des Artikels - Montreux Jazz Festival
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des Artikels - Montreux Jazz Festival
Kultur 27. Juni 2010 41 «Ich war nie eingesperrt, also muss ich mich auch nicht befreien» Vanessa Paradis über den Erfolg ihrer akustischen Konzerte, ihre Rivalität mit Johny Depp und Marilyns Schuhe Vanessa Paradis, Plakat für ihre akustischen Konzerte in Paris Ende Juni: «Eine Zeitreise im Kopf» Vanessa Paradis: Intim in Montreux Am 10. Juli singt Vanessa Paradis in Begleitung eines Streich quartetts am Jazzfestival Montreux Von Christian Hubschmid Vanessa Paradis, wann haben Sie gelernt, Kontrabass zu spielen? Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, aber der Kontrabass auf dem Foto ist nur eine Metapher. Sie schmiegen sich an dieses Instrument, als wären Sie verliebt. Ich bin verliebt. Nichts repräsentiert die Intimität meiner akustischen Konzerte besser als der Kontrabass. Sein holziger Klang verströmt eine herzliche Atmoanzeige sphäre, die das Publikum zu verzaubern scheint. Ihr akustisches Konzert in Paris war ein solcher Erfolg, dass Sie eine ganze Tournee daraus machen. Wie erklären Sie sich das? Die akustische Interpretation verändert die Chansons total. Es ist, als ob ich ihr Geheimnis enthüllen würde. Ohne die elektrischen Vibrationen gewinnen sie etwas Echtes zurück. Ich glaube sogar, die Leute werden auf eine Zeitreise durch ihre eigenen Er- innerungen geschickt. Es passiert etwas im Kopf. Ihre Musik hatte immer einen Touch von Rock 'n' roll, schon, als sie im Alter von 20 mit Lenny Kravitz ein Album aufnahmen. Wollen Sie sich heute davon befreien? Nein, so kann man es nicht sagen. Ich war nie eingesperrt, also muss ich mich auch nicht befreien. Auch nicht von Ihrem Image als künstliches Pop-Püppchen der Achtzigerjahre? Warum künstlich? Ich war mit vierzehn Jahren noch nicht fertig, nicht reif, das gebe ich zu, aber das bedeutet nicht, dass ich eine Puppe war. Im Gegenteil. Mein Umfeld hat eher versucht, mich zurückzuhalten und zu beschützen. Aber ich hatte so grosse Lust zu singen, dass ich nicht aufzuhalten war. Und ich hatte viel Einfluss auf meine Musik, auch wenn ich meine Chansons damals noch nicht selber schrieb. Das einzig Künstliche an mir waren die Geschichten, die die Medien über mich erfanden. Heute sind Sie populärer denn je: mit einem Kino-Hit in Frankreich, als Chanel-Model und mit Ihrer bevorstehenden Tournee. Wie bringen Sie das alles unter einen Hut? Natürlich gar nicht. Aber meine Einstellung ist: Man muss die Gelegenheiten packen, wenn sie da sind. Sonst sind sie weg. Und ich habe das grausame Glück, dass ich gerne arbeite. Meine Jobs füllen mich aus und machen mir Lust auf immer mehr. Kommt dabei nicht ihr Privat leben zu kurz? Immerhin haben fortsetzung auf seite 42 Mit 14 hatte sie ihren grössten Hit («Joe le taxi»), mit 17 schrieb ihr Serge Gainsbourg Texte auf den Leib, mit 20 nahm sie ein Album mit Lenny Kravitz auf: Vanessa Paradis war ein Kinderstar. Aber einer der besonderen Art. Mit 16 verliess das Hippiemädchen die Schule und machte auch im Film Karriere. Derzeit erlebt ihre Schauspielerlaufbahn einen Höhepunkt: Der Film «L’Arnacoeur» war in Frankreich ein Publikumserfolg. Als Model ist sie auf Covers von «Vogue» bis «Marie Claire» zu sehen und wirbt für die Tasche «Coco Cocoon» von Chanel. Vanessa Paradis lebt seit 1998 mit Johnny Depp zusammen, mit dem sie eine Tochter, 11, und einen Sohn, 8, hat. 42 KulturVolkskultur 27. Juni 2010 Radikale Exotik Schlaglicht Locarno 2010 ohne Schweizer Tag Locarno-Direktor Frédéric Maire ist weg, der eidgenössische Filmchef Nicolas Bideau geht Ende Jahr – und so verschwindet 2010 auch der «Tag des Schweizer Films» am Internationalen Filmfestival, den die beiden ins Leben gerufen hatten. Selbstverständlich wird der neue LocarnoDirektor Olivier Père auch Schweizer Filme zeigen. Die Frage ist nur: Wer veranstaltet jetzt das rauschende Fest, das den Tag immer beendet hat? Günter Grass und die toten Nonnen Das wird keine Freundschaft mehr zwischen der Kirche und Günter Grass. Eine kirchliche Jugendorganisation hatte einst seine «Blech- trommel» verbrannt, jetzt erzählt Regisseur Volker Schlöndorf, welche Lieblingsszene von Grass bei der Filmversion des Romans dem Schnitt zum Opfer fiel: «Er mochte die Szene am liebsten, wenn die Nonnen erschossen wurden.» Wie das aussieht, kann man nun sehen – im gerade erschienenen Director’s Cut des oscarprämierten Films. Toter Jacko spielt Gewinn ein Es hätte das grösste Comeback der Musikgeschichte werden sollen: «This Is It» verkündete Michael Jackson wenige Monate vor seinem Tod und plante 50 Konzerte in London, die seinen Ruf wiederherstellen sollten. Daraus wurde nichts. Der King of Pop starb am 25. Juni 2009 an einer Überdosis Beruhigungsmittel. Ein Glück für die Angehörigen, dass viele Fans ihr Ticket als Souvenir behielten: Die Konzertserie, die nie stattgefunden hat, brachte 7 Millionen Franken ein. anzeige 5. - 7. AUGUST 2010 WWW.DAS-FESTIVAL.CH Am Volkskulturfest Obwald in Giswil treten nebst Trachtengruppen und Jodlern auch Totentänzer aus Afrika auf von Christian hubschmid Maa! Mee! Mii! Moo! Muu! Hin ter dem Toilettenwagen klingt es seltsam. Sind es die Animisten aus Mali, die sich in Trance wiegen? Oder ist es eine Kuhherde, die ge molken werden will? Nein, es ist der Jodlerklub Giswil, der sich einsingt. Etwas abseits von der lieblichen Lichtung mitten im Wald, wo das Volkskulturfest Ob wald stattfindet. Es ist das eigenartigste Festival der Schweiz. Dieses Jahr treten vier Tage lang Trachtengruppen aus dem Berner Oberland und Nidwalden neben Totentänzern des Volks der Dogon aus Mali auf. Schweizer Folklore und afrikani sches Brauchtum – passt das zu sammen? Der Kanton Obwalden findet ja und trägt ein Viertel des 350 000-Franken-Budgets. «Das ist das erste Mal, dass der Staat die Volkskultur subventioniert», frohlockt Martin Hess. Des Festival Obwald – «kein Festival, ein Fest!», reklamiert Hess – wäre ohne den 62-jährigen Jodelimpresario nicht denkbar. Hess ist ein Kulturmanager, der genau weiss, was er will respekti ve nicht will, und es doch mit al len kann. Jahrelang reiste er durch Laos, Mali und Mexiko, nachdem er seinen Job als Stephan Eichers Manager an den Nagel gehängt hatte. Jetzt kennt er die Künstler, die er einlädt, persönlich und holt sie zum Mittagessen zu sich auf die Alp Hammen hinauf, bevor er sie abends auf die Bühne schickt. Das braucht ein afrikanisch ge eichtes Zeitgefühl. Denn Hess’ Blockhaus ist nur über eine priva te Luftseilbahn erreichbar. Oben steht die Bäuerin Erna und bedient die einzige Kabine, eine klapprige Kiste. Bis die achtzehn Dogons und sechs Musiker aus Mali oben sind, ist Mittag vorbei. Noch sechs Stunden bis zum Festival. Doch Martin Hess beobachtet seelen ruhig einen Adlerhorst auf der an dern Seite des Choltals. Awa de Sangha aus Mali: Die Totentänzer wirken nur auf Anhieb unheimlich Das Volkskulturfest Obwald ist das etwas andere Festival. Man sieht es dem Open-Air-Gelände auf den ersten Blick an. Obwohl ein radikal exotisches Programm geboten wird, fehlen Stände mit Afro-Ramsch. Statt Security und Wellenbrecher hat es geschürztes Servierpersonal und Geranien. Und hinter der Bühne – backstage – kommt es zu nicht alltäglichen Begegnungen. Tänze gegen Geisteskrankheit sind vor Ort «trop dangereux» Die Maskentänzer aus Mali, die Awa de Sangha, warten rauchend auf den Auftritt. Die unheimli chen Totenhelme, mit denen sie später wild herumtanzen, lagern noch in den Frachtsäcken. Oben auf dem Bretterboden dreht sich derweil die Trachtengruppe En gelberg etwas steif im Kreis. Und der Jodlerklub Giswil hat fertig eingesungen und marschiert hin foto: niklaus spoerri ter die Bühne. Ein bärtiger Ob waldner gibt einem Afrikaner in Flipflops stumm die Hand. Sie sa gen nichts, aber lächeln sich an. «Man würdigt sich mit Blicken», sagt Peter Rymann. Peter Rymann ist der Sohn des verstorbenen «Schacherseppli»-Sängers Ruedi Rymann und gleicht seinem Vater aufs Haar. Wie der ist er Mitglied im Jodlerklub Giswil. Nach dem Auftritt bleiben die Giswiler Jod lerinnen und Jodler geschlossen auf den Festbänken sitzen und klatschen mit dem Maliblueser Afel Bocoum im Takt. Die Hauben der Frauen sitzen immer fest im Haar, aber die Stimmung ist locker. «Das hinterlässt einen rechten Eindruck», sagt Peter Rymann. Die afrikanischen Gäste lau schen ebenfalls andächtig. Sekou Dolo, der Chef der malischen Mas kentänzer, findet es «impressio nant», dass Männer und Frauen sich in der Schweiz beim Tanzen in den Armen halten. In Mali wür den sie sich kaum berühren. Je denfalls bei den heiligen Tänzen, die dazu dienen, die Geisteskran ken zu heilen. Diese aber könnten sie hier in der Schweiz sowieso nicht zeigen, sagt Sekou Dolo. «Trop dangereux.» Weniger gefährlich klingen die Hirtenlieder, die die malischen Gäste am Nachmittag auf Martin Hess’ Alp anstimmen. Der Sing sang passt zu der kargen Bergwelt, als wäre er schon Jahrtausende da. Hess serviert getrocknetes Rind fleisch, dreijährigen Sbrinz und Meringue mit Schlagrahm. Das Volkskulturfest Obwald beginnt eigentlich schon am Nachmittag. Für eine urchige World-Party fehlen nur die Jodler aus Giswil. Doch die sind noch am Heuen. Sie sind genau so alt wie seine Tochter Charlotte Gainsbourg, die auch am Jazzfestival Montreux auftreten wird. Kennen Sie sie? Nicht gut, damals bin ich ihr nie begegnet. Seither waren wir ein paar Mal gemeinsam zu einem Di ner eingeladen. Und ich mag ihr Album «5.55» sehr. Sie ist nicht nur eine fantastische Schauspie lerin, sie hat auch eine einzig artige Stimme. Nach ihren letzten Konzerten in Paris schrieben die Kritiker, Ihre Stimme sei viel besser geworden. Wie kommt das? Nun, ich habe an ihr gearbeitet. Und 23 Jahre Erfahrung als Sän gerin machen wohl auch etwas aus. Aber wissen Sie, was meine Stimme am meisten verändert hat? Nein. Dass ich aufgehört habe zu rau chen. Ich habe es erst an den Kon zerten gemerkt. Der Unterschied ist unglaublich. Meine Stimme ist richtig befreit. Ein phänomenales Gefühl. Warum haben Sie angefangen zu rauchen? Wegen Marilyn Monroe. Ist sie Ihr grosses Vorbild? Ja, schon als ich ein Kind war, ver ehrte ich sie wie eine Göttin. Ich begann auch zu tanzen und zu schauspielern wegen ihr. Ich woll te werden wie sie. In Ihrer Schatzkiste bewahren sie ein Paar Schuhe von Marilyn Monroe auf. Ziehen Sie sie manchmal an? Nein, ich habe Angst, sie zu lädie ren. Aber ich habe sie probiert . . . Und, passen sie? Ja und nein. Wir haben zwar die selbe Schuhgrösse, aber nicht denselben Fuss. Das Volkskulturfest Obwald 2010 geht heute Abend zu Ende. www.obwald.ch 3 Fortsetzung von Seite 41 Sängerin Vanessa Paradis SIMPLE MINDS ROGER HODGSON STEPHAN EICHER (FORMERLY OF SUPERTRAMP) GRAND AVENUE SOPHIE HUNGER MARIT LARSEN LESLEY MEGUID PEGASUS FIONA DANIEL TICKETS ERHÄLTLICH BEI das festival präsentiert von MEDIENPARTNER Sie zwei Kinder und leben mit ihrem Partner Johnny Depp zusammen. Es ist schon kompliziert. Und es gibt Momente, wo ich abwesend bin, wenn ich vielleicht da sein sollte. Aber ich habe gelernt, Kompromisse zu machen. Und ich widme meinem Privatleben viel mehr Zeit als meiner Arbeit. Das können Sie mir glauben. Schreiben Sie mit Johnny Depp auch Chansons? Das nicht gerade, aber ich spiele ihm meine Chansons vor. Er ist meine Testperson. Und wie reagiert er? Er mokiert sich vor allem über mein Gitarrenspiel. Er ist ja der viel bessere Gitarrist als ich. Er machte Musik, bevor er Schau spieler wurde und lässt mich wie eine Anfängerin aussehen. Stimmt es, dass Sie demnächst Simone de Beauvoir in einem Film mit Johnny Depp spielen werden? Das ist möglich. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Haben Sie den Film über Serge Gainsbourg gesehen? Nein, ich gehe fast nie ins Kino. Solche Sachen kommen zwischen Arbeit und Familie zu kurz. Serge Gainsbourg hat für Sie die Texte ihres zweiten Albums «Variations sur le même t'aime» geschrieben, als Sie 17 waren. Wie haben Sie ihn in Erinnerung? Zärtlich. Väterlich. Lustig. Wun derbar. Unvergesslich. Montreux Jazzfestival (2. bis 17. Juli): Die Highlights Wer die überschäumende Eröffnungsparty der WM in Südafrika am Fernsehen verpasst hat, kann sie in Montreux live nacherleben: die Afro-Queen Angélique Kidjo, der südafrikanische Bob Dylan Vusi Mahlasela, Youssou N'Dour und Babaa Maal lassen ihr Feuerwerk steigen (9.7.). Der grösste Coup ist Claude Nobs mit Phil Collins gelungen: Der 59-jährige Superstar wird Europaexklusiv Soul-Hits seiner Kindheit vorstellen, die er am 13. September als CD veröffentlicht (1.7.). Weitere Highlights sind der erste Schweizer Auftritt von Jack Whites Band The Dead Weather (3.7.), die New Yorker Sängerin Regina Spektor (7.7.), die Poplegende Roxy Music (2.7.) und das Ehepaar Diana Krall und Elvis Costello am gleichen Abend (13.7.). Nur was den Jazz betrifft, lässt das Programm Wünsche offen. Die üblichen Verdächtigen Brad Mehldau (4.7.), Chick Corea (12.7.) und Herbie Hancock (16.7.) sind kein Ersatz für Entdeckungen. www.montreuxjazz.com