Brückenbauer - Volkssolidarität
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Brückenbauer - Volkssolidarität
BRÜCKENBAUER lauf Friedrichshain-Kreuzberg interkulturell 38. Ausgabe - März | April 2015 - Gratis aber zum Mitarbeiten ______________________________________________________________________________________________________________________________ _ Rio de Kreuzberg Allem Anfang wohnt ein Zauber inne. So mag es auch im Mai 1996 gewesen sein, als die erste Ausgabe des Karnevals der Kulturen 50.000 Menschen in ihren Bann zog. Berlin erwachte zusehends aus den Lethargien der einst geteilten Stadthälften; alles war aufregend, neu, unfertig und multikulti mächtig angesagt: das Leben ein einziger Tanz mit dem Neuen. Der Besucherrekord wurde 2003 mit 1,3 Millionen erzielt. Dann ging es langsam bergab, wie zu jener Zeit auch mit der Love Parade. Genau wie sie war auch der Karneval nicht mehr so interessant, weil vielleicht zu gewohnt oder gewöhnlich geworden. Ein Faktor in Sachen Berlin-Marketing blieb der bunte Umzug aber allemal. Und hatte damit alsbald das Problem, dass es für die Akteure ziemlich teuer wurde teilzunehmen. Fortan ging es um Auflagen, Sicherheitskonzeptionen, Bürgschaften – man kennt das, wenn sich Große bei Kleinen einbringen. Nun also ist zumindest die Ausgabe 2015 des Kulturkarnevals gesichert, eine landeseigene Kulturfirma wird ihn veranstalten. Die zuständige Senatorin von der SPD verkündete die frohe Botschaft, Berlins CDU-Generalsekretär hält es sich zu Gute, daran politisch mitgewirkt zu haben. Wenn sogar die Christkonservativen den Multikulti-Umzug retten wollen – dann ist der nicht mehr original multikulturell. Sondern eine normale Großveranstaltung mit Essen, Trinken, Rambazamba und möglichst Millionen Besuchern, die Geld ausgeben. Rio de Kreuzberg also. In Brasiliens Metropole wird der Karneval auch vom städtischen Tourismusbüro organisiert: als wirtschaftliche Konstante ist er auf der Habenseite der Stadt schon ewig MICHAEL REBIEN eingeplant. In dieser Ausgabe Positionen: Religionen sollten sich gewaltfrei auf sich besinnen Seite 2 Nachbarn: „Friedrichshain kocht“ ist mehr als ein Kochbuch Seite 5 Der nächste Tanz ist bezahlt Der Karneval der Kulturen wird auch zu Pfingsten dieses Jahres durch Kreuzberg ziehen. Nach Problemen mit dem ehemaligen Veranstalter wird 2015 der Umzug von einem landeseigenen Kulturunternehmen ausgerichtet, für 2016 wird man sehen. Die Aufnahme entstand 1996 beim ersten Kulturkarneval, als das Publikum am Straßenrand noch etwas skeptisch auf das Multikulti-Spektakel schaute. Foto: Lange/ Archiv Gebrüllte Demokratie Das öffentliche miteinander reden wird zunehmend schwieriger. Nicht nur in Kreuzberg Tumulte, Buhrufe und wütende Aktivisten: eine Anwohnerversammlung zum Thema Görlitzer Park musste Mitte Februar abgebrochen werden. Politiker und Experten wollten mit Bürgern darüber diskutieren, wie es mit der als Drogenumschlagplatz bekannt gewordenen Kreuzberger Grünfläche weitergehen könne, doch schon die Podiumsbesetzung – unter anderem mit dem CDUMitglied Kurt Krömer, Senatsstaatssekretär für Inneres, trieb einem Teil des Publikums die Zornesröte ins Gesicht. „Krömer vertreiben, Flüchtlinge bleiben“, skandierten sie, ein mit „Haltet die Fresse!“ beschriebenes Plakat wurde hochgehalten. Dass sich die Situation im Park durch die Polizeipräsenz verbessert habe, wie von einigen Anwohnern vorgetragen, wollte die Minderheit nicht hören. Sie sieht den Umgang mit Flüchtlingen als Ursache für die Drogenszene. Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) musste sich ebenso lautstark Gehör verschaffen und verwies auf die Haltung von Migranten der ersten Generation zur Drogenproblematik im Park: „Das sind die, die den Kiez aufgebaut haben und sagen: Wir wollen das nicht mehr.“ Ähnliche Erfahrungen machte der Regierender Bürgermeister Müller (SPD) auf einem Forum zur Berliner Olympiabewerbung im Bezirk Mitte. Tumultartiges Brüllen ließ keine DiskusMR/taz/Tsp sion des Themas zu. Positionen 2 BRÜCKENBAUER März | April 2015 _______________________________________________________________________________________________________________________________________ Religiöse Gewalt Ausdruck des versäumten inneren Kampfes gegen das Böse Islam, Christentum und Judentum führen kein stilles Dasein, wie es eigentlich ihrem Wesen entsprechen sollte, sondern wirken antreibend in die Ausübung von Macht und Gewalt hinein. Der Islam kennt von seinem Anspruch auf Totalhingabe an den Willen Gottes keine Trennung zwischen privatem und öffentlichem Leben. Daraus folgt nicht zwingend die verfassungsrechtliche Einheit von Staat und Religion, sie ist aber von fundamentalistischen Richtungen nach dem historischen Vorbild des Kalifats immer angestrebt und vielfach realisiert worden. Damit verbindet sich das, was unter „Heiligem Krieg“ für die Verteidigung und Ausbreitung des Islam verstanden wird, wobei das Wort „dschihad“ im Kontext eigentlich »dschihad fi-s-sabil Allah« heißt, was „Anstrengung auf dem Wege Gottes“ bedeutet. Doch der Begriff gewinnt unter Bezug auf isoliert genommene Koranstellen, die zur Verfolgung und Tötung der Ungläubigen auffordern, eine Gewaltdynamik, welche gegenwärtig ungeheure Ausmaße angenommen hat. Auch in den USA kommt der christlichen Religion im Alltag und in der Politik eine Bedeutung zu, die europäischen Nationen fremd ist. Zwar sind verfassungsrechtlich Staat und Kirchen streng getrennt, Politik und Religion jedoch keineswegs voneinander isolierte Sphären. Sie durchdringen sich zu einem religiös gefärbten Patriotismus, der die Bürger zu einer von Gott geschützten und geführten Nation, einer „one nation under god“, vereinigt. Das Judentum strebt als ethnisch gebundene Religion keine Ausbreitung und Missionierung, sondern in gewissen Strömungen seine Zusammenführung an. Die Juden leben seit 2000 Jahren in alle Welt zerstreut, hielten aber überall an ihrem ethnischen, religiösen und kulturellen Zusammenhalt fest, wofür sie immer aufs Neue verfolgt wurden. Im 19. Jahrhundert regte sich in einer wachsenden Zahl von Juden die Sehnsucht nach einer geschützten Heimstatt im Land der Väter. Zion, der Name für Ehre Sind Christ und Jude eher Christ und Jude als Mensch, fragt Nathan der Weise in Gotthold Ephraim Lessings gleichnamigem Drama um Toleranz und Aufklärung. Foto: wiki den Tempelberg in Jerusalem, wurde Symbol und Ziel der zionistischen Bewegung, die sich mit der Idee eines jüdischen Nationalstaates verband. An dessen Beginn stand auch hier die Verbindung der Religion mit der militärischen und staatlichen Gewalt. __________________________________________________________________________ Ist es nicht sonderbar, dass die Menschen so gern für ihre Religion fechten und so ungern nach ihren Vorschriften leben? Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) __________________________________________________________________________ Es gibt also gegenwärtig kaum einen militärischen Konflikt in der Welt, in dem nicht religiöse Motive eine wesentliche Rolle spielen. Was liegt dem zugrunde? Religion als das Streben nach Wiederverbindung mit der Welt Gottes, setzt die Trennung von ihr voraus. Die Vertreibung infolge des Sündenfalls, die in bildhafter Form Ausgangspunkt aller Religionen ist, bedeutete den Abstieg aus der paradiesischen Reinheit in die irdische Welt der Versuchungen und moralischen Abirrungen. Religion ist insofern der Weg, die Un- reinheiten und moralischen Verschlechterungen des eigenen Wesens zu überwinden, zu läutern und wieder die helfende Nähe der göttlichen Welt zu erreichen. Das Entscheidende einer Religion ist daher nicht, was sie lehrt, sondern was sie durch die Übung dieser Religion im Menschen real an Wandlungen bewirkt. Das Wesen der Religion ist der innere willentlich übende Weg der Läuterung und moralischen Vervollkommnung zu Gott. Dem stellen sich aber ständig innere Widerstände und Hindernisse entgegen. Sie zu überwinden, fordert einen immerwährenden Kampf gegen den „eigenen inneren Schweinehund“. Und das ist der Punkt, an dem sich die Geister scheiden. Wird diesem inneren Kampf nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet, so wendet sich der Blick nach außen und sieht den „Schweinehund“ in den Ungläubigen, die dem „falschen Glauben“ anhängen und den einzig wahren Glauben verschmähen. Welche Illusion ist es zu glauben, dass man Angehörige anderer Religionen durch Gewalt und Unterwerfung von der Wahrheit seiner Religion überzeugen könnte. Man folgt in Wahrheit nicht dem Gott seiner Religion, den man sucht, sondern dem Bösen in sich, das man in anderen zu bekämpfen vorgibt. Tiefe, vollkommene Menschlichkeit ist das übende Ziel aller Religionen, in dem sie sich letztlich treffen und vereinigen. Und wenn das Christentum Recht hat, dass in Christus der Gott der schöpferischen Liebe vollkommener Mensch geworden ist, dann bestünde die Vereinigung der Religionen darin, dass die Menschen aller Religionen den Christus – wie immer sie ihn dann nennen – in sich erleben als die reale Kraft der Leben tragenden Liebe und vollkommenen Menschlichkeit. Doch auch darüber entscheidet nicht die theoretische Überzeugung, sondern es muss sich in der strebenden Entwicklung der Menschen selbst erweisen. HERBERT LUDWIG - veröffentlichte die ungekürzte Fassung dieses Textes in seinem Blog fassadenkratzer.wordpress.com. März | April 2015 Begegnungen BRÜCKENBAUER 3 ______________________________________________________________________________________________________________________________________ Besser ein Licht anzünden als auf die Dunkelheit schimpfen Das „Café Kontakt“ bietet Friedrichshainer Senioren Raum für Geselligkeit „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“, schrieb Martin Buber und hat damit voll die 12 getroffen. Jenseits der goldenen EU-Jugend-, -Genderund Multikulti-Fördertöpfe leben wir Menschen am Ende des Regenbogens immer noch wie in den Tagen Noahs: Wir essen, wir trinken, wir heiraten und lassen uns heiraten ― und nach siebzig oder achtzig Jahren sind wir alt geworden und kommen möglicherweise nicht mehr alleine klar. Dann wollen die Augen nicht mehr so richtig, aber nicht nur deshalb sieht es in Friedrichshain-Kreuzberg schlecht aus für alt gewordene Steuerbürger: Die Seniorenbegegnungsstätten in dem Friedrichshainer Quartier zwischen Karl-Marx-Allee im Süden und Landsberger Allee im Norden, das im Bezirksrathaus auf den Rufnamen „Sozialraum 5“ hört, diese Begegnungsstätten sind dank Haushaltssperre so platt gemacht wie einst der Flughafen Tempelhof. Dafür gibt es viele Aktivitäten der Volkssolidarität, um Ältere zu unterstützen, denn es ist besser, ein Licht anzuzünden, als auf die Dunkelheit zu schimpfen. Dieses Licht leuchtet im Friedrichshainer „Café Kontakt“. Es wird am Brennen gehalten von Monika Vuong und Katharina Lange. Monika Vuong: Das „Café Kontakt“ hab ich mir ausgedacht nach dem Bedarf der Menschen, die in der Koppenstraße 62 wohnen. Es ist ein seniorengerechtes Haus mit über 60 Mietparteien. Dort kann man sich unkompliziert treffen und austauschen, nicht nur Bewohner aus dem Haus. Wir informieren dort Angehörige, Betroffene, aber auch Freunde und Nachbarn zu Themen wie Sturzprävention und Nachbarschaftsprojekten. Allerdings ist das „Café Kontakt“ nur ein Teil vom Puzzle unserer gesamten Arbeit in der Kontaktstelle PflegeEngagement. Wir bieten Selbsthilfe zum Thema Pflege und unterstützen pflegende Angehörige. Das ist ein sehr umfangreicher Komplex an Aufgaben. Die Entlastung pflegender Angehöriger und die Vorbereitung auf das Alter stehen im Fokus. "Stufen des Lebens“, Lithographie (1850). Repro: Archiv Witzel". Katharina Lange: Wenn es wirklich zur Pflege kommt und Unterstützung nötig ist, dann gibt es schon Vitamin B durch Beziehungen und einen Verbund. Weil gute Nachbarschaft ebenfalls ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit ist. Man hat sich kennengelernt im „Café Kontakt“ und geht dann vielleicht gemeinsam einem Hobby nach. Der Autor kann das aus seiner eigenen Lebensgeschichte heraus nachvollziehen. Seine Mutter ist auch älter geworden, und er musste sie in ein Altenheim geben ― ach, wie sich das anhört ― wegen ihrer Tüddeligkeit, die von Ärzten gern in den Karteikasten „Alzheimer“ gesteckt wird. Mit dieser Entwicklung hatte niemand gerechnet. Von ihren drei Söhnen, die sie großgezogen hatte mit dem verstorbenen Vater, war niemand mehr vor Ort für sie da. Katharina Lange: Das ist kein Einzelfall. Wir haben hier vor kurzem die Gesprächsgruppe „jwd“ initiiert für Angehörige, deren zu pflegende Familienmitglieder nicht in Berlin leben. Diese Angehörigen haben vielfältige Probleme: der mentale Umgang, die Sorgen, die man sich macht wegen der großen Entfernung, manchmal sogar Selbstvorwürfe, aber auch praktische Fragen wie die Regelung der Betreuung. Sie tauschen sich aus, eine Ehrenamtliche leitet die Gruppe an. Das entwickelt dann eine Eigendynamik, da kommt ganz viel rüber. Wir haben natürlich auch eine Gruppe für Angehörige, deren Familie in Berlin lebt. Es ist uns wichtig, dass wir vor Ort und in Wohnnähe Möglichkeiten schaffen, wo sie sich austauschen und Informationen bekommen können. HERBERT-FRIEDRICH WITZEL „Café Kontakt“ Nachbarschaftstreff, Koppenstraße 62, 10243 Berlin, jeden 3. Mittwoch, 15 bis 17 Uhr. (U 5 Strausberger Platz, S Ostbahnhof). 4. bis 10. Mai 2015 Woche der pflegenden Angehörigen Ein Bündnis von Berliner Einrichtungen und Institutionen hat Veranstaltungen für pflegende Angehörige als Anerkennung und Dankeschön organisiert. Dazu gehören u.a. zwei Dampferfahrten, ein Tanzcafé und Kinovorstellungen. Auf der Eröffnungsgala am 4. Mai in der Urania Berlin werden pflegende Angehörige geehrt, abgeschlossen wird die Woche mit gemeinsamem Grillen auf dem Tempelhofer Feld. Für die Teilnahme für Angehörige und ihre Begleitperson gibt es Ehrenkarten. Näheres: Telefon 030-61202499 FRANK SCHUMANN oder [email protected] Wohnen 4 BRÜCKENBAUER März | April 2015 _______________________________________________________________________________________________________________________________________ Freudenberg-Areal: Gefragt vor Baubeginn Im Herzen Friedrichshains sollen 660 Wohnungen entstehen. Das gefällt nicht allen „Perspektive Freudenberg-Areal – das neue lebendige Wohnviertel“, damit wirbt der Investor Bauwert seit einigen Monaten auf dem Gelände an der Boxhagener Straße, auf dem bis 2010 die Firma Freudenberg ihren Sitz hatte. Am 19. Januar gab es die Möglichkeit, sich auf einer Veranstaltung in der nahe gelegenen Grundschule am Traveplatz umfassend über das Vorhaben zu informieren. Neben den Vertretern der Firma Bauwert, der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg und der landeseigenen Wohnungsgesellschaft HOWOGE hatte auch die Vertreterin der „Ideenwerkstatt FreudenbergAreal“ auf dem Podium Platz genommen. Weit mehr als 100 Interessierte kamen zu der Veranstaltung. Jürgen Leibfried von der Firma Bauwert stellte den Planungsstand vor: Auf dem Gelände sind 662 Wohneinheiten, eine Kita, ein Bürgertreff und ein kleiner Park geplant. 90 Wohnungen werden als Eigentumswohnungen realisiert, die anderen sollen vermietet werden, zu einem Preis von bis zu 13,50 Euro pro Quadratmeter. Daneben soll es auch geförderte Wohnungen mit einer Mietpreisbindung von 30 Jahren geben, informierte Michael Wagner von der HOWOGE. Sein Unternehmen wird dafür 125 Wohnungen von der Bauwert kaufen und sie zu einem Quadratmeterpreis von 6,50 € anbieten. Starke Einwände zur geplanten Bebauung kamen von der „Ideenwerkstatt Freudenberg-Areal“. Die massive Ehre Bald soll gebaut werden. Das eingeebnete ehemalige Industriegrundstück an der Boxhagener- / Ecke Holteistraße. Foto: Bewo/ Frey Bebauung mit hunderten von Wohnungen würde die ohnehin schon angespannte Situation an den Friedrichshainer Schulen noch weiter verschärfen. Eine weniger dichte Bebauung mit einer größeren Parkfläche wäre nach Auffassung der Ideenwerkstatt für das an Grünflächen arme Friedrichshain eine bessere Lösung. Ob sich diese Ideen noch umsetzen lassen, ist ungewiss. Bauwert hat bereits den Bauantrag für seine Planung eingereicht und mit der Dekontamination des Grundstücks begonnen. So ist mit einem baldigen Baubeginn zu rechnen. Der Verkauf beziehungsweise die Vermietung der Wohnungen dürfte in dieser Lage - zwischen Ostkreuz und Frankfurter Alle - kein Problem sein. Obwohl die Vermarktung noch nicht begonnen hat, liegen dem Investor nach eigenen Angaben bereits jetzt mehr als 500 Anfragen zum Kauf und zur Miete der geplanten Wohnungen vor. HEINZ IMRE HAMANN Anno 1906, Boxhagener Straße 80: Ein fünfgeschossiger Stahlskelettbau wird erbaut und später von der Deutsche Kabelwerke AG genutzt, die Halle wird 1922 an die Deka-Pneumatik GmbH vermietet. Zu Zeiten der DDR hat hier der VEB Gummiwerke Berlin seinen Sitz, nach 1990 die Freudenberg Dichtungs- und Schwingungstechnik GmbH. Sie zieht 2010 nach Adlershof. Die Firma Bauwert erwirbt das Grundstück und lässt es einebnen. Hier könnte in der nächsten Ausgabe Ihre Anzeige stehen. Für nur 70 € netto. BRÜCKENBAUER Friedrichshain-Kreuzberg interkulturell Werben Sie auf unseren Seiten! Kontakt: [email protected] Tempels in der Britzer Blaschkoalleeentstanden: der Mayurapathy Murugan Tempel. Auch in der Hasenheide seien inzwiMärz| April 2015 BRÜCKENBAUER schen drei Viertel der Bauarbeiten abgeschlossen, versichert Jairam Naidu. Tatsächlich steht bisher aber nur ein Turm, an dem _______________________________________________________________________________________________________________________________________ die Nachbarn 5 Ein Stadtteil im Umbruch Mit „Friedrichshain kocht“ ist ein Buch zum Nachdenken, Nachkochen und Nachleben erschienen Bisher existierte kein Buch über Friedrichshain, das in ähnlicher Weise gesellschaftlich Engagierte vorstellt. Es ist ein Mosaik von Partizipationsmöglichkeiten in einem bewegten und sich dynamisch entwickelnden Stadtteil. Fünfundfünfzig Friedrichshainer werden mit ihrem Einsatz für ein gemeinschaftliches, solidarisches und tolerantes Miteinander porträtiert.: YAAM, Radialsystem V, Supamolly, Sozialhelden, Mörchenpark, Frieda Frauenzentrum, Café Sibylle und Unternehmen sowie Privatpersonen finden sich auf den Seiten. „Friedrichshain kocht“ erschien Ende 2014, ermöglicht durch ein erfolgreiches Crowdfunding: über 13.000 Euro für die Druckkosten kamen zusammen. Vorbild war „Kreuzberg kocht“, 2011 erschienen und ein Riesenerfolg. Projektleiterin Cornelia Temesvári: „Wir haben jetzt ein fertiges Produkt. Das Team, fünfzehn Frauen, die sensible, hochbegabte Fotografin Patricia Schichl, die Grafikerin Susanne Appelhanz, die uns ein traumhaftes Layout zauberte – alle haben viel Liebe, Hezblut, Kraft und Zeit in dieses Buch gesteckt, das wunderschön geworden ist.“ Fotos: Patricia Schichl Ehre Den Autoren ging es um den Blick hinter die Kulissen, um das Rezept hinter dem Koch-Rezept. Sie waren ein Jahr lang in Friedrichshain unterwegs und haben sich mit den verschiedenen Akteuren unterhalten und gekocht. Weil Kochen verbindet und eine Gesprächssituation schuf, die andere Fragen und Antworten zuließ. Und die Fotografin Patricia Schichl ganz besondere Fotos entstehen lassen konnte. Jedes Porträt besteht aus Interview, Fotos und dem Lieblingsrezept. Das Buch ist ein wirklicher kulinarischer und alternativer Kiezführer. Es macht Mut, selbst aktiv zu werden. Visionäre und Idealisten, die nach Inspiration suchen, können Bekanntes wie Neues und Anregendes finden. An Zeitgeschichte Interessierte erhalten die Momentaufnahme eines sich ständig verändernden Stadtteils und seines bürgerschaftlichen Engagements, die so noch nicht erzählt wurde. Hinter dem Buch steht maßgeblich der Verein Berliner Büchertisch e. V., der seit 2005 im Bereich der Leseförderung aktiv in FriedrichshainKreuzberg aktiv ist. HANS-JÜRGEN SCHWEBKE Friedrichshain kocht: Portraits – Interviews – Rezepte 370 Seiten, 16,90 Euro, ist erhältlich im Buchhandel oder direkt beim Berliner Büchertisch: www.buechertisch.org ____________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________________________ Nach der Blüte kommt noch mehr! Die Landschaftsarchitektin und Gartenplanerin Jeanine Fornaçon zeigt mit ihrer Fotoausstellung „floral farbe form“ nicht nur die Blütezeit von Pflanzen, sondern vermittelt ihre Schönheit im Jahresverlauf: in voller Blüte, im Vergehen, bei Regen, Morgentau oder Frost. Die Motive belegen: Pflanzen haben ein Leben nach ihrer Blüte. Zu sehen bis zum 28. April im Selbsthilfetreffpunkt Friedrichshain-Kreuzberg in der Boxhagener Straße 89, 10245 Berlin, zu den Öffnungszeiten und nach Absprache: Telefon 291 83 48. BB/ Foto: J. Fornaçon Schallplatten (und –spieler) gesucht! Um Alt und Jung zusammenzubringen sammelt die Begegnungsstätte in der Torstraße 203 Musik auf Vinyl. Zum Reinhören, Tauschen und einen generationsübergreifenden DJ-Kurs. Wo verstaubt ein Plattenspieler? Fragen Sie doch mal Ihre Nachbarin. Wir holen die Sachspenden (klimaneutral mit dem Lastenrad) ab. Kontakt: Margit Beutler, Telefon 030 2821921 oder E-Mail: [email protected] Kulturen 6 BRÜCKENBAUER März| April 2015 ____________________________________________________________________________________________________________________________________ __ Jüdisches Pessachfest Ich will Euch wegführen von den Lasten, die Euch die Ägypter auferlegten. Schmot 6,5 - 7 Pessach wird als erstes der drei Wallfahrtsfeste im jüdischen Frühlingsmonat Nissan, zur Zeit der ersten Gerstenernte, gefeiert. Es ist jedoch weit mehr als ein Erntedankfest. Pessach erinnert an einen Teil der Leidensgeschichte der Juden: die Zeit des Exodus, ihrer Flucht unter Führung von Moses aus dem Reich der Pharaonen nach 430 Jahren Unterdrückung und Sklaverei. Gott hatte sein Volk der Juden zuvor erhört und die Ägypter mit zehn Plagen bestraft. So die biblische Überlieferung. Zugetragen haben soll sich die Flucht vor 3.000 Jahren, sie endete im Ursprungsland der drei jüdischen Stämme, dem heutigen Israel. Pessach bedeutet verschonen, es ist mithin ein Fest der Freiheit. In der Zeit des gesamten Pessachfestes – es fällt 2015 auf den 4. bis 11. April - werden Mazzen, ungesäuerte Brotfladen, gegessen. Sie symbolisieren sowohl die überstürzte Flucht als auch das elende Sklavenleben der Israeliten in Ägypten. Zu Pessach wird streng darauf geachtet, dass wirklich alle Speisen ungesäuert sind, alle gesäuerten Lebensmittel werden zuvor verzehrt oder verschenkt und das Haus gründlich geputzt. Moses führt das Volk Israel durch das Rote Meer. Aus dem Hortus Deliciarum der Herrad von Landsberg (um 1180). Foto: wiki Das eigentliche Pessach beginnt mit einem Abendgottesdienst in der Synagoge, ihm folgt das große Festmahl mit der ganzen Familie: der Seder (Ordnung). Speisen mit symbolischer Bedeutung werden nach einem jahrtausende alten Zeremoniell gegessen (siehe unten), ein Familienmitglied liest zu jeder Speise die entsprechende Stelle aus der Bibel und einer Liturgie für das Fest, der Haggada. Nach dem Verzehr des Sedertellers beginnt das eigentliche Festmahl, zu dem in genauen Abständen insgesamt vier Becher Wein getrunken werden. Sie stehen für die Verheißungen Gottes gegenüber seinem Volk: er wollte es aus Ägypten herauszuführen, es dadurch erretten, von den Qualen der Sklaverei erlösen und es als seines aufnehmen. Ein fünfter Becher Wein steht für den Propheten Elias bereit, der das Erscheinen des Messias ankündigen soll. Mit Pessach besinnen sich die Juden auf den biblisch überlieferten Anfang ihrer Geschichte. Jeder soll sich fühlen, als sei er vor drei Jahrtausenden selber aus der Sklaverei entronnen. Die Erinnerung daran soll die Identität und den Zusammenhalt des Judentums, auch in Zeiten seiner Zerstreuung und Verfolgung, bewahren. MICHAEL REBIEN Der Sederteller. Das Mus aus Rosinen, Äpfeln und Zimt (1) erinnert an die Lehmziegel, mit denen jüdische Sklaven die Pyramiden Ägyptens bauten, das Gemüse (2) stellt die karge Mahlzeit, die sie dafür erhielten, dar. Gebratenes Huhn oder Lamm (3) symbolisiert das Pessach-Opfer im Tempel in Jerusalem, das hart gekochte Ei (3) erinnert an die harte Zeit seiner Zerstörung. Bitterkräuter aus Meerrettich oder Lauch (4) gemahnen an diese bitte Zeit. Und schließlich das Salzwasser (6): es ist ein Zeichen der Tränen, die in Ägypten geweint wurden. Dazu gibt es drei Scheiben Mazzen: ein ungesäuertes Brot. Es soll die Wegzehrung der Juden bei ihrer Flucht aus Ägypten gewesen sein; jede Scheibe steht für einen ihrer drei Stämme – Kohen, Levi und Israel. Getrunken wird roter Wein zur Erinnerung an die Blutopfer der Tiere bei der Feier des Bundes mit Gott nach der Ankunft auf der Halbinsel Sinai. Grafik: Lessing-Gymnasium Döbeln Frauen & Männer März | April 2015 BRÜCKENBAUER 7 _______________________________________________________________________________________________________________________________________ „Fifty Shades of Grey“ Pornographie oder Selbsthilfe? Im Februar startete die Verfilmung der Roman-Trilogie „Shades of Grey“. Es ist absehbar, dass dieser Film zu dem Blockbuster des Jahres werden wird. Das Buch war bereits ungeheurer erfolgreich – dieser Erfolg beschäftigt auch die Kultursoziologie. Deren herausragende Repräsentantin Eva Illouz kommt zu einem bemerkenswerten Ergebnis: Shades of Grey sei gar kein „Mutti-Porno“ (so wurde er in englischsprachigen Kritiken bezeichnet), sondern vielmehr ein Selbsthilferatgeber. Dieser sei so erfolgreich, weil er die sexuelle Praxis des BSDM als Antwort auf einen Kulturbruch in den Geschlechterverhältnissen darstelle. Der Begriff BDSM - Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism - umschreibt zumeist sexuellen Verhaltensweisen, die unter anderem mit Dominanz und Unterwerfung, spielerischer Bestrafung sowie Lustschmerz oder Fesselungsspielen in Zusammenhang stehen können. Dass diese Spielart der Sexualität nun eine derartige Prominenz erfahre, erkläre sich aus einer Krise der Liebesordnung, meint die Soziologin. Liebesbeziehungen seien heute zunehmend gekennzeichnet durch Schwierigkeiten, durch Verängstigung, Unsicherheit, Zwiespältigkeit, Langeweile, kurzum durch seelisches Leid. Ehre Souveränität erbeten. Mr. Grey bringt sich in Position. Foto: Promo Das sei auf die neuen Rollen zurückzuführen, die Frauen und Männer in Folge der feministischen Emanzipation nun spielen: die männliche Vorherrschaft und Dominanz ist in Frage gestellt. Dies widerspreche aber den Regeln des Liebesspiels, bei dem es eben auch darum gehe, eigene Souveränität aufzugeben. Die Jahrhunderte erprobte Rollenverteilung zwischen Mann und Frau ist heutzutage nicht mehr eindeutig. Eine Lösung zur Wiederherstellung der beidseitigen Zufriedenheit, quasi eine sexuelle Selbsthilfe, so Illouz, ist BSDM: dominante beziehungsweise devote Rollen können ausgehandelt und eingenommen werden – ohne dass es zu tatsächlichen Machtverschiebungen außerhalb der Inszenierungen kommt. Fragt sich nur, ob eine solche Simulation tatsächlich auf Dauer befriedigen kann, oder ob es sich nur um einen Modetrend handelt, der in paar Jahren wieder vergessen ist. Vielleicht gibt auf diese Frage schon die heiß erwartete Verfilmung, die zu einem Fünftel aus Sexszenen bestehen soll, eine Antwort: Kann sie auch als Selbsthilfeleitfaden, ja als Selbstermächtigung und Selbstverwirklichung (so die Soziologin über das Buch) interpretiert werden – oder geht es nur darum, Pornographie aus der Schmuddelecke zu holen und gewinnbringend zu einem Blockbuster machen? KONSTANTIN INGENKAMP Eva Illouz: Die neue Liebesordnung. Frauen, Männer und Shades of Grey. Suhrkamp digital 2013. ___________________________________________________________________________________________________________________________________ Generation Stress Den Jahrgängen 1970 bis 1980 bleiben viele Türen verschlossen Die zwischen 1930 und 1940 geborenen Deutschen gelten als besonders fleißig. Schaffe, schaffe, Häusle baue – das Motto der 1950er Jahre, als sie zu Erwachsenen gereift war, bildete ihr Lebensmotiv. Aus den Weltkriegstrümmern ihrer Kindheit gelangten sie zu kleinem Wohlstand und hatten mit Mitte Zwanzig zumeist ihre eigenen Familien gegründet. Eine Studie hat sich ihren Enkeln angenommen, den Jahrgängen 1970 bis 1980, Titel: „Die überforderte Generation. Arbeit und Familie in der Wissensgesellschaft“. (Verlag Barbara Budrich 2015, 253 Seiten). Wenig überraschen mag die darin getroffene Feststellung sein: Die in den Wohlstandsjahren der 1970er und 80er Jahre zur Welt gekommenen stehen heute unter enormem Druck. Trotzdem sie in eine Welt hineingeboren wurden, in der ihnen alle Türen offen zu stehen schienen sind ihnen heute viele verschlossen, Insbesondere im Fall von jungen Akademikern. Hauptursache für diese Entwicklung ist die Tatsache, dass heute immer mehr und länger gearbeitet werden muss, um ein einigermaßen auskömmliches Leben in Familie führen zu können. Reichten dafür 1965 noch 56 Wochenstunden aus, waren es 2008 bereits 67. Ein Elternteil allein sei so- mit nicht mehr in der Lage, die Familie zu versorgen. Hinzu kommt: vor 50 Jahren waren Vollzeitstellen die Regel, heute sind sie nicht mehr selbstverständlich. Nach Jahren ihrer Ausbildung balle sich bei den Mittdreißiger Akademikern so alles zusammen: der Kampf um eine gesicherte Existenz, die Suche nach einer Partnerschaft, idealerweise mündend in die Gründung einer Familie, die Kindererziehung. Dafür, so die Studie, wird heute nicht nur mehr Zeit als je zuvor aufgewandt, sie wird auch intensiv ausgefochten. Wie manche Lehrer sicher bestätigen dürfMICHAEL REBIEN ten. 8 BRÜCKENBAUER Agenda März| April 2015 _____________________________________________________________________________________________________________________________________ Lebensmittel retten jetzt auch in Friedrichshain „Wir sind jung. Wir sind stark“ Verstörende Bilder von Angriffen auf ein Asylbewerberheim, die heute aktueller denn je sind. Der Spielfilm versucht aus der Perspektive der Täter die Frage zu beantworten, wie es 1992 in RostockLichtenhagen zu den progromähnlichen Zuständen kam. Dabei weist er den Behörden eine Mitschuld zu: viel zu viele Menschen seien damals auf engstem Raum in Wohngebieten mit sozialen Problemen untergebracht worden. Foto: Zorro _________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ Berlins kleinste Oper Oper muss unter die Leute, darf nicht reserviert sein für ein gehobenes Publikum. Mit diesem Anspruch wird auf 85 Quadratmetern für abendlich gut sechzig Gäste im kleinsten Musiktheater der Stadt Programm gemacht – in der „Hauptstadtoper“. Das klassische Repertoire (Foto: Don Giovanni, Premiere war im Februar) wird ebenso gepflegt wie Neues ausprobiert. Nächste Premiere: Figaros Hochzeit, 27. März, 20 Uhr, in Friedrichshain, Landsberger Allee 61. MR Foto: Kämper ____________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________ 200 Millionen Tonnen Lebensmitteln landen aus deutschen Privathaushalten und dem Einzelhandel jedes Jahr deutschlandweit im Müll. Dem begegnen in Berlin rund 2.000 selbst ernannte Lebensmittelretter. Sie holen aus Supermärkten und Bioläden übrig gebliebene Lebensmittel ab. Diese gelangen dann über feste Verteilungspunkte an diejenigen, denen der Einkauf aus zumeist finanziellen Gründen nicht immer leicht fällt. Über eine Anmeldung im Internet gelangen Interessenten zu den Abholorten: www.foodsharing.de. Seit Jahresanfang steht ein Kühlschrank der foodsharing-Kampagne auch im von der Volkssolidarität getragenen Selbsthilfe-Treffpunkt in der Boxhagener Straße 89 in Friedrichshain. Für weitere Informationen: Telefon 030 2918348 oder Email [email protected]. SHTP BRÜCKENBAUER Friedrichshain-Kreuzberg interkulturell Boxhagener Straße 89, 10245 Berlin Telefon 030 2918348 Fax 030 29049662 Redakteur: Michael Rebien [email protected] Erscheinungsweise: Alle 2 Monate. Auflage: 1.500 Exemplare. Druck: Druckwerkstatt Klaus Regel, Samariterstraße 7, 10247 Berlin. Herausgeber: Volkssolidarität Landesverband Berlin e.V. Alfred-Jung-Straße 17 10367 Berlin www.volkssolidaritaet.de/berlin Vereinsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg VR 12136 B Steuernummer 27/630/51073. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen nicht der Meinung von Herausgeber und Redaktion entsprechen.