diese Prüfung zu bestehen. Zum Schluss hat er russische Ausweise gekriegt, denn das war ihre einzige Möglichkeit, dieser Bürokratie zu entkommen. Somit haben sie innerhalb 14 Tagen eingebürgert. [Bahar Kotan]; In diesem Text erzählt der Autor uns eine wichtige Sache; Das ist die deutsche Staatsbürgerschaft. Es gibt eine Familie. Der Vater heißt Osman, der fünf Kinder, darunter drei Töchter hat. Er will die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Der Autor erzählt über die Schwierigkeiten der Einbürgerung mit ironischen und komischen Dialogen. Die Frau von Osman möchte ein halbes Kilo Hackfleisch und noch die deutsche Staatsbürgerschaft. Hier meint der Autor, dass die deutsche Staatsbürgerschaft für die Türken schwer, sogar ein Traum sei. Osman bewerbt sich um die Einbürgerung häufig. Er muss eine Prüfung bestehen, um deines Ziel zu erreichen. Wenn er einen deutschen Pass haben würde, würde er für sich und für seine Familie viele Möglichkeiten haben. Leider hatte er kein Glück und jedes Mal geht er nach Hause ohne Pass zurück, weil er auf die Fragen immer die falschen Antworten gab. Am Schluss hat er die russischen Ausweise gekriegt, weil er somit leichter eingebürgert werden können. Für einen Türken ist alles schwerer in Deutschland. [Funda Gürbüz]; In diesem Text geht es um die Staatsangehörigkeitsprobleme der Türken. Eine türkische Familie wohnte in Deutschland und wollte die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, aber dafür sollten sie zuerst eine Prüfung bestehen, deshalb lernte Herr Osman viel, aber er konnte die Prüfung nicht bestehen. Danach erhielt er russische Ausweise, denn in Deutschland ist es leicht, als ein Russe die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. 179 Das, was in diesem Text uns erzählt wird, ist eine Diskriminierung, welches uns eindeutig zeigt, dass die Deutschen Vorurteile haben. In Deutschland haben die Türken viele Geschäfte und leben da tausende Türken, deshalb haben die Deutschen vor Türken Angst. Vielleicht denken sie daran, dass Deutschland besetzen. Kurz gesagt ist es für die Türken schwer, deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. [Şirin Serpen]; Im Text handelt es sich um eine Familie, die deutsche Staatsbürgerschaft und Pass haben möchten. Die Familie hat fünf Kinder. Sie leben in Deutschland aber haben keine deutsche Staatbürgerschaft. Am Anfang beginnen sie dem Tag mit den Scherzen, obwohl sie normalerweise nicht so sind. Um die deutsche Staatbürgerschaft zu bekommen müssen die Ausländer eine Prüfung bestehen, die von der deutschen Regierung veranstaltet wird. Jede Woche geht Herr Osman zu den traditionellen Behördengängen, aber er konnte bis heute keinen Erfolg haben. Er studiert für die heutige Prüfung viel. Er lernt deutsche Autoren, deutsche Nationalhymne und noch vieles über die deutsche Kultur. Trotzdem macht er bei der Prüfung Fehler. Demzufolge ist er zur Idee gekommen, russische Ausweise zu bekommen, denn die Russen können deutsche Staatbürgerschaft unschwer haben. Hier haben wir unter anderem vier Zitate, die die zentralen Motive des Textes beinhalten. Wichtig ist zu betonen, dass die Studierenden vermieden haben, ihre eigenen Gedanken zu schreiben. Sie wussten, dass sie den Text nur zusammenfassen sollen und bei einer Zusammenfassung die eigenen Gedanken nicht einfließen dürfen. Bei der Zeitform ist dagegen kein richtiger Zusammenhang zu sehen. Die Studierenden haben ihre Aufgaben nicht in einer Zeitform abgefasst; neben dem Präsens haben sie auch das Präteritum benutzt. In diesem Zusammenhang haben wir die Studierenden auch über die Schreibtechniken informiert. Aktivität 2: Diese Aktivität besteht aus zwei Phasen, die zur Förderung der Sprechund Kommunikationsfähigkeit sowie zum landeskundlichen Wissen dienen. Erste Phase: Hier geht es um die Frage: „Welches Kind erhält welche Staatsangehörigkeit?“. Ausgehend von der Äußerung Ich enterbe alle meine acht in Deutschland geborenen Kinder, wenn es nicht wenigstens einer von ihnen innerhalb der nächsten zehn Jahre schafft, die 180 deutsche Staatsangehörigkeit zu bekommen. Ich will nicht, dass meine Enkelkinder diesen Schwachsinn auch noch mitmachen müssen, den wir aus dem Text zitierten, haben wir diese Aktivität zu realisiert22: Frage: Welches Kind erhält welche Staatsangehörigkeit? 1. In einem deutschen Flugzeug auf dem Weg von Kairo nach Frankfurt kommt über München ein Kind zur Welt. Die Mutter ist Italienerin. 2. In einem US-amerikanischen Flugzeug auf dem Weg von Kairo nach Frankfurt kommt über München ein Kind zur Welt. Die Mutter ist Italienerin. Die Studierenden haben über diese Fälle diskutiert und versucht, Antworten auf diese Fragen auszudenken. Nach einer kurzen Zeit haben sie die Antworten auf die Tafel gespiegelt; die Reaktionen waren überraschungsvoll. Lösungen: 1. In Deutschland gilt: Ein Kind erhält die Staatsangehörigkeit der Eltern – unabhängig vom Geburtsort. 2. In den USA gilt: Ein Kind, das auf dem Territorium der Vereinigten Staaten geboren wird, hat das Recht auf die Staatsangehörigkeit der USA. Das Flugzeug ist „Territorium“ der USA. Zweite Phase: Zuerst wurde von den Studierenden erwartet, ihre Gedanken über die alten und neuen Kriterien der Einbürgerung auszutauschen. Nach einem kurzen Gedankenaustausch haben wir eine kurze Internetrecherche durchgeführt und aus EZeitungen über die Einbürgerung kurze Texte gelesen. Wichtig ist in diesem Punkt den Studierenden zu vermitteln, dass es bis vor einigen Jahren ausreichend war, in Deutschland 5 Jahre zu arbeiten, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. Nach dem neuen Gesetz müssen aber die Ausländer an einem Wissenstest teilnehmen und ihn bestehen, um die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen zu können. Aus dem Textkatalog, der aus 300 Testfragen besteht, wählt man 33 Fragen aus und diese Fragen stellt man dem Bewerber, der Deutscher werden will. Ein Ausländer, der die deutsche Staatsbürgerschaft haben will, muss mindestens 17 von den 33 ausgewählten Fragen richtig beantworten. Die Testfragen, die vom Institut zur Qualitätsentwicklung im 22 Diese Aktivität wurde zitiert aus der Zeitschrift “Miteinander Leben in Europa, Lese- und Arbeitshefte zur Deutschen Landeskunde”, Heft Drei; Nation- Einheit und Vielfalt”, S. 6, Körber-Stiftung, 2000. 181 Bildungswesen (IQB) der Berliner Humboldt-Universität23 entwickelt wurden, umfassen die Themenfelder "Politik in der Demokratie", "Geschichte und Verantwortung" sowie "Mensch und Gesellschaft". Die Prüfung bzw. der Ausländertext wurde mit Overheadprojektor an die Wand gespiegelt. Das Ziel dieser Aktivität besteht darin, die landeskundlichen Kenntnisse der Studierenden über die Deutschen und Deutschland zu bereichern. Im Folgenden zitieren wir einige Fragen aus verschiedenen Themenbereichen, die während der Aktivität beantwortet wurden. Testfragen24: Frage 1: Grundrechte In Deutschland dürfen Menschen offen etwas gegen die Regierung sagen, weil … Frage 3: Verfassungsprinzipien Deutschland ist ein Rechtsstaat. Was ist damit gemeint? _ hier Religionsfreiheit gilt. _ die Menschen Steuern zahlen. _ die Menschen das Wahlrecht haben. _ Alle Einwohner / Einwohnerinnen und der Staat müssen sich an die Gesetze halten. 23 Für weitere Informationen über die Entwicklung der Testfragen siehe; http; //www.iqb.huberlin.de/institut 24 Die Testfragen wurden aus http; //www.i-punkt-projekt.de/downloads/einbuergerungstestlernkarten.pdf zitiert. (Am 25.05.2009) 182 _ hier Meinungsfreiheit gilt. Frage 4: Grundrechte Welches Recht gehört zu den Grundrechten in Deutschland? _ Der Staat muss sich nicht an die Gesetze halten. _ Nur Deutsche müssen die Gesetze befolgen. _ Die Gerichte machen die Gesetze. Frage 22: Verfassungsprinzipien Was für eine Staatsform hat Deutschland? _ Waffenbesitz _ Faustrecht _ Meinungsfreiheit _ Selbstjustiz _ Monarchie _ Diktatur _ Republik _ Fürstentum Frage 24: Föderalismus Wie viele Bundesländer hat die Bundesrepublik Deutschland? Frage 28: Verfassungsorgane Wer wählt in Deutschland die Abgeordneten zum Bundestag? _ 14 _ 15 _ 16 _ 17 Frage 33: Religiöse Vielfalt Welche Aussage ist richtig? In Deutschland… _ das Militär _ die Wirtschaft _ das wahlberechtigte Volk _ die Verwaltung Frage 40: Staatssymbole Mit welchen Worten beginnt die deutsche Nationalhymne? _ sind Staat und Religionsgemeinschaften voneinander getrennt. _ bilden die Religionsgemeinschaften den Staat. _ ist der Staat abhängig von den Religionsgemeinschaften. _ bilden Staat und Religionsgemeinschaften eine Einheit. Frage 59: Wӓhlen und Parteien Welche Parteien wurden in Deutschland 2007 zur Partei „Die Linke“? _ Völker, hört die Signale ... _ Einigkeit und Recht und Freiheit ... _ Freude schöner Götterfunken ... _ Deutschland einig Vaterland ... _ CDU und SSW _ PDS und WASG _ CSU und FDP _ Bündnis 90/Die Grünen und SPD Frage 72: Verfassungsorgane Wie heißt der jetzige Bundeskanzler/ die jetzige Bundeskanzlerin von Deutschland? _ Friedrich von Schiller _ Clemens Brentano _ Johann Wolfgang von Goethe _ Heinrich Hoffmann von Fallersleben Frage 78: Wahlen und Parteien Was bedeutet die Abkürzung SPD? _ Gerhard Schröder _ Jürgen Rüttgers _ Klaus Wowereit _ Angela Merkel Frage 66: Staatssymbole Wer schrieb den Text zur deutschen Nationalhymne? _ Sozialistische Partei Deutschlands _ Sozialpolitische Partei Deutschlands _ Sozialdemokratische Partei Deutschlands _ Sozialgerechte Partei Deutschlands 183 Frage 96: Pflichten Was muss jeder deutsche Staatsbürger/jede deutsche Staatsbürgerin ab dem 16. Lebensjahr besitzen? Frage 132: Kommune Viele Menschen in Deutschland arbeiten in ihrer Freizeit ehrenamtlich. Was bedeutet das? _ einen Reisepass _ einen Personalausweis _ einen Sozialversicherungsausweis _ einen Führerschein _ Sie arbeiten als Soldaten / Soldatinnen. _ Sie arbeiten freiwillig und unbezahlt in Vereinen und Verbänden. _ Sie arbeiten in der Bundesregierung. _ Sie arbeiten in einem Krankenhaus und verdienen dabei Geld Frage 151: Nationalsozialismus Der Zweite Weltkrieg dauerte von… Frage 138: Recht und Alltag Was kann ich in Deutschland machen, wenn mir mein Arbeitgeber / meine Arbeitgeberin zu Unrecht gekündigt hat? _ weiter arbeiten und freundlich zum Chef / zur Chefin sein _ ein Mahnverfahren gegen den Arbeitgeber / die Arbeitgeberin führen _ Kündigungsschutzklage erheben _ den Arbeitgeber Frage 158: Nationalsozialismus Das „Dritte Reich“ war eine… _ Diktatur. _ Demokratie. _ Monarchie. _ Räterepublik. Frage 172: Nachkriegsgeschichte In welcher Besatzungszone wurde die DDR gegründet? In der… _ amerikanischen Besatzungszone. _ französischen Besatzungszone. _ britischen Besatzungszone. _ sowjetischen Besatzungszone. Frage 196: Wiedervereinigung Warum nennt man die Zeit im Herbst 1989 in der DDR „die Wende“? In dieser Zeit veränderte sich die DDR politisch… _ von einer Diktatur zur Demokratie. _ von einer liberalen Marktwirtschaft zum Sozialismus. _ 1914 bis 1918 _ 1933 bis 1945 _ 1939 bis 1945 _ 1939 bis 1949 Frage 166: Nachkriegsgeschichte Wie hieß bis zum Jahre 2002 die Währung in der Bundesrepublik Deutschland? _ Deutsche Mark _ Reichsmark _ Deutsches Geld _ Reichsgeld Frage 186: Nachkriegsgeschichte Im Jahr 1953 gab es in der DDR einen Aufstand, an den lange Zeit in der Bundesrepublik Deutschland ein Feiertag erinnerte. Wann war das? _ 1. Mai _ 17. Juni _ 20. Juli _ 9. November Frage 213: Deutschland in Europa Wie viele Einwohner hat Deutschland? _ 70 Millionen _ 78 Millionen _ 82 Millionen _ 90 Millionen 184 _ von einer Monarchie zur Sozialdemokratie. _ von einem religiösen Staat zu einem kommunistischen Staat. Frage 231: Deutschland in Europa Was bedeutet der Begriff „europäische Integration“? Frage 244: Bildung Welchen Schulabschluss braucht man normalerweise, um an einer Universität in Deutschland ein Studium zu _ Damit sind amerikanische Einwanderer in beginnen? Europa gemeint. _ das Abitur _ Der Begriff meint den _ ein Diplom Einwanderungsstopp nach Europa. _ die Prokura _ Damit sind europäische Auswanderer in _ eine Gesellenprüfung den USA gemeint. _ Der Begriff meint den Zusammenschluss europäischer Staaten zur EU. Frage 251: Recht und Alltag Frage 289: Grundrechte Wenn man in Deutschland ein Kind Ein Mann mit dunkler Haut bewirbt sich schlägt,… um eine Stelle als Kellner in einem Restaurant in Deutschland. Was ist ein _ geht das niemanden etwas an. Beispiel für Diskriminierung? Er _ geht das nur die Familie etwas an. bekommt die Stelle nur deshalb nicht, _ kann man dafür nicht bestraft werden. weil… _ kann man dafür bestraft werden. _ seine Deutschkenntnisse zu gering sind. _ er zu hohe Gehaltsvorstellungen hat. _ er eine dunkle Haut hat. _ er keine Erfahrungen im Beruf hat. Frage 295: Religiöse Vielfalt Frage 297: Migrationsgeschichte Welche Religion hat die europäische und Aus welchem Land sind die meisten deutsche Kultur geprägt? Migranten/ Migrantinnen nach Deutschland gekommen? _ der Hinduismus _ das Christentum _ Italien _ der Buddhismus _ Polen _ der Islam _ Marokko _ Türkei Frage 299: Migrationsgeschichte Frage 300: Migrationsgeschichte Ausländische Arbeitnehmer und Aus welchem Land kamen die ersten Arbeitnehmerinnen, die in den 50er- und Gastarbeiter/ Gastarbeiterinnen nach 60er- Jahren von der Bundesrepublik Deutschland? Deutschland angeworben wurden, nannte man… _ Italien _ Spanien _ Schwarzarbeiter/Schwarzarbeiterinnen. _ Portugal _ Gastarbeiter/Gastarbeiterinnen. _ Türkei _ Zeitarbeiter/Zeitarbeiterinnen. _ Schichtarbeiter/Schichtarbeiterinnen. 185 Die erste Frage des Wissenstextes ist mit dem Inhalt unseres Textes „Dütschlünd Dütschlünd“ eng verbunden. Sie thematisiert die Grundrechte der deutschen Einwohner und besagt, dass sich Menschen in Deutschland über die Regierung hemmungslos äußern dürfen, weil es hier die Meinungsfreiheit gibt. Das gilt auch für Zeitschriften, Karikaturen und Comics etc, die ihre Kritik besonders gegen die Politiker richten. Dagegen ist es unschwer festzustellen, dass die Menschen im Alltagsleben die Kritik gegen die Politiker vermeiden, weil sie der Meinung sind, dass so etwas ihre staatliche Betätigung erschweren könnte. In dieser Hinsicht bringt Osman, der Held der Geschichte, seine Meinung zum Ausdruck: Es könnte bei unserer Einbürgerung noch größere Schwierigkeiten geben, wenn es raus käme, dass wir uns auf offener Straße über unsere Staatsmänner lustig machen. Die vierte Frage kann man gleichfalls in dieser Richtung bewerten. Die Frage 40 „Mit welchen Worten beginnt die deutsche Nationalhymne?“ ist für uns auch von Bedeutung, weil im behandelten Text über die Nationalhymne, aber besonders über ihre Aussprache viele Meinungen und Scherze zum Ausdruck gebracht werden. In diesem Zusammenhang spielt die Frage 66 „Wer schrieb den Text zur deutschen Nationalhymne?“ bei der Vermittlung landeskundlicher Kenntnisse eine besondere Rolle. Die Fragen 297, 299 und 300 schließen dagegen Kenntnisse über die Migrationsgeschichte ein, was mit dem behandelten Thema eng verbunden ist. Wir haben auch über die übriggebliebenen Fragen kurze Diskussionen geführt. Wichtig ist auch, dass wir durch die Testfragen den Studierenden fast alle politischen, sozialen und kulturellen Themenbereiche der deutschen Landeskunde vermitteln konnten. Zu diesen Bereichen zählt man unter anderem „Grundrechte“, „Verfassungsprinzipien“, „Wahlen und Parteien“, Staatssymbole“, „Sozialsystem“, „Föderalismus“, „religiöse Vielfalt“, „Verfassungsorgane“, „Aufgaben des Staates“, „Nachkriegsgeschichte“, „Kommune“, „Pflichten“, „Rechts und Alltag“, „Nationalsozialismus“, „Deutschland in Europa“, „Wiedervereinigung“, „Bildung“, „interkulturelles Zusammenleben“ und „Migrationsgeschichte“. Zusammenfassend kann man also sagen, dass die kommunikative Bearbeitung dieser die Studierenden in sprachlicher, beruflicher und sozialer Hinsicht sensibilisiert. Aktivität 3: Während des Vorlesens des Textes sind die Studierenden einigen Namen deutscher Philosophen und Autoren begegnet, die sie schon kannten. Nach dem 186 Vorlesen haben wir den Studierenden Fragen über diese Autoren gestellt. Aber weil sie noch im ersten Studienjahr sind, kamen fast keine Antworten. Nach dem Curriculum der Abteilung für Deutschlehrerausbildung studieren sie im Sommer- und Wintersemester des zweiten Studienjahres „Deutsche Literatur“. Erst hier finden sie eine Gelegenheit, Kenntnisse über die deutsche Literatur zu erwerben. Diese Aktivität hat den Studierenden ermöglicht, die im Text genannten deutschen Autoren und Philosophen zu recherchieren und über sie ein kurzes Referat zu halten. Unbestritten ist es, dass die im Text genannten Autoren im Hinblick auf die deutsche Literatur- und Philosophiegeschichte einen wichtigen Platz haben; deshalb haben sich die Studierenden in ihren Referaten stichwortartig auf die geschichtliche Bedeutung dieser Autoren konzentriert. Unten geben wir einige Stellen über diese Autoren und Philosophen; Johann Wolfgang von Goethe Referat von Aslı Hotalak Friedrich von Schiller Referat von Şengül Çiftçi Ferdinand Lassalle Referat von Şenay Bal Ludwig Feuerbach Referat von Elif Sam 1749-1832. Er war ein Dichter, ein Autor und ein Wissenschaftler. Wie Schiller ist er der Begründer der literarischen Epoche Sturm und Drang. Er hatte mit Schiller eine gute Freundschaft und Arbeiten. Er interessierte sich mit Wissenschaften und Natur, sowie mit Literatur von Mittelalter und Orient. Er hat viele Dramen, Romane, Novelle und Gedichte geschrieben. Die Leiden des Jungen Werthers, Faust, Die Wahlverwandtschaften sind seine bekannten Werke. 1759-1805. Ein deutscher Dichter, Dramatiker. Begründer der literarischen Epoche Sturm und Drang. Viele seiner Theaterstücke gehören zum Standardrepertoire der deutschsprachigen Theater. Seine Gedankenlyrik wurde exemplarisch und seine Balladen zählen zu den beliebtesten deutschen Gedichten. Neben Goethe, Herder und Wieland ist er der wichtigste Vertreter der Weimarer Klassik. 1825-1864. Er war ein Schriftsteller und genossenschaftlich orientierter sozialistischer Politiker im Deutschen Bund. Er geriet häufig in intellektuellen Konflikt mit der revolutionär und internationalistisch ausgerichteten, im 19. Jh. von Karl Marx und Friedrich Engels dominierten Lehre des Marxismus. 1804-1872. Ein deutscher Philosoph und Religionskritiker. Er arbeitete, um das Wesen des Christentums zu finden, dagegen kritisierte er die Religion, weil die Reagierenden die Religion als Mittel benutzten, um die Leute auszubeuten. Er war ein Materialist und sagte: „Das Fundament ist Natur. Der Gedanke ist Produkt der Natur, wie Alle“. Nach Feuerbach war Dialektik nicht ein Material, sondern Gedanke. 187 Friedrich Hegel 1770-1831. Er ist der bedeutendste Philosoph des 19. Jhs. Schwerfällig und in seiner Ausdrucksweise oft dunkel, beweist er Referat von Fatma doch eine gewaltige logisch-spekulative Kraft, mit der er den Aşıcı Erfahrungsinhalt zur Einheit eines Systems des absoluten Idealismus zu vorbereiten sucht. Phänomenologie des Geistes ist sein berühmtes Werk. Karl May Referat von Kadriye Erkan Theodor Fontane Referat von Emine Apur Wilhelm Busch Referat von Nevin Genç Heinrich von Kleist Referat von Esra Elçin Heinrich Heine Referat von Barış Aydın Christian 1842-1912. Ein deutscher Abenteuerschriftsteller. Bekannt wurde er vor allem durch seine so genannten Reiseerzählungen, die vorwiegend im Orient, in den USA und Mexiko angesiedelt sind. Viele seiner Werke wurden verfilmt, für die Bühne adaptiert, zu Hörspielen verarbeitet oder als Comics umgesetzt. 1819-1898. Er gilt als der herausragende Vertreter des poetischen Realismus in Deutschland. In seinen Romanen gelingt es ihm, die Figuren besonders gut zu charakterisieren, indem er ihre Erscheinung, ihre Umgebung und vor allem ihre Redeweise genau beschreibt. Irrungen Wirrungen, Effi Briest und Mathilde Möhring sind seine bekanntesten Werke. 1832-1908. Er war einer der humoristischen Dichter Deutschlands. Er war auch Zeichner und Maler und gilt wegen seiner satirischen Bildergeschichten in Versen als einer Pioniere des modernen Comics. Er war Mitarbeiter der Fliegenden Blätter und des Münchner Bilderbogen. 1777-1811. Er war ein Dramatiker, Novellist und Essayist, der sich weder der Klassik noch der Romantik ganz zuordnen lässt. Im Zentrum seiner Dichtung steht der Konflikt zwischen dem Individuum und dessen Pflicht, sich in die Allgemeinheit einzuordnen. In seinen Werken wird die romantische Identitätsproblematik ästhetisch und thematisch so weit radikalisiert, dass die ersehnte Versöhnung mit der Natur, der Geschichte oder der Kunst versagt bleibt. Er zeigt sich Originalität in der Sprache. Er verhielt sich subversiv gegenüber einer automatisierten und gattungskonformen Redeweise. Nüchterne Sachlichkeit wird durch Paradoxien, Doppeldeutigkeiten und Ironie unterlaufen. 1797- . Er gilt als letzter Dichter der Romantik und gleichzeitig als ihr Überwinder. Er machte die Alltagssprache lyrikfähig, erhob das Feuilleton und den Reisebericht zur Kunstform und verlieh dem Deutschen eine zuvor nicht gekannte elegante Leichtigkeit. Die Werke kaum eines anderen Dichters deutscher Sprache wurden bis heute so häufig übersetzt und vertont. Wegen seiner jüdischen Herkunft und seiner politischen Einstellung wurde er immer wieder angefeindet und ausgegrenzt. Er ist ein Dichter der Epoche Junges Deutschland. Buch der Lieder, Reisebilder und Deutschland ein Wintermärchen sind seine bekannten Bücher. 1871-1914. Deutscher Dichter, Dramaturg, Journalist und 188 Morgenstern Referat von Sevim Kırlangıç Thomas Mann Referat von Serap Sinop Hermann Hesse Referat von İpek Bozlar Übersetzer. Er hat kleinere Satiren, scherzhafte Verse und Gedichte geschrieben. 1893 entsteht Sansara, eine humoristische Studie, die um die Idee der Wiedergeburt kreist. 1898 Ich und die Welt, 1900 Ein Sommer und 1902 Und aber ründet sich ein Kranz. Galgenlieder ist sein berühmtestes Werk. 1875-1955. Er zählt zu den bedeutendsten Erzählern deutscher Sprache im 20. Jh. Charakteristisch für Manns Prosa sind ironische Haltung und heitere Ambiguität. Mit zunehmender künstlerischer Reife werden Allegorien und mythologische Motive verwendet. Für seinen ersten Roman Buddenbrooks erhielt er 1929 den Nobelpreis für Literatur. 1877-1962. Er war ein deutsch-schweizerischer Dichter, Schriftsteller und Maler. Seine bekanntesten literarischen Werke sind Der Steppenwolf, Siddhartha, Peter Camenzind, Demian, Narziß und Goldmund und Das Glasperlenspiel, deren Inhalt die Selbstverwirklichung, die Selbstwerdung, die Autoreflexion, das „Transzendieren“ des Einzelnen ist. 1946 erhielt er der Nobelpreis für Literatur und 1954 der Orden Pour le mérite für Wissenschaft und Künste. Alle Werke Hesses enthalten eine stark autobiografische Komponente. Besonders offensichtlich ist sie im „Demian“, in der „Morgenlandfahrt“, aber auch in „Klein und Wagner“ und nicht zuletzt im „Steppenwolf“, der geradezu exemplarisch für den „Roman der Lebenskrise“ stehen kann. Reiner Maria Rilke 1875-1926. Deutscher Dichter und Schriftsteller. Er ist durch die Philosophen Schopenhauer und vor allem Nietzsche beeinflusst. Rilkes Werk ist durch eine scharfe Kritik an der Referat von Funda Jenseitsorientierung des Christentums und an einer einseitig Gürbüz naturwissenschaftlich-rationalen Weltdeutung geprägt. Zu den Werken Rilkes gehören unter anderen die Gedichtbände Wegwarten und Advent, der Roman Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge. Er wendet sich in diesen Werken radikal der Welt menschlicher Grunderfahrungen zu, nun aber nicht mehr in reiner Beobachtung des Innen, sondern in einer das Subjekt zurückdrängenden symbolischen Spiegelung dieses Innen in erlebten Dingen. So entstehen seine „Dinggedichte“, beispielsweise Blaue Hortensie und Der Panther, die den literarischen Symbolismus weiterentwickeln. Dieses Welterfassen bezieht ausdrücklich auch die negativen und fremden Aspekte des Lebens ein: Hässliches, Krankheit, Trieb und Tod. Patrick Süskind Referat von Burcu Kaleli Günter Grass Referat von 1949- . Deutscher Schriftsteller und Drehbuchautor. Seine Werke „Das Parfüm“ (1985), das außerdem in 90er Jahren verfilm wurde, und „Über Liebe und Tod“ (2006) sind von Bedeutung zu nennen. „Das Parfüm“ ist in 46 Sprachen, darunter sogar Latein übersetzt worden. 1927- …. Deutscher Schriftsteller, Bildhauer, Maler und Grafiker mit kaschubischen Vorfahren. Grass war Mitglied der Gruppe 47 189 Burçin Özgün und gilt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren der Gegenwart. Im Jahr 1999 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Im Zweiten Weltkrieg meldete er sich mit 15 Jahren freiwillig zur Wehrmacht. Nach einer Verwundung am 20. April 1945 wurde Grass am 8. Mai 1945 bei Marienbad gefangengenommen und war bis zum 24. April 1946 in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Erst durch die Veröffentlichung seines autobiografischen Werkes Beim Häuten der Zwiebel im Jahre 2006 wurde allgemein bekannt, dass Grass zur Waffen-SS eingezogen worden war. Als Intention der Werke Grass' ist das „Schreiben gegen das Vergessen“ auszumachen. Seine Werke thematisieren Nationalsozialismus bzw. handeln vor dessen Hintergrund. In einer sehr bildlichen Sprache ist der 1959 erschienene Roman Die Blechtrommel geschrieben. Er handelt um den infantilen Sonderling Oskar Matzerath, welcher von seiner „Kinderperspektive“ aus die Erwachsenenwelt beschreibt. Johannes Mario Simmel 1924-2009. Er arbeitete als Journalist, Übersetzer und Dolmetscher für die US-Militärregierung. 1947 veröffentlichte er eine Novellensammlung. Er war ein Relativist und dem Erfolg hat er mit seinem Buch „Es muss nicht immer Kaviar sein“ erreicht. Referat von Gülce Karacaer Heinrich Böll Referat von Nesrin Turan 1917-1985. Deutscher Schriftsteller und Übersetzer der Nachkriegszeit. 1972 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Erster Nachkriegsroman „Kreuz ohne Liebe“ veröffentlichte 1946. Im Jahr 1947 erschienen seine Kurzgeschichten, die als Nachkriegsliteratur oder Trümmerliteratur bezeichnet. Einige der besten Kurzgeschichten erschienen 1950 im Sammelband „Wanderer, kommst du nach Spa..“. An der Kürze de Zitate ist ersichtlich, dass die Studierenden versucht haben, die Hörer durch rein literarische Kenntnisse nicht zu langweilen.Sie haben sich bemüht, die Fragen zu beantworten und ihr Wissen über die Autoren und die literarischen Epochen zu vermitteln. Dank dieser Aktivität haben die Studierenden über die deutsche Literatur, Philosophie und Politik oberflächliche Kenntnisse erworben, welche für den Unterricht „Deutsche Literatur“ des nächsten Semesters eine Vorbereitung bilden. Aktivität 4: Diese Aktivität diente zur Entwicklung der Sprech- und Kommunikationsfähigkeit. Daher wurde den Studierenden die Frage gestellt, warum es für die Türken in Deutschland so wichtig ist, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen? Hier einige Antworten; 190 Funda Gürbüz / Şengül Çiftçi: In Deutschland finden die Türken mehr Möglichkeiten als in der Türkei. Darunter zählt man Arbeitslosengeld, das von dem deutschen Staat den Arbeitslosen gegeben wird. Außerdem kriegen die Türken auch für ihre Kinder Geld, welches in der Türkei kaum in Frage kommt. Deshalb ist es für die Türken von Bedeutung ist, deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. M. Ali Kelekçi: In Deutschland fühlen die Türken sich freier als in der Türkei, weil die Lebensbedingungen da besser sind. Sie leben dort angenehm und gut. Nihal Avdar; In Deutschland finden die Türken viele Arbeitstellen aber in der Türkei nicht. Das führt die Türken die Staatsbürgerschaft zu bekommen, um da besser und in Sicherheit arbeiten zu können. Şirin Serpen / Kerem Erol: Wenn die Türken in Deutschland deutsche Staatsbürgerschaft bekommen, bekommen sie wie die Deutschen gleiche soziale Rechte, deshalb bestreben sie sich um die deutsche Staatsbürgerschaft. Mehr soziale Rechte erleichtert zugleich die Integration. Sonay Kabadayı: Als Minderheit zu leben ist für die Türken sehr schwer, deshalb bemühen sie sich darum, in Deutschland mehr Rechte zu bekommen und wohl zu leben. Die Zitate zeigen, dass die Studierenden Gedanken austauschten, um das Bestreben nach der deutschen Staatsbürgerschaft zu begründen. Freiheit, Gesundheitsbedingungen, freie Arbeitstellen und das Geld, das für Arbeitslose und Kinder bezahlt wird, zählten sie zu den Beweggründen. Nach den Studierenden sei es sicher, dass die Türken leichter in die deutsche Kultur integriert werden könnten, wenn sie mehr Rechte hätten. 191 5.2.7.4. Textanalyse Am Anfang des Textes beschreibt man einen kurzen belustigenden Dialog zwischen Herrn Engin und seiner Frau Emine. Sie verlangt von ihrem Mann Fladenbrot, Tomaten und etwas Hackfleisch zum Kochen. Ironischerweise sagt sie: So ein halbes Kilo Hackfleisch wäre gut. Und denk noch an die deutsche Staatsbürgerschaft, als ob die Staatsbürgerschaft etwas Kaufbares wäre. Durch seine Antwort „Davon auch ein halbes Kilo oder darfs ein bisschen mehr sein“ spielt Herr Engin auch mit. Das ist eine besondere Form der Kommunikation, weil sie im Allgemeinen eine schlechte Laune hat, aber heute ist sie ausnahmeweise hochgestimmt und führt die Kommunikation ironisch weiter, indem sie sagt: Osman, 250 Gramm frische deutsche Staatsbürgerschaft in Scheiben, das dürfte reichen für das Mittagessen. Wenns geht mit viel Kümmel und Knoblauch. Wenn sie das nicht haben, dann eben mit Kohl und Pinkel“. Seine Frau Emine vergleicht ironischerweise die Gewürze Kümmel und Knoblauch, die man als Türke gerne isst, mit Kohl und Pinkel, d.h. Grünkohl und geräucherter Kochwurst, was die Norddeutschen gerne essen. Kohl mit Würsten und Speck ist eine Spezialität mit Schweinefleisch, die nicht nur die einfachen Leute zum Beispiel in Bremen oder Osnabrück lieben. „Pinkel“ ist niederdeutsch, wie man diese Würste regional in Nordwestdeutschland nennt, und „Kohl und Pinkel“ ist dort ein besonders geschätztes einfaches Essen. Mit dem Wort „Pinkel“ weist die Frau aber auch auf zwei andere Dinge hin. Diese werden nicht ausdrücklich genannt, aber es ist das Wesen der Ironie, dass Wortbedeutungen und Gedankenassoziationen versteckt mitschwingen. Das erste ist pinkeln für urinieren, das unter Männern gebräuchlich ist und zur Straßensprache gehört, d.h. vulgär ist. Dieses Wort benutzt man in unterschiedlichen Versionen, wie z.B. pipi machen. Bei Kindern im Alter zwischen 1 und 4 Jahren heißt es aufs Klo gehen; unter Freunden sagt man, und das ist informal, ein Bedürfnis erledigen. Nicht mehr viel benutzt wird: das WC benutzen; ein bisschen altmodisch ist auf die Toilette gehen, eine Variante von „das WC benutzen“, und das sagt man in einer offiziellen Situation. Das zweite, worauf die Frau ironisch hinweist, ist Kinkel, eine scheinbare Kombination aus Kohl und Pinkel. Aber „Kinkel“ und „Kohl“ sind die relevanten politischen Namen aus der Zeit der „Wiedervereinigung“ Deutschlands. Helmut Kohl war 1998 Bundeskanzler und Klaus Kinkel Außenminister. Die beiden 192 kommen aus konservativen Parteien. Sie haben sich nicht viel um die Integration der Türken in Deutschland gekümmert. Die Generation, die in der Zeit von Kohl gelebt hat, hat nur konservative Regierungen gesehen. Kohl hat eine ziemlich einseitige Politik vertreten, deshalb war er bei den Ausländern gar nicht beliebt. Das ist in den von Mündlichkeit geprägten, literarischen Werken der ersten und der zweiten Generation ganz konkret zu sehen. In dem Lied „Ausländer Raus“ sieht man, dass Kohl deshalb so hart kritisiert worden ist, weil er hinsichtlich der Migration eine sehr einseitige Politik verfolgt und sich um die Integration der Türken nicht gekümmert hat. Genannt wird auch der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß, der ebenfalls ein konservativer Politiker war. „Gabi“ ist ein geläufiger Frauenname. Ausländer Raus Helmut Kohl und Strauss le le liebe Gabi Wollen Ausländer raus le le liebe Gabi Biz de insan değil miyiz le le liebe Gabi Severek yaşamak varken le le liebe Gabi Sene başı geldi çattı Ausländer yolu tuttu İşverenler hapı yuttu Almanya’da Almanya’da Ausländer Raus olduk sonunda (Zitiert nach: Öztürk, 2001; 271) Sowohl in der Türkei als auch in Deutschland dürfen sich die Menschen über die Staatsmänner lustig machen, was aber möglichst mit Niveau geschehen sollte. Herr Engin ist der Meinung, dass er bei Einbürgerung auf noch größere Schwierigkeiten stoßen kann, wenn er sich auf offener Straße über Staatsmänner lustig macht. Deshalb vermeidet er es, auf der Straße über Politiker zu sprechen. In der Aussage von Herrn Engin Ich habe in meinem Einbürgerungsarchiv im Keller nachgeschaut, das ist heute mein 728. Behördenbesuch in dieser Sache sehen wir eine Übertreibung, durch die er auf die Schwierigkeit für einen Türken verweist, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. Es gibt noch andere große Übertreibungen. Die Frage der Sachbearbeiterin „Ist ihre Wohnung groß genug für einen deutschen Pass?“ und die Entgegnung 193 Erst letzte Woche haben in der rechten Hälfte von unserem Wohnzimmer alle Männer aus unserer Straße ein Fußballturnier ausgetragen. Und in der linken Hälfte haben unsere Frauen einen 100-Meter-Hindernislauf veranstaltet von Herrn Engin sind maßlose Übertreibungen. Besonders die Antwort von Engin zeigt eindeutig, dass er die Fragen der Sachbearbeiterin völlig unsinnig findet, weshalb er sie neckt. Die Aussage der Sachbearbeiterin, dass die Deutschen immer pünktlich sind und dass sie zu einer Verabredung weder zu spät noch zu früh kommen, ist eine andere Übertreibung, weil es an sich nicht als unangemessen gilt, zu einer Verabredung mehrere Minuten zu früh oder zu spät zu kommen. Eine andere Übertreibung sehen wir in der Frage der Sachbearbeiterin an Herrn Engin aus welchen Büchern stammen folgende Zitate: Hau wech die Scheisse, ein Tas Kaf und zwei Flasch Bier. In keiner Prüfung stellt man so eine Frage und natürlich kommt in dem Einbürgerungstext keine solche Frage vor. Es kann sein, dass sie damit auf die Aussprache der Ausländer in Deutschland verweist und damit einen Scherz machen will. Ausgehend von den gestellten Fragen können wir feststellen, dass die Sachbearbeiterin Fragen stellt, die keine Verbindung zu den Fragen im Einbürgerungstext haben. Das kann man mit dem Erzählstil des Autors verbinden, der die Erwartungen der deutschen Regierung und daneben die Reaktion der Türken darüber deutlich ironisch, aber grundsätzlich und inhaltlich eben auch kritisch zum Ausdruck zu bringen versucht. Die Annäherung von Herrn Engin an die Religion ist eine andere Stelle, die man im Text besonders betont. Als seine Frau auf die Knie fiel und sich bei Gott bedankte, sagte er, dass Gott für sie nicht zuständig ist, sondern Allah. An dieser Stelle weist er auf den unterschiedlichen Glauben von Türken und Deutschen hin. Am Schluss macht er auf die zusätzliche Diskriminierung der Türken im Vergleich zu anderen Ausländern aufmerksam, indem er betont, dass es sehr viel leichter ist, als Russland-Deutscher eingebürgert zu werden. Das ist ebenfalls eine scharfe Kritik an den deutschen Politikern hinsichtlich ihrer Behandlung der Türken. 194 Die Staatbürgerschaft, die für die Türken von großer Bedeutung ist, tritt hier in zwei Formen auf, die konkret und abstrakt bewertet werden können. Konkret ist der Besitz eines Passes. Abstrakt ist das Leben als gleichwertiger Bürger in dem neuen Land. 5.2.8. Unterrichtsmodell 8: Homo Germanicus 5.2.8.1. Textinhalt Im Text geht es um die Germanen, die sich genetisch in vier Untergruppen teilen. Feuerschürer und Feuermacher sind die Politiker und die Rassisten, die mit ihren Tätigkeiten und Haltungen das Zusammenleben der Menschen aus verschiedenen ethnischen Gruppen erschweren. Sie symbolisieren außerdem die Ausländerfeindlichkeit. Gegenüber Homo Feuerschürer und Homo Feuermacher steht die übertriebene Ausländerliebe, d.h. die Feuerlöscherin, die sich darum bestrebt, das Leben aller Menschen genießbar zu machen. Scheuklappicus benimmt sich gegenüber den Ausländern im Vergleich zu Feuerschürer, Feuermacher und Feuerlöscherin zurückhaltend und vermeidet Probleme mit ihnen. 5.2.8.2. Lernaktivitäten Über den Text Homo Germanicus hinaus werden in der Klasse vier Lernaktivitäten durchgeführt, die dazu dienen, die soziale Kompetenz der Studierenden zu bereichern, außerdem ihre Lesefähigkeit und Kommunikationsbereitschaft zu entwickeln. Daneben werden sie sich aus verschiedenen Standpunkten über die Haltung der Deutschen gegen die Ausländer in Deutschland informieren. Aktivität 1: Als Einführung in die Lehrveranstaltung wird im Unterricht eine Auseinandersetzung über die Wurzeln der Begriffe „Homo“, „Homo sapiens“, „Homo sapiens sapiens“ und „Homo neanderthalensis“ durchgeführt. Somit werden die Studierenden eine sinnvollere Relation zwischen dem Titel des Textes und dem Inhalt bilden. Aktivität 2: Bei dieser Aktivität lesen die Studierenden den Text „Homo Germanicus“ durch. Während des Lesens notieren sie die Besonderheiten der vier Untergruppen von Homo Germanicus in einer Tabelle. Über diese Aktivität hinaus zielt man darauf, die Lesefähigkeit der Studierenden zu entwickeln. Außerdem erwerben sie die Fähigkeit, 195 die Ähnlichkeiten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede einer Gruppe oder einer Person zu erkennen. Aktivität 3: Aus den Studierenden werden sieben Gruppen gebildet; jede Gruppe vergleicht die festgestellten Unterschiede der vier Homo-Germanicus-Gruppen und diskutiert sie mit den anderen Gruppen. Jede Gruppe bereitet ein Plakat mit ihren eigenen Zeichnungen und/oder mit den dem Thema passenden Bildern vor; somit sehen sie die Unterschiede und Gemeinsamkeiten konkret. Aktivität 4: Die Studierenden werden die Vorurteile in einer Tabelle notieren und darüber diskutieren. 5.2.8.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten Aktivität 1: Am Anfang der Lehrveranstaltung wurde eine Auseinandersetzung über die Wurzeln der Begriffe Homo, Homo sapiens und Homo sapiens sapiens durchgeführt. Die Studierenden haben zuerst über die Entwicklung der Menschheit gesprochen und dieses Thema im Internet recherchiert. Nach 15 Minuten haben sie die folgende Entwicklungstabelle auf die Tafel geschrieben; Hominid Homo Habilis Homo Erectus Homo Neanderthalis (Homo Sapiens) Erste Erscheinung der Entwicklung der Menschheit, Etwa vor 3 bzw. Lebewesen, Millionen Jahren das seine Hände nicht benutzen kann. Etwa vor 2 Er/Sie kann die Millionen Jahren Hände benutzen Etwa vor 1 Millionen und 6 Mit entwickeltem tausendhundert Gehirn. Jahren Sehr ähnlich an Etwa vor 3 heutigen tausendhundert Menschen, er Jahren denkt und er weiß. 196 Homo Sapiens Unser Vorfahr Sapiens Aktivität 2: Der Mensch, der weiß, dass er weiß. Bei dieser Aktivität haben die Studierenden den Text Satz für Satz vorgelesen und während des Lesens den Homo Germanicus nach seinen Besonderheiten in fünf Untergruppen tabellarisch gezeigt; HOMO GERMANICUS Der Homo Scheuklappi cus Profi (Homo Yuppicus) sitzt vor sitzt in der sitzt vor sitzt im dem Bürgerinitiat seinem Parlament Fernsehap iv Computer liebt trägt Birkenstock trägt Bomberja -Sandalen trägt Nadelstreifena cken und und Designernzüge Springerst naturbelasse Klamotten iefel ne ÖkoPullover vorausges Stern etzt er Spiegel Max lesen Frankfurter Wiener Welt kann; Rundschau Tempo Handelsblatt Die TAZ die „Financial „Nationale Stiftung Times“ Zeitung“ Warentest ernährt sich normalerweis stopft sich e von verzehrt ernährt sich Hummer und mit primär in erster Linie „Hansapil Kaviar, Reformhaus sündhaft lediglich alle s“ aus der kost, Pizza teuer und vier Jahre Dose und und Döner- zweitens vertilgt er Chips Kebab. japanisch. öffentlich voll. einen Teller Erbsensuppe. Der Homo Feuerschürer Amateur SitzPosition sitzt am Stammtisch Außensich t trägt Jogginghose n Woraus informiert man sich? Goldene Blatt Neue Revue Bild futtert ausschließli Essgewohn ch Eisbein, Sauerkraut heit und Kartoffeln. Der Die Homo Homo Feuerlösche Feuermac rin her 197 träumt von Einfamilien haus auf dem Lande. residiert mit Leibwächter in seiner bescheidenen Luxusvilla. Reise/Urla ub trifft man scharenweis e auf Gran Canaria und Mallorca. wandert im Urlaub durch deutsche Lande und macht Parlamentarie rreisen auf Staatskosten nach Madagaskar. Linguistisc he Unterschie de sagt „Ich hab ja nichts gegen Ausländer, aber …“ ruft „Das Boot ist voll“ und anschließend „Ich bin tief betroffen“. Wohnen haust in Penthäusern vegetiert wohnt im und im städtischen luxussanierte kaputten Mehrfamilie n Elternhaus nhaus. Altbauwohnu . ngen. fährt übers Wochenende macht nach Sylt und macht Studienreise Ibiza Urlaub in n durch die beziehungswe Rostock, Südtürkei, ise hält sich Hoyerswe Kreta und ansonsten am rda, Mölln Asylbewerb liebsten auf und erden Solingen. Unterkünfte. Seychellen oder in Brasilien auf. brüllt: „Auslände flüstert r raus, „Liebe jubelt „Hurra, Deutschla deinen der Dollar ist nd den Nächsten gefallen!“. Deutschen usw“. !“. Die Studierenden haben fünf Homo-Untergruppen gebildet. Bemerkenswert ist, dass die genannten fünf Gruppen nach sieben Kriterien; das sind: Sitz-Position, Aussensicht, Information, Essgewohnheit, Wohnen, Reise und Sprechhaltung. Mit Hilfe der Tabelle konnten die Studierenden die Unterschiede zwischen den fünf Homo-Untergruppen veranschaulichen. Aktivität 3: Für diese Aktivität wurden sieben Gruppen gebildet; jede Gruppe nimmt die festgestellten Besonderheiten der vier Homo-Germanicus-Gruppen vergleichend in die Hand. An dieser Stelle zitieren wir die Arbeiten aller sieben Gruppen, damit wir die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Homo Feuerschürer, Homo Feuermacher, Homo Feuerlöscherin und Homo Scheuklappicus konkret sehen können. Gruppe 1: [Şengül Çiftçi, Ezgi Koşar, Şirin Serpen, Bahar Kotan, Nihal Küçük, Emine Apur] 198 Diese Gruppe hat die Sitzt-Position der vier Untergruppen des Homo Germanicus verglichen und die Gründe der Unterschiede diskutiert. Der Homo Amateur sitzt am Stammtisch. Der Stammtisch ist eine Gruppe von mehreren Personen, die sich regelmässig in einem Lokal treffen. Die Personen, die um den Stammtisch sitzen, trinken meistens Bier. Sie diskutieren über Politik, Wirtschaft und kulturelle Themen. Sie sehen sich als Menschen, die dank der Kritik bei ihren Routinen-Treffen auf die Politik des Landes mitwirken. In diesem Zusammenhang kann man aus der Türkei zwei Beispiele geben, d.h. Mehmet Barlas und Hıncal Uluç, die mit ihrer Haltung dem Homo Amateur gut passen. Der Homo Profi sitzt im Parlament. Er ist Abgeordneter, Politiker und vertritt die Leute. Solche Menschen übertreiben deshalb alles, was im Land gescheht, weil sie irgendwie etwas finden müssen, das auszubeuten ist. Der Homo Feuermacher sitzt vor dem Fernsehapparat. Die Menschen, die keine Arbeit haben, sitzen immer vor dem Fernsehapparat. Sie lernen nur das, was ihnen durch Fernsehen weitergeleitet wird. Sie machen zu Hause keine Arbeit, helfen ihren Eltern nicht. Während die Eltern unaufhörlich arbeiten und Geld verdienen, um für den Haushalt aufzukommen, geben sie das Geld unbedacht aus. Sie sprechen immer wieder über die anderen Menschen, geben den Anderen Rat. Kurz gesagt werden sie von anderen Menschen und vom Fernsehen gelenkt. Die Homo Feuerlöscherin sitzt in der Bürgerinitiative, weil sie die Freiheit der Menschen verteidigt. Menschenrechte sind für sie sehr relevant, daneben sorgen sie sich um Tiere und Natur, um das die Welt lebenswert zu machen. Aus diesen Gründen arbeitet die Feuerlöscherin mit verschiedenen gesellschaftlichen Organisationen zusammen. Der Homo Scheuklappicus (Yuppicus) sitzt vor seinem Computer, der die Jungen der Zeit reflektiert. Sie sitzen lange Zeit vor dem Computer und unterhalten sich mit ihren Freunden, chatten lange Zeit, surfen und spielen. Sie vergeuden ihre Zeit. Gruppe 2: [Cansu Candemir, Esra Yıldıran, Sinem Atuk, Nilgün Güneş] 199 Diese Gruppe hat die Außensicht der Untergruppen des Homo Germanicus verglichen und zur Diskussion gestellt. Der Homo Amateur trägt Jogginghosen. Jogginghosen sind bequemer als die andere Kleidung, deshalb mag der Homo Amateur diese Hose mehr als die anderen. Der Homo Profi trägt Nadelstreifenanzüge. Nadelstreifenanzüge sind besonders elegante Kleidung, schwarz, mit einem schönen Stoff im Muster von Nadelstreifen. Wer sie trägt, will vornehm sein oder ist sehr reich. Die hohen Politiker, denn sie sitzen im Parlament, sind auf Bundesebene tätig. Deshalb sind Nadelstreifenanzüge ihre Arbeitskleidung. Der Homo Feuermacher trägt Bomberjacken und Springerstiefel. Springerstiefel sind Militärstiefel der Fallschirmspringer. Bomberjacken tragen die Soldaten. Die beiden Anzüge werden heute von Rechtsradikalen und Neo-Nazis getragen und als Symbol einer bestimmten Ideologie gesehen. Die Homo Feuerlöscherin liebt Birkenstock-Sandalen und naturbelassene ÖkoPullover. Birkenstock-Sandalen sind offene Sandalen einer besonderen Marke, die Gesundheit verspricht. Wer sie trägt, bekennt sich zum Naturschutz und zu alternativen Lebensformen. Diese Sandalen trägt man barfuß oder mit dicken Wollsocken, niemals mit "bürgerlichen" Strümpfen. Auch naturbelassene Öko-Pullover, die am meistens selbstgestrickt sind, bekennen sich zum Naturschutz und zu alternativen Lebensformen. Der Homo Scheuklappicus (Yuppicus) trägt Designer-Klamotten. DesignerKlamotten sind teure Anzüge für junge Männer, die etwa als Bank-Manager arbeiten und sich teure Kleider von Mode-Designern leisten können. Als Symbol stehen sie auch für junge, angepasste Männer, das Gegenteil davon sind Birkenstock-Sandalen. Nadelstreifen und Designer-Klamotten haben einiges gemeinsam. Klamotte ist sonst abwertend für schlechte Kleidung. Mit dem Zusatz Designer bedeutet es das Gegenteil. Gruppe 3: [M. Ali Kelekçi, Elif Yergezen, Funda Gürbüz, Nesrin Turan] Diese Gruppe hat die Massenmedien, durch die sich Homo Germanicus informiert, miteinander verglichen. 200 Der Homo Amateur liest das Goldene Blatt, Neue Revue und Bild. Das Goldene Blatt und die Neue Revue sind „Boulevard-Blätter“ (französisch= große Straße) für die breite Menge auf der Straße, ohne Niveau, mit vielen bunten Bildern, Klatsch, ähnlich wie die BILD-Zeitung, aber es sind Wochenblätter, einmal die Woche, etwas dicker und mit Themen über Königshäuser (die lieben die Deutschen besonders), Filmstars, ein wenig nackte Frauen usw. Der Homo Profi liest die Welt und das Handelsblatt. Die Welt und Handelsblatt sind ähnliche Zeitungen, die aber im Vergleich zu dem Goldenen Blatt und Neue Revue gemessener zu sein scheinen. Die Welt ist eine überregionale Tageszeitung und wird in 130 Ländern verkauft. Handelsblatt geht in die Richtung der Wirtschaft und enthält die Nachrichten über Handel. Es ist eine Tageszeitung und die größte Wirtschafts- und Finanzzeitung in deutscher Sprache. Der Homo Feuermacher liest, vorausgesetzt er lesen kann, die National Zeitung. National Zeitung hat eine ideologische Richtung und spricht die Rechtsextremen und Nationalisten an. Sie ist eine Wochenzeitung und wurde im Jahr 1971 gegründet. Diese Zeitung unterstützt stillschweigend die Gewalt gegen Asyl und Ausländer in Deutschland. Die Homo Feuerlöscherin hat Stern Spiegel, Frankfurter Rundschau, TAZ und die Stiftung Warentest abonniert. Die TAZ ist die (Berliner) Tageszeitung und wird von linken Intellektuellen gelesen. Bei den Zeitungen der Homo Feuerlöscherin gibt es zwei gegensätzliche Gruppen. Die TAZ ist links, die FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) dagegen rechts, konservativ. Sie hat den Reklamespruch Dahinter steckt ein kluger Kopf. Wer sie liest, ist hinter der Zeitung. Stiftung Warentest ist ein Blatt der Verbraucherschutzorganisation, die die Rechte der Verbraucher verteidigt. Der Homo Scheuklappicus (Yuppicus) liest Max, Wiener, Tempo und die Financial Times. Max dürfte der TAZ ähnlich sein, nur in Richtung Wochenblatt mit Bildern und längeren Artikeln. TAZ und Max sind auf jeden Fall die Gegensätze zur Neuen Revue 201 und dem Goldenen Blatt. Wiener ist eine österreichische Tageszeitung, dagegen ist Financial Times eine englische Zeitung über Finanz und Ökonomie. Gruppe 4: [Sonay Kabadayı, Gülce Karacaer, Burcu Kaleli, Kadriye Erkan] Diese Gruppe hat die Essgewohnheiten des Homo Germanicus verglichen und diskutiert. Der Homo Amateur futtert ausschließlich Eisbein, Sauerkraut und Kartoffeln. Eisbein nennt man auch Schweinshaxe, Haxe, Stelze oder Surhaxe. Für Eisbein verwendet man entweder die kleinere Hinterhaxe oder die fleischigere Vorderhaxe vom Schwein. Die Hinterhaxe wird meist gekocht und die größere Vorderhaxe lässt sich auch grillen. Traditionell wird Eisbein mit Sauerkraut und Kartoffeln serviert. Der Homo Profi ernährt sich normalerweise von Hummer und Kaviar, lediglich alle vier Jahre vertilgt er öffentlich einen Teller Erbsensuppe. Normalerweise essen sie nur gutes, teures Essen, das sich nur Leute mit sehr viel Geld leisten können, aber alle vier Jahre, wenn wieder Wahlen sind, essen sie öffentlich, bzw. demonstrativ, damit die Öffentlichkeit es sieht, Erbsensuppe. Der Homo Feuermacher stopft sich mit Hansapils aus der Dose und Chips voll. Hansa Pils ist germanisches Bier mit saurer Bitterkeit und hat eine glänzende Farbe. Es gibt unterschiedliche Dosen, bzw. Erbsedosen, Tomatedosen, Mohrrübedosen etc. Aus diesen Dosen kann man jederzeit leicht essen, ohne zu kochen und dafür Zeit zu geben, was außerdem für Chips gilt. Die Homo Feuerlöscherin verzehrt primär Reformhauskost, Pizza und Döner-Kebab. Döner (dönmek) bedeutet im Türkischen „umdrehen“. Ein großer Fleischstück, mittendurch mit einem Nadel gesteckt, brät man um sich drehend am Herd und mit einem Messer nimmt man vom Fleisch kleine Stücke, die im Fladenbrot zusammen mit Gewürze serviert werden. Die Türken in Deutschland essen Döner-Kebap häufig, weil sie daran glauben, dass Döner-Kebap kein Schweinfleisch enthält. Pizza ist eine italienische Spezialität, die aus einfachem Hefeteig zubereitet wird. Pizza ist würzig belegtes Fladenbrot. 202 Der Homo Scheuklappicus (Yuppicus) ernährt sich in erster Linie sündhaft teuer und zweitens japanisch. Mit sündhaft teuer betont man, dass Scheuklappicus für Essen und Trinken zu viel Geld ausgibt. Japanisches Essen ist gleichfalls sehr teuer. Zur japanischen Küche zählt man Sushi, Hoya, Namako, Nari etc.. Japanisches Essen ist fettarm, extrem gesund und zudem schmackhaft. Gruppe 5: [Zeynep Akduman, Fatma Aşıcı, Serap Sinop, Gülçin Pelit, Nihal Avdar] Diese Gruppe hat die Orte, wo Homo Germanicus wohnt, verglichen, um festzustellen, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Wohnungen und ihren Benutzern vorkommen. Der Homo Amateur träumt von einem Einfamilienhaus auf dem Lande, weil es bequemer ist, in solchen Häusern zu wohnen. Die Landschaft spielt dabei eine große Rolle. Der Homo Profi residiert mit Leibwächtern in seiner bescheidenen Luxusvilla. Luxusvillen sind schöne und teure Häuser. Man kennt sie aus den Filmen oder Fernsehserien. Um eine Villa bauen oder kaufen zu können, braucht man viel Geld, deshalb residieren nur reiche Menschen in Luxusvillen. Es ist gewöhnlich, dass man jede Villa mit Wächtern und Hunden schützt. Der Homo Feuermacher vegetiert im kaputten Elternhaus. Die Menschen wie Feuermacher sind sehr faul, deswegen möchten sie nicht arbeiten und darüber hinaus haben sie kein Geld, in einer Wohnung allein zu leben und ihr Leben frei von ihrer Familie weiterzuführen. Die Homo Feuerlöscherin wohnt im städtischen Mehrfamilienhaus. In Mehrfamilienhäusern leben mehrere Familien zusammen und teilen die Miete. Somit müssen diese Familien nicht viel bezahlen, was ihr Leben erleichtert. Der Homo Scheuklappicus (Yuppicus) haust in Penthäusern und luxussanierten Altbauwohnungen. Diese Wohnungen sind nicht nur teuer, sondern auch auffällig. Altbauwohnungen sind wertvoll, weil sie aus alter Zeit stammen, d.h. eine lange 203 Geschichte haben. Solche Wohnungen tragen die Spuren der Geschichte, deshalb mag Scheuklappicus besonders in solchen Wohnungen hausen. Gruppe 6: [Inna Dragneva, Burçin Özgün, Barış Aydın, Gülden Güneş] Diese Gruppe vergleicht die Ferienorte, wohin Homo Germanicus gerne reisen möchten. Der Homo Amateur trifft man scharenweise auf Gran Canaria und Mallorca. Sowohl im Winter als auch im Sommer hat Gran Kanaria ein sehr gemäßigtes Klima, deshalb besuchen jedes Jahr mehr als 2 Millionen Menschen Gran Canaria. Diese Insel, die im Süden ist, ist ein touristisches Zentrum. Mallorca ist eine Stadt in Spanien, die tausende Touristen dorthin zieht. Der Homo Profi wandert im Urlaub durch deutsche Lande und macht Parlamentarierreisen auf Staatskosten nach Madagaskar. Wegen seiner Arbeit mag er in Deutschland bleiben, weil er für Urlaub kein Geld ausgeben mag. Er macht Parlamentarierreisen nach Madagaskar auf Staatskosten, wo er dazwischen auch einen Urlaub machen kann. Der Homo Feuermacher macht Urlaub in Rostock, Hoyerswerda, Mölln und Solingen. Diese Städte haben eine schwarze Geschichte. Die Spuren von Nazis und von Rechtsradikalen kann man in diesen Städten sehen, deshalb fährt der Feuermacher in diese Städte. Er fährt dorthin als Erinnerung, d.h. um sich an die Tat seiner Partei zu erinnern und seine alten nationalen Gefühle wieder zu erleben und zu erfühlen. Diese Menschen haben im Allgemeinen psychische Probleme. Die Homo Feuerlöscherin macht Studienreisen durch die Südtürkei, Kreta und Asylbewerber-Unterkünfte. Da die Feuerlöscherin für die Freiheit der Menschen, für ihre Rechte und für Solidarität kämpft, mag sie ihren Urlaub in den Ländern der Emigranten in Deutschland machen. Damit will sie zeigen, dass sie nicht gegen Ausländer ist. Der Homo Scheuklappicus (Yuppicus) fährt übers Wochenende nach Sylt und Ibiza bzw. hält sich ansonsten am liebsten auf den Seychellen oder in Brasilien auf. Diese Länder haben warmes Klima, besonders im Sommer ist es da sehr warm. Wer seine 204 Freiheit und Ruhe finden möchte, der fährt nach diesen Ländern. Die Menschen aus Hollywood fahren sehr häufig dorthin. Gruppe 7: [Sevim Kırlangıç, Nevin Genç, Kerem Erol, Aslı Hotalak, Aylin Karabaş] Diese Gruppe hat die linguistischen Unterschiede von Homo Germanicus verglichen, um ihren Blickwinkel auf das soziale Leben festzustellen. Der Homo Feuerschürer Amateur sagt „Ich hab ja nichts gegen Ausländer, aber …“ Das zeigt uns, dass der Amateur in seinem Kopf über die Ausländer Fragezeichen bzw. Vorurteile hat, weil er unsicher ist, ob er gegen oder für Ausländer sein soll. Das bedeutet, dass er die Ausländer nicht richtig kennt. Der Homo Feuerschürer Profi ruft „Das Boot ist voll“ und anschließend „Ich bin tief betroffen“. Mit der Aussage „Das Boot ist voll“ meint er, dass keine weiteren Ausländer mehr reingelassen werden dürfen. Deutschland ist voll genug mit Ausländern. "Ich bin tief betroffen“: Nach Anschlag gegen Ausländer. Diese Aussagen zeigen eindeutig, dass der Profi zwei Gesichter hat. Er ist in der Regel gegen Ausländer, aber aus politischen Gründen täuscht er Ausländerliebe vor und sagt, dass er von Anschlägen gegen Ausländer tief betroffen ist. Der Homo Feuermacher brüllt: „Ausländer raus, Deutschland den Deutschen!“. Ganz offen sagt er, dass er gegen Ausländer ist. Er will in Deutschland nur die Deutschen sehen. Das zeigt uns den Blickwinkel der Rechtsextremisten und Nazis. Sie sind Rassisten und erkennen die Menschen aus anderen Kulturen gar nicht an. Die Homo Feuerlöscherin flüstert „Liebe deinen Nächsten usw“. Sie ist immer für Solidarität, Nationalität der Menschen ist kaum von Bedeutung. Wichtig sind nur die Freiheit der Menschen und ihre sozialen Rechte. Der Homo Scheuklappicus (Yuppicus) jubelt „Hurra, der Dollar ist gefallen!“. Er beschäftigt sich mit Wirtschaft und Finanz, dagegen sind die anderen Probleme der Menschen wie z.B. Menschenrechte, Hunger, Ausländer, Asyl etc. für ihn kaum von Bedeutung. 205 Aktivität 4: Bei dieser Aktivität haben wir von den Studierenden erwartet, die vorkommenden Vorurteile im Text zu notieren und sie zu besprechen. Ausgehend von den davor durchgeführten drei Aktivitäten, die die Studierenden pflichtbewusst und ernsthaft realisiert haben, haben die Studierenden zum Ausdruck gebracht, dass dieser Text keine Vorurteile enthält, sondern er analysiert aus verschiedenen Gesichtspunkten das Verhalten der Deutschen gegen die Ausländer. Es ist ganz sicher, dass nicht alle Deutschen die Ausländer in Deutschland sehen möchten. Daneben gibt es Deutsche, die mit den Ausländern sehr zufrieden sind und mit ihnen friedlich leben. So ein Verhalten gilt nicht nur für die Deutschen; in jedem Land gibt es rassistische Menschen. 5.2.8.4. Textanalyse „Homo Germanicus“, der „deutsche Mensch“, wird genetisch in vier Untergruppen aufgeteilt. Das Wort genetisch deutet auf die Ideologien, Parteien und Organisationen hin. Im Text kommen vier Untergruppen vor, nämlich die Politiker, die Feministen, die Rassisten und die Ökonomisten. Darüber hinaus verweist der Autor mit dem Wort genetisch darauf, dass die Neigung zu der einen oder der anderen dieser Gruppen sich aus dem Aufwachsen in der entsprechenden Familie ergibt. Sehr vereinfacht gesagt: Bei rassistischen Familien wachsen rassistische Kinder auf, während bei Politikern Kinder aufwachsen, die eher mit Politik zu tun haben wollen. Wieder muss man feststellen, dass ein solcher Text mit seinen ironischen Übertreibungen sehr gut dazu dienen kann, Diskussionen anzuregen. Aber dadurch, dass als Endziel dieses Lernprozesses ein ausgewogenes Urteil vorgesehen ist, wird die ironische Verfremdung relativiert. Die genannten Untergruppen werden mit dem Feuer identifiziert, obwohl sie mit dem Feuer nichts zu tun haben. Der Begriff „Feuer“ wird hier jedoch als Mittel benutzt, um die genetisch aufgeteilten Gruppen konkret voneinander zu unterscheiden und ihr charakteristisches Wesen zu zeigen. In diesem Punkt ist es von Bedeutung, eine Wortanalyse der vier Untergruppen zu machen, die ironisch mit dem Begriff „Feuer“ verbunden werden: Der Feuerschürer (Politiker): schüren; anfachen, indem man im Feuer stochert, damit Luft zugeführt wird. Den Brand, das Feuer in der Heizung, im Ofen vergrößern (Wahrig, 1986; 1149). Im Zusammenhang mit der Thematik „Migration und Ausländer“ 206 nimmt der Begriff Feuerschürer eine negative Bedeutung an, weil er die Probleme vergrößert. Der Feuerschürer lässt sich nach zwei Aspekten analysieren: Amateur und Profi. Der Profi hat ein hohes Ansehen und kleidet sich, isst und reist passend zu seiner Position. Während der Profi sich normalerweise von Hummer und Kaviar ernährt, vertilgt der Amateur lediglich alle vier Jahre öffentlich einen Teller Erbsensuppe. Das ist eine ironische Anspielung auf bzw. Kritik an seinem Verhalten. Normalerweise essen sie nur gutes, teures Essen, dass sich nur Leute mit sehr viel Geld leisten können, aber alle vier Jahre, wenn wieder Wahlen sind, essen sie öffentlich bzw. demonstrativ, damit die Öffentlichkeit es sieht, nämlich Erbsensuppe. Diese Suppe gilt als Essen von Menschen mit wenig Geld bzw. „Arme-Leute-Essen“. Die Politiker essen alle vier Jahre solche Erbsensuppe (also in der Zeit kurz vor den Wahlen), um dadurch ihre „Nähe“ zu den unteren Schichten (die aber oft die meisten Wähler ausmacht) zu demonstrieren und sie dazu zu bewegen, sie zu wählen. Übrigens ist diese Vorgehensweise mit Sicherheit nicht nur typisch für deutsche Politiker, sondern auch viele türkische Politiker haben diese Strategie mit der demonstrativen, medienbegleiteten Speisung der Armen benutzt. Profi und Amateur zeigen bezüglich ihres Verhaltens große Unterschiede, die hier als ironisch gebündelte Vorurteile erscheinen, aber auch Gemeinsamkeiten treten hervor. Die Ausländerproblematik ist eine der wichtigsten Fragen für die deutsche Regierung. Politiker, Abgeordnete und auch einfache deutsche Bürger haben eine große Sensibilität für dieses Thema, deshalb zeigt ihre Haltung zu diesem Thema große Unterschiede. Ganz offen sagt der Profi: „Der Boot ist voll“. Der Boot symbolisiert hier Deutschland, und voll erscheint es vor allem den Profis wegen der Ausländerproblematik. Die Aussage Das Boot ist voll hat die Bedeutung, dass Deutschland genug Ausländer hat. Der Profi meint, dass keine weiteren Ausländer mehr hereingelassen werden dürfen. Dagegen erscheint für den Amateur dieses Problem mit vielen Fragezeichen ungelöst. Er findet die Ausländer in der Regel unangenehm, aber das bringt er nicht so ganz offen zum Ausdruck, sondern eher indirekt. Der Feuermacher: der Macher; jemand, der als treibende Kraft wirkt, Antreiber (Wahrig, 1986; 852). Man weist hier auf die Menschen hin, die danach streben, mit Macht und Gewalt, die sie aus ihrem Hass nähren, etwas schaffen zu können. So ein Verhalten verursacht in der Gesellschaft nur Probleme. 207 In diesem Text symbolisiert der Feuermacher die problematische Jugend. Sie ahmen die Nazi-Soldaten nach, deshalb tragen sie Bomberjacken, lesen nur die nationalen Zeitungen, die die nationalen sowie rassistischen Gefühle der Jugend anschwellen lassen. Mit anderen Worten: Sie schaffen Bilder, die zu den entsprechenden Gefühlsaufbrüchen passen. Diese Gefühle der rassistischen Jugend brechen auf, immer wenn sie irgendwo Ausländern begegnen. Die Aussage Ausländer raus, Deutschland den Deutschen und auch die Routinebesuche dieser Jugendlichen in Rostock, Mölln und Solingen, wo damals die fünf türkischen Ausländer von den deutschen Rechtsextremen und Nazi-Sympathisanten verbrannt wurden, zeigen den Hass der Rassisten auf Ausländer. Der Feuermacher arbeitet nicht, hockt vor dem Fernseher, isst aus Dosen und Chips und trinkt Hansapils (ein Hamburger Bier). Er vegetiert im kaputten Elternhaus. Er hat kein Geld, in einer eigenen Wohnung allein zu leben und sein Leben frei von der elterlichen Familie selbständig weiterzuführen. Die Feuerlöscherin: Unter den vier Feuer-Untergruppen ist die Löscherin die einzige, die ein positives Image widerspiegelt. Symbolisch bestrebt sie sich darum, das Feuer, welches von den Anderen vergrößert wurde, zu löschen, mit anderen Worten die gespannte Atmosphäre in der Gesellschaft zu verringern. Deswegen sitzt sie in der Bürgerinitiative. Um das Leben für sie und auch für die Anderen lebenswert zu machen, verteidigt sie die Menschenrechte und sorgt sich um Tiere und Natur. Die gesellschaftlichen Organisationen sind für sie aus diesen Gründen ein Mittel, um ihr Ziel zu erreichen. Ausländerfeindlichkeit (Homo Feuerschürer und Homo Feuermacher) stehen gegen übertriebene Ausländerliebe (Feuerlöscherin). Interessant ist es, dass hier die Ausländerliebe feminisiert wird. Anscheinend gibt es den männlichen Typ des Feuerlöschers nicht. Der Scheuklappicus (Yuppicus): Scheu bedeutet die Angst vor dem Kontakt mit jemandem oder etwas. Das Kunstwort ist nach „Scheuklappen“ gebildet, mit dem ein Pferd vor dem Scheuen bewahrt werden soll, indem es nicht zur Seite sehen kann. Im übertragenen Sinn verwendet man den Begriff auch für Menschen, die nur einseitig 208 Ausschau halten und sich keinen Überblick verschaffen. Entsprechend ist das zweite Kunstwort ebenfalls eine latinisierte Form für einen „modernen und erfolgreichen jungen Mann“. Im Zusammenhang mit dem Inhalt des Textes behauptet man, dass der Scheuklappicus Angst vor den Ausländern in Deutschland hat, d.h. er ist kontaktscheu gegenüber ihnen. Das hat viele Gründe. Er will mit Ausländern keinen Kontakt haben, um nicht mit ihren Problemen konfrontiert zu werden, sie nicht Ernst nehmen zu müssen, und sich nur auf seine Arbeit konzentrieren zu können. Da anscheinend außer Homo Feuerschürer, Homo Feuermacher und Homo Feuerlöscherin nur noch Homo Scheuklappicus zu existieren scheint, bedeutet das offenbar, dass diese Homo-Gruppierung unabänderlich ist; denn es gibt keine Untergruppe, die reflektiert und, ohne Ausländer zu stigmatisieren (positiv oder negativ), nachdenkt und handelt. Zu diesem Punkt ist die folgende Aussage von Osman Engin erwähnenswert: In letzter Zeit haben sich die Deutschen in zwei Lager aufgeteilt: Die eine Hälfte will uns mit Messern, Pistolen und Molotowcocktails umbringen und die andere mit ihrer übersteigerten Liebe (Engin, 1992; 160). Ironisch wird damit klargestellt, dass jede Initiative, das Ausländerproblem zu behandeln, ob mit positiver oder mit negativer Zielsetzung, jeweils ihre Schattenseiten und unerwartete Folgen haben kann. 5.2.9. Unterrichtsmodell 9: Sprich langsam, Türke! 5.2.9.1. Textinhalt Der Text konzentriert sich auf die Sprache und Kommunikation der Türken in Deutschland und auf ihr Verhalten in der deutschen Gesellschaft. Die Sprechhaltung der Türken, die seit etwa 45 Jahren in Deutschland leben, und ihre Annäherung an die deutsche Sprache nimmt man ironisch in die Hand, indem man die Relation zwischen Kultur und Sprache vergleicht, um festzustellen, woher die Türken ihre Sprachgewohnheiten erwerben. Man vergleicht außerdem die morphologischen und syntaktischen Unterschiede der deutschen und türkischen Sprache, die zu den Gründen der hektischen Sprechweise der Türken gezählt werden. 209 5.2.9.2. Lernaktivitäten Der Text „Sprich langsam, Türke!“ ermöglicht uns unter anderem fünf Aktivitäten durchzuführen, die darauf abzielen, die Sprechfähigkeit und Kommunikationsbereitschaft der Studierenden zu entwickeln sowie artikulatorische und grammatikalische Besonderheiten der deutschen und türkischen Sprache zu vergleichen. Somit werden sie sich die Unterschiede beider Sprache leichter aneignen, was beim Lernen der deutschen Sprache positiv wirkt. Aktivität 1: Zur Sprechfähigkeit, Leistungs- und Verantwortungsbereitschaft: Zitieren Sie die türkischen Wörter im Text! Was für Assoziationen rufen diese Wörter bei ihnen hervor? In diesem Schritt spielen die Studierenden die erste Stelle vor, die die alltäglichen Gespräche der Türken am Straßenrand darstellt. Mit dieser Aktivität möchten wir die Leistungs- und Verantwortungsbereitschaft der Studierenden fördern und ihre Körpersprache begünstigen. Aktivität 2: Zur Sprechfähigkeit: Die Studierenden sollen die folgenden Wortgruppen kommentieren und sie zur Migrationsproblematik in Beziehung setzen. • von Türken urbanisiertes Viertel • Sprache und Integration Aktivität 3: Zur Sprechfähigkeit: Was für Unterschiede und Gemeinsamkeiten gibt es zwischen den türkischen Jugendlichen in Deutschland und den deutschen Vo-ku-hi-laJugend? In dieser Phase vergleichen die Studierenden die türkischen und deutschen Jugendlichen und beschreiben die Außensicht und Sprachhaltung beider Gruppen! Aktivität 4: Zur Sprech- und Schreibfähigkeit: Die Studierenden zitieren und diskutieren die Stellen, anhand deren der Autor die Kommunikation der Türken miteinander sehr hart kritisiert. Als Hausaufgabe hat jede(r) Studierende eine Stelle aus dem Text zu zitieren und seine Kritik zu begründen. Aktivität 5: Die Studierenden stellen die Gründe der Sprachprobleme der Türken fest, indem sie die syntaktischen und artikulatorischen Unterschiede der deutschen und türkischen Sprache kontrastiv untersuchen. 210 5.2.9.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten Aktivität 1: In dieser Aktivität haben die Studierenden während des Vorlesens des Textes die türkischen Wörter im Text notiert und über ihre Assozitionen gesprochen. Danach haben sie die erste Stelle, die die alltäglichen Gespräche der Türken am Straßenrand beschreibt, vorgespielt. Die zitierten türkischen Wörter sind Lan, Moruk, Ey und Schschtt, die man meistens bei der alltäglichen Sprache am Straßenrand benutzt. • Lan → Hey Kerl • Moruk → Alter Mann, Macker (Babalık) • Ey → Hey • Schschtt → Guck mal her, sei ruhig, pass mal auf, sprich nicht, was ist? etc. Die Studierenden haben über die alltäglichen Gespräche der Türken am Straßenrand gesprochen und versucht, sie zu imitieren. Zwei Studierende sind an die Tafel gekommen und haben die Gespräche der Menschen auf der Straße vorgespielt, was bei den anderen Studierenden ein großes Interesse gefunden hat. Aktivität 2: Diese Aktivität konzentriert sich darauf, die Sprechfähigkeit der Studierenden zu entwickeln und sie über die Türken in Deutschland und auch über die Relation zwischen Sprache und Integration in Erfahrung zu bringen. Darüber hinaus haben sie über die Wortgruppen von Türken urbanisiertes Viertel und Sprache und Integration nachgedacht und ihre eigenen Meinungen zum Ausdruck gebracht. Die Meinungen der Studierenden gingen natürlicherweise in verschiedene Richtungen. Am Ende der Auseinandersetzung haben die Studierenden das Thema mit einem Satz zusammengefasst. Im Folgenden zitieren wir einige Meinungen: [Barış Aydın]; Das Urbanisieren ist ein interkulturelles Phänomen, deshalb habe ich es kaum als ein Problem geurteilt. Auch bei uns, in der Türkei, befindet sich Viertels, wo nur die Emigranten wohnen, z.B. Cevat Paşa Straße in Çanakkale. Auf dieser Straße wohnen nur die Romanen, d.h. Zigeuner. Ich bin mit ihnen immer in Kommunikation und lerne von ihnen über ihre Kultur vieles. Sie sprechen Akzent, haben eine interessante Hierarchie, die 211 ich manchmal nicht verstehe. Nach meiner Meinung ist es für uns und für unsere Kultur ein Reichtum. [Burçin Özgün]: Ich fühle mich wirklich besser, wenn ich um mich Ausländer sehe. Jeder Mensch hat Recht, in der Türkei oder irgendwo, wo er will, sein Leben weiterzuführen. [Funda Gürbüz]; Die Türken in Deutschland neigen eher dazu, in demselben oder in benachbarten Stadtviertaln zu wohnen, weil sie sich von Assimilation der Deutschen schützen wollen. Aber wir sind nicht ganz sicher, ob diese Selbstisolierung eine gute Lösung ist. Nachdem Funda ihre Meinung geäußert hat, fingen die Studierenden eine lebhafte Diskussion über Assimilation und Integration an. Sie meinten, dass die Assimilation eine negative Bedeutung hat, während die Integration das Zusammenleben der Menschen aus verschiedenen ethnischen Gruppen erleichtert. Darüber hinaus kann man sagen, dass die Deutschen die in Deutschland lebenden Ausländer nicht assimilieren wollen, sondern sie glauben, dass die Ausländer unter besseren Umständen ihr Leben weiterführen können, wenn sie sich integrieren lassen und die deutsche Kultur besser kennen. Dasselbe gilt auch für Deutsche, die die Subkultur der MigrantInnen näher kennenlernen möchten. [Şengül Çiftçi]; Die Deutschen bestreben sich nicht darum, die Türken zu assimilieren. Wenn sie das wollten, dann erlaubten sie ihnen nicht, sich in Deutschland Mosche bauen zu lassen. Man muss nicht vergessen, dass die Türken in Deutschland recht haben, an deutschen Schulen und Universitäten ihre Sprache zu lernen. Woraus stammt die Meinung, dass die Deutschen die Türken assimilieren wollen? Ich glaube aus den alten Zeiten, d.h. aus den 60er Jahren. In diesen Jahren kannten die Deutschen und die Türken einander nicht und sie hatten gegenseitige Vorurteile. Die negativen Spuren dieser Vorurteile sind bis heute gelangen, deshalb bewerten die beiden Seite manche Ereignisse einseitig. [Elif Yergezen]: Ich glaube, jeder hat recht, wo er will, da zu leben. Ich komme aus Aydın und da sehe ich viele Deutsche, mit denen ich in 212 Kommunikation setze. Jeder muss Empathie bilden und die anderen Menschen denken. Diskussionspunkt Empathie: Stellt ihr euch vor, dass es in Ankara, der Hauptstadt der Türkei, ein Viertel gäbe, wo nur Deutsche mit einer Distanz zu den Türken leben! Was könnt ihr darüber sagen? [Barış Aydın]: Es gibt auf der Welt kein Land, das nur aus einer ethnischen Gruppe besteht. In der Türkei auch leben viele Menschen aus verschiedenen ethnischen Gruppen. Das stört uns nicht und die türkische Regierung gibt ihnen viele Rechte. Es ist mir egal, ob in Ankara eine Gruppe aus Deutschen lebt. Wichtig ist nur ihre Kommunikation mit uns. [Şirin Serpen]: Die Deutschen sollen die Türken und ihre Kultur schützen, weil sowohl die Türken als auch Emigranten aus anderen Ländern bei der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands eine große Rolle gespielt haben. Wenn die Deutschen deshalb in der Türkei sind, sich unser Land entwickeln zu lassen, bieten wir ihnen Willkommen. Die Meinungen der Studierenden verdeutlichen, dass sie die Migrationsproblematik multidimensional bewertet und versucht haben, Empathie zu bilden. Am Ende der Auseinandersetzung hat eine Studentin das Thema mit einem Satz zusammengefasst: [Nihal Avdar]; Die Entwicklung eines Landes ist abhängig von seinen internationalen Beziehungen. Aktivität 3: Die Studierenden wussten nicht, was das Wort Vo-ku-hi-la bedeutet, deshalb haben sie miteinander kurz gesprochen und versucht, die Bedeutung dieses Wortes zu erschließen. Die Vorschläge sind um „beste Freunde“, „Schlingel“, und „böse Jugend“ gegangen. Nach einer kurzen Diskussion wurde die Bedeutung dieses Wortes auf die Tafel geschrieben; auch einige Fotos von Vo-ku-hi-la-Jugend wurden mit dem Lichtprojektor an die Wand gespiegelt. vo ku hi la ↓ ↓ ↓ ↓ vorne kurz hinten lang 213 Vo-ku-hi-la beschreibt eine Frisur, die im Laufe der 1980er und zu Beginn der 1990er Jahre ein vorherrschender Trend war. Man sagt außerdem Nackenteppich oder Nackenfotze. Im Folgenden zeigen wir einige Fotos von der Vo-ku-hi-la-Jugend. Bild 3: Vokuhila Im Laufe der Aktivität haben die Studierenden über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der türkischen Jugendlichen in Deutschland und der deutschen Voku-hi-la-Jugend gesprochen; sie haben außerdem die Außensicht und Sprachhaltung beider Gruppen verglichen. Sie sagten, dass auch türkische Jugendliche der 80er und 90er Jahre lange Haare hatten. In diesem Schritt haben sie einige Fotos von ihren Vätern und Verwandten in den 80er Jahren gezeigt. Typisch ist für türkische Jugendliche in den 80er Jahren außerdem, dass der Pullover in der Hose mit Gürtel geschnallt ist. Aktivität 4: Die Studierenden haben in diesem Schritt die Textstellen zitiert, wo der Autor die Kommunikationart der Türken sehr hart kritisiert. Sie haben danach die zitierten Stellen begründend interpretiert. Im Folgenden zitieren wir einige Interpretationen; 214 Beispiel 1; „Gäbe es eine Pfütze-Spuck-Weltmeisterschaft, käme über Jahre hinaus der Champion aus Hamburg-Wilhelmsburg“. [Aslı Hotalak]: Das ist eine Kritik. Schriftsteller kritisiert, denn er denkt daran, dass die Türken immer auf die Erde spucken. In Hamburg-Wilhelmsburg leben viele Türken. Deshalb ist der Meister in Hamburg-Wilhelmsburg. [Kerem Erol]: In Hamburg-Wilhelmsburg leben viele Türken und der Autor sagt, dass sie immer spucken. Er betrachtet die Türken als die spuckenden Menschen. So bringt er zur Sprache, dass das ein unhöfliches, schlechtes Verhalten ist und er möchte uns diese Respektlosigkeit reflektieren. Im oben zitierten Beispiel weisen die Studierenden auf das Verhalten der türkischen MigrantInnen im Alltag. Sie fallen besonders mit ihrer Spuckgewohnheit auf der Straße auf. Wenn wir es vor Augen halten, dass die Menschen in der Gesellschaft einander respektieren und gegenseitige Rechte nicht ignorieren sollen, dann müssen die Türken in Deutschland auf ihre Verhaltensweisen in der Öffentlichkeit mehr aufpassen und das Ansehen ihrer Landsleute nicht verletzen. Beispiel 2: Türkische Jungs stehen gerne Kürbiskerne essend und palavernd um eine stetig wachsende Rotzlache herum. [Şirin Serpen]: Der Autor kritisiert die Türken in diesem Satz. Er erzählt uns, dass die Türken auf der Straße immer ausspucken. Türkische Junge amüsieren sich sogar spuckend. [Nesrin Turan]: Der Autor vergleicht die deutschen und türkischen Jungen miteinander. Nach meiner Meinung ist dieser Vergleich nicht richtig, denn nicht alle türkischen Jungen behandeln so. Das ist falsch, dass alle Jungen nach einem Jungen beurteilt werden. Das Vorurteil von dem Autor über die türkischen Jungen zeigen diese Sätze, denn er sieht nur die Türken in Deutschland. Ähnlich sind alle Türken nicht. 215 In diesem Beispiel kritisiert man die türkischen Jungs, die auf der Straße gruppenweise umhergehen, herumspucken und Kürbiskerne essend ihre Umwelt verschmutzen. Eine Studentin weist aber auf die Verallgemeinerung des Autors hin, dass sich nicht alle türkischen Jungs in Deutschland und in der Türkei so ungehörig verhalten. Sowohl in der Türkei als auch in Deutschland gibt es solche Menschen und dies sind nicht nur die Jungs, die auf den Boden spucken. Solche Verhaltensweisen haben eine große Parallelität mit dem Bildungsniveau. Denn es sind oft ungebildete Menschen, die ihre Umwelt verschmutzen und stören. Beispiel 3: Wahre Lamas, auch im Denkvermögen, pflastern sie jeden Bürgersteig mit ihrem fein austarierten Gemisch aus Speichel und Rotze zu. Taschentücher sind ein rares Gut, und warum soll man auch einen vollgeschnäuzten Rotzlappen mit sich herumtragen, wenn man den flüssigen Überschuss sofort loswerden kann? [Burçin Özgün]: Hier gibt es Kritik gegen die Türken über ihre Sauberkeit. Das heißt, die Türken sind schmutzig. Sie verschmutzen ihre Umgebung, mit dem sie mit ihrem Gemisch aus Speichel und Rotze zu. Auf dem Satz sagt man, dass die Türken Taschentücher nicht benutzen. [Cansu Candemir]: Die türkischen Männer beschmutzen Bürgersteige. Wegen ihnen sind die Bürgersteige schmutzig. Sie zerstreuen Mikrobe. Das ist ein primitives Verhalten. Genauso wie in den ersten zwei Beispielen wurde auch hier die Sauberkeit der Türken betont. Obwohl die Türken eine Möglichkeit haben, Taschentücher zu benutzen, tun sie das manchmal nicht und verschmutzen ihre Umgebung. Diese Haltung wird sowohl vom Autor als auch von den Studierenden kritisiert. Aktivität 5: Die Studierenden stellten die Gründe der Sprachprobleme der Türken in Deutschland fest, indem sie die syntaktischen und aussprachlichen Unterschiede der deutschen und türkischen Sprache in einer Tabelle verglichen haben. Neun Studierende haben diese Aktivität durchgeführt und beim Lesen des Textes die wichtigen 216 Sprachprobleme notiert. Die anderen Studierenden haben dazwischen andere Aktivitäten realisiert. Im Folgenden zitieren wir die Notizen der Studierenden über die Sprachprobleme; Die Türken in Deutschland haben viele Sprachprobleme, die im Allgemeinen damit zu tun haben, dass die türkische und die deutsche Sprache zu verschiedenen Sprachfamilien gehören und die sprachlichen Strukturen stark divergieren. Diese Probleme sieht man öfters bei der Aussprache, bei der Lautstärke und beim Sprechtempo. Die Türken Beim Sprechen verschlucken die Türken die Vokale und intonieren deshalb in Stosslauten, weil es im Türkischen kein Wort gibt, in dem man mehr als 2 Konsonanten nebeneinander stehen. Vokale sind einfacher auszusprechen. Die Deutschen Im Deutschen gibt es Wörter, die 3 oder 4 Konsonanten nebeneinander haben. Beispiele dafür sind, sprechen, gepfropft, Impfkalender etc, welche die Türken ganz schwer aussprechen. Sie schieben zwischen Doppel- oder Dreifachkonsonanten Vokale, um die Wörter leichter aussprechen zu können. Z.B. Stuttgart → Schututtgart, Stein →Schıtein usw. Typisch für die türkische Kommunikation ist Die Deutschen sprechen leiser als die die Lautstärke. Sie sprechen laut, weil sie Türken. glauben, die Kommunikation würde wirksamer, wenn sie lauter als gewöhnlich sprechen. Die Türken sprechen sehr schnell aber Die Deutschen sprechen deutlicher fehlerhaft. Aber langsam sprechende Türken als die Türken. gibt es auch. Ein anderes Sprachproblem rührt von der unterschiedlichen Syntax her. Türkische Sprache Deutsche Sprache Subjekt + Objekt + Verb Subjekt+ Verb+ Objekt Wie oben zu sehen ist, ist die Wortstellung der beiden Sprachen sehr unterschiedlich. Deshalb übertragen die Türken die muttersprachlich erlernte Wortstellung auf das Deutsche und sie verursachen syntaktische Interferenzfehler. So eine interferenzhaltige Satzbildung sieht man meistens bei Infinitivsätzen, die die Türken stets gebrauchen, weil der Infinitiv an die türkische Satzstellung gut passt, wie z.B. „Meine Frau immer krank sein“. 217 5.2.9.4. Textanalyse Der Text fängt mit einigen zitierten Sätzen an, die die Türken in Deutschland bei ihren alltäglichen Gesprächen am Straßenrand häufig benutzen. Das Zitieren dieser Sätze hat hier die Rolle, die nachfolgenden Thesen des Autors zu bekräftigen: Die türkischen MigrantInnen sprechen auf der Straße fehlerhaftes Deutsch, was unterschiedliche Gründe hat. Die türkischen MigrantInnen, die in ländlichen Gebieten der Türkei aufgewachsen und dann nach Deutschland emigriert sind, haben keine schulische Ausbildung. Deshalb sprechen sie den Dialekt ihres Landes. Demgemäß bringt der Autor zum Ausdruck, dass diese Leute ihre hektische Sprechweise aus ihrer Muttersprache ins Deutsche übertragen haben (S.112). Beim Aussprechen der deutschen und der türkischen Sprache verschlucken die Türken die Vokale; das macht ihr Deutsch zusätzlich schwer verständlich. Dieser Text enthält im Hinblick auf die Sprachhaltung viele kritische Stellen, die sich auf die türkischen Jugendlichen beziehen. Die Kritik konzentriert sich vor allem auf das Verschlucken der Vokale, auf die Lautstärke und auf das Sprechtempo. Beim Sprechen mischen sie außerdem die türkischen und die deutschen Wörter, was Kritik auf sich zieht. Die Gründe dieser hektischen Sprechweise liegen nach dem Autor in ihrer Geschichte, die ihr Temperament bestimmt. Daneben spielt auch ihre Unfähigkeit, sich fremden Gewohnheiten anzupassen, eine große Rolle. Die Lautstärke ist nach der (ironischen) Meinung des Autors für die türkische Kommunikation typisch; Schon aus 30 Metern Entfernung ist es möglich, den Wortlaut mitzuverfolgen. Vielleicht tragen Türkleute immer noch ihre nomadische Herkunft aus den Steppen Zentralasien in den Genen (S. 113). In diesem Zitat behauptet der Autor, dass lautes Sprechen ein herkunftsbasiertes Charakteristikum der Türken ist. Als die Türken in Zentralasien im Zelt lebten, hätten sie angeblich durch Schreien kommuniziert. Dieser besondere Zug habe sich bis heute wenig geändert, weil die Türken in Telefongesprächen immer noch im hohen Dezibelbereich sprechen. Zudem sagt der Autor hier ironisch, dass man nach Meinung der Türken durch Schreien Missverständnisse vermeide. Es gibt selbstverständlich Ausnahmen: 218 In einem Dorf namens Saraçlı, an der Schwarzmeerküste gelegen, denken und sprechen die Bewohner so langsam und dehnen jeden Vokal dermaßen, dass man ungeduldig auf die nächste Silbe wartet. – Naaaaaaapiiiiiiiiin, la? (S.114). Neben dem Sprechtempo und der Lautstärke stellt auch die unterschiedliche Wortstellung der türkischen und der deutschen Sprache für die Türken ein Problem dar. Während ein türkischer Satz die Wortfolge Subjekt-Objekt-Verb erfordert, verläuft die deutsche Wortstellung nach dem Schema Subjekt-Verb-Objekt. Übrigens übertragen die Türken die muttersprachlich erlernte Satzstellung auf das Deutsche und produzieren somit eine fehlerhafte Sätze. Interferenzfehler kommen in Sprichwörtern, Idiomen und anderen alltäglichen Gesprächen häufig vor. Beispiele dafür sind: • Meine Frau immer krank sein • Du nikis mit meine Schitolz spielen, Chef, sons… • Auch meine Frau immer jammern Im Laufe der Zeit sprechen auch die Deutschen mit den so, weil sie denken, wenn sie nur genug Infinitive benutzen und etwas lauter als gewöhnlich sprechen, wird die Kommunikation mit den Türken schon klappen (S. 115). Das Aufteilen der deutschen Substantive in drei grammatische Genera, also in Femininum, Maskulinum und Neutrum, spielt für die türkischen MigrantInnen beim Erlernen der deutschen Sprache eine erschwerende Rolle, weil die türkischen Substantive kein grammatisches oder natürliches Geschlecht haben. Auch Konsonantenhäufung im Anlaut türkischer Wörter sind - abgesehen von Lehnbzw. Fremdwörtern - kaum möglich. Die Türken haben daher Ausspracheschwierigkeiten, die sie durch Tilgung25, Epenthese26 oder Prothese27 zu überwinden versuchen. Ausgehend von den oben zum Ausdruck gebrachten Sprachproblemen der Türken in Deutschland wird hier zur Diskussion gestellt, was für Vorteile das Erlernen einer Fremdsprache für die türkischen MigrantInnen hat; Türken kamen nicht für einen Sprachkurs nach Almanya, nicht, weil sie unbedingt Land, Leute und deutsche Kültür kennen lernen wollten. Welche 25 sprachwidrige Weglassung eines der Konsonanten, die Schwierigkeiten bereiten; * Fropf statt Pfropf sprachwidrige Lauteinschaltung im Wortinnern; *şıprechen, *tiren, *filim 27 sprachwidrige Lauteinschaltung im Anlaut; *Ipfanne statt Pfanne 26 219 Sprachkenntnisse wurden von einem Müllmann, einem Arbeiter in der Montage oder einem Kumpel unter Tage schon verlangt? (S. 115). In diesem Zitat ziehen besonders zwei Wörter das Interesse auf sich: Almanya und Kültür, die bewusst auf Türkisch geschrieben sind. Über so eine Haltung hinaus will der Autor die Reaktion der MigrantInnen auf die deutsche Sprache und auf die deutsche Kultur vor Augen führen und ihre Sprachgewohnheit kritisieren. Erkennbar ist in diesem Zitat, dass die türkischen MigrantInnen in ihrer Haltung gegenüber dem Erlernen der deutschen Sprache einseitig denken. Da sie, besonders die MigrantInnen der ersten Generation, auch ihre Muttersprache nicht gut beherrschen, konnten viele von ihnen nicht einmal lesen und schreiben, verstehen sie die Bedeutung einer Fremdsprache an sich nicht, deshalb haben sie zur deutschen Sprache einen grundsätzlichen Abstand. Die oben genannten Sprachprobleme der türkischen MigrantInnen führen die deutsche Regierung jetzt dazu, gegen diese Sprachprobleme Maßnahmen zu treffen. Durch diese Maßnahmen will man angeblich das Erlernen der deutschen Sprache erleichtern, die Integration vorantreiben und die deutsch-türkische Solidarität stärken, was sich auf das Zusammenleben beider Bevölkerungsgruppen positiv auswirken soll. Diese Maßnahmen sind; • Türkische Gymnasiasten dürfen das neue Unterrichtsfach „Türkisch“ belegen. • Sachkundige Hodschas werden zum Religionsunterricht hinzugezogen. • Das hamburgische Schulsystem übernimmt bereitwillig die eigentlich elterlichen Aufgaben, nämlich türkischen Kindern die eigene Kultur, Religion und Sprache beizubringen. • Nebensächliche Fächer wie Deutsch oder Mathematik mit Grundkursen werden abgeschafft, damit die Jugendlichen sofort Türkisch als Leitungskurs wählen. Während diese Maßnahmen sich auf das Lernen der türkischen Sprache positiv auswirken, läuft inzwischen auf dem Campus eine ganze Generation türkischer Abiturienten mit spitzenmäßiger Abi-Durchschnittsnote herum, die zum Teil keinen grammatikalisch vollständigen deutschen Satz sprechen kann und nicht weiß, was ein Verb oder ein Substantiv ist (S.117). 220 Da das Lehren der deutschen Sprache scheiterte, stießen die Türken hinsichtlich der Integration auf entsprechende Probleme führten ihre alten Gewohnheiten weiter. Das Ausspucken der türkischen Jugendlichen kritisiert der Autor sehr hart: Türkische Jungs stehen gerne Kürbiskerne essend und palavernd um eine stetig wachsende Rotzlache herum. Gäbe es eine Pfütze-Spuck- Weltmeisterschaft, käme über Jahre hinaus der Champion aus HamburgWilhelmsburg (S.118). So eine übertriebene Kritik verletzt das Prestige der Türken und verhindert die weitere Entwicklung und das Wachsen von Solidarität. Das wird hier an einem Beispiel aus Hamburg verdeutlicht. Da die Kulturhoheit in Deutschland und damit auch weitgehend die Ordnung der Schule bei den Bundesländern liegt, muss das nicht für andere Bundesländer und für andere Großstädte gelten, aber die grundsätzlichen Probleme können als gleichbedeutend für ganz Deutschland gewertet werden. Zusammenfassend kann man sagen, dass es in diesem Text um Sprache und Integration und auch um Vorteile des Erlernens einer Fremdsprache geht. Die Notwendigkeit, Deutsch (als Fremdensprache) zu erlernen ist eine Voraussetzung für die Integration und das harmonische Zusammenleben. 5.2.10. Unterrichtsmodell 10; Länder, Türken, Abenteuer 5.2.10.1. Textinhalt Der Text Länder, Türken und Abenteuer konzentriert sich auf die Gründe der Missverständnisse und Vorurteile zwischen Deutschen und Türken. Daneben stellt der Autor die Funktion der Massenmedien bei diesen Missverständnissen zur Diskussion. 5.2.10.2. Lernaktivitäten Von dem Text „Länder, Türken, Abenteuer“ ausgehend wurde den Studierenden nach dem Vorlesen des Textes in der Klasse eine Hausaufgabe gegeben, die Motive im Text herauszufinden. Die Studierenden sollten Lernaktivitäten entwickeln und sie vor der Klasse einzeln oder in Gruppen präsentieren. Aktivität 1: Diese Aktivität wurde von sechs Studierenden entworfen. Die Studierenden werden die komischen und ironischen Stellen im Text unterstreichen und 221 sie analysieren. Außerdem versuchen sie zu klären, warum der Autor die unterstrichenen Stellen komisch oder ironisch darstellt. Aktivität 2: Drei Studierende, haben bei dieser Aktivität als Ausgangspunkt die Karikatur im Text gewählt und sich darum bemüht, sie im Hinblick auf das Thema zu analysieren. Aktivität 3: Drei Studierende haben angeboten, die Vorurteile im Text zu thematisieren, indem sie ihre Gründe vor Augen stellen. Ihre Lehrmaterialen sind Bilder und Videos über die türkische Kultur. Aktivität 4: Vier Studierende sind zur Idee gekommen, aus der türkischen Zeitung Hürriyet Nachrichten über die Türken und ihre Kultur zu finden und diese Nachrichten nach ihrer Reflexion der Realität zu analysieren. Aktivität 5: Ziel der Studierenden ist, mittels dieser Aktivität zu zeigen, dass die türkische Kultur im Vergleich zu der arabischen Kultur sehr anders ist und dass beide Kulturen aus verschiedenen Wurzeln kommen. 5.2.10.3. Die zitierten Antworten der Studierenden auf die Aktivitäten Aktivität 1: Bei dieser Aktivität haben drei Studierende die komischen und ironischen Stellen im Text unterstrichen und sich darum bemüht, die unterstrichenen Sätze zu erklären. Sie haben diese Aktivität als Hausaufgabe vorbereitet und in der Klasse vorgetragen. 1. Um die Gründe umfassend zu erörtern, bräuchte man mehrere Hundert Seiten. Dann würde das Buch für den Leser aber mehr Kosten als Nutzen verursachen. Das ist eine sachliche Kritik an den Menschen, die kaum Geld ausgeben, um etwas lesen und erfahren zu können. 2. Nicht-Wissen wurde durch Vorurteil und Desinteresse durch Ignoranz ersetzt. Von diesem Satz ausgehend werden die Menschen kritisiert, die keine Mühe geben, um etwas zu lernen. Die ungebildeten Menschen haben gegen alles Fremde Vorurteile, die interkulturelle Konflikte verursachen. 222 3. Die Zutaten dieser Berichte sind immer dieselben: ein Schuss fremd klingender Namen und Begriffe. Man kritisiert in diesem Satz TV-Sendungen, Zeitungen, Zeitschriften und Bücher, die so viele fremd klingende Wörter und Begriffe enthalten, dass sie das Verständnis erschweren. So ein Sprachgebrauch ist auch bei Politikern und Literaten üblich Wissensreichtum und Prestige vortäuschen wollen. Wir sind aber der Meinung, dass die Fremdwörtelei das Verstehen erschwert; wer nicht verstanden werden will, bevorzugt Fremdwörter. Ein gemäßigter Sprachgebrauch, der die Wortwahl nicht in eine ethymologische Richtung zwingt, ist angebracht. 4. Perfekt ausgestattet mit diesem Halbwissen gehen diese elitären Menschen auf die armen Ausländer los. Der Autor macht die sich selbst elitär fühlenden Menschen deshalb lächerlich, weil sie die Ausländer mit ihrem Halbwissen verurteilen und unterschätzen. Stattdessen sollten sie sich bemühen, Auskünfte über die Ausländer zu sammeln und somit sie ohne Vorurteile zu beurteilen. 5. Bei dem Beschneidungsritual wird den Jungen manchmal sogar noch ein kleines Stück ihrer Piselinos drangelassen. Das Entfernen der Vorhaut erhöht auch selten die Potenz des Mannes. Wenn es tatsächlich so wäre, würden auf der ganzen Welt nur beschnittene Männer herumlaufen. Das ist eine komische Stelle. Eigentlich will der Autor sagen, dass die Beschneidung nichts mit der Potenz zu tun hat. 6. Bei diesem jahrzehntelangen brennenden Desinteresse an der anderen Kultur also kam es, wie es kommen musste. Nicht-Wissen wurde durch Vorurteil und Desinteresse durch Ignoranz ersetzt. Hier kritisiert er diejenigen, die gegen Veränderung sind. 7. Ein paar Grüselgeschichten kommt aus der Nachbarschaft,…und der hat dem echt seine Tochter verkauft? Hier gibt es zwei Kritiken. Erstens: Die Türken erzählen einander alles weiter. Sie mögen klatschen. Zweitens: Angeblich verkaufen manche Familien in ländlichen Gebieten ihre Töchter, um Geld zu haben. Sie sähen ihre Töchter als Sache. 8. Die Zutaten dieser Berichte sind immer dieselben: ein Schuss fremd klingender Namen und Begriffe-…der Imam nimmt auf seiner Minbar Platz und betet gen Mekka die Suren aus den Hadithen… Wenn die Türken Türkisch sprechen, benutzen sie fremde Wörter. Hier kritisiert man die falsche Spracheverwendung der Türken. 223 9. Die sprießenden Quellen seines objektiven Alman-Kültür-Bildes sind das türkische Privatfernsehen und vor allem die großtürkische Zeitung Hürriyet. Das Fernsehen und die Presse veröffentlichen die Nachrichten, ohne sie zu hinterfragen. Deshalb benutzt man hier das Wort „objektiv“ ironisch. 10. In der Weltgeschichte tauchte zuerst der Knoblauch auf, dann der Türke. Zuerst muss man sagen, dass der Knoblauch in Ägypten entdeckt wurde, nicht in der Türkei. Aber wie im ganzen Orient mögen auch Türken den Knoblauch sehr und benutzen ihn gerne bei der Zubereitung vieler Gerichte. Aktivität 2: Bei dieser Aktivität haben drei Studierende die Karikatur im Text analysiert. Sie haben in der Klasse ein Referat gehalten. Hier einige Zitate aus dem Referat; Bild 4: Opferfest Viele Türken leben in Deutschland. Diese Türken konfrontieren sich mit vielen Problemen, weil sie im Ausland leben. Zu diesen Problemen zählt man hauptsächlich Kommunikationsstörung, Anpassungsprobleme und Sprachprobleme. Deswegen entstehen in der deutschen Gesellschaft viele Vorurteile über die Türken. Die Türken möchten ihre Traditionen auch in Deutschland weiterführen. Aber die Deutschen kennen diese Traditionen nicht, deshalb reagieren sie auf die Türken meistens negativ. Die Deutschen erhalten ihre Kenntnisse über die Türken aus der Presse. Die Nachrichten in der türkischen Presse sind im Allgemeinen sensationell und übertrieben und reflektieren die kulturellen Eigenschaften fehlerhaft. Auf dem folgenden Bild sieht 224 man eine solche Nachricht. Man benutzt eindrucksvolle und sensationelle Mottos, die die Vorurteile verstärken: Bild 5: Eine türkische Zeitung und ihre Schlagzeile Die Haltung der türkischen Presse bei der Reflektion kultureller Nachrichten ist einseitig und falsch. Quote der Leserschaft spielt dabei eine wichtige Rolle. Man denkt, dass die Nachrichten ohne Blut und Grausamkeit kein Interesse erwecken. Massenkarambolagen auf den anderthalb-spurigen Highways, blutige Massaker, Amog laufen, Terrorismus, Blutrache, die Morde wegen der Sitte sind im Allgemeinen die häufigsten Nachrichten in der Zeitung. Die Deutschen, die ihre Kenntnisse über die Türken aus den Zeitungen erhalten, haben nur Vorurteile gegen türkische Traditionen und Lebensart. Daran ist teilweise die türkische Presse schuld. Z.B. Nach dem islamischen Glauben müssen die Muslime im Opferfest Tiere opfern. Während dieser Organisation nimmt die Presse die schlechtesten Szenen auf reflektiert sie so, als ob es Massaker gäbe. Aufgrund dieser übertriebenen und die Tatsachen entstellenden Nachrichten haben die Deutschen ein falsches Bild von den Türken. Nach dem Islam geben die Muslime ein Drittel vom Fleisch des Opfertieres den Armen und ein anderes Drittel den Verwandten und Nachbarn. Das restliche Drittel wird von der Familie konsumiert. 225 Bild 6: Fleisch Bild 7: Solidarität Somit haben die Armen die Möglichkeit, einmal im Jahr Fleisch zu essen. Die junge Generation besucht die Alten und zeigt somit ihren Respekt. Bild 8: Respekt Da es wenige Schlachthäuser in den großen Stadten gibt, müssen viele Menschen die Tiere in ihrem Garten oder auf der Straße opfern. Während des Schlachtens kommen die Menschen zusammen und schauen zu. Im Koran steht: Ya Fatıma, geh neben das Opfertier! Bleib neben ihm, wenn es geopfert wird! Mit dem ersten Blutstroffen wird man deine vergangenen Sünden entschuldigen! (İbn-i Hıbban). 226 Bild 9: Schlacht auf der Straße Aus Unaufmerksamkeit der Menschen entlaufen manchmal die zu opfernden Tiere. Derartige Szenen werden mittels der Presse skandalös reflektiert. In der Türkei gibt es auch hygienische Orte, um diese Tiere zu opfern. Bild 10: Hygienische Orte für Schlachten Hoffentlich kann die Presse die positiven Seiten dieser Phänomene sehen; denn diese Nachrichten reflektieren die türkische Kultur und Identität nicht richtig. Aktivität 3: Bei dieser Aktivität haben drei Studierenden die Vorurteile und ihre Gründe thematisiert. Bei ihrem Referat haben sie Bilder und Videos über die türkische Kultur gezeigt. Im Folgenden zitieren wir den Text, den die Studierenden während ihrer Präsentation als Solid-Show an die Tafel gespiegelt und präsentiert haben. 227 A. Die Vorurteile der Deutschen 1. Die türkischen Männer dürfen bei euch ihre Frauen schlagen. In Deutschland wie in der Türkei kann es schon Türken geben, die ihre Frauen schlagen, aber das darf man nicht verallgemeinern. Es gibt gute und auch böse Menschen. Die Fans von Hitler wirken z. B. auf Deutschland immer negativ; aber wir wissen, dass nicht alle Deutschen wie diese Fans sind. Kurz gesagt brauchen wir keine Vorurteile gegen die Menschen zu haben; wir müssen verallgemeinernde Urteile vermeiden. 2. ...der Imam nimmt auf seiner Minbar Platz und betet gegen Mekka die Suren aus den Hadithen. Diese Aussage zeigt eindeutig, dass die Kenntnisse der Deutschen über den Islam falsch oder mangelhaft sind. Denn die Hadithen sind heilige Erzählung von unserem Propheten Muhammed, keine Suren. 3. Die Türkei, ein Land zwischen Orient und Okzident, Schmelztigel vieler Kulturen, eine fette Prise aus der Ali-Baba-und-die-vierzig-Räuber-Kiste. Das Märchen Ali Baba ist ein Märchen aus 1001 Nacht. Die vierzig Räuber sind Diebe, die den Menschen das Eigentum zu Unrecht wegnehmen. Ali Baba raubt aber diese Sachen, die von den Räuber gestohlen sind, aus und gibt sie den ursprünglichen Eigentümern zurück. Man denkt, dass auch Ali Baba ein Räuber sei, das ist aber nicht so. Wichtiger scheint uns zu wissen, dass die türkische Kultur, die aus dem osmanischen Reich stammt, anders ist als die Kultur auf der arabischen Halbinsel. 4. ... in den dunklen, verwinkelten und engen Gassen der Kasbah findet sich nur der eingefleischte Berber... und zur Verfeinerung das übliche martialische Geheul, dass sich natürlich immer aus dem Koran, ergo Islam herleitet. Der Berber bettelt auf der Straße, indem er die reinen Gefühle der Menschen ausnützt. In der islamischen Kultur ist es verboten, die Menschen auszunützen oder auszubeuten. Die Menschen im Ausland beurteilen den Islam vorschnell, wenn/indem sie ausgehend von den Bettlern, die es überall mehr oder weniger gibt, eine Verallgemeinerung machen. 5. ... die Blutrache war schon immer ein fester Bestandteil der islamischen... Zuerst möchten wir sagen, dass diese Aussage total falsch ist, weil es nach dem islamischen Glauben verboten ist, einen anderen Menschen zu töten. Es ist Unrecht, die Blutrache als einen Bestandteil der islamischen Kultur zu verstehen. 228 B. Woher stammen die Vorurteile der Deutschen gegen die Türken? Die Deutschen haben viele Vorurteile gegen die Türken, die auf verschiedene Phänomene zurückgehen. Manche Türken benehmen sich unter der deutschen Gesellschaft ungehörig, und die Massenmedien reflektieren diese Verhaltendweisen sensationell. Unter diesen Umständen kommt es zu Vorurteilen. Wenn die Deutschen die türkischen Privatkanäle zappen, sehen sie viele negative Dinge. Ein Beispiel dafür ist das Opferfest, bei dem wir die Kälber und Lämmer nicht nur zum Essen schlachten, sondern um Allah unsere Dankbarkeit zu bieten. Kurz gesagt sind die Massenmedien und das voreilige Halb-Wissen die Gründe der Vorurteile. C. Was können wir machen, um die Vorurteile abzubauen? Es gibt Missverständnisse. Die Deutschen verwechseln die Türken mit den Menschen anderer Länder, z. B. mit den Arabern. Wir haben heute ähnliche kulturelle Eigenschaften, aber das bedeutet nicht, dass die Türken Araber sind. Selsbt arabische Länder weisen große Unterschiede in Kultur, Sitten, Bräuchen und Leben auf. Auch der Islam selbst wird in verschiedenen Ländern, in denen er die offizielle Religion ist, anders interpretiert. Trotz aller Unterschiede ist es ganz normal, dass es auch Gemeinsamkeiten gibt. Damals lebten die Deutschen und die Juden zusammen, aber wir sind nicht in der Meinung, dass sie gleich sind. Sie haben ähnliche aber auch verschiedene Lebensarten. Unsere Medien sollen die Nachrichten nicht entstellen und die Ereignisse nicht übertreiben. Sie müssen die Menschen richtig informieren. Auf diese Weise können die Deutschen diese Themen besser verstehen und ihre Vorurteile überwinden. Aktivität 4: Vier Studierende haben aus der türkischen Zeitung Hürriyet Nachrichten über die Türken und ihre Kultur gefunden und versucht, diese Nachrichten nach ihrer Reflexion der Realität zu analysieren. Im Folgenden zitieren wir die Präsentation der Studierenden; Schlagwörter der Zeitung Hürriyet über die Türken in Deutschland; • 24.08.2000, Almanya’da Türklere ihtiyaç yok [Türken in Deutschland braucht man nicht] 229 • 11.02.2008, Almanya'da Türk okulları önerisi beğenilmedi. [Türkischen Schulen in Deutschland gefallen Deutschland nicht] • Alman ırkçılar Türk sporculara saldırdılar [Deutsche Rassisten griffen türkische Sportler an] • Hitler selamı veren ırkçılar "İstanbul'a geri dönün pis Türkler" dedi [Die Rassisten, die Hitlergruss geben, haben „Raus nach Bosporus, Sscheisstürken“ gesagt] • 15 Ekim 2009,Vurun göçmene [Schlagt die Ausländer] • 29.02.2008, Yangınlardan dolayı Türk toplumu endişeli [Die Türken haben Angst vor Brand] • 28.02.2008, Alman Bakan: Medya sorumlu davransın [Deutscher Minister: Medien sollen Verantworung tragen] • Almanya'daki Türklerin psikolojik sorunları artıyor. [Die Türken in Deutschland haben immer mehr psychische Probleme] • 16 Ekim 2009, Türkler harekete geçti [Die Türken in Aktion] Im Zusammenhang mit den Mottos in den Zeitungen möchten wir im Folgenden drei Bilder zeigen, die die Probleme der Türken in Deutschland thematisieren. Auf dem ersten Bild sieht man einen Türken, der mit dem Plakat in seiner Hand auf drei Realitäten hinweisen möchte. Er lebt in Deutschland und arbeitet für die Zukunft dieses Landes. Er hat in sich eine unerfüllte Liebe und eine große Sehnsucht nach der Türkei. Dagegen leben in Deutschland auch Nazis, die niemanden lieben und von niemandem geliebt werden. Deshalb gehören sie zum Niemandsland. Auf dem zweiten Bild sieht man das Schlagwort der Nazis „Ausländer Raus“. Deutschland bildet heute nur zusammen mit den Ausländern eine Einheit oder eine Ganzheit. Wenn die Ausländer mit ihrem Hab und Gut Deutschland verlassen würden, bräche dann die Ökonomie zusammen und Deutschland würde zu einem halben Land. Auf dem dritten Foto betont man, dass die jüngere Generation der MigrantInnen nunmehr Deutschland nicht verlassen kann, weil sie sich als ein Stück dieses Landes fühlen. 230 Bild 11: Vaterland Bild 12: Auslaender raus! Abb. 3: Rückkehr Schluss: Bei dieser Aktivität haben die Studierenden einen Solid-Show mit Nachrichten aus der türkischen Zeitung Hürriyet über die Türken in Deutschland vorbereitet. Sie 231 haben die gewählten Nachrichten in Gruppenarbeit einzeln interpretiert. Die oben zitierten Schlagwörter zeigen eindeutig, dass die Nachrichten der Zeitung Hürriyet provokativ sind und nur dazu dienen können, den gegenseitigen Hass von Deutschen und Türken zu schüren, was die Bestrebungen nach Solidarität verhindert. Aktivität 5: Bei dieser Aktivität haben die Studierenden durch eine Solid-Show die türkische und arabische Kultur miteinander verglichen, um zu zeigen, dass die türkische nicht ein Stück der arabischen Kultur ist; Titel: Die Türken und die Araber Einführung: Wir werden heute über die Beziehung zwischen den Türken und Arabern erzählen. Früher waren beide Völker Feinde und hatten viele Kriege. Die Türken sind nach ihrer Niederlage konvertiert. Im Laufe der Zeit haben alle Türken die islamische Religion akzeptiert. Dieser Prozess lässt die Ähnlichkeiten auftauchen, aber in der Regel haben Türken und Araber verschiedene kulturelle Eigenschaften. a. Ähnlichkeiten: 1. Sie glauben an den Islam 2. Sie sind Muslime. 3. Sie glauben an den heiligen Koran. 4. b. Unterschiede; 1. Araber sprechen Arabisch und benutzen arabische Buchstaben. Arabisch gehört zur semitischen Sprachfamilie. 232 Bild 13: Das arabische Alphabet 2. Man schreibt und liest die arabischen Schriftzeichen von rechts nach links. 3. Die Türken sprechen Türkisch und benutzen die lateinischen Buchstaben. Das Türkische gehört zu den Turksprachen. Bild 14: Das türkische Alphabet 233 4. Man schreibt und liest die türkischen Schriftzeichen von links nach rechts. 5. Sie haben verschiedenen Lebensstil. 6. Türken kommen ursprünglich aus Zentralasien. Sie leben seit den Jahren in dem Land, das die Türkei heißt. 7. Araber trieben früher hauptsächlich auf der arabischen Halbinsel herum. 8. Türken sind keine Araber und Araber sind keine Türken. 5.2.10.4. Textanalyse Der Text Länder, Türken, Abenteuer handelt von der interkulturellen Kommunikation der Türken in Deutschland mit den Deutschen und fasst ihr 45-jähriges Dasein ironisch zusammen. Obwohl die Türken und die Deutschen seit etwa 50 Jahren zusammenleben, tauchen immer wieder interkulturelle Probleme auf. Der Autor findet es erstaunlich, dass die Menschen in Deutschland so wenig über die Kultur, Lebensart und Tradition der Minderheiten wissen. In Anlehnung daran weist er kritisch auf die immer noch fehlende Solidarität hin. Dass das Interesse an deutscher Kultur unter Türken der ersten und zweiten Generation nur bedingt vorhanden ist, genau genommen eher gar nicht, zeigt eindeutig, dass die Türken der dritten Generation das Zusammenleben mit den Deutschen mehr zum Ernst nehmen als die MigrantInnen der ersten und der zweiten Generation. Ironisch sagt der Autor, dass man mehrere Hundert Seiten bräuchte, um die Gründe der Kommunikationslosigkeit zwischen diesen Menschen darzustellen. Obwohl die Türken und Deutschen in Deutschland ungefähr 50 Jahre zusammen gelebt und gearbeitet haben, haben die Deutschen gegen die Türken immer noch Vorurteile. Der Autor stellt in diesem Zusammenhang die sehr häufigen Vorurteile zusammen: 1. Das dumme Vorurteil (Die Stimme des Volkes: direkt, doof, aber zumindest ehrlich) • … und der hat dem echt seine Tochter verkauft? • Also der Hasan ne, der ist schon seit 15 Jahren bei uns inner Firma und kam NICHT EINMAL zu spät… 2. Das gebildete Vorurteil (Die Stimme der Bürger, sehr bemüht, hält sich für gebildet und durchaus an „fremder Kultur“ interessiert) 234 • … der Imam nimmt auf seiner Minbar Platz und betet gen Mekka die Suren aus den Haditen… • Die Türkei, ein Land zwischen Orient und Okzident, Schmelztiegel vieler Kulturen • Eine fette Prise aus der Ali-Baba-und-die-vierzig-Räuber-Kiste • … in den dunklen, verwinkelten und engen Gassen der Kasbah findet sich nur der eingefleischte Berber • Die Blutrache war schon immer ein fester Bestandteil der islamischen … Der Autor weist darauf hin, dass die oben genannten Vorurteile aus dem Nicht-Wissen oder Halbwissen stammen. Nicht-Wissen ist Selbstschuld und erscheint wegen des Desinteresses der Menschen an der sozialen, kulturellen und politischen Entwicklung in ihrer Zeit. Dagegen kommt das Halbwissen in Verbindung mit Massenmedien vor, deren Informationen halb und falsch, d.h. im Hinblick auf die populäre Kultur ans Publikum gerichtet werden. Darüber hinaus kritisiert der Autor die halbwissenden Menschen, die ihr Wissen über den Islam/Koran und über die ältere türkische Kultur aus dem Fernsehen, aus den Zeitungen und Zeitschriften unvollständig und manchmal falsch erhalten, deshalb nennt der Autor diese Menschen „Sofa-Kosmopoliten“. In diesem Punkt kritisiert man wegen der schlechten Qualität ihrer Informationen und wegen sensationsartiger und künstlich produzierter Dramatik die großtürkische Zeitung „Hürriyet“ und die türkischen Privatsender. Gleichfalls sind die deutschen Medien daran shuld; denn sie zeigen auch immer nur die negativen Seiten der Türkei bzw. der Türken; Mädchen fahren nicht mit auf Klassenfahrt, und der Sohn darf keine NichtMuslimin lieben? "Ist halt so", denken viele muslimische Jugendliche. Ein Berliner Verein schickt integrierte Muslime in Schulen - ihre Mission; Aufklärung. Doch oft sind auch in jungen Köpfen alte Traditionen übermächtig (Hamann, 2010). Oder noch ein anderer Artikel zeigt uns die Vorurteile der Deutschenmedien; Ein Drittel der in Deutschland geborenen Kinder wächst in Migrantenfamilien auf - sie werden mitbestimmen über die Zukunft des Landes. Doch viele Zuwanderer sind schlecht integriert. Eine neue Studie zeigt; Vor allem Türken zählen zu den Verlierern (Elger u.a., 2010) 235 Ebenfalls kann der Blickwinkel der Hürriyet Deutsche sind in der Regel Rassisten, die Türken werden IMMER und ÜBERALL in Almanya und mit voller Absicht benachteiligt und NUR die Hürrüyet macht sich zum Sprachrohr der geknechteten und geknebelten Türkenschaft auf dem Weg zur interkulturellen Solidarität keine positive Rolle spielen, sondern vertieft den gegenseitigen Hass und stiftet unter Menschen aus verschiedenen Kulturen nur Konflikte. Wichtig scheint es hier die Frage, was für eine Rolle das Fernsehen bei der Charakterentwicklung der Menschen spielt? Die täglich übertragenen Programme der Privatkanäle Star, Show tv und atv sind die beste Antwort dafür. Blutige Massaker, Familiendramen mit obligatorisch tödlichem Ausgang, Amokläufer, ganze Stadtteile terrorisierende Rinder (hinsichtlich des Opferfestes), High-Society-Skandale, Wunderheiler, Wiederholungsschleife der blutigsten Szene des Tages, Skin-Heads auf deutschen Straßen, grimmige Teutonen-Passanten, von heimatlicher Sehnsucht geplagte Türken etc. Die oben genannten Fernsehprogramme erschweren die gegenseitige Verständigung zwischen Deutschen und Türken, weil sie die kulturellen Besonderheiten teilweise und mit ihren fehlenden und lahmenden Punkten reflektieren. Die mitgehenden lächerlichen Kommentare des Nachrichtensprechers vertiefen den gegenseitigen Vorbehalt und vermehren die Vorurteile. Das Ziel des Autors ist zu zeigen, woher die gegenseitigen Vorurteile und Missverständnisse stammen. In diesem Zusammenhang betont er am Ende des Textes die Gründe der Vorurteile und macht deutlich, wie diese Vorurteile möglichst schnell zu reduzieren sind. Er denkt, dass er seine Leser nicht mit Unmengen von Fakten überfördern, aber zumindest mit einigen wenigen, hierzulande lieb gewordenen Missverständnissen aufräumen wolle. Er gibt den Lesern den Schlüssel: Halbwissen führt die Menschen zum Missverständnis und Vorurteil, deshalb muss man über irgendein Thema aus verschiedenen Zeitungen und Büchern eine detaillierte Untersuchung machen und danach eine Entscheidung treffen. 236 Der Autor macht die aus dem Halbwissen stammenden Missverständnisse und Vorurteile deutlich, indem er sie einzeln in die Hand nimmt und die falschen Behauptungen mit Gegenargumenten entkräftet. Wegen ihres gemeinsamen religiösen Glaubens sieht man die Türken und Araber gleich. Vor und nach der Zeitrechnung des Islams hatten sie eigenständige Kulturen. Deshalb sollte man die Kultur beider Völker miteinander nicht verwechseln. • Türkisch besteht aus lateinischen Buchstaben, dagegen besteht Arabisch aus arabischen Buchstaben. Beide Sprachen sind nicht einmal verwandt. • Das Arabische gehört zur semitischen Sprachfamilie und das Türkische zur den Turksprachen. • Die arabische Sprache hat Kehlkopflaute, dagegen gibt es in der türkischen Sprache unzählige Ü’s. • Die Türken kommen aus Zentralasien, die Araber aus der arabischen Halbinsel. Nach dem Autor sind Deutsche und auch andere europäische Völker der Meinung, dass die türkische Kultur ein Stück aus der Ali-Baba-und-die-vierzig-Räuber-Kiste sei. Dieser Irrtum zeigt, dass die europäischen Völker die anatolische Kultur als ein Stück der arabischen Kultur sehen. In der Regel sind die arabische und die türkische Kultur sehr anders. In Anlehnung an die oben genannten Vorurteile, die aus Halb-Wissen über die türkische Kultur zutage kommen, kann man sagen, dass die Deutschen die negativen Situationen verallgemeinern. Der Autor widerlegt diese verallgemeinernden Vorurteile; • Ali Baba ist ein Märchen aus dem tiefsten Orient, ein Märchen aus 1001 Nacht, aber nicht aus der türkischen, anatolischen Kultur. • Kranke Männer gibt es nicht nur am Bosporus, d.h. nicht nur in der Türkei, sonder in jeder Nation gibt es sowohl gute als auch böse Menschen. • Senile Herrscher sind keine türkische Eigenart. • Türkische Kultur besteht nicht nur aus islamischen bzw. religiösen Komponenten, sondern es gibt Dokumentationen über die Türkei, die nicht mit dem Gebetsruf des Muezzin beginnen. • Beschneidigungsritual dient nicht dazu, die Potenz des Mannes zu erhöhen; das hat mit der Gesundheit zu tun. 237 • Knoblauchzehe ist keine türkische Erfindung. In der Weltgeschichte tauchte zuerst Knoblauch und dann der Türke. Der Autor erklärt hier also die Missverständnisse und ihre Gründe. Er lädt die Menschen aus verschiedenen Kulturen dazu ein, über die Anderen zuerst mehr zu lernen und danach zu einem Urteil zu kommen. Es ist eine Voraussetzung der Menschlichkeit, das Anderssein des Anderen zu akzeptieren. Wer ist schuldig an interkulturellen Konflikten?: - Die Massenmedien, die die Menschen zum Hass führen. 5.2.11. Die letzte Aktivität als Zusammenfassung aller Aktivitäten: Zelt Am Ende des Semesters haben die Studierenden auf dem Campus der Pädagogischen Fakultät der Universität Onsekiz Mart ein Zelt aufgeschlagen, an dessen Wände sie die in den Unterrichten vorbereiteten Plakate aufgeklebt haben. Mit dem Motto „Komm, aber ohne Vorurteile“ haben sie den Zuschauern/Besuchern von den drei Generationen der türkischen MigrantInnen in Deutschland erzählt und die gestellten Fragen beantwortet. Sie haben sich außerdem bemüht, den Zuschauern beim Abbauen ihrer Vorurteile zu helfen, falls ihre Fragen Vorurteile enthalten sollten. Plakat 8: Migrationszelt 5.3. Schlussbemerkungen zum didaktischen Teil Der didaktische Teil der Arbeit wird im Folgenden zusammengefasst. In diesem Teil werden wir induktiv arbeiten. Es handelt sich um drei Schritte; 1. Schritt: Vergleich der zehn Texte miteinander und Feststellen der Gemeinsamkeiten und Unterschiede 238 2. Schritt: Vergleich der Texte derselben Generation miteinander und Feststellen der Gemeinsamkeiten 3. Schritt: Vergleich der Generationen miteinander und Feststellen der Gemeinsamkeiten und Unterschiede Bei Analyse und Vergleich der Texte werden die Hausaufgaben der Studierenden als Ausgangspunkt dienen. Diese Aufgaben wurden von 37 Studierenden am Ende des Semesters zu Hause vorbereitet; sie enthalten als Feedback die Gedanken der Studierenden über die behandelten Texte und Generationen. Bei der Vorbereitung der Aufgabe haben sich die Studierenden besonders auf die folgenden Fragen konzentriert; 1. Welche Probleme und kulturellen Eigenschaften thematisieren die Texte, die wir im Unterricht behandelt haben? 2. Was sind die Hauptthemen der ersten, zweiten und dritten Generation? Finden Sie für jede Generation ein Motto, das sie mit einem Satz zusammenfassen kann! 3. Welche Texte haben ihnen am besten gefallen? Begründen Sie Ihre Meinung! Beim Zitieren der Daten haben wir uns bemüht, alle Aufgaben zusammenzufassen und in die Arbeit zu integrieren. Über die behandelten Texte und die Analyse der Aufgaben der Studierenden hinaus wurde geplant, Antworten auf folgende vier Fragen zu finden: 1. Inwiefern ist der Einsatz von deutschsprachiger Literatur türkischer MigrantInnen im DaF-Unterricht in der Türkei interessant und erforderlich? 2. Mit welchen Lehrtechniken kann die Migrantenliteratur erfolgreich vermittelt werden? 3. Bei der Vermittlung von welchen Lernzielen/Kompetenzen spielt die Migrantenliteratur eine besondere Rolle? 4. Für Texte welcher Generation interessieren sich die Studierenden am meisten? Warum? 5.3.1. Probleme und kulturelle Eigenschaften der behandelten Texte In diesem Teil der Arbeit werden die Antworten der Studierenden auf die erste Frage zusammengefasst; somit wird eine allgemeine Bewertung aller Texte erreicht. Motive, Vorurteile und Botschaft der Texte werden in ihren Hauptzügen dargestellt. 239 5.3.1.1. Texte der ersten Generation Von der ersten Generation wurden vier Texte ausgewählt. Die epischen Texte: Brautbeschauer und Ehegattenzusammenführung oder wie finde ich eine Frau von Şinasi Dikmen. Die lyrischen Texte sind: Fremde ist wo du gekränkt wirst und Gedanken über die Rückkehr von Yüksel Pazarkaya. 5.3.1.1.1. Brautbeschauer Der Text Brautbeschauer konzentriert sich auf die soziale Situation türkischer MigrantInnen in Deutschland und auf ihre interkulturelle Kommunikation mit den Deutschen. Dieses Thema hat verschiedene Motive wie z.B. Frauenrechte, Engagement, Integration, Kulturaustausch, Konvertieren, türkische und deutsche Sitten sowie Erziehungsprobleme in beiden Kulturen. Bearbeitete Motive Diskriminierung: Es gibt in der Türkei immer noch eine Diskriminierung der Kinder, die von der türkischen Tradition herrührt. Sie werden eher in ländlichen Gebieten als in großen Städten diskriminiert. Nachbarschaft: Dieses Motiv kommt daher, dass es in der Türkei mehr ländliche Gebiete gibt als in Deutschland. Obwohl auch die Deutschen relativ eng zueinander sind, ist das Niveau ihrer Nachbarschaft niedriger. Sexualität: Sexualität ist in der Türkei immer noch ein Tabu, weshalb die türkischen Jugendlichen bei ihren Liebesbeziehungen Probleme erleben. Für deutsche Jugendliche ist dieses Thema gar kein Problem. Davon ausgehend kann man sagen, dass türkische Jugendliche die Sexualität immer im Kopf haben und sie sehr oft von ihr (irre-)geleitet werden. Gegenseitiges Verhalten: Gar kein Mensch, egal woher er kommt, sei wildfremd und das Verhalten von Nuri sei total unverständlich. Situation der Frauen in der Gesellschaft: Die Idee, dass Männer immer bessere Entscheidungen treffen als Frauen, ist ein Vorurteil, das sowohl deutsche als auch 240 türkische Frauen betrifft. Im Hinblick auf türkische Frauen kann man sagen, dass Frauen in östlichen Gebieten und arbeitslose Frauen ihre Rechte bewusst aber manchmal auch unbewusst ihren Männern überlassen, weil sie keine ökonomische Freiheit haben. Die Gründe der Vorurteile: 1. Verallgemeinerung: Nicht alle Deutschen, auch nicht alle Türken sind gleich. 2. Kulturelle Unterschiede: Jede Kultur hat ihre Eigentümlichkeiten. Botschaft: Es ist notwendig, die Sitten der Deutschen zu verstehen und unsere Kultur bekannt zu machen, um die Missverständnisse und die Vorurteile abbauen zu können. 5.3.1.1.2. Ehegattenzusammenführung oder wie finde ich eine Frau? Dieser Text thematisiert anhand der Ausländergesetze die Ehe-Problematik der türkischen Männer in Deutschland. Im Text geht es um einen Gastarbeiter, der seine türkische Freundin heiraten will. Aber da die Türkei kein EG-Land ist, gerät er in politische Probleme. Bearbeitete Motive im Text: Arbeitssituationen der Türken in Deutschland: Da die Türken in der Türkei keine Arbeitsmöglichkeit hatten, mussten sie in den 60er Jahren nach Deutschland emigrieren. Manche konnten sehr gute Arbeitsmöglichkeiten finden, manche mussten dagegen unter sehr schweren Bedingungen arbeiten, deren gleiche in jedem Land zu sehen sind. Diskriminierung: Hier betont man die Annäherung der Deutschen an die Türken. Die Türken in Deutschland behaupten, dass sie weniger rechte als die anderen Ausländer haben. Beispiel dafür sind die Russen, die unschwer Aufenthaltsgenehmigung bekommen können. Menschenrechte: Die Ausländer dürfen ihre Frauen nach Deutschland nicht mitbringen, wenn sie nicht aus einem EG-Land kommen. Das betrachtet man als einen Verstoß gegen die Menschenrechte. 241 Sprachprobleme: Die Ausländer können nicht perfekt Deutsch sprechen. Das erschwert die Kommunikation mit den Deutschen und die Integration in die deutsche Gesellschaft. Deshalb tritt in diesem Punkt die Sprache als ein Problem hervor. Gastarbeiter: Man sieht die Türken in Deutschland wie einen Gast, der irgendwann in seine Heimat zurückkehren wird. Die Sehnsucht nach der Heimat ist ein Hinweis/Grund dafür. Ausländergesetze: Viele Ausländer betrachten diese Gesetze als einen Verstoß gegen die Menschenrechte; in der Regel stellen sie aber keinen Verstoß gegen die Menschenrechte dar, im Gegenteil sind sie Gesetze, die das soziale und kulturelle Leben in Deutschland in Ordnung bringen wollen. Heirat: Die Türken möchten in der Türkei heiraten und danach ihre Frauen nach Deutschland mitbringen. Nach der deutschen Regierung erhöht das die Quote der Ausländer, weshalb Deutschland immer härtere Ausländergesetze erlässt. Gründe der Vorurteile: 1. Verallgemeinerung: Weder alle Deutschen noch alle Türken sind gleich. 2. Missverständnisse: Die Türken und die Deutschen kennen einander nicht so gut, deshalb tauchen bei ihrer gegenseitigen Kommunikation Missverständnisse auf. Botschaft: Alle Länder haben soziale Gesetze und die Ausländer müssen auf diese Gesetze achten, ohne die soziale Ordnung der Menschen zu stören. 5.3.1.1.3. Fremde ist, wo du gekränkt wirst Da die Türken in Deutschland sich unter den Deutschen fremd, allein und gekränkt fühlen, zeichnen sich Migration und Heimweh als Zentralthemen ab. Man betont hier, dass die Ausländer ihre Freiheit, Liebe, Freundschaft und Freunde sehr tief vermissen. Am Ende des Textes bietet der Autor den Ausländern eine Lösung, damit sie ihre Probleme überwinden können: gegenseitige Liebe und Toleranz. 242 Bearbeitete Motive im Text: Sehnsucht nach der Heimat: Viele türkische Ausländer sind in den 60er Jahren nach Deutschland unwillig emigriert, weil sie da arbeiten und Geld verdienen mussten. Am Anfang glaubten sie, dass sie ein paar Jahre arbeiten und dann in die Türkei zurückkehren würden. Ihre Verwandten, vor allem Kinder und Frauen, sind andere Faktoren, die ihre Sehnsucht schüren. Misstrauen: Die Türken kennen die Deutschen und ihre Kultur noch nicht. Sie konfrontieren sich in ihrem Leben vielleicht zum ersten Mal mit einer fremden Kultur, deswegen vertrauen sie den Deutschen nicht. Hoffnungslosigkeit: Die Türken waren dessen bewusst, dass sie in Deutschland ein paar Jahren arbeiten mussten. Obwohl die Lebensbedingungen in Deutschland besser als die in der Türkei waren, fühlten sich die Türken allein, einsam und bedrängt, weil sie die deutsche Kultur noch nicht kannten. Andererseits gab es in der Türkei eine große Arbeitslosigkeit; daneben herrschte da eine Militärregierung, die die Lebensbedingungen in der Türkei immer mehr erschwerte. Das führte die Ausländer zur Hoffnungslosigkeit. Liebe: Liebe stellt man in diesem Gedicht als eine Lösung aller Probleme vor; sie gilt als das Schlüsselwort zum Eingang ins Herz des Gegenübers. Heimat und Fremde: Man stellt in diesem Gedicht zwei Welten dar: Heimat und Fremde. In der Heimat, d.h. in der Türkei haben die Türken ihre Kindheit verbracht; dagegen leben sie aus politischen und ökonomischen Gründen in Deutschland. Heimweh: Die Größe der Sehnsucht nach der Heimat tritt als Heimweh in Erscheinung. In dieser Zeit wirkt dieses Weh auf die Ausländer positiv, weil sie sich dadurch kräftiger fühlten und intensiver arbeiteten, um in kürzester Zeit in die Türkei zurückkehren zu können. Einsamkeit: Unter den Deutschen fühlten sie sich als Minderheit. Dieses Gefühl erschwerte ihr Leben in Deutschland. 243 Unterschätzung: Die Kommunikation zwischen den Türken und Deutschen war in den ersten Jahren der Migration blockiert; deswegen kannten die beiden Kulturen einander nicht. In den ersten Jahren der Konfrontation verursachten die kulturellen Unterschiede Vorurteile und kulturelle Konflikte. Arbeitssituationen: Die Arbeitssituation war für die Türken sehr schwer. Nach einer langen Arbeitslosigkeit haben sie plötzlich angefangen, in Deutschland schwere Arbeiten zu führen, was ihre Adaptation erschwerte. In den ersten Jahren der Migration haben die türkischen Gastarbeiter sich über die deutschen Meister in den Fabriken und über die schwere Arbeit beklagt, weil die Mentalität der Türken und der Deutschen sehr anders war. Gründe der Vorurteile: 1. Unterschätzung: Die Türken sind aus politischen (Militärputsch) und ökonomischen (Arbeitslosigkeit) Gründen nach Deutschland emigriert. Lange Zeit haben sie sich wie Bettler gefühlt, weil die Deutschen mit ihren Blicken so etwas andeuteten. Botschaft: Liebe ist die Lösung aller Probleme. 5.3.1.1.4. Gedanken über die Rückkehr Der Text besteht aus zwei Teilen, die das Verständnis der ersten und der dritten Generation von der Emigration widerspiegeln. Im ersten Teil thematisiert der Autor rückblickend seine Vergangenheit, die er in der Türkei verbrachte. Der zweite Teil erzählt dagegen vom Leben und von den Gefühlen der Jungen der dritten Generation. Der Autor will dadurch die Aufmerksamkeit auf die großen Unterschiede zwischen der ersten und der dritten Generation ziehen. Bearbeitete Motive im Text: Das kulturelle Leben in der Türkei: Dieses Motiv thematisiert man im ersten Teil des Gedichts. Kulturelle Eigenschaften der Türken, nämlich die Beerdigung, das Ramadanfest, das Essen, das Trinken, die Landschaft und noch vieles bilden in diesem Teil das türkische Bild. 244 Kulturelles Leben in Deutschland: Gewohnheiten, Schulen, Spezialitäten der Deutschen, ihre Sprache und noch viele kulturelle Besonderheiten stellen im zweiten Teil des Gedichts ein deutsches Bild vor. Tradition: Deutsche und türkische Tradition stellt man im Gedicht harmonisch vor. Gehörigkeit: Eine der wichtigsten Problematik der Ausländer in Deutschland stellt man im Gedicht zur Diskussion: Gehörigkeit. All die Beschreibungen der kulturellen Eigenschaften dienen in der Regel dazu, „die Gehörigkeit der Türken in Deutschland“ zu thematisieren. Interkulturelle Unterschiede: Deutsche Kultur und türkische Kultur weisen krasse Unterschiede in Essgewohnheit, Religion und im sozialen Leben auf. Diese Unterschiede erschwerten besonders in den ersten Jahren der Migration die Kommunikation zwischen den Türken und Deutschen. Nachbarschaft: Die Nachbarschaft ist eine besondere Eigenschaft der türkischen Kultur. Dieses Phänomen ist eher in ländlichen Gebieten zu sehen als in großen Städten. Wenn wir uns vorstellen, dass es in der Türkei mehr ländliche Gebiete als in Deutschland gibt, dann leuchtet einem leichter ein, von was für einer großen Bedeutung die Nachbarschaft für die Türken ist. Sehnsucht nach Heimat: Fast alle türkischen Ausländer der ersten Generation hatten eine riesige Sehnsucht nach ihrer Heimat. Sie haben in 60er Jahren in der Türkei ihre Frauen, Kinder und Freunde hintergelassen und nach Deutschland emigriert. Aber im Laufe der Zeit haben sie auch ihre Verwandten nach Deutschland mitgebracht, welches den Grad der Sehnsucht teilweise verringert hat. Heimweh: Einsamkeit in der Fremde, bzw. in der Gesellschaft sich selbst allein zu fühlen führte die Ausländer dazu, über ihre Vergangenheit in ihrer Heimat nachzudenken. Schritt für Schritt vermehrende Sehnsucht nach Heimat bringt mit sich außerdem das Heimweh. 245 Gründe der Vorurteile: In diesem Teil gibt es keine Vorurteile, sondern thematisiert es die inneren Gefühle der Ausländer. Botschaft: In der Fremde lebe ich auch meine Heimat. 5.3.1.2. Texte der zweiten Generation Von der zweiten Generation wurden vier Texte gewählt und mit ihren besonderen Eigenschaften zusammengefasst: zwei lyrische Texte von Zafer Şenocak28 und zwei epische Texte von Osman Engin.29 5.3.1.2.1. Doppelmann Im Gedicht Doppelmann geht es um die Integrations- und Anpassungsprobleme der MigrantInnen, die der Autor in vier Strophen symbolisch gedichtet hat. In diesem Gedicht stellt er die Begriffe wie „zwischen zwei Welten“ und „verlorene Generation“, die die Situation der Jugendlichen aus ethnischen Minderheiten beschreiben, zur Diskussion. Bearbeitete Motive Doppelidentität: Da die MigrantInnen dieser Generation zwischen zwei Welten und zwei Kulturen geblieben sind, hatten sie zwei Identitäten in sich, die sie zur Depression führten. Deshalb nennt man diese Generation außerdem „verlorene Generation“. Zwei Heimaten: Die Ausländer sind hinsichtlich ihrer Sprache und Kultur inmitten von zwei Ländern und können nicht entscheiden, welches Land ihre Heimat ist. Innerlich fühlen sie sich durcheinander und haben Identitätsprobleme. Sprache und Persönlichkeit: Die Ausländer können sowohl die türkische als auch die deutsche Sprache. In der Türkei werden sie aus der türkischen Gesellschaft isoliert, weil sie die türkische Sprache fehlerhaft sprechen und sich nach der deutschen Kultur benehmen. In Deutschland ist ihre Situation in der Gesellschaft nicht anders als in der Türkei. Auch in Deutschland bleiben sie isoliert, weil sie Ausländer sind. 28 29 Doppelmann und Tierweisungen Dütschlünd Dütschlünd übür üllüs und Homo Germanicus 246 Identitätswunde: Die Fragen • Wozu gehöre ich? • Was bin ich? • Welche Sprache gehört mir? • Warum fühle ich mich sowohl in der Türkei als auch in Deutschland allein? sind für die Ausländer sozusagen blutende Wunden. Sie fühlen sich so, als ob sie zwei Gesichter und darüber hinaus zwei Charaktere hätten. Botschaft: Identitätsproblematik der Ausländer in Deutschland, die zwischen zwei Welten geblieben sind. 5.3.1.2.2. Tierweisungen Die Türken haben verschiedene Persönlichkeiten, Farben und Charaktere wie eine Blume. Aber mit ihrer Emigration nach Deutschland haben sie ihre Besonderheiten verloren und Identitätsprobleme erlebt. Heute nennt man alle Türken und auch andere Emigranten als Ausländer, als ob sie alle gleiche Namen und gleiche Farben hätten. In diesem Text stellt man diesen Blickwinkel zur Diskussion. Bearbeitete Motive i Persönlichkeit: Die Ausländer sind in Deutschland hilflos. Sie fühlen sich allein. Die Einsamkeit in der Gesellschaft bringt mit sich Persönlichkeitsprobleme. Aussensicht: Die Ausländer in Deutschland kommen aus verschiedenen Ländern und haben unterschiedliche Aussensicht und Farbe. Aber egal ist, woher sie kommen und stammen, man nennt sie alle Ausländer. Die Fremde: Die Menschen dieser Generation haben keine Heimat. Sowohl in der Türkei als auch in Deutschland fühlen sie sich wie in der Fremde. Sie sind Menschen, die keine Heimat und kein Zuhause haben, sondern sie sind zwischen zwei Kulturen bzw. zwei Welten geblieben. Subkultur: Kultur der Ausländer, die sie in Deutschland unter den Deutschen geschaffen haben. 247 Identitätswunde: Das kommt aus Gehörigkeitsproblematik vor. Die Frage Wer bin ich? Was bin ich: Deutscher oder Türke? beeinflussen die Ausländer sehr tief. Das Pendeln zwischen zwei Kulturen verursacht Identitätsprobleme. Migration: Die Türken emigrieren nach Deutschland. Darüber hinaus erzählt man, dass die Türkei ihre Farbe oder ihre Vögel verloren hat. Charaktere: Die Türken in Deutschland haben unterschiedliche Charaktere. Dagegen sieht man ganz offen, dass jeder Ausländer dieser Generation zwei Charaktere und zwei Persönlichkeiten spiegelt. Ausgeblieben in der deutschen Gesellschaft sowie in seiner eigenen Heimat, das macht in ihm unheilbare Wunden. Botschaft: Die Wurzeln könnte man aus ihrer eigenen Erde und aus ihrem Himmel nicht zerreißen, sonst fallen die Blätter herunter. 5.3.1.2.3. Dütschlünd Dütschlünd übür üllüs Der Text handelt von der Schwierigkeit für die Türken in Deutschland, eine deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. Man stellt davon ausgehend die Bürokratie zur Diskussion, die die Einbürgerung einseitig erschwert. Dagegen haben die Bürger anderer Nationen bessere Möglichkeiten, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. Bearbeitete Motive Ausweglosigkeit: Nach diesem Text haben die Türken in Deutschland kaum eine andere Möglichkeit, als die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen, um in Deutschland besser leben und die deutsche Kultur näher kennenlernen zu können. Diese Gedanken führen die Ausländer bei der Einbürgerungsprüfung zum Stress. Deutsche Literatur: Deutsche Literatur kommt in diesem Text als ein Stück der deutschen Kultur vor, die die Ausländer auswendig lernen müssen. Fremdheit: Die Türken fühlen sich in der Gesellschaft allein, weil sie mit den Deutschen und mit den anderen Ausländern nicht die gleichen Rechte haben. Das vermehrt die Fremdheit und darüber hinaus erschwert die Integration. 248 Staatsbürgerschaft: Bei der Überwindung der gegenseitigen kulturellen Konflikte zwischen den Deutschen und Türken spielt die Staatsbürgerschaft deshalb eine große Rolle, weil die Staatsbürgerschaft die interkulturelle Kommunikation vervielfacht. Identitätsproblematik: Das Ausländersein und die Diskriminierung bei der deutschen Bürokratie vergrößert schrittweise die Identitätsproblematik der Türken. In Deutschland mehr rechte zu haben erleichtert das Leben und darüber hinaus die Integration. Angehörigkeit: Das Hauptproblem der Ausländer ist die Angehörigkeit. Sie bleiben meistens zwischen zwei Kulturen, zwei Ländern und zwei Identitäten. Die unbeantwortete Frage „Zu welchem Land und zu welcher Kultur gehöre ich?“ führt die Ausländer zu inneren Konflikten. Interkulturelle Kommunikation: Die interkulturelle Kommunikation ist der einzige Weg beim Abbauen der Vorurteile und der kulturellen Konflikte. Deshalb muss man darauf achten, die Kommunikationsbarrieren zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen zu beheben und die Menschen zum Dialog einzuladen. Die Einbürgerung bildet auf diesem Weg eine wichtige Stufe. Deshalb muss man die Schwierigkeit bei der Einbürgerung möglichst verringern. Kulturelle Unterschiede: Die Türken und Deutschen haben ganz verschiedene kulturelle Eigenschaften, was normalerweise Missverständnisse und Vorurteile mit sich bringt. Daher muss man darauf achten, die kulturellen Gemeinsamkeiten der Menschen aus verschiedenen Kulturen zu betonen, ihnen Empathie beizubringen und somit ein friedliches zusammenleben zu ermöglichen. Diskriminierung: Die Während die Russen unschwer eingebürgert werden, haben die Türken in Deutschland große bürokratische Hindernisse. Diese Diskriminierung erschwert die Integration. Gründe der Vorurteile: Die Diskriminierung bei der Einbürgerung verursacht interkulturelle Probleme. Die Türken haben bei der Einbürgerung größere Probleme als z. B. die Russen. Die Anzahl der türkischen Ausländer in Deutschland, ihre Religion etc. sind höchstwahrscheinlich die Gründe dieser Diskriminierung. 249 Botschaft: Für die Türken ist es von Bedeutung, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen, um besser leben und sich leichter integrieren können. 5.3.1.2.4. Homo Germanicus Der Text erzählt uns über die unterschiedlichen Charaktere der Menschen in einer Gesellschaft. Deutsche bzw. Germanen werden in vier Untergruppen geteilt und jede Gruppe weist auf die Position und Haltung der Menschen hin, die sie in ihrem Leben ideologisch übernehmen. Aufgrund kultureller Unterschiede, Einsamkeit und Heimatlosigkeit haben die Jugendlichen der zweiten Generation innere Konflikte; aber nicht alle Deutschen sind mit dieser schlechten Situation der Ausländer zufrieden. Bearbeitete Motive Rassismus: In diesem Text geht es um Germanen, die sich genetisch in vier Untergruppen teilen. Feuerschürer und Feuermacher symbolisieren die die Politiker und die Rassisten, die mit ihren Tätigkeiten und Haltungen das Zusammenleben der Menschen aus verschiedenen ethnischen Gruppen erschweren. Sie symbolisieren außerdem die Ausländerfeindlichkeit. Humanismus: Die Humanisten sind Menschen, die die Freiheit der Menschen verteidigen. Die Menschenrechte sind für sie von großer Bedeutung, daneben sorgen sie sich um Tiere und Natur, mit dem Ziel, das Leben lebenswert zu machen. Die Feuerlöscherin wird als Gegenbegriff dem Rassismus gegenübergestellt. Zusammenleben: Auch wenn die Menschen einer Gesellschaft unterschiedliche Charaktere ideologische Meinungen haben, müssen sie in erster Linie lernen, das Lebensrecht und die Freiheit anderer Menschen, egal woher sie kommen, zu respektieren. Das ist das wichtigste Kriterium des Zusammenlebens. Menschentypen: Jede Gesellschaft besteht aus verschiedenen Menschentypen. Dieser Tatsache folgend betont der Autor, dass auch die Deutschen unterschiedliche Menschentypen sind, die von verschiedenen Ideologien gelenkt werden. Es ist zu bemerken, dass nicht alle Deutschen rassistisch und ausländerfeindlich sind. 250 Gründe der Vorurteile: In diesem Text betont der Autor nicht die Vorurteile, sondern den Irrtum der Verallgemeinerung, die zur Entstehung der Vorurteile führt. Botschaft: Nicht alle Deutschen und nicht alle Türken sind gleich. Jede Nation besteht aus guten und bösen Menschen. Verallgemeinerung führt zum Irrtum. 5.3.1.3. Texte der dritten Generation Von der dritten Generation wurden zwei epische Texte von Kerim Pamuk gewählt, d.h. Sprich langsam, Türke! und Länder, Türken, Abenteuer. Von dieser Generation wurde kein lyrischer Text behandelt, weil die Autoren dieser Generation eher Prosa als Lyrik verfasst haben. Die lyrischen Texte haben sie eher zum Zeitvertreib geschrieben und in Zeitschriften veröffentlicht. 5.3.1.3.1. Sprich Langsam, Türke! von Kerim Pamuk Der Text konzentriert sich auf die Sprache und Kommunikation der Türken in Deutschland und auf ihr Verhalten in der deutschen Gesellschaft. Man vergleicht in diesem Text außerdem die morphologischen und syntaktischen Unterschiede der deutschen und türkischen Sprache, die als die Gründe der hektischen Sprechweise der Türken gesehen werden. Bearbeitete Motive Sprache: Jeder Mensch hat eine Muttersprache. Er hat auch das Recht, diese Sprache zu sprechen. In einer multikulturellen Gesellschaft ist es aber von Bedeutung, neben die Muttersprache außerdem eine allgemein gültige Zweitsprache zu lernen und mit anderen Menschen zu kommunizieren. Das Erlernen einer Fremdsprache spielt beim Abbauen der Missverständnisse und Vorurteile eine besondere Rolle und erleichtert die Anpassung und Integration. Anpassung: Die Integration ist ein Kriterium des Zusammenlebens. Man kann für ein friedliches Zusammenleben die Eigenschaften einer fremden Kultur lernen und respektieren, ohne die eigene Kultur und Identität zu verlieren,. Zusammenleben: Wenn die Menschen einander respektieren und gegenseitige Rechte nicht ignorieren sollen, dann müssen die Türken in Deutschland auf ihre 251 Verhaltensweisen in der Öffentlichkeit mehr aufpassen und das Prestige ihrer Landsleute nicht verletzen. Außensicht und Sprachhaltung beider Jugendlichen: Die interkulturelle Kommunikation ersieht man an der Außensicht der türkischen Jugendlichen in Deutschland. Sie ahmen ihre deutschen Freunde nach, verkleiden und rasieren sich ähnlich. Das erleichtert die Kommunikation zwischen den Türken und Deutschen. Kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Türken und der Deutschen: Die interkulturelle Kommunikation bringt die Jugendlichen in Deutschland, die aus verschiedenen Kulturen kommen, zueinander näher. Da sie ihre Zeit in gleicher Umgebung zusammen verbringen, finden sie zugleich die Möglichkeit, ihre eigenen kulturellen Eigenschaften zu teilen und über eine fremde Kultur immer mehr zu lernen, was ihre Vorurteile, Missverständnisse und auch ihren Hass gegen alles Fremde beseitigt. Syntaktische Unterschiede der türkischen und deutschen Sprache: Die türkische und die deutsche Sprache kommen gehören zu verschiedenen Sprachfamilien, deshalb gibt es zwischen diesen beiden Sprachen große strukturelle Unterschiede. Diese erschweren den Türken den Erwerb der deutschen Sprache. Daneben ist es bei der interkulturellen Kommunikation der einzige Weg, die deutsche Sprache zu erwerben. Somit werden die Türken die deutsche Kultur näher kennen und eine Möglichkeit finden, ihre eigene Kultur den Deutschen bekannt zu machen. Botschaft: 1. Interkulturelle Kommunikation erleichtert das Zusammenleben und führt die Menschen zur Solidarität. / Es ist notwendig, die Sitten der Deutschen zu verstehen und unsere Kultur bekannt zu machen, um sich der deutschen Kultur anpassen zu können. 5.3.1.3.2. Länder, Türken, Abenteuer Der Text Länder, Türken und Abenteuer konzentriert sich darauf, die Gründe der Missverständnisse und Vorurteile zwischen den Deutschen und Türken zu zeigen. Daneben stellt der Autor die Rolle der Massenmedien dar. 252 Bearbeitete Motive Massenmedien: Wenn wir uns der Tatsache bewusst sind, dass das Fernsehen und die Presse die Nachrichten im Allgemeinen so veröffentlichen, ohne die Quellen der Nachrichten genau zu untersuchen, ist es ganz normal, wenn sie Vorurteile enthalten.. Die Nachrichten in der türkischen Presse sind im Allgemeinen sensationell und übertrieben und reflektieren die kulturellen Eigenschaften fehlerhaft. Sprachgebrauch: Die Sprachverwendung der Türken ist mangelhaft, dabei spielen aber die TV-Sendungen und Zeitungen eine große Rolle, weil diese Medien fremde Wörter und Begriffe benutzen, die das Verständnis erschweren. Diese Haltung ist auch bei Politiker und Literaten zu sehen, die Ausländerliebe vortäuschen wollen. Interkulturelle Konflikte: Die Massenmedien, die die Menschen zum Hass führen, spielen hierbei eine führende Rolle. Gründe der Vorurteile sind: Nicht-Wissen oder Halbwissen: Nicht-Wissen ist Selbstschuld und hat seinen Grund im Desinteresse der Menschen an sozialen, kulturellen und politischen Entwicklungen. Dagegen kommt Halbwissen in Verbindung mit Massenmedien vor, deren Informationen halb und falsch sind. Massenmedien: Manche Türken benehmen sich in der Öffentlichkeit ungehörig; die Massenmedien reflektieren diese negativen Verhaltansweisen sensationell. Unter diesen Umständen können sich Vorurteile bilden. Wenn die Deutschen die türkischen Privatkanäle zappen, sehen sie viel Negatives. Ein Beispiel dafür ist das Opferfest, bei dem man die Kälber und Lämmer nicht nur zum Essen schlachtet, sondern auch um Allah die Dankbarkeit zu bieten. Unsere Privatkanäle sollen die Nachrichten nicht entstellen. Sonst können die Zuschauer Vorurteile haben. Botschaft: Halbwissen führt die Menschen zu Missverständnissen und Vorurteilen, deshalb darf man sich nicht mit einer Zeitung begnügen. Man muss eine Information anhand von verschiedenen Medien checken, bevor man sie glaubt. 253 5.3.2. Hauptthemen der Generationen und ihr Motto Von den behandelten Texten ausgehend werden in diesem Teil der Arbeit die Hauptthemen aller Generationen zusammengefasst; 5.3.2.1. Hauptthemen der ersten Generation 1. Heimweh 2. Schwere Arbeitssituationen 3. Rückkehr 4. Sehnsucht nach der Heimat 5. Kommunikationslosigkeit 6. Nachbarschaft 7. Konfrontation mit der fremden Kultur und in Anlehnung daran Kulturschock Das Motto dieser Generation: Die Türken und die Deutschen kennen einander noch nicht, weil die Türken in Deutschland noch neu sind. 5.3.2.2. Hauptthemen der zweiten Generation 1. Identitätsproblematik 2. Integration 3. Innere Konflikte 4. Sprache und Persönlichkeit 5. Gesellschaftliche Probleme 6. Einbürgerung 7. Negative Wirkung der Migration 8. Identitätssuche Motto dieser Generation: Die türkischen Jugendlichen in Deutschland haben Identitätsprobleme, deshalb nennt man diese Generation „zwischen zwei Welten gebliebene und verlorene Generation“. 5.3.2.3. Hauptthemen der dritten Generation 1. Abbauen der Missverständnisse 2. Kriterien des friedlichen Zusammenlebens 3. Solidarität 254 4. Kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede 5. Kulturaustausch Motto dieser Generation: Die Deutschen und die Ausländer bilden die deutsche Gesellschaft, deshalb müssen sie mit gegenseitigem Respekt zusammenleben. 5.3.3. Welche Texte gefallen ihnen am besten? Warum? Mit dieser Frage wollten wir feststellen, welche Texte den Studierenden am besten gefallen. Im Folgenden zitieren wir aus dem Feedback der Studierenden die als beste gewählten Texte und die Gründe ihrer Entscheidung. Sechs Studierende halten Brautbeschauer aus den Texten der ersten Generation für den besten Text. Die Gründe sind: 1. In diesem Text erklärt der Autor die Probleme der Ausländer sehr gut und er reflektiert die kulturellen Unterschiede ganz konkret. 2. Als ich die merkwürdige Kommunikation der türkischen und deutschen Familien las, stieg meine Motivation im Unterricht. 3. Das Thema des Textes sind gesellschaftliche Probleme in der Türkei. Ich habe gesehen, dass die Türken ihr alltägliches Leben in der Türkei nach Deutschland mitbringen. 4. Die Aktivitäten waren sehr gut und haben unsere Motivation erhöht. 5. Die Texte der ersten Generation gefallen mir am besten. Darunter zählt man Brautbeschauer. Er ist ein schöner und interessanter Text und erzählt vieles über die deutsche und türkische Kultur und auch über die interkulturelle Kommunikation zwischen den Deutschen und Türken. 6. Die ironische und manchmal satirische Kommunikation zwischen den Deutschen und Türken habe ich sehr interessant gefunden und deshalb hat mir dieser Text gut gefallen. Kulturelle Einheiten waren in diesem Text mehr als in den anderen Texten. Das Gedicht Fremde ist wo du gekränkt wirst wurde von drei Studierenden gewählt. Die Gründe sind: 1. In diesem Gedicht konzentriert sich der Autor auf das Heimweh. Die Gefühle der MigrantInnen der ersten Generation haben mich tief beeindruckt, weil sie die Einsamkeit und die Sehnsucht tief gelebt haben. 255 2. Die Einsamkeit und Traurigkeit der Ausländer erzählt man in diesem Gedicht sehr gut und verständlich. Die Texte der zweiten Generation sind gut aber schwer zu verstehen, weil sie sehr symbolisch geschrieben sind. 3. Ich habe konkret gesehen, wie schwer es ist, in der Fremde zu leben. Lebensbedingungen der Ausländer sind wirklich schwer und das habe ich in den Texten der ersten Generation, besonders in Texten von Yüksel Pazarkaya gesehen. Gedanken über die Rückkehr wurde von fünf Studierenden gewählt. Die Gründe sind; 1. Sehnsucht nach der Heimat thematisiert man in diesem Gedicht ganz konkret und gut. 2. Türkische Sitten sieht man hier wie ein Märchen. 3. Der Unterrichtsverlauf war sehr kommunikativ. Wir haben über die türkische und deutsche Kultur gesprochen und einen Vergleich gemacht. Die Behandlung dieses Textes entwickelte unsere Kreativität. Wir haben aus dem Internet über die beiden Kulturen viele Bilder heruntergeladen und zwei Plakate vorbereitet. An dem deutschen Tag, bei dem die Studierenden ihre Arbeiten präsentierten, haben wir unsere Plakate ausgestellt und die Fragen der Besucher beantwortet. 4. Ausgehend von diesem Gedicht habe ich bemerkt, wie eine schöne Kultur wir haben. Klima, Landschaft und Sitten unseres Landes beschreibt man in diesem Gedicht wunderbar. Die Rückblende des Autors macht das Gedicht wirkungsvoll. Daneben haben wir eine Möglichkeit gefunden, die Gewohnheiten der Deutschen zu sehen und zu lernen. 5. Wir haben in der Klasse zwei Gruppen gebildet: Eine Gruppe hat ein Plakat über die deutsche Kultur vorbereitet und eine andere Gruppe über die türkische Kultur. Diese Aktivität war sehr kommunikativ und lehrreich. Wie im Folgenden zu sehen ist, haben die Texte der zweiten Generation der Mehrheit der Studierenden gut gefallen. Sechzehn Studierende halten das Gedicht Doppelmann für den besten Text. Hier die Gründe: 1. Dieses Gedicht ist sehr erschütternd. Man erzählt die Erlebnisse sehr symbolisch. 2. Die Metaphern haben mein Interesse erweckt. Ihre Darstellung spielte dabei eine große Rolle. 3. Im Gedicht sehen wir die Fremde und die Probleme der Ausländer ganz offen. Sie fühlen sich in der Fremde als Mitglieder einer Minderheit. Diese Gefühle 256 gelten interessanterweise auch für die Türkei. Sie haben zwei Länder, aber trotzdem fühlen sie sich einsam und heimatlos. 4. Das Gedicht erzählt uns, wie schwer es ist, in der Fremde zu leben. 5. Ich habe eine Möglichkeit gefunden, konkret zu sehen, warum und wie ein Mensch Identitätsprobleme lebt. Zwischen zwei Welten zu bleiben und sich zu keiner Welt gehörig zu fühlen führt die Menschen zu inneren Konflikten. Dieses Thema erzählt man im Gedicht sehr gut. 6. Beim ersten Lesen habe ich von diesem Gedicht nichts verstanden, aber nach der Lösung der Kode im Unterricht habe ich bemerkt, wie tief und symbolisch es ist. 7. Am Anfang des Unterrichts hat unser Lehrer uns einige Szenen aus dem Film „Postmann“ gezeigt. Im Film ging es ums Leben des Dichters Pablo Neruda. In den Szenen erklärte Neruda dem Postmann, wie ein Gedicht zu schreiben und was eine Metapher ist. Als ich erfuhr, was Metapher ist, habe ich das Gedicht besser verstanden und eine große Freude gelebt. Danach habe ich verstanden, wie es von Bedeutung ist, günstige Lehrtechniken zu finden und zu benutzen. Ich werde die Bedeutung der Metaphern nie vergessen. 8. Das Gedicht stellt die Gefühle der türkischen Ausländer sehr gut dar. Auch andere Texte thematisieren die Migration und Konfrontation der Türken mit einer fremden Kultur. Aber dieses Gedicht erzählt die gleichen Motive eindrucksvoll und bezaubernd. 9. Mit wenigen Wörtern erzählt man in diesem Gedicht viele Dinge. Viele Bilder tauchen in unsrem Kopf auf. 10. In einer Aktivität haben wir Plakate vorbereitet, die dem Thema des Gedichts passen. Diese Aktivität war sehr lustig und erhöhte unsere Motivation. Die vorbereiteten Plakate waren eine malerische Version des Gedichts. 11. Im Gedicht habe ich viele Themen in Verbindung miteinander gesehen; Zum Beispiel Subkultur, innerer Konflikt, Sprache, Integration und Identitätsproblematik. Deshalb hat dieses Gedicht mein Interesse auf sich gezogen. Außerdem waren die Plakate, die wir im Unterricht vorbereitet haben, sehr interessant und didaktisch. Sie dienten dazu, den Text besser zu verstehen. Auch die Übungen erleichterten das Verstehen des Textes. 12. Dieses Gedicht hat mir am besten gefallen, weil ich in diesem Text mich selbst gefunden habe. Ich auch lebe nicht in meiner Heimat, sondern im Ausland und deshalb bleibe zwischen zwei Kulturen. Außerdem haben wir im Unterricht sehr 257 gute Zeit verbracht. Über die türkischen und deutschen Menschen habe ich viele Dinge gelernt. 13. Wir haben das Gedicht mit unmetaphorischen Wörtern wieder geschrieben, ohne aus seinem Inhalt etwas verlieren. Danach haben wir die beiden Versionen nebeneinander gestellt und uns bemüht, den Stil des Autors festzustellen. Das war eine kreative und ungewöhnliche Arbeit. Und die Szenen aus dem Film „Postmann“ haben gewährleistet, die Bedeutung der Metaphern vollkommen zu verstehen. Nach vier Studierenden ist das Gedicht Tierweisungen der beste Text: 1. Dieses Gedicht hat eine tiefe Bedeutung und macht mich nachdenklich. Die Begriffe wie Vogel, Baum und Farbe, die metaphorisch auf andere Begriffe hinweisen, machen das Gedicht künstlerisch. 2. Ausgehend von den Bäumen und Vögeln erklärt der Autor die Migration und ihre Wirkung auf die MigrantInnen sehr gut. Als ich dieses Gedicht las, kam in meinen Sinn ein türkisches Gedicht von Yahya Kemal Bayatlı „Sessiz Gemi“, das den Tod thematisiert, ohne das Wort „tot“ zu gebrauchen. 3. Die Aktivitäten haben meine Motivation erhöht, deshalb habe ich alles amüsant gelernt. Wir haben auf die Tafel zwei Bilder gemalt, die das Thema des Gedichts spiegeln, deshalb habe ich die Wirkung der Migration konkret gesehen. 4. Ich habe noch nie ein Gedicht gesehen, das die Migration so bildlich und gut darstellt. Alle Begriffe waren symbolisch, besonders die Metaphern gefallen mir sehr gut. Der Text Dütschlünd dütschlünd übür üllüs wurde ein Mal gewählt: 1. Dieser Text war sehr amüsant. Er war ironisch und satirisch. Komische Stellen haben mir auch gut gefallen. Homo Germanicus wurde zwei Mal gewählt: 1. Am Anfang dachte ich, dass dieser Text sehr schwer und unverständlich sei. Aber im Laufe des Unterrichts habe ich die Botschaft verstanden und war schockiert. Alles war symbolisch und jedes Wort wies auf etwas anderes hin. 2. Die Botschaft war für jede Nation gültig: In jeder Nation gibt es gute und auch böse Menschen. Der Text Sprich langsam Türke von der dritten Generation wurde ein Mal gewählt. 1. In den Texten der ersten und der zweiten Generation wurde meistens über die Gründe der Migration, über das Leben der türkischen MigrantInnen in 258 Deutschland und besonders über ihre kulturellen Probleme gesprochen. Aber in diesem Text habe ich bemerkt, dass der Autor das Zusammenleben und die Solidarität betonen will. Dieses Thema scheint mir wichtiger. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Texte der zweiten Generation aufgrund ihrer Motive, Erzählhaltung der Autoren und der in den Unterrichten durchgeführten Aktivitäten den Studierenden am besten gefallen haben. Da die Jugendlichen der zweiten Generation mehr als die Jugendlichen anderer Generationen an interkulturellen Problemen gelitten haben, ist die Emotionalität der Studierenden in die Höhe geschossen, was ihre Entscheidung gelenkt hat. Auch im Unterricht haben wir bemerkt, dass die Studierenden während der Behandlung der Texte der zweiten Generation an den Unterrichten aktiver teilgenommen haben. 259 SCHLUSSFOLGERUNGEN In der vorliegenden Arbeit haben wir versucht, anhand von Texten türkischer AutorInnen in Deutschland, die beim Fremdsprachlehren in der Türkei bisher kaum berücksichtigt wurden, ein Paket mit unterschiedlichen Unterrichtsmodellen für türkische Studierende an der Abteilung für Deutschlehrerausbildung in der Türkei vorzulegen. Im zweiten Kapitel wurde das inter-/multi-/und transkulturelle Lernen im DaFUnterricht aufgegriffen, um diese Begriffe im Hinblick auf ihre Verflechtung mit der Pädagogik zu klären und darüber hinaus festzustellen, was für Lernmodelle für die türkischen Studierenden in der Türkei am besten geeignet sind. Während der Begriff „multikulturell“ seinen Ursprung aus der sozialen Wirklichkeit nimmt und auf dem Zusammenleben der Menschen aus unterschiedlichen Kulturen am gleichen Ort beruht, gewinnt der Begriff „interkulturell“ im pädagogischen Bereich an Bedeutung. Das zeigt eindeutig, dass der Begriff „multikulturell“ auf die ethnischen Gruppen in einer Gesellschaft und der Begriff „interkulturell“ auf die Kommunikation dieser Gruppen zurückgeht. Der Begriff „interkulturelles Lernen“ wurde in den 80er Jahren im Erziehungsbereich als ein Mittel zu gegenseitiger Verständigung, Toleranz und Akzeptanz gesehen und zu dem Lehrplan der deutschen Schulen, Gymnasien und Universitäten als zugehörig verstanden. In diesem Sinn spielt Interkulturalität bei der Überwindung des Ethnozentrismus eine wichtige Rolle, indem sie den fremdkulturellen Menschen einen neuen Raum mit Empathie und Toleranz eröffnet. Ihr Ziel ist, durch multikulturelle Perspektiven ethnizistisches Denken und Handeln zu überwinden. In gemischtnationalen Gruppen funktioniert das interkulturelle Lernen erfolgreich, aber in der Türkei entwickelt sich der Unterrichtsprozess um die Empathie bzw. um den Vorgang, über sich selbst in der Position der Anderen nachzudenken, weil die Beteiligten am Unterricht überwiegend Türken sind. Hierdurch spielte auch die transkulturelle Kompetenz relevant, die Eigenschaften einer fremden Kultur, die gemeinsame Eigenschaften mit ihrer eigenen Kultur haben, zu übernehmen und dadurch die Fremdheit abzubauen. 260 Im dritten Kapitel wurden die theoretischen Hintergründe unserer Thesen analysiert. Wir haben versucht festzustellen, • welche kulturelle Wandlung die türkischen MigrantInnen in einer ungefähr 45jährigen Zeitspanne durchlebt haben, • welche soziologischen Hintergründe in dieser Wandlung eine besondere Rolle gespielt haben und • was für einen Einfluss die Kommunikation auf beide Kulturen ausgeübt hat. Den Begriff „Interkulturalität“ (Kulturkonfrontation) betrachtet man als Begegnung verschiedener Kulturen am gleichen Ort und weist auf neue soziokulturelle Phänomene im Zeitalter der Migration hin. Dagegen bildet den Ausgangspunkt der „Multikulturalität“ (Vielvölkergesellschaft) das Zusammenleben der fremdkulturellen Bevölkerungsgruppen miteinander. Transkulturalität (Kulturintegration), die mit der Interkulturalität eng zusammenhängt, bedeutet nicht nur einen Kontakt zwischen fremden Kulturen, sondern auch gegenseitiges Übernehmen fremdkultureller Elemente, die auf möglichen Gemeinsamkeiten beruhen. Die migrationsbedingten Veränderungsprozesse haben die soziokulturelle und wirtschaftliche Struktur Deutschlands tief verändert. Zugleich haben die kulturellen Überfremdungsängste der Deutschen im Laufe dieser Migrationsprozesse eine sich im Laufe der Zeit verändernde Dimension gezeigt. Parallel zu den migrationspolitischen Entscheidungen der Bundesrepublik hat sich auch die soziokulturelle Situation des Landes geändert. In den ersten Jahren der Migration sprach man von einem „Kulturschock“, der eine Verunsicherung oder Haltlosigkeit bedeutete, die die ganze Persönlichkeit erfassen. Der Kulturschock ist abhängig von dem Bildungsniveau der ersten emigrierten türkischen Arbeiter und von ihrer sozialen Umgebung in dem Herkunftsland. Die Begegnung mit einer fremden Kultur und der dadurch verursachte Schock bildete den ersten Schritt zur Identitätskrise. Infolge der Wirtschaftskrise von 1966/67 sind die kulturellen Konflikte mit den Ausländern und die Fremdenfeindlichkeit in der deutschen Gesellschaft angestiegen; somit fühlten sich die Ausländer unter kulturellem Druck. Unter diesen sozialen und 261 politischen Umständen haben sich die Ausländer bemüht, ihre eigene Identität zu finden. Aufgrund der vom Ende der 80er bis in die 90er Jahre herrschenden sozio– und interkulturellen Probleme, die in dieser Zeit die gegenseitigen Ängste, Aggressionen und Spannungen zwischen einheimischer und zugewanderter Bevölkerung erhöhten, haben die Zugewanderten eine große Identitätskrise erlebt. Bei der Identitätsproblematik türkischer MigrantInnen spielt ihr Widerstand gegen die Integration eine wichtige Rolle, weil sie die Integration mit dem Begriff „Assimilation“ verwechselten. Integration beruht auf interkultureller Kommunikation und gewinnt bei einer Annäherung an eine fremde Kultur an Bedeutung. Dagegen haben die türkischen MigrantInnen die Integration lange Zeit als ein soziales Problem gesehen, das schließlich zum Verlust der eigenen Kultur bzw. zur Assimilation führt. Die Identitätskrise, die die MigrantInnen dazu geführt hat, sich aus der Gesellschaft isoliert zu fühlen, führte die MigrantInnen dazu, ihre eigene Kultur, die weder deutsch noch türkisch ist und als Subkultur bezeichnet wird, zu schaffen. Auch die „Kanak Attak“ genannte Strömung ist unter diesen Umständen aufgewachsen. Die MigrantInnen haben eine völlig neue Sprache entwickelt, die weder Deutsch noch Türkisch ist und von den Wissenschaftlern als soziologische Reaktion betrachtet wurde. Zaimoğlus „Kanak Attak“ ist der Ausdruck der Identitätkrise der zwischen zwei Sprachen bleibenden MigrantInnen. Er lässt seine Figuren bewusst „gemischt“ sprechen, um zu zeigen, dass sie in sich keine türkische und keine deutsche Identität haben, da sie Menschen einer Subkultur sind. Im vierten Kapitel der Arbeit wurde die Literatur der türkischen MigrantInnen aufgegriffen. Die Literatur gilt als eine Quelle des Verstehens historischer und sozialer Zusammenhänge. Wenn man literarische Werke in diesem Sinne bewertet, reflektiert die Literatur eine Zeitanalyse, die alle soziokulturellen und politischen Situationen jener Zeit kenntlich macht. Dementsprechend erkennt man die wechselseitige Verflechtung zwischen Literatur und Soziologie. Wir haben zunächst Generation für Generation zu allen türkischen AutorInnen kurze autobiographische Informationen vermittelt und ihre Literatur inhaltlich analysiert, wobei wir uns besonders auf die behandelten Themen und bearbeiteten Motive konzentrierten. Darüber hinaus haben wir das Ziel verfolgt, die Themenschwerpunkte 262 der drei Generationen festzustellen und die Aufmerksamkeit auf den thematischen Generationswandel zu ziehen. In diesem Teil wurde gezeigt, wie der soziokulturelle Wandel der Einwanderer im Laufe der Zeit das Thema der Migrantenliteratur bestimmt und sich die Eigenwahrnehmung der türkischen Einwanderer auch in der Literatur verändert hat. Die Literatur der türkischen MigrantInnen schildert die Erfahrungen der Migration und die Situation der türkischen MigrantInnen in Deutschland in drei Generationen. Der Ausgangspunkt dieser Literatur sind die MigrantInnen und ihre Kommunikation mit den Deutschen bzw. ihre Erlebnisse der MigrantInnen in Deutschland. Die Themen der MigrantInnen der ersten Generation sind: a)die Schwierigkeit, in der anderen Kultur zu leben, b) die schweren Arbeitsbedingungen, c) Sprachprobleme, d) Sehnsucht nach der Heimat, e) Einsamkeit, f) Ausschließung aus der Gesellschaft, g) Gedanken an die Heimkehr etc. Das Schreiben bedeutete für die erste Generation einen Widerstand gegen die soziokulturellen Schwierigkeiten, weshalb ihre Literatur als „Literatur der Betroffenheit“ genannt wurde. Die Kontrastierung von Heimat und Fremde bildete im Allgemeinen die Quelle der literarischen Produktion dieser Zeit. In den ersten Jahren der Migration fühlten sich die ausländischen Arbeiter noch ihrem Herkunftsland zugehörig; deshalb bearbeiteten sie in ihren Werken Motive wie Bahnhof, Zug, Heimweh, Sehnsucht nach den Freunden, Kindern und Verwandten in der Heimat. Rösch verwendet für die Migrantenliteratur der 80er Jahre auch den Begriff „Jammerliteratur“, während Kuruyazıcı sie als „Schrei aus der Fremde“ nannte. In der Literatur fast aller MigrantInnen der zweiten Generation ist dagegen zu sehen, dass Themen wie „Suche nach eigener Kultur“, „Fremdheit“, „Identitätsproblematik“, „Mischkultur“, „Integration“ „Identitätsverlust“, „Fremdverstehen“ etc. in unterschiedlicher Weise aufgegriffen wurden, weil sie bikulturell erzogen sind. Sie haben ihre Literatur im Unterschied zu den AutorInnen der ersten Generation in deutscher Sprache verfasst. Die Literatur nutzten sie als Mittel, ihre Identität und Individualität zu finden und ihre Situation zu kritisieren. In ihrer Literatur findet auch die psychologische Unterdrückung ihren Ausdruck. 263 Die von den türkischen AutorInnen der zweiten Generation am meistens bearbeiteten Motive sind die Brücke, der Vogel, die gespaltene Zunge, der Flug, die Tür und der Seiltanz, die auf zwei Länder, zwei Kulturen, zwei Heimaten oder zwei Identitäten hinweisen. Hauptziel der AutorInnen der zweiten Generation ist, die Artikulation des Leidens zu lösen. Durch ihre Texte haben die AutorInnen der zweiten Generation lange Zeit die verletzte Identität und das Leiden der MigrantInnen widergespiegelt. Ihre Literatur ist als „Schreiben als eine Form der Therapie“ zu sehen, weil die AutorInnen die Literatur als Mittel genutzt haben, ihre Leiden zu überwinden. Die Angehörigen der dritten Generation betrachten Deutschland als Heimat und haben überwiegend die deutsche Staatsbürgerschaft erworben. Sie verstehen sich als Deutsche türkischer Herkunft. Obwohl ihnen Probleme wie „Identitätsproblematik“ oder „Kulturkonflikt“ vertraut sind, haben sich diese Probleme nicht in den Vordergrund gedrängt. Ihre Literatur konzentriert sich eher auf Themen wie „Lebensart der deutschen und der türkischen Gesellschaft“. Statt die fremde Kultur als ein Problem zu sehen und die eigene und die fremde Kultur gegeneinander zu stellen, verweist die dritte Generation u. a. auf Harmonie und Schönheit der der Unterschiedlichkeit beider Kulturen. Die Angehörigen der dritten Generation vertreten eine „Zwischenkultur“ und haben eine Kulturverbindung und damit eine neue Sprache geschaffen, die auch das Interesse der Deutschen auf sich gezogen hat. Darüber hinaus eröffnete sich für die Deutschen die Möglichkeit, in der Literatur der MigrantInnen dieser Generation, die sich mit den bestimmten Besonderheiten der beiden Kulturen teils ironisch, teils komisch befasst haben, ihre eigene Kultur aus einer anderen Perspektive betrachten zu können. Eine Charakteristik der Literatur der dritten Generation ist außerdem die Beschäftigung mit Themen wie der Sexualität, die für die ersten beiden Generationen tabu waren, und die in der Literatur der dritten Generation humoristische und ironische Züge tragen. Der Integrationsprozess der zweiten Generation war problematisch. Aber bei der dritten Generation ist dieser Prozess mit relativ viel weniger Problemen behaftet, weil die 264 gegenseitigen Erwartungen der Türken und der deutschen Aufnahmegesellschaft durch das Bestreben zur Überwindung der Vorurteile teilweise erfüllt wurden. Die schwere Arbeitssituation war das wichtigste Thema der ersten Migrationsjahre. Aber durch den soziologischen und kulturellen Wandel haben sich auch die Themen geändert. Nunmehr wollte man die rassistischen Strukturen in der Aufnahmegesellschaft deutlich machen und das Daseinsrecht der MigrantInnen hervorheben. Somit konnten auch die Deutschen aus einer fremden Perspektive über ihre eigene Kultur lesen und nachdenken. Im didaktischen Teil der Arbeit haben wir uns bemüht zu zeigen, dass die Verwendung literarischer Texte türkischer MigrantInnen im DaF–Unterricht im Hinblick auf das interkulturelle Lernen sinnvoll ist, da diese Literatur den Lernenden einerseits das soziale, kulturelle und politische Leben der in Deutschland lebenden MigrantInnen präsentiert, andererseits eine Auseinandersetzung mit Fragen und Problemen der Identität, Multikulturalität, Akzeptanz sowie einen Blick auf Kultur und Probleme der türkischen MigrantInnen und der Deutschen ermöglicht. Die vorliegende Arbeit ist nicht auf ethnisch definierte Zielgruppen ausgerichtet, sondern auf Individuen, die an türkischen Universitäten in der Türkei die deutsche Sprache lernen. In diesem Zusammenhang gilt die Migrantenliteratur als Medium für interkulturelles Lernen. Die Lehrveranstaltungen knüpfen an die Lehrsituation und das Curriculum der Abteilungen für Deutschlehrerausbildung in der Türkei an; deshalb haben wir uns bemüht, sowohl für die Situation der Studierenden als auch fürs Curriculum in der Türkei günstige Unterrichtsmodelle und methodische Vorgehensweisen zu entwickeln. Technische Medien wie z.B. Computer, Internet, Overhead-Projektor, CDs und Projektion wurden in den Lehrveranstaltungen möglichst viel benutzt. Sie haben dienten dazu, die Texte nicht immer aus den Kopieblättern vorlesen zu müssen, was in einem kontinuierlichen Prozess die Motivation der Studierenden hätte senken können. Stattdessen haben wir ergänzende Unterrichtsmaterialen zur Verfügung gestellt, um die Studierenden stets stärker zu motivieren. Während der Lehrveranstaltungen wurde besonders darauf geachtet, den Lernprozess Lerner-orientiert zu gestalten und somit den Studierenden eine möglichst freie 265 Lernatmosphäre zu bieten. Mit den gestellten Leitfragen haben wir nicht darauf gezielt, die Studierenden in eine bestimmte Richtung zu manipulieren und die Erwartungen der Lehrkraft zu erfüllen, sondern sie dazu zu bringen, über das Thema und die Motive kreativer nachdenken. Diese Vorgehensweise hat sie immer mehr motiviert. Eine weiterer Motivationsgrund für die Studierenden war der offene Unterricht. Sie mussten sich nicht zu Hause auf die Lehrveranstaltungen vorbereiten, sondern nur die vorgelegten Texte spontan, d.h. improvisatorisch nach ihrer Weltanschauung bzw. nach ihrer Kreativität ausdeuten. Das hat die ausnahmslose Teilnahme der Studierenden und die hemmungslose Stellungnahme zu den Leitfragen herbeigeführt. Die in den Lehrveranstaltungen behandelten zehn Texte wurden von den Studierenden sehr positiv aufgenommen. Alle Studierenden haben an den Lehrveranstaltungen engagiert teilgenommen und in hohem Maß ihre eigenen Meinungen zum Ausdruck gebracht. Die Texte waren für die Studierenden sehr interessant, weil sie sich davor mit Texten, die die kulturellen Probleme der türkischen MigrantInnen in Deutschland thematisieren, noch nie konfrontiert hatten. Die Texte haben den Studierenden eine neue Welt angeboten; das haben sie mit voller Konzentration und hohem Interesse entgegengenommen. Die Studierenden haben während der Besprechung der Texte versucht, sich mit den Textinhalten zu identifizieren und eine emphatische Beziehung herzustellen; somit haben sie das multikulturelle Leben besser verstehen können. Für diese Arbeit haben wir die Texte der türkischen MigrantInnen aller drei Generationen in Deutschland gewählt, weil ihre Sprachverwendung divergent ist. Die erwähnten Texte sind meistens satirisch oder kritisch. Die realistisch geformten Texte erleichtern die Selbstidentifizierung der Studierenden mit der Kultur der Deutschen und der türkischen MigrantInnen in Deutschland. Davon ausgehend, dass die türkischen Studierenden beim Lernen der deutschen Sprache viele Schwierigkeiten haben, machten die Texte der türkischen MigrantInnen auf die Studierenden einen positiven Eindruck, weil diese Texte aus der Sicht türkischsprachiger Deutschlernender einfachere Strukturen haben. Dadurch hatten die Studierenden die Gelegenheit, die 266 spezifische Sprachverwendung (Idiome, Sprichwörter, Ritualen) in der Literatur türkischer MigrantInnen mit derjenigen im Deutschen zu vergleichen. Aus dem Text „Brautbeschauer“ kann man für die migrationsspezifische Sprachverwendung Beispiele geben: „Der Mund eines Menschen ist kein Sack, den man zubinden kann“ und „Den Esel immer auf die Berge führen“. Zum Verstehen des Inhalts und des Ziels des Autors spielten diese Idiome für die türkischen Studierenden eine vereinfachende Funktion. Daneben haben sie äquivalente deutsche Idiome gefunden, durch die sie zwischen zwei Sprachen einen Vergleich machen und ihre deutsche Sprachkenntnisse erweitern konnten. Die gewählten Texte konzentrieren sich überwiegend auf die interkulturelle Kommunikation der Türken in Deutschland mit den Deutschen. Die bearbeiteten interkulturellen Themen und Motive sind ein Mittel dazu, mit Hilfe der kommunikativen Methode einen kontinuierlichen Kommunikationskanal herzustellen. Bei den Lehrveranstaltungen wurden diverse Lernaktivitäten durchgeführt, die den Studierenden Gelegenheit boten, die Vorurteile in den Texten zu entdecken, zu interpretieren und in der Klasse vorzuspielen. Diese Lernaktivitäten erleichterten die Selbstidentifikation der Studierenden mit den Deutschen. Alle Texte wurden nach dem gleichem Unterrichtsmodell, aber mit diversen Lernaktivitäten analysiert. Alle Studierenden haben sich am Unterrichtsablauf aktiv beteiligt, indem sie die genannten Lernaktivitäten in Gruppenarbeit ausführten. Die deutschsprachigen Äußerungen der Studierenden haben deshalb grammatische Fehler, weil Deutsch ihre Fremdsprache ist, die sie an der Universität (noch) lernen. Deshalb haben wir uns in den Lehrveranstaltungen darum bemüht, einerseits die Lese- und Schreibfertigkeit, andererseits die Hör- und, die Sprechfähigkeit der Studierenden zu verbessern. Ein Semester lang haben wir das Ziel verfolgt, Antworten auf folgende Fragen zu finden. Die erste Frage war; • Inwiefern ist der Einsatz von deutschsprachiger Literatur türkischer MigrantInnen im DaF-Unterricht in der Türkei interessant und erforderlich? An den deutschen Abteilungen türkischer Universitäten unterrichtet man nach dem neuen Curriculum in der ersten Klasse „Schreibfertigkeit I und II“, „Lesefertigkeit I und II“, in der zweiten Klasse „Fortgeschrittene Schreib- und Lesefertigkeit“, „Deutsche 267 Literatur I und II, und in der dritten Klasse „Literarische Textanalyse und Didaktik“. Als Unterrichtsmaterial benutzt man in diesen Lehrveranstaltungen meistens deutsche literarische Texte. Daher bemühen sich die Lehrenden darum, diverse Aktivitäten zu führen, um Motivation und Interesse der Studierenden zu erhöhen. Diese Tatsache hat uns bewegt, deutschsprachige Texte von türkischen MigrantInnen in Deutschland zu anzuwenden. Der Einsatz von deutschsprachiger Literatur türkischer MigrantInnen ließ auf die Studierenden einen positiven Eindruck, weil sie zum ersten Mal mit solchen Texten konfrontiert wurden. Sie haben die Möglichkeit gefunden konkret zu sehen, wie türkische MigrantInnen ihre eigene Kultur dorthin mitgebracht und weiter gehegt haben. In den Texten der ersten Generation spiegelt man die türkische Kultur nicht anders als in der Türkei. In den Texten der zweiten und dritten Generation tritt die türkische Kultur mit neuen Formen auf. Die Gründe hierfür liegen in der immer wieder zunehmenden Kommunikation zwischen den Türken und den Deutschen, was im Laufe der Zeit eine Subkultur hervorgerufen hat. Die Studierenden kannten davor die genannte Subkultur gar nicht. Die Themen wie z.B. Kulturaustausch, Integration, Assimilation, Identitätsproblematik, Heimweh, Einsamkeit etc. waren für die Studierenden ganz neu, weshalb sie sich für diese Themen sehr interessierten. Dadurch dass die türkischen Studierenden beim Lernen der deutschen Sprache in viele Lernprobleme geraten, sind wir zur Idee gekommen, dass die Migrantenliteratur stärker in den DaF-Unterricht integriert werden muss. Insbesondere die Motivationsförderung bedürfen der besonderen Aufmerksamkeit der Lehrenden. Aus der Sicht türkischsprachiger Deutschlerner hat die Literatur türkischer MigrantInnen eine einfachere Struktur; daher wirkt sie positiv und spielerisch auf die Studierenden. Aufgrund der sprachlichen und inhaltlichen Besonderheiten der Migrantenliteratur haben die Studierenden am Deutschlernprozess aktiv teilgenommen, die deutsche Sprache leichter gelernt und auch eine Möglichkeit gefunden, die idiomatische bzw. sprichwörtliche Sprachverwendung in der Literatur türkischer MigrantInnen mit derjenigen deutscher Autoren zu vergleichen. Die zweite Frage Mit welchen Lehrtechniken können die Einsätze der Migrantenliteratur erfolgreich vermittelt werden? 268 war ein weiterer Ausgangspunkt unserer Arbeit. Bei der Analyse der Texte haben wir im Unterricht unterschiedliche Lehrtechniken verwendet, die nach den Lernaktivitäten bestimmt worden sind. Die Textanalyse wurde rezeptionsästhetisch durchgeführt. Von der Tatsache ausgehend, dass kein Text eine ausschließliche Bedeutung hat, haben wir die fundamentale Erkenntnis der Rezeptionsästhetik berücksichtigt, dass die Bedeutung eines Textes erst im Zusammenspiel von Wortlaut und Leser hergestellt wird. In diesem Zusammenhang haben die Studierenden die Texte vorgelesen und dann die Motive analysiert. Bei ihrer Auslegung haben sie die interkulturelle Kommunikation zwischen Deutschen und Türken berücksichtigt. Alle Motive haben wir in Verbindung mit sozialen, kulturellen und politischen Situationen aufgegriffen. Bei vielen Aktivitäten haben die Studierenden zur Förderung von Selbstständigkeit und Sozialverhalten in kleinen Gruppen zusammengearbeitet. Sie haben neben ihrer Sprechfertigkeit auch ihre Verantwortungsbereitschaft, Selbstständigkeit, Kritikfähigkeit und Kreativität entwickelt. Bei der Entwicklung dieser Fähigkeiten spielte der produktionsorientierte Unterricht eine besondere Rolle. Dass kein Text allein ein Faktum ist, sondern erst in Verbindung mit anderen Texten einen Sinn gewinnen kann, stellt es sich eindeutig heraus. Texte, die ein Teil des gesellschaftlichen und soziokulturellen Lebens sind, können auch als Mittel interkultureller Verständigung fungieren. In diesem Zusammenhang stellte sich die Analyse von intertextuellen Bezügen bei der Textproduktion als eine wichtige Aufgabe dar, die darauf beruht, aus einem Text einen neuen Text zu konstruieren. Dabei haben die Studierenden bei manchen Aktivitäten einen neuen Text mit gleichem Inhalt und gleicher Problematik aufgebaut. Solch eine Aktivität hat die Studierenden zur Kreativität und auch zur Zusammenarbeit ermutigt. Wie im didaktischen Teil der Arbeit konzentrierten wir uns darauf festzustellen, welche Lernkompetenzen bei der Vermittlung und Rezeption der Migrantenliteratur eine besondere Rolle spielen. Am Ende des Semesters, besonders nach der Analyse der Hausaufgaben hat sich ergeben, dass die Verwendung literarischer Texte türkischer MigrantInnen im DaF-Unterricht sinnvoll ist, da diese Literatur den Studierenden einerseits das soziale, kulturelle und politische Leben der in Deutschland lebenden 269 MigrantInnen vor Augen führt, andererseits eine Auseinandersetzung mit Fragen und Problemen der Identität, Multikulturalität und Akzeptanz ermöglicht. Dadurch entwickeln die Studierenden ihre persönlichen, fachlichen und sozialen Kompetenzen. Wie es bei den schriftlichen Aufgaben der Studierenden, die im vierten Teil der Arbeit zusammengefasst wurden, zu sehen ist, haben sich die persönlichen, fachlichen und sozialen Kompetenzen und Fertigkeiten der Studierenden schrittweise entwickelt. Bemerkenswert ist, dass grammatische Fehler von Text zu Text variieren und stufenweise geringer werden. Zu den entwickelten Leistungsbereitschaft, Fähigkeiten der Studierenden Gewissenhaftigkeit, zählt man Lern- und Verantwortungsbereitschaft, Selbstständigkeit, Fähigkeit zu Kritik und Selbstkritik, Kreativität, Flexibilität, fachliche Fähigkeit, soziale Kompetenz, Toleranz, Empathie und Freundlichkeit, die mit der Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift parallel verlaufen sind. Eine weitere Frage, auf die wir eine Antwort suchten, war: für Texte welcher Generation sich die Studierenden am meisten interessieren, und warum? Die lyrischen Texte der zweiten Generation haben dem größten Teil der Studierenden gut gefallen und sie wurden als die besten gewählt. Das Gedicht Doppelmann nahm die erste Stelle. Dabei spielte die Erzählhaltung des Autors die größte Rolle. • Die metaphorische Erzählung, die die Studierenden zum Nachdenken über die Kodes und zu einer stetigen Kreativität geführt hat, • die Darstellung der Identität türkischer MigrantInnen, die das Interesse der Studierenden auf sich gezogen hat, • die im Unterricht verwendeten Lehrtechniken und Aktivitäten, • die Darstellung einiger Szenen aus dem Film „Postmann“, • in Gruppenarbeit vorbereitete Plakate und schließlich • die freie Produktion eines unmetaphorischen Gedichts waren die Gründe dafür, dass die Studierenden dieses Gedicht für das beste halten. Ähnliche Gründe gelten auch für den Text der gleichen Generation Tierweisungen. Die epischen Texte der gleichen Generation Dütschlünd dütschlünd übür üllüs und Homo Germanicus blieben dagegen im Vergleich zu lyrischen Texten im Hintergrund. 270 Die lyrischen Texte der ersten Generation, nämlich Fremde ist wo du gekränkt wirst und Gedanken über die Rückkehr, haben die Aufmerksamkeit der Studierenden auf sich gezogen. Während das Gedicht Fremde ist wo du gekränkt wirst wegen einer tiefen Emotionalität und Einsamkeit im Vordergrund stand, trat das Gedicht Gedanken über die Rückkehr mit seiner künstlerischen Beschreibung der türkischen und deutschen Kultur hervor. Dabei spielten auch die Lehrtechniken und die Erzählhaltung des Autors eine besondere Rolle. Aufgrund seiner ironischen und satirischen Reflektion der kulturellen Unterschiede zwischen Deutschen und Türken haben die Studierenden dem epischen Text Brautbeschauer besondere Beachtung geschenkt. Die epischen Texte der dritten Generation blieben im Vergleich zu den Texten der ersten und zweiten Generation im Hintergrund. Das hat zwei Gründe: Aus der dritten Generation wurde kein lyrischer Text in die Arbeit aufgenommen, weil die Autoren dieser Generation eher Prosa als Lyrik verfasst haben. Die lyrischen Texte haben sie eher zum Zeitvertreib geschrieben und in Zeitschriften veröffentlicht. Dass die Studierenden sich eher prosaische als lyrische Texte angeeignet haben, zeigt, dass der Umgang mit epischen Texten nur in Verbindung mit lyrischen Texten sinnvoll ist. Der zweite Grund ist die Verfilmung der kulturellen Kommunikation der türkischen MigrantInnen der dritten Generation. Fatih Akın, ein türkisch-deutscher Filmregisseur und Schauspieler, thematisiert in seinen Filmen das Zusammenleben der Türken und Deutschen, ihre Kommunikation, ihre kulturellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Damit will die deutsche und türkische Kultur harmonisieren und somit die Menschen einzaden, friedlich und solidarisch zusammenzuleben. Davon ausgehend kann man unschwer sagen, dass die visuelle Darstellung der Kommunikation der Deutschen und Türken der letzten Generation die epischen Texte der gleichen Generation in den Hintergrund verdrängt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die lyrischen Texte der zweiten Generation bei der Vermittlung der Lernkompetenzen die erste Stelle nehmen. Danach kommen die lyrischen und dann die epischen Texte der ersten, der zweiten und schließlich der dritten Generation. 271 LITERATURVERZEICHNIS Ackermann, Irmgard (Hrsg.) (1984), Türken deutscher Sprache, München: dtv. Ackermann, Irmgard (1985), "In der Fremde hat man eine dünne Haut… Türkische Autoren der ‘Zweiten Generation‘ oder die Überwindung der Sprachlosigkeit," in: Zeitschrift für Kulturaustausch, Nr: 1, S. 28-32. 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