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DAS BORDMAGAZIN VON AUSTRIAN AIRLINES
JULI/AUGUST 2014
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ÖSTERREICH
WIEN
ehr als 3.000 Flaschen Merlot hat er vor
Kurzem eigenhändig abgefüllt und
etikettiert. Nachdem er den Wein zwei Jahre
lang im Barrique-Eichenfass gelagert hatte. Die
Abfüllprozedur klingt nach monotoner Arbeit,
für den Gemeinderabbiner der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde, Schlomo Hofmeister,
ist dieser Vorgang der passende Abschluss
eines jahrelangen Reifungsprozesses. Sein
Rotwein mit dem Namen „Emet'' (hebräisch
für „Wahrheit"), den er auf einem Weingut im
burgenländischen Gols produziert, unterliegt
strengsten Qualitätskriterien: Einerseits achtet
er selbstverständlich darauf, dass der Wein
koscher ist, indem er Herstellung und Zusatzstoffe wie Hefe genau kontrolliert, andererseits
überwacht er penibel den Reifegrad des Weines
und gibt dem Rebensaft ausreichend Zeit, sich
im Fass zu entwickeln. Zeit, die für viele
Freunde und Mitglieder der Kultusgemeinde,
die sehnsüchtig auf den nächsten Jahrgang
warten, viel zu langsam verstreicht. Denn die
Weine des 1975 in München geborenen
Rabbiners und Hobby-Winzers Hofmeister
bürgen für ausgezeichnete Qualität und
potenzielle Abnehmer müssen sich rechtzeitig
in Bestelllisten eingetragen haben.
Wie kommt ein Gemeinderabbiner in Wien
zu diesem Hobby? Schlomo Hofmeister, der
M
unterwegs in Wien: der Tel Aviv
Beach am Donaukanal und auf der so
genannten „Mazzesinsel". Out and
about in Vienna: Tel Aviv Beach on
Donaukanal, and on the so-called
'Mazzesinsel'.
52 1 skylines 04/2014
unter anderem an der University ofBritish
Columbia und der London School ofEconomics Sozial- und Politikwissenschaften
studiert hat, hat neben seinem Rabinatsstudium in Jerusalem begonnen, sich das
Weinmachen in Eigemegie beizubringen. Als er
2008 nach Wien kam, hat er sein Können weiter
perfektioniert und seine Weine zu ganz
besonderen Tropfen gemacht.
Schlomo Hofmeister spiegelt das zeitgenössische jüdische Wien paradetypisch wider: Die
kleine Wiener Gemeinde mit ihren etwas mehr
als 8.ooo offiziellen Mitgliedern zeichnet sich
durch ihre Vielfältigkeit aus. Eine interessante
Mischung aus orthodoxen und. säkularen
Einstellungen, die sich neben den Wiener
Familien aus Einwanderern von jüdischen
Gemeinden aus Ungarn, Polen, Georgien, der
Ukraine und Russland zusammensetzt. Eine
ganz spezifische Gemeinde, die im deutschsprachigen Raum einzigartig ist und durch
Lebendigkeit und Selbstbewusstsein
charakterisiert ist.
Eine Charakteristik, die ein Spaziergang
durch das jüdische Wien beweist: Vojtech
Goldstein kommt aus der Slowakei und
betreibt gemeinsam mit seiner Frau das Cafe
Eskeles im Jüdischen Museum. Kaum ein Jahr
nach der Wiedereröffnung des Museums ist
sein charmantes Lokal zu einem beliebten
Treffpunkt in der Innenstadt geworden. Die
Speisekarte bietet Köstlichkeiten der jüdischisraelischen Küche, wie diverse Bagel- und
Strudelvariationen, die von der Familie
Goldstein selbst kreiert und gebacken werden.
Das Jüdische Museum Wien mit seinen
Standorten in der Dorotheergasse und am
Judenplatz hat sich in den letzten Jahren mit
seinen Ausstellungen zu einem Publikumsmagneten entwickelt. Dafür zeichnet die
ehemalige ORF-Anchorwoman Danielle Spera
verantwortlich, die mit ungeheurer Energie
und Leidenschaft das Museum aus seinem
Dornröschenschlaf geholt und für neue
Besucherschichten interessant gemacht hat.
Neben der neu kuratierten, permanenten
Ausstellung sind es Präsentationen junger
zeitgenössischer Künstler wie Zenita Komad,
Tatiana Lecomte oder Andrew Mezvinsky in
der Dependance am Judenplatz, die für
internationale Beachtung gesorgt haben.
Judith Lea Scheer ist die Präsidentin des
Vereins „Jewish Salon Vienna", einer internationalen Plattform - es existieren „Jewish Salons"
u.a. auch in Tel Aviv, Amsterdam und Mexico
City-, die es sich zur Aufgabe gemacht hat,
durch Ausstellungen, Konzerte und Podiumsdiskussionen zeitgenössisches jüdisches
Leben in seiner Vielschichtigkeit einer größeren Öffentlichkeit transparent zu machen. Der
Salon, der sich in der Tradition der Aufklärung
der bekannten Wiener Salons des 19. Jahrhunderts sieht, vermittelt mit seinen Veranstaltungen - mit Literaten, Autoren und Künstlern wie
Doron Rabinovici, Robert Schindel, Anna
Mitgutsch oder der Opernsängerin Hilde Zadek
- einen offenen, unverklärten Blick auf das
Judentum und baut dadurch existierende
Vorurteile und Stereotypen ab.
Spaziert man von der Wiener Innenstadt
über den Donaukanal, kommt man in einen
Teil des zweiten Bezirks, der lange Zeit
„Mazzesinsel" genannt wurde - das Grätzel mit
dem zahlenmäßig größten Anteil jüdischer
Bevölkerung. Nach der Vertreibung und
Ermordung der Juden durch die Nationalsozialisten wirkte das Geviert zwischen Karmelitermarkt, Augarten und Praterstraße bis in die
199oer-Jahre trostlos, verlassen und heruntergekommen. In den letzten Jahren wurde das
Viertel durch den steten Zuzug jüdischer
Familien und so genannter Bobos (die
Bourgeois Bohemians), wieder zu einem
angesagten, multikulturellen Stadtteil. Lokale,
Restaurants und koschere Lebensmittelgeschäfte wie der Tel Aviv Beach, das Bahur Tov,
das Simchas, das Kosherland oder die Bäckerei
Jüdisches Kulturleben: Judith Lea
Scheer, Präsidentin des Jewisb
Vienna, und das Gebäude der
Israelitischen KultusgemeindeJewish cultural life: Judith Lea SC'
President of Jewish Salon Vienna.:. the offices of the Israeli Cultural
Community.
04/2014 skyl ine: -
ÖSTERREICH
WIEN
Strömungen in Israel wie auch in anderen
Staaten.
Hat man nach einem Theaterbesuch noch
Lust auf das Wiener Nachtleben, dann
empfiehlt sich entweder das Abtanzen bis in
den Morgen im Kibbutz-Klub in der Künstlerhauspassage am Karlsplatz oder ein Besuch in
der Loos-Bar. Die Patin, wie sie sich selbst
nennt, des kaum 28 Quadratmeter großen
Architekturjuwels, Marianne Kohn, ist die
jüdische Königin des Wiener Nachtlebens. Wie
es einer Königin gebührt, hält sie in einer
winzig kleinen Loge in der Bar Hof. Da
empfängt sie Freunde und Bekannte, erzählt
die wahnwitzigsten Geschichten und Anekdoten oder widmet sich, falls sich die 1945
Geborene einmal aus dem Trubel ausklinkt,
dem Studium der hebräischen Sprache. Ein
weiterer Beweis für die Vielfältigkeit des
zeitgenössischen jüdischen Wiens.
111
n recent weeks, he has filled and labelled more than
bottles of Merlot with his bare hands. Afrer
first storin9 the wine, for two lon9 years, in a barrique
oak barre!. The procedure for fillin9 the bottles may
sound monotonous, but for Schlomo Hofmeister, the
rabbi ofVienna's ]ewish Community, it is a fittin9
conclusion to the a9in9 process, which takes nature
years. The red wine, elegantly titled 'Emet' (Hebrew
for 'truth'), which he produces at a vineyard in the
village of Gols in Burgenland, is subject to the very
strictest quality criteria: on the one hand, he takes
care to ensure the wine is kosher, precisely checking
the production, and additives like yeast; on the other,
he keeps a meticulous eye on how the wine is
maturin9, givin9 the juice of the vine sufficient time
to develop in the barre!. For the many friends and
members of the ]ewish Community anxiously waiting
for next year's vintage, it cannot come too quickly.
The wines of the rabbi and hobby-winemaker
Hofmeister, born in Munich in 1975, are famed for
their outstanding quality, and anyone wishing to
purchase a bottle will have entered their names on
order lists lang ago.
So how did a community rabbi end up with a
hobby like this? Schlomo Hofmeister, who studied,
amongst other things, Social and Political Science at
the University of British Columbia and the London
School of Economics, first began teaching himself the
art of making wine while studying to become a rabbi
in Jerusalem. When he came to Vienna in 2008, he
continued to hone his skills, and his wines have since
become highly sought-a~er tipples.
I
Die Bühne des Theater Hamakom
im Nestroyhof und der Gemeinde·
rabbiner und Hobby-Winzer
Schlomo Hofmeister. The stage of the
Theater Hamakom on Nestroyhof, and
community rabbi and hobby winemaker
Schlomo Hofmeister.
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Ohel zeugen vom Comeback der „Mazzesinsel".
Zu dieser Wiederentdeckung trägt auch das
Theater Hamakom (hebräsch für „der Ort") bei.
Die Bühne, die sich im vom Architekt Oskar
Marmorek geplanten Nestroyhofbefindet, war
schon am Ende des vorletzten Jahrhunderts
ein Fixpunkt im Wiener Theaterleben. Zu jener
Zeit, als die Praterstraße wegen der großen
Anzahl an Kabarettbühnen, (Revue-)Theatern
und Nachtlokalen der Broadway Wiens
genannt wurde. Bis auf das Hamakom sind all
diese Theater verschwunden. Dem Direktor
Frederic Lion ist es mit seinem Team Susanne
Höhne und Johannes Gruner gelungen, in den
letzten Jahren einen bemerkenswerten
Spielplan zu etablieren. Lion, selbst Schauspieler und Regisseur, setzt den Schwerpunkt
auf zeitgenössische jüdische, israelische
Autorinnen und Autoren, deren Werke er
meist zum ersten Mal in Österreich präsentiert. Entweder mit Eigenproduktionen oder,
wie es heuer erstmals der Fall war, als mehrtägiges Literaturfestival, bei dem in Anwesenheit der Autorinnen und Autoren die Stücke
vorgestellt und gelesen werden. Mit dieser
Programmierung schafft Frederic Lion eine in
die Tiefe gehende Auseinandersetzung mit
politischen, sozialen und künstlerischen
3,000
Hofmeister is a typical reßection of contemporary
Jewish Vienna: with a !ittle over 8,ooo official
members, the small community in the capital is
distinguished by its diversity, an eclectic mix of
orthodox and secular attitudes composed of immigrants from Jewish communities in Hungary, Poland,
Georgia, Ukraine and Russia, as well as Viennese
families. It is a quite specific community, unique in
the German-speaking world and characterised by its
liveliness and newly-gained self-confidence.
Such characteristics are proven by a stroll though
Jewish Vienna. Vojtech Goldstein comes from Slovakia,
and runs the Cafe Eskeles at the Jewish Museum
together with his wife. Hardly a year a~er the
museum reopened for business, his charming cafe in
the Innenstadt district has become a popular meeting
point. The menu here offers delicacies oflewish-Israeli
cuisine, including a range of different bagels and
strudels created and baked by the Goldstein family
themselves.
With its locations on Dorotheergasse and at
Judenplatz, the Jewish Museum Vienna and its
exhibitions have developed into quite a crowd-puller in
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THE PRIVATE TOUCH
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WIEN·SALZBURG
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LEAOINCi
LEAOING
HOTELS"
SPAS
recent years. Chießy responsible for this success is
former ORF anchorwoman Daniel!e Spera, who shook
the museum out of its slumbers and made it
interesting to new groups of visitors with a tremendous energy and passion. In addition to the newlycurated permanent exhibition, presentations by young
contemporary artists such as Zenita Komad, Tatiana
Lecomte and Andrew Mezvinsky at the museum's
Judenplatz site have generated international
attention.
Judith Lea Scheer is President of the Jewish Salon
Vienna Association, an international platform (there
are other Jewish Salons in cities induding Tel Aviv,
Amsterdam and Mexico City). Scheer has rnade it her
job to use exhibition; , concerts and podium discussions here to make contemporary Jewish life, in all its
endless di11ersity, more transparent to a wider public.
The Salon, which views itself as being in the tradition
of en!ightenment championed by the famedViennese
sa!ons of the 19th century, uses its events -with
literati, authors and artists such as Doron Rabinovici,
Robert Schindel, Anna Mitgutsch and opera singer
Hilde Zadek - to convey an open, clear view of
ÖSTERREICH
WIEN
Belebend: Danielle
Spera, die Direktorin
des Jüdischen
Museums.
lnvigorating: Danielle
Spera. Director of the
Jewish Museum.
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INFO
Israelitische Kultusgemeinde,
Stadttempel
1010 Wien, Seitenstettengasse 2-4
ikg-wien.at
Jüdisches Museum Wien
1010 Wien, Dorotheergasse 11 und
Dependance am Judenplatz
jmw.at
Cafe Eskeles
1010 Wien, Dorotheergasse 11
cafe·eskeles.eu
Jewish Salon Vienna
1010 Wien. Herrengasse 6-8/1/28
jewishsalons.net
Theater Hamakom
1020 Wien, Nestroyplatz 1
hamakom.at
Kibbutz·Klub
1010 Wien, Künstlerhauspassage
Karlsplatz, Objekt U26
facebook.com/KibbutzKlub
Loos American Bar
1010 Wien, Kärntner Durchgang 10
loosbar.at
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-·•
]ewishness, so disproving existing prejudices and
stereotypes.
Ifyou leave Vienna's Innenstadt and walk across
the Donaukanal, you arrive in a part of th'e second
district that was known as 'Mazzesinsel' for many
years, and was the area of the city with the largest
]ewish population before the war. A~er the ]ews were
persecuted and murdered by the National Socialists,
the area, which is bordered by Karmelitermarkt,
Augarten and Praterstraße, became dreary, tired and
run-down until the 199os. In recent years, though, the
district has undergone a transformation, and become
the in-demand, multicultural space it once was
thanks to the steady ßow of]ewish families and
so-called 'bobos' ('bourgeois-bohemians') of every
shape, co!our and faith. Cafes, restaurants and kosher
grocers such as Tel Aviv Beach, Bahur Tov, Simchas,
Kosherland and Bäckerei Ohel all say the same thing:
Mazzesinsel is back, and back to stay.
The Theater Hamakom (Hebrew for 'the place') is
another one contributing to this rediscovery. The
theatre, which is located in the Nestroy Court and was
planned by architect Oskar Marmorek, was a centre of
Viennese theatre life at the end of the nineteenth
century, at a time when Praterstraße was known as
the 'Broadway ofVienna' thanks to the huge numbers
of cabaret stages, (revue) theatres and nightclubs
there. All these theatres have since disappeared, apart
from the Hamakom. Together with his team of
Susanne Höhne and]ohannes Gruner, director Frederic
Lion has succeeded in establishing a remarkable
repertoire in recent years. Lion, hirnself an actor and
director, focuses on contemporary ]ewish and Israeli
authors, most of whose works are presented in Austria
for the first time. This is done either by putting on its
own productions or - as happened for the first time
this year- a literary festival lasting several days,
where the plays can be performed and read in the
presence of the authors. With such imaginative
programming, Frederic Lion is creating an in-depth
dialogue between political, social and artistic
movements in Israel and elsewhere.
And ifyou still have the energy for some Viennese
nightlife a~er visiting the theatre, you can also dance
the rest of the night away at the Kibbutz-Klub on
Künstlerhauspassage by Karlsplatz, or visit the
Laos-Bar should you prefer. Marianne Kahn, the
Godmother (as she calls herself) of this architectural
jewel not quite 28 square metres in size, is the ]ewish
queen ofViennese nightlife. And as you would expect
of a queen, she holds court at a tiny box in the bar.
There, the 69-year-old Kohn receives friends and
acquaintances, relates crazy stories and anecdotes,
and on those rare occasions when she escapes the hustle and bustle, devotes herself to studying Hebrew.
Further evidence, if it were needed, that contemporary
]ewish Vienna is vastly diverse, and very much back on
the scene.