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20.03.2007 11:44:19 Uhr
XYNIASWETZEL.DE
Hier ist das
Erste Deutsche Fernsehen
mit einem Herzlichen
Glückwunsch!
Wir freuen uns über die Nominierungen und gratulieren
allen Preisträgern des 43. Adolf-Grimme-Preises.
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Internationaler
Fernsehkongress
Internationaler Filmkongress
der Filmstiftung NRW
Internationaler Konvergenzkongress:
Mobile Media, Games, Web 2.0, Podcast
Internationaler
Printkongress
19. medienforum.nrw Koelnmesse, Rheinparkhallen 18.– 20. Juni 2007
Frau Merkel, Herr Obermann und
Frau Reding haben den Termin
schon im Kalender. Und Sie?
19. medienforum.nrw 18.– 20. Juni 2007
www.medienforum.nrw.de
Verantwortlich für Konzeption und Durchführung des medienforum.nrw ist die LfM Nova GmbH.
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
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Wo geht‘s, bitte, zum Fernsehen?
| von Uwe Kammann
o geht’s, bitte, zum Fernsehen? Das war vor zwei, drei Jahren noch
eine ziemlich überflüssige Frage. Klar, auch heute hat der kleine
rote oder grüne Fernbedienungsknopf, ob Weichgummi oder Hartplastik,
noch nicht ausgedient. Mit ihm herrschen wir, ein/aus, rauf/runter, über
immer größere Bildschirme. Megazöller, Maxiauflösung, Minipixel.
Aber parallel tun sich immer mehr und immer neue Bilderwelten auf.
Ob handgerecht, auf dem Mobiltelefon, ob tisch- oder schossplatziert
(per PC oder Laptop), ob mitnahmefreundlich – bitteschön, DVB-T steht
nicht zuletzt fürs mobile Überall-Fernsehen –: Das scheinbar so fix und
fertige Medium, das für viele so schlicht wie (v)ergreifend die Glotze
war, verwandelt sich wie ein (Knet-)Gummiwurm. Allüberall, jederzeit, in
exklusiven Datenpaketen adressiert, in Wunsch-Dosen abgepackt, berechenbar und abrechenbar: Das gehört zur medialen Zukunft. Fernsehen,
das müssen wir bald verstehen als Teilmenge einer vielgestaltigen und
vielarmigen Veranstaltung, die nur mit einem Wort zuverlässig charakterisiert werden kann: hybrid.
Die Doppeldeutigkeit dieser Eigenschaft vergessen wir hier sofort. Kein
Wort also von hochmütig, überheblich, vermessen. Stattdessen konzentrieren wir uns auf die andere, die eher weiche Seite des Begriffs. Die, dies
vor allem, mit Mischungen, Vermischungen zu tun hat. Alles verbindet
und mischt sich mit allem und allen: Das ist das Hauptkennzeichen der
Medienzukunft. Und, in nicht wenigen Varianten und mit wachsenden
Mengen, auch bereits eine Erscheinung der medialen Gegenwart. Das gilt
für Inhalte, Wege, Plattformen, Akteure.
Mischungen: Ist dann überhaupt noch etwas kenntlich? Können wir im
verschlungenen Miteinander – das zunehmend auch Gleichzeitigkeit mit
einschließt – noch Dinge und Vorgänge unterscheiden? Oder ist, Stichwort Konvergenz, auch hier alles den Gesetzen der Verwirbelung unterworfen?
Schon der bloße Augenschein sagt: Nein, so weit ist es nicht. Noch nicht.
Und vielleicht wird es auch nie so sein. Obwohl kein medialer Sicherheitsbeamter der Welt garantieren kann, dass unterscheidbar gemeinte
und gemachte Dinge – sie seien hier schlicht noch Sendungen und Programme genannt und noch nicht einfach content – auch in der Wahrnehmung diese Eigenschaft behalten. Dass inzwischen alle, besser: fast
alle Welt von Format spricht, wenn es um Eigenschaften und Kennzeichen geht, und dass ebenfalls alle Welt das nur in Zwangsgemeinschaft
mit Uniformierung/Standardisierung sieht, gibt zu denken.
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leichwohl. Wenn die fünf Dutzend Grimme-Juroren, die für Nominierung und Platzierung auf dem Treppchen zuständig sind, ihr vielhundertfaches Pensum mit einem Blick erfassen würden, dann wäre immer
noch und sofort klar: Ja, es gibt sie, die ganz eigenständigen Sendungen
und auch die Linien dazwischen, welche ein Programm ausmachen.
Nochmals, dick unterstrichen: Ja, es gibt sie, die besonderen Qualitäten,
die man nicht erst mit drei, vier Mega-Lupen suchen muss, sondern die
ins Auge springen – und auch vom Verstand sortiert und analysiert werden können. Es gibt sie, die Fernsehfilme, die nicht aus dem Musterbaukasten stammen, und die Dokumentationen, welche nicht als verlängerte
visuelle Agenturmeldung daherkommen. Und es gibt auch jene Unterhaltung, welche zwar die wenigen Ur-Ideen nicht leugnen kann, aber
kraft eigener Intelligenz daraus genau jene Konstellationen erfindet, die
glücklich machen – weil sie frisch und witzig, frech und farbig sind.
Alles in Ordnung also? Ja, so schon. Aber jeder weiß auch: Diese Eindrücke, diese Wahrnehmungen, dieses Für-wahr-Nehmen, das alles ist
beim Fernsehen allzu flüchtig. Besser: Es wirkt so flüchtig. Es ist eben
ein Alltagsmedium, verfügbar wie aus dem Wasserhahn, und in solchen
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Mengen, dass es seine Inflationierung unabwendbar mit sich führt. Vergesslich macht es sowieso: Wer könnte das alles behalten, was aus dreißig Kanälen zu uns, auf uns kommt, rund um die Uhr?
Trotzdem, es ist nicht umsonst, etwas kenntlich zu machen, wiedererkennbar, so unverwechselbar, dass es im Gedächtnis bleibt – oder immer
wieder den Weg dahin findet. Manchmal hat das mit Monumenten der
Fernsehgeschichte zu tun. Mit Titeln, Namen wie „Acht Stunden sind kein
Tag“ – Rainer Werner Fassbinders ungewöhnlicher Serie über ein ungewöhnliches Sujet: das Arbeitsleben. Oder „Ein Tag“ – Egon Monks unübertroffene Verdichtung des KZ-Grauens. Der vielfache Grimme-PreisTräger Hans-Dieter Grabe steht für dieses Vergegenwärtigungsfernsehen
mit Erinnerungswert: Gerade ist der große Dokumentarist, der fest (!) in
Diensten des ZDF stand, 70 geworden.
Dass Erinnerung, dass Wieder- und Wiedersehen keine Sache vergangener Jahrzehnte ist, zeigen die DVD-Erfolge ganz aktueller TV-Serien.
„Six feet under“ als Sixpack, „Dittsche“ als Frisch-Konserve: vieles spricht
dafür, dass die bessere, die beste Qualität sich nicht so einfach versendet.
Wer übrigens sehen will, dass Vergangenes in der Gegenwart prägnanter
und lebendiger denn je sein kann, sollte die gerade restaurierte Fassung
von „Berlin Alexanderplatz“ in den DVD-Spieler legen. Ein kleines, nein,
ein großes Wunder erwartet ihn – dank digitaler Zaubermittel.
ithin: Vermischung – als Folge der Digitalisierung – ist nur die eine
Seite der Medaille. Die andere: Wir können, wenn wir denn nur
wollen, das Gute und das Beste in größerer Auswahl denn je sehen. Das
Potential ist groß, die Sender können vieles, wenn sie denn nur wollen.
Grimme steht dafür, dass diese Möglichkeiten mehr als nur Versprechungen bleiben. Eben, weil der Preis, der mit diesem Namen verbunden
ist, auf dem Unterscheidbaren besteht, auf dem Kenntlichen, auf dem
Reichtum vielfältiger Inhalte. Jeder ausgezeichnete Film des aktuellen
Jahrgangs, jede nominierte Sendung belegt: Es gibt herausragende Qualität im deutschen Fernsehen, mit vielen Handschriften, in vielfältigen
Konturierungen, Farben, Formen. Und dies in allen Genres, Unterhaltung
inklusive, allen Unkenrufen zum Trotz.
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Was nichts anderes bedeutet als: Der Preis ist heiß. Immer noch, immer
wieder. Und Grimme ist heiß – stellvertretend fürs Publikum – auf exzellentes Fernsehen. Daran ändert sich gar nichts. Auch wenn das Logo neu
ist. Ein Logo mit klaren Konturen, lebendigen Farben und offenen Armen.
Nur eines ist es nicht: hybrid.
Foto: Claudia Jaquet
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Uwe Kammann
Direktor
Adolf-Grimme-Institut
20.03.2007 12:06:52 Uhr
S & J 061.4024 S
Das Original mit Untertitel.
Die S-Klasse. Exklusiver Fahrservice beim Adolf-Grimme-Preis 2007.
䊳
Nach Form und Inhalt Vorbild zu
Fahrservice hinaus. Mit einem Stipendi-
sein: Das ist der Anspruch, der uns mit
um fördern wir die Projekte junger Filmer.
dem Geist des Grimme-Preises verbindet.
Thomas Durchschlag heißt der Gewinner
Darum geht unser Engagement über den
in diesem Jahr. Herzlichen Glückwunsch!
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Mercedes-Benz
20.03.2007 12:06:55 Uhr
43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
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Wo geht's, bitte, zum Fernsehen?
von Uwe Kammann ........................................................................................................................................................................................................................................... 3
Das Prinzip Hoffnung
von Peter Voß ....................................................................................................................................................................................................................................................... 6
Total normal – oder?
von Ulrich Spies ....................................................................................................................................................................................................................................................8
Drahtseilakt
von Claire Doutriaux ....................................................................................................................................................................................................................................... 14
Die Nominierungen zum Grimme-Preis 2007 ...........................................................................................................................................................................................16
Preisträger-Statements zum Grimme-Preis 2007 .................................................................................................................................................................................18
Aus der Nominierungskommission | Fiktion / Spezial
Planet Marl von Regina Reddig .................................................................................................................................................................................................................20
Aus der Nominierungskommission | Unterhaltung / Spezial
Sahnetorten von Hannah Pilarczyk .........................................................................................................................................................................................................24
Aus der Nominierungskommission | Information & Kultur / Spezial
Tradition eins, Tradition zwei von Senta Krasser ............................................................................................................................................................................28
Grimme-Preis | Fiktion
Meine verrückte türkische Hochzeit ......................................................................................................................................................................................................... 32
Wut ......................................................................................................................................................................................................................................................................... 34
Unter dem Eis ......................................................................................................................................................................................................................................................36
Arnies Welt ...........................................................................................................................................................................................................................................................38
Polizeiruf 110: Er sollte tot .............................................................................................................................................................................................................................40
Aus der Jury | Fiktion / Spezial
„Wir sind die Jury" von Katrin Schuster ............................................................................................................................................................................................. 42
Grimme-Preis | Unterhaltung
Türkisch für Anfänger ......................................................................................................................................................................................................................................46
Extreme Activity ................................................................................................................................................................................................................................................ 48
Aus der Jury | Unterhaltung / Spezial
Ausloten von Christian Bartels ...................................................................................................................................................................................................................50
Grimme-Preis | Information & Kultur
Deutsche Lebensläufe: Fritz Lang .............................................................................................................................................................................................................. 54
Stellmichein! ....................................................................................................................................................................................................................................................... 56
Weiße Raben – Alptraum Tschetschenien .............................................................................................................................................................................................. 58
Deutschland. Ein Sommermärchen ............................................................................................................................................................................................................60
Monitor ..................................................................................................................................................................................................................................................................62
Aus der Jury | Information & Kultur / Spezial
Kraftakte von Markus Brauck .....................................................................................................................................................................................................................64
Sonderpreis Kultur des Landes NRW
Art Safari ...............................................................................................................................................................................................................................................................68
Publikumspreis Marler Gruppe
Nicht alle waren Mörder ................................................................................................................................................................................................................................. 70
Die Auszeichnung des Stifters | Besondere Ehrung
Hape Kerkeling ....................................................................................................................................................................................................................................................72
Mercedes-Benz Förderstipendium
Thomas Durchschlag ........................................................................................................................................................................................................................................74
Bert-Donnepp-Preis 2006
Jörg Wagner .........................................................................................................................................................................................................................................................76
Frischzellen ...................................................................................................................................................................................................................................................................80
Das Plakat zum Grimme-Preis 2007: Dominik Diener und Markus Thiele ..............................................................................................................................84
Die Moderatorin des Abends: Asli Sevindim .............................................................................................................................................................................................86
Der Künstler des Abends: Wolfgang Hammerschmid .........................................................................................................................................................................86
Die Marler Gruppe ....................................................................................................................................................................................................................................................87
Guter Rat ist Grimme: Der Beirat für den Grimme-Preis und den Grimme-Online-Award .........................................................................................88
Sponsoren, Partner und Förderer des Grimme-Preises 2007 .........................................................................................................................................................90
Herausgeber
Adolf-Grimme-Institut
Gesellschaft für Medien, Bildung
und Kultur mbH
Postfach 11 48, 45741 Marl
Telefon (0 23 65) 91 89-0
Fax (0 23 65) 91 89-89
E-Mail [email protected]
Direktor Adolf-Grimme-Institut
Uwe Kammann
Referatsleitung Adolf-Grimme-Preis
Dr. Ulrich Spies
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Chefredakteur
Pierre Knaak
Titelbild
Dominik Diener, Markus Thiele
Mitarbeiter dieser Ausgabe
Christian Bartels, Markus Brauck, Claire
Doutriaux, Louisa Feldmann, Hen-Suk Jung,
Katrin Jurkuhn, Linus Holtermann, Uwe
Kammann, Evelyn Kramkowski, Senta Krasser,
Hannah Pilarczyk, Regina Reddig, Sven Schlüter,
Katrin Schuster, Ulrich Spies, Oliver Steuck,
Elisabeth Turowski, Peter Voß, Heidi Weinert
Druck
b+b Druck GbR
Klaus Breitfeld, Jürgen Biermann
Multimedia - Werbung - Druck
Zechenstraße 37, 45772 Marl
Grafik-Konzept, Satz und Layout
Carsten Jaeschke, Schmiku-Repro H. Schmidt
GmbH, Lohbachstr. 12, 58239 Schwerte
Das Adolf-Grimme-Institut wird vom Land
Nordrhein-Westfalen und der Stadt Marl
gefördert.
Nachdruck, auch auszugsweise, nur
mit Genehmigung der Redaktion.
Fotocredits: siehe Filme
Impressum
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Das Prinzip Hoffnung
Vom Wesen und Unwesen der Preiserei
| von Peter Voß
ls ich am 4. April 1992 die Redaktion betrat, ahnte ich noch nicht,
dass dieser Tag einer der Höhepunkte meiner journalistischen
Laufbahn werden sollte. An diesem Tag wurde in Hamburg die Theologin Maria Jepsen als erste Frau in Deutschland ins Bischofsamt gewählt. Ein Thema für uns im „heute-journal“, ganz klar. Ich moderierte
unseren Beitrag mit einem fröhlichen „Wie gut, dass es Maria gibt“
an. Diese Moderation trug mir einige Monate später meinen ersten
und bisher einzigen Journalistenpreis ein – die begehrte „Saure Gurke“, die alljährlich beim Herbsttreffen der Medienfrauen vergeben wird.
Begründung der Jury: Es sei uns „in klassischer Weise gelungen, ein
außerordentliches Ereignis auf ein lockeres Unterhaltungsstückchen zu
reduzieren.“
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Foto: SWR/ Frank Paul Kistner
Nun wird sich manch einer verwundert fragen:
Ist der Voß darauf am
Ende etwa stolz, oder
warum erwähnt er diese Auszeichnung noch
fünfzehn Jahre später?
Ganz einfach: Weil erst
sie mich legitimiert, auf
die Frage zu antworten:
„Wozu noch Medienpreise?“ Ob Preise wirklich etwas bewirken, ob
sie das Programm oder
das Blatt, also das publizistische Produkt am
Ende wirklich verbessern
Peter Voß
oder ob es umgekehrt
ohne die Fülle der Preise schlechter würde, das kann vermutlich noch
nicht einmal die Medienforschung herausfinden. Wirklich kompetent
kann sich dazu außerdem natürlich nur derjenige äußern, der schon
einmal einen Preis erhalten hat. Wer keinen Preis vorweisen kann und
Medien- und Journalistenpreise für wichtig und großartig erklärt, tut
dies nur in der Erwartung, irgendwann selbst doch noch einen zu gewinnen. Wer keinen Preis vorweisen kann und Preise für generell überflüssig oder überholt erklärt, ist ein Neidhammel. Nur wer selbst ein
stolzer Preisträger ist, kann also unbefangen urteilen.
ermutlich wird mein Lobpreis des Preiswesens nicht alle überzeugen. Doch was könnte man anders machen? Dazu, damit die Sache
auch den nötigen Ernst bekommt, drei vorsichtige Hinweise, von denen
ich natürlich auch nicht weiß, ob und wie sie sich auf die Qualität
unserer Arbeit generell auswirken würden – da gilt das Prinzip Hoffnung:
V
1. Preise sind und bleiben ein wichtiger Ansporn für Journalisten,
sich um Qualität zu bemühen. Weniger Preise täten uns gut. Dann
bekäme nicht mehr jeder sein Stück vom Kuchen, aber die Preise
würden wieder exklusiv. Preisgeber könnten sich zusammenschließen und die Verleihung gemeinsam ausrichten. Gerade wenn es weniger Preise gibt, können die bedeutenden – zu denen der GrimmePreis natürlich zählt – ihre Aufgabe besser erfüllen: Motivation
und zugleich Maßstab für den Arbeitsalltag zu sein.
2. Mutigere Entscheidungen tun not. Wer einen Preis verleiht, erregt
Aufmerksamkeit und sollte diese gelegentlich auch einmal nutzen,
um einen ungewöhnlichen Standpunkt zu beziehen, vielleicht sogar
zu provozieren.
3. Wer als Preisgeber auf ein Preisgeld verzichtet, gibt dem Preis
Glaubwürdigkeit. Ich kenne den Einwand: Gerade für viele freie
Journalisten sind Preisgelder eine wichtige Ergänzung zum Einkommen. Aber gerade dieser Einwand nährt doch den – in vielen Fällen
gewiss unzutreffenden – Verdacht, dass das Preiswesen nicht allein
die Qualität der Beiträge würdigt.
ohlan: Medienpreise sind schon allein deshalb sinnvoll, weil sie
jedes Mal eine „Win-win-win“-Situation herstellen. Jeder der
Beteiligten hat etwas davon: Der Preisträger Preisgeld und Ehre, der
Preisgeber das Prestige des Spenders und die Juroren die Spesen. Kein
Wunder also, dass sich solche Preise als Erfolgsmodell großer Beliebtheit und Verbreitung erfreut. Ich habe die in Deutschland ausgelobten
Preise nicht gezählt, aber es werden täglich mehr. Bald schon dürfte es
schwer fallen, eine journalistische Leistung zu erbringen, die nicht ins
Visier einer Fachjury zu geraten droht. Leider hat aber unser Berufsstand mit dieser Entwicklung nicht ganz mithalten können: Die Gesamtmenge potenzieller Preisempfänger ist begrenzt, die der Juroren
und schließlich der Laudatoren ebenso. Zum Glück kennen wir – von
den Grünen der 80er Jahre und von Bayern München – das Prinzip der
Rotation. Das Durchwechseln der Rollen unter den Akteuren ermöglicht einen reibungslosen Ablauf des Medienpreisbetriebs, der sonst
gewiss längst ins Stocken geraten wäre. Sie sind also vital, die Selbstheilungskräfte unserer Branche.
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WEISSE RABEN – Alptraum Tschetschenien
GRIMME PREIS 2007
zero one film gratuliert Tamara Trampe und Johann Feindt
zum Grimme-Preis 2007 und dankt allen Mitstreitern, die
geholfen haben, WEISSE RABEN zu realisieren.
Wir möchten zugleich an Anna Politkowskaja erinnern,
die einem Attentat zum Opfer fiel, weil sie mutig
ihre Stimme erhob gegen den Krieg in Tschetschenien.
Eine Produktion der zero one film in Koproduktion mit ZDF und
Zusammenarbeit mit ARTE, gefördert von der Filmstiftung NRW
im Rahmen des Gerd-Ruge-Projektstipendiums.
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Total normal – oder?
Migration und Integration als Schwerpunkt des Grimme-Jahres 2006
| von Ulrich Spies
enn es um die eigene Geschichte geht, ist das Fernsehen ein eher
ahistorisches Medium. Es kümmert sich akribisch und termingenau um die Aufarbeitung von Jahres- und Gedenktagen, produziert am
laufenden Band Serien und Mehrteiler über die jüngste deutsche Vergangenheit („Nicht alle waren Mörder“, „Dresden“, „Die Luftbrücke“, „Die
Sturmflut“), doch an kritischer Selbstreflexion – an Bezügen zu Aufgaben,
Verantwortung und Erfolg eines im öffentlichen Auftrag handelnden Mediums – fehlt es in letzter Zeit zunehmend.
Foto: NDR
W
schichte. Aber auch Darstellungen zu Umwelt und Entwicklung, soziale
Realitäten im Fernsehfilm, Bildende Kunst und Musik, gesellschaftliche
Randgruppen, politische Umbrüche, Reportagen und investigativer Journalismus sowie die Suche nach Qualität im Populären kennzeichnen die
Programmchronik.
as Thema Migration und Integration wird seit Vergabe des Sonderpreises „Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland“ am Anfang
der 80er Jahre beim Grimme-Preis immer wieder behandelt und auch
prämiert. In jüngster Zeit durch Sendungen wie „Ich Chef, Du Turnschuh“
(2000), „Kurz und schmerzlos“ (2001), „Absolut Warhola“ (2003) „Zuckerbrot“ (2004), „Grüße aus Kaschmir“ und „Zeit der Wünsche“ (2005), „Abschiebung im Morgengrauen“ und „Abenteuer Glück“ (2006).
D
Der Themenkomplex gehört zu den großen Zukunftsfragen, auf die dringend Antworten gefunden werden müssen. Migration ist oft gesellschaftlich, wirtschaftlich und kulturell bereichernd, aber gleichzeitig führt sie zu
Spannungen und Konflikten. Beim Prozess, in welcher Form die Gesellschaft sich darauf einstellt und kulturelle sowie religiöse Vielfalt akzeptiert, kommt den Medien – speziell dem ‚Leitmedium’ Fernsehen – eine
besondere Verantwortung und Vermittlerrolle zu.
„Abgetaucht – Illegal in Deutschland“
Foto: WDR/Fulvio Zanettini
Der Adolf-Grimme-Preis ist das offenkundige Gedächtnis des Fernsehens.
Seit 1964 werden die Highlights des TV-Jahres von unabhängigen Kommissionen und Jurys unter die Lupe genommen und auf Qualitäten im
Sinne formaler und inhaltlicher Vorbildhaftigkeit geprüft. Am Ende dieses
mehrere Wochen dauernden Sichtungs- und Entscheidungsprozesses stehen dann – wie Heinrich Breloer es einmal formuliert hat – die jährlichen
Ermahnungen aus Marl. Als Lob für das Vorbildliche.
Bei genauer Analyse der Preisentscheidungen aus mehr als vier Jahrzehnten ragen einige Themenbereiche heraus. So zieht sich die Aufarbeitung des Nationalsozialismus wie ein roter Faden durch die Preisge„Die Özdags“
Bei den Nominierungen zum 43. Grimme-Preis gehörten insgesamt acht
Fernsehfilme und Serien, Dokumentationen und spezielle TV-Leistungen
zum Komplex Migration und Integrationen und bildeten damit in dieser
Häufung einen einmaligen Schwerpunkt. Sicher ein Beleg für die Herausbildung einer multikulturellen Gesellschaft und dafür, dass die Bundesrepublik faktisch zum Einwanderungsland geworden ist.
B
Foto: SWR
ildschirmpräsente Personen wie Ranga Yogeshwar, Cherno Jobatey,
Aiman Abdallah oder Asli Sevindim sind für das deutsche Publikum
längst Beispiele für erfolgreiche und gelungene Miteinbeziehung von
Journalisten mit Migrationshintergrund – so das derzeitige Schlagwort
– im Fernsehen. Dazu zählt in jüngster Zeit auch die junge deutsch-iranische Korrespondentin Golineh Atai.
Golineh Atai
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1974 in Teheran geboren, kam sie im Alter von fünf Jahren mit ihren Eltern
nach Deutschland, studierte Romanistik, Politik- und Islamwissenschaften.
Nach einem Volontariat bei SWR und ARD sowie Mitarbeit im SWR-IrakPool berichtet sie seit Mai 2006 für die ARD aus Kairo. Für die souveräne,
fundierte und analytische Berichterstattung aus dem Nahen Osten - insbesondere während des Krieges zwischen Libanon und Israel - sowie für
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Wir gratulieren
Aelrun Goette
Bibiana Beglau
Jens Harant
zum
Adolf-Grimme-Preis 2007
und bedanken uns bei allen
Beteiligten für ihre Energie und
die gute Zusammenarbeit!
Ernst Ludwig Ganzert
und das gesamte
Team der EIKON
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
ihre bemerkenswert stilsichere und verständliche Form der Präsentation
wurde sie in der Kategorie Information & Kultur für einen Preis nominiert.
Was es heißt, als Sohn eines türkischen Gastarbeiters und einer deutschen
Mutter 38 Jahre lang ohne Vater groß zu werden, hat der bereits drei Mal
(„Der Tunnel“, „Die EM-TV-Story“ und „Broadway Bruchsal“) beim Grimme-
Foto: Archiv Adolf-Grimme-Institut
Adolf Grimme
Adolf Grimme wurde am 31. Dezember 1889 in Goslar geboren, studierte in Halle, München, Göttingen und schloss dort 1924 mit dem
Staatsexamen in den Fächern Germanistik und Philosophie ab. Seine
ersten Berufsjahre führten ihn in die preußische Schulaufsicht: 1925
Oberschulrat (Magdeburg), 1928 Ministerialrat im preußischen Kultusministerium, 1929 Vizepräsident des Provinzialschulkollegiums von
Berlin und der Mark Brandenburg und schließlich 1929 (bis zum v. Papen-Staatsstreich 1932) preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst
und Volksbildung. Von der Gestapo 1942 („wegen Nichtanzeige eines
Vorhabens des Hochverrats“) verhaftet, verbüßte er bis zur Befreiung
durch die Alliierten 1945 eine Zuchthausstrafe. Unmittelbar nach dem
Krieg wurde er zum ersten Kultusminister des Landes Niedersachsen
berufen, bevor man ihn 1948 zum Vorsitzenden des NWDR-Verwaltungsrats und später einstimmig zum Generaldirektor des NWDR (mit
Sitz in Hamburg) wählte. Mit seiner Ernennungsurkunde, überreicht
durch den BBC-Repräsentanten Hugh Carleton Greene, wurde ihm als
erstem Deutschen nach dem Krieg das Recht zur Verantwortung eines
freien Rundfunks in einer demokratischen Gesellschaft übertragen. Am
31. Dezember 1955 trat er von seinem Amt als NWDR-Generaldirektor
zurück. Er starb am 27. August 1963 in Degerndorf am Inn. Adolf Grimme gehört wie Theodor Heuss, Friedrich Ebert und Walter Rathenau zum
Kern des deutschen demokratischen Erbes.
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„Mein Vater – der Türke“
Preis ausgezeichnete Marcus Vetter auf eindrucksvolle Weise in seinem
Film „Mein Vater, der Türke“ (ARD/SWR) dokumentiert: Alles begann Ende
der 60er Jahre mit einer Liebesgeschichte zwischen seinem Vater Cahit
Cubuk aus Anatolien, der sein Glück als Koch im Wirtschaftswunderland
Deutschland versuchte, und seiner Mutter Gerlinde, die ein Germanistikstudium auf Druck ihrer Familie aufgab und eine Stelle als Hilfskraft in
einer Bank annahm. Als sie schwanger wurde, erfuhr sie, dass Cahit bereits
eine Familie in der Türkei hat: eine Frau und zwei Kinder. Kurz vor Marcus’
Geburt fährt Cahit nach Anatolien, um seine kleinen Töchter zu besuchen
– und kehrt nicht mehr nach Deutschland zurück.
Foto: ZDF/Eyal Fischer
it der 1992 ausgezeichneten Serie „Die Fussbroichs“ hat Ute Diehl
bereits Einblicke in das Leben einer Kölner Arbeiterfamilie geboten,
die für viele Zuschauer überraschend, neu und dazu überaus unterhaltsam waren. Diesmal waren die „Die Özdags“ (WDR) nominiert, die mit viel
Charme und Temperament, Konfliktfreudigkeit, Harmoniestreben und beeindruckender Offenheit zeigen, wie das Leben einer türkischen Großfamilie in Deutschland aussieht. Seit drei Generationen lebt die Familie in
Deutschland: Hasan Özdag, der in den 70er Jahren seine Heimat verließ
und in Köln-Mülheim eine Bäckerei eröffnet hat, seine Frau Aliye, ihre
sieben Kinder und vier Enkel. Mit den „Özdags“ will Ute Diehl auf ebenso informative wie unterhaltsame Weise dazu beitragen, dass wir unsere
türkischen Nachbarn in Zukunft besser verstehen. Denn Verständnis ist die
Basis, auf der Integration erst möglich wird.
Foto: SWR/Christian Lackner
M
„Willkommen in Israel“
ie Fernsehdokumentation „Abgetaucht – Illegal in Deutschland“ (NDR)
greift das Schicksal der bis zu eine Million Menschen auf, die ohne
gültige Papiere in Deutschland leben - nirgends gemeldet, nirgends registriert. In unaufgeregter Manier schildert der Beitrag den Alltag verschiedener illegaler Einwanderer, die sich in Hamburg Tag für Tag durchschlagen, ständig auf der Hut vor einer Razzia, vor Verrat und Denunziation.
Ein knappes Jahr lang hat Autor Hauke Wendler gebraucht, um in diese
Schattenwelt einzutauchen. Für die Recherche der Protagonisten benötigte er gut sechs Monate, mit Dutzenden von Treffen in Kneipen, Cafes und
Fußgängerzonen, um das Vertrauen der Protagonisten zu gewinnen. Die
Dokumentation verzichtet bewusst auf dramatisierende Elemente. Vielmehr kommen die illegalen Einwanderer selbst zu Wort und berichten von
den Nöten eines Lebens in der permanenten Illegalität.
D
Auch andere Staaten sind natürlich mit der Zuwanderung von Menschen
aus oft fernen Ländern und Kulturkreisen konfrontiert. In seinem Langfilmdebüt „Willkommen in Israel“ (ZDF/ARTE) zeigt Autor und Regisseur
Eyal Halfon eine weitgehend unbekannte Seite seines Heimatlandes: die
der Einwanderungsgesellschaft für Arbeitsmigranten aus ärmeren Ländern
wie Thailand, den Philippinen und der Ukraine. Der kritische Blick erfasst
nicht nur die teilweise brutale Ausbeutung der ausländischen Arbeitskräfte. Erzählt wird auch von der Einsamkeit der älteren Generation, von der
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emotionalen Armut und den Beziehungskrisen der israelischen Arbeitgeber. In drei unterschiedlichen, geschickt verknüpften Geschichten wird auf
so eindringliche wie unaufdringliche Art dargestellt, was beide Seiten einander geben können.
Die Jury klassifizierte „Wut“ als „eine schroffe, dramaturgisch radikal voran getriebene Tragödie des Zusammenpralls zweier Kulturen, die einander
zutiefst fremd sind“. Gezeigt werde „das pessimistische Bild gescheiterter
Integration und eklatanter Hilflosigkeit auf beiden Seiten“. „Wut“ sei aber
auch das Drama einer allein gelassenen Jugend, deren Väter als Vorbild
nicht mehr taugten. Denn so wenig wie der tolerante Intellektuelle Simon
die Realität seines Sohnes Felix verstehe, so wenig sei Cans Vater der kriminellen Energie seines Sohnes gewachsen.
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Foto: ARD
inen ganz anderen Weg der Vermittlung von Toleranz und Verständnis
zwischen Türken und Deutschen geht der Autor Daniel Speck mit „Meine verrückte türkische Hochzeit“ (ProSieben). Speck, in Deutschland geborener Sohn eines Tunesiers und einer Deutschen, weiß genau, was es heißt,
mit zwei Kulturkreisen heranzuwachsen. Er kennt die Regeln des Koran
und kann dem Zuschauer - ohne erhobenen Zeigefinger, sondern augen-
„Türkisch für Anfänger“
m Zentrum der schließlich mit dem Preis ausgezeichneten drei Programme geht es – formal höchst unterschiedlich gestaltet – sowohl um
friedliches und harmonisches Zusammenleben als auch um Konflikte zwischen in Deutschland lebenden Türken und den deutschen Bewohnern.
Das Zusammenwachsen einer türkisch-deutschen Patchworkfamilie in der
Serie „Türkisch für Anfänger“ (BR/NDR) – der Polizist Metin zieht, inklusive Sohn Cem und Tochter Yagmur, zusammen mit der Psychotherapeutin
Doris samt Tochter Lena und Sohn Nils – ist mit gehörigen Anfangsschwierigkeiten verbunden. Das angestrebte Familienglück wird auf harte Proben
gestellt. Die Jury lobt hier eine seltene Qualität, weil Humor und Tempo
Foto: Jörg Plambög/ProSieben
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„Meine verrückte türkische Hochzeit“
Foto: ARD/Hardy Spitz
zwinkernd und amüsant - klar machen, mit welchen Tücken ein Wechsel
vom christlichen Glauben zum Islam behaftet sein kann. Speck hatte das
Glück, einen Sender und ein Produktionsunternehmen zu finden, welche
seinen ironisch-subversiven Ansatz beim interkulturellen Dialog goutierten; und, zweiter Glücksgriff, es gab einen kongenialen Regisseur, der mit
einem grandiosen Schauspielerteam ein modernes Berliner Märchen aus
1001 Nacht zu erzählen vermag. Der Lohn: ein Grimme-Preis.
Bleibt zu hoffen, dass es auch künftig heißt, wenn es um die Präsenz des
Themenfelds Migration/Integration geht: total normal.
„Wut“
Der Fernsehfilm „Wut“ (ARD/WDR) sorgte wegen seiner realistischen Darstellungen von Gewalt und seines tragischen Endes bereits vor der Ausstrahlung für eine kontroverse Debatte. Die ursprünglich für 20.15 Uhr
geplante Sendung wurde ins Spätprogramm auf 22 Uhr verschoben. In der
anschließenden, von Sandra Maischberger und Asli Sevindim moderierten
Diskussion debattierten Experten, Programmverantwortliche, Politiker und
Betroffene zu den aufgeworfenen Fragen – zu denen auch das Verhältnis
von Kunstfreiheit und gesellschaftlicher Realität gehört.
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Dr. Ulrich Spies, Jahrgang 1947, Studium der
Rechts- und Sozialwissenschaften in Frankfurt/
Main und Göttingen, 1974 Dipl. disc. pol., 1982
Dr. rer. pol. (Freie Universität Berlin), 1978 bis
1981 Geschäftsführer der Gesellschaft für interdisziplinäre Sozialforschung, Berlin, seit Oktober
1981 Leiter des Referats Adolf-Grimme-Preis
beim Adolf-Grimme-Institut, Marl.
Foto: Kurt Lauber
auf hohem Niveau durchgehalten werden. Dem deutsch-türkischen Autor
Bora Dagtekin sei es gelungen, alle Gefahren des potenziell ballastreichen
Themas leichtfüßig zu umgehen und trotzdem die Botschaft nicht bis zur
Unkenntlichkeit zu verbergen. Wie gut die Serie ihrer inneren Aufgabe
– Integration – gerecht wird, belegen die äußerst positiven Reaktionen aus
türkischen Gruppierungen.
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tack-graphik.de
43. Adolf-Grimme-Preis
Publikumspreis 2007
NICHT ALLE
WAREN MÖRDER
Ein Film von Jo Baier
nach den Erinnerungen von Michael Degen
Buch & Regie: Jo Baier
Darsteller: Nadja Uhl, Aaron Altaras, Hannelore Elsner,
Dagmar Manzel, Katharina Thalbach, Maria Simon,
Richy Müller, Axel Prahl
Produzenten: Gabriela Sperl, Nico Hofmann, Jürgen Schuster
SWR / Das Erste
Wir gratulieren Jo Baier, Nadja Uhl und Aaron Altaras
zu ihren herausragenden Leistungen!
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Drahtseilakt
Ein Jahr danach – was bringt der Grimme-Preis?
| von Claire Doutriaux
aris, März 2006. Wir sitzen im Schneideraum und schauen uns gemeinsam die gerade fertiggestellte Sequenz an. Wir, das sind die
vier Deutsch-Franzosen der Redaktion von Karambolage, dazu die zwei
Cutter und die Produktionsleiterin.
Viereinhalb Minuten über die Vereidigung der Bundeskanzlerin und ihrer Minister/innen. „So wahr mir Gott helfe“, alle beenden ihre Vereidigung mit diesem für französische Ohren recht merkwürdig klingenden
Satz, nur Brigitte Zypries verzichtet darauf. Insgeheim danke ich der
Justizministerin, denn damit gibt sie uns die Möglichkeit, auf das Verhältnis von Kirche und Staat in Deutschland hinzuweisen, das sich von
dem in Frankreich grundlegend unterscheidet. Seit langer Zeit hatten
wir nach konkreten Bildern gesucht, um diesen fundamentalen Unterschied anschaulich zu machen.
Foto: Petra Kammann
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Eine Assistentin kommt
herein: Herr Spies vom
Grimme-Institut sei am
Apparat. Ob er später anrufen solle? Schweigen.
Ich hatte es im Hinterkopf seit einigen Tagen:
Gerade tagt die Jury in
Marl. Wir schauen uns
kurz an, dann gehe ich
ans Telefon. Ich bekomme den Grimme-Preis
für „Idee, Konzeption und
Realisation von ‚Karambolage’“.
Natürlich wussten wir,
dass die Sendung nominiert war. Sie war sogar
beim Mediengottesdienst in Marl auf einer großen Leinwand zum Auftakt der Jury-Woche gezeigt worden. Ich war im Skiurlaub, also war
Maija hingefahren und hatte in der Kirche Rede und Antwort gestanden. Maija-Lene Rettig. Wir arbeiten seit 12 Jahren zusammen, seit
„Brut“.
Claire Doutriaux
„Brut“: Das war auch schon ein Wochenmagazin. Mein Kollege Paul
Ouazan und ich realisierten es intern bei ARTE France, so wie auch
„Karambolage“ heute intern entsteht. „Brut“ war der Versuch, einmal
die Woche, freitags um 20 Uhr, eine experimentelle Alternative zur „Tagesschau“ und dem Journal télévisé von TF1 und France 2 anzubieten.
Wir zeigten nicht die offizielle Erklärung des Pressesprechers, sondern
wir zeigten, wie gerade zuvor der Pressesprecher mit seinen Mitarbeitern die „richtigen“ Worte für seine Erklärung zusammengesucht hatte.
„Brut“ gefiel und missfiel und wurde nach vier Jahren auf dem Altar
des Konsenses geopfert. Aber ARTE France erlaubte, dass wir uns weiter
austobten, in dem kleinen, eigens für uns eingerichteten „Atelier de
Recherche“: seitdem haben wir zwar keinen festen Sendeplatz, dafür
aber können wir die Produktionsmöglichkeiten von ARTE France ohne
Einschränkung nutzen.
Der Grimme-Preis also. Wir fallen uns in die Arme. Wir, das heißt die
Deutschen und ich. Die Franzosen schauen uns etwas perplex und
amüsiert zu.
Wie kann man sich so freuen über einen unbekannten Preis? In Frank-
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reich kennt man Grimme nicht. Ich werde gebeten, die Nachricht bis
zur Preisverleihung, die einen Monat später stattfinden soll, geheim zu
halten. Wir lachen darüber. In Frankreich wäre das völlig unmöglich,
da würde sicher etwas durchsickern und die Zeitungen würden sofort
darüber berichten. Beim Champagner versuchen wir den Franzosen zu
erklären, wer Adolf Grimme war, was dieses Institut und der Preis bedeuten. In Deutschland.
n den 70er Jahren kam ich nach Deutschland, „um zu studieren“. So
sagte man. Eigentlich kam ich nach Deutschland, um zu leben. Mein
Vater, der im 2. Weltkrieg als junger Soldat vier Jahre lang in einem
Gefangenenlager in Schlesien verbrachte, wollte, dass seine Kinder
deutsch lernen. Gegen Leute, mit denen man sprechen kann, könne
man nämlich keinen Krieg führen. In meiner Jugend verbrachte ich also
regelmäßig meine Ferien in einer deutschen Familie. In Düren, der Partnerstadt meiner nordfranzösischen Geburtsstadt Valenciennes. Düren:
eine Stadt der 50er Jahre, die 1945 bombardiert worden war. Die Mutter meiner deutschen Freundin hatte dabei beide Beine verloren.
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Mit der Dürener Clique wanderte man durch die Eifel bis zu Jugendherbergen, wo man im Alter von 15 Jahren mit großem Ernst Referate
über Kindererziehung in Wohngemeinschaften hielt. Dann wurde Bier
getrunken, der Kellner markierte Striche auf dem Bierdeckel, alle vier
Striche einen Querstrich. Ich war verliebt.
Später, als wir gemeinsam studierten, wurde epd Film gelesen. Dass wir
keinen Fernseher besaßen, hinderte uns nicht daran, die Medienkritik
zu verschlingen. Ich las über Dokumentarfilme, die ich nicht gesehen
hatte, über Fernsehsendungen, die ich nie sehen würde.
Der Direktor von ARTE France ruft mich an, gratuliert. Der Programmdirektor aus Straßburg tut das gleiche. Überhaupt, die Deutschen von
ARTE und ARTE Deutschland sind angetan. Ich spüre mit jedem weiterem Anruf, wie „Karambolage“ an Gewicht gewinnt.
„Karambolage“. Der Versuch, meinen inneren Dialog zwischen zwei Kulturen, zwischen zwei Sprachen nach außen zu tragen. Ein Drahtseilakt.
Mehr als zehn Jahre mussten seit meiner Rückkehr aus Deutschland
vergehen, bevor ich dieses Unternehmen wagte, bevor ich die verknoteten Fäden mit Humor und Selbstironie entwirren konnte. Nicht in
Gemeinplätze verfallen, die eigene Neugier befriedigen, sich den lebendigen, spielerischen Ton bewahren.
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in Monat später. Mercedes ist Sponsor. Ich werde am Düsseldorfer
Flughafen von einem Chauffeur in einer Luxuslimousine abgeholt,
einer fürsorglichen Mitarbeiterin des Grimme-Instituts übergeben, die
mich von nun an auf Schritt und Tritt begleitet. Presseempfang. Wir
müssen nun die Treppe zum Marler Rathaus hochsteigen. Etliche Fotografen warten auf die Gewinner. Meine Begleiterin mag wohl wiederholen: Bitte, sie ist Preisträgerin ... die Apparate verharren in Stille, die
mein Ego verletzt. Die Fotografen warten auf die Stars, auf die Schauspieler des deutschen Fernsehens – was soll hier dieses unbekannte
Gesicht des Nischensenders ARTE?
ARTE. Seit der Entstehung des Senders arbeite ich hier, davor habe ich
von meinem Hamburger Büro aus an seiner Entstehung mitgewirkt,
allen Gespräche, allen Diskussionsrunden beigewohnt. Kopfgeburt
nannten ihn damals die Herren der deutschen Fernsehanstalten, die
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www.arte.tv
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ohne große Begeisterung in diesen von Paris und Bonn gewollten Sender einstiegen. In Deutschland bleibt die Konkurrenz bis heute hart:
3sat, die Dritten Programme. In Frankreich, wo die anderen Sender uns
liebend gern das unbestimmte und weite Feld der „Kultur“ überlassen
(ach, die Diskussionen im Sender über die Begriffe Kultur und cultures),
in Frankreich also, ist zwar die Einschaltquote ungefähr viermal so
hoch, stagniert jedoch seit einiger Zeit. Wir Programm-Macher werden
ermahnt, der Sender probiert unermüdlich neue Konzepte aus und vergisst dabei hin und wieder, dass hinter Einschaltquote und Marktanteil
einzelne Menschen stehen. In Frankreich sehen jede Woche im Schnitt
500.000 Menschen „Karambolage“, in Deutschland sind es ca. 70.000.
Die Preisverleihung findet im Marler Theater statt. Bevor die Gewinner auf die Bühne kommen, läuft ein kurzer Trailer der preisgekrönten
Produktion.
Als ich in Paris mit dem Cutter den Trailer zusammenstellte, schien
er der vom Grimme-Institut erwünschten „Vielfalt der gestalterischen
Form“ der Sendung gerecht zu werden. Als ich ihn jetzt sehe, erscheint
er mir zu schnell und unverständlich. Habe ich etwa unbewusst beim
Überfliegen der Grenze wieder die deutsche Brille aufgesetzt und
nehme nun dieselben Bilder anders wahr? Aber es bleibt keine Zeit,
mich dieser ewigen Frage, die mich ständig beschäftigt, zu widmen,
denn schon werde ich auf die Bühne gerufen.
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ie Moderatorin findet nette Worte. Der Saal lacht, ich scheine also
die passende Antwort gefunden zu haben. Sie will mich schon
verabschieden, aber da trotze ich flink den unzähligen Vorwarnungen
(„Und bitte fangen Sie nicht an sich zu bedanken, alle sagen doch immer das gleiche“) und füge noch einige Worte hinzu, um mich bei ARTE
France für die Gründung des Ateliers de Recherche zu bedanken, ohne
das es „Karambolage“ nicht gäbe.
Als ich schließlich den auf der Hand liegenden und eigentlich banalen
Satz sage: „Das Fernsehen braucht Experimentierfelder“, applaudiert
der Saal heftig. Ich verlasse die Bühne. Gerne wäre ich noch präziser
gewesen, saßen doch die Chefs von ARTE in den ersten Reihen. Auch
ARTE Deutschland braucht ein solches Atelier de Recherche, eine Werkstatt, ein Labor, um neue Ideen zu verwirklichen.
Ein Jahr später. Wir arbeiten an der 122. Sendung. Das zweite Buch
zur Sendung ist gerade fertig geschrieben, die dritte DVD in Arbeit.
Ich bekomme die Zuschauerzahlen des Jahres 2006. Der Marktanteil
von „Karambolage“ ist in Deutschland um 20% gestiegen. Also 14.000
zusätzliche Zuschauer jede Woche. Dank Grimme? Dank Grimme.
Die Nominierungen zum Grimme-Preis 2007
UNTERHALTUNG
Einzelsendungen / Formate
Ready, Paddy, Show! (Super RTL)
SPEZIAL
Guildo und seine Gäste (SWR)
We are family: Unsere Mama ist ein Schmetterling (ProSieben)
Olli Dittrich für die parodistische Darstellung und Dekonstruktion der Medienfigur
Franz Beckenbauer in der Harald-Schmidt-Show Spezial „Was tun Herr Beckenbauer?“
Eine große Nachtmusik (ZDF)
(ARD/WDR).
Schlag den Raab (ProSieben)
Werner Martin Doyé und Andreas Wiemers als Autoren der Rubrik „Toll“ in
Die Kunst des Fußballs (ZDF/ARTE)
Suche Familie! (RTL II)
Extreme Activity (ProSieben)
Türkisch für Anfänger (BR/NDR)
Pastewka: Das Praktikum (Sat.1)
Frontal21 (ZDF).
Alexander Bojcan für seine herausragenden Präsentations- und Talkleistungen in
der Figur des Kurt Krömer in „Bei Krömers“ (rbb).
Hape Kerkeling für die Kreation der Figur Horst Schlämmer und sein Improvisationsvermögen bei den Auftritten in „Wer wird Millionär? - Prominentenspecial“ (RTL) und
beim „Deutschen Comedy Preis 2006“ (RTL).
Die Özdags (WDR)
Das perfekte Dinner (VOX)
Was liest Du? (WDR)
Der Boss sind wir (ZDF/KIKA)
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FIKTION
Fernsehspiel / TV-Movies
Leo (ARD/BR)
Netto (ZDF)
Polizeiruf 110: Dunkler Sommer (ARD/NDR)
Kommissarin Lucas – Das Verhör (ZDF)
Polizeiruf 110: Er sollte tot (ARD/BR)
Allein (ARD/WDR)
Nicht alle waren Mörder (ARD/SWR/BR/rbb)
Blond: Eva Blond – Der sechste Sinn (Sat.1)
Meine verrückte türkische Hochzeit (ProSieben)
Unter Verdacht: Ein neues Leben (ZDF)
Tatort: Außer Gefecht (ARD/BR)
Willkommen in Israel (ZDF/ARTE)
Tod eines Keilers (ZDF/SF)
Bloch: Der Mann im Smoking (ARD/SWR/WDR)
Unter dem Eis (ARD/SWR/rbb)
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Weiße Raben (ZDF/ARTE)
Kalter Krieg ums Öl – Amerika und China auf Kollisionskurs (ZDF/3sat)
Feuertod (RTL)
Gesicht auf Bestellung (ARD/HR)
Die große Depression (ZDF)
die story: Müll-Geschäfte (SR/WDR)
Beruf Lehrer (ARD/SWR)
Deutsche Lebensläufe: Fritz Lang (ARD/SWR)
Zwischen Bürgerrechtlern und Barbecue (ARD/NDR)
die story: Ein Tod in Texas (WDR/ARTE)
Deutschland. Ein Sommermärchen (ARD/WDR)
Die Spielwütigen (ZDF)
GI’s in Rot-China (ARTE)
Das Ende der Kindheit (ZDF/ARTE)
Art Safari (ZDF/ARTE)
Expedition ins Gehirn (RB/ARTE/WDR/MDR/RAI/RTE/UR/EBU)
Stellmichein! (ZDF)
Wut (ARD/WDR)
Auf ewig und einen Tag (ZDF/ARTE)
Zwei Engel für Amor (ARD/NDR)
SPEZIAL
Blackout (Sat.1)
Helen, Fred und Ted (ARD/BR/NDR)
Dresden [2tlg.] (ZDF)
Arnies Welt (ARD/WDR)
Jürgen Klopp für die neuartige, anschauliche und auf den Punkt gebrachte Analyse
von Fußballspielen in der ZDF WM Arena während der FIFA-WM 2006.
Golineh Atai für die souveräne, fundierte und analytische Berichterstattung aus dem
Nahen Osten - insbesondere während des Krieges zwischen Libanon und Israel - sowie
für ihre bemerkenswert stilsichere und verständliche Form der Präsentation.
SPEZIAL
Florian Bauer, Ralph Hötte, Kim Otto, Markus Schmidt und Matthias
Veit für die Aufdeckung des Skandals ‚Bezahlter Lobbyismus in Bundesministerien‘ in
Monitor-Beiträgen [19.10. und 21.12.2006] (ARD/WDR).
Holly Fink für herausragende Kameraarbeit in den Produktionen „Dresden“ (ZDF) und
„Das Geheimnis im Moor“ (ZDF).
Friedemann Schuchardt, Ingelore König und Christa Streiber (stellv. für
Sonderpreis Kultur des Landes NRW
das engagierte Gesamtteam) für die Idee und Konzeption der Reihe „Unsere 10 Gebote“
(BR/MDR/SWR).
Gottfried Benn: Schakal und Engel - hellgeäugt und schwarzgeflügelt
(ZDF/3sat)
Deutsche Lebensläufe: Fritz Lang (ARD/SWR)
INFORMATION & Kultur
Dokumentarfilm / TV-Journalismus / Feature / Essay
Ich will alles – Die Gitte Haenning-Story (NDR)
die story: Satan lebt – Die Rückkehr des Exorzismus (WDR)
Abgetaucht – Illegal in Deutschland (NDR)
Ich will alles – Die Gitte Haenning-Story (NDR)
Beckett – Lippen schweigen [2tlg.] (SWR/ARTE)
Die Rückkehr der Bücher [2tlg.] (ZDF)
Trotzdem deutsch! [Folge 1] (BR)
Art Safari [Reihe] (ZDF/ARTE)
Gottfried Benn: Schakal und Engel - hellgeäugt und schwarzgeflügelt
(ZDF/3sat)
Mein Vater, der Türke (ARD/SWR)
Ware Tier – Auf der Suche nach dem glücklichen Huhn (ARD/NDR)
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Preisträger-Statements zum
Grimme-Preis 2007
„Ich freue mich, dass eine Arbeit, in der viel Auseinandersetzung steckt,
viele Gedanken, ausgezeichnet wird und empfinde es als eine fast poetische
Entscheidung, dass die beiden Verlierer des Films - die beiden Täter – jetzt
einen Preis bekommen.“
August Zirner
„Seit vielen vielen Jahren verfolge ich die Verleihung des Grimme-Preises
– weil das ja immer tolle Produktionen sind, die da ausgezeichnet werden.
Und irgendwann will man gerne mal selbst so einen Preis haben. Deshalb,
eigentlich, habe ich angefangen, Drehbücher zu schreiben. Schön, dass das
jetzt so schnell geklappt hat. Danke.“
Max Eipp
„Die größte Herausforderung war für uns, Humor und Anspruch dieses
Themas miteinander zu verbinden. Deswegen freue ich mich umso mehr, dass
mit dem Adolf-Grimme-Preis beide Seiten ihre Zustimmung finden.“
Stefan Holtz
„Mein erster Spielfilm war in jeder Hinsicht ein Risiko. Dafür am Ende mit
dem Grimme-Preis ausgezeichnet zu werden, kann nur die Bestätigung sein,
die ausgetretenen Pfade weiterhin zu meiden und dem Abenteuer treu zu
bleiben. Ich freue mich mit meinem Team über den wichtigsten deutschen
Fernsehpreis und verspreche, auch in Zukunft kontrovers und aufregend zu
bleiben. Denn schließlich zählt: no risk - no fun.“
Aaron Altaras
„Dieser Genrefilm konzentriert sich auf eine ernste und unspektakuläre
Frage – Welche Bedeutung kommt einem Geständnis zu – nicht nur in kriminalistischer, sondern in menschlicher und gesellschaftlicher Hinsicht.
Authentizität des Drehbuchs und mosaikhafte Genauigkeit der Regie haben
uns Schauspielern vor allem abverlangt, uns so konzentriert und ernst wie
möglich den jeweiligen Situationen zu öffnen. Dass daraus ein Grimme-Preiswürdiger Film entstanden ist, freut mich sehr.“
Edgar Selge
„Bei der Arbeit am Drehbuch haben mir Menschen geholfen, die tatsächlich am Geschehen beteiligt waren und die die harte Wirklichkeit durchlebten. Ihnen bin ich für ihre großzügige Mitarbeit dankbar. Die Schauspieler,
das Team, und vor allem Dominik Graf haben die komplexe Struktur der
Vorlage verfeinert und mit Details angereichert, die das Geschehen lebendig
werden lassen.“
Rolf Basedow
Aelrun Goette
„Die Reise in Arnies Welt hat mich reich beschenkt: einer meiner schönsten Drehs mit einem hervorragenden Team und einem Traum-Cast. Und nun
der Grimme-Preis – was für ein Ausflug! Ich bin dankbar und freue mich über
unser Glück, denn es ist klar, Glück gehört dazu – bei all den großartigen
mitnominierten Filmen und Leistungen.“
Isabel Kleefeld
„Ich freue mich sehr, fühle mich sehr geehrt und bin sehr stolz, weil ich das
Grimme-Institut sehr ernst nehme. Und ich bin glücklich, den Preis für eine
Arbeit zu erhalten, die mir besonders am Herzen gelegen hat und besonders
viel Spaß gemacht hat.“
Caroline Peters
„Ich freue mich über solch Ehre und auf den Pokal. Ich werde kleine Kopien
basteln und all denen geben, die an das Projekt geglaubt haben und an der
Entstehung beteiligt waren.“
Katrin Rothe
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„Der Film ‚Weiße Raben’ entstand dank der initialen Unterstützung durch
die Gerd-Ruge-Stiftung zur Förderung des Dokumentarfilms. Dass die Arbeit
jetzt mit dem Grimme-Preis ihren Abschluss findet, ist uns mehr als eine
Freude.“
Tamara Trampe
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„Ich freue mich außerordentlich, Preisträger dieser renommierten Auszeichnung zu sein. Im Archiv sind nicht so viele Österreicher zu finden, die
Grimme-Preis-Träger sind. Und wenn, sind es sehr große Namen wie Axel
Corti, Christiane Hörbiger oder Xaver Schwarzenberger. Und das ehrt natürlich ganz besonders. Als Unterhaltungsregisseur empfinde es als Ritterschlag
der Hochkultur. Vielen Dank.“
Kurt Pongratz
„Ich freue mich wahnsinnig über diesen Preis zu dieser TV-Arbeit. ‚Türkisch
für Anfänger’ erzählt vom Familienleben, Konflikten und der Liebe in einer
herzlichen, direkten Art. Das als Botschaft im Fernsehen zu erzählen, ist ein
seltenes Geschenk.“
Edzard Onneken
„Ich freue mich wahnsinnig. Es gibt Momente im Leben, wo man weiß das
alles stimmt, so war es bei ‚Türkisch für Anfänger’. Ich danke alle meinen
tollen Kollegen, die es möglich gemacht haben.“
Oliver Schmitz
„Wenn der Grimme-Preis ‚dieses Jahr den Anschluss an das aktuelle TVProgramm gefunden hat' (Hanfeld/FAZ) dann klingt das ja eher bedrohlich.
Bloß keine Anbiederei, Grimme! Hart bleiben!!“
Dominik Graf
„Als ich anfing, Drehbücher zu schreiben, stellte ich mir das Adolf-Grimme-Institut als erhabenes Elysium vor, in dem Pfeife rauchende Männer mit
staatsmännischem Stirnrunzeln über düstere Problemfilme grübeln. Das Rezept für einen grimmepreisverdächtigen Film über Türken wäre demnach:
‚Der drogenabhängige Schulabbrecher Ali wird von deutschen Neonazis verprügelt und rächt sich, indem er Angela Merkel in sein anatolisches Heimatdorf entführt und die Bundesregierung erpresst, für den EU-Beitritt der
Türkei zu stimmen ...' Als ich die Grimme-Juroren beim Bergfest in Marl kennen lernte, kam ich mir vor wie Angela Merkel, die in Anatolien islamistische
Grimmbärte erwartet hatte und stattdessen lustige Frauen trifft, die mit ihr
Raki trinken und nächtelang durchtanzen. Man hat halt so seine Vorurteile.
Umso mehr freue ich mich und danke der Jury des 43. Adolf-Grimme-Preises
dafür, dass sie mit der Auszeichnung für ‚Meine verrückte türkische Hochzeit'
anerkennt, dass man die gegenseitigen Vorurteile im so genannten ‚Kampf
der Kulturen' am besten mit Herz und Humor überwinden kann.“
Daniel Speck
www.bildblog.de holocaust.heute.de dara.zdf.de de.wikipedia.org entertainyou.net
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www.worldtrip.tv
www.grimme-online-award.de
sport.ard.de/wm2006/wm/rueckblick
de
www.spreeblick.com Der Grimme-Preis für Qualität im Netz www.blindekuh.de www.ehrensenf.de www.textrundfunk.de www.heise.de www.infakt.
com ww.informationweek.de www.intersurfradio.de www.mozart.ard.de
www.n-tv.de Preisverleihung am 20. Juni 2007 in der Vulkanhalle in Köln. www.
hanisauland.de www.ausschwitzprozess.hr-online.de www.mut-gegen-rechte-gewalt.de www.laut.de www.literaturnachrichten.de www.mdr.de/brisant
www.medienkunstnetz.de www.modul.frauenkirche.zdf.de www.wortfeld.de w
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Planet Marl
Aus der Nominierungskommission Fiktion / Spezial
| von Regina Reddig
ass die Abreise im Januar 2007 nicht leicht werden würde, hätte man
eigentlich schon bei der Anreise auf den Planeten Marl ahnen können. Dem neuen Mitglied der Nominierungs-Crew half im Spätsommer
2006 nicht einmal ein Navigationsgerät. Beim ersten Anflug auf Marl riet
die verzweifelte Computerstimme immer wieder zur Umkehr, als ob man
auf Marl Schreckliches zu erwarten hätte. Beim zweiten Anflug fand der
ortsansässige, aber -unkundige Taxipilot die Einflugschneise zum weltberühmten Eduard-Weitsch-Weg nicht und nahm ständig eine falsche Abzweigung. Und beim dritten Versuch hatte sich die Bodenstation plötzlich
umbenannt. Der alte Name des Hotels war abgeklebt, so als ob es nicht
gefunden werden wollte.
Foto: Radio Bremen/Jörg Landsberg
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„Tatort – Stille Tage“
Völlig problemlos hingegen war die Aufnahme des neuen Mitglieds durch
die erfahrenen Kollegen der Nominierungs-Kommission, das in der Bios-
phäre des Grimme-Instituts ungemein freundlich empfangen wurde. Abgeschottet von der rauen Wirklichkeit Marls sollte man also hier einen
Blick auf die Jahresproduktion des Fernsehplaneten Deutschland werfen:
„Fiktion / Spezial“ hieß der Auftrag, und durch tagelanges Fernsehen von
morgens bis abends sollten die Besten der Besten gekürt werden.
ie Forschungs-Crew bestand aus zwei Frauen und sechs Männern, die
sich zu einer gut funktionierenden Gruppe zusammenfanden – auch
wenn manche Mitglieder ihre Eigenheiten hatten: Einer sah immer Streifen auf dem Bildschirm, für einen anderen musste ständig der Ton bis zur
Taubheitsgrenze aufgedreht werden, und ein weiterer verdrückte täglich
mindestens fünf Stück Kuchen. Um das immense Programm überhaupt
durchhalten zu können, wurde die Crew mit einer speziell entwickelten
Weltraumnahrung versorgt: Tee, Kaffee, Obst und Joghurt, belegte Brötchen, Kuchen, warme Mahlzeiten mit Desserts, dazu Wasser, Rot- und
Weißwein, auch Bier, und als späte kulinarische Höhepunkte: Salzstangen,
Nüsse und Chips.
D
Grimme macht dick. Das war spätestens nach der ersten Einsatzwoche
klar, die allein rund 77 Filme brachte. Der erste Film war Matthias Glasners
„Mathilde liebt“, der als zwar „moralisch und gut gemeint, von Christiane
Hörbiger gut gespielt, aber zu betulich und stereotyp“ bewertet wurde.
Es folgten gefühlte 300 mittelprächtige Fernsehkrimis, bedacht mit den
entsprechenden Kommentaren: „Diese Art von Krimis gab es bereits vor 20
Jahren“, „100-mal besser gesehen“, „leblos“, „zäh“, „weit unter dem Durchschnitt“, „unguckbar“.
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llerdings tauchten aus dem Meer der Filme auch Krimiperlen auf
wie Thomas Jauchs Bremer „Tatort: Stille Tage“, der als stimmig, realistisch und bester Bremer „Tatort“ bisher gewürdigt wurde. Sehr gelobt
wurde Dominik Grafs Film „Er sollte tot“ aus der Reihe „Polizeiruf 110“
mit der umwerfend guten Rosalie Thomass. Beeindruckt hat auch Hendrik
Handloegtens außergewöhnliches Krimidrama „Polizeiruf 110: Dunkler
Sommer“, ob der exzellenten Kamera und guten Musik hieß es: „ Nie war
Nominierungskommission
Fiktion / Spezial
Volker Bergmeister, Gong, München (Vorsitzender)
Thomas Gehringer, Freier Journalist, Köln
Thomas Thieringer, Freier Journalist, München
Regina Reddig, TV-Tip-Magazin, Berlin (stellv. Vorsitzende)
Rainer Tittelbach, Freier Journalist, Bonn
(stellv. Vorsitzender)
Hans-Heinrich Obuch, Freier Journalist, Göttingen
Katharina Zeckau, Freie Journalistin, Berlin
Foto: AGI/Hildegard Engler
Rolf Eckard, VHS Emden
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Polizeiruf 110:
Er sollte tot
ARD/BR
BAYERISCHER RUNDFUNK
AUSGEZEICHNETE
FILME
Gratulation zum
43. Adolf-Grimme-Preis 2007
Adolf-Grimme-Preis:
Wettbewerb Fiktion
Rolf Basedow (Buch)
Dominik Graf (Regie)
Edgar Selge, Rosalie Thomass (Darstellung)
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Redaktion:
Cornelia Ackers
Produktion:
BurkertBarreisDevelopment und TV60Film
20.03.2007 12:07:37 Uhr
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Foto: Sat.1/Conny Klein
Mecklenburger Tristesse so schön“. Auf der Habenseite durften nicht fehlen: Friedemann Fromms BR-„Tatort: Außer Gefecht“, der spannende Thomas-Berger-Krimi „Das Verhör“ aus der Reihe „Kommissarin Lucas“ und
Isabel Kleefelds „Unter Verdacht: Ein neues Leben“ mit der großartigen
Senta Berger. Allesamt eine Wohltat zwischen Unmengen weniger preisverdächtiger Einreichungen, welche die passenden Bewertungen bekamen:
„bloß heißer Dampf“, „so ziemlich nichts an diesem Film weckt Interesse“,
„hanebüchen“, „in jeder Beziehung peinlich und wirr“, „dümpelt vor sich
hin“, „macht nervös“, „Dialoge unter dem Durchschnitt“, „kann man vergessen“ oder aber einfach: „gut, aber nicht gut genug“.
„Blackout“
Der letzten Sichtungstag brachte dann das, was einige langjährige Kommissionsmitglieder schon erwartet hatten: Auffällig viele kleine Pakete
wurden beim Grimme-Institut angeliefert – diverse Nachreichungen der
Sender auf den letzten Drücker. Doch nur eine späte Lieferung hatte Erfolg, ein „Tatort“ aus Mecklenburg, von wo aus die Post wohl etwas länger
braucht.
m letzten Nachmittag war es dann schließlich soweit: aus den in drei
Sitzungswochen gesichteten Filmen wurden 46 Stücke als preiswürdige Kandidaten ausgewählt. In geheimer Abstimmung mussten jetzt die
16 besten Filme für die Jury bestimmt werden. Kurz sprach die Crew noch
einmal über jeden Film, dann vergab sie die Punkte. Mit der endgültigen,
erstaunlich eindeutigen Wertung waren schließlich alle zufrieden. Wie sich
dann zeigte, war auch die Instituts-Ebene mit der Arbeit und Filmauswahl
des Teams einverstanden. Die Crew hatte sich also ein Glas Sekt wahrlich
verdient und beendete die letzte Marathon-Sitzung mit guter Musik, Wein,
Bier, Knabbereien – und einigen internen Wetten auf die möglichen Sieger.
A
Und dann kam Kyrill. Ein galaktischer Sturm, der nach soviel Fiktion alles in
der Realität zum Erliegen brachte. Es gingen keine Flüge mehr, es gab keine
Shuttles, keine Verbindungen zur Außenwelt. Im gesamten Sonnensystem
brach der Verkehr zusammen. Wäre da nicht ein nettes Crew-Mitglied der
Kommission Information & Kultur gewesen, das Platz in seinem privaten,
eigentlich bereits überladenen Raumschiff anbot, man hätte ewig am
Rande des Sonnensystems ausharren müssen. Der Heimflug dauerte dann
auch doppelt so lange wie gewohnt. Da wünscht man sich das gute, alte
Beamen zurück. Beam us up, Scotty, from Marl.
Mit Blick auf die Kategorie Fiktion (inklusive Spezial, für spezifische Einzelleistungen) diskutierte die Nominierungs-Crew auch immer wieder eine
Frage: Wie umgehen mit Kinofilmen? Was ist zum Beispiel mit dem Spielfilm „Gegen die Wand“, der zwei Jahre nach seinem Kinostart ins Fernsehen
kam? Ist eine Berücksichtigung der oft mit höheren Produktionsbudgets
ausgestatteten Kinofilme ungerecht gegenüber Fernsehproduktionen?
Besonders kontrovers diskutiert wurde auch Züli Aladags Fernsehfilm
„Wut“, der ja schon vor der Ausstrahlung und erst recht danach für Aufregung in den Medien gesorgt hatte. Hier waren die Meinungen in der Kommission sehr disparat: „ungewöhnliches, provozierendes, starkes Stück“
oder „sehr stimmig in Entwicklung und Milieuzeichnung“; aber es hieß
auch: „alles Fake, berechnend und reine Spekulation“.
Um nach allzu hitzigen Wortgefechten doch noch zu einem Urteil zu kommen, musste der Vorsitzende ab und zu die Diskussion mit einem „Reicht’s?
Können wir abstimmen!“ unterbrechen. Anders hätte sich das Pensum
nicht schaffen lassen. Denn die Sichtungen gingen meist bis mindestens
21 Uhr, es sei denn, die Fußball-Bundesliga kam dazwischen. Mitunter
konnten Arbeitsabende aber auch schon mal bis 23.30 Uhr dauern.
nter den eingereichten Vorschlägen waren erstaunlich wenig preiswürdige Komödien, lediglich Vivian Naefes „Leo“ und die ProSiebenKomödie „Meine verrückte türkische Hochzeit“ von Stefan Holtz wurden
einstimmig an die Jury weitergereicht. Ähnlich einmütig waren die Urteile
nur bei zwei Dramen: „Unter dem Eis“ von Aelrun Goette, das manchen
Kommissionsmitgliedern sehr unter die Haut ging, und „Allein“ von Thomas Durchschlag, ein Borderline-Drama, das in seiner Konsequenz beinah
sprachlos machte.
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Regina Reddig lebt in Berlin und ist Medienjournalistin.
Zuletzt war sie verantwortliche Redakteurin für das Fernsehheft tv-tip des Stadtmagazins tip.
Foto: Privat
Von den Serien und Mehrteilern kamen nur zwei in die engere Wahl: Das
von Sat.1 hergestellte „Blackout“ und die ARD-Serie „Zwei Engel für Amor“.
Auf Quotenerfolge hin produzierte Stücke wie „Neger, Neger, Schornsteinfeger“, „Die Sturmflut“ oder „Die Mauer – Berlin ’61“ hingegen wurden als
„zwar teilweise gut gemacht“ oder „gut gemeint“ diskutiert, doch schließlich mehrheitlich nicht für preiswürdig befunden.
20.03.2007 12:07:38 Uhr
Ausgezeichnete
Produktionen.
Robert & Horst, München
Unsere Preisträger
und Nominierte des
Adolf-Grimme-Preises 2007
Wut
Eine Colonia Media-Produktion von Christian Granderath für den WDR (Redaktion: Wolf-Dietrich Brücker). Buch: Max Eipp.
Regie: Züli Aladag. Mit August Zirner, Oktay Özdemir, Corinna Harfouch u.a.
Leo
Eine Bavaria Film-Produktion von Veith von Fürstenberg für den BR (Redaktion: Silvia Koller). Buch: Gerlinde Wolf. Regie:
Vivian Naefe. Mit Gisela Schneeberger, Matthias Brandt, August Zirner, Elmar Wepper, Nina Proll u.a.
Bloch: Der Mann im Smoking
Eine Koproduktion von SWR und WDR in Zusammenarbeit mit der Maran Film (Produzent: Mark Horyna, Redaktion: Brigitte
Diethard/SWR, Wolf-Dietrich Brücker/WDR). Buch: Marco Wiersch. Regie: René Heisig. Mit Dieter Pfaff, Rudolf Kowalski,
Ulrike Krumbiegel u.a.
Photos © WDR/Hardy Spitz, SWR/Krause-Burberg
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Maran Film GmbH, Lange Straße 71, 76530 Baden-Baden, www.maran-film.de
Colonia Media Filmproduktions GmbH, Moltkestraße 131, 50674 Köln, www.coloniamedia.de
Bavaria Film GmbH, Bavariafilmplatz 7, 82031 Geiselgasteig, www.bavaria-film.de
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Sahnetorten
Aus der Nominierungskommission Unterhaltung / Spezial
| von Hannah Pilarczyk
ie Sitzung der Nominierungskommission Unterhaltung kann man sich
wie eine Folge „Extreme Activity“ vorstellen: Vor den eigenen Augen
verrenken sich mehr oder minder prominente Menschen. Sie machen komische Sportarten, manchmal gemeinsam, manchmal allein, einmal sogar
D
oder Wigald Boning heißen sie allerdings „Ready, Paddy, Show“ oder „Stars
auf Eis“. Und zu erraten gibt es für die Nominierungskommission auch nur
zwei Begriffe: „gute Unterhaltung“ und „schlechte Unterhaltung“. Glücklicherweise fiel der Nominierungskommission diese Unterscheidung oft
genug sehr leicht. Selten gab es ausufernde Diskussionen, ob ein Format
nominierungswürdig sei oder nicht. Gröbster Filter war dabei die Frage
nach der fernsehspezifischen Qualität eines Programms. Bei diversen Kabarett-Sendungen, die nur aus abgefilmten Bühnenauftritten bestanden,
ließ sich das zügig mit „nicht erkennbar“ beantworten.
Foto: SWR/Gitzinger
S
„Guildo und seine Gäste“
über fünfzehn Runden. Zwischendurch malen sie etwas oder singen, ganz
selten macht mal jemand Franz Beckenbauer nach. Statt Verona Pooth
elbst bei der Vielzahl von me-too-Formaten, die sich 2006 im Fernsehen anhäuften, war keine Detail-Debatte nötig. Gerade in der Häufung
zeigte sich, welche Wissensshow zum Beispiel etwas taugt und welche
nicht. „Frag doch mal die Maus“, „Die große Show der Naturwunder“ und
„Wow - Die Entdeckerzone“ jedenfalls nicht. Im Jahr Vier von „Clever - Die
Show, die Wissen schafft“ ist das erstaunlichste an den Nachahmershows
nur, wie wenig ihnen an Variation einfällt. Dass es mit „Stars auf Eis“ (ProSieben) und „Dancing on Ice“ (RTL) nicht nur eine weitere Kombination
von Sport und Prominenten gab, sondern auch noch zwei identische, kann
man als Tiefpunkt der deutschen TV-Unterhaltung betrachten. Oder ihn
nach der Ankündigung von ProSieben, diesen Herbst eine neue Staffel von
„Stars auf Eis“ zu bringen, auf eben diesen Herbst vordatieren. In jedem
Fall fielen beide Shows bei der Nominierungskommission durch. Selbst
„Let‘s Dance“, das Erfolgsformat, in dessen Kielwasser die Eistanz-Shows
fuhren, stieß auf Ablehnung: Bei den zum Teil aus der britischen Vorlage
wortwörtlich übersetzten Moderationen war einfach keine Originalität zu
erkennen.
Für sich allein standen dagegen „Schlag den Raab“ (ProSieben) und „Guildo und seine Gäste“ (SWR). Mit seiner Idee, einen Kandidaten in fünfzehn
Disziplinen gegen sich antreten zu lassen, sprengte Stefan Raab nicht nur
sämtliche Zeitvorgaben – er ließ auch die Bedenken der anderen Sender,
dass am Samstagabend nur noch „Wetten dass!?“ oder „Deutschland sucht
den Superstar“ funktionieren, weit hinter sich. Dafür gab‘s nach 2005 die
Nominierungskommission
Unterhaltung / Spezial
Anette Borkel, VHS Hamburg (stellv. Vorsitzende)
Torsten Zarges, Kress-Report, Köln (Vorsitzender)
Prof. Lothar Mikos, Hochschule für Film und
Fernsehen „Konrad Wolf“, Potsdam
Hannah Pilarczyk, „taz“, Berlin
Nancy Krahlisch, Berliner Zeitung
Harald Keller, Freier Journalist, Osnabrück
(stellv. Vorsitzender)
Foto: AGI/Hildegard Engler
Simone Schellhammer, Freie Journalistin, Hamburg
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
zweite Nominierung für Raab. In ungewöhnlicher Rolle auch Guildo Horn:
Als Gastgeber einer Talkshow mit Behinderten sorgte er im Vorfeld für
Aufsehen, in der Sendung dann für feine Unterhaltung. Trotz verstörender
Frisur seitens des Moderators war dies das Gegenteil von Christoph Schlingensiefs „Freakstars“: Mit Interesse an den Personen, nicht ihren Behinderungen führte der studierte Sozialpädagoge Horn durch einen Talk, in dem
sich persönliche Erfahrungen mit allgemeinen Themen zu einer nominierungswürdigen Mischung verbanden.
einmaschiger wurde die Auswahlarbeit dann bei Sendungen, die schon
länger laufen, sich aber durch kontinuierliches Niveau auszeichnen wie
etwa „Harald Schmidt“. Durch die der Nominierungskommission zur Verfügung stehende Unterkategorie „Spezial“ ließ sich in solchen Fällen das
Format sehr gut von einer herausragenden Einzelleistung separieren – wie
es die Kommission zum Beispiel bei der Auswahl von Olli Dittrich für seine
Franz-Beckenbauer-Parodie oder bei Hape Kerkeling für seinen Auftritt als
Horst Schlämmer beim Prominenten-Special von „Wer wird Millionär?“ tat.
Ob es wirklich nur an der langen Sichtungsrunde und den nicht vollends
ergonomischen Stühlen im Grimme-Institut lag, dass nach dem Auftritt
von Horst Schlämmer mehrere Kommissionsmitglieder über „Rücken“ und
„Füße“ klagten?
Foto: ProSieben
F
„Schlag den Raab“
U
Foto: ProSieben
nterhaltsam war das Format zweifelsohne, nur: Konnte man mit einer
Nominierung auch das von der Show transportierte Körperbild gut
heißen? Falsche Frage, beschieden die männlichen Kommissionsmitglieder.
Statt der körperlichen Verfasstheit hätten bei der Sendung vielmehr Ausstrahlung und Professionalität im Vordergrund gestanden – womit ein realistisches Bild des Modelberufs gezeichnet worden sei. Gerade in der Verschleierung des Umstands, dass es doch nur auf einen den Standardmaßen
entsprechenden Körper ankomme, sahen die weiblichen Kommissionsmitglieder aber das Perfide der Show und stimmten einheitlich gegen eine
Nominierung. Von langer Dauer war dieses Zerwürfnis aber nicht. Schon
kurze Zeit später aß die Kommission wieder geschlossen Sahnetorte.
„Stars auf Eis“
Wo Sat.1 auf die Umgebung setzte und eine fragwürdige Inszenierung
„exotischer Länder“ betrieb, konzentrierte RTL II sich auf die Kandidaten
und konnte mit gelungenem Casting bei der Nominierungskommission
punkten. Wie der resolute Opa Manfred in „Suche Familie!“ zur allein erziehenden Mutter mit drei Kindern im Brandenburgischen stieß, war ein
schönes Beispiel für emotionale Unterhaltung, die ihre Protagonisten nicht
vorführt oder ausbeutet. Nur bei „Germany‘s Next Topmodel“ zeigten sich
Verwerfungen – bezeichnenderweise entlang der Geschlechtergrenzen.
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Hannah Pilarczyk, 1977 geboren, studierte Politik- und
Rechtswissenschaft in Hamburg. Seit 2004 arbeitet sie bei
der taz in Berlin, wo sie für die Medienseite verantwortlich
ist.
Foto: Miguel Lopes
Glücklicherweise waren die Beschwerden nur vorübergehend und auch der
Umgang mit Fortsetzungen von herausragenden Formaten nicht weiter
schwierig: Bei „Stromberg“ konnte man auf die Auszeichnung aus dem
Vorjahr verweisen, sich noch einmal an der zweiten Staffel erfreuen und
ansonsten auf „Pastewka“ setzen. Die feinsten Grenzen ließen sich schließlich bei den Doku-Soaps ziehen. „Suche Familie!“ (RTL II) oder „Wie die
Wilden“ (Sat.1) variierten das Strukturprinzip.
20.03.2007 12:07:47 Uhr
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Tradition eins, Tradition zwei
Aus der Nominierungskommission Information & Kultur / Spezial
| von Senta Krasser
s gibt Jury-Mitglieder, die glauben, dass die Nominierungskommission,
welche die Vorauswahl für die Fernsehpreise getroffen hat, die Jury
hasst und quälen will mit Beiträgen, die Lichtjahre von jeder Preiswürdigkeit entfernt lägen. Abgesehen davon, dass die Juroren nicht näher bekannte, aber bestimmt ganz liebe Menschen sind – diese Unterstellung ist böse
und frech und müsste eigentlich mit mindestens zehn Jahren Nominie-
E
rungskommissionssitzungen in Folge quittiert werden. Also mit schwerster
Kärrnerarbeit. Juroren bedenken nicht, dass man als Nominierungskommissionsmitglied in der Kategorie Information & Kultur gezwungen wird,
die 45. nach dem immergleichen Schema gebaute „37-Grad“-Reportage
zu begutachten. Der Jury bleibt diese streng formatierte ZDF-Reihe dank
der Vorarbeit der Nominierer erspart. Ebenso die unweigerlich in späten
Abendstunden auftretende Halluzination vom Nilpferd aus dem „37Grad“-Vorspann, das leibhaftig durch Grimmes heilige Institutshallen zu
trampeln scheint.
Foto: ZDF/Georg Ebert DLA Marbach
Ü
„Gottfried Benn: Schakal und Engel“
berhaupt, Marl. Irgendwo im Ruhrgebiet und für Großstädter, die
das erste Mal anreisen: gewöhnungsbedürftig. Nur ein Bahnsteig in
Marl-Mitte, ein Parkhotel, ein Einkaufszentrum. Aber man ist ja nicht gekommen, um in diesem Bermudadreieck architektonischen Geschmacks
entspannte Urlaubstage zu verbringen. Morgens um neun wird die erste
von insgesamt weit mehr als 400 (!) Videokassetten respektive DVDs eingelegt. Um die frühe Stunde reichen wenige Minuten, damit einem Filme
über Tod, Verwüstung und krebskranke Kinder hart aufs Gemüt schlagen.
Der Sogwirkung des Beitrags „Weiße Raben“ (ZDF/ARTE), der Kriegsschicksale in Tschetschenien sehr intim, aber nicht ausbeuterisch dokumentiert,
konnte sich die Kommission jedoch nicht entziehen: ein einstimmiges Ja.
Anders als die Jury muss die Kommission laut Statut zwar nur mindestens zehn Prozent eines Beitrags sichten. Aber das reicht. Es bestätigt
sich immer wieder: Überzeugt ein Dokumentarfilm oder eine Reportage
in den ersten Minuten nicht durch seine Bilder, tadellose Textierung, erzählerische Stringenz, formale Sauberkeit und ein originelles Thema, taugt
der Rest meist auch nichts. Keine Chance haben Autoren, die künstlerischen Anspruch mit Zurückhaltung am Schnittpult verwechseln. Die um
den Erdball reisen, etwa nach Chile für die 3sat-Dokumentarreihe „Fremde
Kinder“, um dort eine halbe Ewigkeit lang die Kamera bewegungslos auf
vor sich hin dämmernde Straßenkids zu richten in dem Glauben, so Atmosphäre und Authentizität einzufangen. Da ist das kontemplative Flackern
des Kaminfeuers oft spannender.
Nominierungskommission
Information & Kultur / Spezial
Doris Blank, VHS Spandau
Matthias Struch, Filmmuseum Potsdam (Vorsitzender)
Anita Bindner (früher: Anita Raith), Haus des
Dokumentarfilms, Stuttgart (stellv. Vorsitzende)
Rainer Braun, Freier Journalist, Berlin (stellv. Vorsitzender)
Senta Krasser, Freie Journalistin, München
Christine Flemming, VHS Erlangen
Torsten Wahl, Freier Journalist, Berlin
Ulrike Steglich, Freie Journalistin, Berlin
Foto: AGI/Hildegard Engler
Susanne Lob, Freie Journalistin, Hamburg (nicht im Bild)
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
A
uch Fernsehsender dürfen vorschlagen, was sie für preiswürdig halten.
So kommt es, dass das ZDF scheinbar wahllos „37-Grad“-Reportagen
einreicht (siehe oben), die dann auch alle gesichtet werden müssen, was
an Körperverletzung grenzt und Reglementierung ist hier dringend angesagt. Neben den üblichen Jubiläumsfilmen zu Todes- und Geburtstagen
von Schriftstellern, die mehr („Gottfried Benn – Schakal und Engel“, 3sat)
oder weniger („Beckett – Lippen schweigen“, SWR/ARTE) gelungen waren,
überrollte der Fußball das Fernsehjahr 2006: Fußball mit Frauen, Fußball in
Afrika, Fußball als Rap ... eine Qual für diejenigen, die nichts von Fußball
halten und verstehen.
Bei der finalen Abstimmung wurde es sehr spannend. Draußen tobten
Orkan Kyrill und Krieg in der CSU, drinnen der Zweifel: Hat die NDR-Reportage „Abgetaucht – Illegal in Deutschland“ das Thema Immigration
besser erfasst als der doppelt so lange Dokumentarfilm „Invisible – Illegal
in Deutschland“ (NDR/ARTE)? Sollte man nicht auch das schlagerfröhliche
Porträt „Ich will alles – Die Gitte Haenning-Story“ (NDR) aufnehmen, um
dem Grimme-Preis die vermeintliche Schwere zu nehmen? Und verdiente
Sönke Wortmanns Dokumentarfilm vom Sommermärchen in FußballDeutschland, also dieses solide Stück embedded journalism, das von Kino,
Medien und diversen anderen Jurys bereits bedacht wurde, auch einen
Grimme-Preis?
Foto: ARD/SWR/Vogel
N
atürlich wird taktiert. Wenn Antonia Rados für ihre Reportage „Feuertod“ nominiert wird, dann nicht nur, weil die Vorzeigereporterin des
Privatfernsehens so unpathetisch und doch bewegend die letzten fünf
Tage einer afghanischen Frau dokumentiert, die sich selbst verbrannte.
Dann zählt auch, dass ein Privatsender wie RTL der Dominanz der Öffentlich-Rechtlichen etwas entgegensetzen kann. Es sei Tradition, wird man
von erfahrenen Kollegen aufgeklärt, dass die Juroren Entscheidungen der
Nominierer unterlaufen und Beiträge nachnominieren. Freilich, das hat
etwas von Kindergarten, ist aber das gute Recht der Jury. So ist Sönke
Wortmanns Sommermärchen wieder drin im Preistopf. Erfolg nicht ausgeschlossen. Denn, Tradition Nummer zwei: Was nachnominiert wurde,
bekommt ziemlich oft einen Preis.
„Die Schlappe“
Jürgen Klopp hat dagegen jeder verstanden. Wie der ZDF-Experte Regeln
und Taktik während der WM erklärte, verdient nach Meinung der Kommission einen der Spezialpreise. Mit einem weiteren Vorschlag in diese Richtung wurde die ARD-Korrespondentin Golineh Atai bedacht: Ihre Berichte
über die Umstände von Saddam Husseins Hinrichtung überzeugten durch
Sachverstand und Seriosität.
Meist einhellig war das Votum, nur selten wurde über die Qualität einer
Einreichung gestritten. So entzweite die Sonderausgabe des ARD-Politmagazins „Monitor“ zum Thema „Die vier Elemente – unbeugsame Wahrheiten zum Zustand unseres Planeten“ die Kommission: „ein wichtiges
Thema“ urteilten die einen, „marktschreierisch aufbereitet“ hielten die
anderen dagegen. „Monitor“-Recherchen über „Bezahlte Lobbyisten in
Bundesministerien“ dagegen fanden bei allen Anerkennung. Ebenso die
Reportage „Zwischen Bürgerrechtlern und Barbecue“ (ARD/NDR): Was nur
wenige Stunden nach dem Besuch des amerikanischen Präsidenten George
W. Bush in Stralsund aktuell und mit ironischem Blick auf die Mächtigen
gezaubert wurde, übertraf das Maß an Routine.
o manche Skurrilität lockerte die Sichtarbeit auf. Keiner hatte zum
Beispiel jemals davon gehört, dass Rio de Janeiro angeblich „eine der
größten Schlappenmetropolen der Welt“ sein soll. „Die Schlappe – Ein
Welterfolg“ (ARD/SWR) war ein Beitrag über Badelatschen, dem es allerdings an Trittsicherheit fehlte. Sicher und zugleich naiv im Umgang mit
Künstlern, Kunsthändlern und Sammlern präsentierte sich der Autor Ben
Lewis, der sich für ARTE auf eine mehrteilige „Art Safari“ begeben hatte.
Es war eine seltene Freude zu sehen, wie Lewis es verstand, etwa Maurizio
Cattelans intellektuell aufgeblasenem Werk über ein selbstmörderisches
Eichhörnchen die Luft herauszunehmen mit der simplen Frage: „Was hat
das zu bedeuten?“ Putzig auch, mit welcher Begründung der NDR seine
Reihe „Namibia op Platt“ ins Rennen schickte: „Ein Grimme-Preis wäre eine
Ermutigung für die Fortführung der Sendereihe – und darüber hinaus für
weitere Anstrengungen, um mit höheren Ansprüchen höhere Akzeptanz
zu erreichen.“ Die Kommission sah das anders: erst die Anstrengung, dann
eventuell der Preis.
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Senta Krasser, geboren 1973, ist freie Medienjournalistin
und schreibt für die Süddeutsche Zeitung, die Stuttgarter
Zeitung und den Kölner Stadtanzeiger. Vor ihrer Ausbildung
zur Kulturjournalistin in München studierte sie Geschichte,
Anglistik und Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften
in Köln und London.
Foto: Privat
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Danke für den harten Einsatz!
Adolf-Grimme-Preis 2007
Nominiert: Schlag den Raab. Gewonnen: Extreme Activity und
Meine verrückte türkische Hochzeit. Herzlichen Glückwunsch!
WE LOVE TO ENTERTAIN YOU.
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Grimme-Preis | Fiktion
Meine verrückte türkische Hochzeit
ProSieben
FIKTION
Foto: Dirk Plambög/ProSieben
Produktion: RatPack Filmproduktion
Meine verrückte türkische Hochzeit
Produktion: RatPack Filmproduktion,
Christian Becker, Anita Schneider
Buch: Daniel Speck
Regie: Stefan Holtz
Kamera: Bernhard Jasper
Schnitt: Georg Söring
Darsteller: Florian David Fitz,
Mandala Tayde, Hilmi Sözer,
Charly Hübner u. a.
Redaktion: Birgit Brandes
Erstausstrahlung: Donnerstag, 30.3.2006,
20.15 h
Sendelänge: 90 Min.
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„Die Liebe ist eine Erfindung der Musikindustrie“, findet Horst. Doch sein Freund Götz sieht das völlig anders
und verliebt sich Hals über Kopf in die schöne Türkin Aylin, die ihm nach einer Prügelei vor dem Kreuzberger
Plattenladen der beiden Männer zärtlich das Blut aus dem Gesicht gewaschen hat. In einer Diskothek trifft
Götz sie zufällig wieder und rettet sie, wie er glaubt, vor einem aufdringlichen Verehrer. Doch der vermeintliche
Fremde ist Tarkan, Aylins Großcousin und der Mann, den sie bald heiraten soll. Das will Götz natürlich verhindern. Da trifft es sich gut, dass Aylins Onkel ein Auge auf den Plattenladen geworfen hat, um dort seine Jeans
zu verkaufen. Ein deutsch-türkisches Joint-Venture? Keine schlechte Idee, denkt Götz, vielleicht lässt sich das ja
mit der Zeit auch auf die Liebe übertragen, damit die nicht nur heimlich stattfinden muss. Doch eine Hochzeit
kommt für Aylins Vater nur in Frage, wenn Götz Moslem wird – Ramadan und Beschneidung inklusive. Götz’
Mutter hält gar nichts von den Heiratsplänen ihres Sohnes – und Ehrenmorde und Zwangsehen für die wesentlichen Grundlagen des Islam. Bei der geplanten Familienzusammenführung kommt es zum Eklat – und damit
ist Tarkan als zukünftiger Ehemann plötzlich wieder im Rennen. Schließlich ist Aylin schwanger, und niemand
kann so genau sagen, ob der Erzeuger des Babys deutsch oder türkisch ist. Sie müsste nur noch „Ja“ sagen, aber
dieses Wort habe sie noch nie aussprechen können, sagt Aylins Vater – und gibt Götz die berechtigte Hoffnung
auf ein Happy-End.
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Stefan Holtz
(Regie)
Florian David Fitz und Mandala Tayde
(stellv. für das Darstellerteam)
für
Meine verrückte türkische Hochzeit (ProSieben)
Produktion: RatPack Filmproduktion
BEGRÜNDUNG DER JURY:
Es kann auch anders, das deutsche Fernsehen. „Meine verrückte türkische
Hochzeit“ räumt löblicherweise ein paar Dutzend Vorurteile aus, die Deutsche und Türken in Berlin-Kreuzberg und anderswo so hegen. Doch größer
noch ist das Verdienst, endlich einmal gezeigt zu haben, dass eine deutsche
romantic comedy tatsächlich romantisch sein kann. Und so witzig, voller
Tempo, Komik und Klamauk, dass sie es mit ihren großen amerikanischen
Kinovorbildern von „My Big Fat Greek Wedding“ über „High Fidelity“ bis
„Notting Hill“ locker aufnehmen kann.
Mögen sich andere bemühen, kulturelle Klischees zu vermeiden: „Meine
türkische Hochzeit“ kehrt sie lieber hervor, um sie vergnüglich – mal mit
feiner Ironie, mal in derben Späßen – auf die Schippe zu nehmen. Drehbuchautor Daniel Speck erzählt in seinem wunderbaren Filmmärchen vom
jungen Plattenhändler Götz (Florian David Fitz), der sich aus Liebe zur türkischen Jurastudentin Aylin (Mandala Tayde) den Gebräuchen der Familie
des Import-Export-Unternehmers Süleyman unterwirft. Wie der deutsche
Tagträumer aus der SO36-Subkultur alle Warnungen seines von Charly
Hübner großartig gespielten Freundes Horst in den Wind schlägt („Das
wird böse enden. Eine türkische Frau ist wie ein verpackte CD. Machst du
sie auf, musst du sie kaufen“), wie er zum Islam übertritt, sich beschneiden
lässt („ist doch nur ein Stück Haut“) und sein Geschäft zum Spottpreis
einem Schwager verkauft, ist überaus amüsant erzählt und von Regisseur
Stefan Holtz höchst unterhaltsam in Szene gesetzt. Eine solche Sorgfalt
und Akribie findet der Zuschauer im Fernsehen sonst eher in aufwändigen
zeitgeschichtlichen Mehrteilern.
Es stimmt einfach alles in diesem Feel-Good-Movie von ProSieben: Schnitt
und Kamera sind ausgezeichnet, Ausstattung und Kostüme bestechen
durch große Liebe zum Detail, selbst in den kleinsten Nebenrollen ist der
Film hervorragend besetzt, und die exzellente Filmmusik („Come on Eileen“)
treibt die Geschichte immer wieder voran. Überragend ist Schauspieler Hilmi Sözer als türkischer Patriarch Süleyman, nur auf den ersten Blick ein
gestrenger Hüter der Traditionen, der am Ende in einem der schönsten
Momente mit einem ironischen Seufzer beichtet: „Der eine Sohn ist Fundamentalist, der andere Homo und Tochter macht Skandal.“ Und das mit der
Religion? „Machen wir doch nur für die anderen.“ Famos auch Katrin Saß
als deutscher Widerpart und linksliberale Mittelschichtsmutter, die unter
türkischer Kultur nichts anderes versteht als Kopftuchzwang, Zwangsehen
und Ehrenmorde. Nur „wegen der Verwandtschaft“ hat sie ihren Sohn Götz
einst taufen lassen, fühlt sich angesichts der moslemischen Eindringlinge
nun aber zur Verteidigung westlicher Werte aufgerufen.
Stefan Holtz 1973 in München geboren,
machte diverse Praktika im Filmbereich, bevor er sich
an der Hochschule für Fernsehen und Film in München einschrieb. Als Co-Autor war er an Produktionen
wie „Der Fahnder“ (ARD 1995) und „Bang Boom Bang“
(1999) beteiligt. Eigene Drehbücher verfasste er dann
für Serien wie „Die Strandclique“ (ARD 1999), „Sternenfänger“ (ARD 2000), „Die Cleveren“ (RTL 2000
– 2003), „Die Gerichtsmedizinerin“ (RTL 2004 – 2006)
und „Doppelter Einsatz“ (RTL 2005). Nach verschiedenen Kurzfilmen führte er 2003 beim ProSieben-Movie „Mädchen Nr.1“ Regie, für das er auch das Buch
schrieb.
Foto: Dirk Ahner
(Buch)
Florian David Fitz
1974 in München geboren, studierte in Boston Musik und Theater. Nach
seiner Rückkehr nach Europa ging es auf die Bühne,
wo er u. a. in der „Rocky Horror Picture Show“ spielte.
Es folgten Auftritte in zahlreichen Kino- und Fernsehproduktionen, darunter „Polizeiruf 110“ (ARD 2002),
„Mädchen, Mädchen II“ (2003), „Berlin, Berlin“ (ARD
2004), „Edel & Starck“ (Sat.1 2004) und „SOKO 5113“
(ZDF 2006). Sein Talent als Musiker bewies er im Kinotrickfilm „Tiggers großes Abenteuer“ (2000), wo er den
Schluss-Song gesungen hat.
Foto: Andreas Ortner
Daniel Speck
Daniel Speck 1969 in München geboren, hat
in seiner Heimatstadt sowie an der Universität La
Sapienzia in Rom Literatur- und Filmwissenschaft
studiert. Außerdem absolvierte er Schauspielkurse
und arbeitete u. a. als Regieassistent und Autor bzw.
Co-Autor für verschiedene fiktionale und dokumentarische Produktionen. Mit „Meine verrückte türkische
Hochzeit“ war er für den Deutschen Fernsehpreis 2006
nominiert. Der Film gewann beim Fernsehfilmfestival
Baden-Baden den Preis der Jury und den 3sat-Zuschauerpreis. Sein aktuelles Projekt ist die Kino-Adaption des Bestsellers „Maria, ihm schmeckt´s nicht“.
Er lehrt an verschiedenen Hochschulen das Schreiben
guter Drehbücher.
Mandala Tayde wurde 1975 in Frankfurt/
Main geboren. Schon als Jugendliche stand die
Deutsch-Inderin gelegentlich als Fotomodell vor der
Kamera. In London und Rom studierte sie Schauspiel
und ist den Italienern spätestens seit dem dortigen
Kinoerfolg „Fuochi d´artificio“ (1997) ein Begriff. Mit
italienischen Fernsehproduktionen wie „Die Rückkehr
des Sandokan“ (1997) und „Prinzessin Amina“ (1998)
eroberte sie auch bei uns den Bildschirm. In Indien
spielte sie 2001 in dem Bollywood-Movie „Dil Chahpa
Hai“. Zu ihren deutschen TV-Produktionen zählen u. a.
„Klinik unter Palmen“ (ARD 2002), „SOKO Leipzig“ (ZDF
2002), „Denninger – Der Mallorcakrimi“ (ZDF 2003)
und „Ein Fall für den Fuchs“ (Sat.1 2006).
Foto: Gianmarco Chieregato
Adolf-Grimme-Preis an
33
Foto: Cornelia Schneid
43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Autor Daniel Speck hat das türkische Idiom genau getroffen und die Kanaksprak um einige poetische Wortschöpfungen wie „Kriegsdienstvergeweigerung“ bereichert. Oder „Bildbestörung“. Davon würden wir gerne
mehr sehen.
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20.03.2007 12:08:09 Uhr
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Grimme-Preis | Fiktion
Wut
ARD/WDR
Foto: WDR/Hardy Spitz
FIKTION
Produktion: Colonia Media
Wut
Produktion: Colonia Media,
Christian Granderath
Buch: Max Eipp
Regie: Züli Aladag
Kamera: Wojciech Szepel
Schnitt: Andreas Wodratschke
Darsteller: Oktay Özdemir, August Zirner,
Corinna Harfouch, Robert Höller,
Ralph Herforth u. a.
Redaktion: Wolf-Dietrich Brücker
Erstausstrahlung: Freitag, 29.9.2006,
22.00 h
Sendelänge: 89 Min.
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„Sei kein Feigling wie dein Vater, Junge!“ provoziert der junge Türke Can den deutschen Jungen Felix und animiert ihn zu gefährlichen Mutproben. Can und seine Gang ziehen Felix schon seit geraumer Zeit ab, erpressen
ihn um Geld oder seine neuen Schuhe. Es ist der Konflikt zwischen den Habenden und den Nichthabenden, der
Konflikt zwischen zwei unterschiedlichen Kulturen im selben Deutschland. Can verliert sich immer mehr in Aggressionen, während der behütet und gebildet aufgewachsene Felix in seinem Elternhaus moralischen Halt und
Werte vermisst. So bewundert Felix trotz vieler Demütigungen Can, dessen Name übersetzt „Seele“ bedeutet. Er
schätzt den Zusammenhalt türkischer Familien und deren Ehrgefühl, das sein Vater Simon, ein Literaturprofessor, als rückständig empfindet. Seinem Vater hingegen wirft Felix vor, ein deutscher Feigling mit Hitlerkomplex
zu sein, jemand, der ständig Angst hat, etwas falsch zu machen. Tatsächlich läuft vieles im Hause Laub längst
nicht so gut, wie es nach außen hin den Anschein hat. Simon und Christa führen eine aufgeklärte offene Beziehung, was faktisch nichts anderes bedeutet, als dass sie einander hinter dem Rücken des jeweils anderen
betrügen und Toleranz als einen Weg benutzen, keine klare Stellung beziehen zu müssen. Als der Vater sich aber
doch in den Konflikt der beiden Jugendlichen einmischt, greifen Cans Provokationen mehr und mehr auf Simon
über. Es entwickelt sich auf beiden Seiten eine nicht aufzuhaltende Spirale der Gewalt.
20.03.2007 12:08:11 Uhr
43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Adolf-Grimme-Preis an
Max Eipp 1955 bei Frankfurt geboren, löste mit
Max Eipp
seinem Buch zu dem Fernsehfilm „Wut“ (ARD 2006) eine
Kontroverse über Gewalt in den Medien aus. Daneben gab
es aber auch zahlreiche Auszeichnungen wie die Goldene
Züli Aladag
Kamera oder die Gold Word Medal in New York. Der stu-
(Regie)
dierte Germanist und Theaterwissenschaftler lebt als frei-
Wolf-Dietrich Brücker
er Schauspieler, Sprecher, Autor und Regisseur in Ham-
(Redaktion)
burg und Berlin. Für die Bühne realisierte er zahlreiche
Projekte in Frankfurt und Hamburg. Neben erfolgreichen
Oktay Özdemir und August Zirner
Lesungen und Literaturbearbeitungen, auch für Hörbü-
(stellv. für das Darstellerteam)
cher, arbeitet er seit einigen Jahren zunehmend für Film
und Fernsehen.
Foto: Lena Bjerregaard
(Buch)
35
für
Wut (ARD/WDR)
Produktion: Colonia Media
Züli Aladag
1968 im türkischen Van geboren,
studierte zunächst Theaterwissenschaft in München und
später Regie an der Kunsthochschule für Medien in Köln.
Schon während dieser Zeit arbeitete er als Autor, Regisseur
und Produzent und drehte Dokumentarfilme, Videoclips
Durchbruch kam mit dem Kinofilm „Elefantenherz“ (2002),
der u. a. zwei Bayerische Filmpreise sowie den Deutschen
Mit diesem provokanten Stoff, als aufwühlender Thriller glänzend inszeniert, hat „Wut“ den Blick auf einen hochbrisanten gesellschaftlichen Konflikt fokussiert: Jugendgewalt im Migrantenmilieu – und die Unfähigkeit,
ihr zu begegnen. „Wut“ liefert keine Erklärungen, keine sozialtherapeutisch
motivierte Schuldzuweisung, keinen Vorwurf und keine Antwort. „Wut“
ist eine schroffe, dramaturgisch radikal voran getriebene Tragödie des
Zusammenpralls zweier Kulturen, die einander zutiefst fremd sind; das
pessimistische Bild gescheiterter Integration und eklatanter Hilflosigkeit
auf beiden Seiten. Hilflos ist die ungezügelte Wut des hasserfüllten Türken
Can, und als genauso hilflos in ihrer Weltfremdheit erweist sich auch die
Liberalität des deutschen Vaters Simon.
Filmpreis (für Hauptdarsteller Daniel Brühl) erhielt. Für sein
TV-Drama Wut (2006) wurde er u. a. schon mit der Goldenen Kamera und der Fipa d‘Argent Biarritz ausgezeichnet.
Wolf-Dietrich Brücker 1945 in Jerichow
geboren, studierte in Berlin Publizistik, Philosophie und
Theaterwissenschaften. Viele Produktionen, für die er in
den vergangenen 35 Jahren als Fernsehspielredakteur des
WDR verantwortlich war, wurden mehrfach ausgezeichnet. TV-Highlights wie „Smog“ (1973), „Die Vorstadtkrokodile“ (1977), „Berlin Alexanderplatz“ (1980), „Rote Erde“
(1983), „Linie 1“ (1990), „Die Bubi-Scholz-Story“ (1998),
„Die Polizistin“ (2000), „Bloch“ (seit 2002), „Agnes und
seine Brüder“ (2004), „Willenbrock“ (2005) und „Zeit der
Wünsche“ (2005) bilden nur einen kleinen Ausschnitt.
Foto: WDR
Was für ein kühnes, interkulturelles Drama. Ein Thriller, der die Probleme
von Jugendlichen mit Wagemut thematisiert: Der kriminelle Türke Can, der
mit seiner Jugendgang einem deutschen Gymnasiasten von Geld bis zu
den Schuhen alles abknöpft, was ihm gefällt; und schließlich, mit eskalierender Brutalität, die ganze Familie tyrannisiert, bis er am Ende in einem
atavistischen Gewaltausbruch vom Vater des Schülers getötet wird.
Foto: Christine Fenzl
und Kurzspielfilme, für die er zahlreiche Preise erhielt. Sein
BEGRÜNDUNG DER JURY:
Oktay Özdemir 1986 in Berlin geboren, hatte seine
ersten Auftritte im Kinder- und Jugendzirkus Cabuwazi, wo er
auch entdeckt wurde. Seine erste Rolle spielte er in dem Drama „König der Diebe“ (2003), das zum Teil auch im Zirkusmilieu
gendgang. Er hofft, in Zukunft auch mit anderen Rollen besetzt
zu werden: „Eigentlich bin ich ja ein ganz lieber“. Bekannt wurde
er durch Detlev Bucks Kinofilm „Knallhart“ (2005), für den er den
Undine Award als bester jugendlicher Nebendarsteller erhielt. In
Kürze ist er in der ProSieben-Krimi-Serie „Dr. Psycho“ (2007) zu
sehen.
August Zirner wurde 1959 als Sohn österreichischer Emigranten in Urbana, Illinois in den USA geboren.
Nach dem Schauspielstudium am Max-Reinhardt-Seminar
in Wien stand er für zahlreiche Theaterproduktionen in
Wien, Hannover, Wiesbaden, München, Salzburg oder Zürich auf der Bühne. Mittlerweile ist Zirner von Bildschirm
und Leinwand nicht mehr wegzudenken. Er spielte in rund
Ein Fernsehereignis, das auch dem Fernsehfilm-Redakteur des WDR, WolfDietrich Brücker, zu verdanken ist. Seit den siebziger Jahren steht sein
Name für zahlreiche Produktionen („Acht Stunden sind kein Tag“, „Rote
Erde“, „Smog“, „Reporter“, „Die Polizistin“, „Mein Vater“), die Fernsehgeschichte geschrieben haben, weil sie Realitätsbezug, ästhetische Innovation, experimentellen Mut und Erfolg beim Publikum zu verbinden wussten.
Kein Wunder also, dass unter der Verantwortung von Wolf-Dietrich Brücker ein so außerordentlicher Thriller wie „Wut“ entstehen konnte.
Grimme_2007.indd 35
Foto: Stephan Köhler
spielt. Wie in „Wut“ spielt er auch dort den Anführer einer Ju-
90 Filmen. Darunter: „Homo Faber“ (1990), „Das Versprechen“ (1994), „Stadtgespräch“ (1995), „Die Apothekerin“
(1997), „Pünktchen und Anton“ (1998), „Das Sams“ (2001),
„Die Kirschenkönigin“ (ZDF 2004), „Speer und Er“ (ARD
2005) sowie „Helen, Fred und Ted“ (ARD 2006).
Foto: vanit.de/B.Kühmstedt
„Wut“ ist aber auch das Drama einer allein gelassenen Jugend, deren Väter
als Vorbild nicht mehr taugen. Denn so wenig wie der tolerante Intellektuelle Simon die Realität seines Sohnes Felix versteht – und deshalb von ihm
verachtet wird –, so wenig ist Cans Vater, der klassische Gemüsehändler,
der kriminellen Energie seines Sohnes gewachsen. Nicht die Söhne sind es,
die Schuld an der mörderischen Katastrophe tragen – es sind die Väter, die
ihrerseits in einer Parallelwelt der moralischen Reflexe oder überkommener
Familienehre leben, die nichts vom Leben ihrer Söhne wissen, ihnen nichts
Hilfreiches zu sagen, geschweige denn vorzuleben haben. Dass aus den
Söhnen Freunde hätten werden können, wird in einer ergreifenden Szene
angedeutet. Und in Oktay Özdemirs beängstigend brillanter Darstellung
des Can wird nicht nur die gewalttätige Wut, sondern auch die dahinter
liegende Verzweiflung eines kulturell entwurzelten Underdogs erkennbar.
Brillant auch August Zirner, Cans Gegenpart: der liberale deutsche Vater,
dessen vermeintliches Verwurzeltsein in Kultiviertheit sukzessive die mörderische Wut zu Tage fördert, die unter dem zivilisierten Firnis schwelt.
20.03.2007 12:08:13 Uhr
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Grimme-Preis | Fiktion
Unter dem Eis
ARD/SWR/rbb
Foto: rbb/SWR
FIKTION
Produktion: EIKON Media
Unter dem Eis
Produktion: EIKON Media,
Ernst Ludwig Ganzert
Buch: Thomas Stiller nach einer Idee
von Holger Badura
Regie: Aelrun Goette
Kamera: Jens Harant
Schnitt: Andreas Zitzmann
Darsteller: Bibiana Beglau, Dirk Borchardt,
Adrian Wahlen, Sandra Borgmann u. a.
Redaktion: Sabine Holtgreve (SWR),
Justus Boehncke (RBB)
Erstausstrahlung: Montag, 28.8.2006,
22.30 h,
Sendelänge: 94 Min.
Grimme_2007.indd 36
Dass Michael Niemayer, ein Polizist, die Akte eines ungeklärten Mordfalls mit nach Hause bringt, wird das Leben
seiner jungen Familie aus der Bahn werfen. Der siebenjährige Sohn Tim entdeckt nämlich ein Tatortfoto. Darauf
zu sehen ist die Leiche eines Mädchens, das im Wald mit einer Plastiktüte erstickt wurde. Auf Tims Frage, ob
das Mädchen tot sei, reagieren die Eltern mit der lapidaren Antwort „Nein, es schläft nur“ und packen die Akte
hektisch zur Seite. Einige Tage später kommt Tim verstört nach Hause, er war mit der Nachbarstochter Luzie im
Wald. Seine Mutter Jenny lässt sich von ihm dorthin führen, wo Tim Luzie zurückgelassen hat. Das Mädchen
wurde ebenfalls mit einer Plastiktüte erstickt. Die beiden Kinder haben „Schlafen“ gespielt, so wie Tim es auf
dem Polizeifoto gesehen hat. Mutter Jenny gerät in Panik und versucht die Tat zu vertuschen: „Das war der böse
Mann, der das andere Mädchen auch schon tot gemacht hat“, versucht sie ihrem Sohn einzutrichtern. Doch
das Geheimnis ist zu mächtig für den Siebenjährigen. Das von der Mutter inszenierte Versteckspiel verwirrt ihn
immer mehr. Er wird in der Schule unaufmerksam und aggressiv, spielt die Eltern gegeneinander aus und droht
an der Verdrängung zu zerbrechen. Was die Familie bewahren sollte, droht nun ins Gegenteil umzuschlagen.
Jenny und Michael streiten sich immer häufiger. Außerdem hat sich der Täter des ersten Mordes mittlerweile
der Polizei gestellt. Michael ahnt nun, wer für Luzies Tod verantwortlich ist.
20.03.2007 12:08:17 Uhr
Adolf-Grimme-Preis an
Aelrun Goette
(Regie)
Jens Harant
(Kamera)
Bibiana Beglau
(Darstellung)
für
Unter dem Eis (ARD/SWR/rbb)
Aelrun Goette in Berlin geboren, arbeitete
als Krankenschwester in der Psychiatrie, Fotomodell,
Vollzugsbetreuerin in der JVA Plötzensee, Autorin,
Dozentin, Kostümbildnerin, Schauspielerin und Theaterregisseurin. Nach vier Semestern Philosophiestudium an der Humboldt Universität in Berlin studierte
sie Regie an der Hochschule für Film und Fernsehen
Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg. 2000 schloss sie
ihr Studium mit dem Regie-Diplom ab. Für ihren Dokumentarfilm „Die Kinder sind tot“ erhielt sie 2004 den
Bundesfilmpreis in Gold. „Unter dem Eis“ ist ihr erster
abendfüllender Spielfilm.
37
Foto: Privat
43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
„Unter dem Eis“ ist ein Vorstadtfilm. Draußen in der Siedlung an den
Rändern Berlins: die Einfamilienhäuser, die Zweitwagen, die Kinder und
die Haustiere. „Ich bin total froh, dass wir hier hingezogen sind“, sagt die
Nachbarin. Und man versichert sich gegenseitig, dass einen die Hypothekenzinsen nun für den Rest des Lebens begleiten werden. Diese Häuser
sind Traumschloss, Trutzburg und Gefängnis zugleich.
„Unter dem Eis“ ist ein Familienfilm, erzählt von der Sehnsucht nach Geborgenheit und von verborgenen Sehnsüchten. Der kleine Junge mag nicht
mehr mit dem Vater rodeln. Ein einfaches, genau gefilmtes Bild: Ein Riss
geht durch die Welt. Menschen beginnen sich zu verlieren. Und die Schwiegermutter insistiert, dass es doch ihr zinsloses Darlehen sei, auf dem das
neue Glücksversprechen steht. Altes Geld finanziert die Neubausiedlungen.
„Unter dem Eis“ ist ein herausragender Film; ein schonungslos intensives
Kammerspiel hinter den Fensterfronten eines schneeweißen Bungalows.
Herausragend sind seine Akteure, allen voran Bibiana Beglau als junge
Mutter, eine entfremdete Frau mitten in der voyeuristischen Intimität der
Siedlung. Beeindruckend, wie sie sich in ihrer genau nuancierten Körperlichkeit den Ritualen der neuen Nachbarinnen entzieht. Auf der Dessousparty behält sie als einzige ihre Bluse an. Später krümmt sie sich nackt vor
einer Waschmaschine.
Am Anfang steht ein Verbrechen, das doch keines ist. Der achtjährige Tim
erstickt die Nachbarstochter Luzie unter einer Plastiktüte – genau so, wie
er es auf den Fotografien des Vaters, einem Kriminalkommissar, gesehen
hat. Die Mutter wird zur Komplizin und mithin zur eigentlichen Täterin.
Manisch versucht sie, zu einer Normalität zurückzukehren, die doch nie
anderes als eine Fassade war. Und die von Aelrun Goette – Psychogramme
von Tod und Verzweiflung hatte sie bisher als Dokumentarfilmerin nachgezeichnet – als genau das inszeniert wird.
Jens Harant 1973 in Kulmbach geboren, arbeitete in Stuttgart als freier Fotoassistent und Fotograf,
bevor er sich 1996 den bewegten Bildern zuwandte
und an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg Kamera studierte. Er drehte eine Reihe von
Kurzfilmen und Werbespots und wurde 1999 vom Art
Directors Club Deutschland mit einem Nachwuchspreis ausgezeichnet. Der SWR-Film „Der Rattenkönig“
war 2001 sein Abschlussfilm. Neben diversen Videoclips setzte er u. a. den Kinofilm „Max und Moritz reloaded“ (2004) und einige Folgen der Sat.1-Serie „Der
Elefant“ (2005) ins Bild. Auf der Berlinale war gerade
die ARD-Produktion „Guten Morgen, Herr Grothe“
(2006) zu sehen.
Bibiana Beglau
1971 in Helmstedt geboren, erlernte den Schauspielberuf an der Hamburger
Hochschule für Musik und Theater. Sie arbeitete mit
Theaterregisseuren wie Frank Castorf und Christoph
Schlingensief zusammen und stand schon in Düsseldorf, Hamburg, Berlin und Zürich auf der Bühne. 2000
erhielt sie den Ulrich-Wildgruber-Preis. Nach ihrer
Mitwirkung und Präsenz in mehreren Fernsehfilmen
gab sie mit Volker Schlöndorffs „Die Stille nach dem
Schuss“ (2000) ihr Kinodebüt. Für ihre Rolle als westdeutsche Terroristin, die in der DDR ein neues Leben
beginnt, erhielt sie bei der Berlinale den Silbernen Bären. Unter Schlöndorff spielte sie auch in „Der neunte
Tag“ (2004).
Foto: Jim Rakete
BEGRÜNDUNG DER JURY:
Foto: Marie-Lou Sellem
Produktion: EIKON Media
Am Ende verdichtet sich der Film in all seinen Qualitäten: die konzentrierten Bilder von Kameramann Jens Harant, die kalten Farben und die
präzisen Blicke. Das aufmerksame Spiel mit den Innen- und Außenperspektiven. Die Menschen schauen aus den Fenstern, und wir Zuschauer
schauen umgekehrt durch diese Fenster in die Menschen hinein. Berührend, ja bedrückend: die Präsenz der Schauspieler. Unheimlich, wie Adrian
Wahlen, das schuldige und doch schuldlose Kind, unter Tränen vibriert.
Wie allen die Worte fehlen und der Schnee die Schreie dämpft. Großartig,
unmittelbar. Dicht und ergreifend.
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20.03.2007 12:08:19 Uhr
38
43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Grimme-Preis | Fiktion
Arnies Welt
ARD/WDR
Foto: WDR
FIKTION
Produktion: Little Shark Entertainment
Arnies Welt
Produktion: Little Shark Entertainment
Buch: Isabel Kleefeld nach dem Roman
von Maeve Carels
Regie: Isabel Kleefeld
Kamera: Rainer Klausmann
Schnitt: Andrea Mertens
Darsteller: Caroline Peters,
Jörg Schüttauf, Matthias Brandt,
Enno Hesse, Ernst Alisch u. a.
Redaktion: Dr. Barbara Buhl
Erstausstrahlung: Mittwoch, 3.5.2006,
20.15 h
Sendelänge: 90 Min.
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Über die Osterferien ist der siebenjährige Arnie zu Besuch bei seinen Großeltern in einem verschlafenen Nest
irgendwo in der Eifel. Der Junge langweilt sich und streift mit seinem Plüschlöwen unter dem Arm durch den
Ort. An einer Landstraße wird er Zeuge eines Autounfalls. Ein Mann kommt dabei ums Leben, der junge Polizist
Marc Fischer. Gerade erst war er befördert worden und hatte seinen Abschied von der alten Dienststelle mit
seinem Kollegen Horst Bäumer gebührend gefeiert. Die Polizisten hatten zu viel getrunken. Damit das nicht
herauskommt, ist Bäumer auch schnell mit der erstbesten Theorie zum Unfallhergang zufrieden. Ein Reh wird
Fischer wohl vor das Auto gesprungen sein, der habe dann nicht mehr ausweichen können. Dass es tatsächlich
aber nicht so war, weiß nur Arnie. Bäumers Frau Hannah kommt langsam dahinter. Sie fühlt sich selbst wie eine
Gestrandete in dem kleinen Ort, sie hat psychische Probleme, ihre Ehe steht kurz vor dem Aus, und die Einheimischen beäugen sie misstrauisch. Als auch Hannah ziellos durch das Dorf wandert, lernt sie Arnie kennen und
erfährt, dass an dem Unfall noch ein weiteres Auto beteiligt war. Doch plötzlich verschwindet der kleine Junge.
Soll er als unliebsamer Zeuge womöglich aus dem Weg geräumt werden? Zusammen mit dem Dorfbriefträger
Enno macht sich Hannah auf die Suche nach Arnie.
20.03.2007 12:08:21 Uhr
43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
(Darstellung)
für
Arnies Welt (ARD/WDR)
Produktion: Little Shark Entertainment
BEGRÜNDUNG DER JURY:
Wie jeder gute Film birgt dieser Film viele Geschichten, die zum Schluss
nicht am Ende sind. Ein kleiner Junge wird Zeuge eines tödlichen Unfalls,
und weil er etwas gesehen hat, was niemand sonst gesehen hat, gerät er
in Gefahr. Der Film entführt uns in eine dörfliche Welt, die er als Spielfläche eindringlich und emphatisch erkundet, ohne sie herabzuwürdigen.
Hier zählt jeder Blick, jedes fliehende Wort, jedes Ding, das von einer Hand
zur anderen geht. Der Film hütet seine Motive so umsichtig wie ein Schäfer seine Herde. Die Figuren, die in diesem Erzählkosmos leben, sind aus
Fleisch, Blut und Atem. So lebendig können Erfundene durch unser Leben
gehen, wir wollen sie für Bekannte halten, für Freunde.
Der Film schafft das Kunststück, komisch, tragisch, melodramatisch und
sentimental zu sein – und doch geht nichts durcheinander. Ein Ehedrama,
eine soziale Studie, ein Kriminalfilm, eine Komödie, all das und noch mehr.
Selten haben wir so eine wunderbar einleuchtende und durchdachte Besetzung erlebt: Die fundamentale Verlassenheit des Kindes Arnie wird von
Bruno Schubert sehr anschaulich gemacht (ohne jede Kindersüßlichkeit),
die triste Sprachlosigkeit des Kommissars wird von Jörg Schüttauf zur
beredsamen Körpersprache gebracht, seine fiebrig-nervöse Frau wird von
Caroline Peters mit unverbraucht anmutender Expressivität ausgestattet,
der blassgesichtige Zivildienstleistende bekommt durch Enno Hesse ein
faszinierendes Doppelgesicht aus Schuld und Scham verliehen, Matthias
Brandt macht den schrullig-scharfen schnapsgeprüften Briefträger zu einer kostbar-komischen Miniature, Friedrike Frerichs bleibt als liebesunfähige Großmutter und alles richtende Sittenwächterin in lebhafter Erinnerung, und Ernst Alisch, ihr Mann, verkörpert eindringlich jene gallige Güte,
die sich nach mehr Güte und weniger Galle sehnt.
Rainer Klausmann, der Kameramann, malt keine ländlichen Idyllen, sondern macht Räume, Orte und Flächen zu Metaphern des Sozialen. Isabel
Kleefeld hat diesen ausnahmslos schönen, scharf schauenden und spannenden Film zu verantworten. Als Regisseurin und Autorin hat sie bewiesen, dass sie sich auf lakonische Bilder versteht, die alles sagen, weil sie
nicht schwätzen. Sie hat ihrem Film einen Rhythmus verliehen, der uns
nicht gewaltsam mitreißt und überwältigt, sondern uns glauben macht,
wir hören zwischen all den Bildern ein Herz schlagen. Es gehört nicht
einem allein.
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Foto: Jan Hoffmann
Caroline Peters, Jörg Schüttauf
und Matthias Brandt
Caroline Peters 1971 in Köln geboren, startete
ihre Schauspielkarriere an der Berliner Schaubühne.
Später stand sie auch in Hamburg, Zürich und Wien
auf der Bühne. Ihre Ausbildung absolvierte sie in Saarbrücken an der Hochschule für Musik und Theater des
Saarlandes. Mit Isabel Kleefeld als Regisseurin drehte
sie bereits „Schluss mit lustig“ (Pro Sieben 2001) und
stand für verschiedene Folgen der Krimireihen „Wilsberg“ (ZDF) sowie „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ (beide
ARD) vor der Kamera. Im Kino war sie u. a. in der israelischen Produktion „Walk on Water“ (2002) zu sehen.
Außerdem spielte sie eine Hauptrolle in dem umstrittenen ARD-Film „Contergan – Eine einzige Tablette“,
der beim Sender aber noch unter Verschluss liegt.
Foto: Joachim Gern
(Buch/Regie)
wurde 1966 in Düsseldorf
geboren. Für ihr Studium wechselte sie nach Berlin,
beschäftigte sich zunächst mit Publizistik, Theaterwissenschaft und Politik, schwenkte dann aber um
auf Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation.
Von 1992 an arbeitete sie acht Jahre lang als Regieassistentin bei Filmen wie „Männerpension“ (1995),
„Der Campus“ (1997) und „Das Experiment“ (2000).
Ihr erster eigener Film kam 2001: „Schluss mit lustig“
(ProSieben). Das TV-Movie „Das Gespenst von Canterville“ (Sat.1 2005), bei dem sie nicht nur Regie führte,
sondern auch Co-Autorin war, erhielt u. a. den Bayerischen Fernsehpreis. Die Folge „Ein neues Leben“ der
ZDF-Krimireihe „Unter Verdacht“ war in diesem Jahr
für den Adolf-Grimme-Preis nominiert.
Jörg Schüttauf 1961 in Chemnitz geboren,
ist gelernter Tischler und startete seine Theaterkarriere
als Bühnentechniker der Chemnitzer Oper, bevor er die
Seiten wechselte und Schauspiel studierte. Nach zahlreichen Film- und Bühnenrollen wurde er spätestens
als Nachfolger von Klaus Wennemann als „Fahnder“
(ARD 1992 - 1996) einem Millionenpublikum bekannt.
Dreimal bekam er schon den Adolf-Grimme-Preis: für
„Lenz“ (1992), „Viel Spaß mit meiner Frau“ (1998) und
den „Tatort: Herzversagen“ (2005). Seit 2002 spielt
er an der Seite von Andrea Sawatzki den Frankfurter
Kommissar Dellwo. Dafür wurde er auch mit dem
Hessischen Fernsehpreis 2006 ausgezeichnet. Für den
Mehrteiler „Warten ist der Tod“ (1999) erhielt er den
Deutschen Fernsehpreis.
Foto: Nadja Klier
Isabel Kleefeld
Isabel Kleefeld
Matthias Brandt 1961 in Berlin geboren,
gelang 2002 der ganz große Durchbruch mit „Im
Schatten der Macht“ (ARD). In dem Zweiteiler spielte
er den Kanzleramtsspion Guillaume, der den früheren
Bundeskanzler Willy Brandt zu Fall brachte (im wahren
Leben der Vater von Matthias Brandt). Nach seinem
Studium an der Hochschule für Musik und Theater in
Hannover stand er zunächst vor allem auf der Bühne,
u. a. in Oldenburg, Wiesbaden, Mannheim, Bochum,
Berlin, Zürich, München und Bonn. Mittlerweile ist
er aber auch als TV-Schauspieler sehr gefragt. Zuletzt
war er in Filmen wie „In Sachen Kaminski“ (ARD 2005),
„Leo“ (ARD 2006), „Drei Schwestern made in Germany“ (ARTE/ZDF 2006) und „Unter anderen Umständen“
(ZDF 2006) zu sehen.
Foto: Joachim Gern
Adolf-Grimme-Preis an
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20.03.2007 12:08:23 Uhr
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Grimme-Preis | Fiktion
Polizeiruf 110: Er sollte tot
ARD/BR
FIKTION
Foto: BR/Julia von Vietinghoff
Produktion: BurkertBareissDevelopment und TV60Film
Er sollte tot
Produktion:
BurkertBareissDevelopment, Gloria Burkert
und TV60Film, Bernd Burgemeister
Buch: Rolf Basedow
Regie: Dominik Graf
Kamera: Alexander Fischerkoesen
Schnitt: Ulla Möllinger
Darsteller: Edgar Selge, Michaela May,
Jochen Striebeck, Rosalie Thomass,
Ulrike C. Tscharre u. a.
Redaktion: Dr. Cornelia Ackers
Erstausstrahlung: Sonntag, 6.8.2006,
20.15 h
Sendelänge: 90 Min.
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„Er sollte tot…“ – ein Zitat aus Originalverhörprotokollen, die Handlung entwickelt nach einem wahren Kriminalfall. „Er sollte tot“ ist über weite Strecken die Geschichte eines Verhörs, bei dem nach und nach das Motiv
für den Mord an einem alten Mann enthüllt wird. Die junge Maria Lorenz sucht über Kontaktanzeigen einsame,
ältere Männer und bietet ihnen auch im Haushalt und bei der Pflege ihre Dienste an. Die Männer fühlen sich
geschmeichelt, gar geliebt und zeigen sich erkenntlich. Maria Lorenz aber braucht Geld, viel Geld, angeblich für
ihre alte kranke Mutter, die Männer geben es ihr bereitwillig. „Die sind doch froh und freuen sich, wenn sie das
Geld abgeben können“, sagt Maria im Verhör mit Kriminalhauptkommissar Jürgen Tauber. Nur der alte Johannes
Walter hegt Misstrauen und will nicht mehr mitspielen. Unter dem ständig wachsenden Druck ihres Zuhälters
schmiedet Maria, die sich mit dem Geld freikaufen will, einen tödlichen Plan. Sie heuert einen Mann an, der den
alten Johannes Walter töten soll. Sie selbst wird bei der Tat dabei sein, obwohl sie sich zunächst weigert. Gemeinsam dringen die zwei an einem späten Abend in das Haus des Mannes ein. Wie der Mord genau abgelaufen
ist, gesteht Maria Lorenz Kriminalhauptkommissar Tauber erst ganz zum Schluss – beinahe fassungslos über
ihr eigenes Verhalten: „Komisch, dass ich immer sage: ich musste… er sollte… Ich kann mir gar nicht vorstellen,
dass ich das war …“
20.03.2007 12:08:25 Uhr
Adolf-Grimme-Preis an
Rolf Basedow
(Buch)
Dominik Graf
(Regie)
Edgar Selge und Rosalie Thomass
(Darstellung)
für
Polizeiruf 110: Er sollte tot (ARD/BR)
Produktion: BurkertBareissDevelopment und TV60Film
Rolf Basedow 1947 in Hamburg geboren,
bildet mit Regisseur Dominik Graf mittlerweile ein
eingespieltes Team. Sie brachten gemeinsam bereits
mehrere, teils mehrfach preisgekrönte Filme auf die
Leinwand und den Bildschirm, u. a. „Sperling und das
Loch in der Wand“ (ZDF 1996), „Sperling und der brennende Arm“ (ZDF 1999) und „Hotte im Paradies“ (ARD
2002). Nach seinem Studium an der Hochschule für
Fernsehen und Film in München arbeitete Basedow
zunächst als Cutter und führte später Regie bei verschiedenen Dokumentar- und Fernsehfilmen. Seit Mitte der 90er Jahre arbeitet er als Drehbuchautor. 1998
bekam er den Bayerischen Filmpreis für Doris Dörries
„Bin ich schön?“.
41
Foto: Privat
43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Die Dialoge sind fein gesponnene Kunststückchen: So nimmt Maria, das
verwirrte Kind, das keine Erklärung dafür findet, wie sie in all das hineingeraten ist („Das kann ich mir gar nicht vorstellen, dass ich das war“), stets
dann Zuflucht zu einer besonders „gewählten“, distanziert-distanzierenden
Sprache, wenn sie von jenen Demütigungen durch ihre Zuhälter erzählt,
die noch eine Spur ekliger, schlimmer waren als andere. Eine Fülle kleiner,
tragisch abgebrochener Gesten, die selten so eindrucksvoll demonstrierte
Kunst der Pause und die Magie der höllischen Bilder, die Marias Vergangenheit illustrieren: all das packt, macht beklommen. Dominik Graf führt,
mit freundlicher Hilfe seines Autors Rolf Basedow, einen Kosmos vor, in
dem viel Geld gegeben wird für ein paar gute Worte, fern von jedweder
Selbstbestimmtheit. Edgar Selge ist – ja, schon wieder – schlicht brillant
in seiner feinen Verstörtheit, die 19-jährige Rosalie Thomass ist ihm eine
verblüffend intensive Partnerin.
Grimme_2007.indd 41
Edgar Selge 1948 in Brilon geboren, wurde
für seine Rolle als Kommissar Jürgen Tauber mit zahlreichen Preisen bedacht: Deutscher Fernsehpreis 2005,
Adolf-Grimme-Preis 2006 und Goldene Kamera 2007.
Seine Vielseitigkeit hat der Otto-Falckenberg-Schüler
schon vorher in vielen Film- und Fernsehproduktionen
unter Beweis gestellt, etwa in Erfolgen wie „Rossini“
(1997), „Das Experiment“ (2000) und „Jahrestage“
(2000). Seine Karriere startete er auf der Bühne. Er
gehörte 18 Jahre lang zum Ensemble der Münchener
Kammerspiele und erhielt 1977 den Kunstpreis Berlin. Seit 1996 spielt er an wechselnden Bühnen in
Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Foto: Christian Schoppe
Mal ist es die kulleräugig vorgetragene Geschichte von der just gekündigten Wohnung, die den vereinsamten Alten zum Sparbuch greifen lässt;
dann wieder ist Marias Mutter schwer erkrankt und nur eine schnelle,
teure Operation kann helfen ... Ironie der Doppelverdienerin: Mit dem Geld,
das sie sich ergaunert, will sie sich von ihrem Zuhälter freikaufen. Das
leicht benebelt wirkende Babydoll aus der Provinz wird verhaftet und gibt
sich störrisch. So kommt Tauber nicht weiter, er muss versuchen, sich „hineinzuschleichen“ in diese verkorkste Psyche. Eine geschlagene Stunde lang
wird nun fast nur verhört, werden die Bruchstücke von Marias Leben, das
auch ihr selbst seltsam fremd (geworden) ist, nach und nach zusammengefügt – ein Psycho-Ballett mit durchaus humoristischen Einsprengseln,
bei der die fast stumme Protokollantin dezent mitmischt. Dieses Verhör,
bei dem Tauber die zitternde, zerrissene, haltlose junge Frau behutsam
umkreist, ist eine mühselige, aber für den Zuschauer jederzeit spannende
Angelegenheit.
Dominik Graf 1952 in München geboren,
startete seine Karriere direkt mit dem Bayerischen
Filmpreis für „Der kostbare Gast“ (1980), seinem Abschlussfilm an der HFF-München. Neben zahlreichen
anderen Auszeichnungen erhielt er schon fünfmal
den Adolf-Grimme-Preis: für „Sperling und das Loch
in der Wand“ (1997), „Dr. Knock“ (1998), „Das Wispern
im Berg der Dinge“ (1998), „Die Freunde der Freunde“
(2003) und zuletzt 2006 für den „Polizeiruf 110: Der
scharlachrote Engel“, ebenfalls mit dem KommissarDuo Edgar Selge und Michaela May sowie Nina Kunzendorf.
Rosalie Thomass 1987 in München geboren,
steckt eigentlich noch mitten im Studium der Theaterwissenschaften und der Niederländischen Philologie in Berlin. Mit dem „Polizeiruf 110: Er sollte tot“
(ARD 2006) gelang ihr aber bereits der Durchbruch
als Schauspielerin. Sie erhielt schon den Förderpreis
Deutscher Film Schauspiel und den Deutschen Fernsehpreis als beste Nachwuchsschauspielerin. Zuvor
stand sie im Münchner Volkstheater und an den Kammerspielen auf der Bühne. Erste größere Fernsehrollen
übernahm sie in „Emilia“ (ARD 2004) und „Leo“ (2006).
Rosalie Thomass arbeitet auch als Sprecherin für Hörspielproduktionen, zuletzt erschien „Der Plan von der
Abschaffung des Dunkels“ nach dem Roman von Peter
Hoeg.
Foto: Ruth Kappus
Schon wieder? Ja, wieder bezaubert der „Polizeiruf“ Grafscher Machart,
ist kein Überdruss zu spüren. Mit Verve stürzt sich „Er sollte tot“, skurriles
Zitat aus einem realen Fall, in die unübersichtlichen Verhältnisse. Im Vorort
Erding wird ein Rentner erschlagen aufgefunden, ausgerechnet zu Taubers
heiliger Billardzeit. Eine notorisch Verdächtige ist rasch gefunden: die junge Nutte Maria, deren lukrativerer Job es jedoch ist, ältere, vereinsamte
Herren nach Strich und Faden auszunehmen.
Foto: Caroline Link
BEGRÜNDUNG DER JURY:
20.03.2007 12:08:27 Uhr
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
„Wir sind die Jury“
Aus der Jury Fiktion / Spezial
| von Katrin Schuster
Foto: WDR/Hardy Spitz
„Die Hauptstadt des deutschen Fernsehens“ nannte Uwe Kammann den
Ort Marl am Telefon, sein schelmisches Lächeln war nicht zu überhören.
Doch alles ernst gemeint, die Ironie nur Schein – sonst säßen wir ja nicht
vier und zwei halbe Tage lang im Seminarraum des Grimme-Instituts und
sähen fern oder redeten wenigstens darüber. Auch während der bildschirmfreien Zeiten gilt die Aufmerksamkeit allein dem gesichteten Material: in der Mittagsstunde, beim Abendessen, beim letzten Pils des Tages
in der Bar des Parkhotels Marl. Und natürlich in den Zigarettenpausen
alle 90 Minuten. Mit sechseinhalb Rauchern ist das Laster ausnehmend
den Tischen angerichteten Fernseher konzentriert. Etwa einen Meter beträgt die Distanz zwischen Mattscheibe und Auge, und das zehn und mehr
Stunden täglich. Lautstarke Leidensbekundungen sind jedoch nur selten
zu hören – dass das in anderen Jurys anders sei, wird dagegen des Öfteren
kolportiert.
Doch endlich zu den Fakten: 17 Filme und 6 Mehrteiler wollen gesichtet
werden, zwei davon wurden am ersten Nachmittag nachnominiert – im
Fall „Dresden“ verbunden mit mehr bellenden denn bissigen Bemerkungen
über die Arbeit der Nominierungskommission. Offenbar ist das ein fester
Bestandteil der konstituierenden Sitzung, dem Newbie erscheint es jedenfalls als die „same procedure as every year“, gleichsam als Trockenübung
für die nächsten Tage, in denen die Diskussion über „Dresden“ nie ganz
versiegt. Zu viele Gegner, zu entschiedene Befürworter, als dass man davon schweigen könnte. Vielleicht auch weil dieser Zweiteiler immer wieder
Grundfragen des Fernsehens berührt: Da spricht man viel über Quote und
Qualität, über Form und Inhalt. Schließt sich das aus? Gehört das zusammen? Und was davon befindet die Jury für honorierungswürdig? Dass der
Zweiteiler über das britische Bombardement der ostdeutschen Stadt am
Ende ohne einen Preis aus dem Wettbewerb scheiden wird, ist anfangs
fraglich, später vorhersehbar; eine Hakennasen-Maskerade spielt dabei
keine unwichtige Rolle.
„Wut“
paritätisch verteilt unter den 13 Jurymitgliedern (was immer das für die
Sparte Fiktion bedeutet, in allen anderen Jurys wird jedenfalls augenfällig
weniger gequalmt) – wo doch deren ungerade Zahl eben das Gegenteil:
das Zustandekommen von einfachen Mehrheiten zu sichern hat. Bei den
Entscheidungen über die Preise klappt das immerhin.
einerlei Ablenkung erlaubt in diesen Tagen auch das Wetter und
schenkt uns beinahe jeden Morgen Nebel, einmal gar so dicht, dass das
andere Ufer des City-Sees darin verschwunden ist. Tatsächlich ist der Blick
ohnehin stets und starr auf einen der vier im inneren Quadrat zwischen
K
instimmigkeit herrscht dagegen in Sachen „Meine verrückte türkische
Hochzeit“ – von „angenehm inkorrekt“ bis „geht weiter, wo andere
Filme aufhören“ reicht das Lob über die Komödie, die die Gegensätze und
Ähnlichkeiten der Kulturen mit Esprit in Szene setzt. Der Film ist eine von
drei Privatsender-Produktionen, die zur Jury vorgedrungen sind; die anderen beiden werden leer ausgehen. Die kühle Ästhetik der arg professionellen Sat.1-Serie „Blackout“ lässt eine Figurenentwicklung vermissen, als
durchweg und eben leider erfolgreich „abweisend“ wird der Film kritisiert;
die seltsame Mischung aus Möchtergern-Mystik und regelgerechtem Krimi in der „Eva Blond“-Folge „Der sechste Sinn“ animiert zu ungläubigem
Kopfschütteln und weniger zur Preisvergabe.
E
Jury Fiktion / Spezial
Dagmar Mikasch-Köthner, VHS Freiburg
Dr. Jutta Wiegmann, VHS Berlin-Mitte
Christian Sywottek, Freier Journalist, Köln
Prof. Anna Kurek, HFF „Konrad Wolf“, Potsdam
Katrin Schuster, Freie Journalistin, München (sitzend)
Helge Hopp, Freier Journalist, Hamburg
Sybille Simon-Zülch, Freie Journalistin, Bremen
Dieter Anschlag, Funkkorrespondenz, Köln
(stellv. Vorsitzender)
Werner Ruzicka, VHS Duisburg (Vorsitzender)
Sandra Kegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung,
(stellv. Vorsitzender)
Foto: AGI/Hildegard Engler
Clemens Niedenthal, Freier Journalist, Berlin
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Helmut Monkenbusch, Financial Times, Hamburg
Torsten Körner, Freier Journalist, Berlin
20.03.2007 12:08:29 Uhr
Türkisch
für Anfänger
ARD/BR/NDR
BAYERISCHER RUNDFUNK
AUSGEZEICHNETE
FILME
Gratulation zum
43. Adolf-Grimme-Preis 2007
Adolf-Grimme-Preis:
Wettbewerb Unterhaltung
Edzard Oneken, Oliver Schmitz (Regie)
Bora Dagtekin (Headwriter)
Josefine Preuß (stellv. für das Darstellerteam)
Redaktion: Caren Toennissen (BR)
Executive Producer: Bettina Reitz (BR), Bernhard Gleim (NDR)
Produzent: Hofmann & Voges Entertainment GmbH
Im Auftrag der ARD Werbung für Das Erste
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20.03.2007 12:08:36 Uhr
44
43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Bei „Wut“ ist es genau andersherum. So laut die Vorwürfe an diesen Film,
so mehrheitlich wird er am Ende bepreist. Auch wenn ihm zuvor noch eine
„Propagierung des Faustrechts“ vorgeworfen wird, sind sich dann doch
fast alle einig über die Notwendigkeit der Diskussion, die er anstößt – hatte die Runde eben das doch gerade selbst bewiesen. Mit „Wut“ und der
„Verrückten türkischen Hochzeit“ werden also gleich zu Anfang zwei sehr
unterschiedliche Filme über dasselbe Thema – Immigration und ihre sozialen Folgen – ausgezeichnet. Der gesellschaftliche Diskurs findet sichtlich
seinen Niederschlag im TV, von unpolitischer Unterhaltung kann weder im
einen noch im anderen Fall die Rede sein.
nd auch das zweite große 2006-Thema wird in der Prämierung kenntlich: Mit „Arnies Welt“ und „Unter dem Eis“ entscheidet sich die Jury
für zwei Produktionen, in denen Kindern eine zentrale Rolle zukommt. „Es
war das Jahr des Kindes“, kommentiert einer ganz treffend. „Arnies Welt“
überzeugt durch die große Aufmerksamkeit, die die Regisseurin den Blicken und den Vernetzungen der Menschen zukommen lässt. Nicht zufällig
ist ein voyeuristischer Postbote darin der Mittler zwischen den Lebenswelten. „Unter dem Eis“ wiederum ist eine Überraschung, kaum einer kennt
den Film zuvor. Die Inhaltsbeschreibung deutet auf einen Krimi, was dann
allerdings zu sehen ist, ist das schwer erträgliche Psychogramm einer Mutter, die ihre Familie zu schützen sucht, koste es was es wolle; dass ihr kleiner Sohn dem bald nicht mehr gewachsen ist, übersieht sie dabei völlig.
U
Foto: BR/Julia von Vietinghoff
So werden manche überraschend einhellig durchgewunken, andere ebenso entschieden beiseite geschoben. Und wieder andere hätte man gerne
dabei, kann sie aber guten Gewissens kaum mitnehmen. „Zwei Engel für
Amor“ ist so ein Fall: Sowohl der Autor als auch der zuständige Redakteur
(Bernhard Gleim) leisten seit Jahren eine wunderbare Arbeit im Dienste
des Vorabendprogramms, nur wird gerade diese Produktion nicht als auszeichnungswürdig betrachtet – „noch einmal dasselbe wie ‚Berlin, Berlin’
sollte der Autor offenbar schreiben, aber doch irgendwie anders“, lautet
die Vermutung der Jurymitglieder über die Vorgaben dieser Sendung. Das
„Irgendwie“ sähe man dem schließlich an, so die entscheidende Kritik daran.
„Polizeiruf 110 – Er sollte tot“
Pause ein wenig verlängern und in dieser Zeit – ja: fernsehen. Denn das
Handball-WM-Endspiel steht an und die Information & Kultur-Jury bietet
sportliches Asyl in ihrem großen Saal. Auch dieser „clash of juries“ geht
problemlos vonstatten, in Siegesfreuden trennt man sich und kehrt vor die
eigenen vier Fernseher zurück.
W
eiter im Programm, das Wetter erneut unterstützend zur Seite: Am
letzten Tag, dem Tag aller Entscheidungen, setzt Schneetreiben
ein, sobald sich alle im Zwielicht des ab und an gar als Bunker betitelten
Raumes versammelt haben. Nach einigen Stunden ist das Grün des kleinen
Parks hinter dem Grimme-Haus unter Schneeweiß verborgen, pünktliche
Züge nach Hause sind ungewiss und Taxis plötzlich Mangelware.
Wenig später ist die Hauptstadt des Fernsehens wieder verlassen von all
den kurzzeitig immigrierten Mediengeistern, in der „insel“ kehrt eine erste
Ruhe ein. Und Ulrich Spies sitzt schon am Telefon und lauscht der Freude
der Gewinner.
Sowohl „Arnies Welt“ als auch „Unter dem Eis“ zitieren Motive des klassischen Krimis, interessieren sich aber letztendlich wenig für das Whodunnit.
Was an sich nichts Besonderes ist, wie die Jury immer wieder feststellt:
Der Krimi diene oft nur mehr als Folie für weiter reichende Geschichten,
er sei heutzutage schlechthin das Genre der fiktionalen Produktion – was
sich anhand der Normierungsliste bereits quantitativ belegen lässt. Ob
sich anders nicht mehr erzählen ließe, wird gefragt. Oder ob sich dieses
Format schlichtweg einfacher verkaufen ließe. Das blieb bis auf Weiteres
ungeklärt, steht aber im Raum – als Ausgangspunkt fürs individuelle oder
abendliche Weiterdenken.
erwunderlich allerdings, dass „Tatort“, „Polizeiruf“, „Unter Verdacht“ et
cetera es in der Folge schwer haben, vor der Jury zu bestehen. Oder
kommt das gerade daher, dass man hier umso genauer hinsieht, weil man
so viel davon sieht, schon so viel davon gesehen hat? Der fünfte GrimmePreis geht aber – nach mehreren Unentschieden und auch, weil kein „Spezial“-Nominierter sich durchsetzen kann – dann doch an einen Vertreter
der bekannten Serien, an den Polizeiruf „Er sollte tot“ von Dominik Graf.
„Schon wieder Dominik Graf“ war das Argument, das am liebsten dagegen
vorgebracht wird. Filmisch und darstellerisch ist daran nichts auszusetzen,
die Qualität beeindruckt – auch wenn sie ein wenig selbstreflexiver und
-gefälliger Natur ist.
Schließlich geriert sich die Jury ähnlich ich-bezogen: „Wir sind die Jury“,
lautet der Satz dieser Tage, er meint das absolute Selbstbestimmungsrecht der Runde und fällt oft, ein jedes Mal nämlich, wenn einer fragt,
ob man nicht auch so oder so abstimmen oder dies oder das anders machen könnte. Was nicht geht: die Reihenfolge der gezeigten Filme ändern,
denn die wurde ausgelost und notariell bestätigt. Was schon geht: die
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Katrin Schuster, geboren 1976, schreibt seit drei Jahren
als freie Journalistin über Literatur und Medien für die Berliner Zeitung, den Freitag und epd medien. Die Germanistin studierte auch Theater-, Film- und Fernsehkritik an der
Bayerischen Theaterakademie.
Foto: Matthias Schmiedel
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20.03.2007 12:08:36 Uhr
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20.03.2007 12:08:41 Uhr
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Grimme-Preis | Unterhaltung
Türkisch für Anfänger
ARD/BR/NDR
Foto: ARD
UNTERHALTUNG
Produktion: Hofmann & Voges Entertainment
Türkisch für Anfänger
Produktion:
Hofmann & Voges Entertainment,
Philip Voges & Mischa Hofmann
Konzept/Headwriter: Bora Dagtekin
Regie: Edzard Onneken, Oliver Schmitz
Kamera: Robert Vogel
Schnitt: Eva Lopez Echegoyen
Darsteller: Pegah Ferydoni, Adnan Maral,
Elyas M’Barek, Josefine Preuß u. a.
Executive Producers: Bettina Reitz (BR),
Bernhard Gleim (NDR)
Redaktion: Caren Toennissen
Erstausstrahlung: ab 14.3.2006,
Dienstag-Freitag, 18.50 h
Eigentlich hätte Mutter Doris sich auch gleich in einen Außerirdischen verlieben können. Für Tochter Lena wäre
es auf dasselbe hinausgelaufen. Nun ist der neue Papa in spe ein Türke namens Metin und bringt auch noch zwei
eigene Kinder mit. Für die 16-jährige bedeutet die spontane Familienzusammenführung die Hölle auf Erden. Ihr
Leid klagt sie per Videotagebuch ihrer besten Freundin Kathi, die gerade dann, wenn Lena sie am dringendsten
braucht, auf Austauschreise in den USA weilt. Immerhin muss Lena ihr Zimmer jetzt mit ihrer neuen „Schwester“
Yagmur teilen, die streng gläubig ist, islamische Werte hochhält und sich morgens zum Frühgebet von einem
Moscheenwecker wach brüllen lässt. Stiefbruder Cem spielt derweil den Macho, wie es von einem echten Türkenjungen erwartet wird: „Wir Türken sind wie eine Medaille – auf der einen Seite cool und auf der anderen noch
cooler …“ Dass er für Lena nach und nach mehr als nur geschwisterliche Gefühle entwickelt, würde er nie im
Leben öffentlich zugeben. Stattdessen mimt er den stellvertretenden Familienpatriarchen und rasselt mit Lena
immer wieder übel zusammen. Lena ihrerseits wünscht sich nichts mehr, als die türkische Sippe so schnell wie
möglich wieder loszuwerden und lässt keine Gelegenheit aus, ihre neuen Familienmitglieder zu brüskieren. Da
muss sie sich von Yagmur auch schon mal als „Nazi“ beschimpfen lassen: „Ihr Deutsche denkt immer, ihr seid
die besseren Menschen!“
Sendelänge: 24 Min.
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
(Regie)
Josefine Preuß
(stellv. für das Darstellerteam)
für
Türkisch für Anfänger (ARD/BR/NDR)
Produktion: Hofmann & Voges Entertainment
BEGRÜNDUNG DER JURY:
Neue Kategorien stellen immer Chance und Risiko dar: Chance, weil eine
Jury ausgetretene Pfade verlassen und Neuland betreten kann; Risiko, weil
sie Präzedenzfälle schafft. „Türkisch für Anfänger“ ist so ein Präzedenzfall.
Die Serie ist ein Kleinod, darüber bestand Konsens. Doch streng genommen hätte sie in die Kategorie „Fiktion“ gehört, wo sie im Vergleich mit
der Fernsehfilmkonkurrenz aber womöglich den Kürzeren gezogen hätte.
Wäre die Jury einer ersten Definition des Begriffs Unterhaltung („… ist immer non-fiktional“) sklavisch treu geblieben, hätte „Türkisch für Anfänger“
keinen Preis bekommen.
Dabei steht die Qualität außer Frage. Nachdem sich die Jury darauf einigen
konnte, das Genre „Sitcom“ als Teil der Unterhaltung zu akzeptieren, war
der Weg frei. Und es ist fast eine Laune des Schicksals, dass die Vergabe
dieser Auszeichnung mitten in die neue Staffel fällt. Dabei war die Fortsetzung angesichts der eher schwachen Quoten für die ARD alles andere
als selbstverständlich: „Türkisch für Anfänger“ ist derart keck, witzig und
politisch unkorrekt, dass die Serie unmöglich auch noch Erfolg haben
konnte. Umso respektabler ist die Entscheidung, sie fortzuführen. Und
umso wichtiger: die zwölf Folgen beginnen zwar mit dem unversöhnlichen
Zusammenprall zweier Kulturen, erzählen dann aber von Annäherung und
Versöhnung.
„Türkisch für Anfänger“ ist von seltener Qualität, weil die Serie Humor und
Tempo auf hohem Niveau durchhält. Neben der Regie gebührt das größte
Lob dem deutsch-türkischen Autor Bora Dagtekin: Es ist ihm gelungen,
die Gefahren des potenziell überaus ballastreichen und entsprechend
schweren Themas leichtfüßig zu umgehen und dabei die Botschaft trotzdem nicht bis zur Unkenntlichkeit zu verbergen. Es imponiert vor allem
die Zeichnung der Figuren: obwohl die Geschichten aus dem Blickwinkel
der jungen Lena (Josefine Preuß) erzählt werden, die ihren Patchwork-Geschwistern mit herzlicher Abneigung begegnet, bleiben die Figuren nicht
eindimensional. Alle haben ihre Brüche; selbst Chauvi-Bruder Cem (Elyas
M’Barek) hat seine liebenswerten Seiten. Etwas zu kurz kommen allenfalls
die Eltern (Anna Stieblich, Adnan Maral), doch die Handlung zeigt ja auch
in erster Linie die Perspektive der Jugendlichen.
Wie gut die Serie ihrer impliziten Aufgabe, der Integration, gerecht wird,
belegen die äußerst positiven Reaktionen aus der türkischen Community.
Dort störte man sich keineswegs daran, dass Yagmur (Pega Ferydoni), die
Dritte im Bunde, als überzeugte Muslimin immer wieder zur Zielscheibe
von Lenas Bosheiten wird.
„Türkisch für Anfänger“ ist ein Glücksfall und der Preis für die ARD hoffentlich ein Ansporn, am Vorabend auch weiter auf Qualität zu setzen.
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Foto: Privat
Edzard Onneken und Oliver Schmitz
Edzard Onneken
1965 im pakistanischen
Karachi geboren, drehte seine ersten Kurzfilme bereits während der Schulzeit mit der Kamera seines
Vaters. Nach dem Abitur arbeitete er als Beleuchter,
Aufnahmeleiter und Regieassistent, bevor er selbst
verantwortlich Regie führte. 1989 drehte er mit „Das
einfache Glück“ seinen ersten Kinofilm. Zahlreiche
weitere Regiearbeiten folgten, u. a. „Gute Zeiten,
schlechte Zeiten“ (RTL 1994), „SK-Babies“ (RTL 1995),
„Otto – Der Katastrophenfilm“ (2000), „Meine schönsten Jahre“ (RTL 2004), „Berlin, Berlin“ (ARD 2005) und
„Die Krähen“ (Sat.1 2006). Als Regisseur von Werbeund Imagefilmen gewann er schon mehrere Preise.
Foto: Jeanna Degraa
(Headwriter)
1978 in Hannover geboren,
begann seine Autorenkarriere als Juniortexter bei der
Hamburger Werbeagentur Springer & Jacoby. Parallel
dazu studierte er an der renommierten Texterschmiede
Hamburg. Als Storyliner für Grundy Ufa TV entwickelte
er ein Jahr lang Lovestories und Intrigen für die RTLDaily Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Wie man
gute Drehbücher schreibt, lernte er an der Filmakademie Baden-Württemberg. In der Folge arbeitete er für
verschiedene Produktionen wie die RTL-Comedy-Serie
„Schulmädchen“ (2005). Mit dem Drehbuch zu dem
Til-Schweiger-Film „Wo ist Fred?“ (2006) gelang ihm
erst kürzlich ein Kinoerfolg.
Oliver Schmitz 1960 in Kapstadt geboren,
war Anfang der 80er Jahre in seiner Heimatstadt Mitbegründer des legendären Nachtclubs „Scratch“, der
sich den Rassentrennungsgesetzen widersetzte. Auch
in seiner filmischen Arbeit setzt er sich immer wieder
mit dem Thema Apartheid auseinander. Er studierte
u. a. Bildende Kunst und arbeitete als Cutter, bevor er
1987 mit „Mapantsula“ seinen ersten Spielfilm als Autor und Regisseur drehte. Im Kino läuft derzeit „Paris
je t´aime“, bei dem er u. a. mit den Coen-Brüdern und
Gus van Sant Regie führte. Sein aktuelles Projekt: ein
Remake des Filmklassikers „Die Brücke“ für ProSieben.
Foto: Uwe Spiller
Bora Dagtekin
Bora Dagtekin
Josefine Preuß 1986 in Zehdenick an der
Havel geboren, hat schon während der Schule Theaterluft geschnuppert. So spielte sie etwa in der Theatergruppe „Taifun“ in Potsdam. Bekannt wurde sie mit
der Kinderserie „Schloss Einstein“ (KiKa 1999-2003).
Es folgten zahlreiche weitere Rollenangebote, nicht
zuletzt dafür brach sie ihre Ausbildung an einer Berliner Schauspielschule ab. So war sie u. a. in „Jargo“
(2003), „Inspektor Rolle“ (Sat.1 2003), „Klassenfahrt
– Geknutscht wird immer“ (Pro Sieben 2004) und „Abschnitt 40“ (RTL 2004) zu sehen. Für letzteren Auftritt
erhielt sie 2005 den Förderpreis des Deutschen Fernsehpreises. Im KiKa moderiert sie seit 2004 die Büchersendung „quergelesen“.
Foto: Barbara Ellen Volkmer
Adolf-Grimme-Preis an
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20.03.2007 12:08:44 Uhr
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Grimme-Preis | Unterhaltung
Extreme Activity
ProSieben
Foto: ProSieben/Willi Weber
UNTERHALTUNG
Produktion: Constantin Entertainment
Extreme Activity
Produktion: Constantin-Entertainment,
Otto Steiner & Ulrich Brock
Buch: Jens Teutsch-Majowski
Regie: Kurt Pongratz,
Catharina Niens-Klees
Formatentwicklung:
Ool Osenbrügge
Leiter Formatentwicklung und Comedy:
Michael Schmidt
Moderation: Jürgen von der Lippe
Redaktion: Natalie Zizler
Erstausstrahlung: ab 15.7.2006,
Samstag, 20.15 h
Das Konzept ist schlicht und hat sich auf feuchtfröhlichen Partys ebenso bewährt wie auf Kindergeburtstagen. „Activity“ ist als Brettspiel seit Jahren ein Renner. Als „Extreme Activity“ hat ProSieben es jetzt auf die
Bildschirme geschickt. Zwei Mannschaften – jeweils drei prominente Männer und Frauen – „erklären sich den
Wolf“, wie Spielleiter Jürgen von der Lippe es sicherlich beschreiben würde, und liefern sich dabei einen teils
urkomischen Geschlechterkampf am Rande des Irrsinns: ein bisschen „Scharade“, ein bisschen „Montagsmaler“
und ein bisschen „Dingsda“. Einer erklärt Begriffe, die anderen müssen raten. Damit das nicht ganz so einfach
wird, gibt es die Kategorie „Extreme“. Da müssen die prominenten Wettstreiter auch mal singend Begriffe erklären, vorher Helium einatmen, mit Muskelmännern kämpfen oder sich auf einer rotierenden Maschine durch die
Gegend schleudern lassen. Und alle machen extrem gut gelaunt mit: Verona Pooth, Wigald Boning, No Angel
Sandy, Oli P., aber auch Heiner Lauterbach, Jan Josef Liefers oder Til Schweiger sind schon mit viel Spaß dabei
gewesen. Der Fels in der manchmal überschäumenden Brandung ist Spielleiter Jürgen von der Lippe, der sich
gewohnt gravitätisch kommentierend durch die Spielrunden kalauert. Welche Mannschaft am Ende gewinnt,
ist bei dem Spielspaß übrigens nicht wirklich wichtig … der Weg ist das Ziel.
Sendelänge: 48 Min
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20.03.2007 12:08:47 Uhr
43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Ool Osenbrügge
(Formatentwicklung)
Kurt Pongratz und Catharina Niens-Klees
(Regie)
Jürgen von der Lippe
(Präsentation)
für
Ool Osenbrügge
1966 in Marne geboren,
hat viele erfolgreiche Fernsehformate auf den Bildschirm gebracht: Als Entwicklungschef bei Tresor TV
und später bei Constantin Entertainment zeichnete er
verantwortlich für Produktionen wie „Popstars“ (RTL II/
Pro Sieben) und „Fort Boyard“ (ProSieben), „Lenßen &
Partner“, „K 11 – Kommissare im Einsatz“, „Clever – Die
Show, die Wissen schafft“, „Die dreisten Drei“, „Die
Comedy-Falle“ (alle Sat.1), „Comeback“ (Pro Sieben),
die „FIFA WM-Ticket-Show“ (ZDF) und „Frauentausch“
(RTL 2).
Foto: Uwe Freund
Adolf-Grimme-Preis an
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Extreme Activity (ProSieben)
Dabei fand sich eine deutliche Jurymehrheit für eine Produktion, die auf
den ersten Blick unspektakulär ist und „nur“ Vergnügen bereiten will. Die
Gameshow „Extreme Activity“ tut dies, indem sie – wie das Gesellschaftsspiel „Activity“ – Elemente vertrauter Begriffsratespiele wie der „Pyramide“, „Nur keine Hemmungen“ und den „Montagsmalern“ kombiniert und
die prominenten Mitspieler zusätzlich in extreme Ratesituationen versetzt.
Die „Extrem-Spiele“ sind äußerst einfallsreich und originell und unterstreichen die kreative Leistung der Spielideen-Entwicklung. Neben dem „Heliumspiel“, bei welchem die Spieler Helium inhalieren und mit erhöhter
Stimme Begriffe raten müssen, finden sich Spiele, in denen die Kandidaten
zur Melodie eines bekannten Liedes singend einen Begriff umschreiben
müssen oder während der Begriffsumschreibung von Wrestlern durch die
Luft geworfen oder von einem professionellen Tango-Tänzer übers Parkett
bugsiert werden.
Das Ergebnis ist nicht nur höchst vergnüglich und handwerklich perfekt
umgesetzt. Als Zuschauer staunt man auch über die Be- und Umschreibungsfähigkeiten der Mitspieler – und denkt unwillkürlich darüber nach,
was man selbst an ihrer Stelle getan hätte. Das Format zeichnet sich somit
durch einen gekonnten Spiele-Mix aus, der außergewöhnliche Actionspielelemente mit klassischen Ratespielen kombiniert.
„Extreme Activity“ ist somit gute Unterhaltung mit Aktionswert, eine
Spielshow, die ihren Unterhaltungswert in hohem Maße daraus bezieht,
dass sie sich mit der Intelligenz ihrer Zuschauer verbündet. Zum Unterhaltungswert der Show trägt ihr Moderator wesentlich bei. Indem Jürgen von
der Lippe souverän zwischen Kalauer und Bonmot, zwischen einfachem
Witz und geistreicher Anspielung changiert, macht er deutlich, dass es
viele Arten gibt, sich zu unterhalten und dass vordergründige Zweckfreiheit nicht automatisch Geistlosigkeit bedeutet. Damit verwandelt Jürgen
von der Lippe ein zunächst nur interessantes neues Format in ein herausragendes Unterhaltungsangebot.
Foto: ORF/Ali Schaffler
Die in diesem Jahr erstmals einberufene Jury Unterhaltung hatte gleich
zwei Aufgaben. Neben der Suche nach herausragenden Produktionen kreiste die Diskussion auch um die allgemeine und noch kaum geklärte Frage:
Was ist gute Unterhaltung? Muss sie gesellschaftspolitische Ambitionen
aufweisen oder gehorcht sie vielmehr eigenen Sinn-Regeln, die auch ohne
gesellschaftspolitische Aufladung qualitativ hochwertig und damit grimmepreiswürdig sein kann? Die Heterogenität des Wettbewerbskontingents
machte es nicht leichter: Wie kann man sich sinnvoll und nachvollziehbar
zwischen Sitcom, ambitionierter Talkshow, Doku-Soap und Kochwettbewerb entscheiden? Dabei halfen der Jury zwei Fragen. Erstens, was leistet
eine Produktion in ihrem Genre? Und zweitens, wie macht sie das?
Catharina Niens-Klees wurde 1957 im
niederländischen Weert geboren. 1976 begann sie ihre
Ausbildung als Filmcutterin beim WDR und arbeitete
lange Zeit im Bildschnitt. 1999 wechselte sie dann ins
Regiefach und inszenierte seitdem zahlreiche Shows
und Ratespiele für verschiedene Sender, u. a. „Wer
wird Millionär?“ (RTL), das österreichische Pendant
„Die Millionenshow“ (ORF), „Die Quiz-Show“ (Sat.1),
„Kochduell“ (VOX), „Richter Alexander Hold“ (Sat.1),
„Sudoku – Das Quiz“ (ZDF), „Elton“ (ProSieben), „Das
Strafgericht“ (RTL) und „Clever – Die Show, die Wissen
schafft“ (Sat.1).
Foto: Willie Weber
BEGRÜNDUNG DER JURY:
Kurt Pongratz 1958 im österreichischen Mödling geboren, hat für Sender wie den ORF, die ARD,
ZDF, RTL, MTV, Sat.1 und ProSieben eine Vielzahl von
Shows inszeniert, bei denen er teilweise bis zu 45 Kameras und 1000 Mitwirkende führen musste. Für die
Regie bei den Auslandsreisen des „Musikantenstadls“
(ORF/ARD) nach Peking, Melbourne oder Moskau erhielt er auch internationale Preise. In seinen fast 25
Berufsjahren arbeitete er mit Stars wie Eminem, Tina
Turner, Cher, Jerry Lewis, Harald Juhnke, Rainhard Fendrich und Falco und inszenierte diverse Produktionen
mit den Wiener Symphonikern.
Jürgen von der Lippe 1948 in Bad Salzuflen geboren, stand bereits als Student auf der Bühne. 1976 gründete er die Nonsens-Band „Gebrüder
Blattschuss“, wenig später veröffentlichte er erste
Solo-Alben. Sein größter Hit: „Guten Morgen, liebe
Sorgen“ (1987). Sein TV-Durchbruch kam 1980 mit
dem „WWF-Club“ (WDR) und der Talkshow „So isses“
(WDR 1984-89). Es folgten Shows wie „Donnerlippchen“ (ARD 1986-88) und natürlich „Geld oder Liebe“
(1989-2001), für die er den Telestar, die Goldene Kamera und den Adolf-Grimme-Preis erhielt. Als Schauspieler feierte er Erfolge mit dem Kinofilm „Nich´ mit
Leo“ (1995) und der RTL-Serie „Der Heiland auf dem
Eiland“ (2004).
Foto: Melanie Grande
Produktion: Constantin Entertainment
„Ich freue mich natürlich sehr über diesen Preis; so was passiert einem
ja nicht jeden Tag, und vor allen Dingen für eine Sendung, die so viel Spaß
macht!“
Catharina Niens-Klees
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Ausloten
Aus der Jury Unterhaltung / Spezial
| von Christian Bartels
in Grimme-Preis für Verona Pooth, geborene Feldbusch? So weit kam es
nicht bei der ersten eigenen Sitzung einer Grimme-Jury Unterhaltung.
Freilich, in der Diskussion über das Format „Extreme Activity“ waren sich
die Juroren nicht in vielem einig, aber doch darin, dass die Show auch von
den Panelisten lebt. Fernsehprominente wie Wigald Boning, Oliver Petszokat und eben Pooth stellen unter Jürgen von der Lippes Ägide zeichnerisch
oder pantomimisch Begriffe dar bzw. raten sie in Höllentempo; sie inhalieren Helium (weil in einem der Spiele nur Antworten mit Piepsstimme
zählen) und schöpfen in Fehlversuchen immerhin Worte wie „Bananenmuskel“, die dann natürlich Georg Uecker erheitern. Wie gut sie raten,
das sei schon „eine intellektuelle Leistung“, hieß es in der Diskussion. Dass
die Show einen bestenfalls solange beschäftigt, wie sie läuft, dass es halt
Zeitvertreib sei, hieß es auch. Jedoch, Jürgen von der Lippe und „Extreme
Activity“ bekommen einen der beiden Preise, welche die UnterhaltungsJury zu vergeben hatte.
Erstmals überhaupt hat im Februar 2007 eine Grimme-Jury getagt, die sich
allein mit dem Fernseh-Feld der Unterhaltung beschäftigen konnte. Bis
dahin war Unterhaltung immer ein Segment der Fiktion gewesen, was in
der Praxis hieß, dass es leichte Shows gegenüber Fernsehspielfilmen bei
der Preisvergabe meist schwer hatten. Noch im vergangenen Jahr wurde
an dieser Stelle die „stiefmütterliche Behandlung“ beklagt. Jetzt endlich
sollten Sendungen, die nichts als unterhalten aber das gut, dabei ihre Regeln einhalten und ihr Publikum amüsieren auch mal in die Preisränge. Das
dachten die einen in der Jury. Dass Sendungen, die überhaupt nicht über
ihre eigene Sendedauer hinauswirken und beim Deutschen Fernsehpreis
und derlei Veranstaltungen sicher nicht leer ausgehen, einen GrimmePreis bekommen sollen, das konnten sich hingegen die anderen in der Jury
nicht vorstellen. Es wurde engagiert gestritten.
or allem auch über Definitionen. Schließlich ist Unterhaltung ein
weites Feld, zumal in Zeiten des Einschaltquoten-Controllings, in denen auch jeder ARTE-Verantwortungsträger jederzeit bescheinigen würde,
dass seine Programme natürlich die Zielgruppe unterhalten. Als Anlass für
V
Foto: ProSieben
E
„Extreme Activity“
Diskussionen diente ein breites Spektrum von 17 Nominierungen. Um die
Ausgangssituation noch verflixter zu gestalten, gehörten gar noch zwei
fiktionale Sendungen dazu: eine Folge der Sat.1-Serie „Pastewka“ und die
ARD-Vorabendserie „Türkisch für Anfänger“. Ins Unterhaltungsressort ge-
Jury Unterhaltung / Spezial
Stefan Niggemeier, Freier Journalist, Berlin
Tilmann P. Gangloff, Freier Journalist, Allenbach
(stellv. Vorsitzender)
Jena Hensel, Freie Journalistin, Berlin
Gerd Hallenberger, Privatdozent, Marburg (Vorsitzender)
Viola Schenz, Freie Journalistin, München
Joachim von Gottberg, FSF, Berlin
Christian Bartels, Freier Journalist, Hamburg
Prof. Dr. Claudia Gerhards, Fachhochschule Düsseldorf
(stellv. Vorsitzende)
Foto: AGI/Hildegard Engler
Patrick Möser, VHS Lahn-Dill-Kreis
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20.03.2007 12:08:53 Uhr
Jürgen ist EXTREME stolz!
Verona ist EXTREME sprachlos!
Constantin ist EXTREME geehrt!
EXTREME ACTIVITY und Constantin Entertainment
sagen Dankeschön für den Grimme-Preis 2007
und gratulieren allen Preisträgern!
Constantin Entertainment GmbH
Carl-Zeiss-Ring 3, 85737 Ismaning, Germany, www.constantin-entertainment.de
Phone: +49 89 4444 88 440, Fax: +49 89 4444 88 442
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
langt waren sie aufgrund der auch nicht unplausiblen Regel, dass es sich
bei Folgen von gut 20 Minuten Dauer um Sitcoms handeln muss. Dass
diese beide Serien größere Handlungsbögen schlagen als herkömmliche
deutsche Serien, wurde schnell ins Gespräch gebracht. Doch die Serie an
die Fiktions-Jury „überweisen“ wollte die Unterhaltungs-Jury auch nicht.
Hätten die Kollegen am Ende ihres Guck-Prozesses noch eine Serie ansehen müssen, wäre die Chance auf einen Preis gering gewesen. Und einen
Preis verdiente „Türkisch für Anfänger“, das war klar.
Das galt freilich auch für die WDR-Produktion „Die Özdags“, die sich erholsamerweise der genreüblichen Erzählmittel enthielt. Wenn die Schwestern
Selda, Zülya und Hülya Özdag über ihre Berufe und Beziehungen drauflosreden, wirken sie fast so aufgekratzt atemlos wie Verona Pooth & Co.
(ganz ohne Helium) und überdies authentisch. Der lebhaften Serie wurde
im Preisrennen neben der Kritik, sie sei inszenierter als sie scheine, zum
Verhängnis, dass „Türkisch für Anfänger“ (sowie zahlreiche Beiträge in anderen Jurys) das Thema Integration bereits behandelten.
Das heterogene Feld der Nominierungen umfasste elf Sendungen von
zehn Sendern, darunter sieben privaten. ARD und ZDF waren nur mit je einer Sendung und einer „Spezial“-Nominierung vertreten; der Marktführer
der Privatsender, der seit Jahren vor allem auf Günther Jauch setzt (und
trotz diverser Aufregungen auch weiterhin exklusiv auf Jauch wird setzen
können), war allein mit einer „Spezial“-Nominierung dabei, bei der selbstverständlich Günther Jauch eine Rolle spielt. All das spiegelte die aktuelle
Fernsehlandschaft, in der gute Unterhaltung keineswegs alltäglich ist, perfekt wider. Und machte die Preisfindung aber nicht einfacher.
W
a sich am Ende Mehrheiten für die unterhaltsame Fiktion „Türkisch für
Anfänger“ und die unterhaltsame von der Lippe-Unterhaltung fanden, blieb für den Drittplatzierten der finalen Abstimmung kein Preis übrig.
Dabei steht „Guildo und seine Gäste“ (SWR) für jene Unterhaltung, über
die man auch noch streiten kann, wenn die Sendung vorbei ist. Gestrit-
Foto: ARD
D
„Türkisch für Anfänger“
ten immerhin wurde in der Jury intensiv. Das Totschlagargument ‚politisch
korrekt’ fiel; ob es nicht erfrischend sei, wenn mit geistig Behinderten eben
nicht über ihre Behinderung gesprochen wird, ob Horn wieder eine Chance
nutzt, sich zu inszenieren? Keine Mehrheit fand die Ansicht, dass die surreale Ebene, auf die Guildo Horn durch dezente Kaspereien das Gespräch
hebt, sowohl Einblicke ins Leben von Menschen gestattet, die nicht so oft
im Fernsehen sind, als auch einfach unterhaltsam ist.
Wenn bei Grimme Modifikationen der Definition von TV-Unterhaltung erwogen werden, sollte gleich auch ein Preis für gutes Kinderfernsehen initiiert werden: Die nominierten Programme von Super RTL und KiKa hatten
im Umfeld der Erwachsenen-Unterhaltung keine Chancen. Wenig besser
schnitten die Dokusoaps ab. Zu oft kehrten die immer gleichen Erzählelemente wieder, zu oft erzählten Menschen vor dem Rollentausch („Suche
Familie!“, „Der Boss sind wir“) oder dem Essen („Das perfekte Dinner“), was
sie beim Rollentausch oder Essen erwarteten, und bewerteten danach ihre
Erfahrungen. Zu oft gab es überflüssige schnelle Schnitte, zu oft wurden
Szenen mit den nächstliegenden größten Hits vergangener Jahrzehnte untermalt, die man schon im Formatradio nicht mehr erträgt. Dass RTL II nun
auch „die Ältesten unserer Gesellschaft mit Würde und Respekt“ behandelt, wie es in der sendereigenen Lobpreisung der hochgradig inszenierten
Dokusoap „Suche Familie!“ heißt, ist sicher ein schöner Zug und überrascht
vielleicht auch. Für einen Grimme-Preis reicht es nicht aus.
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eiterhin stark vertreten im Nominiertenfeld: die mehr oder minder
authentisch omnipräsenten Kunstfiguren der Fernsehprominenz.
Sozusagen auf der fiktionalen Seite zählt Bastian Pastewka dazu, der in
der raffiniert gestrickten gleichnamigen Serie sich selbst als einen argen
Unsympathen spielt; auf der nonfiktionalen Seite war da jener „Horst
Schlämmer“, den Hape Kerkeling in loser Folge für RTL gibt. Wie er in „Wer
wird Millionär?“ aus der Rolle des Kandidaten in die des Quizmasters Günther Jauch drängt, sei nicht inszeniert und aller Ehren wert, fanden die
einen in der Jury. Kerkelings Schlämmer überhaupt nicht raffiniert, fanden
die anderen.
Insgesamt wurde über diese „Spezial“-Nominierung länger diskutiert als
etwa über den großartigen Franz Beckenbauer, den Olli Dittrich bei „Harald
Schmidt“ spielte. Schmidt begegnete man dann in der nachnominierten
WDR-Sendung „Was liest Du?“ gemeinsam mit Jürgen von der Lippe wieder. Dort lesen die beiden Passagen aus Büchern, die sie vorstellen wollen,
vor. Aus dem Buch, das die fernseh-bekannte Sarah Kuttner aus ihren Kolumnen für die „Süddeutsche Zeitung“ gefertigt hatte, lasen sie die Stellen,
in denen es um sie selbst geht. Von der Lippe, der sich inzwischen selbst
gern als „alten Sack“ vorstellt (auch in „Extreme Activity“ macht er das),
kennt seinen Ruf, gern ältere Zoten zu erzählen; hier variiert er ihn, indem
er Zoten erzählt, die vor Jahren Michael Schanze erzählt haben soll.
In diesem überschaubaren Kosmos der Fernsehprominenz, denen man mal
in des einen Show, mal auf dem anderen Panel begegnet, scheint Stefan
Raab ein Außenseiter zu sein. Seine Show „Schlag den Raab“ wurde als
einer der heißeren Preiskandidaten lang diskutiert. Freilich dauert sie auch
sehr lang (die erste Ausgabe: dreieinhalb Stunden), was schon wegen des
schleppenden, wenig unterhaltsamen Starts ihre Grimme-Chancen wiederum minderte. Ohnehin lässt sich der Samstags-Raab nicht vom Alltags-Raab trennen, der sich in eigenen Shows überhaupt nicht rar macht.
Doch auch Verdienste sind unübersehbar: Raab scheint das zumindest
scheintote Genre der Großen Samstagabend-Show wiederbelebt zu haben,
wie sowohl Einschaltquoten als auch die spannenden späteren Phasen des
„Spiel-Duells in verschiedenen Disziplinen“ zeigen. Sogar hinterher darüber streiten lässt sich: Wie verbissen der Gastgeber seine eigene Show
gewinnen möchte, das beschäftigt jeden, der zuschaut, unwillkürlich.
en Grimme-Preis für Unterhaltung hat am Ende der weniger verbissene Jürgen von der Lippe gewonnen. Doch dass der Privatsender
ProSieben zurzeit vergleichsweise oft Wagnisse mit wirklich ungewissem
Ausgang eingeht und so „die spezifischen Möglichkeiten des Mediums
Fernsehen“ (von denen das Grimme-Preis-Statut bekanntlich spricht) oft
auslotet, wird mit dem Preis auch ein wenig gewürdigt.
D
Christian Bartels, Jahrgang 1968, verantwortet seit 2002
die Medien-Kolumne Altpapier auf netzeitung.de, die bereits mehr als 2000mal erschien, und schreibt für PrintMedien wie die taz, die Berliner Zeitung und medium
magazin. Der Medienwissenschaftler studierte in Marburg
und Köln.
Foto: Kerstin Schomburg
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20.03.2007 12:08:58 Uhr
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Grimme-Preis | Information & Kultur
Deutsche Lebensläufe: Fritz Lang
ARD/SWR
Foto: SWR
INFORMATION & KULTUR
Produktion: Schmidt & Paetzel Fernsehfilme
Deutsche Lebensläufe: Fritz Lang
Produktion: Schmidt & Paetzel
Fernsehfilme, Andreas Christoph Schmidt
Buch/Regie: Artem Demenok
Kamera: Michael Boomers
Schnitt: Michael Auer
Redaktion: Martina Zöllner,
Kurt Schneider
Erstausstrahlung: Donnerstag, 11.1.2007,
23.00 h
Sendelänge: 45 Min.
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Eigentlich hatte er Architektur studiert. In die Geschichte ist er aber als großer Regisseur des noch jungen Mediums Film eingegangen: Fritz Lang stand wie kein anderer für den monumentalen Film der 20er Jahre. 1890
in Wien als Sohn einer Jüdin geboren, betrat er 1922 die große Bühne mit Werken wie „Dr. Mabuse“ und „Die
Nibelungen“, einer gigantischen Produktion, die auch die Nazis begeisterte. Alle seine deutschen Filme entstanden in Ateliers, nicht an Originalschauplätzen. Lang wollte nichts dem Zufall überlassen. 1927 setzte er sich mit
„Metropolis“ sein eigenes filmisches Denkmal. Die Vision einer Großstadt im Jahr 2000 gilt auch heute noch als
Meisterwerk. „Das ist der Mann, der uns den nationalsozialistischen Film bringt“: Reichspropagandaminister
Goebbels wollte Fritz Lang für seine politischen Ziele gewinnen. Lang verließ aber wenige Monate später das
Land, zog erst nach Paris, dann in die USA. Auch wenn dort Stars wie Gary Cooper, Marlene Dietrich und Marilyn
Monroe für ihn vor der Kamera standen – die ganz großen Erfolge wurden seine amerikanischen Filme nicht
mehr. Auch deutsche Produktionen aus den 50er und 60er Jahren wie „Der Tiger von Eschnapur“ und „Dr. Mabuse“-Fortsetzungen knüpften nicht an seine großen Meisterwerke an. 1976 starb Fritz Lang fast blind in Beverly
Hills. Für die Reihe „Deutsche Lebensläufe“ hat Artem Demenok das Leben Langs anhand von Filmausschnitten
und seltenen Interviewdokumenten nachgezeichnet. Regisseure wie Claude Chabrol und Volker Schlöndorff berichten vom Einfluss Fritz Langs auf ihr eigenes Schaffen.
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Artem Demenok
(Buch/Regie)
Andreas Christoph Schmidt
(Produktion)
für
Deutsche Lebensläufe: Fritz Lang (ARD/SWR)
Produktion: Schmidt & Paetzel Fernsehfilme
Artem Demenok
1962 im russischen Wladiwostok geboren, studierte Filmwissenschaft an der
Moskauer Filmhochschule. Seit 1990 lebt er als freier
Filmhistoriker, Filmkritiker und Publizist in Deutschland und arbeitet für verschiedene TV-Kulturmagazine.
Zusammen mit Andreas Christoph Schmidt drehte er
für verschiedene ARD-Anstalten Features, so z. B. „Der
Kommandant“ (1999), „Das Russische Haus“ (2000)
und „Helden ohne Ruhm – Der 17. Juni 1953“ (2003,
ausgezeichnet mit dem Bayerischen Fernsehpreis). Für
„Welthauptstadt Germania“ (ARTE/rbb/SWR) wurde
er 2006 im Rahmen des 42. Grimme-Preises mit dem
Sonderpreis Kultur des Landes NRW ausgezeichnet.
Foto: Schmidt & Paetzel Fernsehfilme
Adolf-Grimme-Preis an
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BEGRÜNDUNG DER JURY:
Der Film beschwört die expressiv düstere Atmosphäre der Langschen Filme
herauf, mit dem Kitsch spielend, aber ohne ihm zu verfallen. Denn nüchtern und unpathetisch öffnet sich der Blick auf einen Menschen, der wenig
Menschliches von sich preisgab. Wo Lang alle wahrhaftige Auskunft über
sich selbst versagt, versagt sich auch der Film der Spekulation. Aphorismen
und Metonymien sagen mehr als tiefenpsychologische Betrachtungen;
Langs Reisepass, ein bunt gestempeltes Zeugnis seines geordneten Rückzugs aus Deutschland, entlarvt den frei ersponnenen rhetorischen Farbfilm seines angeblich heldenhaften Konsequenzialismus beim Anblick des
machttrunkenen Goebbels. Das mythische Chamäleon Fritz Lang, ein Lebenslauf aus Erfolgen und Eskamotagen, wird nicht demontiert; es wird
vielmehr gezeigt, wie es sich selbst sah oder sehen wollte. Nur drei Zeitzeugen bereichern den Film mit ihren Erzählungen über den Übervater des
Kinos. Doch auch sie erzählen nicht den wahren Fritz Lang, sondern sie
erzählen ihren Fritz Lang. Claude Chabrol und Jean-Marie Straub wirken
dabei selbst wie Figuren aus einem Fritz-Lang-Film. An einem einsamen
menschenleeren Strand an ein Auto gelehnt, gestikuliert Chabrol; und
Straub – im Trenchcoat, die marottenhafte Zigarre wie angeklebt auf den
Lippen – wirkt wie der schrullige Filmkommissar einer vergangenen Zeit;
Bilder aus der Zeit von Mabuse.
Artem Demenoks Film ist die Inszenierung eines Inszenators, der sich selbst
inszenierte. Schon zu Lebzeiten die Legende seiner selbst, erscheint Fritz
Lang, der Zyklop mit der Kamera, als Teil eines unverkennbaren Zeichensystems, das er für und um sich selbst erfand. Diese Ästhetik vorzuführen, sie umzusetzen in einer kongenialen Bildsprache, ist die einzigartige
Leistung dieses so subtilen wie ausbalancierten Portraits im Grenzbereich
zwischen Wahn und Realität.
Andreas Christoph Schmidt 1957 in
Herten geboren und in Marl aufgewachsen, studierte
in Münster und Hamburg Geschichte, Russisch und
Philosophie. Nach seinem Staatsexamen ging er 1985
für ein Jahr nach Moskau an die dortige Filmhochschule. Der Autor und Regisseur drehte neben einigen Spielfilmen vor allem Dokumentationen, für die
er auch schon mehrfach ausgezeichnet wurde, etwa
„Festung Berlin“ (1995) und „Helden ohne Ruhm – Der
17. Juni 1953“ (2003), die beide mit dem Bayerischen
Fernsehpreis prämiert wurden. Letzteres Filmprojekt
setzte er gemeinsam mit Artem Demenok um, mit
dem er schon häufiger zusammenarbeitete, etwa bei
„Der Kommandant“ (1999) oder „Das Russische Haus“
(2000).
Foto: Schmidt & Paetzel Fernsehfilme
Kann man Fritz Lang filmen, kann man ihn verfilmen? Wie geht man um
mit diesem Regisseur, der wie kein zweiter den deutschen Monumentalfilm der Stummfilmära bestimmte und dabei ganz neue ästhetische wie
technische Maßstäbe setzte? Artem Demenoks Fritz-Lang-Film ist ein Portrait der ganz besonderen Art. Wo andere die Ästhetik von Langs Filmen
erzählen würden, setzt Demenok sie in Szene und taucht den Meister in
sein eigenes Licht, seine eigene Bildsprache. Die legendären düsteren Räume und die perspektivischen Verzerrungen des Großfilmers begegnen uns
wieder als düstere Räume und perspektivischen Verzerrungen in Langs
eigenem Leben. Und wie die Anamorphose den richtigen Spiegel braucht,
um ihr Geheimnis preiszugeben, spiegelt Demenok Lang in dessen ganz
persönlicher Semiotik.
„Er war gerade dabei, eine Leiche zu beseitigen in seinem neuen Drehbuch
– Claude Chabrol. Da klingelten wir an der Tür. Er kam raus für ein Interview
über Fritz Lang. Für die Leiche war danach noch Zeit. Als er sich eine Zigarre
anzünden wollte, machte ihm der Wind zu schaffen. Auch Jean-Marie Straub
hatte beim Interview vergeblich versucht, seine Zigarre anzuzünden. Chabrol
meinte dazu, in jedem guten Film gibt es eine Hauptgeschichte und eine
Nebengeschichte. Die Sache mit den Zigarren ist die Nebengeschichte. Dass
dieser Film über Fritz Lang mit seiner Hauptgeschichte und vielen Nebengeschichten jetzt den Grimme-Preis bekommt, freut uns sehr.“
Artem Demenok
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Grimme-Preis | Information & Kultur
Stellmichein!
ZDF
Foto: ZDF
INFORMATION & KULTUR
Produktion: Ö Film Löprich & Schlösser
Stellmichein!
Produktion: Ö Film,
Frank Löprich & Katrin Schlösser
Buch/Regie: Katrin Rothe
Projektentwicklung: Jenni Kriegel
Kamera: Robert Laatz, Manuel Zimmer
Schnitt: Silke Gänger
Sprecherin: Hannelore Hoger
Redaktion: Alexander Bickel,
Frank Seyberth
Erstausstrahlung: 8.11.-29.11.2006,
jew. mittwochs, ca. 0.00 h
Sendelänge: je 28 Min.
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„Freiheit ist die Anerkennung von Regeln“ – das ist ein kluger Satz, den Hermanns Oma in einem Kalender gefunden hat. Und weil es von solchen Sprüchen viele gibt, wird die alte Frau auch nicht müde, ihrem Enkel immer wieder neue Zettelchen auf den Schreibtisch zu legen. Hermann reagiert genervt, Kalendersprüche bringen
schließlich keine Jobs, und immer nur im Call-Center ein paar Euro verdienen will der studierte Geograph auch
nicht. Er ist auf Jobsuche, seine Freundin Bukket auch. Aber wie findet man den Einstieg ins Berufsleben? Wie
findet man eine neue Stelle, wenn man arbeitslos geworden ist wie der Kommunikationstrainer Volker oder die
Sekretärin Heidrun, die nach 80 Bewerbungen genauso viele Absagen kassiert hat? Die Doku-Soap „Stellmichein!“ begleitet eine Hand voll Menschen auf ihrer Suche nach einer Anstellung, dokumentiert deren Bewerbungsstrategien und schildert ihre Sorgen und Nöte. Die Geschichten werden einfühlsam erzählt, dabei wird
aber auch nicht auf die kleinen Anekdoten verzichtet, die Menschen manchmal im Eifer des Gefechts passieren
können. So hat Bürokaufmann Michael sich vorgenommen, fleißiger zu sein als die Arbeitsagentur es verlangt,
und schreibt kurzerhand 100 statt der geforderten 20 Bewerbungen im Monat. Als die alle eingetütet sind,
liegen da aber nur 99 Briefumschläge. In einem müssen also zwei Bewerbungen sein, aber in welchem? Die
Doku-Sequenzen bei „Stellmichein!“ werden ergänzt um Zeichentrickpassagen, die überall da einspringen, wo
die Kamera nicht hin durfte, etwa bei Vorstellungsgesprächen oder Seminaren.
20.03.2007 12:09:04 Uhr
Adolf-Grimme-Preis an
Katrin Rothe
(Buch/Regie)
für
Stellmichein! (ZDF)
Produktion: Ö Film Löprich & Schlösser
BEGRÜNDUNG DER JURY:
Alle Monate wieder, wenn die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg die
aktuelle Arbeitslosenstatistik bekannt gibt, beherrschen die Zahlen die
Fernsehnachrichten und die ersten Seiten der Zeitungen. Mehr als vier
Millionen Arbeitslose: das ist zwar jeden Monat wieder bedrückend, doch
leider business as usual. Autoren, die im Fernsehen über Arbeitslose berichten, tun sich schwer: Wie soll man zeigen, was jemand nicht hat? Keine
Arbeit, kein Geld, keine Anerkennung, keine Sicherheit?
Katrin Rothe 1970 in Gera geboren, hat die
Trickfilmsequenzen für „Stellmichein!“ selbst entwickelt. Die leidenschaftliche Trickfilmerin war 2000 Mitbegründerin des Berliner Labels Karo Toons, das Animationsfilme für Internet und Fernsehen produziert.
Mit solchen Produktionen hat sie auch schon mehrere
Preise gewonnen. In Berlin studierte Rothe zuvor Experimentelle Filmgestaltung und gab ihr Fernsehdebüt
als Regisseurin 2003 mit dem mehrfach für Preise nominierten Dokumentarfilm „Dunkler Lippenstift macht
seriöser“. Für das Kleine Fernsehspiel des ZDF arbeitet
sie derzeit an dem Spielfilm „Die Ex bin ich“, der ebenfalls Trickfilmsequenzen enthalten wird.
57
Foto: Simone Weigelt
43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Katrin Rothe gelingt genau dies: In „Stellmichein!“ begleitet sie fünf Arbeitslose bei der Suche nach Arbeit. Daniela, Heidrun, Michael, Volker und
Hermann sind Menschen wie du und ich. Sympathisch und voller Hoffnung, bald einen Job zu finden, und dazu sehr engagiert. Wir leiden mit,
wenn Arbeitgeber sich drei Wochen nach dem Vorstellungsgespräch nicht
melden, wenn eine Absage kommt, obwohl der neue Job doch eigentlich
per Handschlag schon versprochen war. Fünf Personen von vier Millionen
kommen uns nahe: Sie jammern nicht, sie kämpfen. Sie freuen sich, wenn
sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden, lassen uns teilhaben an ihren Hoffnungen und Plänen, an ihren finanziellen Sorgen und ihren familiären Problemen. Und sie haben trotz allem Humor: Daniela zeigt
einmal auf ihren mit Geldscheinen bedruckten Vorhang und sagt: „Zur Not
schneide ich das Geld hier aus und bezahl mit dem.“
Katrin Rothe – gelernte Trickfilmerin – hat zu einem wunderbaren Trick gegriffen, um uns auch das zu zeigen, was der Kamera gewöhnlich verborgen
bleibt. Die Vorstellungsgespräche, zu der die Journalistin nicht mitkommen
konnte, werden in kleinen Trickfilmen nachgespielt. Immer erzählen die
Protagonisten die Geschichten aus ihrer Sicht, die Zeichnerin kommentiert
diese Erzählungen aber gelegentlich ganz dezent mit wunderbaren kleinen
ironischen Details in den gezeichneten Figuren. So deutet die zusammengesunkene Sitzhaltung eines Protagonisten an, dass er sich von vornherein in diesem Gespräch nicht allzu viele Chancen gab. Ein herabgezogener
Mundwinkel, ein bewundernder Blick – in den kleinen Gesten liegt viel
Zärtlichkeit.
Soziale Themen, besser gesagt: die Schlagzeilen über die schlechte soziale
Lage vieler Betroffenen beherrschen scheinbar die Fernsehberichterstattung, doch die Menschen verschwinden gewöhnlich hinter diesen Schlagzeilen. Zu häufig sehen wir gut gemeinte Reportagen, deren klagender
und anklagender Ton jedoch meist schlecht zu ertragen ist. Das Elend der
anderen, man will es nicht wirklich sehen. Umso beeindruckender ist, was
Kathrin Rothe hier gelungen ist: Sie beschönigt nichts, aber hier wird auch
nicht gejammert. Und immer, wenn einem die Geschichten doch etwas zu
nahe gehen, rückt der Trickfilm sie wieder ein bisschen von uns ab. Fünf
Menschen von vier Millionen: jeder ein Einzelfall – aber auch exemplarisch.
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Grimme-Preis | Information & Kultur
Weiße Raben – Alptraum Tschetschenien
ZDF/ARTE
Foto: zero one film
INFORMATION & KULTUR
Produktion: zero one film
Weiße Raben – Alptraum Tschetschenien
Produktion: zero one film, Thomas Kufus
Buch/Regie: Johann Feindt und
Tamara Trampe
Kamera: Johann Feindt
Montage: Stephan Krumbiegel
Produktion: zero film
Redaktion: Anne Even (ZDF/ARTE)
Erstausstrahlung: Montag, 15.5.2006,
22.25 h (ARTE)
Sendelänge: 92 Min.
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2. Juni 2001, so steht es in dem alten Videoband eingeblendet. Eine russische Familie feiert ausgelassen den Abschied vom Sohn Petja. Der 18-jährige geht als Soldat nach Tschetschenien. Mit 19 ist er ein Krüppel: er hat einen
Arm und ein Bein verloren. Auf eine Mine sei er getreten bei seiner Tätigkeit im Bataillon für besondere Aufgaben.
Welche Aufgaben das waren, darüber schweigt er. In Kriegshandlungen sei er nicht verwickelt gewesen. Nun
muss er lernen, mit Prothesen umzugehen und am Leben nicht zu verzweifeln. Eine Last, mit welcher der gleichaltrige Kiril nicht klar kommt. Körperlich ist er unversehrt, seine Seele aber zerbrochen. Er trinkt, ihm wird Raub
vorgeworfen und die Vergewaltigung von Kindern. Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg ist er ein anderer Mensch
geworden. Nun sitzt er im Gefängnis und wartet auf seine Verurteilung. Die ehemaligen Soldaten sind sich selbst
und allen anderen fremd geworden – wie weiße Raben unter all den schwarzen. Auch Katja geht es so. Sie sei so
schnell erwachsen geworden, sagt die Krankenschwester. Die Arbeit im Lazarett habe sie gezeichnet.
Drei Jahre lang haben Tamara Trampe und Johann Feindt ihre Protagonisten immer wieder besucht und dabei
beobachtet, wie sie versuchen, nach einem schmutzigen Krieg wieder in der Gesellschaft Fuß zu fassen. So wie
Sergej, der schon in Afghanistan gekämpft hat. Immer noch verfolgen ihn Alpträume: Er träumt, ein 14-jähriges
Mädchen habe seinen Kameraden erschossen. Da habe er das Mädchen an den Haaren gepackt und an eine
Wand geschleudert. Nur die Haare habe er dann noch in den Händen gehalten. Auf die Frage „War das nur ein
Traum?“ antwortet er leise: „Ehrlich gesagt, es war so.“
20.03.2007 12:09:08 Uhr
43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
(Buch/Regie)
für
Weiße Raben – Alptraum Tschetschenien
(ZDF/ARTE)
Produktion: zero one film
BEGRÜNDUNG DER JURY:
Am Schluss von Tamara Trampes und Johann Feindts Dokumentarfilm
„Weiße Raben“ hat der Krieg alles zerstört. Petja und Kiril, die als junge
Männer in den Tschetschenienkrieg zogen, sind am Ende. Der eine ist physisch ein Krüppel und psychisch ein Wrack. Ihm fehlen das linke Bein und
der linke Arm. Er ist Alkoholiker und sitzt vor dem Computer, ohne Sinn
und Perspektive. Der andere ist seelisch zerstört aus dem Krieg heimgekehrt und hat keinen Tritt mehr gefasst. Er hat eine Minderjährige vergewaltigt und wird für Jahre ins Gefängnis kommen. Seine Augen starren
ins Leere.
„Weiße Raben“ ist nicht nur ein Film über den Tschetschenienkrieg. Es ist
ein Film, der vom Tschetschenienkrieg spricht, aber auch andere Kriege
meint, in denen junge Männer zu Tätern werden, zu Mördern und Folterern, und gerade dadurch zu Opfern des Krieges. Tamara Trampe und Johann Feindt zeigen exakt diese Dialektik. Die Täter sind auch Opfer, und sie
bleiben zugleich Täter. Der Vater schickt Petja mit dem Satz in den Krieg,
die Armee mache Männer aus den Jungs. In diesem Film wird der Krieg
zum Verbrechen, weil er junge Männer zu Verbrechern macht.
1951 in Hamburg geboren,
war schon auf dem besten Wege Arzt zu werden, als
er 1976 sein Medizinstudium gegen eine Ausbildung
an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin
eintauschte. Seit 1979 arbeitet er als Kameramann,
Regisseur und Autor. Filme wie „Unversöhnliche Erinnerungen“ (1979) und „Der Versuch zu leben“ (1983),
bei denen er auch Regie führte, erhielten mehrere
Auszeichnungen, so den Bundesfilmpreis 1984. Bei
zahlreichen Dokumentar-, Kino- und Fernsehfilmen
führte er die Kamera, so bei „Viehjud Levi“ (1998) und
beim mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Drama
„Mein Vater“ (2002). Für die Dokumentation „Reporter
vermisst“ erhielt Feindt 2004 auch selbst einen Grimme-Preis.
Foto: zero one film
Johann Feindt und Tamara Trampe
Johann Feindt
Tamara Trampe wurde 1942 im heute russischen Woronesch geboren. Sie studierte Germanistik
in Rostock und arbeitete drei Jahre lang als Kulturredakteurin, bevor sie ab 1970 beim DEFA-Studio in
Babelsberg als Dramaturgin Spielfilmproduktionen
betreute. Seit 1990 ist sie freiberufliche Filmemacherin und Autorin. Als Dramaturgin und Schnittberaterin
wirkte sie bei vielen Dokumentarproduktionen mit und
unterrichtet außerdem an verschiedenen Filmhochschulen. Mit Johann Feindt arbeitete sie schon mehrfach zusammen, so bei „Im Glanze des Glücks“ (1990),
„Der schwarze Kasten“ (1991) und „Sebnitz“ (2002).
Foto: zero one film
Adolf-Grimme-Preis an
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Tamara Trampe und Johann Feindt haben ihre filmischen Porträts der jungen Soldaten klug ergänzt um die Berichterstattung über die Gefangennahme und das ungewisse Schicksal tschetschenischer Kämpfer, die Lebensbeichte eines Afghanistan-Veteranen und die Bemühungen russischer
Soldatenmütter. Ohne die Taten zu entschuldigen zeigen sie, wie der Krieg,
der hinter den Nachrichtenbildern steckt, das Leben auch derer zerstört,
die überleben. Die Autoren entlassen den Zuschauer nie aus der ausweglosen Umklammerung von Täter- und Opfer-Sein. Beeindruckend ist die
emotionale Kraft des Films, die sich aus den stillen Momenten speist. Bilder, die nur entstehen konnten, weil die Autoren eine berührende Nähe
zu ihren Protagonisten entwickelt haben. Die verschiedenen Geschichten
verbinden sich zu einem Unsittengemälde des Krieges. Die Dramaturgie
der Handlung und die Dramaturgie der Bilder knüpfen dabei auf gekonnte
Weise an die Gebrochenheit der Akteure an. Für den Zuschauer gibt es aus
den langen Einstellungen und manchmal quälend sachlichen Interviews
kein Entkommen, so wie es kein Entkommen aus diesem Krieg gibt.
„Weiße Raben“ ist ein Film über die Spuren, die der Krieg in den Körpern
und Seelen der Menschen hinterlässt. Damit ergänzt er auf notwendige
Weise das Wissen über den Krieg, das die Nachrichtenbilder liefern, um die
existentielle Dimension. „Weiße Raben“ bleibt jedoch nicht bei den Schrecken stehen, sondern bringt den Zuschauer, ohne ihn jemals überreden zu
wollen, dazu, mit den Tätern, die auch Opfer sind, mitzuempfinden.
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20.03.2007 12:09:09 Uhr
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Grimme-Preis | Information & Kultur
Deutschland. Ein Sommermärchen
ARD/WDR
Foto: WDR
INFORMATION & KULTUR
Produktion: Shark TV
Deutschland. Ein Sommermärchen
Produktion: Shark TV, Tom Spieß und
Sönke Wortmann
Buch/Regie: Sönke Wortmann
Kamera: Frank Griebe und
Sönke Wortmann
Schnitt: Melania Singer
Redaktion: Matthias Kremin
Erstausstrahlung: Mittwoch, 6.12.2006,
20.15 h
Sendelänge: 105 Min.
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Der Begriff „Sommermärchen“ ist längst ein Synonym geworden: für eine heitere Fußballweltmeisterschaft,
für die Leistung eines unterschätzten Teams, für die Ausgelassenheit, die Freude, die Weltoffenheit und den
Stolz, die ganz Deutschland im Sommer 2006 ergriffen haben. Sönke Wortmann hat die deutsche Mannschaft
während dieser Zeit mit der Kamera begleitet und kam den Spielern und Trainern dabei so nah wie es keinem
Filmteam zuvor gelang. Auf diese Weise nimmt er uns Zuschauer mit in das Trainingslager nach Sardinien, ins
Berliner Schlosshotel im Grunewald, in die Stadien und in die Kabinen. Wir sehen die Spieler schwitzen, wenn
sie mit ungewohnten Trainingsmethoden fit gemacht werden, wir erleben „Poldi“ und „Schweini“, auf ihren
Hotelbetten rumlümmelnd wie bei einer Klassenfahrt. Wir werden Zeuge von Jürgen Klinsmanns flammenden
Reden, mit denen er seine „Jungs“ motiviert, auch Gegnern wie Polen, Argentinien oder Italien furchtlos entgegenzutreten. Wir erleben die Spannung der Spieler, die Feierlaune nach den Siegen und die unendliche Trauer,
als der Traum vom Titel doch platzt. Und wir nehmen mit den „Klinsmännern“ noch einmal ein Bad in der Menge
beim Abschied auf der Berliner Fanmeile. „Deutschland. Ein Sommermärchen“ hat vier Millionen Kinobesucher
und mehr als zehn Millionen Fernsehzuschauer begeistert, so viele wie kein Dokumentarfilm vorher – weil sich
alle erinnern wollten an den Zauber des Sommers 2006, als „wir“ nicht Weltmeister geworden sind.
20.03.2007 12:09:10 Uhr
Adolf-Grimme-Preis an
Sönke Wortmann 1959 in Marl geboren, hat
Sönke Wortmann
seine Fußballer-Karriere zugunsten seines Regiestudiums in München und London beendet. Mit seinem
Abschlussfilm „Drei D“ wurde er 1988 für den Studenten-Oscar nominiert. Nach einigen Auftritten auch
als Schauspieler gelang ihm 1991/92 als Regisseur
der Durchbruch mit den Filmen „Allein unter Frauen“
und „Kleine Haie“, die mehrfach ausgezeichnet wurden, ebenso wie „Der bewegte Mann“ (1995), einer der
größten deutschen Kinohits. Es folgten u. a. „Das Superweib“ (1996) „Knockin´ on Heaven´s Door“ (1997),
„St. Pauli Nacht“ (1999) und die Sat.1-Fußballerserie
„Freunde für immer“ (2006). Wortmann arbeitet seit
einigen Jahren auch als Produzent. So produzierte er
den Fernsehfilm „Arnies Welt“ (2006).
(Buch/Regie/Kamera)
für
Deutschland. Ein Sommermärchen (ARD/WDR)
Produktion: Shark TV
BEGRÜNDUNG DER JURY:
Thorsten Frings hat sich unmittelbar nach der Niederlage gegen das italienische Fußballteam in den hintersten Winkel des Kabinenflurs zurückgezogen und stiert ins Nichts. Seine Kollegen, die ohne den zuvor gesperrten
Mittelfeldspieler gerade auf dem Platz untergegangen sind, leiden stumm.
In dem Moment ist Sönke Wortmann der Sieger.
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Foto: Matthias Bothor
43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Sein Dokumentarfilm „Deutschland. Ein Sommermärchen“ hat damit die
notwendige Dramaturgie erhalten. Während sich die Fernsehanstalten mit
Analysen der externen Experten um Franz Beckenbauer in Szene setzen,
ist Wortmann mitten unter den gestürzten Helden. Er erlebt, wie sehr es
schmerzt, körperlich und seelisch, wenn ein viel besungener Traum geplatzt ist.
Mit seinem Dokumentarfilm krönt der Fußballfan Sönke Wortmann das
Medienereignis des vergangenen Jahres. Durch seine exklusive Innenansicht schafft er es, die Wesenszüge des sonst unergründlich in die Kameras grinsenden Global Players Jürgen Klinsmann zu ergründen. Wie
geschmiert verzahnen sich die Rädchen dessen WM-Maschinerie: Fitnesstrainer aus USA, Gegner-Scout aus der Schweiz, analytischer Co-Trainer
aus dem Badischen, Rückendeckung von der Bundeskanzlerin, immerzu
Ehrgeiz und Leidenschaft – selbst an der Tischtennisplatte. Bei allem WirGefühl, das sich nach wochenlangem Beieinandersein in der Kabine breit
macht, steht Wortmann mit seiner Kamera zuweilen fasziniert daneben. So
in Augenblicken, wenn die kasernierten Spieler Deutschland im Ausnahmezustand – beim Fernsehgucken in der Hotellobby – erleben. Mag das
Volk von Fußball-Experten noch so sehr über seine Helden philosophieren:
Wortmann lässt seine Kamera die Legendenbildung um Traineransprachen
in der Kabine entlarven. Klinsmann hüpft wie Rumpelstilzchen. Er schreit
und fuchtelt; und die Spieler haben den Tunnelblick.
Sönke Wortman hat durch eine große Anzahl filmischer Stilmittel ein Werk
geschaffen, das den höchsten formalen Anforderungen entspricht und
gleichzeitig ein Millionenpublikum vor den Fernsehschirmen, im Kino und
als DVD begeisterte. Er setzt Schnitte wie ein Skalpell, beweist großen Mut
zur Stille; lässt sich die Bilder fast überschlagen, wenn die Fans aus dem
Häuschen geraten. Seine Kamera verfolgt, zieht sich wieder zurück und beobachtet, hin und wieder überrumpelt sie – atemberaubend, meisterhaft.
Die Musik untermalt dabei klug das Visuelle. Hier kommen ausschließlich
die Protagonisten zu Wort; und Wortmann nimmt sich – völlig untypisch
in der Welt der Sportberichterstattung – uneitel zurück.
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Grimme-Preis | Information & Kultur
Monitor
ARD/WDR
Fotos: WDR
INFORMATION & KULTUR
Produktion: ARD/WDR
Monitor
Monitor 19.10.2006 Produktion: WDR
Buch: Kim Otto, Ralph Hötte,
Markus Schmidt, Matthias Veit
Regie: Kim Otto
Schnitt: Susanne Schweinheim
Redaktion: Sonia Mikich
Erstausstrahlung: 19.10.2006
Sendelänge: 6:42 Minuten
Monitor 21.12.2006 Produktion: WDR
Buch: Florian Bauer, Kim Otto
Regie: Kim Otto
Kamera: Christian Echt
Schnitt: Enno Echt
Redaktion: Sonia Mikich
Erstausstrahlung: 21.12.2006
Sendelänge: 6:10 Minuten
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Sie sind Diener zweier Herren, die so genannten Leihbeamten, die in Ministerien arbeiten, ihr Geld aber aus
der Wirtschaft beziehen. Sie arbeiten an aktuellen Themenstellungen, sogar an Gesetzen mit. Das Ziel: ihrem
Arbeitgeber – und das ist in der Regel ein Großkonzern und nicht der Staat – den Weg zu ebnen und ihn mit
internen Informationen zu versorgen. Am 19. Oktober 2006 deckte „Monitor“ auf, dass mindestens 30 solcher
Lobbyisten in verschiedenen Ministerien beschäftigt sind oder waren. Ob der Bundesverband der deutschen
Bauindustrie oder der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport: Ihre Mitarbeiter sitzen mit an den Hebeln der
Macht und können auf politische Entscheidungen zu ihren eigenen Gunsten Einfluss nehmen. Der Beitrag löste
eine politische Diskussion aus, die Wirkung zeigte. Nicht nur die von „Monitor“ geschätzten 30, sondern gar 100
solcher Lobbyisten aus Unternehmen und Verbänden arbeiteten in den vergangenen vier Jahren in den Ministerien mit, räumte die Bundesregierung ein. Vermutlich gibt es aber noch mehr, so „Monitor“, und brachte am
21. Dezember, also zwei Monate später, einen Folgebericht, in dem weitere Beispiele genannt wurden. So leitete
ein Mitarbeiter bei Daimler Chrysler die Abteilung Konzernstrategie/ Verkehrspolitik, während er als Beschäftigter des Verkehrsministeriums an der Quelle saß, als dort der Milliardenauftrag für die LKW-Maut-Technik
vergeben wurde. Den Zuschlag bekam am Ende übrigens ein Betreiberkonsortium, dem auch Daimler Chrysler
angehörte.
20.03.2007 12:09:14 Uhr
Adolf-Grimme-Preis an
Ralph Hötte, Kim Otto und Markus Schmidt
(stellv. für das Autorenteam)
für die Aufdeckung des Skandals
‚Bezahlter Lobbyismus in Bundesministerien’
in Monitor-Beiträgen (19.10. und 21.12.2006)
(ARD/WDR)
Ralph Hötte wurde 1969 in Dortmund geboren. In seiner Heimatstadt studierte er einige Semester
Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, bevor er seine
Fachrichtung wechselte. In Dortmund und an der Napier School of Journalism im schottischen Edinburgh
studierte er Journalistik. Zwischendurch volontierte
er beim WDR und ist seit 1996 freier Mitarbeiter für
Hörfunk und Fernsehen der ARD. So arbeitet er regelmäßig für das ARD-Politmagazin „Monitor“ und das
WDR-Schulfernsehen. Seine journalistischen Einsätze
führten ihn schon mehrfach ins Ausland, u. a. nach
Kanada, Israel und in die USA.
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Foto: Olaf-Wull Nickel
43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Umso verdienstvoller ist es, wenn Reporter, Redakteurinnen und Ressortleitung es wagen, sich auf das Abenteuer der Recherche einzulassen, dessen Ausgang stets ungewiss ist. Das gilt umso mehr, wenn das Thema der
Recherche der Lobbyismus ist. Der verweigert sich seiner Natur nach auf
besonders sperrige Weise journalistischen Begehrlichkeiten. Einige mögliche Gesprächspartner dürfen nichts sagen, andere wollen nichts sagen
– die Gefahr des Scheiterns ist in diesem Bereich besonders hoch.
Ralph Hötte, Kim Otto, Markus Schmidt sind – wie ihre Mit-Autoren Florian Bauer und Matthias Veit – nicht gescheitert. Sie haben weder Zeit noch
Mühe noch Aufwand gescheut, als sie für die ARD-Sendung „Monitor“ der
Frage nachgingen, wie weit die Arme der Interessengruppen eigentlich reichen. Das, was sie herausfanden, ist eben so alarmierend wie aufschlussreich: Unternehmensmitarbeiter, Lobbyisten also, arbeiten in Ministerien,
obwohl sie weiterhin von ihren Firmen bezahlt werden. Sie können es – soll
man sagen: bei guter Führung? – sogar bis zu Referatsleitern bringen. Und
an Gesetzesentwürfen mitarbeiten.
Kim Otto 1968 in Essen geboren, hat schon mehr
als 70 Beiträge für das ARD-Politmagazin „Monitor“
gedreht. Er arbeitet seit 2001 für diese, aber auch für
andere Redaktionen wie für die ARD/WDR-Dokureihe
„die story“. Bevor er in Dortmund sein Journalistik-Studium aufnahm und im WDR volontierte, studierte er
in Duisburg Politikwissenschaft, Recht und Volkswirtschaftslehre. Dort war er auch als wissenschaftlicher
Mitarbeiter tätig. Anfang dieses Jahres kehrte er in den
Lehrbetrieb zurück, diesmal allerdings als Professor an
der Macromedia Fachhochschule für Medien in Köln.
Markus Schmidt
1957 in Köln geboren,
machte nach seinem Abitur erst einmal eine Banklehre. Danach studierte er in seiner Heimatstadt Volkswirtschaft, Politische Wissenschaften und Geschichte.
Nach seinem Volontariat bei der Deutschen Welle,
berichtete er zunächst als freiberuflicher Journalist.
1988 wurde er dann Mitarbeiter des WDR und war für
Redaktionen wie „West 3 aktuell“ im Einsatz. Für die
„Tagesschau“ arbeitete er im Studio Bonn, bevor ihn
seine journalistische Karriere als Korrespondent nach
Brüssel in das dortige ARD-Studio führte. Seit September 2004 ist er Mitglied der „Monitor“-Redaktion.
Foto: WDR/Dirk Borm
Recherche ist teuer, aufwändig – und manchmal kommt gar nichts dabei heraus. Einfacher und billiger lassen sich Sendeminuten füllen, wenn
man jemanden vor ein Mikrofon bekommt, der im Interesse der eigenen
Profilierung ein Statement abgibt, und wenn man dann noch jemand anderen befragt, der – ebenfalls im Interesse der eigenen Profilierung – einen gegenteiligen Standpunkt vertritt. Streit bringt allemal Quote. Man
kann die abgefragten Stellungnahmen auch noch mit der schmeichelnden Überschrift „Streitkultur“ versehen, und wenn genügend Zuschauer
einschalten, dann bedarf ein Beitrag oder eine Sendung keiner weiteren
Rechtfertigung mehr.
Foto: Privat
BEGRÜNDUNG DER JURY:
Die beiden „Monitor“-Beiträge zum Thema, gesendet am 19.10.2006 und
am 21.12.2006, wurden akribisch recherchiert und nüchtern präsentiert.
Sie haben aufgedeckt, wie eng politische Institutionen, die dem Gemeinwohl verpflichtet sind, mittlerweile mit ökonomischen Einrichtungen, die
Interessen Einzelner verfolgen, verflochten sind.
Immerhin: Die Beiträge blieben nicht folgenlos. Die Opposition hat danach
parlamentarische Anfragen an die Bundesregierung gestellt. Der Bundesrechnungshof prüft die Vorgänge. Die ausgezeichneten „Monitor“-Beiträge sind Beispiele dafür, was ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk leisten
kann, der sich nicht primär wirtschaftlichen Interessen – vulgo: der Quote –,
sondern den Idealen der Aufklärung verpflichtet fühlt.
„Investigative Berichterstattung heißt oft: Viel Zeit investieren und gegen
den Strom von Aktualität und Schnelligkeit arbeiten. Mich freut daher besonders, dass diese Art der journalistischen Arbeit ausgezeichnet wird.“
Kim Otto
„Natürlich bin ich stolz und glücklich darüber, dass unser Team für einen
der Grimme-Preise ausgewählt wurde. Aber ich begreife diese Auszeichnung
auch als Aufforderung an die Programmmacher im öffentlich-rechtlichen
Rundfunk, sich wieder mehr auf den eigentlichen Auftrag zu besinnen: Geld
und Zeit in saubere Recherche zu investieren um im besten Wortsinne aufzuklären.“
Markus Schmidt
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Kraftakte
Aus der Jury Information & Kultur / Spezial
| von Markus Brauck
enn man sieht, auf welchen Programmplätzen Dokumentationen
im deutschen Fernsehen laufen, dann könnte man meinen, es sei
schlecht bestellt um dieses Genre. Das meiste läuft nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Kaum einem Film wird zugetraut, dass er auch
die Massen, zumindest ein paar Millionen Zuschauer, interessiert. Erst der
Film „Deutschland. Ein Sommermärchen“ von Sönke Wortmann brachte
dann alles zusammen: toller Film, guter Sendeplatz, exzellente Quote. Wie
kann so etwas geschehen?
W
An den Filmen liegt es jedenfalls nicht.
ergebliche Liebesmüh, solche Fragen zu stellen, schon klar. Doch besonders was Dokumentationen angeht, läuft diese Frage, die ja eigentlich eine Forderung ist, nicht allein unter der Rubrik „verdienstvoll“. Sicher,
es gab unter den Beiträgen, die in der Jurywoche gesehen und diskutiert
wurden, einige, denen man – wie die gestanzte Formel lautet – ein größeres Publikum gewünscht hätte. So wie man sich ja vieles wünschen mag.
V
Viel mehr aber gab es unter den Beiträgen auch einige, die man einfach
dem Publikum sehr gegönnt hätte, weil man es mit dem Publikum gut
meint und ihm wünscht, manchmal noch sehen zu dürfen, was wirklich
herausragend ist. Nicht dem Film fehlte da das Publikum. Dem Publikum
fehlt dieser Film. Und es weiß nicht einmal davon.
Foto: WDR
Jedenfalls gab es da im vergangenen Jahr einiges, was man auch als Vielseher dem Fernsehen an Perlen kaum noch zugetraut hat. Sogar über das
hinaus, was ausgezeichnet werden konnte: Witzige Kunstdokumentationen zum Beispiel. Langzeitbeobachtungen mit wunderbarem Erzählton.
Ergreifende biografische Porträts. Sozialpolitische Dokusoaps mit Witz.
Beklemmende Anklagen.
„Deutschland. Ein Sommermärchen“
Nach der Sichtungswoche der Jury Information & Kultur muss die Frage
ganz anders lauten. Warum eigentlich gibt es diese Trias nicht öfter? Oder
zumindest: Warum gibt es, außer bei diesen Supersonderfällen, nicht wenigstens öfter die Chance für einen herausragenden Dokumentarfilm auf
einem wenigstens akzeptablen Sendeplatz, wenigstens eine Chance auf
eine Chance?
Und es gab da diesen Fußballfilm.
elbst bei mancher Dokumentation, die einem selbst fußlahm erschien,
kam dann aus einer sehr couragierten Ecke der Jury ein leidenschaftlicher Appell: Das sei noch nie dagewesen, so noch nie gewagt worden,
und wenn dieser Film keinen Preis erhalte, sei die Welt im allgemeinen
umsonst erschaffen und das Medium Fernsehen im besonderen umsonst
erfunden worden.
S
Doch schön der Reihe nach.
Jury Information & Kultur / Spezial
Hans Peter Schweger, VHS Husum
Barbara Sichtermann, Freie Journalistin, Berlin
(Vorsitzende)
Dr. Richard David Precht, Freier Journalist, Köln
(stellv. Vorsitzende)
Annette Lorey, VHS Leverkusen
Markus Brauck, Der Spiegel, Hamburg
Detlef Ruffert, Landesfilmdienst Hessen, Frankfurt
(stellv. Vorsitzender)
Holm-Henning Freier, dokument ART, Neubrandenburg
Diemut Roether, epd, Frankfurt
Susanne Strübel, Freie Journalistin, Stuttgart
Foto: AGI/Hildegard Engler
Bettina Gaus, taz, Berlin
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Christina Bruhn, LV-VHS Schleswig-Holstein, Kiel
20.03.2007 12:09:19 Uhr
Little Shark Entertainment
Wir freuen uns doppelt!
Adolf-Grimme-Preis 2007
Wettbewerb Fiktion
Isabel Kleefeld
Buch und Regie
und
Caroline Peters
Jörg Schüttauf
Matthias Brandt
Wir bedanken uns bei
Barbara Buhl, Gebhard Henke,
WDR, der Filmstiftung NRW
und allen Beteiligten für die
erfolgreiche Zusammenarbeit.
Adolf-Grimme-Preis 2007
Wettbewerb
Information & Kultur
Ein Film von
Sönke Wortmann
SÖN KE WORTM AN N
Wir bedanken uns bei
Helfried Spitra, Matthias Kremin,
Michael Loeb, WDR,
WDR mediagroup, DFB,
der FIFA und allen Spielern
und Betreuern der deutschen
Fussball Nationalmannschaft.
AN OFFICI AL DOCUM ENTAR
Y FILM OF THE 2006 FIFA
WORL D CUP™
EINE PRODUKTION DER LITTLE SHARK ENTERTAINMENT IN KOPRODUKTI
ON MIT DER WDRMEDIAGROUP
CREATIVE PRODUCER HEINRICH HADDING MUSIK MARCEL BARSOTTI
SCHNITT MELANIA SINGER & CHRISTIAN VON LÜPKE KAMERA
BUCH ZUM FILM ERSCHIE
SÖNKE WORTMANN & FRANK GRIEBE REDAKTION WDR MATTHIAS KREMI
NEN BEI
N
PRODUZENT TOM SPIESS KONZEPT & REGIE SÖNKE WORTMAN
N
SOUNDT
www.DeutschlandEinS
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ommermaerchen.Kino
RACK ERSCHIENEN BEI
welt.de
20.03.2007 12:09:26 Uhr
43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Was ausgezeichnet wurde, ist verkündet. Die Begründungen kann jeder
nachlesen. Das sieht sehr ewig aus und sehr marmorn. Das ist natürlich
eine Täuschung.
„Die Spielwütigen“ etwa, eine Langzeitbeobachtung von Schauspielschülern, fand nur Freunde in der Jury, sogar den einen oder anderen glühenden Bewunderer. Das Stück bezieht seinen Witz und seine Tragik aus
der Dynamik der einzelnen Biografien. Es lässt den Zuschauer daran teilhaben, ohne dass es ihm peinlich würde. Andererseits war an Filmen, die man
mit Fug und Recht bewundern konnte, kein Mangel. Auch „Tod in Texas“,
eine minutiöse Umsetzung der letzten Stunden im Leben einer zum Tode
verurteilten Afro-Amerikanerin, wurde von beinahe jedem Jury-Mitglied
als besonders gelungen beurteilt. Der Film gehörte sicherlich zu denen,
die emotional am stärksten herausforderten. Nach Ende der Vorführung
sprach minutenlang niemand.
Diesen beiden Filmen hätte ein Grimme-Preis gut angestanden. Sie scheiterten nicht an sich, sondern an der Konkurrenz. Und sie scheiterten nur
knapp.
V
ielleicht war das auch so, weil diese Filme letztlich keine Diskussion
auslösen konnten. Vielleicht war es so, weil diese beiden Filme sehr
gelungen waren, aber niemanden überraschten. Vielleicht war es auch so,
dass niemand in der Jury für diese Filme bis zum Letzten kämpfte.
Foto: Ben Lewis
Eine große Debatte in der Jury kreiste um den Fußball. Nach der irren klassen-, branchen- und geschlechterübergreifenden Begeisterung während
der Weltmeisterschaft, die vereint hatte, was auf Dauer nicht zusammen
gehört, brachen in der Jury die Gegensätze offen auf zwischen jenen, die
Fußball für pure Unterhaltung halten, und denen, die Filmemacher Sönke
Wortmann wie auch Bundesliga-Trainer und ZDF-Co-Moderator Jürgen
„Art Safari“
Klopp im Bereich „Information“ durchaus richtig angesiedelt fanden. Die
Front war hart. Eine der härtesten der Sitzungswoche.
Die einen sagten, man solle Jürgen Klopp auszeichnen, weil der nun in
der beinahe völlig in die pure Spaßigkeit abdriftenden Fußballberichterstattung tatsächlich Zeit aufwende, um Fußball zu erklären. Die anderen
versuchten zu ergründen, was daran außergewöhnlich ist. Und wie soll
man jemandem, der nie Fußball guckt und darum auch nie unter dem allgemeinen Flachsinn leidet, erklären, welche Wohltat so ein Jürgen Klopp
in diesem Leiden ist? Es ging sachlich zu. Die einen versuchten eifrig, zu
erklären. Die anderen mühten sich ehrlich, zu verstehen. Am Ende stand
Babel. Man verstand einander nicht.
Vielleicht hatte es auch darum Sönke Wortmann leichter. Auch sein Film
tat sich zunächst schwer. Doch da man bei „Deutschland. Ein Sommermärchen“ über die Form sachlich streiten konnte, auch wenn man vom Sport
gar nichts versteht, fiel da die Überzeugungsarbeit leichter.
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s gab Momente, da war die Jury ganz nah beieinander. Das war so, als
etwa „Art Safari“ lief. Eine Produktion, die am Ende den Sonderpreis
Kultur des Landes NRW erhielt. Da wagte einer mal was Neues. Ausgerechnet in einer Reihe über moderne Kunst. Er hielt auch den Zuschauer
nicht für dümmer, als er war – und auch nicht für klüger. Da wurde etwas
von der Kraft des Mediums spürbar, wenn einer losgeht und mit Neugierde Unbekanntes erkundet – und die Kamera schaut bloß zu, was passiert.
Witzig war das. Und es brachte die Künstler viel näher als mancher textlich überladene Film. Dem filmischen Porträt „Deutsche Lebensläufe: Fritz
Lang“ gelang das auch. Allerdings auf dem genau entgegengesetzten Weg.
Mit einer ästhetischen Komposition, die niemals prätentiös wirkte. Und an
keiner Stelle wurde mit kulturbeflissenem Augenzwinkern ein pseudoelitäres Einverständnis mit dem Zuschauer geheuchelt.
E
Überhaupt war es erstaunlich, wie sehr sich die Wettbewerbssieger schon
allein dadurch von manchem anderen Beitrag absetzten, dass sie ordentlich getextet waren. Ohne platte Metaphern und abgegriffene Vergleiche.
Ohne Floskeln und falsches „Wir“-Gefühl. Ein Jury-Mitglied sagte in der
Diskussion, dass es eigentlich Zeit sei für einen Appell an die Redaktionen,
überhaupt noch einmal hinzuhören, was da versendet wird. Da gab es
reichlich Zustimmung.
So herausragend manche Doku-Filme – etwa „Weiße Raben“ waren, so
sehr fielen in der Jury-Sitzung dann allerdings manche journalistisch kurzzeiterhitzten Dokus durch, in denen sich Klischee an Klischee reihte. Je
massentauglicher der Sendetermin, so schien es, desto weniger originell
war dann auch gleich die Aufbereitung.
abei gibt es auch Beispiele für Originalität, bei der kein Programmmacher Angst haben muss, ihm liefen da die auf Einheitsware eingestellten Zuschauer massenweise weg. Die ZDF-Produktion „Stellmichein!“
etwa schaffte es, die gefühlte tausend Mal gesehene Beobachtung von
Menschen auf Jobsuche gänzlich neu zu erfinden. Mit einem simplen Trick.
Die sonst in diesen Filmen diskret ausgesparten Bewerbungsgespräche
– eigentlich ja dramaturgische Verdichtungen der Geschichte – wurden im
Zeichentrick dargestellt, während die Protagonisten im Off von ihren Begegnungen mit möglichen neuen Chefs berichteten. Das machte die sonst
meist traurigen Geschichten etwas heiterer, ohne auch nur irgendwie zu
verharmlosen. Im Gegenteil. Durch die zeichnerische Erzählung wurden die
Einzelschicksale exemplarisch.
D
Von den Privatsendern war nur eine einzige Produktion nominiert. Das ist
wenig verwunderlich. Allerdings zeigt der Blick auf die Sendeplätze der
anderen, durchweg öffentlich-rechtlichen Produktionen, dass auch dort
zu selten auf die Kraft der dokumentarischen Erzählung Wert gelegt wird.
Dabei gibt es dort wirklich herausragende Werke, die sich im übrigen ganz
darauf konzentrieren, ein Bedürfnis zu erfüllen, das ja immer noch viele
abends vor den Fernseher treibt: tatsächlich etwas Neues zu erfahren.
Mehr noch: etwas wirklich Neues zu sehen.
Das Medium und viele seiner Macher jedenfalls haben die Kraft dazu.
Markus Brauck, 1971 geboren, ist seit dem vergangenen
Jahr Medienredakteur beim Spiegel. Zuvor schrieb er für
die Frankfurter Rundschau als Reporter sowie für deren
Medien- und Politikredaktionen. Der Diplom-Theologe studierte in Frankfurt/Main und München.
Foto: AGI/Hildegard Engler
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Wir wünschen allen Nominierten
einen ausgezeichneten Abend!
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Sonderpreis Kultur des Landes NRW
Art Safari
ZDF/ARTE
Fotos: Ben Lewis
SONDERPREIS KULTUR DES LANDES NRW
Produktion: Bergmann Pictures und TV2 Danmark
Art Safari
Produktion: Bergmann Pictures und
TV2 Danmark
Buch/Regie: Ben Lewis
Redaktion: Martin Pieper
Erstausstrahlung: ab 8.4.2006,
jeweils samstags, 20.15 h (ARTE)
Sendelänge: je 26 Min.
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Die Welt der zeitgenössischen Kunst und die Gedanken der Künstler mögen manchem Betrachter sicherlich
wie ein Dschungel erscheinen. Durch diese teils unbekannte, scheinbar undurchdringliche Welt braucht man
einen guten Führer. Ben Lewis lädt in seiner „Art Safari“ zu einer solchen Reise ein und versucht dabei, mit einer
Mischung aus Ernsthaftigkeit, Wissen, Neugier und Ironie einer entscheidenden Frage auf den Grund zu gehen:
Was will uns dieser Künstler sagen? So stellt er etwa den Videokünstler Matthew Barney vor, der mit seinem
Cremaster-Zyklus eine Allegorie auf das Leben schaffen wollte. Sieben Jahre hat Barney mit einem 40-köpfigen
Produktionsteam an den fünf Filmen gedreht und dabei etwa im New Yorker Chrysler-Building Autounfälle im
Erdgeschoss und Zahnarzt-Folter im Penthouse inszeniert. Wir bekommen vieles zu sehen. So eine Maschine des
Belgiers Wim Delvoye, welche das menschliche Verdauungssystem simuliert. Die Warteliste der Kunstsammler,
welche die darin produzierten Exkremente erwerben wollen, ist lang. Und auch Delvoyes tätowierte Schweine
erzielen fünfstellige Summen bei Auktionen. So lässt sich Lewis selbst von dem Künstler eine gekreuzigte Maus
auf den Rücken tätowieren – als Investition in den boomenden Markt für zeitgenössische Kunst, wie er sagt.
Unterhaltend, informierend und souverän führt Lewis seine Zuschauer durch das Dickicht der künstlerischen
Eigentümlichkeiten, und das alles, so die Sunday Times, „mit dem Anschein, als hätte er keine Ahnung, was er
gerade tut.“
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Sonderpreis Kultur des Landes NRW an
Ben Lewis
(Buch/Regie)
für
Art Safari (ZDF/ARTE)
Produktion: Bergmann Pictures und TV2 Danmark
BEGRÜNDUNG DER JURY:
Filmische Erfahrungen als analytische Abenteuer, aber auch als abenteuerliche Analysen, das bietet Ben Lewis, der Kunstfreak und Autor in seiner
siebenteiligen Serie. Sie ist eine Reise zu außergewöhnlichen Künstlern
und ihren Werken zeitgenössischer Kunst, oft mühsam und anstrengend
und doch ein aufregender Lernprozess.
Die Zuschauer lernen faszinierende Künstlerpersönlichkeiten auf eine
charmante Weise kennen, wie etwa Matthew Barney oder Sophie Calle, die
Grande Dame der zeitgenössischen Kunst in Frankreich. Amüsiert werden
sie hineingezogen in den Internetdialog mit der Künstlerin und begreifen,
dass dieses Spiel ein Teil ihrer Kunst ist, in Strukturen zu denken und sie
gleichzeitig offen zu legen. Mit Gregor Schneider aus Deutschland erleben sie ein Raum-Abenteuer. Das von außen unscheinbare Haus hat es in
sich: Räume ohne Türen, schalldicht isolierte Zimmer, Türen ohne Räume,
Zwischenwände, hinter denen nichts ist. Alles hat nur eine Funktion: Verwirrung zu stiften und gewohnte Räume in Frage zu stellen.
Bei jedem Künstler entwickelt sich neu eine ausdrucksstarke, individuelle
Dynamik. Mit jeder beharrlich gestellten Frage, wird Neugierde und Lust
auf mehr geweckt. Ben Lewis fragt ungekünstelt und ungewohnt direkt
und lässt zu, dass Künstler auch schweigend, nur mit dem Blick auf ihre
Werke antworten. Gerade seine respektlose und dabei doch behutsame
Art verhilft zu neuen Erkenntnissen, vermittelt einen Schlüssel zur zeitgenössischen Kunst. Er staunt selbst über das, was er mit seinen Filmen
entdeckt und bleibt dabei stets authentisch. Er kokettiert weder mit dem
Zuschauer, noch mit den Künstlern. So gelingt es ihm, auf seine natürliche,
unverkrampfte Art moderne Kunst verstehbar zu machen.
Ben Lewis 1966 geboren, wird auch schon
mal als Kunstfreak bezeichnet. Nichts lag für
ihn näher als Kunstgeschichte zu studieren,
und zwar in Cambridge und Berlin. Dann entdeckte er MTV und dazu den Dokumentarfilm.
So machte er sich einen Namen als Spezialist für unterhaltsame und fundierte Politik-,
Geschichts- und Kultur-Dokumentationen. Für
seine internationale Co-Produktion „Ceaucescu
– Prunksucht eines roten Diktators“ (2001) erhielt den Grierson Award. Mit „Baader Meinhof
– In love with terror“ (BBC 2002) brachte er den
Briten deutsche Geschichte näher. Seine von
ARTE und ZDF mitproduzierte Serie „Art Safari“
(seit 2003) wurde auf dem New Yorker Fernsehfestival mit der Bronze Medal ausgezeichnet.
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Foto: Ben Lewis
43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
“It is an enormous honour to be awarded the ‘Sonderpreis Kultur des Landes
NRW’, which for me is not only an award for my art series „Art Safari“, but
also a symbol of my participation in German culture which began 28 years
ago when I started learning German in school. The idea behind „Art Safari“
was to make a series about art driven by a mixture of enthusiasm and skepticism, coming from the perspective of an art lover, not an art critic. I wanted
to replace the didacticism and judgementalism of traditional programmes
about art with playfulness and story-telling. I am very pleased that the series
found such a warm welcome in Germany. My family was originally German
- they lived in the Tiergarten in the 1930s, and you can probably guess the
rest of the story from the dates – and I have always been irresistably drawn
to Germany and German culture, as if it was something that was once mine,
and which I wanted to take possession of again. Now I really feel that I am
part of it again, and it is part of me.”
Ben Lewis
Ben Lewis konterkariert mit seinen Filmen jegliche Vernissage- und Kataloglyrik. Er braucht keine perfekt vorgetragenen Analysen. Er kommuniziert, in dem er das Kindliche in sich zulässt, die Künstler und ihr Werk
bestaunt und somit für sich und die Zuschauer entdeckt. Es gelingt ihm,
durch den Dschungel zeitgenössischer Kunst zu reisen, ohne darin die Orientierung zu verlieren.
Jury Sonderpreis Kultur des Landes NRW
Holm-Henning Freier,
dokumentART, Neubrandenburg
Annette Lorey,
VHS Leverkusen
Detlef Ruffert,
Landesfilmdienst Hessen, Frankfurt
(Vorsitzender)
Barbara Sichtermann,
Freie Journalistin, Berlin
Dr. Richard David Precht,
Freier Journalist, Köln
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Publikumspreis der Marler Gruppe
Nicht alle waren Mörder
ARD/SWR/BR/rbb
Foto: SWR/teamWorx
PUBLIKUMSPREIS MARLER GRUPPE
Produktion: teamWorx Television & Film
Nicht alle waren Mörder
Produktion: teamWorx Television & Film,
Gabriela Sperl, Nico Hofmann,
Jürgen Schuster
Buch/Regie: Jo Baier
Kamera: Gunnar Fuß
Schnitt: Clara Fabry
Darsteller: Aaron Altaras, Nadja Uhl,
Hannelore Elsner, Dagmar Manzel,
Maria Simon, Richy Müller u. a.
Redaktion: Manfred Hattendorf,
Michael Schmidl (SWR), Bettina Reitz,
Bettina Ricklefs (BR)
Erstausstrahlung: Mittwoch, 1.11.2006,
20.15 h
„Ich hätte dir eine andere Kindheit gewünscht“, sagt die Jüdin Anna Degen zu ihrem elfjährigen Sohn Michael.
Es ist März 1943, als für die beiden eine zweijährige Odyssee in und um Berlin beginnt. Die Nachbarn werden zur
Deportation abgeholt. Anna und Michael aber gelingt es unterzutauchen. Eine Freundin bringt sie zunächst bei
der russischen Emigrantin Ludmilla unter. Ein gefährliches Versteck, weil Ludmilla in ihrem Wohnzimmer Konzerte für Nazi-Größen gibt. Als bei einem Bombenangriff das Haus zerstört wird, vermittelt ihnen der Kommunist Hotze eine Bleibe bei Oma Teuber, die ganz pragmatisch nicht nur ihre Zimmer, sondern auch ihre Töchter
vermietet. Doch auch hier sind die Degens nicht auf Dauer sicher, denn Anna wurde auf der Straße als Jüdin
erkannt. Sie fliehen aufs Land zu Hotze, seiner Frau Käthe und seiner Schwester Marthchen. Zur Tarnung in eine
HJ-Uniform gesteckt, freundet sich Michael mit dem Nachbarjungen Rolf an. Aber auch hier erreichen sie die
Schrecken des Krieges. Hotze steht als Kommunist unter Beobachtung der Gestapo. Anna und Michael finden
Zuflucht bei Rolf und seinem verschlossenen Vater Redlich. Beinahe entwickelt sich so etwas wie ein Familienleben, bis Rolf bei der Suche nach Granatsplittern ums Leben kommt. Der Vater verzweifelt über den Tod seines
Sohnes und begreift ihn als Strafe für die Schuld, die er sich aufgeladen hat, indem er immer nur stillschweigend
seine Arbeit verrichtete: als Lokführer, der die Juden zur Vernichtung in die Konzentrationslager transportierte.
Sendelänge: 94 Min.
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(Buch/Regie)
Nadja Uhl und Aaron Altaras
(Hauptdarsteller)
für
Nicht alle waren Mörder
(ARD/SWR/BR/rbb)
Produktion: teamWorx Television & Film
BEGRÜNDUNG DER JURY:
März 1943: Die Jüdin Anna Degen flieht mit ihrem kleinen Sohn Michael
vor der Deportation durch die Nazis in den Untergrund Berlins. Es folgen
zwei Jahre voller Angst vor Entdeckung, Unmenschlichkeit und Verrat. Was
die Beiden jedoch davor bewahrt, sind Vertrauen in Fremde, in zwischenmenschliche Solidarität und der unbändige Überlebenswille, den die Mutter aus der Liebe zu ihrem Sohn schöpft.
Jo Baier gelingt es mit seinem Film, den Zuschauer emotional zu fesseln
und ihn nach dem Film noch lange mit der Frage zu konfrontieren, was er
selbst in dieser Situation getan hätte. Da die Geschichte konsequent aus
der Perspektive des Kindes erzählt wird, kann sich der Betrachter kaum
in eine historische Distanz zurückziehen, sondern wird mitgerissen von
den Ereignissen, Charakteren und Emotionen. Das Schicksal des Jungen
Michael bleibt somit kein Einzelschicksal, sondern steht exemplarisch für
die Behauptung menschlicher Werte in Zeiten, in denen sie längst verloren
geglaubt sind.
So spiegelt die bis ins kleinste Detail authentische Ausstattung – ergänzt
von Kostüm, Maske und Musik – die oft bedrückende Atmosphäre jener
Tage gekonnt wieder und verbindet das Episodenhafte der Ereignisse zu
einem großen, stimmigen Ganzen. Die Schauspieler sind selbst in den
kleinsten Nebenrollen überzeugend besetzt worden und stellen in großer
Vielschichtigkeit die Figuren in ihrem jeweiligen Spannungsfeld dar. Hierbei muss Aaron Altaras besondere Erwähnung finden, denn seine unverbrauchte Form der Darstellung bildet einen wirkungsvollen Kontrast zu der
bisweilen gnadenlosen Brutalität seiner Umwelt.
„Nicht alle waren Mörder“ ist ein Film, der tiefe Betroffenheit auslöst, den
Zuschauer jedoch nicht mit dieser allein zurück lässt, sondern – wie es die
Marler Gruppe erfahren hat – zum aktiven Meinungs- und Erfahrungsaustausch zwischen den Generationen anregt und somit in besonderer Weise
die Programmverantwortung des Fernsehens erfüllt.
Nadja Uhl 1972 in Stralsund geboren, studierte Schauspiel an der Hochschule Felix MendelssohnBartholdy in Leipzig und bekam ihr erstes Theaterengagement 1994 in Potsdam. Nach mehreren Film- und
Fernsehrollen gelang ihr der Durchbruch mit „Die Stille
nach dem Schuss“, für den sie 2000 mit dem Silbernen
Bären ausgezeichnet wurde. Sie spielte in dem Oscarnominierten niederländischen Film „Die Zwillinge“
(2002), „Das Wunder von Lengede“ (Sat.1 2003) und
landete mit „Sommer vorm Balkon“ (2005) einen Kinohit. Zuletzt war sie in „Die Sturmflut“ (RTL 2006) und
dem Kinofilm „4 Minuten“ (2006) zu sehen. Mit ihrem
Lebensgefährten eröffnete sie im vergangenen Jahr in
einer alten Potsdamer Villa das Varieté Walhalla.
Foto: Joachim Gern
Jo Baier
Jo Baier 1949 in München geboren, studierte in
seiner Heimatstadt Theaterwissenschaft, Germanistik
und Amerikanistik. Seine Karriere als Regisseur begann er mit Dokumentarfilmen und Features, bevor
er 1984 mit „Rauhnacht“ seinen ersten Fernsehfilm
drehte. Für „Schiefweg“ erhielt er 1989 seinen ersten Adolf-Grimme-Preis, zwei weitere dann für die
ARD-Produktionen „Der Laden“ (1998) und „Wambo“
(2002). Es folgten zahlreiche andere Auszeichnungen,
darunter der Bayerische und der Österreichische Fernsehpreis. Den Deutschen Fernsehpreis bekam er 2004
für „Stauffenberg“ (ARD). Für seine Regiearbeit wurden ihm außerdem der Robert-Geisendörfer-Preis, der
Bayerische Verdienstorden und das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Aaron Altaras 1995 in Berlin geboren, wurde
sein künstlerisches Talent quasi in die Wiege gelegt: ist
er doch der Sohn einer Schauspielerin und eines Komponisten. In der Grundschule wurde er von einem Casting-Team für seine erste Fernsehrolle in dem Sat.1Film „Mogelpackung Mann“ (2004) entdeckt. Kurz
danach spielte er in „Wenn der Vater mit dem Sohne“
(ARD 2004). „Nicht alle waren Mörder“ ist sein dritter
Film. Neben der Schule und der Schauspielerei findet
er auch Zeit für seine sportlichen und musikalischen
Hobbies: so begeistert sich Altaras für Fußball und seit
kurzem auch für Basketball, außerdem für Karate und
Segeln. Er spielt Schlagzeug und Klavier.
Foto: Marco Hofschneider
Publikumspreis der Marler Gruppe an
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Foto: Stephan Rabold
43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
„Es ist immer großartig für einen Filmemacher, wenn er von den Leuten
ausgezeichnet wird, für die er die Filme macht. Deshalb freut mich dieser
Publikumspreis ungemein.“
Jo Baier
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Die Auszeichnung des Stifters | Besondere Ehrung des Deutschen Volkshochschul-Verbandes
Hape Kerkeling
Mit der Besonderen Ehrung zeichnet der Deutsche
Volkshochschul-Verband »Institutionen und Persönlichkeiten
aus, die sich um das Fernsehen verdient gemacht haben«.
Die Besondere Ehrung des Deutschen VolkshochschulVerbandes für Verdienste um die Entwicklung des Fernsehens
wird vergeben an
Hape Kerkeling
„Vor allem bin ich nicht ich“, sagt Hape Kerkeling von sich selbst. Eines aber ist
für ihn gewiss: Komiker, „das war eigentlich immer mein Traumberuf“. Jeder, der
den Weg von Hape Kerkeling als Komiker, Moderator und Schauspieler verfolgt hat
– von seiner „Känguru“-Show in den 80ern bis zu „Let’s Dance“ im letzten Frühjahr
und den jetzigen Kapriolen als Journalisten-Charge Horst Schlämmer – wird froh
sein, dass Träume manchmal wahr werden. Und leicht bestätigen, dass bei Kerkeling viele Traum-Eigenschaften einer gelingenden Unterhaltung auf beglückend
leicht wirkende Weise zusammenkommen. In immer wieder neuen Kombinationen,
Verwicklungen, Wendungen, Überraschungen, mit einem nahezu überbordenden
Repertoire, zu dessen Spektrum der schnelle Witz ebenso gehört wie die scheinvertraute Anverwandlung, die tückische Freundlichkeit, die freche Aufdringlichkeit, die
entwaffnende Respektlosigkeit und die umwerfende Entlarvung bis zur allgemeinen
Kenntlichkeit.
Foto: Jörg Poppe
BESONDERE EHRUNG
BEGRÜNDUNG DES STIFTERS:
Hape Kerkeling heißt eigentlich Hans-Peter und wurde 1964 in Recklinghausen geboren. Bekannt wurde er als Moderator der ARD-Musiksendung „Känguru“ (1985/86) und als sadistisches Kleinkind „Hannilein“. Viele weitere Rollen sollten
folgen, u. a. verkleidet als niederländische Königin Beatrix, die auf der Suche nach
einem „lecker Mitachessen“ beinahe unbehelligt ins Schloss Bellevue einmarschiert.
Nicht nur dieser Auftritt in seiner Show „Total normal“ (ARD 1989) und die dort zu
gewinnenden „Mörder-Duschhauben“ brachten ihm den ganz großen Durchbruch
und eine Reihe von Auszeichnungen wie den Adolf-Grimme-Preis, die Goldene Kamera oder die Bronzene Rose von Montreux. Seit 1989 moderierte Kerkeling dreimal in Folge die Deutsche Vorentscheidung zum Grand Prix d´Eurovision. Auch auf
der Kinoleinwand feierte er Erfolge mit „Kein Pardon“ (1992). Es folgten weitere
Fernsehfilme. Mit Songs wie „Das ganze Leben ist ein Quiz“ und „Hurz!“ landete er
Charthits. 1993 gründete er mit Cheese seine eigene Produktionsfirma und kreierte
eine neue gleichnamige Show für RTL. Mit „Warmumsherz“ und „Zappenduster“
kehrte er 1995 zur ARD zurück. Der nächste ganz große Erfolg ließ bis 1999 auf
sich warten: Mit „Darüber lacht die Welt“ feierte er bei Sat.1 sein Comeback. Für
hohe Einschaltquoten und Auszeichnungen sorgte er zuletzt bei RTL mit Sendungen
wie „Die 70er Show“ (2003), „Der große Deutsch-Test“ (2005), „Let´s Dance“ (2006)
und „Hape trifft“ (2005), wo auch seine Kunstfigur Horst Schlämmer ihren ersten
Auftritt hatte. 2006 wurde Kerkeling dann – auch für sich selbst unerwartet – ein
Bestsellerautor. Sein Buch „Ich bin dann mal weg“ über seine Reise auf dem Jakobsweg wurde schon weit über eine Million Mal verkauft.
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Verbindendes Element ist fast immer die Lust am raffinierten Rollenspiel, was stets
heißt: Hier wirbelt einer genüsslich die gewohnten und die gewöhnlichen Elemente
der Alltagswelten, nicht zuletzt der medialen, durcheinander; hier erkennt einer in
jeder Konvention die Chance, ihren Bestand so augenzwinkernd wie auch dreist
und unbarmherzig zu hintertreiben und aus ehrbaren Traditionsfahnen ein schräges
Augenblicksmäntelchen zu schneidern, mit dem sich Rituale nicht mehr glanzvoll
zelebrieren lassen und Sonntags- wie Alltags-Prominente nicht mehr schmücken
können. Hape Kerkelings Aktionsfeld ist dabei so groß wie das Medium selbst. Immer wieder steckt er darauf eigenwillige Spielflächen ab, die jeweils höchst individuelle Auftritte nach ganz eigenen Regeln erlauben – und dabei die landläufigen
Muster und Protagonisten karikieren, parodieren und persiflieren. „Total normal“
in den frühen 90ern steht exemplarisch und programmatisch für Kerkelings Kunst,
das schwierige große U der Fernseh-Unterhaltung auf höchst intelligente Weise immer wieder neu zu buchstabieren und zu interpretieren, hintergründig und (selbst-)
reflektierend, doch nicht zuletzt auch aggressiv und subversiv, mit den Mitteln der
Verfremdung und der Verballhornung.
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RTL-television.de
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Mercedes-Benz Förderstipendium
Thomas Durchschlag 1974 in Oberhausen
geboren, studierte in Essen Kommunikationsdesign
mit dem Schwerpunkt Fotografie und Typografie.
Danach ging er an die Kunsthochschule für Medien
in Köln. 2002 und 2003 entstanden die Kurzfilme
„Nachts“, „Zwei“ und „Eine Sommergeschichte“. Seit
2004 arbeitet er als Regisseur und Autor. „Allein“ ist
sein erster Langfilm, für den Hauptdarstellerin Lavinia
Wilson den Max-Ophüls-Preis gewann. Auch Durchschlag selbst erhielt den Preis der Interfilm-Jury beim
Max-Ophüls-Preis und wurde mit den Förderpreisen
des Landes Nordrhein-Westfalen und des Ruhrpreises
der Stadt Mülheim an der Ruhr ausgezeichnet.
Fotos: WDR
Thomas Durchschlag
FÖRDERSTIPENDIUM
Allein
Ihr größter Feind ist das Alleinsein – die junge Studentin Maria sehnt sich
nach Nähe und flieht vor der vermeintlichen Einsamkeit in eine Welt aus
Sex, Tabletten und Alkohol. Sie hat eine Affäre mit dem deutlich älteren
Wolfgang und reißt nebenbei in der Disko immer wieder andere Männer
auf, um sie nach einem One-Night-Stand sofort wieder zu vergessen.
Ihrer Freundin, die sie wegen dieses Lebenswandels mehrfach zur Rede
stellt, wirft sie vor, sie würde ihr diesen Spaß nicht gönnen. Dieser „Spaß“
hinterlässt bei Maria tatsächlich aber nur ein immer größer werdendes
Gefühl der Leere, das sie mit Drogen zu kompensieren versucht. Sie fügt
sich selbst Verletzungen mit Rasierklingen zu und versinkt in einem Zustand der körperlichen Taubheit. Bei ihrer Arbeit in der Bibliothek lernt
Maria dann Jan kennen. Mit dem Studenten ist es plötzlich anders: er
ist nicht an schnellem Sex interessiert, weist Marias eindeutige Annäherungsversuche beim ersten Date sogar zurück. Jan will mehr von Maria,
die erkennt, dass sich ihr hier die Chance für eine wirkliche Liebesbeziehung bietet. Doch sie kann nicht aus ihrer Haut: die Exzesse gehen
weiter. Um Jan nicht zu verlieren, verbirgt sie ihre Lebensweise vor ihm.
Sie unternimmt nach und nach Versuche, ihr Innerstes aufzuräumen und
beendet sogar ihre Affäre mit Wolfgang; aber immer wieder bricht ihr
Krankheitsbild durch. Sie macht Jan aus heiterem Himmel Szenen, reißt
ihn an sich und stößt ihn im nächsten Moment wieder weg. So zerstört
sie nicht nur Jans Liebe, sondern beinahe auch ihr eigenes Leben.
„Ich freue mich über das Stipendium und bin sehr dankbar für diese Form
der Auszeichnung, da ich sie als eine Wertschätzung für meine Arbeit und als
einen Vertrauensbeweis für zukünftige Filme empfinde.“
Thomas Durchschlag
Sonderjury Mercedes-Benz Förderstipendium
Markus Brauck,
Der Spiegel, Hamburg
Werner Ruzicka,
VHS Duisburg
Otto Kettmann,
placement control
Sybille Simon-Zülch,
Freie Journalistin, Bremen
Torsten Körner,
Freier Journalist, Berlin
Susanne Strübel,
Freie Journalistin, Stuttgart
Diemut Roether,
epd, Frankfurt
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Foto: Privat
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Das Mercedes-Benz Förderstipendium
wird vergeben an
Thomas Durchschlag
(Buch/Regie)
für
Allein (ARD/WDR)
Produktion: Lichtblick Film- und Fernsehproduktion
BEGRÜNDUNG DER JURY:
Maria ist eine Studentin, Mitte zwanzig, mit augenscheinlichen Beziehungs- und Kommunikationsproblemen. Sie hat beständigen, ziemlich
robusten Sex mit einem älteren Liebhaber, sucht sich dazu den einen oder
anderen One-Night-Stand; und mit der zart und schüchtern keimenden
Liebe eines Kommilitonen weiß sie nicht recht etwas anzufangen. Dazu
kommen Alkohol-Exzesse, Selbstverletzungen und Schwierigkeiten im Job
– das klingt nach einer ziemlich schematischen Fallstudie mit impliziter
Diagnose und betroffenem Kopfschütteln. Aber Thomas Durchschlag hat
aus diesem psychomedizinischen Befund einen Film gemacht, der in und
mit Bildern argumentiert, der zeigt, dass filmische Wahrheit vor allem die
Wahrhaftigkeit von Körpern und Blicken ist. Daher ist „Allein“ vor allem
auch der Film von Lavinia Wilson, die in jeder Einstellung ihre Gefährdung
spürbar macht, ihren Körper als Tauschmittel nutzt, sich verständnislos
selbst zuzusehen scheint bei dem, was sie sich und den anderen zumutet
und antut. Der Film muss und will nichts erklären oder behaupten: Er zeigt,
wie konsequent ein Weg in Einsamkeit, Isolation und Verlorenheit führen
kann.
Lavinia Wilson kann ihre unglaubliche schauspielerische Gegenwärtigkeit
vor allem deswegen ausspielen, weil sie brillante Antagonisten hat. Richy
Müller gibt den älteren Liebhaber, der Maria aushält, ausnutzt und doch
versteht, mit Lakonie und mildem Machismo. Maximilian Brückner ist als
verliebter Student von präziser Verhaltenheit und jungenhaftem Ernst.
Beide interagieren mit nuancierter Selbstverständlichkeit in dieser Choreographie der Gesten, Näherungen und Verweigerungen.
Nicht nur in der Führung der Schauspieler, in den wohlüberlegten Kameraeinstellungen und in den sorgfältigen Arrangements seiner szenischen
Tableaus beweist Durchschlag Stil und Talent: Er schafft es auch, seinen
Film erkennbar im Ruhrgebiet spielen zu lassen, ohne irgendeines der PottKlischees bemühen zu müssen. Die Locations in Essen und Bottrop sind
zugleich konkrete Topographie wie Orte der Seelenlandschaft.
Voller Zustimmung und Überzeugung vergibt die Jury daher das diesjährige Mercedes-Benz-Förderstipendium an Thomas Durchschlag für den
Film „Allein“. Sie versteht diese Auszeichnung als anerkennende Ermunterung, diesem Erstlingsfilm weitere Arbeiten solch sinnlicher Eleganz folgen
zu lassen.
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Bert-Donnepp-Preis 2006
Jörg Wagner
radioeins Medienmagazin des rbb
BEGRÜNDUNG DER JURY:
Das „radioeins Medienmagazin“ des RBB ist nach der Auffassung der
Jury eine funkische Spitzenleistung des deutschen Medienjournalismus.
Wöchentlich gestaltet Jörg Wagner das Magazin mit ganz eigener Handschrift: Als freier Mitarbeiter, weitgehender Einzelkämpfer und medialer
Marathonläufer im Selbstfahrerstudio redigiert und moderiert Wagner seit
1995 eine sowohl kritische als auch unterhaltsame Radiosendung rund um
das Mediengeschehen.
Foto: Eleni Klotsikas
Tabus gibt es dabei nicht, auch der eigene Arbeitgeber, das öffentlichrechtliche System, muss und lässt sich kritisch widerspiegeln: Wagner, der
einen sehr persönlichen Stil der Präsentation pflegt, sagt klar und deutlich,
wenn eine hochmögende Medientagung mal wieder nichts gebracht hat
– souverän geht er sogar mit den eigenen Sendepannen um. Im „radioeins
Medienmagazin“ äußern sich regelmäßig die Großen der Branche, was der
RBB-Sendung auch einen Nachrichtenwert verschafft.
Wagner, geboren am 22. März 1959 und aufgewachsen in Ostberlin, wirkte
schon als Kind im DDR-Kinderfunk mit und fand später, als er längst diplomierter Theaterwissenschaftler geworden war, ins Radio zurück. Hier
wirkt er als einer, der hörbar mit Leidenschaft und guter Laune bei der
Sache ist, der im Interview nachfasst, der sein eigenes Interesse glaubhaft
an die Hörer weitergibt und akribisch auf eine radiophone Gestaltung der
Sendung achtet, zum Beispiel mit witzigen O-Tönen aus dem Fernsehen.
Die Dialektik von Form und Inhalt, hier wird sie idealtypisch mit dem Thema „Medien“ eingelöst.
Dank Internet ist diese Programmleistung des RBB längst kein Regionalradio mehr, sondern kann als Podcast bundesweit, ja international abonniert
werden. Was heißt: medieninteressierte Hörer werden von Wagner und
seinem Sender überall grundversorgt. Was ein Glück ist und keine Kleinigkeit.
Freunde des
Adolf-Grimme-Preises
Seit 1989 fördern die »Freunde des Adolf-Grimme-Preises«
die Ziele des Fernsehwettbewerbs. Sie helfen mit,
die Unabhängigkeit des Preises zu sichern.
Wenn auch Sie den Grimme-Preis fördern möchten:
Rufen Sie an!
Dirk Hünerbein; Telefon 0 23 65/5 64 05
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
CHRONIK
Bert Donnepp
Der Bert-Donnepp-Preis, vom Verein der „Freunde des Adolf-GrimmePreises“ als Deutscher Preis für Medienpublizistik gestiftet, ist mit 5.000
Euro dotiert und wurde bisher sechzehn Mal vergeben.
1992 an Cornelia Bolesch
(Fernsehen und Hörfunk, Süddeutsche Zeitung)
Besondere Ehrung: Rolf Richter
1993 an Horst Röper (Formatt)
1994 an Christian Hellmann (Redaktion TV Spielfilm)
1995 an Oliver Herrgesell (Medienredaktion Die Woche)
Besondere Ehrung:
Andrea Brunnen-Wagenführ und Uwe Kuckei
1996 an Klaus Ott (Medienredaktion Süddeutsche Zeitung)
Besondere Ehrung: Manfred Delling
1997 an Klaudia Brunst
(Chefredakteurin der taz – die tageszeitung)
1998 an Peter Turi (kress-report)
1999 an Michael Hanfeld (FAZ-Feuilletonredaktion)
2000 an Sybille Simon-Zülch und Fritz Wolf
(Freie Fernsehkritiker für epd medien u. a.)
2001 an Hans-Jürgen Jakobs
(Wirtschaftsredaktion Der Spiegel/SZ-Medienseite)
2002 an Dieter Anschlag und Dietrich Leder
(Funkkorrespondenz)
Besondere Ehrung: Volker Lilienthal
2003 an Stefan Niggemeier
(Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung)
und Egon Netenjakob
(Freier Journalist und Medienpublizist)
2004 an Rainer Braun
(Freier Journalist für Funkkorrespondenz,
Berliner Zeitung, Westdeutsche Allgemeine Zeitung,
Neue Zürcher Zeitung u. a.)
2005 an Ulrike Kaiser (Chefredakteurin Journalist)
und Volker Lilienthal (epd medien)
Besondere Ehrung: Rainer Stadler
und Balts Livio
2006 an Jörg Wagner (Medienmagazin rbb radioeins)
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Foto: Archiv Adolf-Grimme-Institut
1991 an Uwe Kammann, Gisela Zabka, Stefan Jakob und
Volker Lilienthal
(Redaktion epd / Kirche und Rundfunk)
Besondere Ehrung: Walter Fabian
Bert Donnepp wurde am 22. April 1914 in Rosslau an der Elbe geboren. Er
besuchte das Goethe-Reform-Realgymnasium in Dessau, wo ihm1934
das Zeugnis der Reife überreicht wurde. Von 1934 bis 1940 Studium an
der Universität Leipzig und am Pädagogischen Institut Leipzig (Fächer:
Pädagogik, Philosophie, Psychologie, Geschichte und Publizistik). Hier
legte er 1938 das Staatsexamen für das Lehramt ab. Von 1940 bis 1945
diente er in der Wehrmacht, geriet in Gefangenschaft und wurde 1945
aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft entlassen. Nach seiner Übersiedlung nach Marl im Oktober 1945 war Donnepp von 1946 bis 1948
zunächst als Lehrer beim Schulverband Marl beschäftigt, bevor er am 29.
März 1949 zum Direktor für das Bildungswerk der Stadt Marl ernannt
wurde. Er war mit der Leitung der Volkshochschule, der Stadtbibliothek
und des Lesesaals beauftragt. Nach zwischenzeitlicher Promotion zum
Dr. phil. an der Westfälischen Landesuniversität Münster wurde er 1979
als Leitender Direktor für das Bildungswerk der Stadt Marl „die insel“ in
den Ruhestand verabschiedet. In seiner aktiven Zeit als Publizist, Erwachsenenpädagoge und Organisationsmanager war Donnepp als unermüdlicher Motor mit dem Aufbau einer Medien-Volkshochschule und der
Entwicklung einer engen Kooperation zwischen der Weiterbildung und
dem Massenmedium Fernsehen beschäftigt: Die am 8. Januar 1955 eingeweihte „insel“ war das erste feste Haus für Kommunale Weiterbildung
in Deutschland. Hier entwickelte er Anfang der 60er Jahre sein „Projekt
mit dem Fernsehen“, ein Konzept für die Auslobung eines Fernsehpreises,
der – von Donnepp initiiert – bei der Jahreshauptversammlung des
Deutschen Volkshochschul-Verbandes (DVV) 1961 in Berlin beschlossen
wurde und seit 1964 als Adolf-Grimme-Preis alljährlich in Marl vergeben wird. Die ersten 13 Wettbewerbe wurden unter Leitung von Bert
Donnepp von der „insel“ organisiert, bevor – ebenfalls auf Anregung
Donnepps – das 1973 vom DVV als Medieninstitut ins Leben gerufene
Adolf-Grimme-Institut im Jahr 1978 mit der Organisation des GrimmePreises betraut wurde. Bert Donnepp wurde 1989 beim 25. Grimme-Preis
vom DVV besonders geehrt für seine Verdienste um die Entwicklung des
Fernsehens in Deutschland. Als Rundfunkreferent des DVV hielt er fast
bis zu seinem Tod 1995 engen Kontakt zum DVV und seinen Landesverbänden, zu den Rundfunkanstalten und zum Adolf-Grimme-Institut.
Er hatte als Sprecher der Wettbewerbsleitung des Grimme-Preises und
Kuratoriumsvorsitzender des Grimme-Instituts wichtige ehrenamtliche
Führungsämter inne und kümmerte sich bis zuletzt um „seinen“ AdolfGrimme-Preis.
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Frischzellen
Grimme kleidet sich pünktlich zur Verleihung des 43. Adolf-Grimme-Preises neu ein: neues Logo,
neue grafische Grundelemente, neue Schrift, neue Farben, neuer Online-Auftritt.
Das Grimme-Institut erlebt sie natürlich hautnah mit, die Phase der rasanten medialen Umwälzung unterm Stichwort der Konvergenz. Das heißt
Aufbruch, Neuorientierung, Perspektivbestimmung, Öffnung. Naheliegend
deshalb, dies auch in einem neuen Erscheinungsbild auszudrücken und
die Identität der Institutsarbeit formal neu einzufassen. Corporate Design,
Corporate Identity: die englischen Begriffe sind jedem geläufig. Erscheinungsbild, Gesamtgestaltung: das geht weiter zurück, will dasselbe: einen
richtigen, einen wahrhaftigen Eindruck vermitteln. Und natürlich werben
für die Sache – Sympathie inbegriffen.
leider machen Leute. In Besinnungsaufsätzen der alten Schule musste
man diese populäre Volksweisheit runterputzen. Pfui, Schein soll besser, soll wirksamer sein als Sein? Heute wird oft ironisiert: Design ist Sein.
K
Wie auch immer, völlig klar ist: Form und Inhalt lassen sich nicht einfach
trennen. Eines gehört zum anderen. Und jeder spürt sofort, wenn es eine
Entsprechung gibt. Wenn also das Sichtbare, wenn die ‚Verpackung’ genau das ausdrückt, was den Kern ausmacht: der Dinge, des Vorgangs, des
Denkens und Fühlens, der Arbeit. Wie sich etwas darstellt, hat natürlich
auch mit der Zeit zu tun. Kleider verbrauchen sich, Funktionen ändern sich,
Einstellungen auch.
Foto: Frank Nürnberger
Stefan Richter lebt und arbeitet in
Berlin. Seit 2000 ist der studierte Literatur- und Kunstwissenschaftler für die
Triad Berlin Projektgesellschaft mbH als
Kommunikationsberater tätig. Seine Beratungsschwerpunkte sind Strategieprozesse,
Unternehmenskommunikation und Projektentwicklung für Kunden aus den Bereichen
Politik, Medien und Kultur. Zuvor war er
Managing Editor beim Verlag der Kunst in
Wien und Berlin, Verlagskorrespondent in
New York sowie Leiter des Reclam Verlags Leipzig.
Als die Frage sich stellte: was, wie und wer, da war die Richtung schnell
klar. Auch, welche Agenturen in Frage kämen, um das CI zu entwickeln. Die
Wahl fiel schließlich auf Triad, eine Berliner Agentur, die Kommunikation
ins Zentrum ihrer Arbeit stellt. Viele werden sich noch an die von Triad
konzipierte Ausstellung im Oberhausener Gasometer erinneren können:
„Der Traum vom Sehen“. Anschaulicher, sinnlicher, intelligenter hätte man
die Geschichte des Fernsehens kaum zeigen können.
Glücklicherweise stellte sich die Sparkasse Vest, langjähriger verlässlicher
Geschäftspartner des Grimme-Instituts, in den Dienst der kommunikativen
Sache. Indem sie hier als großzügig unterstützender Partner fungierte –
der Traum von den neuen Kleidern ließ sich so verwirklichen.
ine lange Vorbereitungsphase begann. Mit zwei wesentlichen Partnern
bei Triad: dem Projektleiter Stefan Richter und der Grafikerin Katja
Gretzinger. Gespräche, Fragebogen zum Selbstverständnis, Herantasten
an Formen, Farben, Schriften, Layouts. Wie sehen wir uns, wie sehen uns
andere? Wie wollen wir sein, wie gesehen werden? Stichworte fielen: Offenheit, Neugier, Verlässlichkeit, Qualitätsbewusstsein, Kompetenz, Transparenz, Seriosität, Professionalität, Spielerisches, Federndes, Leichtigkeit,
Anschauung, Tradition, Vielfalt, Farbigkeit, Klarheit, Zeitlosigkeit, Eleganz.
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Katja Gretzinger
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Foto: Privat
arbeitet in Berlin
und Zürich. Sie studierte Visuelle Kommunikation in Düsseldorf und ihre Arbeiten
wurden in verschiedenen Publikationen veröffentlicht. Sie ist momentan Researcherin
an der Jan van Eyck Academie in Maastricht
und unterrichtet und schreibt über Design.
“Ich halte es für wichtig, dass die Identität
eines Unternehmens nicht wie eine aufgesetzte Maske fuktioniert. Das Unternehmen
sollte sich nicht verstecken sondern sich bekennen und an seine Geschichte anknüpfen. Die Grimme-Trophäe, die von Studenten der Hochschule für Gestaltung Ulm unter Führung Otl Aichers entworfen wurde,
hat symbolischen Wert für das Adolf-Grimme-Institut. Das neue Logo
greift dieses Symbol formal auf und erfüllt gleichzeitig das Bedürfnis
der einzelnen Bereiche des Insitituts nach einer individuellen Präsentation. Jeder Bereich erhielt eine eigene Farbe und spiegelt sich in dem
Institutslogo wieder.”
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Das Ergebnis der vielen Arbeitsschritte ist jetzt zu sehen. Mit einem Erscheinungsbild, das die wesentlichen Eigenschaften auf leichte, elegante,
offene Art ausdrückt – und sehr klar wirkt. Form und Funktion gehen die
gewünschte Verbindung ein: Grimme ist in den Grundlinien und auch in
allen Einzelheiten leicht lesbar.
Dies gilt nicht zuletzt für den Online-Auftritt – für viele das erste Schaufenster und die schnellste, aktuellste Möglichkeit der Information. Hier
wird rasch deutlich, dass das neue Erscheinungsbild mit einem einfachen,
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Sparkassen-Finanzgruppe
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Foto: Kerstin Walther
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uns etwas Zeit gönnen, damit sich alles einspielt. Ganz bewusst übrigens
haben wir die Online-Präsentation des Grimme-Online-Award noch in der
herkömmlichen Form belassen. Schließlich läuft der Wettbewerb bereits,
hier sollte es keine Irritationen für die Nutzer geben.
Alles in allem: Wir hoffen natürlich, dass der neue Auftritt zusagt. Für Anregungen, natürlich auch für Kritik sind wir dankbar. Für Lob und Anerkennung natürlich nicht minder.
Des Kaisers neue Kleider: kein Ruhmeskapitel. Grimmes neue Kleider:
Wir sind gespannt ...
Studentische Arbeitsgruppe der Fachhochschule Köln
Prof. Dr. Konrad Scherfer (38)
studierte Medienwissenschaft an der Universität Siegen und war Wissenschaftlicher
Mitarbeiter im Siegener DFG-Sonderforschungsbereich „Bildschirmmedien“. Er
promovierte mit einer Arbeit über deutsche
Fernsehpreise. 2001-2003 arbeitete er als
Online-Redakteur für SWR.de. Seit April
2003 ist er Professor für Medienwissenschaft an der Fachhochschule Köln (Institut
der Informationswissenschaft).
Der Relaunch der Website des Grimme-Instituts, www.grimme-institut.de,
wurde von Studenten des Studiengangs Online-Redakteur an der Fachhochschule Köln unter Leitung von Prof. Dr. Konrad Scherfer und Prof.
Dr. Petra Werner umgesetzt. „Der Relaunch hat gezeigt, dass im Rahmen
unserer praxisnahen Hochschulausbildung professionelle Website-Angebote entstehen können. Die Studenten haben mit bemerkenswertem
Engagement ihre konzeptionellen und inhaltlichen Fähigkeiten unter
Beweis gestellt“, resümiert Prof. Dr. Konrad Scherfer.
Image based on photo by Ian White
Der zweite Glücksfall bei dieser Entwicklung: Es gelang, die Fachhochschule Köln für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Eine studentische Arbeitsgruppe unter der Leitung von Professor Konrad Scherfer realisierte, in enger Abstimmung mit Triad, den Entwurf. Ein kooperativer, ein produktiver
Prozess setzte ein, in dem die Studenten das Grimme-Projekt mit größtem
Engagement voranbrachten. Eine immense Arbeit, denn außer der Programmierung war es natürlich notwendig, die vorhandenen Inhalte in den
neuen Online-Auftritt einzupassen.
Jetzt, wo das Ergebnis vorliegt, können alle Beteiligten nicht nur aufatmen.
Sondern auch mit Recht stolz sein. Dass es an der einen oder anderen
Stelle noch hakelt, dass es noch offene Baustellen gibt, dass manches noch
für die neue Funktion präpariert werden muss: geschenkt. Das alles ist bei
einer Transformation dieser Größenordnung nicht anders zu erwarten. Wir
hoffen, dass Sie – unsere Nutzer und Leser – hier Nachsicht haben und
Foto: Privat
klaren System arbeitet. Orientierung durch eine leicht durchschaubare Anordnung, durch die Zuordnung von Farben und Arbeitsbereichen, durch
ein erkennbares Info-Raster: Das ist Ziel des Grund-Layouts. Die Seiten
sollen einladen, ohne marktschreierisch zu sein: Das wiederum ist das
Grundprinzip.
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53.
Internationale Kurzfilmtage
Oberhausen
3.– 8. Mai 2007
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53rd International Short Film Festival Oberhausen 3 – 8 May 2007
Lichtburg Filmpalast www.kurzfilmtage.de
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Das Plakat zum Grimme-Preis 2007
Animiert von der Trophäe und vom Logo:
Dominik Diener und Markus Thiele
ie sag’ ich es dem Publikum? Bislang gab es bei 42 Adolf-Grimme-Preisen
auch ebenso viele verschiedene Antworten. Der Zeitgeist, klar, gestaltete immer. Auch grafische Botschaften nehmen auf, was ringsum gedacht, gefühlt, ausgedrückt wird. Insofern: Bei den Grimme-Plakaten lässt sich ziemlich genau ablesen,
wie das Medium Fernsehen gesehen und eingeordnet wird. Das rein Kulinarische ist
ziemlich selten, das Gesellschaftskritische hatte in den 70/80er Jahren eine ziemliche Konjunktur.
W
Im Jahr 2007 ist die Sache ganz einfach und eindeutig. Grimme zeigt Grimme: den
Preis als Trophäe. Im Zeitalter der rasant fortschreitenden Computerkünste lässt
sich daraus natürlich mehr machen als ein bloßes Abbild. Und so nimmt das Plakat die skulpturalen Werte der von Otl Aicher geschaffenen Plastik auf, Glänzendes
wird auch glänzend wiedergegeben. Weil 2007 auch bedeutet: Grimme bekommt
ein neues Logo, wird diese Transformation wie selbstverständlich ins Motiv komponiert. Und leicht ist zu erkennen, dass dieses Logo von einer Kernaufgabe des
Adolf-Grimme-Instituts, eben des Fernsehpreises, inspiriert wurde.
G
Dominik Diener
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Foto: Privat
Foto: Privat
estaltet haben das Plakat – und das ähnliche Motiv auf der Publikation
„grimme“ – Dominik Diener und Markus Thiele. Diener, Jahrgang 1978, wurde in
Löbau geboren und machte sein Hobby, die Computergrafik, nach einer Ausbildung
in der Landwirtschaft zu seinem Beruf. Der „Quereinsteiger“ erweiterte dabei schnell
sein Repertoire, u. a. um die Bereiche Computeranimation, Webdesign, 3D-Modellierung, Produktdesign und Visualisierung. Markus Thiele, geboren 1969 in Rendsburg,
studierte in Dresden Betriebswirtschaftslehre und Kommunikationswissenschaft.
Beim MDR arbeitete er als Redakteur für „brisant“ und den Programmbereich Politik/
Zeitgeschehen. Dann baute er bei Sat.1 die Boulevardmagazine „blitz“ und „blitzlicht“
mit auf. Seit sechs Jahren ist er freier Redakteur und Fernsehproduzent (u. a. „TinaTurner-Spezial“ für das ZDF und „Ferien bei Michael Jackson“ für den MDR).
Markus Thiele
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DAS GANZE BILD
PHOENIX gratuliert den
Preisträgerinnen und Preisträgern des
Adolf-Grimme-Preises.
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
Die Moderatorin des Abends
Asli Sevindim
A
Foto: WDR/Bettina Fürst Fastré
sli Sevindim, 1973 in Duisburg geboren, hat den Journalismus schon als Schülerin für sich entdeckt und machte schon bald ihr Hobby zum Beruf. Bereits vor
ihrem Politikstudium in ihrer Heimatstadt berichtete sie im Duisburger Lokalradio.
Als Journalistin und Hörfunkmoderatorin ist sie seit 1999 beim WDR tätig und moderiert dort Sendungen wie „Cosmo“ (Funkhaus Europa) und „Venus FM“ (WDR 5).
Vor der Kamera steht sie seit 2004 für „Cosmo TV“ (WDR), zwei Jahre später wurde
sie die erste türkische Moderatorin des WDR-Magazins „Aktuelle Stunde“.
Sie engagiert sich im Integrationsbeirat des Landes NRW und moderierte zusammen mit Sandra Maischberger die Diskussion zu dem umstrittenen TV-Drama „Wut“
(ARD 2006). Asli Sevindim gehörte 2003 zu einer der prominenten türkischstämmigen Deutschen, die in dem Erzählband „Was lebst du? Jung, deutsch, türkisch
– Geschichten aus Almanya“ die Kurzgeschichte „Sprisch misch rischtisch“ unter
der Rubrik „Wer bin ich“ veröffentlichte. Zwei Jahre später publizierte sie ihr eigenes
Buch „Candlelight Döner“ mit „Geschichten über meine deutsch-türkische Familie“.
Darüber hinaus ist sie künstlerische Direktorin für das Themenfeld „Stadt der Kulturen“ des Projekts Ruhr.2010 - Kulturhauptstadt Europas.
Der Künstler des Abends
Wolfgang Hammerschmid
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er ihn kennt, weiß, was Wolfgang Hammerschmid auszeichnet: Vielseitigkeit.
Ob Film, Fernsehen, Theater, Werbung, Songwriting oder einfach nur Arrangements für alle erdenklichen Genres – er ist musikalisch überall zu Hause und
trifft dabei genau die richtigen Töne. Für seine reiche künstlerische Arbeit – hoch
geschätzt auch bei vielen ausländischen Produktionen und Auftritten – erhielt er
zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Deutschen Filmmusikpreis.
Auch als Dirigent, Solist und versierter Leader – sowohl im Klassischen als auch in
Jazz, Rock & Pop – hat Wolfgang Hammerschmid sich hohe Anerkennung erworben
und dabei seinen Erfahrungsschatz enorm vertieft und verbreitert, immer wieder
aktuelle musikalische Strömungen aufnehmend. Für das große Fest der Verleihung
der Grimme-Preise hat Wolfgang Hammerschmid ein hochkarätiges Musiker-Ensemble zusammengestellt.
Foto: Christoph Hellhake
... und ein Überraschungsgast
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Pssst! In letzter Sekunde – das Heft hatte schon an der Rotationsmaschine gerochen – hat noch ein Star-Gast endgültig zugesagt. Es ist nicht zuviel versprochen:
Auf der Bühne in Marl werden wir zur Grimme-Preis-Verleihung eine Legende des
Jazz erleben. Diese Legende, ein großer Er der deutschen und internationalen Jazzwelt, und Wolfgang Hammerschmid mit seinem Musik-Ensemble freuen sich darauf, zusammen etwas Exklusives und Fulminantes zu spielen.
Wir dürfen, voller Vorfreude, gespannt sein ...
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
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Publikumspreis Marler Gruppe
D
ie „Marler Gruppe“, 1968 als ständiger Fernseharbeitskreis des Bildungswerks „die insel“ gegründet, beobachtet beim 43. Adolf-Grimme-Preis
2007 das Wettbewerbsprogramm „Fiktion“.
Die in ihrer Urteilsfindung sowohl vom Stifter des Adolf-Grimme-Preises
und der Wettbewerbsleitung als auch vom Bildungswerk der Stadt Marl „die
insel“ unabhängige Gruppe sieht ihre Aufgabe in der kontinuierlichen und
kritischen Auseinandersetzung mit dem TV-Angebot, den Produktionsbedingungen und der Programmpraxis.
Seit einigen Jahren wird durch die Einbeziehung von medieninteressierten
Schülerinnen und Schülern weiterführender Schulen Marls verstärkt der
„junge Blick aufs Programm“ in die Sichtung und Entscheidung der Publikumsjury mit einbezogen.
ie „Marler Gruppe“ vergibt keinen Adolf-Grimme-Preis, sie ermittelt jedoch aus dem Gesamtangebot den Publikumspreis. Ihre kritischen Wertungen des Fernsehprogramms finden starke Resonanz bei Fernsehmachern
und Öffentlichkeit.
D
Foto: Dr. Fritz Rieß (die insel)
Die Marler Gruppe
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Sitzend von rechts:
Ulla Möbus, Ina Godehardt, Monika Kaczerowski
stehend von rechts:
Hans-Georg Godehardt, Waldemar Pfau,
Christiane Tausch, Florian Schweikowski,
Christiane Owczarski, Florian Bühring, Charly Laß,
Bosse Klama, Nele Fels, Alexander Krause,
Margret Grützner, Gabriele Knafla
Nicht im Bild:
Kerstin Susanne Pesch, Bendedict Schuster,
Jochen Stelzer
Sprecher der Marler Gruppe:
Jochen Stelzer
stellv. Monika Kaczerowski
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43. ADOLF-GRIMME-PREIS 2007
G
ut dran ist mithin jede Einrichtung, die auch gut beraten wird. Nicht
unbedingt von den KPMGs dieser Welt, sondern von Köpfen, die ihren
Rat und ihre Ideen nicht gegen Geld hergeben, sondern aus Lust an der
Sache; und die ihr Engagement von Zielen ableiten, welche gemeinsame
sind, hier: die Medienqualität zu fördern.
Zum Grimme-Institut gehört ein Gremium, das diesen Zielen folgt: der
Beirat für den Grimme-Preis und den Online-Award. Dieser Beirat agiert,
nach dem Modell und Vorbild vieler Institutionen, indem er, wie es der
Name sagt, berät – in aller Freiheit, in aller Unabhängigkeit. Die Preis-Veranstaltungen liegen ganz in der Hand des Instituts.
N
aheliegend war und ist es, die beiden Preis-Unternehmungen in ein
gemeinsames Beratungsfeld aufzunehmen. Denn beide Preise, so spezifisch auch ihre Medienfelder sind, können gar nicht mehr separiert gesehen werden. Wenn Konvergenz mehr als ein Schlagwort ist, dann müssen
natürlich auch die Grimme-Preisaktivitäten konzeptionell eng aufeinander
bezogen werden.
Foto: Privat
Foto: Privat
Weil es aber so in der Welt nicht zugeht, ist es noch schöner, wenn man
Menschen um sich weiß, die dem eigenen Tun mit gutem Rat beiseite stehen. Die genau jene Einfälle haben, die ein manchmal gedanklich auf der
Stelle tretendes Projekt wieder beflügeln. Die genau jene kritischen Augen
haben, welche die dunklen, morschen, unlogischen Stellen entdecken, die
auch beim gut vorbereiteten work in progress nicht ausbleiben.
Ute Biernat ist seit 2000 Geschäftsführerin von Grundy Light Entertainment. Zuvor war sie als Redakteurin
in Neuseeland (TV3) und den USA (u. a. CNN/CBS/ABC)
tätig. 1996 stieg sie als Executive Producer bei Grundy
TV ein.
Dieter Gorny (Jahrgang 1953) ist Direktor für das
Themenfeld Kreativwirtschaft innerhalb des Leitungsgremiums von Ruhr.2010, welches das Projekt der
Kulturhauptstadt Essen vorbereitet. Er war und ist
Musiker sowie Musik- und Medienmanager (zu seinen Stationen gehörte die Gründung und Leitung von
VIVA); derzeit ist er stellvertretender Vorsitzender des
Bundesverbandes der phonographischen Wirtschaft.
Seit 2005 ist er Professor an der Fachhochschule Düsseldorf (Fachbereich Kommunikationsdesign).
Ernst Küchler, Jahrgang 1944, ist Oberbürgermeister
von Leverkusen. Zuvor war er SPD-Abgeordneter des
Bundestages. Seit 2002 ist er Vorsitzender des Deutschen Volkshochschul-Verbandes. Er ist auch Vorsitzender der Gesellschafterversammlung des AGI.
Prof. Dr. Konrad Scherfer (38) studierte Medienwissenschaft an der Universität Siegen und war
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Siegener DFG-Sonderforschungsbereich „Bildschirmmedien“. Er promovierte mit einer Arbeit über deutsche Fernsehpreise.
2001-2003 arbeitete er als Online-Redakteur für SWR.
de. Seit April 2003 ist er Professor für Medienwissenschaft an der Fachhochschule Köln (Institut der Informationswissenschaft).
Prof. Dr. Norbert Schneider ist seit 1993 Direktor
der Landesanstalt für Medien NRW. Zuvor leitete er
das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik,
war Programmdirektor beim SFB und Geschäftsführer
der Allianz-Film. Er ist Vorsitzender der Gemeinsamen
Stelle Programm, Werbung und Medienkompetenz der
Landesmedienanstalten und Vorsitzender des AGIAufsichtsrates.
Foto: Peter Boetcher
auter Originalgenies, das wären die Grimme-Leute manchmal sicher
gerne. Jeder originell, jeder über alle Grenzen einfallsreich, jeder auf
allen möglichen und unmöglichen Gebieten kundig, jeder zu jeder denkbaren Minute unendlich kreativ, begabt sowohl im wilden Denken als auch
im sicheren Planen. Schön wär’s.
L
Foto: Die Hoffnungsträger
Der Beirat für den Grimme-Preis
und den Grimme-Online-Award
Foto: Privat
Guter Rat ist Grimme
Ulrich Aengenvoort (50) ist seit 2001 Direktor des
Deutschen Volkshochschul-Verbandes. Zuvor war
er Geschäftsführer der Verbraucherzentrale BadenWürttemberg. Er ist stellvertretender AufsichtsratsVorsitzender des AGI.
Foto: FOX-Fotoagentur Uwe Völkner
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Das Institut ist im Beirat mit dem Direktor, Uwe Kammann, und den beiden für den
Grimme-Preis und den Online-Award zuständigen Referenten, Dr. Ulrich Spies und
Friedrich Hagedorn, vertreten.
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Sponsoren, Partner und Förderer
des Grimme-Preises 2007
Sponsoren
des Grimme-Preises 2007
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des Grimme-Preises 2007
Förderer
des Grimme-Preises 2007
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musikelectronic geithain | Neue Marler Baugesellschaft | RWE Westfalen-Weser-Ems
Volksbank Marl-Recklinghausen eG
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Internationaler
Fernsehkongress
Internationaler Filmkongress
der Filmstiftung NRW
Internationaler Konvergenzkongress:
Mobile Media, Games, Web 2.0, Podcast
Internationaler
Printkongress
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