ABOUT_Unter Eis Oper..

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ABOUT_Unter Eis Oper..
FALK RICHTER inszeniert zur Ruhrtriennale und für die Oper Franfurt die Oper
UNTER EIS von dem Komponisten Jörn Arnecke nach einem Libretto von Falk
Richter. Vorab stellt RUHR FUTUR dem Regisseur und Autor einige Fragen.
Herr Richter,
1
in bezug auf UNTER EIS sagen Sie „Es geht nur um Effizienz [im Leben der
Unternehmensberater, Anmerk. d. Red.], nicht um die Frage, was ein sinnvolles
Leben sein könnte.“ Was könnte denn ein sinnvolles Leben sein?
RICHTER Ich zeige in meinem Stück Menschen, denen es nur noch um
Gewinnmaximierung, Leistungssteigerung und Perfektion geht. Sie leben in dem
Glauben, dass Effizienz sich auf alle Bereiche des Lebens übertragen lässt, ordnen
ihr Privatleben vollständig der Arbeit unter, haben keine Ziele mehr, außer dem
beruflichen Erfolg. Sie sind zeitlich extrem eingetaktet, haben keine Zeit für sich,
laufen innerlich leer, steuern auf einen Burn Out zu, brauchen pharmazeutisches
Doping, um mit wenig Schlaf unentwegt auf Hochtouren zu laufen. Sie sind gehetzt,
getrieben, haben panische Angst, nicht mehr gut genug zu sein, und Ihre Position zu
verlieren, sozial abzurutschen. Ihre Arbeit besteht darin, Firmen so umzustruktuieren,
dass sie gewinnträchtiger werden und die Aktienwerte steigen. Praktisch heißt das,
Menschen zu entlassen und wichtige Firmenzweige auszulagern in Länder, in denen
man billiger und ohne soziale Absicherung der Arbeiter produziert. Ein sinnvolles
Leben ist das Gegenteil all dessen. Deshalb lernen Manager in sehr teuren,
aufwändigen Health, Body und Mind Workshops, was es heißen könnte, ein ganzer
Mensch zu sein: Man hat Zeit für sich, man nimmt andere Menschen nicht nur nach
dem Gesichtspunkt der Nutzbarkeit wahr, man hat einen Körper, den man nicht nur
als Feind bearbeitet und unentwegt in die Erschöpfung treibt, man lässt Bindungen
und menschliche Beziehungen zu, man lässt auch Gedankengänge zu, die nicht rein
profitorientiert sind, man lässt Musik, Kunst und Literatur an sich herankommen, kann
angstlos atmen. Im besten Fall entdeckt man in sich selbst eine schöpferische Kraft.
Wie lebt man im Hardcorekapitalismus ein sinnvolles Leben? Indem man ihm
entkommt. Wie schafft man das? Indem man ihn beobachtet, versteht, wie er
funktioniert, seine Werte begreift und sich selbst andere Werte schafft.
2
In Ihrem Stück fehlt die Liebe. Wo ist sie?
RICHTER In meinem Stück gibt es sehr viel Liebe. Es ist ein klares Bekenntnis zum
Menschen, zum selbst bestimmten Leben und zu allem freien, rauschhaften
Nichteffizienten, zur Kunst. Es zeigt ungeliebte, liebesunfähige Menschen, und die
Leere, die sich in ihre Seelen gefressen hat, verweist auf etwas: Auf die Liebe, die es
geben muss, wenn man dieses Leben nicht mehr weiterlebt. Sie ist dort, wo meine
Figuren nicht sind. Sie ist dort, wo der exzessive Glaube an Effizienz, Geld und
Wachstum nicht ist. Meine Figuren sprechen unentwegt von ihr, auch, wenn ihre
Worte etwas anderes zu sagen scheinen. Vielleicht wird sie in der Musik spürbar, die
Jörn Arnecke für meine
Texte komponieren wird.
3
Auch unsere privaten Beziehungen müssen effizient sein. Wenn wir nicht mehr
funktionieren, werden wir ersetzt. Was kann man als Einzelner dagegen halten?
Haben Sie da eine Idee?
RICHTER Am besten man sucht sich ein paar wichtige Beziehungen, in denen man
sich nicht effizient verhalten muss, am besten Beziehungen, die weder über cash
flow noch Arbeitsverträge geregelt sind, oder bei denen das persönliche gegenüber
dem geschäftlichen überwiegt. Noch besser, man schafft es, die Beziehungen
einfach zu verlassen, in denen man einfach ersetzt werden kann.
4
Die Karriere Ihres Helden Paul Niemand nähert sich dem Endpunkt. Was bedeutet
Ihnen Karriere?
RICHTER Wahrscheinlich werde ich das auch erst richtig merken, wenn sie sich dem
Endpunkt nähert. Irgendwann stellte sich ja in meiner Arbeit ein gewisser Erfolg ein –
das könnte man als Beginn meiner Karriere bezeichnen. Meine Stücke, die anfangs
nur ein paar Insider kannten, wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt und weltweit
gespielt. Ich zog aus meiner Einzimmerwohnung in St Pauli aus und reiste erst mal
sehr viel durch die Welt, sum mir Aufführungen meiner Stücke anzuschauen. Das
war sehr angenehm. Der Erfolg führt auch dazu, dass ich mit sehr guten Leuten unter
sehr guten Bedingungen in tollen Städten arbeiten kann und mir die Projekte, die ich
mache, selbst aussuchen kann. Ich werde im kommenden Jahr in Berlin, Tokyo,
Oslo, Wien und bei den Salzburger Festspielen inszenieren. Und ich freue mich auf
jedes einzelne Projekt. Das ist für mich das wichtigste an meiner Karriere.: Sie gibt
mir sehr viel Freiheit . und ich lerne sehr viel kennen, mache viele unglaublich
interessante Erfahrungen. In der Kritik gerade mehr oder weniger bejubelt oder
verrissen zu werden, ist dabei zweitrangig, das ist zwar auch emotional aufreibend
und manchmal schmerzhaft, aber wechselt unentwegt und unterliegt keinen rational
nachvollziehbaren Kriterien.
5
Welche Sphäre möchten Sie bei diesem doch sehr nüchternen und zuweilen auch
traurigen Text mit der Musik zum Klingen bringen?
RICHTER Für mich ist dieser Text sehr emotional und sehr unterhaltsam. Er hat eine
bitterböse, traurige Komik. Und dann gibt es immer wieder Risse im Text und die
Hauptfiguren rutschen in alptraumhafte, düstere Gefühlswelten. Ich denke, all diese
unterschiedlichen Stimmungen finden sich auch in der Musik.
6
Herr Richter, bitte nennen Sie uns Ihre Top 10 Ihrer Lieblingsfilme, Lieblingsplatten
und Lieblingsbücher.
MEINE TOP 10
10 Lieblingsfilme
LOST HIGHWAY
David Lynch
HAPPINESS
Todd Solondz
MULLHOLLAND DRIVE
David Lynch
STORY TELLING
Todd Solondz
DIE VERDAMMTEN
Luchino Visconti
TWIN PEAKS
Die Serie und der Film FIRE WALK WITH ME
David Lynch
SATYRICON
Fellini
THEOREMA
Pier Paolo Pasolini
L`ECLISSE
Michelangelo Antonioni
DIE SEHNSUCHT DER VERONIKA VOSS
Fassbinder
10 Lieblingsplatten
LAUGHING STOCK
Talk Talk
MARK HOLLIS
Mark Hollis
THE SENSUAL WORLD
Kate Bush
IN THE GARDEN
Eurythmics
OK COMPUTER
Radiohead
PIANO CONCERTO Nr 2
Hans Werner Henze
SUNDAY 8pm
Faithless
STADIUM ARCADIUM
Red Hot Chilli Peppers
SPIRIT OF EDEN
Talk Talk
MEZZANINE
Massive Attack
10 Lieblingsbücher
LUNAR PARK
Bret Easton Ellis
TANZ MIT DEM SCHAFSMANN
Haurki Murakami
DIE MÖGLICHKEIT EINER INSEL
Michel Houllebecq
WEISSES RAUSCHEN
Don de Lillo
TRACTATUS LOGICUS
Wittgenstein
GESAMMELTE DRAMEN
Thomas Bernhard
DAVID LYNCH UND SEINE FILME
Georg Seeßlen
ZEITEN DES SCHRECKENS – AMOK TERROR KRIEG
Wolfgang Sofsky
DE PROFUNDIS
Oscar Wilde
DER FLEXIBLE MENSCH
Richard Sennett
ZUR OPER
Falk Richter und Jörn Arnecke
UNTER EIS
MUSIKTHEATER
nach dem großen Erfolg bei Publikum und Presse bei der Ruhrtriennale 2007 ab 2.
Juni 2008 in Frankfurt im Bockenheimer Depot.
In deutscher Sprache
Dauer: ca. 3 Stunden mit einer Pause Bockenheimer Depot
Montag 02.06.2008
Weitere Termine:
04.06.2008 | 06.06.2008 | 07.06.2008
Musikalische Leitung Yuval Zorn
Regie Falk Richter
Bühnenbild Alex Harb
Kostüme Tina Kloempken
Dramaturgie Thomas Fiedler
Licht Carsten Sander
Paul Niemand Markus Brück
Karl Sonnenschein André Szymanski
Aurelius Glasenapp Thomas Wodianka
Eine neue Oper in der Welt. Eine ganz neue Welt in der Oper: Zum ersten Mal haben
ein Autor und ein Komponist ein Musiktheaterstück entworfen, das im Bereich der
Unternehmensberatung spielt; mit einigem Recht kann man Unter Eis als die erste
»Consulting-Oper« der Musikgeschichte bezeichnen. Ein Berater steht in ihrem
Mittelpunkt: Bei Paul Niemand (Bariton), etwa Mitte vierzig, läuft es seit einiger Zeit
nicht mehr rund, die floskelvolle Leere seiner Arbeit bedrückt ihn, und lange
verschüttete poetische Empfindungen wecken Erinnerungen an seine Kindheit und
weitere Stationen seines Lebensweges. Zwei robustere Kollegen, Karl Sonnenschein
und Aurelius Glasenapp – durch Schauspieler verkörpert – repräsentieren die
souveräne Beherrschung des Branchenjargons. In einer raffinierten Mischung
verschiedener Vokaltechniken, von normalem Sprechen über rhythmisierte Monologe
bis zu weitgespannten, gesungenen Kantilenen prallen hier Hoffnungen und
Enttäuschungen aufeinander, und es entfaltet sich die ganze Absurdität eines
stromlinienförmig, nach »repräsentativen Umfragen« optimierten Kulturbetriebs.
Satire des Wirtschaftsberatungswahnsinns und Poesie des Scheiterns vereinen sich
in einer der spannendsten Uraufführungen dieser Spielzeit: »Endlich mal keine Oper
mit Mythen, Griechen, Römern, germanischen Göttern, verblasstem, mehr oder
weniger historischem Personal. Sondern mit Dax-Menschen von heute, erfrischend
gefühllosen Spekulanten, Abzockern, Börsenhaien. (…) Eine musikalische Farce,
erfrischend zynisch, aber mit einem liebvollen Herzen. (…) Und sicher richtig für die
koproduzierende Oper Frankfurt, wo mehr Top-Dog-Zielpublikum sitzt als im
downgesizten Bochum.« (Die Welt)
Auch hier, im Bockenheimer Depot, mit »dem famosen Bariton Markus Brück« in der
Hauptrolle: ab dem 2. Juni 2008.
»Demokratie ist schön und gut und sicherlich das höchste Ziel, und für eine intakte
Gesellschaft mit einer gesunden, gut funktionierenden Wirtschaft auch das beste
Gesellschaftsmodell, aber momentan denke ich, sind wir durch dieses System völlig
blockiert.«
Karl Sonnenschein in Falk Richters Unter Eis, Szene 7
Die Handlung in Kurzform
Der Unternehmensberater Paul Niemand beginnt an sich und an seiner Arbeit zu
zweifeln. Bilder aus seiner Kindheit vermischen sich mit den Enttäuschungen aus
seinem Berufsleben. Das wie auswendig gelernte Skandieren von
Unternehmenswerten beginnt ihn zu verfolgen. Seine Kollegen mit ihrem zur Schau
gestellten Erfolg schüchtern ihn ein. Der unter Hochdruck betriebene Aktivismuswahn
erstreckt sich auch aufs Privatleben und entpuppt sich als leere Lebenshülse – das
Musical, das Paul Niemands Kollegen konzipieren, wird zur absurden Darstellung
von synthetisierter Pseudokultur: die Erlebnisse einer Robbe als Parabel
menschlichen Strebens, inklusive Popsong und Robbenballett. Paul Niemands
kindliches alter ego führt ihm die Konsequenz seines scheinbar sinnlosen Daseins
vor Augen. Als zunehmend delirierender Einzelgänger entschwindet er nach und
nach aus der als inhuman empfundenen Realität.
Mit freundlicher Unterstützung des
Frankfurter Patronatsvereins - Sektion Oper