Einleitung
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Einleitung
Medien im Deutschunterricht 2009 Jahrbuch Themen-Schwerpunkt Comics und Animationsfilme Herausgegeben von Klaus Maiwald und Petra Josting midu 09 1207.indd 1 9/18/2013 10:01:06 AM midu 09 1207.indd 2 9/18/2013 10:01:06 AM Medien im Deutschunterricht 2009 Jahrbuch Herausgegeben von Volker Frederking (Erlangen-Nürnberg), Hartmut Jonas (Greifswald) und Petra Josting (Essen) in Zusammenarbeit mit der AG Medien im Symposion Deutschdidaktik (SDD) Themen-Schwerpunkt Comics und Animationsfilme Herausgeber dieses Bandes: Klaus Maiwald und Petra Josting Mit Beiträgen von Ulf Abraham, Carlo Avventi, Sandra Eva Boschenhoff, Bernd Dolle-Weinkauff, Felix Giesa, Christian Grabau, Dietrich Grünewald, Hartmut Jonas, Petra Josting, Matthis Kepser, Stephan Köhn, Klaus Maiwald, Gudrun Marci-Boehncke, Jens Meinrenken, Monika Müller, Claudia Rathmann, Barbara Schubert-Felmy, Andrea Thomitzni, Willi Wamser kopaed, muenchen (www.kopaed.de) midu 09 1207.indd 3 9/18/2013 10:01:06 AM Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-86736-091-3 Druck: Kessler Druck+Medien, Bobingen © kopaed 2010 Pfälzer-Wald-Str. 64, 81539 München Fon: 089. 688 900 98 Fax: 089. 689 19 12 e-mail: [email protected] Internet: www.kopaed.de midu 09 1207.indd 4 9/18/2013 10:01:06 AM 5 Inhaltsverzeichnis „Medien im Deutschunterricht“ Vorwort zum Jahrbuch 9 „Comics und Animationsfilme“ Einleitung zu diesem Band 13 Themen-Schwerpunkt Bernd Dolle-Weinkauff (Frankfurt a. M.) Aktuelle Erscheinungsformen des Comic Manga und Graphic Novel 19 Stephan Köhn (Erlangen-Nürnberg) Deutsche Klassik einmal anders Oder: Wie Goethes Faust interessante Einblicke in den japanischen Comic gewähren kann 33 Dietrich Grünewald (Koblenz) Transfer Comics nach Textliteratur 50 Christian Grabau (Bochum) Helden ohne glänzende Rüstung Neuere Spielformen von Comics im Deutschunterricht am Beispiel von Art Spiegelmans Maus 66 Jens Meinrenken (Berlin) Digitale Visionen des Comics Die Macht der Bilder in der TV-Serie Heroes 80 Claudia Rathmann (Bonn) „Alles ist möglich!?“ Zeichentrickserien im Deutschunterricht 94 Klaus Maiwald / Willi Wamser (Augsburg) Schluss mit Märchen!? Was der Animationsfilm Shrek für literarästhetisches und medienkulturelles Lernen zu bieten hat 108 Matthis Kepser (Bremen) Persepolis einen Animationsfilm im Unterricht reflektieren 122 Comics und Animationsfilme midu 09 1207.indd 5 9/18/2013 10:01:06 AM Inhaltsverzeichnis 6 Inhaltsverzeichnis Forum Ulf Abraham (Bamberg) / Petra Josting (Essen) Kinder- und Jugendmedien in den Lehrerbildungsstandards der KMK141 Forschungs-Projekte Sandra Eva Boschenhoff (Essen) Comics sind alles – nur nicht stumm Stilmittel eines Genres (Werkstattbericht)147 Carlo Avventi (Heidelberg) Filme ohne Augenzwinkern Zur Wertevermittlung in Hayao Miyazakis Werk 158 Gudrun Marci-Boehncke / Andrea Thomitzni (Ludwigsburg) Prinzessin Mononoke ein japanischer Anime und seine kulturspezifische Rezeption 176 Berichte Matthis Kepser (Bremen) Spielfilm als Teil schulischer Bildung (Interdisziplinäre didaktische Tagung 2009 Bremen) Felix Giesa (Köln) Erzählen im Comic (ComFor-Tagung 2009 Köln) 199 205 Service Rezensionen Hartmut Jonas (Greifswald) zu Ulf Abraham: Filme im Deutschunterricht (2009) und Ingo Kammerer: Film Genre Werkstatt (2009)211 Barbara Schubert-Felmy (Berlin) zu Bodo Lecke (Hrsg.): Der politischkritische Deutschunterricht des Bremer Kollektivs (2008) 213 Bibliographie Medien/Medienkompetenz. Eine Bibliographie zusammengestellt von Monika Müller (Augsburg) 217 AutorInnen229 Jahrbuch Medien im Deutschunterricht 2009 midu 09 1207.indd 6 9/18/2013 10:01:07 AM midu 09 1207.indd 7 9/18/2013 10:01:07 AM Vorwort midu 09 1207.indd 8 9/18/2013 10:01:07 AM 9 „Medien im Deutschunterricht“ Vorwort zum Jahrbuch Medien als Gegenstand und Mittel des Deutschunterrichts, Medienerziehung als Konkurrenz für Leseerziehung oder Leseerziehung als Teil von Medienerziehung, Medienkompetenz zwischen Kritikfähigkeit und Technikbeherrschung – das sind Themen, die zwar seit Längerem traktiert werden, aber in den letzten Jahren aufgrund medien- und bildungspolitischer Entscheidungen zunehmend an Bedeutung gewonnen haben. Die Schlüsselfunktion, die dem Deutschunterricht in diesem Prozess zugesprochen wird (vgl. Orientierungsrahmen der Bund-Länder-Kommission zur „Medienerziehung in der Schule“ und Erklärung der Kultusministerkonferenz zur „Medienpädagogik in der Schule“, beide 1995), bildet die derzeit verstreut in fachdidaktischen Zeitschriften geführte Diskussion nur ungenau ab. Deshalb will das Jahrbuch Medien im Deutschunterricht kontinuierlich und exklusiv einen Publikationsort für diese Fragen anbieten. Kennzeichnend für das Profil des Jahrbuchs sind: • der fachintegrative Ansatz beim Deutschunterricht, der zugleich fächerübergreifende Verbindungen vorsieht, • der weite Medienbegriff, der sich am Gebrauch vor allem jüngerer RezipientInnen von Printmedien, Hörmedien, AV-Medien und ‚Neuen Medien’ orientiert, • die historische Einbindung der Medienentwicklung in ihren kulturgeschichtlichen Zusammenhang, • die ästhetische Dimension, bezogen auf gängige Produkte und schwerer zugängliche Medienkunst. Die Idee zur Einrichtung eines Jahrbuchs ist im Rahmen der AG Medien im Symposion Deutschdidaktik (SDD) entstanden, die seit 1997 in jedem Semester an wechselnden Hochschulen eine Arbeitstagung ausrichtet (genauere Informationen unter http://www.ag-medien.de). Themenschwerpunkte der bisherigen Tagungen waren (in systematischer Anordnung): • Medien in der Hochschuldidaktik (Osnabrück) • Medien in der Deutschlehrerbildung (Berlin; Bremen) • Mediengeschichte und Deutschunterricht (Osnabrück) • Medienästhetik und Deutschunterricht (Jena) • Auditive Medien: Hörerziehung und Hörästhetik (Osnabrück) • Computervermittelte Kommunikation im Umgang mit Literatur und Sprache (Heidelberg) Comics und Animationsfilme midu 09 1207.indd 9 9/18/2013 10:01:07 AM Vorwort Vorwort 10 • • • • Medienübergreifende Motive und Genres im Deutschunterricht (Hamburg) Neues Lernen mit neuen Medien im Deutschunterricht (Greifswald) Literaturunterricht und Medien (Osnabrück) Förderung von Schriftlichkeit und Mündlichkeit durch Medien (SchwäbischGmünd) • PISA und der mediale Wandel (Nürnberg-Erlangen) • Lesen und Symbolverstehen (Göttingen) • Medienkritik (Osnabrück) • Sprache und Medien (Essen) • Medien zwischen Ikonographie und Textbegriff (Ludwigsburg) • Film(e) im Deutschunterricht – Moderne Filmdidaktik in Theorie und Praxis (Erlangen) • Mediendidaktik und Interdisziplinarität (Halle a. d. Saale) • Medien als Erzählanlass (Berlin) • Hörästhetik – Hörerziehung (Osnabrück) • Neue Medien im Deutschunterricht (Greifswald) • Theater multimedial (Münster) • Kinder- und Jugendtheater (Bayreuth) • Comics im Deutschunterricht (Essen) • Animationsfilme (Augsburg) Über die Erarbeitung fachlicher Grundlagen hinaus hat sich die AG Medien folgende Ziele gesetzt: • den internen Kommunikationsfluss zwischen Kolleginnen und Kollegen zu verbessern, die an der Einbeziehung von Medien in den Deutschunterricht arbeiten, • gemeinsame Positionen zu aktuellen Fragen der Medienentwicklung, Medienerziehung bzw. Medienwissenschaft zu finden, zu formulieren und zu publizieren, • den interdisziplinären Charakter der Fachdidaktik zu nutzen und das Gespräch sowohl innerhalb der Germanistik als auch mit der Erziehungswissenschaft und mit anderen Fächern zu suchen. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang die Stellungnahmen der AG Medien im Symposion Deutschdidaktik zu „Medien in der Deutschlehrerausbildung“ (Berlin 7. Juni 1997; erschienen in: Deutschunterricht 1997, H. 9, S. 435-436; Mitteilungen des deutschen Germanistenverbandes 1997, H. 3, S. 105-107) und „Medien in der Deutschlehrerausbildung (2. Phase)“ (Osnabrück 4. Juli 1998; erschienen in: Deutschunterricht 1998, H. 11, S. 559; Mitteilungen des deutschen Germanistenverbandes 1999, H. 4, S. 627-628). Die Ziele der AG Medien sind auch für die Gestaltung des Jahrbuchs leitend, das allerdings nicht nur Tagungsbeiträge aufnehmen soll, sondern für weitere Publikationsangebote offensteht. Die Gliederung des Jahrbuchs sieht regelmäßig folgende Rubriken vor: Jahrbuch Medien im Deutschunterricht 2009 midu 09 1207.indd 10 9/18/2013 10:01:07 AM Medien im Deutschunterricht 2009 11 Medien im Deutschunterricht 2009 Themen-Schwerpunkt: Beiträge zum Rahmenthema des Bandes werden hier versammelt und dokumentieren Hauptreferate der beiden Tagungen der AG Medien im jeweils vorangegangenen Jahr. • Forum: Das ist der Ort für Beiträge zu unterschiedlichen Themen, insbesondere zu solchen, die bestimmte Thesen, Techniken, Tendenzen von der Unterrichtsentwicklung bis zur Bildungspolitik zur Diskussion stellen. • Forschungsprojekte: Ergebnisse empirischer Untersuchungen, Dissertationen, Habilitationen etc. können hier schneller als in Monographien und ausführlicher als in Zeitschriften publiziert werden. • Berichte: Unter dem Gesichtspunkt der Förderung von Fach-Kommunikation und -Öffentlichkeit soll dem Berichtsteil ausreichend Raum gegeben werden. Die Unterrichtspraxis ist nicht alleiniges Auswahlkriterium; aufgenommen werden auch Informationen über medienpädagogische Unternehmungen im weitesten Sinne, die für Unterricht von Bedeutung sind. Der Service-Teil des Jahrbuchs umfasst Rezensionen, Bibliographien und eine Linkliste. • Rezensionen: Sowohl Buchpublikationen als auch Internet-Auftritte, CD-ROMs und andere Medienereignisse werden, sofern sie in Bezug zum Deutschunterricht stehen, hier angezeigt. • Bibliographien: Ziel ist es, zu noch wenig gesichteten bzw. weit verstreuten Bereichen der „Medien im Deutschunterricht“ Vorarbeit zu leisten, die sich nicht auf didaktische Publikationen beschränkt, sondern auch zum Gegenstandsbereich Titel, soweit sie für didaktische Fragen relevant erscheinen, zusammenstellt. Die Bibliographien sollen in den folgenden Jahrbüchern ergänzt und in jeweils aktualisierter Form ins Internet gestellt oder als CD-ROM beigefügt werden. • Linkliste: Eine Auswahl an Links speziell für DeutschlehrerInnen kann Sucharbeiten erleichtern und die Nutzung des Internet optimieren helfen. Die HerausgeberInnen des Jahrbuchs Medien im Deutschunterricht sind durch langjährige Zusammenarbeit in der AG Medien verbunden und vertreten gemeinsam das Konzept einer fachintegrativen Medienerziehung. Zugleich stehen die unterschiedlichen Schwerpunkte der Einzelnen dafür, dass die Breite der didaktischen Fragestellungen und die Vielfalt medienerzieherischer Ansätze gewährleistet sind. Die Funktion eines Jahrbuchs, auch über aktuelle Vorgänge und Entwicklungen zu informieren, die sich nicht bei der Konzeption eines Bandes einplanen lassen, setzt voraus, dass Leserinnen und Leser Themenvorschläge, Material usw. insbesondere zum Service-Teil, zu Berichten und zu Forschungsprojekten an die Jahrbuch-Redaktion weitergeben (Kontakt: Prof. Dr. Volker Frederking, FriedrichAlexander Universität Erlangen-Nürnberg, Erziehungswissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur, Regensburger Str. 160, D-90478 Nürnberg, [email protected]). März 2010 Die HerausgeberInnen • Comics und Animationsfilme midu 09 1207.indd 11 9/18/2013 10:01:07 AM Einleitung midu 09 1207.indd 12 Einleitung 9/18/2013 10:01:07 AM Maiwald / Josting „Comics und Animationsfilme“ 13 „Comics und Animationsfilme“ Einleitung zu diesem Band Der Themenschwerpunkt des vorliegenden Bandes betrifft Bilder: zum einen die ruhenden Bilder des Comics, zum anderen die bewegten des Animationsfilms. Das Thema resultiert aus entsprechenden Tagungen der AG Medien im Jahr 2009 in Essen (23. / 24. Januar) bzw. in Augsburg (26. / 27. Juni). Beide Sammelbegriffe, Comic und Animationsfilm, sind als solche Notbehelfe. Unter den Comic fallen nicht mehr nur sogenannte triviale Heftchen über Mickey Mouse, Superman, Fix und Foxi und Konsorten, die im Zuge der kommunikativen Wende der 1970er-Jahre in den Deutschunterricht Einzug hielten und mit zumeist kritisch-emanzipatorischer Absicht gegen den Strich der Kulturindustrie gebürstet wurden. Zum Comic im weiteren Sinn gehören längst thematisch breit gefächerte, künstlerisch ambitionierte und kulturell arrivierte Produkte und Genres. Zu denken ist hier an Art Spiegelmans viel beachteten und ausgezeichneten Auschwitz-Comic Maus (1986 / 1991) oder die darstellungsästhetisch davon inspirierte Exilantengeschichte Persepolis der Iranerin Marjane Satrapi (2 Bde., 2004). In dem Begriff Graphic Novel drückt sich der gesteigerte Anspruch solcher Bildgeschichten im Gefüge legitimierter Kultur aus. Viel Beachtung bei Lesern und Leserinnen wie in der Forschung fanden in den letzten Jahren japanische Manga. Auch mit dem Manga haben neue Themen und Darstellungsästhetiken Einzug in den Comic gehalten. Zu erwähnen sind schließlich neuartige Hybridformen des Erzählens wie in der Fernsehserie Heroes, welche Comic, Film und Malerei digital miteinander verknüpfen. Um solche neuartigen Ausprägungen des Comics wird es im vorliegenden Band vor allem gehen. Auch unter dem Begriff Animationsfilm sind heterogene Phänomene versammelt. Mit dem Zeichentrick als Produktionstechnik verbinden sich in unserer Vorstellung Filme und Filmgenres – nicht selten Comic-Verfilmungen –, die man als kindlich und / oder trivial abzutun geneigt ist: Filme von Disney (Dschungelbuch, Dornröschen, Bambi), amerikanische Cartoon-Serien (Speed Racer, Porky Pig, Bugs Bunny), japanische Produktionen im Kinderprogramm (Heidi, Wickie, SimsalaGrimm). Ähnlich wie beim Comic gab und gibt es hier kulturpessimistisch grundierte Skepsis von Eltern, Pädagogen und Medien: über die gezeigten heilen oder gewaltgesättigten, in jedem Fall aber schematischen Weltbilder, über den realitätsfernen Klamauk, die überwältigende Bildfülle und -rasanz, über das anstrengungslose und damit verdächtige Vergnügen. Eine voreingenommene Medienkritik Comics und Animationsfilme midu 09 1207.indd 13 9/18/2013 10:01:07 AM Einleitung 14 und Bewahrpädagogik griffe aber schon vor solch klassischen Zeichentrickfilmen zu kurz. Noch brüchiger wird sie angesichts neuerer Entwicklungen: So werden Filme immer weniger gezeichnet und immer mehr im digitalen Medium animiert. Toy Story (Pixar, 1995) und Antz (Dreamworks,1998) waren erste computeranimierte Abendfüller. Seither hat das Genre große Popularität erlangt, wofür neben der Shrek-Serie vor allem Produktionen des Disney-Ablegers Pixar stehen, beispielsweise Finding Nemo (2003), Ratatouille (2007) und Bolt – ein Hund für alle Fälle (2008). Eine andere Ästhetik und andere Inhalte prägen – wie der Manga den Comic – den japanischen Anime. Zielen europäische und amerikanische Produktionen hauptsächlich mit Comedy auf ein jüngeres Publikum oder auf sogenanntes Familienkino, gibt es hier Themen für alle Altersstufen, die sich von Literaturverfilmungen (zum Beispiel Das Tagebuch der Anne Frank, 1995) über Horror bis hin zu Science Fiction erstrecken. Die Bedeutung der Gattung zeigt sich darin, dass drei der erfolgreichsten Kinofilme in Japan Anime sind. Kennzeichnend für die Entwicklung ist schließlich wie beim Comic die Herausbildung eines künstlerisch anspruchsvollen Segmentes. Hierfür steht zum einen der mehrfach ausgezeichnete Film Persepolis, der 2007 aus einem gleichnamigen Comic von Marjane Satrapi adaptiert wurde. Ari Folmans Waltz with Bashir (2009) ist eine düster-beklemmende, ästhetisch überaus avancierte Darstellung des NahostKonflikts – der erste animierte Dokumentarfilm in Spielfilmlänge. Zum Auftakt der Filmfestspiele in Cannes lief 2009 der Animationsfilm Up. Es war das erste Mal, dass das Festival mit einem am Computer produzierten Film eröffnet wurde – dies wiederum war der Süddeutschen Zeitung am 14.05.2009 ein großes Insert auf der Titelseite wert. Aufgabe der Fachdidaktik ist es, solche medienkulturellen Entwicklungen zu beobachten und potenziell neue Gegenstandsfelder zu erschließen. Sodann aber muss es um tragfähige Begründungen dafür gehen, warum wir uns mit diesen Gegenständen im Deutschunterricht beschäftigen sollen. Diese Begründungen aber müssten über ein bloß negatives Warum nicht? hinausgehen. Die Frage nach dem Warum positiv zu beantworten scheint umso dringlicher, als ungeachtet mancher Fortschritte im Bereich Film noch nicht einmal die anspruchsvolle Literaturverfilmung oder der kanonische Spielfilm gebührende Plätze in unseren Lehrplänen und Schulen sichern konnten. Die Deutschdidaktik hat sich des Themas Film in den letzten Jahren verstärkt angenommen – so auch mit einem Jahrbuch Medien 2006. Mit der Etablierung von Filmbildung im Deutschunterricht jedoch steht eine größere Aufgabe noch vor uns. Was die Bildungsrelevanz des animierten Films betrifft, wagen wir eine These, ausgehend von drei Annahmen: 1) Die Computeranimation schafft zusehends perfekte Realitätsillusionen von irrealen Welten, vom intertextuell gewieften Oger (Shrek) zur genialisch kochenden Ratte (Ratatouille). 2) Die Computeranimation verwischt zusehends die Grenzen zwischen dem noch immer sogenannten Realfilm und künstlich generierten Bildwelten. 3) Die Computeranimation ersetzt soeben Jahrbuch Medien im Deutschunterricht 2009 midu 09 1207.indd 14 9/18/2013 10:01:07 AM 15 Maiwald / Josting „Comics und Animationsfilme“ im kulturellen Mainstream die klassische Zeichentricktechnik, die möglicherweise in eine schmalere, exklusivere, vielleicht eher hochkulturelle Nische abwandert. Wenn diese drei Annahmen zutreffen, so bringt die Computeranimation nicht nur einen grundlegenden Wandel des Mediums Film als maßgebliches technisches und ästhetisches Dispositiv unserer Medienkultur, sondern damit einhergehend auch eine nachhaltige Verschiebung der Koordinaten unserer Wirklichkeitsauffassung(en). Dies zu beobachten wäre aber in der Tat eine würdige Bildungsaufgabe. Zum Themenschwerpunkt und zu den Forschungsprojekten des vorliegenden Bandes, „Comics und Animationsfilme“: Manga und Graphic Novel, die aktuellen Erscheinungsformen des Comics, sind das Thema von Bernd Dolle-Weinkauff. Er geht den Gründen für das Aufkommen und den Erfolg dieser Gattungen ebenso nach wie den unterschiedlichen Gestaltungsweisen und spezifischen Inhalten. Dabei werden insbesondere die Formensprache der Bildfolgen und Layouts wie die Aktualität der Inhalte thematisiert. Im Mittelpunkt von Stephan Köhns Beitrag stehen etwas aus dem Rahmen fallende Manga, nämlich Tezuka Osamus Adaptionen Faust (1950) und Neo-Faust (1988). An ihnen verdeutlicht er, welche Formen der Adaption und Verfremdung gewählt werden, wie die Narrationen organisiert sind, welche Faktoren bei einer Untersuchung des Mediums Manga generell zu berücksichtigen sind und mit welchen Möglichkeiten und Grenzen die Thematisierung des klassischen Faust-Stoffes im Manga zu kämpfen hat. Dietrich Grünewald zeigt anhand ausgewählter Beispiele Probleme und Chancen der Comic-Adaption auf. Es ist ihm wichtig, dass solche Transformationen nicht als Übersetzungen begriffen werden, sondern als Neu-Erzählungen, deren Inhalt sich zwar am Vorbild orientiert, aber deren Gestaltung als eine innovative künstlerische Lösung zu verstehen ist, die sich an den spezifischen Möglichkeiten der gewählten Kunstform orientiert. Darüber hinaus gibt er wertvolle Hinweise, wie Comics im Unterricht (Deutsch und Kunst) fruchtbar zu nutzen sind. Christian Grabau nimmt eine kulturelle und mediale Standortbestimmung der Comics vor, und zwar als zuweilen irritierende Hybridform zwischen Pop- und Hochkultur, deren Lektüre nicht zuletzt Einblicke in das Funktionieren von Zeichensystemen und Repräsentationsformen ermöglichen kann. Als Beispiel wählt er Art Spiegelmans Maus. Wie Dietrich Grünewald geht auch Christian Grabau didaktischen Überlegungen nach: Wie behandelt man im Deutschunterricht Comics, die privat zumeist schnell und oberflächlich rezipiert werden? Wie führt man Schülerinnen und Schüler an den Punkt der Irritation – dorthin, wo Zusammenhänge unklar werden, Diskontinuitäten und Störungen Aufmerksamkeit erregen –, um Reflexionsprozesse zu initiieren? Für einen fächerverbindenden und kreativen Unterricht plädiert Eva Sandra Boschenhoff, die zur Comic-Produktion im Unterricht anregt. Gleichzeitig gewährt sie einen Einblick in ihre eigene Comic-Werkstatt und zeigt, wie man Bewegung und Sprache darstellt. Eine avancierte Schnittstelle zwischen unbewegten und Comics und Animationsfilme midu 09 1207.indd 15 9/18/2013 10:01:07 AM Einleitung 16 bewegten Bildern sondiert der Beitrag von Jens Meinrenken. Anhand einer exemplarischen Analyse der aktuellen amerikanischen Fernsehserie Heroes zeigt er, wie Comic, Film und Bild sich gegenseitig ergänzen, um eine eigene Vision von der Gegenwart und Zukunft der Menschheit zu erzählen. Meinrenken weist nach, wie die verschiedenen Zeit- und Realitätsebenen der Handlung durch die komplexe Verbindung der genannten medialen Formen in einen permanenten Spannungsaustausch gesetzt werden, wobei die prophetische Macht der Bilder eine besondere Rolle spielt. Der Bereich des Animationsfilms beginnt mit klassischen Zeichentrickserien als Lerngegenstand für Grundschüler(innen). In einem differenzierten Blick auf Motive und ästhetische Ausdrucksformen des Cartoons Tom & Jerry entwickelt Claudia Rathmann gegen ästhetische und kulturelle Aburteilungen vielfältige Möglichkeiten literarischen Lernens und eine Didaktik der Wahrnehmungs- und Geschmacksbildung. Einer ähnlichen Argumentationslinie folgt der Beitrag von Klaus Maiwald und Willi Wamser zu Shrek. Vordergründig ein kommerziell orientiertes (Serien-)Produkt mit durchaus strittigem Inhalt, erweist sich der Film bei näherer Betrachtung auch als kunstvolle Konstruktion, die hochkulturelle Exklusivität spielerisch unterspült und damit reichhaltige Potenziale literarästhetischen und medienkulturellen Lernens eröffnet. Mit dem Film Persepolis beschäftigt sich Matthis Kepser, wobei der didaktische Akzent nicht so sehr auf der Auseinandersetzung mit der erzählten Geschichte, sondern auf einer vertieften Reflexion filmischer Mittel und der Rekonstruktion vielfältiger intertextueller Bezüge liegt. Auf diese Weise entstehen Deutungs- und Erfahrungsebenen, die bei einer naiven Rezeption kaum bewusst werden. In einem – hoffentlich reizvollen – Spannungsverhältnis stehen zwei Beiträge zum Anime-Klassiker Prinzessin Mononoke. Carlo Avventi zeichnet ausgehend von Prinzessin Mononoke durchgängige Motive und Themen in Hayao Miyazakis Werk nach, wie Umweltzerstörung, Materialismus, Identitätsverlust und Krieg. Mit ihren ernsten Inhalten zeigen Miyazakis Filme, dass Animation keine reine Kindersache und bloß spaßorientierte Zerstreuung bleiben muss, sondern auch der Wertevermittlung dienen kann. Auf die besondere Kulturspezifik von Prinzessin Mononoke und die Darstellungsästhetik des japanischen Anime weisen hingegen Gudrun Marci-Boehncke und Andrea Thomitzni hin. Gestützt auf die bildwissenschaftliche Ikonographie und Ikonologie von Erwin Panofsky entwickeln die Autorinnen Interpretationsansätze, die auf die kulturspezifische Codierung etwa der Charakterologie oder der besonderen Motivund Bildsprache in Prinzessin Mononoke abheben. Der Beitrag in der Rubrik Forum basiert auf einem Positionspapier, das der Gemeinsame bildungspolitische Arbeitskreis Germanistik und Deutschunterricht (DGV und SDD) im Herbst 2009 als Reaktion auf die Lehrerbildungsstandards der KMK vom Oktober 2008 publiziert hat (Bamberger Empfehlungen). Ulf Abraham und Petra Jahrbuch Medien im Deutschunterricht 2009 midu 09 1207.indd 16 9/18/2013 10:01:07 AM 17 Maiwald / Josting „Comics und Animationsfilme“ Josting konkretisieren nun die darin vorgetragenen Überlegungen hinsichtlich der Kinder- und Jugendmedien und ihrer Rezeption als Studieninhalte. Berichte widmen sich der interdisziplinären didaktischen Tagung Spielfilm als Teil schulischer Bildung (18.-19. Januar 2009, Universität Bremen) sowie der Tagung Erzählen im Comic (6.-8. November 2009, Universität zu Köln). Der ServiceTeil enthält Rezensionen aktueller Publikationen, ergänzt um eine Bibliographie zum Thema Medienkompetenz. Dem Band liegt eine CD bei, auf der sich neben der PDF-Version des vorliegenden Gesamttextes eine Reihe von Bildzitaten befindet, die im Printmedium nicht darstellbar gewesen wären. Dieses Bildmaterial dient zum Beleg und zur besseren Veranschaulichung des jeweiligen Argumentationszusammenhanges. Für die Herstellung der CD danken wir Herrn Andreas Bauer, M. A. Dank gebührt auch Monika Müller, M. A., und Dr. Holger Zimmermann für redaktionelle Arbeiten an den Manuskripten. Allen Autorinnen und Autoren danken wir für die produktive und kollegiale Zusammenarbeit. Augsburg / Essen, im Mai 2010 Klaus Maiwald / Petra Josting Comics und Animationsfilme midu 09 1207.indd 17 9/18/2013 10:01:07 AM Themen-Schwerpunkt midu 09 1207.indd 18 9/18/2013 10:01:07 AM 19 Bernd Dolle-Weinkauff (Frankfurt a. M.) Aktuelle Erscheinungsformen des Comic Manga und Graphic Novel Die in den deutschsprachigen Ländern in den späten 1990er-Jahren einsetzende Invasion des Manga wäre in diesem Umfang kaum denkbar gewesen ohne ihre Vorläufer in Trickfilm und TV. Japanimation oder Anime gelangten alsbald nach Zulassung des Privatfernsehens in Deutschland über diverse Kanäle an das Kinder- und Jugendpublikum und wurden bezeichnenderweise kaum wahrgenommen von Eltern, Pädagogen und Fachleuten der Kinder- und Jugendkultur. In den einschlägigen Programmen von Tele 5, RTL 2, Vox u. a., später auch in den Programmen der Musiksender MTV und VIVA, etablierte sich ein Angebot, das eine ganze Jugendgeneration zu prägen begann. Nach den Anfängen mit Serien wie Miyuki (1990), Mila Superstar (1993) und Rock’n Roll Kids (1994) waren es vor allem Sailor Moon nach dem Manga von Naoko Takeuchi und Dragon Ball nach Akira Toriyamas Bestseller-Comic, welche in jeweils weit über einhundert Folgen außerordentlich beliebte Programmsegmente boten. Noch eher allein stehend machte etwa zur gleichen Zeit mit Akira die fulminante Verfilmung von Katsuhiro Otomos gleichnamigem postapokalyptischem Manga Furore in den Kinos und zog das Interesse des etablierten Kulturbetriebs auf sich. Comics sind in Japan in der Regel die primären Produkte eines Medienverbunds, dessen Ausbau gleichsam einer Kosten-Erfolgs-Spirale folgt. Beginnend mit der unaufwändigsten Print-Publikation, der Fortsetzungsgeschichte in einem der zahlreichen Manga-Magazine in Schwarz-Weiß-Druck, setzt sich diese im Fall des Erfolgs in aufsteigender Linie über diverse Stationen fort bis hin zur kostenintensivsten Produktion, dem abendfüllenden Kino-Zeichentrickfilm. Dazwischen liegen etwa die Veröffentlichung in Taschenbuchform (jap.: tankobon), der Trickfilm für den DVD-(früher Video-)Markt, ganze Staffeln von TV-Serien, gegebenenfalls Computerspiele etc. Der Export in die westliche Hemisphäre funktionierte dagegen mit der Fernsehserie als Wegbereiter, es folgte dann mit relativ langem zeitlichem Abstand die Taschenbuchveröffentlichung; die Manga-Magazine, die im Ursprungsland als Testmedien für neue Serienangebote dienen, spielen in den westlichen Ländern dagegen aus nahe liegenden Gründen kaum eine Rolle. Comics und Animationsfilme midu 09 1207.indd 19 9/18/2013 10:01:07 AM Themen-Schwerpunkt Themen-Schwerpunkt 20 1. Invasion aus dem Nichts Gleichsam aus dem Stand eroberte der Manga – nicht nur in Deutschland – eine führende Rolle im Comic-Angebot. Obgleich die in den ersten Jahren geradezu Schwindel erregenden Verkaufsraten mittlerweile moderater ausfallen, ist der Comic aus Japan durchaus kein modisches Intermezzo geblieben, sondern hat sich dauerhaft etabliert. Dies wird nicht nur an den Verkaufszahlen deutlich, die zeigen, dass eine Mehrheit der Comic-Leser in der Gegenwart den Manga im Vergleich zu Comics des nordamerikanischen bzw. europäischen Typs präferiert. Vielmehr orientiert sich zunehmend auch der Autoren- und Zeichner-Nachwuchs am japanischen Vorbild, so dass – in Anlehnung an die in Japan übliche Berufsbezeichnung – bei diesen von Germangaka die Rede ist. Der überwältigende Erfolg des Manga beim jugendlichen Publikum stellte eine Überraschung dar, die manche Annahmen und als sicher geltende Einschätzungen im Hinblick auf die kulturellen Dispositionen Jugendlicher und die Entwicklungstendenzen von Jugendkulturen ins Wanken gebracht hat. Entgegen der Vorstellung von der unanfechtbaren Attraktivität des technisch perfekten Angebots der alten wie der neuen elektronischen Medien hat sich hier ein Printmedium durchgesetzt, dessen äußeres Erscheinungsbild geradezu dürftig erscheinen muss. Dass Bildgeschichten in unaufwändig gehaltenen Schwarz-Weiß-Zeichnungen sich nicht nur gegen die in glänzender Aufmachung daherkommenden westlichen Comics, sondern auch neben den alle sinnlichen Reize ansprechenden Videos, Filmen und Computerspielen behaupten, erscheint wie eine vormoderne Posse. Voraussetzung für das erfolgreiche Vordringen des Manga in die westlichen Medienangebote war dessen Teilhabe am Prozess der populärkulturellen Globalisierung. Der japanische Comic hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit großer Intensität darstellungsästhetische Verfahren, grafische Konventionen, Motive, Stoffe und Themen aus vielerlei fremden Kulturen und Literaturen aufgenommen und in die eigenen Produktionen eingearbeitet. So gehen etwa die heute als so typisch japanisch geltenden tellergroßen Augen und kindlichen Proportionen auf den vor über einem halben Jahrhundert in Japan wirksam werdenden Einfluss der Disney-Filme und Disney-Comics zurück. Ebenso lassen sich an anderer Stelle auch Einflüsse europäischer Comic-Stile nachweisen. Was in Deutschland und den anderen europäischen Ländern gegenwärtig als Comic japanischer Herkunft entgegentritt, ist somit selbst in weiten Teilen das Resultat einer Rezeption amerikanischer und europäischer Einflüsse seit Beginn der 50er-Jahre. „Erst um die Mitte des 20. Jahrhunderts herum“, so formuliert der japanische Manga-Experte Natsume Fusanosuke, „nahm durch den Einfluss der amerikanischen Comics mit Einzelbildern und Sprechblasen der Manga die heutige erzählerische Form an“ (Fusanosuke 2001, Teil 1, 33). Jahrbuch Medien im Deutschunterricht 2009 midu 09 1207.indd 20 9/18/2013 10:01:07 AM Dolle-Weinkauff Aktuelle Erscheinungsformen des Comic 21 Dolle-Weinkauff Aktuelle Erscheinungsformen des Comic Der weitaus größte Teil der Manga, die derzeit im deutschsprachigen Raum verbreitet sind, entstand – oder wenn es sich um umfangreichere Serien handelt: begann – in den 80er- und 90er-Jahren. Das klassische Repertoire der modernen japanischen Comics, das sich unter der Ägide Osamu Tezukas entfaltete, ist allerdings viel älter und reicht bis zum Beginn der 50er-Jahre zurück. Man kann daraus schließen, dass der japanische Comic zunächst die fremden Formen und Inhalte integrierte und dann eine Entwicklung durchmachen musste, um Angebote zu entwickeln, die über das Ursprungsland hinaus im westlichen Raum Interesse finden konnten. Dieser Entwicklungsstand war etwa zu Beginn der 1980er-Jahre erreicht, und er hat sowohl etwas mit dem bis dahin erreichten Verarbeitungsgrad fremder − das heißt europäischer und US-amerikanischer − Einflüsse wie auch der Ausformung japanisch-kulturspezifischer Gattungselemente zu tun. 2. Faszination der Bilder – Attraktion durch adressatenorientierte Aufbereitung Jens Nielsen hat in einer Untersuchung zur Entwicklung der Bildsprache des Manga eine aus der Tradition des Farbholzschnitts herrührende „Kultur des Unsichtbaren“ (Nielsen 2009, 345) als dessen Spezifikum ausgemacht. Wenngleich der hier gemeinte Einsatz von Leerstellen der Bilderzählung auch im Westen nicht unbekannt ist, so finden sich im Manga Bildabbreviaturen, enigmatische Einstellungen und detailarme Panels ganz besonders häufig. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass sich (moderne) japanische Bildfolgen grundsätzlich aus einer sehr viel größeren Zahl an Einzelbildern zusammensetzen als solche europäischer oder amerikanischer Herkunft. Der Aufwand, den westliche Zeichner zur Ausgestaltung einzelner Panels treiben, wird von den fernöstlichen Kollegen viel stärker auf die dynamische Ausgestaltung der Bildsequenzen und Layouts verlegt. Dies führt durchweg zu komplexeren Möglichkeiten der dramaturgischen Gestaltung und einer Erhöhung der erzählerischen Dynamik der Bildfolge. Wenn von Seiten der Fans immer wieder die Qualität des Artworks als hauptsächlicher Grund für ihre Leidenschaft für Manga angeführt wird, so zielt dieses Urteil eben auf diese Ausdrucksqualität sequenziellen Erzählens und nicht auf das meist unscheinbare Einzelbild. Damit einher geht eine permanente Weiterentwicklung der Strategien des Erzählens in Bild und Schrift sowie eine Ausweitung des Arsenals und der Einsatzbereiche symbolischer Bildzeichen im Manga. Die japanischen Comics sind für den damit nicht vertrauten Leser oft auch deswegen schwierig zu decodieren, weil ihre Bildsprache einen sehr viel höheren Anteil an konventionalisierten piktoralen Zeichen aufweist als herkömmliche Comics. Des Weiteren werden immer wieder neue Formen der Montage und der narrativen Verknüpfung entwickelt, die häufig auch den verbalen Code in die Bildinszenierung einschließen. In ihrer jüngst erschieneComics und Animationsfilme midu 09 1207.indd 21 9/18/2013 10:01:07 AM Themen-Schwerpunkt 22 nen Arbeit Manga – Die Faszination der Bilder ist Miriam Brunner diesen „visuellen Strategien“ nachgegangen und hat sie ausführlich in typischen Beispielen aktueller Manga-Serien zu dokumentieren versucht (Brunner 2009, 61-178). Dabei wird einmal mehr deutlich, dass es angesichts der Vielfalt der Mittel grafischen Erzählens keinen vollständigen Katalog dieser Mittel geben kann und die Entwicklung ständig weiter voranschreitet. Andererseits folgen die Layouts und Montagen − angefangen mit der Leserichtung − durchaus bestimmten Grundregeln, deren Einhaltung die Lesbarkeit im Sinne der Wahrnehmbarkeit des Ganzen als Erzählung sichert. Eine auffällige Eigenart des Manga bzw. derjenigen, die mit Manga umgehen, ist die Sortierung des Angebots nach Adressaten, insbesondere geschlechtsspezifisch differenzierten Gruppen. Shônen-Manga stellen die ursprüngliche Textsorte dar und richten sich an Jungen, später tritt der für Mädchen konzipierte ShôjoManga hinzu und es bilden sich weitere Abteilungen heraus, die unterschiedliche Alters-, Berufs- oder Interessengruppen zu bedienen suchen. So macht sich in jüngerer Zeit auch in den westlichen Ländern ein verstärktes Interesse an sogenannten Boys-Love-Manga bemerkbar, die von homoerotischen Beziehungen unter männlichen Jugendlichen und Heranwachsenden handeln. Zu den einschlägigen Klassikern im deutschsprachigen Angebot zählen etwa Gravitation (dt. 2003-2005) von Maki Murakami, Kizuna von Kazuma Kodaka (dt. 2003-2009) und Loveless (dt. 2006-2008) von Yun Kouga. Entgegen der Vermutung, es handle sich um Angebote für ein entsprechend disponiertes männliches Publikum, werden diese Serien jedoch für junge Frauen produziert (und auch von diesen gelesen). Verbunden mit der jeweiligen Adressatenorientierung ist ein grafisches Konzept (vgl. Abb. 1a und 1b), das sich an den Vorlieben des jeweiligen Publikums orientiert und die Manga schon äußerlich klar unterscheidbar macht. Allerdings haben sich die ursprünglich klaren stilistischen Zuordnungen und deren inhaltliche Leitlinien (wie: Action für Jungen, Gefühliges für Mädchen) in jüngerer Zeit teilweise aufgelöst. Die genderspezifische Ausformung der meisten Manga-Erzählungen sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die eigentliche Gattungsstruktur sich an den bekannten, in Literatur und Film üblichen Einteilungen orientiert. Von den Stoffen her bilden Schul- und Liebesgeschichten sowie Erzählungen von Auseinandersetzung und Bewährung in der Adoleszenz den Kern des Angebots. Dabei kommt es weniger auf die exakte Widerspiegelung etwa der Institution Schule an, vielmehr wird die dieser zu Grunde liegende (Zwangs-)Konstellation und deren Anforderungsprofil in eine mehr oder minder surreale Welt transponiert. So behandelt eine der derzeit beliebtesten Manga-Serien, Naruto von Masashi Kishimoto, den Werdegang einer in Ausbildung befindlichen Gruppe junger Ninja-Krieger, die in einer nicht näher spezifizierten archaisch geordneten Feudalwelt angesiedelt ist. Die in deutscher Sprache seit 2001 publizierte Serie ist bislang auf 38 Bände angewachsen. Realistisch gestaltete Fiktionen bilden eher die Minderheit, während Comedy-Serien wie etwa Eichiro Odas One Piece (dt. seit 2001) und vor allem Fantasy-, Mystery- und Jahrbuch Medien im Deutschunterricht 2009 midu 09 1207.indd 22 9/18/2013 10:01:07 AM 23 Dolle-Weinkauff Aktuelle Erscheinungsformen des Comic Abbildungen 1a und 1b: Die ausgeprägte geschlechtsspezifische Adressierung ist unschwer in Grafik und Layout abzulesen: Shôjo-Manga Sailor Moon von Naoko Takeuchi und Shônen-Manga Dragon Ball von Akira Toriyama. Science-Fiction-Erzählungen dominieren. Zu den beliebtesten darunter zählt Kaori Yukis düster-enigmatische Angel Sanctuary-Saga (dt. 2001-2004), eine Geschichte, die in eklektischer Verknüpfung mit biblischen, kabbalistischen und mythologischen Versatzstücken operiert (vgl. Abb. 2). Viele – vor allem weibliche Leser – haben aber auch die eher heiter-fantastischen Serien Arian Tanemuras wie etwa die Jeanne d’Arc-Parodie Kamikaze Kaito Jeanne (dt. 2001-2003) und die Kinder-Star-Geschichte Full Moon Wo Sagashite (2004 / 2005) rezipiert. Auffällig ist hier jeweils die ausgesprochene Welthaltigkeit der fantastischen Manga-Geschichten. Regelmäßig nehmen diese Alltagskonflikte der Jugendlichen und Heranwachsenden in Familie, Schule und Gesellschaft in ihre Weltbedrohungs- und Errettungsszenarien auf und machen sie zum Handlungspotenzial von Geschichten, die fesseln und unterhalten wollen – es ist dies offenbar ein Teil der Wirkungsstrategie des Manga, die erklärtermaßen auf Nähe zu den Lesern setzt und daher deren Lebensumstände, Ängste und Wünsche stets zu berücksichtigen hat. Comics und Animationsfilme midu 09 1207.indd 23 9/18/2013 10:01:08 AM