Projekt VERA - Campus Landau

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Projekt VERA - Campus Landau
Projekt
VERA
VERgleichsArbeiten
in der 4. Klassenstufe
in Deutsch und Mathematik
Prof. Dr. A. Helmke ⋅ Jun.Prof. Dr. I. Hosenfeld
Universität Koblenz - Landau,
Fachbereich Psychologie, Campus Landau
Fortstraße 7 ⋅ 76829 Landau
06341-280-225 ⋅ FAX 06341-280-217
Email: [email protected]
Internet: http://www.uni-landau.de/vera/
PÄDAGOGISCHE NUTZUNG DER VERGLEICHSARBEITEN
Vergleichsarbeiten - Chancen und Grenzen
Vergleichsarbeiten verfolgen primär das Ziel einer Standortbestimmung schulischer Leistungen - künftig auch im Hinblick auf
bundeslandübergreifende Bildungsstandards. Daneben sollen Vergleichsarbeiten aber auch einen Beitrag zur Verbesserung des
Unterrichts leisten. Vergleichsarbeiten bewirken keine direkte und automatische Verbesserung des Lehrens und Lernens, sondern
sie stellen ein Informationsangebot dar, das pädagogisch genutzt werden kann. Ziel dieser Handreichung ist es, das pädagogische
Potenzial der Vergleichsarbeiten zu verdeutlichen.
Vergleichsarbeiten bieten vielfältige Vergleichs- und Interpretationsmöglichkeiten. Ihre Aussagekraft unterliegt aber der Beschränkung, dass es sich nur um eine Momentaufnahme handelt, die durch weitere Ergebnisse ergänzt und abgesichert werden
muss. Verglichen mit den Erfahrungen und Erkenntnissen von Lehrerinnen und Lehrern kann das Ergebnis einer Vergleichsarbeit, bezogen auf die Beurteilung einzelner Schülerinnen und Schüler, immer nur ein kleiner ergänzender Mosaikstein sein nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Vorteile von Vergleichsarbeiten für die Verbesserung des Unterrichts liegen vor allem
auf der Schulklassenebene.
Wichtig: Vergleichsarbeiten sind nur ein Element des Qualitätssicherungsystems. Für die konsequente und effiziente Nutzung
der Vergleichsarbeiten für die Unterrichtsentwicklung sind schulische und externe Unterstützungssysteme wichtig.
Auf diesem Hintergrund sehen wir für die pädagogische Nutzung von Vergleichsarbeiten sechs aussichtsreiche Felder:
1) Beurteilung der Leistungsverteilung der eigenen Klasse
Der Vorteil der Vergleichsarbeit liegt in der Ermöglichung eines "fremden Blicks" auf das Leistungsprofil der eigenen Klasse
durch Vergleichsmöglichkeiten, die im Schulalltag normalerweise nicht zur Verfügung stehen. Dies kann Grundlage für gezielte
unterrichtliche Schwerpunktsetzungen sein. Vier Vergleichsebenen sind hervorzuheben:
•
Innerschulische Profile: Wo hat meine Klasse Stärken und Schwächen, verglichen mit den Parallelklassen?
•
Vergleich mit dem Durchschnitt aller Schülerinnen und Schüler der gesamten Jahrgangsstufe: Wo weicht meine Klasse nach oben oder unten - vom Durchschnitt ab? Vergleichsbasis war 2003 die rheinland-pfälzische "Normierungsstichprobe";
ab 2004 wird eine bundeslandübergreifende Normierung zugrunde liegen.
•
Fairer Vergleich: Wie groß sind die Abweichungen, wenn ich das Ergebnis meiner Klasse mit einer Gruppe von
vergleichbaren Klassen (ähnliches Einzugsgebiet, ähnliche Schülerzusammensetzung) vergleiche?
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Zukünftig wird es darüber hinaus um eine Orientierung an den Standards gehen: In welchen Kompetenzbereichen zeigen
sich Anfang der vierten Klasse Schwächen, die im Hinblick auf die Erreichung der Standards (Ende der vierten Klasse)
Anlass für gezielte Unterrichts- und Fördermaßnahmen sein müssen?
2) Analyse einzelner Aufgaben(-bereiche)
Jenseits der globalen Abschätzung des Leistungsstandes der Klasse, ihrer Stärken und Schwächen, kann der Blick auf einzelne
Aufgaben didaktische Impulse liefern:
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Aufgabenschwierigkeiten: Bei welchen Aufgaben gibt es zwischen meiner Klasse und (a) den Parallelklassen, (b) dem Gesamtdurchschnitt besonders große Abweichungen in der Lösungshäufigkeit?
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Gewählte vs. vorgegebene Aufgaben: Zeigen sich Unterschiede in der Lösung zwischen den zentralen Aufgaben (die
erst unmittelbar vor der Vergleichsarbeit verfügbar waren) und den gemeinsam im Kollegium ausgewählten
Aufgaben? Wie ist es zu interpretieren, wenn z.B. die Klasse bei den zentralen Aufgaben erheblich schlechter abschneidet
als bei den selbst gewählten Aufgaben - oder umgekehrt?
3) Fehler und Falschlösungen
Aus fachdidaktischer Sicht kann es aufschlussreich sein, das Gegenstück zur Aufgabenlösung zu betrachten, nämlich die Verteilung von Falschlösungen in der eigenen Klasse.
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Auffällige Fehlermuster: Bei welchen Aufgaben zeigen sich in meiner Klasse markante Abweichungen vom Durchschnitt,
was die Häufigkeit bestimmter Falschlösungen anbelangt?
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Zufällige oder systematische Fehler: Ob Fehler systematisch oder zufällig auftreten, lässt sich auf Grund einer einzigen Vergleichsarbeit mit einer begrenzten Menge an Aufgaben nicht zuverlässig feststellen. Wir empfehlen: Analysieren Sie im
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Kollegium zunächst, welche Denk-, Rechen- oder Konzeptfehler, etc. hinter einer besonders auffallenden Fehlerkategorie
stehen können. Grenzen Sie anschließend mögliche Ursachen ein, indem Sie Aufgaben systematisch variieren: Verwenden
Sie hierfür strukturell ähnliche Aufgaben, bei denen jeweils ein schwierigkeitsbestimmendes Merkmal verändert wird (z.B.
bei Mathematikaufgaben die Anzahl erforderlicher Lösungsschritte oder bei Deutschaufgaben das Antwortformat (offenes
vs. geschlossenes Format). Auf diese Weise lässt sich herausfinden, was eigentlich hinter bestimmten Fehlern steht. Dieses
Wissen lässt sich für den Unterricht nutzbar machen.
4) Von der Diagnose zur Erklärung
Bisher ging es um beschreibende Aussagen zum Leistungsstand, noch nicht um Erklärungen. Aus gutem Grund, denn Vergleichsarbeiten liefern lediglich den "Rohstoff" für Fragen nach den Gründen für auffällige, erwartungswidrige Klassen- oder
Fehlerprofile. Hier liegt ein fruchtbares Feld für die pädagogische Diskussion. Angenommen, eine Klasse weist in Geometrie
deutlich schlechtere Leistungen auf als der Durchschnitt. Liegt das ...
•
an den Schülern? (mangelnde Vorkenntnisse? geringe Anstrengung, z.B. weil es keine Note gab? mangelndes Verständnis
der Testinstruktion, z.B. häufige Mehrfachankreuzungen?)
•
am Unterricht? (Wurde der Stoff noch nicht oder seit langem nicht mehr behandelt? Erfordern die Aufgaben Kompetenzen,
die im Unterricht keine nennenswerte Rolle spielten? Waren spezifische Fähigkeiten - wie z.B. das Schätzen (in Mathematik) oder die Analyse diskontinuierlicher Texte (in Deutsch) – möglicherweise nicht Gegenstand des Unterrichts?)
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am Lehrbuch? (Ist das Lehrbuch "nahe dran" oder "weit weg" von Kompetenzen, wie sie z.B. in den Vergleichsarbeiten und
künftig seitens der Standards erwartet werden? Begünstigt es bestimmte Fehlerarten?)
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an den Testaufgaben? (Weicht Ihre persönliche Einschätzung der "Richtigkeit" einer bestimmten Aufgabe von den Vorgaben der Korrekturanweisung ab?)
Je nach Schwerpunkt der Diskussion sind denkbar: gezielte schulinterne Weiterbildung; Initiativen zur Anreicherung des Aufgabenpools (etliche Schulen haben dies bereits getan); Planung von Unterrichtsprojekten, z.B. Einsatz der Videografie zur Verbesserung einzelner Lehr- und Unterrichtskompetenzen; Praktizierung des "lauten Denkens" von Schülern im Unterricht, um bestimmten Fehlern (z.B. im Bereich arithmetischer Operationen in Mathematik oder im Bereich der Orthographie in Deutsch) auf
die Spur zu kommen; gezielte Förderprogramme; wechselseitige Hospitation.
5) Vergleichsarbeiten als Ergebniskontrolle
Man kann die Ergebnisse der Vergleicharbeit zu Beginn der vierten Klassenstufe als Startpunkt betrachten und anschließend bestimmte Schülergruppen systematisch fördern bzw. spezifische Teilgebiete (Algorithmen, Strategien) gezielt üben und vertiefen
oder Wissensdefizite ausgleichen. Wiederholt man die Vergleichsarbeit nach einiger Zeit, dann eröffnet sich auf diese Weise die
Chance, den Ertrag der Förderung zu prüfen:
•
Wer hat von der Förderung profitiert, wer nicht?
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Falls verschiedene Methoden der Förderung oder des Trainings erprobt wurden: Welche hat sich bewährt?
In diesem wirkungsorientierten Ansatz sehen wir gute Chancen für eine pädagogische Nutzung der Vergleichsarbeiten: An die
Stelle von Vermutungen treten empirisch begründete Daten zu nachweislichen Effekten gezielter Förderung.
6) Erfassung diagnostischer Kompetenzen (im Fach Mathematik)
Die Urteile bezüglich der Frage "Was schätzen Sie, wie viele Schülerinnen und Schüler Ihrer Klasse diese Aufgabe lösen werden?", die Sie im Zuge der Aufgabenauswahl beantworten sollen, lassen sich mit den Daten zum Abschneiden der Klasse bei den
einzelnen Aufgaben in Beziehung setzen:
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Unter- oder Überschätzung: Neigen Sie insgesamt (über alle ausgewählte Aufgaben hinweg) eher zur Unter- oder Überschätzung des Leistungsvermögens Ihrer Klasse? Dies ermöglicht Hinweise darauf, wie realitätsangemessen Ihre Leistungserwartung ist. Wenn sich deutliche Abweichungen zeigen: Wie sind diese zu erklären?
•
Didaktische Sensibilität: Das empirische Ergebnis der Vergleichsarbeit in Ihrer Klasse kann man nach Aufgaben sortieren:
von der schwierigsten zur leichtesten. Nach dem gleichen Prinzip lassen sich Ihre eigenen Einschätzungen ordnen. Aus dem
Vergleich beider Rangreihen lässt sich ein Indikator Ihrer "didaktischen Sensibilität" berechnen.
Kennwerte für die Tendenz zur Unter-/Überschätzung des Niveaus und der Genauigkeit liefert Ihnen unmittelbar nach den
Vergleichsarbeiten ein von uns entwickeltes Programm.
Weiterführende Literatur
Helmke, A. (2004). Unterrichtsqualität: Erfassen, Bewerten, Verbessern (2. Auflage). Seelze: Kallmeyersche Verlagsbuchhandlung.
Helmke, A. & Hosenfeld, I. (2003). Vergleichsarbeiten (VERA): Eine Standortbestimmung zur Sicherung schulischer Kompetenzen - Teil 2:
Nutzung für Qualitätssicherung und Verbesserung der Unterrichtsqualität. SchulVerwaltung, Ausgabe NRW (5), 143-145.