Beitrag_Puller - momentum kongress

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Beitrag_Puller - momentum kongress
Armin Puller, Beitrag für „Momentum 2010: Solidarität“ in Hallstatt
KONZEPTIONEN VON SOLIDARITÄT IN AKTUELLEN POLITISCHEN THEORIEN VON BLACK
UND POSTCOLONIAL FEMINISTS UND WAS DARAUS GELERNT WERDEN KANN. Über Solidarität als politisches Konzept und soziale Kräfteverhältnisse als strategischer Hintergrund
Der Begriff der Solidarität ist heute aus politischen Diskursen weitgehend verschwunden und eher im
Rahmen von ethischen Wertediskussionen vorzufinden. Solidarität erscheint dabei in erster Linie in
individualisierter Form als Courage, Nächstenliebe, Rücksichtnahme oder Aufopferung für „sozial
Schwache“. Der neoliberalen Verschiebung politischer Diskurse entsprechend, haben auch sozialdemokratische AkteurInnen im Übergang zum ‚Dritten Weg‘ den auf kollektive politische Praxen bezogenen Solidaritätsbegriff beseitigt und ihn tendenziell nur mehr im Zusammenhang mit Verzicht für die
‚Gemeinschaft‘ („solidarische Hoch-/Leistungsgesellschaft“) vor dem Hintergrund neoliberaler Transformationen von Sozialstaat und Arbeitsverhältnissen aufgebracht. In den Vorstellungen des ‚Dritten
Wegs‘ (von denen sich die europäische Sozialdemokratie nach zahlreichen Wahlniederlagen, Demobilisierungen und Demoralisierungen zwar distanziert, aber nicht verabschiedet hat) wird das solidarische
Moment von Gesellschaft weniger durch soziale Gleichheit als vielmehr durch starke Familien und gemeinsame moralische Werte hergestellt.
Während in diesen Solidaritätskonzeptionen politische Strategien, soziale Kräfteverhältnisse und gesellschaftliche Kontexte ausgeblendet werden, ermöglicht erst ein politisch (statt ethisch) gedachter
Solidaritätsbegriff Anknüpfungen für Überlegungen zu sozialen Interessen und politischen Projekten.
Beispielhaft für solche Solidaritätskonzeptionen können die Ansätze von Black und postcolonial feminists gelesen werden, die auch explizit für Verbindungen bestimmter (feministischer, antirassistischer
und antikapitalistischer) politischer Projekte offen sind. Black und postcolonial feminists (etwa: Patricia
Hill Collins, bell hooks, Gayatri Chakravorty Spivak, Chandra Talpade Mohanty) haben im Rahmen
ihrer Kritik an eurozentristischen Vorstellungen in vielen Ansätzen ‚westlicher‘ Feministinnen aufgezeigt, dass Frauen in der ‚Dritten Welt‘ keineswegs eine kohärente Gruppe mit homogenen Kontexten
darstellen und daher nicht universell, übersozial oder überkulturell definiert werden können. Auf Basis
von Überlegungen über die komplexe Verbindung unterschiedlicher Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse lehnen sie die in feministischen Ansätzen verbreitete Konzeption von ‚Sisterhood‘
ab, in der Frauen als monolithische Einheit, die von einer singulären (patricharchalen, kapitalistischen
etc.) Macht unterdrückt wird, gedacht werden. Die Kontexte von Frauen (nicht nur, aber vor allem) in
und aus der ‚Dritten Welt‘ sind vielmehr immer in jeweils spezifischen Verschränkungen von Klassen-,
Geschlechter- und rassistischen Verhältnissen (Strukturen und Praxen) zu denken. Die Idee einer globalen ‚Schwesternschaft‘ aller Frauen wird etwa bei Chandra T. Mohanty durch das Konzept „transnationaler Solidarität“ ersetzt und dabei betont, dass Solidarität immer erst in sozialen Kämpfen als politisches Projekt gegen jeweils spezifische Verhältnisse hergestellt werden kann.
1
Black und postcolonial feminists zeigen auch, dass politische Praxen der Solidarität notwendig immer
Überlegungen über soziale Kräfteverhältnisse implizieren, d.h. Überlegungen zu Gemeinsamkeiten
zwischen sozialen Kräften in jeweils bestimmten (ökonomischen, politischen, ideologischen) Kontexten
und dazu, wie auf Basis dieser Gemeinsamkeiten kollektives Handeln organisiert werden kann. Die
Reflexion dieser Implikationen in Form fundierender Theorien und konkreter Einschätzungen über
soziale Kräfteverhältnisse und ihre Bedingungen vermag zur gezielten Ausarbeitung solidarischer gesellschaftlicher Praxen und politischer Strategien beizutragen.
1. ‚Sisterhood‘ als eurozentristische Konzeption von Solidarität und die Kritiken von Black
und postcolonial feminists
Feministisches Denken konzentrierte sich von Anbeginn der Frauenbewegungen auch auf solidarische
Zusammenschlüsse von Frauen um gemeinsam gegen patriarchale Verhältnisse einzutreten. Schon um
unmittelbar die Kontrolle über den eigenen Körper und die eigene Sexualität zu beanspruchen, sowie
Abwertungen, Gewalt, sexuelle Belästigung und Vergewaltigungen zu bekämpfen, benötigte es Überlegungen zu Verbindungen zwischen Frauen. Vorstellungen über Solidarität (vor allem zwischen Frauen, aber teilweise auch zwischen dem Feminismus zugeneigten Männern und Frauen) spielten und
spielen daher in allen Frauenbewegungen eine zentrale Rolle. Das Konzept von ‚Sisterhood‘, das sich
auf eine politische Form von Solidarität bezieht, die auch unmittelbar Sexismus zu unterminieren und
in weiterer Folge patriarchale Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft umzustürzen trachtet, bot dafür in
der zweiten Welle des Feminismus (die häufig auf den Zeitraum der 1960er bis zu den späten 1980ern
datiert wird) einen vorläufig angemessenen Ausdruck.
‚Sisterhood‘ bezeichnete die Idee einer gemeinsamen Front aller Frauen unabhängig von sozialer und
nationaler Herkunft gegen patriarchale Verhältnisse. Der Feminismus der zweiten Welle stellte fest,
dass grundsätzlich alle Frauen unterdrückt werden, wobei zugleich impliziert wurde, dass alle Frauen
unabhängig von Faktoren wie Rassismus, Klassenverhältnissen, Religion oder Sexualität ein gemeinsames Schicksal bzw. gemeinsame Unterdrückungserfahrungen teilen würden. ‚Sisterhood‘ definierte
dabei sowohl ‚die unterdrückten Frauen‘ als auch ‚das Patriarchat‘ in einer einheitlichen, abgeschlossenen, überhistorischen und übersozialen Weise. Schon früh kritisierten insb. Schwarze1 Feministinnen
wie bell hooks, dass der (US-amerikanische) Feminismus beim Thema sexistischer Unterdrückung vor
allem gebildete weiße Frauen vor Augen hatte, die aufgrund patriarchaler Ordnungen zum Verbleib im
eigenen Haus gezwungen wurden, niemals allerdings Frauen aus der ArbeiterInnenklasse oder nichtweiße Frauen, die nicht nur zu Hause unter sexistischer Unterdrückung zu leiden hatten. hooks argumentiert, dass diese Reduktionen inhärent mit dem ‚Sisterhood‘-Konzept in Verbindung stehen, da
Unterschiede zwischen Frauen – etwa durch Praktiken und Strategien der Individualisierung von Klassenverhältnissen und Rassismus – explizit ausgeklammert werden und so unreflektiert bleiben. Der
tendenzielle Ausschluss und die Schwächung von nicht-weißen Frauen aus und in der Frauenbewegung wurde als Resultat dieser Reduktionen gesehen. (hooks 1981; 1984/2000, 5, 43ff.; 2000, 13ff.).
1
Die Bezeichnungen ‚Schwarz‘ und ‚Weiß‘ werden von Black feminists häufig groß geschrieben, um politische
Bedeutungen und Machtverhältnisse gegenüber der Bezeichnung einer Hautfarbe hervorzuheben.
2
Mittlerweile ist das Konzept ‚Sisterhood‘ aus feministischen Bewegungen eher verschwunden2, wofür
hooks (2000, 4ff., 16f.) für den Kontext der USA mehrere Gründe anführt: (a) Feministische Debatten
verloren im Zuge der Entwicklung eines „Lifestyle-Feminismus“ ab Ende der 1980er stark an Gewicht
und wurden dabei zugunsten reformistischer Positionen entschieden, denen es (fast ausschließlich)
um (Einkommens-)Gleichheit von Frauen (aus Mittelschichten) mit Männern im selben patriarchalen
System geht. (b) Radikalere feministische Diskurse, denen es um die gesellschaftliche Transformationen geht, beschränken sich tendenziell nur mehr auf Orte des Akademischen und werden dort nur von
meist privilegierten Intellektuellen jenseits einer Öffentlichkeit und nicht selten auch unter Abschottung von feministischen politischen Kämpfen und Bewegungen geführt. (c) Die von nicht-weißen Feministinnen geäußerte Kritik an den blinden Flecken von ‚Sisterhood‘-Konzeptionen führte bei vielen
weißen Feministinnen nicht zu einer Reformulierung politischer Solidarität und feministischer politischer Praxen, sondern häufig überhaupt zu einer Abkehr von feministischen Visionen.
Trotz des tendenziellen Verschwindens des ‚Sisterhood‘-Konzepts stellt es auch für aktuelle Debatten
über feministische Theorien und politische Projekte einen zentralen (zumeist negativen) Bezugspunkt
dar. Darüber hinaus lassen sich auch in aktuellen feministischen Ansätzen bestimmte Grundannahmen
über die Beschaffenheit von Frauen als politische Akteurinnen oder patriarchale Verhältnisse finden,
die mit dem ‚Sisterhood‘-Konzept verbunden sind.
Black Feminism und postkoloniale3 Feminismen (Spivak 2008/1988, Chandra Talpade Mohanty
2003/1986ff.), die auch in deutschsprachigen feministischen Debatten vermehrt diskutiert werden
(bspw.: Ludvig 2001; Ha / Lauré al-Samarai / Mysorekar 2007), haben in den letzten Jahrzehnten
nicht zuletzt dazu beigetragen, feministische Theorien über Geschlechterverhältnisse um Analysen
über Differenzen innerhalb und zwischen Gruppen von Frauen entlang der Linien von Klassenverhältnissen, rassistischen Verhältnissen und Ethnizität zu erweitern. Gemeinsamkeit dieser Feminismen ist
die Kritik an der Vorstellung, dass Sexismus die alleinige und gleichförmige Ursache von Unterdrückung von Frauen sei, da sie die unterschiedlichen Ausbeutungs-, Unterordnungs- und Diskriminierungsverhältnisse, in denen Frauen leben, verschleiern (etwa: gesellschaftliche und internationale
Arbeitsteilung zwischen Norden und Süden bzw. innerhalb des Nordens und Südens). Patricia Hill Collins (2000, 9, 13ff., 21) weist darauf hin, dass feministische Theorien, die einen universellen Vertretungsanspruch für alle Frauen stellen, meistens nur auf Weiße westliche Mittelschichtsfrauen bezogen
sind und über Rassismen und Klassenverhältnisse kaum etwas aussagen. Über die Kontexte von
Schwarzen Frauen bzw. ‚Women of Colour‘ kann dabei nicht oder kaum sinnvoll gesprochen werden.
2
Feministische AutorInnen wie Robin Morgan (1996; 2003) beziehen sich auch heute noch prominent auf den
Begriff ‚Sisterhood‘ in diesem Sinn (kritisch zu Morgan: Mohanty 2003, 109ff.). In einem anderen Sinn und unter
Einbeziehung von gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen auch zwischen Frauen spricht auch bell
hooks (1984/2000, 44) von ‚Sisterhood‘ als einem zentralen Bestandteil der feministischen Bewegung.
3
Das Feld der postkolonialen Theorie bezieht sich in unterschiedlicher Weise auf die Geschichte und die Nachwirkungen des Kolonialismus. Ein einheitlicher Begriff von ‚Postkolonialität‘ existiert dabei nicht, jedoch eine gemeinsame Stoßrichtung der Kritik (neo-)kolonialer Herrschafts- und Machtverhältnisse (in Form sozialer Strukturen,
Praxen, Diskurse, Identitäten etc.). Zu den ‚Klassikern‘ postkolonialer Theorie gehören Edward Saïd, Homi Bhabha, Gayatri Chakravorty Spivak und Frantz Fanon, ebenso wie Teile der Cultural Studies (Stuart Hall) oder der
Black Feminism.
3
Der Vorwurf bedeutet nicht, dass dieser („weiße“, „westliche“) Feminismus explizit rassistisch wäre,
sondern, dass bestimmte Vorstellungen und Bilder von Weiblichkeit und sexistischer Unterdrückung
produziert werden, in denen es nicht möglich ist, die Lebensverhältnisse von nicht-weißen Frauen
einzubeziehen, da diese auch (und zentraler als bei weißen gebildeten Frauen) von Klassen- und rassistischen Verhältnissen überformt werden.
Schwarze und postkoloniale Feminismen verstehen sich als Reflexion der Ideen und Erfahrungen postkolonialer bzw. Schwarzer Bewegungen. Ihre Kernthemen betreffen Kämpfe von Frauen am Arbeitsplatz, zu Hause und in der community, drehen sich um postkoloniale und Schwarze weibliche Identitäten (Fremd- und Selbstdefinitionen), politischen Aktivismus und die Politik des Empowerments, sowie
feministische Wissenschaftskritik. Ein wesentliches Kennzeichen dieser Feminismen ist, dass sie – basierend auf der Berücksichtigung von Rassismus und Klassenverhältnissen und teilweise auch in Abgrenzung zu „Weißem Feminismus“ – Feminismus immer auch als ein antirassistisches und antikapitalistisches politisches Projekt verstanden haben und weniger „ausschließlich“ auf eine Transformation
der Geschlechterverhältnisse abzielen. Nicht selten wurden und werden Autorinnen des postkolonialen
bzw. des Black Feminism nur im Rahmen der Kritik an „westlichem Feminismus“ rezipiert und als
Vertreterinnen marginalisierter Positionen mit partikularen Interessen, Problemen und Standpunkten
präsentiert.4 Obwohl viele Black Feminists durch ihre epistemologischen (Standpunkt-)Positionen – in
denen sie die Erfahrungen von Schwarzen Frauen in den Mittelpunkt rücken – scheinbar selbst diesen
Eindruck erwecken, ist die Darstellung des Black Feminism als Partikularprojekt unrichtig: Hill Collins
u.a. betonen stets die Möglichkeit und Notwendigkeit transnationaler antirassistischer feministischer
Projekte, die über partikulare Interessen hinausgehen müssen. (Hill Collins 2000, 23; vgl. auch: Mohanty 2003, 231f.). Als Vertreterinnen von Standpunkttheorien5, die die Wissensproduktion über Ausbeutungs-, Macht- und Herrschaftsverhältnisse, in denen Schwarze Frauen positioniert sind, besonders
von diesen Positionen abhängig machen und die Möglichkeit objektiver Erkenntnisse außerhalb dieser
Positionen bezweifeln, geht es Hill Collins u.a. nicht darum, bestimmte Standpunkte zu verabsolutieren
oder zu isolieren, sondern die unterschiedlichen Lebensverhältnissen unterschiedlicher sozialer Gruppen anzuerkennen, auf deren Basis erst gemeinsame politische Praxen und Strategien möglich sind.6
4
Im Black Feminism hat eine von „Weißem Feminismus“ eigenständige theoretische Entwicklung stattgefunden,
die insbesondere mit der fehlenden Repräsentation Schwarzer Frauen in den Frauenbewegungen der USA, aber
auch mit Ausschlüssen in den akademischen Diskussionen zusammenhängt.
5
Indem (viele, auch postkoloniale und Schwarze) Feministinnen für die Situiertheit von Wissen und ihren Standpunkt argumentieren („Standpunktfeminismus“), möchten sie auch und vor allem die Deutungshoheit über die
soziale Positioniertheit und die Kämpfe von Frauen aus und in der ‚Dritten Welt‘ bzw. Schwarzen Frauen gewinnen
und die Unangemessenheit anderen Wissens, das diese ausblendet, hervorheben. Standpunkttheorien betonen
die soziale Situiertheit und Nicht-Neutralität von jedem Wissen und sehen eine enge Verknüpfung von sozialer
Situiertheit mit der Wissensproduktion. Einige Kritiken an frühen Standpunkttheorien haben eine Überbetonung
der Situiertheit von Forschenden in der Wissensproduktion gegenüber den Theorien, Methoden und untersuchten
Materialien in der Wissensproduktion festgestellt (siehe etwa: Sayer 2000, 52ff.; New 1998a; 1998b). Mittlerweile
wird in Standpunkttheorien allerdings ein komplexes Verhältnis von sozialer Positioniertheit, Erfahrung, aktiver
(politischer) Positionierung und Wissensproduktion angenommen und diskutiert (bspw.: Harding 2006; 2008).
6
In Hill Collins’ Verständnis, kann gerade die Standpunkttheorie – so sie nicht nach dem Muster verstanden wird,
wonach Ausbeutung quantifiziert werden kann und die am meisten ausgebeutete Gruppe auch die besten Einsichten gewinnt – solche Projekte ermöglichen: “Each group speaks from its own standpoint and shares its own partial, situated knowledge. But because each group perceives its own truth as partial, its knowledge is unfinished.
Each group becomes better able to consider other groups’ standpoints without relinquishing the uniqueness of its
own standpoint or suppressing other groups’ partial perspectives.” (Hill Collins 2000, 290).
4
bell hooks’ Kritik am ‚Sisterhood‘-Konzept konzentriert sich insbesondere auf die ausschließenden Effekte und theoretischen Ausblendungen von Strategien Weißer Feministinnen und Frauenbewegungen
in den USA. Die Annahme, alle Frauen würden gemeinsame Erfahrungen teilen, negiert dabei die unübliche Rolle, die Schwarze Frauen und ‚women of color‘ in (rassistisch strukturierten) Gesellschaften
des Westens innehaben, da ihr sozialer Status innerhalb aller gesellschaftlichen Machtverhältnisse
niedriger ist als der jeder anderen sozialen Gruppe. Sowohl weiße Frauen als auch nicht-weiße Männer
haben dagegen zumindest in den Geschlechter- und den rassistischen Verhältnissen gegenüber
Schwarzen Frauen unterschiedliche und höhere Hierarchiestufen inne. Beide Gruppen haben darüber
hinaus in den USA Befreiungs- bzw. BürgerInnenrechtsbewegungen angeführt und für ihre Interessen
gekämpft, bei denen die Interessen Schwarzer Frauen in deren Augen allerdings mehr vorgestellt und
mitgemeint als einbezogen wurden. Weiße Feministinnen haben ihr Programm durchaus als Befreiung
aller – auch nicht-weißer – Frauen verstanden und dabei aber, so hooks, in einer paternalistischen
Weise Schwarze Frauen als gegenüber sexistischer Unterdrückung hilflos und unbewusst ausgeliefert
behandelt. Die Widerstandsstrategien nicht-weißer Frauen gegen Sexismus waren für Weiße Feministinnen nicht sichtbar, weil sie von vornherein als (mehrfache) politisch unbewusste Opfer, von denen
die theoretischen Reflexionen des Feminismus nichts lernen könnten, vorgestellt wurden. Debatten
über Formen von Rassismus in der Frauenbewegung wurden zwar immer wieder angestoßen, verblieben aber im Rahmen eines reaktiven Antirassismus, der nicht strukturelle Bedingungen (in der Gesellschaft wie der Frauenbewegung) und theoretische Grundpositionen verhandelte, sondern mehr individuelle (bewusste wie unbewusste) Vorurteile und Handlungsweisen innerhalb von feministischen Organisationen und im Privaten zum Thema machte. (hooks 1984/2000, 11ff.). Entgegen den Strategien
liberaler Weißer Feminismen, die eine (mehr oder weniger natürliche) Polarität zwischen den Geschlechtern betonten, sahen Schwarze Frauen Schwarze Männer nicht grundsätzlich als politische
Gegner, sondern auch als Kameraden im antirassistischen Kampf. Im antirassistischen Kampf der
Schwarzen Befreiungsbewegung waren Schwarze Frauen dagegen zwar stärker eingebunden, allerdings nur in Männern untergeordneten Positionen und mit geringem Einfluss auf die Sensibilität hinsichtlich Geschlechterverhältnissen innerhalb Schwarzer Organisationen. (hooks 1984/2000, 53ff.,
68ff.; Hill Collins 2000, 8ff.).
Schwarzes feministisches Denken entwickelte sich so als Theorie der Verschränktheit unterschiedlicher
Macht- und Herrschaftsverhältnisse, die aus beiden Bewegungen viel lernte, aber eine eigenständige
theoretische Entwicklung fokussierte. Hinsichtlich feministischer Überlegungen formulierten Black feminists einige wichtige Gedanken: (1) Die Idee einer gemeinsamen Unterdrückung aller Frauen stellt
weniger eine Strategie der Politisierung dar als vielmehr eine Strategie liberaler und konservativer
Frauen, mit radikalem Vokabular ihre eigenen Klasseninteressen und Positionen in den rassistischen
Verhältnissen zu verschleiern. Ansätze kollektiven Kampfes gegen sexistische Unterdrückung haben
sich über die Beschaffenheit und die Funktion von Rassismus in kapitalistischen Gesellschaftsformationen zu informieren, müssen sich gegen Kapitalismus, Klassismus (Abwertung von sozialen Gruppen
mit niedrigen Positionen in Klassenverhältnissen) und Rassismus in Stellung bringen, da sonst nur
Anliegen bestimmter Gruppen von Frauen vertreten werden wie Einkommensgleichheit, rechtliche
5
Gleichstellung und alternative Lebensstile im bestehenden System. Der Ausgangspunkt feministischen
Denkens und Handelns ist für Black feminists immer die Analyse von spezifischen Ausbeutungsverhältnissen von Frauen, d.h. auch in erster Linie die Diversität ihrer sozialen und politischen Realität.
Wenn sich dagegen feministische Theorien von den Erfahrungen von vielen Frauen abkapseln und
nicht-weiße Frauen nicht integrieren können (z.B. durch bestimmte häufig geäußerte Annahmen, dass
Feminismus einen Kampf gegen Männer hinsichtlich Einkommen und nicht gegen Sexismus in der
Gesellschaft darstelle, dass Feminismus die Abschaffung und nicht die Transformation von Familienstrukturen betreffe etc.), entwickelt sich die Theoriebildung notwendig zu einer Reproduktionsmaschinerie weiblicher Eliten in den akademischen Stätten und nicht zu einem Motor der politischen Bewusstseinsbildung und Aktivierung von Frauen im antisexistischen Kampf. (2) Die Vorstellung einer
gemeinsamen Opferschaft aller Frauen ist auch aufgrund der behaupteten Notwendigkeit einer Opferrolle zu hinterfragen: Die Idee, dass sich Frauen als Opfer begreifen sollten, verstehen Black feminists
als Internalisierung sexistischer Ideologien, die Frauen (politische) Subjektivität absprechen. Als Konsequenz müssten sich Frauen, sofern sie sich nicht mehr als Opfer begreifen (etwa durch sozialen
Aufstieg) von der feministischen Bewegung lösen, da diese keine Relevanz mehr für sie haben kann.
Aus dieser Logik heraus, erklärt sich bell hooks, warum viele weiße Aktivistinnen der ersten Stunde die
feministische Bewegung später verleugneten. Die Verbindung von Frauen als Opfer benötigt gerade
keine Verantwortung für Konfrontationen und echte Auseinandersetzungen mit der Komplexität eigener Erfahrungen und eigener sexistischer, rassistischer wie klassistischer Einstellungen gegenüber
anderen Frauen. Die Diskussions- und Streitvermeidung, die viele (vor allem weiße) feministische
Gruppen seit langem pflegten, wurde ebenfalls als unbearbeiteter Sexismus gedeutet, demzufolge
Frauen vor unkomfortablen und aufregenden Situationen bewahrt werden sollten. (3) Die Vorstellung,
dass politische Solidarität zwischen Frauen alleine auf dem gemeinsamen Frausein basieren könnte,
funktioniert nur in eurozentristischen, die Erfahrungen Weißer Frauen verabsolutierenden, Konzeptionen, die Unterschiede zwischen Frauen verwischen. Politische Solidarität ist etwas, dass erst in politischen Kämpfen hergestellt werden kann, wenn Interessen formuliert, Strategien überlegt und reflektierte politische Praxen entwickelt und umgesetzt werden. In feministischen Bewegungen ist häufig
auch der Eindruck entstanden, dass jeweils nur besondere Interessensgruppen ihre jeweiligen Interessen konsequent vertreten und verteidigen könnten, d.h. nur sozialistische Feministinnen müssten
über Klassenverhältnisse informiert sein, nur lesbische Feministinnen über heterosexistische Unterdrückung, nur nicht-weiße Frauen über Rassismus etc. Unter diesem Eindruck entwickelte sich als Ersatzkonzept für ‚Sisterhood‘ die Idee des „Supports“. Im Gegensatz zu ‚Sisterhood‘ geht es bei „Support“
nicht um eine dauerhafte Verbindlichkeit, sondern um einseitige und spontane Unterstützung, die aus
der Logik der Opferrollenideologie nicht ausbricht. Für ein alternatives Solidaritätskonzept müssen
Wege der Diskussion und Konfrontation unterschiedlicher Erfahrungen wie politischer Strategien und
Praxen gefunden werden, durch die ein Klima des gegenseitigen Lernens gefördert wird. (hooks
1984/2000, 45ff., 63ff.; 163ff. 2000, 15ff., 40ff.; Hill Collins 2000, 291ff.).
Eine weitere Kritik am Konzept ‚Sisterhood‘, die sich auf die Erfahrungen von Frauen aus und in der
‚Dritten Welt‘ bezieht, formulierte 1986 die indisch-amerikanische Feministin Chandra T. Mohanty.
6
Mohanty zeigt auf, dass sich westliche Feminismen selbst in die diskursiven Strategien der Produktion
des Westens im Gegensatz zum Rest der Welt eingeschrieben haben. In einer Untersuchung über die
Darstellung von ‚Third World Women‘ in westlichen Feminismen, zeigt sie, dass diese ihr Material
nachträglich durch Homogenisierung der Lebensverhältnisse von nicht-westlichen Frauen ‚kolonisieren‘
oder zumindest dazu tendieren.7 Die Komplexität der Lebensverhältnisse wird diskursiv aufgelöst in
der Annahme einer überkulturellen, einheitlich patriarchalen, männlichen Dominanz, die die Frauen
der Dritten Welt unterdrückt. Mohanty kritisiert insbesondere drei verbreitete Annahmen des ethnozentrischen, eurozentristischen Universalismus, nämlich (a) die Vorstellung von Frauen als einer bereits fertig konstituierten, kohärenten Gruppe mit gleichen Interessen und gleichem Begehren, unabhängig von Klasse, Nationalität, Positionen in rassistischen Verhältnissen, wodurch Geschlecht, sexuelle Differenzen und Patriarchat universal und überkulturell definiert werden können, (b) die Annahme
der einfachen Überprüfbarkeit der Gültigkeit dieser Universalität mittels Generalisierungen, und (c)
darauf basierende Annahmen über Macht und soziale Kämpfe, die eine homogene Unterdrückung von
Frauen behaupten, in denen das Bild der durchschnittlichen ‚Third World women‘ produziert wird als
Bild von sexuell unterdrückten, einfachen, armen, ungebildeten, traditionellen, familienorientierten
Opfern von männlicher Unterdrückung gegenüber den westlichen Frauen als gebildet, modern, entscheidungsfrei und selbstbestimmt über ihren Körper. (Mohanty 2003, 20ff.). Mohanty spricht hiervon
als der „Third World difference“8 und von einem ‚methodologischen Universalismus‘, der nur dann
überwunden werden kann, wenn (i) der koloniale Diskurs beseitigt wird, demzufolge ‚Third World
women‘ außerhalb der sozialen Verhältnisse stehen, und die Frauen stattdessen in ihre Geschichte und
ihre politischen Kämpfe eingebettet werden, und (ii) die Idee und Strategie von ‚sisterhood‘ als Gegenkonzept zu einer allgemeinen, unbestimmt-diffusen, patriarchalen Macht aufgegeben wird zugunsten einer Konzeption von ‚Solidarität‘, die darauf aufmerksam macht, dass die Einheit von Frauen nicht
an sich aufgrund einheitlicher Unterdrückung besteht, sondern immer nur in jeweils spezifischen sozialen Kämpfen gegen spezifische Unterdrückungen hergestellt werden kann. (Ebd., 36, 39ff., 116).
Auch Mohanty wurde häufig eine unversöhnliche Gegenüberstellung von westlichem und Third World
feminism vorgeworfen (Ebd., 224), obwohl es ihr vielmehr um eine neue Perspektive von Solidarität
geht: “If Third World women are to be seen as the subjects of theory and of struggle, we must pay
attention to the specificities of their/our common and different histories.” (Ebd., 168; 1997, 28).
7
Mohanty nennt dabei sechs verbreitete (in unterschiedlichen Kombinationen auftretende) Vorstellungen über
‚Third World women‘: (i) Sie sind grundsätzlich sexuell unterdrückte Gewaltopfer, (ii) ihre Kontexte können
grundsätzlich losgelöst von konkreten politischen, ökonomischen und ideologischen Verhältnissen über den Kamm
geschoren werden, (iii) als Ehefrauen ist ihre familiäre Rolle in allen Kontexten immer gleich strukturiert, (iv)
Familienstrukturen können (insbesondere in arabischen oder muslimischen Ländern) unabhängig von konkreten
Untersuchungen über familiäre Machtverhältnisse generalisiert werden, (v) Frauen können auf ihre religiösen
Positionen reduziert werden, (vi) ökonomische Entwicklungen in einem Land sind grundsätzlich positiv in ihren
Wirkungen. Mohanty kritisiert an diesem Denken insbesondere den Objektstatus von Frauen: “Instead of analytically demonstrating the production of women as socioeconomic political groups within particular local contexts,
this analytical move limits the definition of the female subject to gender identity, completely bypassing social
class and ethnic identities.” (Mohanty 2003, 31).
8
“The Third World difference includes a paternalistic attitude toward women in the Third World. […] Third world
women are automatically and necessarily defined as religious (read: not progressive), family-oriented (read:
traditional), legally unsophisticated (read: they are still not conscious of their lights), illiterate (read: ignorant),
domestic (read: backward), and sometimes revolutionary (read: their country is in a state of war; they must
fight!). This is how the ‘Third World difference’ is produced.” (Mohanty 2003, 40).
7
Über die Struktur, Funktionsweise und Effekte der Marginalisierung von Frauen aus der ‚Dritten Welt‘
im kolonialen Diskurs schrieb Gayatri Chakravorty Spivak 1988 einen berühmten und vieldiskutierten
Aufsatz mit dem Titel ‚Can the Subaltern Speak?‘. Spivak erklärt darin, dass ‚Subalterne‘ im kolonialen
Diskurs grundsätzlich nicht sprechen [‚speak‘] können, da ihre Rede [‚talk‘] (über ihre Interessen,
Bedürfnisse, Begehren, etc.) mangels einer Sprecherposition / Darstellung nicht gehört werden kann.
(Spivak 2008, 47f., 57ff., 122ff.). Im kolonialen Diskurs, der die Struktur „Der Westen und der Rest“
(Hall 1992) annimmt, wird immer nur über oder für die Anderen (etwa: Frauen in der Dritten Welt)
gesprochen und werden die Geschichte und die Kämpfe von Subalternen (und damit auch ihre Unterordnung und Ausbeutung in neo-/kolonialen Verhältnissen) ausgeblendet. Spivak kritisiert in diesem
Zusammenhang Ermutigungen kritischer Intellektueller des Westens, die Subalternen mögen doch für
sich selbst sprechen, als verantwortungslos (ihre Macht und Verantwortung als Intellektuelle verschleiernd) und verweist auf die Notwendigkeit der Beseitigung des kolonialen Diskurses, in dessen
Struktur etwa von den Frauen der Dritten Welt nichts gelernt werden kann und in dem ihre Subjektivität geleugnet wird (etwa in Vorstellungen über „die indische Frau“ als passives Opfer mit einheitlicher
Identität, einheitlichem Begehren etc.). Spivak analysiert den kolonialen Diskurs (u.a.) am Beispiel der
Witwenverbrennung in Hindutexten und der britischen Kolonialgesetzgebung: Während die Hindutexte
die Witwenverbrennung als freien Akt guter und moralischer Ehefrauen präsentieren (und dabei ökonomische und ideologische Unterordnungen von Frauen ausblenden), zieht das britische Empire die
Witwenverbrennung als ideologisches Kampffeld für ihre Ideologie der zivilisatorischen Mission heran
(„Wir weiße Briten müssen die indischen Frauen vor ihren Männern retten“). Zwischen Hindu- und
Kolonialgesetz verschwindet die Subjektivität indischer Frauen in einer Rolle der Sprachlosigkeit. Spivak analysiert in diesem Kontext auch die Geschichte einer indischen Unabhängigkeitskämpferin, Bhubaneswari Bhaduri, deren politisch motivierter Selbstmord sowohl von den patriarchalen Diskursen der
indischen Unabhängigkeitsbewegung, als auch von der britischen Geschichtsschreibung als unpolitisches Ereignis rezipiert wird. (Spivak 2008, 80ff., 104ff.). Spivaks diskursanalytischer Zugang ermöglicht es zwar, auf die fehlenden Sprecherpositionen hinzuweisen, reduziert aber andererseits die sozialen Kämpfe von Subalternen auf Positionen im (kolonialen) Diskurs und blendet so erst recht wieder
die Geschichte und die Kämpfe von Subalternen aus (die nicht auf einen Diskurs reduziert werden
können, sondern mit realen nicht-diskursiven Macht- und Herrschaftsverhältnissen verbunden sind).
Für Überlegungen zu einem nicht-eurozentristischen Solidaritätskonzept kann jedoch mit Spivak argumentiert werden, dass solidarische Konzepte sowohl universalistische Repräsentationen der „Anderen“ als auch paternalistische Ermutigungen vermeiden müssen, sondern politische Solidarität auch in
der Herstellung der Bedingungen zur Selbstrepräsentation Subalterner besteht.
2. Transnationale Solidarität
Die Solidaritätskonzeption von ‚Sisterhood‘ erlebte seinen Höhepunkt im liberalen Feminismus, der die
Theorien von ‚women of color‘ als spezifische Erfahrungen betrachtete, die für den Westen oder gar
den Rest den Welt nicht von Bedeutung wären. In den 1990er Jahren entwickelte sich eine daran
anknüpfende theoretische Position von ‚global sisterhood‘, die häufig als ‚internationaler Feminismus‘
8
bezeichnet wird und der es um Fallstudien geht, in denen Frauen aus und in der Dritten Welt sowie
ihre Lebensbedingungen den westlichen Forschenden näher gebracht werden sollen. Diesen Fallstudien liegen meist sehr ähnliche Annahmen wie beim klassischen ‚Sisterhood‘-Konzept zugrunde und
beinhalten, so Alexander und Mohanty (1997, xixf.) zusätzlich eine sehr starke Trennung zwischen
Zentrum und Peripherie, wobei ‚women of color‘ grundsätzlich implizit der Seite der Peripherie zugeschlagen werden. Die ‚Internationalität‘ dieser Feminismen bezieht sich erst wieder auf sehr generalisierende, undifferenzierte Überlegungen über Frauen als homogene soziale Gruppe und vermeidet
konkrete Analysen politischer, ökonomischer und ideologischer Prozesse. Transnationale Feminismen
verstehen sich in Opposition zu diesen internationalen Feminismen: “[W]e are concerned with the idea
of transnational feminisms […] as a conceptual framework that strives to liberate itself from the political and intellectual constraints of international feminisms and global feminisms. Whereas international
feminisms are seen as rigidly adhering to nation-state borders and paying inadequate attention to
forces of globalization, global feminisms have been subjected to critical scrutiny for prioritizing northern feminist agendas and perspectives and for homogenizing women’s struggles for sociopolitical justice, especially in colonial and neo-colonial contexts.” (Nagar/Swarr 2010, 4).
Der Begriff des Transnationalen in transnationalen Feminismen ist keineswegs einheitlich, bezieht sich
jedenfalls aber auf die Vielfältigkeit unterschiedlicher feministischer Ansätze, die eine Reihe von Aspekten reflektieren: (a) internationale wie nationale Globalisierungsprozesse, Veränderungen von internationaler wie nationaler gesellschaftlicher Arbeitsteilung (inkl. Veränderungen von Staat und Ökonomie, des Nationalstaats etc.), (b) Verbindungen zwischen Klassen-, Geschlechter- und rassistischen
Verhältnissen, (c) postkoloniale Studien über Nation, Nationalität, Patriarchat, (d) konkrete Erfahrungen transnationaler feministischer Organisierung von Frauen in unterschiedlichen, grenzüberschreitenden Zusammenhängen, (e) Verantwortlichkeiten, Verbindlichkeiten und Zusammenarbeiten zwischen WissensproduzentInnen in den Stätten des Akademischen und AktivistInnen in politischen Bewegungen und Organisationen auf transnationaler Ebene. (Alexander/Mohanty 2010; Swarr/Nagar
2010; Mendoza 2002).
Mohanty beantwortet die Konzepte des „westlichen Feminismus“ mit der Analyse, dass dieser ein situiertes Wissen darstellt, das eurozentristische und kolonialistische Annahmen umfasst. Ihr Konzept
„transnationaler Solidarität“ bezieht sich dagegen insbesondere auf die These, dass politische Solidarität immer auf raum- und zeitspezifischen Analysen basieren und sich jeweils auf bestimmte Kontexte
beziehen muss, nicht jedoch überkulturelle Bestimmungen von Kultur oder Erfahrung umfassen darf.
(Mohanty 1997, 8). Die Alternative zu dieser These könne dagegen nur in der Verschleierung von
Macht und Herrschaft und in der dieser Verschleierung entsprechenden Entwicklung reduktionistischer
bzw. eurozentristischer Widerstandsstrategien gegen soziale Missstände bestehen: “Beyond sisterhood
there are still racism, colonialism, and imperialism.” (Mohanty 2003, 36). Mit Michel Foucault argumentiert Mohanty gegen ein binäres (juridisch-diskursives) Modell von Macht, in dem es auf der einen
Seite die Übermächtigen (Patriarchat) und auf der anderen Seite die Ohnmächtigen (‚Third World women‘) gibt, da darin soziale Kämpfe nicht verstanden werden können und Frauen jenseits ihrer realen
Handlungsmöglichkeiten und Kontexte sowie jenseits ihres politischen Subjektstatus’ betrachtet wer9
den. In einer Nachbetrachtung zu ihrem 1986er-Aufsatzes „Under Western Eyes“ von 2003 betont
Mohanty, dass die Bedingungen für transnationale Solidarität heute nicht mehr so stark in der Einblendung von ‚Third World women‘ und ihrer Lebensverhältnisse bestehen, sondern vielmehr bei der
Demystifizierung des Kapitalismus und der Analyse von Herrschaftsbeziehungen im globalisierten Kapitalismus liegen sollten. Die Inspiration, die in den 1980er noch von den Frauenbewegungen ausging,
könne heute eher nur mehr die Antiglobalisierungsbewegung liefern, die mit feministischen Ideen
verknüpft werden müsse (so wie auch Feminismus eine antikapitalistische Ausrichtung einnehmen
sollte). (Ebd., 228ff., 236f., 249).
Im Rahmen einer Untersuchung des Studienfaches ‚Women’s Studies‘ in den USA und den Programmen zur Internationalisierung des Faches formulierte Mohanty (2003, 238ff.), welche Konzeption von
Wissen über Frauen aus und in der ‚Dritten Welt‘ transnationale Solidaritäten bestmöglich fördern
kann. Im US-Feminismus stellt sie zwei dominante pädagogische Modelle fest: (a) Im Modell ‚Feminist
as Tourist‘ werden ‚Third World women‘ als globale Opfer in Form einer beobachtenden Perspektive
hinzuaddiert, wobei eine klare Vorstellung zwischen dem Westen und dem Rest der Welt geschaffen
wird. Während dieses Modell in den ‚Women’s Studies‘ eher marginalisiert wurde, taucht es in den
‚International Women’s Studies‘ wieder auf. (b) Im Modell ‚Feminist as Explorer‘ bleibt der Wir-undSie-Blick bestehen, jedoch werden tiefere Einsichten und ein kontextuelles Verständnis feministischer
Anliegen produziert. Fragen der Verbindung zwischen dem eigenen und fremden Räumen werden
dabei kulturrelativistisch behandelt; grundsätzlich geht es mehr um isolierte ‚area studies‘. (c) Diesen
beiden Modellen stellt Mohanty ihr ‚Feminist Solidarity or Comparative Feminist Studies Model‘ entgegen, bei dem die Verbindungen und Beziehungen zwischen (individuellen und kollektiven) Erfahrungen
und Kontexten von Unterdrückung und Ausbeutung, Kämpfen, Widerständen im Vordergrund stehen.
Lokale und globale Kontexte müssen dabei in ihren Verbindungen und nicht isoliert voneinander gesehen werden (insbesondere im Rahmen internationaler gesellschaftlicher Arbeitsteilung) um eurozentristische und kulturrelativistische Sichtweisen, die transnationale Solidarität behindern, zu überwinden.
Das Modell hat den Vorteil, dass Frauenbewegungen auf der Welt in ein Verhältnis gesetzt werden
können und dabei kein Wir-und-Sie-Blick produziert wird, in dem ‚Wir‘ nichts von den ‚Anderen‘ lernen
und keine solidarischen Beziehungen gefördert werden können.
Während die theoretische Praxis der Gegenüberstellung von ‚Sisterhood‘ und transnationaler Solidarität von Kritiken an transnationalen Feminismen kaum angegriffen und für nachvollziehbar gehalten
wird, lauten einige Vorwürfe an diesem Konzept, dass im Rahmen transnational-feministischer Analysen erst wieder immer nur Gemeinsamkeiten zwischen Frauen überall auf der Welt betont werden
(bspw. ideologische Gemeinsamkeiten in Ausbeutungsprozessen in Form bestimmter Abwertungen
von Frauenarbeit) und von diesem Standpunkt aus die zentralen Konfliktlinien zwischen Frauen nicht
zwischen Klassen-, Geschlechter- und rassistischen Verhältnissen zu verlaufen scheinen, sondern in
erster Linie zwischen westlichen feministischen Wissenschaftlerinnen und feministischen Aktivistinnen
in und aus der ‚Dritten Welt‘. Die honduranisch-amerikanische Feministin Breny Mendoza (2002, 310)
kritisiert dabei an transnationalen Feminismen eine Art Theorie-Praxis-Inkonsistenz: Transnationale
Feminismen haben zwar einige Bedingungen für politische Solidaritäten gegenüber der theoretischen
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und politischen Praxis von ‚global Sisterhood‘ formuliert, konnten allerdings bis dato keine signifikante
transnationale politische Organisierungs- und Mobilisierungsform von Frauen entwickeln. Mit Mohanty
kann solchen Vorwürfen nur so begegnet werden, dass im Rahmen des transnationalen Kapitalismus
politische Projekte, die dauerhaft Klassen-, Geschlechter- und rassistische Verhältnisse sowie nationale
Grenzen überschreiten können, nur sehr schwer hergestellt werden können (insbesondere dann, wenn
es nicht um eine Romantisierung feministischer Beziehungen zwischen Frauen auf der Ebene internationaler Organisationen gehen soll). Im Rahmen politischer Praxis muss sich das Projekt transnationaler Solidarität jedenfalls noch behaupten.
3. Solidaritätskonzeptionen und soziale Kräfteverhältnisse
Politische Solidarität hängt bei Black und postcolonial feminists mit gemeinsamen Interessen kollektiver AkteurInnen entlang von Linien wie Geschlechter-, Klassen- und rassistischen Verhältnissen zusammen. Transnationale Feministinnen haben sich dementsprechend mit der Stärkung des Begriffs
der (objektiven) Interessen auseinandergesetzt – auch in Abgrenzung zu Vorstellungen, wonach Interessen rein spontan oder konjunkturell begründet werden können und nur aus sich selbst heraus verstanden werden müssen (etwa Mohanty 1997, 22-29). In Abgrenzung zu bestimmten marxistischen
Ansätzen, die soziale Kräfteverhältnisse und soziale Interessen ausschließlich entlang von Linien des
Klassenkampfs bewerten, haben Feministinnen wie Mohanty betont, dass Solidarität von Frauen nicht
alleine entlang des Klassenkampfs begründet werden kann und politische Kämpfe nicht eng und reduktionistisch gefasst werden dürfen: “The fact of being women with particular racial, ethnic, cultural,
sexual, and geographical histories has everything to do with our definitions and identities as workers.”
(Mohanty 2003, 142). Entgegen Analysen, die Klassenkämpfe dagegen völlig ausblenden, besteht sie
darauf – unter der Betonung der Nicht-Reduzierbarkeit von Rassismus und Sexismus –, dass auch
feministische Ansätze für die Erklärung von Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen notwendig auf
die Zentralität kapitalistischer Verhältnisse und von Klassenkämpfen Bezug nehmen müssen und
spricht von einer erforderlichen Orientierung des Projekts eines „transnational feminism without borders“ auf einen „anticapitalist feminism“, der sich in die Kritik des globalen Kapitalismus und seinen
Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse von Frauen in der Dritten Welt einbringt.9
Die Betonung der Analyse von Kontexten (aus vielfältigen gesellschaftlichen Verhältnissen) verweist
auf einige Punkte: (a) Damit politische Strategien nicht auf überkulturelle und ahistorische Bündnisse
bauen müssen, müssen soziale Kräfteverhältnisse jeweils als in konkreten Verhältnissen eingebettet
verstanden werden. Die Alternative dazu wäre, die Kontexte zu vernachlässigen und Strategien aus
sich selbst heraus zu verstehen. (b) Politische Strategien müssen sich dafür in ökonomischen, politi9
“While globalization has always been a part of capitalism, and capitalism is not a new phenomenon, at this time
I believe the theory, critique, and activism around antiglobalization has to be a key focus for feminists. This does
not mean that the patriarchal and racist relations and structures that accompany capitalism are any less problematic at this time, or that antiglobalization is a singular phenomenon.” (Mohanty 2003, 230). – Mohantys Orientierung auf Klassenverhältnisse wird auch im Black feminism zunehmend vertreten. So erklärt etwa bell hooks in
einem großteils autobiographischen Band unter dem Titel „class matters“ (hooks 2000), dass feministische und
antirassistische Debatten sowohl aus sozialwissenschaftlichen, als auch aus politischen Gründen die Ausblendung
von Klassenverhältnissen beseitigen müssen, um umfassend über Unterdrückung und Ausbeutung sprechen zu
können.
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schen und ideologischen Verhältnissen verorten und diese entsprechend analysieren. – Beide Aspekte
können aus den Thesen transnationaler Feminismen geschlossen werden, jedoch bieten diese transnationalen Konzepte (bislang) keine oder kaum Theorien und Begriffe zur Analyse von Gesellschaft an,
sondern benötigen Verbindungen zu anderen (poststrukturalistischen, antikapitalistischen, feministischen, neo-/marxistischen, antirassistischen etc.) kritischen Theorien. Es lässt sich darüber hinaus in
transnationalen Feminismen eine gewisse Ambivalenz im Verständnis von ‚sozialen Interessen‘ feststellen, die mitunter auch darauf beruht, dass viele (gesellschafts- und wissenschaftstheoretische)
Annahmen in diesen Analysen erst miteinander in Einklang gebracht werden müssen und teilweise
auch dauerhaft inkompatibel sind. In Debatten transnationaler Feminismen zeigt sich dies in Spannungen zwischen postmodernen, idealistischen, diskursreduktionistischen Ansätzen einerseits und
(kritisch-)realistischen, materialistischen Ansätzen andererseits.
4. Fazit
Die Debatten von Black und postcolonial feminists über Solidaritätsvorstellungen umfassen ein Konzept politischer Solidarität, das sich an folgenden Thesen orientiert: (1) Politische Solidarität kann
jeweils nur in politischen Prozessen zwischen kollektiven AkteurInnen hergestellt werden. (2) Durch
die Abkehr von primär ethischen Fragestellungen und ahistorisch-überkulturellen Überlegungen, verschieben sich die Fragestellungen dieser Ansätze von Handlungsanweisungen für individuelle AkteurInnen zu politischen Prozessen und kollektiven politischen AkteurInnen. Dem politischen Solidaritätsbegriff dieser Feminismen geht es um die Transformation bestimmter sozialer Strukturen durch bestimmte, sich in politischen Prozessen formierende, AkteurInnen mit bestimmten politischen Strategien basierend auf sozialen Interessen. Solidaritätskonzepte, die Politik und das Politische nicht ausblenden ermöglichen Reflexionen über (a) politische Strategien kollektiver AkteurInnen (b) vor dem
Hintergrund konkreter Analysen über gesellschaftliche Kontexte (ökonomische, politische, ideologische
Prozesse: Strukturen, Praxen) sowie über (c) gesellschaftliche Kräfteverhältnisse (zwischen sozialen
Gruppen).
Kontakt: [email protected]
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