Silly season - Neue Zürcher Zeitung
Transcription
Silly season - Neue Zürcher Zeitung
LEBENSART ülnif Jiiniir r Mln\\% «Silly season» 169-093 Samstag/Sonntag, 24./2S. Juli 1999 - die alberne Jahreszeit Hat einer in Düsseldorf das Licht der Welt erblickt, in Frankfurt und Hamburg, in Bonn, Göttingen und Berlin gelebt, kann ihn die Sonne des Südens nicht oft gestreichelt haben. Deshalb erstaunt es nicht, dass Heinrich Heine auf seiner «Reise von München nach Genua» (1830/31) - dazu kam, festzustellen: «. . . unser Sommer ist nur ein grünangestrichener Winter.» Wie aber dachte Goethe über das Klima des Nordens? Nachdem die Sehnsucht nach Italien, dem Land seiner Jugendträume, übermächtig geworden war und der Geheimrat am 3. September 1786 seine «Italienische Reise» angetreten hatte, schrieb er drei Monate später an Charlotte von Stein: «. . . Vielleicht fände ich jetzt, da mein Auge geübter ist, auch nordwärts mehr Schönheiten.» Mag sein, dass unser Sommer ein «grünangestrichener Winter» geblieben ist, aber auch die «nordwärts» gelegenen Schönheiten haben die Zeiten überdauert; die Frage ist nur, ob wir sie sehen können. Natürlich zeigt sich der Sommerhimmel manchmal in modischem Grau, liegen auf den Gräsern und Blumen gelegentlich schwere Regentropfen und tut der Nebel zuweilen so, als h ä t t er den Herbstanfang verpasst. Nur, ist es e wirklich so schwierig, sich vorzustellen, die Sonne könnte an solchen Tagen nichts anderes als ein Versteckspiel treiben und keineswegs die Absicht haben, uns des Lichts, der Farben und der Düfte - - hat Tradition); damals soll Nessie das Ufersträsschen überquert haben vor den geweiteten Augen eines englischen Ehepaars. Inzwischen gibt es massenhaft Photos, die «beweisen», dass Nessie alle unscharf, unterlebt. Sie sind of course belichtet oder unglaublich schlecht. Verschiedene Expeditionen eine davon angeführt U-Bootvom Unternehmer Nicolas Hayek haben nichts herausgefunden, ausser dass Nessie Mühe haben dürfte, im 300 Meter tiefen, tintenschwarzen Loch-Wasser etwas Essbares aufzutreiben. In den siebziger Jahren büsste Nessie vorübergehend etwas Popularität ein. Ufos waren damals en vogue. Zum Glück für die Beobachter steuerten die unidentifizierbaren Flugobjekte kaum unattraktive Gegenden an wie Industriegebiete, Vorstadtghettos oder Autobahnkreuze. Die fliegen- - - - - Sommersuppe E. C. Je 100 g vollreife Erdbeeren, Johannisbeeren, Stachelbeeren und Himbeeren verlesen und den Untertassen wurden meist in landschaftlich reizvollen Gegenden gesichtet, beispielsweise über der Ebene von Salisbury in Wiltshire. Heute - Ufo- Besatzung. Doch die hübschen Flecken um Salisbury - von London aus bequem in zwei Stunden mit dem Auto zu erreichen - bieten weiterhin einiges für jene, weiche es mit Shakespeare halten und glauben, dass zwischen Himmel und Erde unerklärliche Dinge passieren: etwa die kreisförmig angeordneten Steinblöcke von Stonehenge, Thema un- die Blütenansätze entfernen. Die eine Hälfte (200 g) Tür die Suppe, die andere Hälfte (200 g der schönsten Beeren) als Suppeneinlage vorsehen. In einem relativ hohen Topf 100 g Zucker golden caramelisieren lassen und danach mit \h dl Wasser abloschen. Je dl Orangensaft, Himbeerliqueur und Rotwein, je Vi Zimt- und Vanillestange sowie je fingerlange Orangen- und Zitronenzeste (ohne die weissen, bitteren Häutchen) zufügen und alles kurz zum Kochen bringen. Die eine Beerenhälfte beigeben und wie eine Konfitüre bei relativ hoher 1 - wahrscheinlich fürchten sich sind Ufos passe viele, welche daran glauben, dass sie von Ausserirdischen entführt und misshandelt werden könna eben ein Skeptiker höhnisch gelacht? ten. Hat d Das ist kein Thema, über das man Witze macht immerhin wurde auch die Schwester von FBISpezialagent Fox Mulder, dem Helden der Fernseh-Serie «Akte X», Opfer einer gewalttätigen 93 «Grüngestrichener Winter» mvh. An der Themse misst man 27,5 Grad. Das ist wärmer als auf Ibiza und kaum kühler als in der Londoner U-Bahn. Die Bestie von Birdwell ein ausgerissener Löwe? versetzt die Bewohner von South Yorkshire in Angst. Und kein Zeitungsreporter, der unter der sonst dürren Nachrichtenlage ächzt, Tindet heraus, was der König des Dschungels dort verloren haben soll. Dabei liegt die Erklärung so nahe: Es ist Sommer auf höchste Zeit also Tür die den Britischen Inseln «Silly season», die alberne Jahreszeit. Um präzise zu sein: Nicht die Jahreszeit ist albern, sondern die Briten, welche ganz wild sind auf Geschichten über Monster, Mythen und Merkwürdigkeiten. Die Mutter aller Monster ist «Nessie», eine saurierartige Kreatur, weiche in den Tiefen des schottischen Loch Ness vor sich hin dämmern soll, um ab und an aufzutauchen etwa dann, wenn Touristen ums Loch kurven. So geschehen angeblich erstmals im Jahre 1933 (die Silly season - Nr. 169 Bouquet garni Das «Sommerloch» treibt in Englands Medien wilde Blüten ... . 1 Zahlreiche Expeditionen waren ihr schon auf den Fersen: «Nessie», der Mutter aller Monster. (Bild ap) - endlichen Rätselratens. Wozu sind sie da war es ein Kalender? Eine Stätte für Menschenopfer? Oder eine vorchristliche Wettervorhersage-Station? Man weiss wenig darüber. Bloss eines wissen wir seit der diesjährigen Sonnenwende ganz genau: Wer Ober den Zaun klettert, um näher an und die geheimnisvollen Steine heranzukomme n ihre magischen Kräfte zu fühlen, der kriegt anderes zu spüren: die Gummiknüppel des örtlichen Polizeikorps. Die Beamten lässt es auch kalt, wenn die Eindringlinge Mitglieder des englischen Druidenklubs sind. In Stonehenge gilt das Ge- mit dem schon die Comicfigur Asterix Bekanntschaft machte während ihrer Reise zu den Briten: «Verschwinde von meinem Rasen.» So lautet sinngemäss auch der Schlachtruf der lokalen Farmer. Seit zwanzig Jahren machen setz, i h n e Kornkreise das Ernten schwer. Das sind n Bahnen niedergedrückter Ähren in den Feldern, welche Muster bilden, die oft so gross sind, dass man sie erst aus dem Flugzeug erkennen kann. Die Theorie, wonach die Strukturen von landenden Raumschiffen stammten, lässt sich nicht mehr so glaubwürdig vertreten, seit zwei alte Knaben gestanden haben, sie seien dafür verantwortlich: Doug und Dave zogen nach dem Zapfenstreich im Pub jeweils in die Felder und walzten dort mit Seil und Brettern das Getreide nieder. Die geometrischen Formen kriegten sie hin, indem sie ein Loch in den Schirm ihrer Baseball- Kappen bohrten und sie als Visier nutzten. Doch offenbar herrscht trotz dem Geständnis von Dave und Doug weiterhin Erklärungsbedarf: Laurence Rockefeller, der 89jährige Bruder des ehemaligen Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten, lässt sich die wissenschaftliche Erforschung der Kornkreise eine siebenstellige Summe kosten. Neben diesen altbewährten Phänomenen gehört zu einer zünftigen Silly season jeweils eine Eintagsfliege: 1987 zitterte das badende Volk vor angriffslustigen «Schnapper- Wasserschildkröten» in der Themse. Den Preis für das niedlichste Monster geht an die Wallabies von Derbyshire Zwergkänguruhs, die in Scharen eingefallen sein sollen. Solche Tiere wurden in Grossbritannien zwar in den zwanziger Jahren ausgesetzt, sie sind heute aber praktisch ausgestorben. Im vergangenen Jahr machte eine bösartige nordeuropäische Riesenwespenplage Schlagzeilen. Die Viecher sollen den Ärmelkanal hinter sich gelassen haben, denkbarerweise als blinde Passagiere auf den Kursfähren zwischen Calais und Dover, um die Briten zu peinigen wie vieles, was vom Kontinent kommt. Weshalb lieben es gerade die Engländer, sich solchen Geschichten hinzugeben? Immerhin behauptet das Inselvolk sonst stolz, gesunder Menschenverstand sei eine seiner besten Tugenden. Eine Antwort kennt Roger Scruton, konservativer Philosoph, Autor des «Handbuchs der modernen Kultur für intelligente Menschen» und laut einer Tageszeitung der «hellste Kopf Grossbritanniens». Scruton meint, dass die Bevölkerung während der Ferienzeit im Sommer realisiere, «wie leer ihr Leben ist». Da die Menschen nicht mehr religiös seien, suchten die Ungläubigen neue Inhalte und fielen bereitwillig auf heidnische Mythen herein. Das sei denn auch der Grund, weshalb die Phänomene meist nicht untersucht und erklärt würden: «Niemand hat ein Interesse an der Wahrheit», so Scruton, «man zieht es vor, sich Illusionen hinzugeben.» - Hitze um etwa die Hälfte einkochen lassen. Die völlig verkochten Beeren mit dem Rücken eines Schöpflöffels durch ein feines Sieb in eine Schüs- sel pressen, die aussortierten Beeren unter das ausgekühlt noch heisse Püree ziehen und bis - - zum Gebrauch möglichst kalt stellen. Die Sommersuppe in tiefe Teller verteilen und mit Creme fctiche oder mit einer geeisten Vanillesauce oder mit einem Löffel Vanille- oder Honigeis und fein geschnittenen PfefTerminzblättchen servieren. - - dieser heiteren Jahreszeit zu berauben? Solange Schmetterlinge die Wiesen als Ballsaal benutzen und reife Früchte in den grünen Blättern leuchten, ist die Zeit des Sommers diese meteorologische Tatsache schleckt keine Katze weg! Allerdings weiss unser Kopf über die Jahreszeiten sehr wohl Bescheid. Oder ist uns an verregneten Sommertagen tatsächlich so kalt, dass wir Lust auf ein wärmendes Winteressen haben? Anders gefragt: - Haken wir uns trotz zeitweilig schlechter Wetterlaune nicht grundsätzlich an leichte Gerichte, gerade so, als wollten wir die Sommerhitze trotz aufgespanntem Regenschirm erträglicher gestal- ten? Vielleicht müssen wir ab und zu nach den Merkmalen des Sommers suchen nie sind seine schönsten Attribute leichter zu finden als in diesen Tagen, wo sie in Waldlichtungen, an Wegrändern oder auf dem Markt um die Wette duften: die verführerisch süssen und erfrischend säuerlichen, die leuchtendroten und mehr oder weniger schwarzen Sommerbeeren! Zwar sind Beeren keineswegs auf prächtige Inszenierungen angewiesen; schon eine Spur Zucker und ein paar Tropfen Zitronensaft genügen, um ihr schönes, natürliches Aroma zu unterstützen. Doch wenn selbst ein grauer Tag zu einem heiteren Sommertag werden soll, braucht es ein paar wenige Zu, nämlich Ihre Lust und Neugier auf taten mehr die im Kästchen vorgestellte, faszinierendste aller Zubereitungsarten. Elfig Cas(y - - Auf die Gefahr hin, Illusionen zu zerstören: Die Bestie von Birdwell war weder ein ausgerissener Löwe noch die mittelenglische Variante des Yetis. Sondern ein Rottweiler-Retriever-Mischling mit Hautekzem. Deshalb liess Besitzerin Joanne Storey den zwölfjährige Rocky kahlscheren. Einzig an Schädel und Nacken musste das rotbraune Tier keine Haare lassen die Mähne durfte bleiben. Um Rockys löwenähnliches Äusseres zu unterstreichen, liess Frauchen zudem am Schwanzende eine launige Quaste stehen. - Regen die Phantasie an: Ufos, im Volksmund auch «fliegende Untertassen» genannt. (Bild key) Neue Zürcher Zeitung vom 24.07.1999 Regen, Kälte, Wind: Untrügliche Sommerzeichen sind Beeren. (Illustration Brigitte Gubler)