Westliche Projektionen, selbstzensur
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Westliche Projektionen, selbstzensur
P.P./Journal CH - 8038 Zürich DIE ORIENT ausgabe Fabrikzeitung Nr.244 September 2008 Für Asef Bayat, den Direktor von ISIM (International Institute for the study of Islam in the modern world) ist die muslimische Bevölkerung gefangen zwischen drei Eckpunkten: den autoritär-patriarchalischen, westlich-getragenen Familienherrschaften einerseits, den religiösen Fundamentalisten andererseits und zuletzt den westlichen Demokratisierungs-Interventionen. Im holländisch-iranischen Kunst/Activist-Magazin «Pages» fordert er deshalb einen Aktivismus aus dem Inneren, den er als «Art of Presence» bezeichnet. Er argumentiert, die Menschen in den Ländern des Nahen Ostens sähen häufig nur die Möglichkeit, sich dem Mainstream des durch Familie, Gemeinde und Vaterland dominierten sozialen Kontextes loyal zu beugen; die Alternative dazu besteht darin, die eigene Stimme versiegen zu lassen und jegliche politische Verantwortung abzugeben. Eine entscheidende Aufgabe von Kunst und Kultur sei es deshalb, aufmerksam zu machen; auf alternative Möglichkeiten, auf räumliche wie auch gedankliche Zwischenräume. Diesem Kredo entsprechend, setzt die vorliegende Ausgabe der Fabrikzeitung ihren Fokus auf Alternativkultur aus dem Nahen Osten, zeigt Projekte und Figuren aus Kunst, Theater und Musik. Es geht um Bedürfnisse, Missverständnisse, Schwierigkeiten; und vor allem um Möglichkeiten. Rabih Mroué Der libanesische Regisseur, Schauspieler und Performancekünstler Rabih Mroué im Gespräch über Tod und Glauben in seinem aktuellen Stück «How Lucy wished everything was an April Fool’s Joke», arabische Identitätsfindung, schwarzen Humor und innere Tabus. 3 «It’s on the way» – unterwegs in Teheran Charlotte von Bausznern reiste mit dem Theaterstück «Rashomon» in den Iran und versuchte, in die verborgene Welt hinter der touristischen Fassade zu blicken. Eine Geschichte von Aufpassern, Bloggern und Hintertüren zu Freiräumen. 4 Westliche Projektionen, selbstzensur, übersetzungsfehler & arabische identitätssuche «TunIsian Sandwich» Von homosexuellen Pornos, welche Lust am Exotischen mit rassistischen Machtfantasien vermischen, und Schwulen, welche von Sex mit arabischen Heteros träumen – die Selbstbestimmung der schwulen Orientalen interessiert dabei nicht. 5 I broke the law? No. The law broke me Hip Hop im Krisengebiet: Wenn die Kunst nicht von der Politik zu trennen ist. Ein Blick entlang der «lyrischen Fronten» im Nahen Osten. 7 Die Vielfalt der Traditionen Das «Ocora»-Label und die Diskussion um das Verschwinden traditioneller Musik 8 DIE ORIENT ausgabe «Das Hauptproblem ist die Selbstzensur» Der libanesische Regisseur, Schauspieler und Performancekünstler Rabih Mroué im Gespräch über Tod und Glauben in seinem aktuellen Stück «How Lucy wished everything was an April Fool’s Joke», arabische Identitätsfindung, schwarzen Humor und innere Tabus. möchte ich ändern. Weil die vorgefertigten Meinungen und Bilder so stark sind, ist das aber schwer. FaZ: Kaum eine Identität ist derzeit mit so vielen Stigmata und Stereotypen behaftet wie jene des Arabers. Welche Rolle spielen dabei die Massenmedien? Und welche Unterschiede bestehen zwischen der arabischen und der westlichen Presse? Sie fürchten die Polizei oder die Institutionen nicht, aber vor ihrer Religion, besser gesagt ihren religiösen Führern, haben sie grosse Angst. Die sagen ihnen, wenn sie nicht dies oder jenes täten, werde Gott nicht zufrieden sein. Es ist aber eine andere, seltsame Angst, nicht irdisch und dennoch sehr konkret. Die Leute sind brainwashed wie in einem totalitären System. Mroué: Grosse Medien, egal wo, sind immer Instrumente in den Händen der Mächtigen. Sie werden dazu genutzt, die öffentliche Meinung zu formen. Vergleicht man den Einf luss der arabischen und der westlichen Medien, muss man sehen, dass die arabischen im globalen Kontext keinerlei Relevanz haben. Denn wir als Libanesen, als Araber, die gesamte Dritte Welt, wir können keine Images prägen. Diese werden durch den Westen produziert. Weil es im Libanon einen Glaubenskonf likt gibt, fragen mich die Leute im Westen sofort nach meiner Religion. Wenn ich dann sage, ich sei Muslim, sagen sie: «Oh!» Sie haben sofort ein Bild im Kopf, und dieses sagt ihnen: Muslim gleich Terrorist. Welche Bilder zeichnen denn die arabischen Medien? Zum Teil zeichnen sie das Bild der ignoranten, unzivilisierten, arabischen Terroristen sogar nach. Der dominanteste Diskurs ist aber, dass der Westen böse sei, familienfeindlich, dass er uns zerstören wolle. Dort gäbe es all diese Krankheiten und Viren, die seien eine Gefahr für uns. Wir begegnen dieser Logik mit einer künstlerischen Auseinandersetzung. Ein Weg ist, zu sagen: Ich befinde mich ausserhalb von alledem und kann dann mit dem Finger zeigen, dies und das anprangern. Aber ich verorte mich innerhalb des Systems. Ich arbeite auch darin und versuche, diese Diskurse zu formen und sehr simple – und bitterböse – Fragen aufzuwerfen. Zum Beispiel? Israel ist unser Feind. Ok, das finde ich ja auch, aber ich will nicht drei Stunden darüber reden. Deshalb rede ich über andere Dinge. Was heisst es Libanese zu sein? Da gibt es sehr viele verschiedene Standpunkte, und wir kämpfen seit vielen Jahren ... ja, wofür, worum denn genau? Wenn man so blöde Fragen stellt, dann sieht man, wie kompliziert schon ganz grundsätzliche Dinge sind. Was wird deiner Meinung nach aus der westlichen Perspektive am öftesten übersehen? Der Unterschied zwischen Terrorismus und Widerstand. Eines unserer Stücke handelt von Selbstmordattentätern, die aber keine Islamisten, sondern libanesische Kommunisten sind, welche die Israelische Armee angreifen. Nicht, dass wir Selbstmordattentate unterstützten, aber in diesem Fall kann man nicht von Terrorismus sprechen, das ist Widerstand gegen Besatzer, die uns schlecht behandeln. Sie sind auf unserem Land, sie sind Soldaten, und wir haben das Recht uns zu wehren. Man muss die Frage stellen: Wie kommt eine säkulare Bewegung dazu, Selbstmordattentate auszuüben? In Europa löste das Stück heftige Diskussionen aus, denn für Westler ist immer sofort klar: Das ist Terrorismus. Diese Sichtweise Der Autor Samir Kassim hat geschrieben: «Radikale Islamisten kennen keine Angst.» Stimmt das? Für mich ist er kein Videogame, keine Metapher, keine Symbolik, es ist etwas, das ich konkret fühle. Du kommst aus dem Haus und von den Wänden starren dich aus Postern Getötete an. Du stellst das Radio an, und dort reden Getötete. Am Fernsehen siehst du Interviews mit Leuten, die getötet wurden. Es ist absurd. Wir Libanesen wollen die Toten nicht auf dem Friedhof beisetzen, also bestatten wir sie in uns. In unseren Herzen. Wenn du in einem Bürgerkrieg lebst, dann fragst du dich manchmal: Warum lebe ich noch? Aber dann denke ich wieder: Nein, ich wurde getötet, viele Male, und ich komme immer wieder zurück. Ist der Tod also eine Art Obsession? Es ist, als ob die Lebenden und die Toten sich vermischten. Und sie haben eine inzestuöse Beziehung. Was hat das für gesellschaftliche Konsequenzen? Dass die Libanesen Zombies sind. Sie leben weiter, als ob nichts geschehen wäre. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schnell sie den Tod vergessen und weiter leben. Das hat seine guten Seiten, ist aber auch sehr schädlich, denn sie sind auch sofort wieder bereit, einfach weiter zu machen. Töten und getötet werden. Trotzdem trieft das Stück vor Humor, es wird viel gelacht. Ja, es ist lustig, wenn die Leute immer wieder sterben und immer wieder auferstehen. Auch wir lachen darüber. Wenn wir «Lucy» in Beirut zeigen, halten sich die Leute die Bäuche vor Lachen. Und gleichzeitig schnürt es ihnen die Kehle zu. Es ist eine Strategie, um Distanz zu schaffen zwischen uns und der Tragödie. Wir brauchen die Distanz, um den Horror zu sehen. Erst dann können wir darüber nachdenken. Es wäre so einfach, bei diesem Thema nur auf die Tränendrüse zu drücken, aber dann könnte man gar nicht darüber nachdenken. Das Ding ist: Diese Menschen werden zwar manipuliert, aber sie glauben wirklich. Die vier Charaktere in meinem Stück lügen nicht, die glauben wirklich an ihre Sache, auch wenn sich ihre Positionen ständig ins Gegenteil verkehren. Die Leute wollen einen Führer, jemand, der sie retten kann und jedes Mal, wenn jemand sie verarscht, dann suchen sie wieder einen neuen Retter. Vor einiger Zeit wurde «Lucy» im Libanon verboten. Sie scheinen gefangen in einem Laufrad und hetzen möglichen Identitäten hinterher, für die sie sogar zu töten und sterben bereit sind. Einmal ist es eine nationalistische Ideologie, dann wieder eine konfessionelle, dann muslimisch-sozialistisch und so weiter. Die fragen sich gar nie, was sie als Individuum denken und wollen. Zensur ist eine recht perfide Form der psychischen Gewalt. Wie ist es möglich, sich diesem System zu entziehen? Dir scheint das ja gelungen zu sein. Es ist schwierig. Wenn ich komme und sage: «Ich bin säkular, ich bin Libanese, ich will einen libanesischen Staat», dann ist das problematisch. Wir sind Intellektuelle, Künstler und wir befinden uns in der merkwürdigen Position, für einen Staat kämpfen zu müssen. Ein Staat mit Gesetzen, einer Verfassung, Institutionen. Normalerweise befinden sich ja Leute wie ich in Opposition zum Staat, hier ist alles umgekehrt. Es ist nicht einfach derzeit, es herrscht immer noch Bürgerkrieg, aber wir geben jeden Tag unser bestes. In Beirut spiele ich meine Stücke an den grossen Theatern, auch ohne Bewilligung der Regierung. Ich muss sagen, ich bin nicht Teil der libanesischen Kulturszene, ich arbeite gegen den Mainstream. Aber ich bin nicht allein, es gibt auch andere. Wir sind eine kleine Gruppe, aber sie löst etwas aus. Es ist nichts Grosses, aber ich spüre, dass wir einen Einf luss haben auf die jüngeren Generationen. Und wie, glaubst du, wird sich die Situation in Zukunft entwickeln? Keine Ahnung. Ich kann nur für mich sprechen, und ich spüre, dass ich mich mit zunehmendem Alter immer einsamer fühle. Und vielleicht sind wir am Schluss alle ganz alleine. Noch vor fünf Jahren hatte ich viel mehr Leute um mich und es gab viel mehr Zusammenhalt und Gemeinschaftsgefühl. Es ist traurig, aber irgendwie auch ganz normal. Interview von Yvonne Kunz Zur Person Der 1967 in Beirut geborene Rabih Mroué ist Schauspieler, Regisseur und Dramatiker. Seit 1990 entwickelt er eigene Stücke, Performances und Videos, die weltweit zur Aufführung gelangen. Seine Arbeiten behandeln die Themen, die in der momentanen politischen Situation im Libanon unter den Tisch gefegt wurden. Er ref lektiert politische und ökonomische Zusammenhänge mit den Mitteln des halb-dokumentarischen Theaters und stellt so die dringend nötige Öffentlichkeit her. Was ist denn hier die Funktion von Humor? In «How Lucy wished that everything was an April fool’s joke», das gerade am Theater Spektakel zu sehen war, kommen auch dutzende Führerfiguren vor, denen die vier Protagonisten blindlings folgen. Was steckt hinter dem unbedingten Willen zu glauben? Lass es mich so sagen: Im Libanon gibt es 18 Konfessionen, alles Minderheiten, die zusammen leben. Das System des Landes beschäftigt sich nur mit der Frage, wie diese verschiedenen Minderheiten geschützt werden können. Der Staat wird von den Konfessionellen besetzt gehalten und diese wiederum vertreten nur die Interessen ihrer jeweiligen Gemeinschaft. Sogar das Parlament, die Regierung, das Kabinett, die Ministerien sind strikt aufgeteilt. Der Präsident der Republik zum Beispiel muss immer ein maronitischer Christ sein, der Premierminister immer sunnitischer, der Parlamentspräsident schiitischer Muslim und so weiter. Wie muss man sich die kulturelle Landschaft in Beirut vorstellen? Unter welchen Bedingungen arbeitest du? Ja, letztes Jahr wurde es komplett verboten. Danach hatte ich grosse Schwierigkeiten, Orte zu finden, die bereit waren, meine Stücke ohne Bewilligung zu zeigen. Also legte ich den Text der Behörde vor. Wir haben gekämpft und wir haben gewonnen. Genau. Es ist gefährlich. Dabei geht es nicht nur um Zensur durch die Regierung. Sie kommt von überall her, von der Gesellschaft, der Familie, der Schule. Bewusst und unbewusst beginnst du dich selbst zu zensieren, wegen all der Traditionen, die man verinnerlicht hat. Man sollte an den Tabus arbeiten, die in einem drin stecken, nicht an jenen der Gesellschaft. Wir müssen uns selbst provozieren, nicht den Staat oder andere Obrigkeiten. Es wäre für mich wirklich einfach, ein Stück zu schreiben, und anschliessend zensiert zu werden. Und dann bist du der Held, alle schreien: «In unserem Land gibt es keine Meinungsfreiheit!» Das ist zu einfach, dieses Spiel mach ich nicht mit. 1997 hatte ich mich entschieden, den Zensurbehörden meine Arbeiten nicht mehr vorzulegen und zeigte die Stücke dann an zwei, drei Abenden. Gratis. Und wenn die Polizei kam, konnte ich sagen, es sei ein Privatanlass. Wichtig war damals, dass ich mich nach meiner Entscheidung, die Stücke nicht von den Behörden genehmigen zu lassen, plötzlich sehr entspannt fühlte. Dann sass ich da und wusste, niemand würde mich mehr zensieren, und ich fragte mich: Ja, was schreibe ich jetzt? Da wurde mir klar, dass das Hauptproblem die Selbstzensur ist. Um was für Tabus geht es dabei? Jede Menge. Sexuelle oder ideologische. Immer sollte man sich selbst fragen: Wie weit kann ich mit dieser Idee gehen? Bekomme ich Angst vor einer Idee, dann weiss ich: Das ist interessant. Zurück zum Stück: Die Figuren sterben fortlaufend, sind dann mehr oder weniger lang tot, leben dann trotzdem weiter und sterben wieder. Wie präsent ist der Tod in deinem Alltag? Identität Beim Menschen bezeichnet Identität (v. lat. idem, derselbe) die ihn kennzeichnende und als Individuum von anderen Menschen unterscheidende Eigentümlichkeit seines Wesens. Analog wird der Begriff auch zur Charakterisierung von abgrenzbaren Entitäten verwandt. Bezogen auf unterscheidbare Größen bedeutet Identität auch eine größtmögliche Übereinstimmung. Meinung Eine Meinung (von indogermanisch moino Wechsel, Tausch) ist die in einem Menschen bestehende subjektive Ansicht bzw. Einstellung zu Zuständen, Ereignissen oder anderen Personen (rechtlich: Werturteil). Diskurs Der Begriff des Diskurses wurde laut unterschiedlichen philosophischen und allgemeinen Lexika ursprünglich in der Bedeutung „erörternder Vortrag“ oder „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet. Widerstand Als Widerstand wird die Verweigerung des Gehorsams (passiver Widerstand) oder das aktive oppositionelle Handeln gegenüber der Obrigkeit oder der Regierung (aktiver Widerstand) bezeichnet. Angst Angst ist ein menschliches Grundgefühl (neben Freude, Trauer, Wut und Scham), welches sich in als bedrohlich empfundenen Situationen als Besorgnis und unlustbetonte Erregung äußert. Auslöser können dabei erwartete Bedrohungen etwa der körperlichen Unversehrtheit, der Selbstachtung oder des Selbstbildes sein. Begriff lich wird dabei die objektunbestimmte Angst von der objektbezogenen Furcht unterschieden. Individuum Unter einem Individuum (lat.: unteilbar, aber auch nicht zu Teilendes) versteht man etwas Einzelnes in seiner Gesamtheit mit allen Eigenheiten und Eigenarten, die in ihrem Gesamtgefüge wiederum bestimmend sind für seine Individualität. Es bezeichnet also das räumlich und qualitativ einmalige Einzelwesen (seltener auch Einzelding). Minderheit Eine Minderheit ist eine demographische Gruppe auf einer bestimmten territorialen Einheit (Staat, Region), die sich durch bestimmte personale Merkmale von der Bevölkerungsmehrheit unterscheidet. Merkmale in diesem Sinne können Sprache, Rasse, Religion, Moral, sexuelle Identität, soziale Funktion u.v.a. mehr sein. Meinungsfreiheit Die Meinungsfreiheit ist das in einer Demokratie gewährleistete subjektive Recht auf freie Rede, Äußerung und (öffentliche) Verbreitung einer Meinung in Wort, Schrift und Bild sowie allen weiteren verfügbaren Übertragungsmitteln. Alle (westlich geprägten, mehr oder weniger kollektiv-zensurierten) Definitionen von de.wikipedia.org. 3 DIE ORIENT ausgabe «It’s on thE way» – unterwegs in Teheran Charlotte von Bausznern reiste mit dem Theaterstück «Rashomon» in den Iran und versuchte in die verborgene Welt hinter der touristischen Fassade zu blicken. Eine Geschichte von Aufpassern, Bloggern und Hintertüren zu Freiräumen. Februar 2008 kommen wir spät nachts am Imam Khomeini Airport in Teheran an und jagen mit dem Taxi durch die nachtleeren Strassen, vorbei an den riesigen Plakatwänden (Bilder von Märtyrern, Revolutionsführer Khomeini und seiner Schar von bärtigen Nachfolgern, von Fatimah, deren Gesicht aus weissem Licht in einer Pietà-ähnlichen Szene über einen toten Soldaten gebeugt ist), vorbei an den Werbetafeln für Nokia, Siemens und jedwede Haushaltsartikel, vorbei an den Stahlgerippen vorzeitig beendeter Bauvorhaben. Wir sind mit unseren Produktion «Rashomon», die vor zwei Jahren am Fabriktheater in Zürich Premiere feierte, ans Fadjr Festival eingeladen, das grösste Theaterfestival der Region. Dass die Strassen ab elf Uhr menschenleer gähnen, daran gewöhnen wir uns bald. «Wir sind weit hinter den Rest der Welt zurückgefallen», schreibt ein Blogger. Sie gieren nach allem, was aus dem Westen kommt, sind durstig und kompensieren ihre Bedürfnisse mit dem modernsten Mainstream. Das führt dazu, dass ein Iraner dich in Zürich schräg anschauen wird, wenn du immer noch mit einem Handy vom vorletzten Jahr telefonierst. Und dass du dich in Teheran mit einem Russischstudenten unterhältst, der zwar kaum fünf Sätze englisch kann, aber einfach so gerne alles wüsste, was es zu wissen gibt. Dafür sehen wir uns am nächsten Morgen mit einem Verkehrschaos sondergleichen konfrontiert: Regeln gibt es keine, wer schneller ist, hat Vorfahrt. Schneller will heissen: f linker im Kolonnen wechseln, wenden, abbiegen, reinfahren, denn die Höchstgeschwindigkeit beträgt bei diesen schieren Mengen an Autos üblicherweise 50 Stundenkilometer. Bis vor nicht allzu langer Zeit bekamen die Teheraner ihr Benzin praktisch umsonst, mittlerweile versucht die Regierung das Problem mit Abgaberegelungen in den Griff zu bekommen. «Und den Mädchen, den Prinzessinnen, schenkt der Papa ein Auto, damit sie sich nicht auf der Strasse zeigen müssen», bemerkt unser Dolmetscher. Unser Hotel liegt im Norden der Stadt, wohin diejenigen ziehen, die der verpesteten Luft entf liehen. Der Bazar gehört da schon fast wieder zum «südlichen Tumult» der ärmeren Gebiete, und dorthin nehmen wir Reissaus, zu zweit, die Kopftücher besonders eng anliegend. «Made in China» reiht sich an «Made in Taiwan», nicht gerade das, was man sich unter einem orientalischen Bazar vorstellt; eine wahllose Fülle an Geschmacklosigkeiten, aufgehellt mit dem Getränk, das garantiert wach und glücklich macht: frisch gepresster Granatapfelsaft – Blut für die Fruchtvampire. Nach drei Stunden stehen wir völlig erschöpft vor dem Eingangstor, hinter dem sich tausend unübersichtliche Gassen verzweigen, und haben vor allem eins bewirkt: Einen Tobsuchtsanfall unseres Aufpassers, den wir bald nur noch Mr. Haschmich nennen. Dass wir keine Sekunde um unsere Sicherheit fürchteten, lässt er nicht gelten; die Sorge ist der Vorwand, nicht der Grund: Von nun an ist alles nur noch «on the way». Das Taxi, das zu spät kommt und dessen Fahrer die nötige Gehirnwäsche durchlaufen hat, um die touristentaugliche Strecke zu nehmen. Das Visum, das verlängert werden sollte und nie wird. Wir stehen unter strenger Bewachung und die ergiebigste Taktik der Regierungsvertreter ist, mit ständigen Verzögerungen die Freiräume für Entdeckungen so minimal zu halten wie möglich: «It’s on the way», trink einen Tee. Gleichzeitig ist es die einzig wahre Art, den ewig unfertigen Zustand dieser Stadt zu akzeptieren: Das wird schon. Die zwanghafte Entdeckung der entspannten Langsamkeit. Wir fahren mit knarzenden Gondeln, deren vergilbte Etiketten auf eine Vergangenheit aus Deutschland hinweisen, ruckelnd und wackelnd auf den Tochal: Wir gleiten durchs Nichts, durch das dichte, beinahe greif bare Grau des Smogs, der wie ein gewaltiger Deckel über der Stadt ruht. 14 Millionen Einwohner hat Teheran, manchmal sind es 17, und natürlich werden es immer mehr. Nach Norden hin vom Elburgebirgsmassiv begrenzt, aus dem an schönen Tagen der Demawand ragt, wuchert sie gen Süden; aus den Hochhäusern werden Bruchbuden. Eine halbe Ewigkeit rattert unser Gefährt der Höhe entgegen, dann endlich bricht ein vergessenes Himmelblau durch und die Sonne – doch, es gibt sie noch – schüttet sich aus über Teherans Hausberg: Vormittags kann man weiter oben Skifahren, jetzt klemmen sich die jungen Teheraner Mülltüten unter den Hintern und rutschen kreischend und lachend den verschneiten Abhang hinunter. Eine willkommene Gelegenheit, das Kopftuch gleich ganz in den Nacken rutschen zu lassen, Worte miteinander zu wechseln, die man unter diesen Umständen beinahe zwanglos nennen könnte; sich kennen lernen, fern von den wachsamen Augen der Sittenwächter. Hier oben kann man atmen, und man kann einen Blick über eine gedeckelte Stadt werfen. Verschwunden unter dem Nebel des Verkehrs. Wir nutzen einen der wenigen freien Abende, schummeln uns an Mr. Haschmich vorbei, um uns einen Theaterabend im Keller eines Privathauses anzuschauen. Er wurde des Fadjr Festivalprogramms für nicht würdig empfunden, was wohl weniger mit Qualitätsfragen zu tun hatte. Ein paar junge Menschen – gestandene Schauspieler – in Militäranzügen üben sich im breitesten amerikanischen Englisch und hartem Kriegsjargon. Die Inszenierung arbeitet mit Mitteln, die an sich völlig überholt sind, das Thema, die Konf likte US-amerikanischer Soldaten, mutet weit hergeholt an – aber die Darsteller glühen. Unsere Zuschauer begeistern alle dadurch, dass sie ohne sozialen Vorbau auskommen, sie lassen sich auf das Spiel ein, ihr Vergleichskanon besteht aus nichts weiter als ihrer Person. Im Gästebuch unserer Produktion reiht sich ein radebrechender Beitrag an den anderen, alle verraten eine Sehnsucht nach Theaterformen, die Begegnung ermöglichen; Theaterformen also, die jenseits der Zensurgrenzen liegen. Auch hier zeigt sich wieder der Drang zum Neuesten, Performances interessieren mehr als klassisches Theater - selbst, wenn die Vorstellung davon vage ist und die Realisierung so gut wie nicht machbar. Um die Zensur und ihre Wächter zu umgehen, werden tausende Wege gefunden, manchmal führen sie mittendurch. Eneda, Künstlerin aus Teheran, bringt ihre Installationen auch nach Europa an die Biennale, weil ihre Kunstsprache für die Behörden unverständlich ist. In einer ihrer Installationen stehen mehrere Flaschen in einer Badewanne, die etwa bis zur Mitte der Flaschen mit Wasser gefüllt ist. In den Flaschen, die wiederum randvoll mit Wasser gefüllt sind, schwimmen Fische: Sobald das Badewannenwasser mit Tinte dunkel gefärbt wird, schwimmen die Fische ans Licht, in den noch so engen Flaschenhals. Eine subtile Art und Weise zu sagen: Ihr könnt’s noch so dunkel machen, wir suchen die Weitsicht, ihr könnt uns die Wege noch so eng bereiten, wir zwängen uns durch. DIE ORIENT ausgabe Am letzten Abend in Teheran sind wir im Norden der Stadt zu einer Party eingeladen. Erschrocken registriere ich die Spaghettiträger der Gastgeberinnen – es wird zur totalen Erlösung. Vodka wird getrunken, Madonna plärrt bis zum Stromausfall aus den Lautsprechern, es fühlt sich an, als sei man gerade ins Leben zurück gekehrt, hätte gerade gelernt, sich zu bewegen. Ohne diese Parties zu Hause läuft nichts in Teheran. Sie sind das zweite Gesicht der Stadt, wo zwischen öffentlichem und privatem Leben ein Tag- und Nachtwechsel liegt. Eine Bloggerin schreibt, in Teheran sei sie während einer Woche an so vielen Parties wie anderswo während drei Monaten gewesen. Hier ist der so sehr vermisste Freiraum. Die Hintertür, mit der sich der präsentierbare Vorgarten aushalten lässt. Trotzdem: Kann man sich abfinden mit diesem zweigeteilten Leben? Gewöhnt man sich daran? Teheran besteht aus einer übermässig jungen Bevölkerung und über 70 Prozent der Studierenden sind Frauen. Diese Menschen verändern sich, die Kluft zwischen Vorgebetetem und dem eigenen Horizont wächst, das Verlangen nach der eigenen Perspektive und der Möglichkeit sie zu leben kriegt die Repression nicht kleiner. «Gebt uns Zeit», bittet eine iranische Freundin: Noch so eine Revolution ist so ziemlich das letzte, was sich die Iraner so wünschen. Dass es anders werden muss, das wissen sie selbst. Der erste Abend wieder in Zürich: Mein letztes Päckchen Bahmanzigaretten, ein junger Kerl spricht mich an und bittet um eine. Ich steh unter dem blauen Deckel endlich wieder in meiner Nacht. In Teheran sitzt eine der grössten Blogger-Gemeinschaften der Welt, und man muss tatsächlich von Gemeinschaft sprechen, denn NachVon Charlotte von Bausznern richten werden schneller verbreitet als über die Presse, es wird heiss diskutiert über Politik und die privaten Freiräume. Sie hämmern in die Tasten, was sonst nicht gesagt werden darf. Immer mehr weichen von Farsi auf Englisch aus, einerseits weil sie in ihrer Muttersprache gefährdeter sind, andererseits weil ihnen klar geworden ist, dass sie nur so auch von der Welt gehört werden. Sie werden verfolgt, des Öfteren verhaftet, aber sie finden im unübersichtlichen Netz ihre Wege ans Licht, in die Freiheit einer Kommunikation. Eine Bloggerin schreibt: «Selbst wenn niemand diese Scheisse liest, es ist wie eine gratis Therapiesitzung.» Sie beweisen einen unschlagbaren Galgenhumor im Umgang mit einem von Kontrolle beherrschten Leben. Eine junge, begabte Studentin sieht sich eines Tages damit konfrontiert, dass ihr gesamter Computer Schrott ist. Es wird ihr abgeraten, ihn reparieren zu lassen: zu gefährlich. Ein Student soll gehängt werden, weil er schreibt, dass er zwar an etwas Höheres glaubt – nicht aber an den Gott, wie er im Buche steht. Solche Fälle Zweieinhalb Wochen lang laufe ich mit Wut im verbreiten sich jeweils wie ein Lauffeuer der SoBauch durch Strassen, deren Namen sich unablidarität. Beinahe jeder, mit dem wir sprechen, lässig ändern. Unterdrücke eine ständige Agkann von einem Gefängnisaufenthalt erzählen. gression, während ich unmerklich die Schrittart Sie sind wachsam geworden und analysieren der Stadt übernehme: Nach zwei Tagen hört der mit gnadenlos offenen Augen. Spass mit dem unbekannten Phänomen namens Kopftuch auf und es ist nichts als Schikane. Niemand kennt die genaue Regelung für den «HeAuf der Fahrt nach Esfahan bietet Marzie mir jab», die Vorschrift für Frauen, ihr Haar zu bededen Platz ihres Mannes an. Sie ist komplett eincken und einen Mantel zu tragen. Mal wird eine gehüllt und das erste, was sie mich fragt, ist, neue Zusatzregelung erlassen, wie das Verbot was ich vom Kopftuch halte. Sie selbst ist religivon «Stiefeln über Hosen» (kurz vor unserer Anös, aber der Tschador stört sie dann doch, stänkunft ausgerufen), mal wir die Länge des Kopfdig rückt sie ihn zurecht, zupft und zerrt dartuchs wieder lockerer gehandhabt. Moden entan. Sie schenkt mir ihren kompletten Proviant wickeln sich und passen sich dem Verwirrspiel (immer mit Pistazien und mindestens einer an, in dem jede nach bestem Gewissen raten Gurke). Als wir am Imam Khomeini Mausolemuss – und das sieht eben sehr unterschiedlich um vorbeifahren, und ich auf gut Glück erwähaus. Die einen geben sich die grösste Mühe, eine ne, dass wir auch diesen Schandf leck besucht Last wenigstens ansatzweise in eine Verschönehaben, verschliesst sich ihr Gesicht: Das grosrung zu verwandeln, frisieren den Pony in tause Versprechen von Khomeini hat sich zu eisend türmenden Varianten, schminken sich bis ner noch grösseren Enttäuschung gewandelt. zur Unkenntlichkeit und wer mit siebzehn noch Alles von diesem - für manche hoffnungsvoleine unoperierte Nase zur Schau trägt, ist einlen - Neubeginn hat sich ins Gegenteil verkehrt, deutig «out». Andere sagen der Verschwendung und im Mausoleum werden kreischende Mädvon Energie an einen Zwang den Kampf an. Trachenklassen in rosa und hellgrünen Schulunigen müssen sie es alle. Und damit umgehen, formen vor den vergitterten Überwurf geführt, dass kein Mann im Gedränge der Strassen eine über dem noch eines dieser Plakate von PopFrau auch nur versehentlich berühren würde. star-Übervater Khomeini hängt. Marzie weicht Die Wachsamkeit ist immer der erste Teil eines auf Hollywood aus, von dem sie begeistert erKennenlernens. Ist das lebensnotwendige Überzählt. Im gleichen Atemzug schimpft sie auf den prüfen abgeschlossen, bricht eine offene HerzSchmachtfetzen im Busfernseher, in dem die lichkeit, potenziert mit Neugier, umso umwerFrauen auch noch im Bad das Kopftuch nicht fender über dich herein. ablegen. Für die Pinkelpause halten wir mitten im Nichts, wo es zum ersten Mal Touristengeschenke und eine überfordernde Auswahl an Süssigkeiten zu kaufen gibt. Wir schlürfen unseren Beuteltee, ihr Mann tuschelt mit Marzie; «Er ist schüchtern», meint sie todernst und beweist, dass sie unter ihrem «Zelt» die Hosen anhat. Überraschenderweise lädt er mich in ihre Wohnung zum Essen ein. Sie schielt auf mein verrutschtes Kopftuch und ich nehme einen tiefen Zug an der Bahmanzigarette. 4 «I broke the law? No. The law broke me» Hip Hop im Krisengebiet: Wenn die Kunst nicht von der Politik zu trennen ist. Ein Blick entlang der «Lyrischen Fronten» im Nahen Osten. Ein Ort, wo die Gewalt seit Jahren Seelen zerbricht und den Asphalt aufreisst, wo Identitäten und Perspektiven mit einem Schlag prekär werden, ist auch ein gutes Pf laster für Hip Hop. Wie keine andere Strömung der Popgeschichte dient das Genre als Sprachrohr für jene, die sonst schlicht nicht zu Wort kommen und für Sichtweisen, denen sonst nirgends Platz eingeräumt wird. Die Parallelen zwischen den Ausgangssituationen des afroamerikanischen Originals und des relativ jungen Hip Hop des Nahen Ostens sind augenfällig. So kommt der Bewegung stark die von Public Enemys Chuck D benannte Funktion des «CNN der Strasse» zu; ein Kanal für Zorn und Frustration über Diskriminierung und Ohnmacht. Es überrascht nicht, dass Hip Hop auf dem nahöstlichen Krisenherd brutzelt, brodelt und zischt – und auch heiss gegessen wird. In Israel ist die Bewegung seit ihren Anfängen Mitte der Neunzigerjahre zu einem der bedeutendsten Genres des dortigen Musikmarktes aufgestiegen. Auch in den Palästinensergebieten strömen allen Widrigkeiten zum Trotz regelmässig tausende von Menschen an Konzerte der zahlreich gewordenen Reimkünstler. Paradebeispiel der «Glokalisierung» Als Produkt afrikanischen Erbes und amerikanischer Kultur lieferte Hip Hop ein Abbild der schwierigen Lebensumstände in den Ghettos, war Ausdruck tiefer Frustrationen, aber auch Soundtrack einer urbanen Partykultur. In den Neunzigerjahren hatte Hip Hop bereits eine Ausstrahlung erreicht, die weit über seinen ursprünglichen Kontext hinaus ging, und sich zu einem populären globalen Medium der Selbstdarstellung und –bestimmung entwickelt. In den vielfältigen Adaptionsprozessen wird die lokale Kultur nicht einfach amerikanisiert und Mc-Donaldisiert, sondern das Original auf die jeweiligen Umstände zugeschnitten. Hip Hop ist ein Paradebeispiel der «Glokalisierung», zeigt komplexe globale Flüsse, die zur Bildung von sozialen und kulturellen Identitäten beitragen. Im Nahen Osten orientieren sich zwar bis heute viele Hip Hop-Acts unverkennbar an der Ästhetik und dem Stil des US-amerikanischen Vorbilds, dennoch werden Inhalte und die musikalischen Ausprägungen inzwischen fast vollständig durch die lokal vorherrschenden politischen und kulturellen Verhältnisse bestimmt. Im Zentrum des Hip Hop-Fiebers stand vorerst die Lust an der kulturellen Neuerung, ein wahrer Heisshunger nach Innovation. Als 1995 die rappenden Rocker Shabak Samech den ersten israelischen Hip HopHit landeten, war das einfach cool, trendy, sexy und alles andere als politisch. Der Videoclip zeigte junge Leute in Hip Hop-Kleidern, die in den staubigen Strassen eines israelischen Dorfes auf Autos auf- und abspringen, Fenster einschlagen und das saulustig finden. Hip Hop schlug ein wie eine Bombe, denn viele Leute waren des traditionsbeladenen Pop- und Discokitschs längst überdrüssig geworden. Westliche Beats begannen mit orientalischen Samples zu verschmelzen, Rockelemente wurden beigemischt, Reden von Arafat verscratcht und da und dort waren bald die ersten Dancehall-Klänge auszumachen. Die hebräische und etwas später auch die arabische Sprache wurden gedehnt und neu erfunden und in das neue Format eingepasst. Neben Shabak Samech erlangten auch HaDag Nachash und Subliminal Starstatus und die Bewegung begann sich entlang ethnischer und sprachlicher Grenzen zu diversifizieren. Neben dem jüdisch-israelischen Hip Hop enstand auch die Szene der äthiopischen Juden, die in den Neunzigerjahren nach Israel einwanderten, und auch die nach der Grenzziehung von 1948 innerhalb von Israel verbliebenen Palästinenser griffen zum Mirkofon. Das Trio MWR veröffentlichte 1999 gar den ersten arabischen Rap-Track überhaupt, «Ashanak Arabi – Because you’re an Arab». Innerhalb des Genres begann sich die Bewegung in Mainstream und Minderheiten zu scheiden, eine Unterteilung, die bis heute gilt. Grob gesagt befasst sich der Mainstream mit der nationalen Identität und der säkularen Seite der jüdisch-israelischen Geschichte, während die Rapper der Minderheiten den Fokus auf soziale und institutionelle Unterdrückung sowie Rassismus richten. Wenn das Lächeln schwierig wird Mit der zweiten Intifada im Jahr 2000 fand der Friedensprozess ein jähes Ende, Palästina wurde durch Israel grossf lächig demoliert und palästinensische Selbstmordattentäter versetzten Israels Bevölkerung in Angst und Schrecken. Ein gesellschaftliches Totalereignis, dem sich niemand entziehen konnte und das in der kulturellen Landschaft des Nahen Ostens für einen heftigen Ruck sorgte. Menschen starben, Existenzen wurden zerstört und Freundschaften zerbrachen – auch innerhalb der Hip Hop-Szene. Im Dokumentarfilm «Channels of Rage» (2007) zeichnet die israelische Filmemacherin Anat Halachmi das bittere Ende der musikalischen Zusammenarbeit von Subliminal und dem palästinensischen Israeli Tamer Nafar nach. Vor der Zäsur hatte Subliminal den aufstrebenden Nafar und seine Crew DAM (Da Arab MCs) unter seine Fittiche genommen, doch die Intifada zog ihnen den Teppich unter den Füssen weg, auf dem sie zum Olymp des Nachost-Hip Hop f liegen wollten. Ihre unüberbrückbaren Differenzen stehen stellvertretend für den allgemeinen Sog, der die Menschen erfasste, politisierte und die Kommunikation zwischen den Kulturen abschnitt. In einem Interview mit der «Zeit» erzählt Tamer Nafar, wie schwierig es wurde, die Leute auf der Strasse anzulächeln – es könnte ja sein, dass der Passant zu jenen gehörte, die einst seine Familie enteignete. Tamer Nafars Crew DAM bescherten die auff lammenden Unruhen mit ihrer ersten Singleveröffentlichung «Meen Erhabe – Who’s the Terrorist?» den grossen Durchbruch. Der nur online veröffentlichte Song wurde innerhalb weniger Wochen über eine Million Mal herunter geladen, heute sind sie die Superstars des pälestinensischen Rap. Sie nutzen ihre Musik als Plattform für mannigfaltigen Protest, rappen nicht nur in Arabisch, sondern auch in Hebräisch und Englisch, um ein grösseres Publikum anzusprechen. In den palästinensischen Autonomiegebieten schossen weitere Gruppen, etwa RFM oder die Palestinian Rappers, wie Pilze aus dem Boden. Auch das Kollektiv Ramallah Underground, deren Mitglieder vor der Intifada noch nicht mal Lyrics schrieben, sondern nur mit Sounds aller Art experimentierten, weil sie die kitschigen arabischen Plastikbeats nicht mehr hören konnten, griffen zum Griffel. Anlass war, dass sie im Jahr 2003 während 22 Tagen das Haus nicht verlassen durften. «Es war der reine Terror, pure psychologische Unterdrückung», sagte Rapper Aswatt gegenüber dem dubaischen Internetportal «7 Days». «Es gab schon immer viel zu sagen, aber damals verspürte ich den unbändigen Drang, wahrheitsgetreu über meinen Alltag zu sprechen.» Davidstern als Fashion-Statement Auch in der israelischen Szene änderten sich Fokus und Tonfall, die krasseste Wandlung vollzog sich bei Subliminal, der zum f lammenden Patrioten mutierte. An seinen Konzerten entsteigt der selbst ernannte «King of Israeli Hip Hop» einem gigantischen Davidstern und der Kampfruf «Tod den Arabern» erklingt aus tausenden von Kehlen. Seine Stücke werben voller Pathos für den Militärdienst, die Angehörigen der Soldaten beschwört er, stark zu sein, wenn diese in einem Sarg aus dem palästinensischen Einsatzgebiet zurückkehren. Obwohl er mit Zeilen wie «Das Land hängt noch immer wie eine Zigarette in Arafats Mund» für viel Befremden sorgte, traf er bei vielen israelischen Jugendlichen einen Nerv. Er habe es wie kein anderer verstanden, ihre Frustrationen und Ängste in Worte zu fassen, lobt das amerikanische «Jewish Journal». Genrekonform brachte der sich stark am amerikanischen Geschäftsmodell orientierende Subliminal eine Kleiderlinie auf den Markt – das Logo ist ein Davidstern und dieser baumelt auch gross und golden vom Ende seiner schweren Halskette. Geschadet haben ihm nicht mal auf kommende Faschismusvorwürfe, im Gegenteil: Auf seinem neuesten Album «Just when I thought it was all over» machten 2006 Killah Priest und Remedy vom Wu-Tang Clan, Ashanti und Wyclef Jean ihre Aufwartung. Mit einem Hip Hop-Remake der Nationalhymne trat er dieses Jahr bei den offiziellen Feierlichkeiten zum 60 Jahre Jubiläum Israels auf und führte während fünf Wochen die Charts an. Solche Reaktionen blieben jedoch die Ausnahme, die meisten Acts betonen unermüdlich, dass sie gegenüber den Arabern keine Feindschaft hegen. Insgesamt tendiert der neuere hebräische Hip Hop hin zum sozialkritischen Kommentar, der Themenbereich ist weit gefächert: Korruption, Kindsmissbrauch, Ungleichheit, die missliche wirtschaftliche Lage. Diese schwerverdaulichen Themen werden mit dem berühmten jüdischen Humor vorgetragen, der sich facettenreich durch die Texte zieht. Die israelischen Rapper sind virtuos im Umgang mit Stilmitteln wie Sarkasmus oder Parodie, mit cleveren Textkonzepten begegnen sie den zahllosen Widersprüchen, mit denen sie täglich umgehen müssen. Einer der grössten jüdisch-israelischen Hip Hop-Hits, HaDag Hachashs «Sticker Song» besteht ausnahmslos aus Slogans von in Israel sehr beliebten Autoauf klebern und lässt so die Gegensätze plakativ aufeinender prallen: «Eine starke Nation macht Frieden», «Eine ganze Generation fordert Frieden», dann aber «Kein Frieden mit den Arabern» und «Weg mit den Samthandschuhen». Das Resultat ist eine absurde Bricolage von sich widersprechenden Mantras, aber auch einer pluralistischen politischen Debatte, in der die Teilnehmer ihre Meinung öffentlich artikulieren können. Auffällig ist, dass im jüdischen Hip Hop die schwierigen jüdisch-arabischen Beziehungen zwar angesprochen werden, aber die skeptische Grundstimmung der Israeli unhinterfragt bleibt. Offene Kritik äussern nur die Rapper der palästinensischen Minderheit im Land und diese wiederum prangern vor allem die Zustände im eigenen Dorf an. DAM etwa stammen aus dem Grenzort Lod, der in Armut, Kriminalität und Drogenelend versinkt – als direkte Folge von Diskriminierung. Damit verbindet sie natürlich wieder einiges mit jenen Afroamerikanern, die vom Fremdsein im eigenen Land berichteten und von einer durch Gewalt und Verelendung geprägten Lebenswelt erzählten. «Wir brauchen bloss aus dem Fenster zu blicken, dann sehen wir Leute vor der Polizei f lüchten, tote Freunde, Drive-by Shootings», gibt Tamer Nafar in einem Fernsehinterview mit der britischen BBC zu bedenken. Ein zweischneidiges Schwert Bei der Auseinandersetzung mit diesem kulturellen Phänomen ist es schwierig, um die Klippen der Klischees herum zu navigieren, denn Nuancen und Differenzierungen gehen schnell verloren. Schon das Genre Hip Hop an sich weist eine grosse Zerrissenheit auf, ist gleichermassen Sprache des hemmungslosen Materialismus und trotzdem eine Plattform für Underdogs. Innerhalb dieses Schemas nehmen die Paläs- 5 tinenser einen besonderen Platz ein. Sie sind weltweit Symbole für den Kampf aller Unterdrückten – ob sie wollen oder nicht. «Wenn wir im Ausland auftreten, dann hat es garantiert immer eine palästinensische Flagge auf dem Konzertf lyer», sagte Boikutt vom Ramallah Underground Kollektiv, das zu einem Netzwerk für verschiedenste zeitgenössische Kunstformen herangewachsen ist. Das Resultat sei, so Boikutt weiter, dass dann vor allem Exilpalästinenser und Politaktivisten an ihre Konzerte kommen und nicht die Musikliebhaber. «Wir würden lieber als Leute wahrgenommen werden, die Musik machen und zufälligerweise Palästinenser sind denn als Palästinenser, die Musik machen.» Gerade bei Palästinensern wird quasi vorausgesetzt, dass sie hoch politisierte Freiheitskämpfer sind, erfüllen sie diese Erwartung nicht, dann würden sie als ignorant gelten. Dass sie als Künstler aufgrund ihrer intellektuellen Fähigkeiten und ihres Könnens beurteilt werden wollen – was ja wahre Emanzipation bedeuten würde – wird oft ausgeblendet. Der palästinensische Politiker Azmi Bishara brachte es so auf den Punkt: «Alle Welt liebt den palästinensischen Freiheitskampf. Aber sie hasst die Palästinenser.» Damit leben die palästinensischen Hip Hopper in einem bittereren Widerspruch, der sich so schnell nicht lösen lässt. Gegen aussen sind sie die Symbole für einen Freiheitskampf, den sie aber gegen innen genauso austragen. Denn für die islamistisch-fundamentalistischen Kräfte in Palästina sind sie des Teufels, weil sie eine moderne westliche Kultur verbreiten. Bei Auftritten in den Autonomiegebieten wird regelmässig die Stromzufuhr unterbrochen, auch schon lösten bewaffnete Hamaskämpfer Hip HopKonzerte in Gaza auf. Der Dokumentarfilm «Slingshot Hip Hop» (dt. Steinschleuder-Hip Hop) beobachtet die Künstler dabei, wie sie im Alltag mit den vielen Hindernissen klar kommen. Tamer Nafar berichtet vom schwierigen Los, arabischer Israeli zu sein. Es gäbe viele hervorragende Künstler, die im explodierenden Markt des arabischen Raps keinen Einlass finden. «Wir sind Verräter, weil wir den israelischen Pass haben.» Dann fragt er: «Seit wann definiert dein Pass deine Persönlichkeit, dein Talent oder deine Kunst?» Von Yvonne Kunz Channels of Rage, 2007, Anat Halachmi Slingshot Hip Hop, 2007, Jackie Salloum DIE ORIENT ausgabe DIE ORIENT ausgabe «TunIsian Sandwich» Homosexuelle Pornos vermischen Lust am Exotischen mit rassistischen Machtfantasien. Schwule träumen von Sex mit arabischen Heteros – die Selbstbestimmung der schwulen Orientalen interessiert dabei nicht. Das prä-queere Kultbuch «Drei Milliarden Perverse», eine Spezialnummer des französischen Magazins «Recherches», ist so legendär wie rar. 1973 herausgebracht vom Philosophen und Aktivisten Felix Guattari, findet sich darinneben Texten zu schwuler Militanz, Pädophilie, Polysexualität oder Porno-Poesie eine anonyme Gruppendiskussion über das Verhältnis von schwulen Franzosen und Arabern. Der Text heisst: «Die Araber und Wir». Es ist der verstörendste Text dieses heute fast vergessenen Kult-Buches, an dem unter anderem auch Jean Genet, Jean-Paul Sartre, Michel Foucault und Gilles Deleuze mitwirkten, und das Guattari damals 600 Francs Busse wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses einbrockte. In besagtem Gruppengespräch diskutieren offensichtlich weisse, französische schwule Männer über ihre geheimen sexuellen Freundschaften und Affären mit «Arabern». Darin finden sich hochinteressante Statements, wie sich zwei verschiedene und doch in Frankreich eindeutig marginalisierte Identitäten der Siebziger (denen auch in den Kämpfen um 1968 keine grosse Rolle als politische Subjekte zugestanden worden war), im Alltag erotisch streiften, berührten, begehrten. Diese im sozialen Raum nicht geduldete Liason, welche auch von der Homophobie der Araber und dem Rassismus der weissen Schwulen durchdrungen war, hatte den Transgressionsappeal der politischen Uncorrectness. Er war ein Schock für den Mainstream, war aber auch in der arabischen Community unaussprechbar. Die weissen Schwulen hingegen erotisierten die Männlichkeit ihrer Gegenüber und verfielen dabei dem Exotismus. Die Durchdringung einer Beziehung mit Macht und Lust wird im Zitat eines Schwulen über seine letzte Affäre mit einem «Araber» sehr klar: «Er hat mich gefickt. Ich stand unter dem Gesetz des Mannes, und nun will ich ihn dem Gesetz meiner Kultur unterwerfen.» Der geile Muezzin Auch heute ist «der Araber», nach der Globalisierung, der Kolonialismus- und Migrationsgeschichte Europas, dem Israel-Palästina-Konf likt und dem elften September wieder im Zentrum der First-World-Phantasmatik. Und wo Ängste zirkulieren, ist bekanntlich die obszöne Phantasie nicht weit. Das zeigen auch zeitgenössische heterosexuelle und schwule Pornos mit ihrem Blick auf «den Anderen». Über Pornos aus Frankreich und Israel und ihre Repräsentation von «Arabern» geht es in diesem Text. Denn der Porno bleibt, gerade weil er – wie das Horrorkino – nicht in die Alltagsmedien integriert ist, einer der primären Orte des Filmes, wo Gefüge von Trauma und Angst und Lust ausagiert werden können. 6 Die hyperaktive und knallbunt gekleidete Liad Kantarowicz, eine Art Pipi-Langstrumpf des politischen Aktivismus in Tel Aviv, hat sich viel mit israelischem Rassismus beschäftigt und gehört auch zur staatskritischen Gruppe «Anarchists Against the Wall». Aber Liad ist auch queere Pro-SexAktivistin und Sex-Arbeiterin. Letztes Jahr beim 2. Berliner Pornofilmfestival (das dritte steigt diesen Oktober) hielt sie einen informativen wie kritischen Vortrag über soziale und politische Tabus in der israelischen Pornographie. Sie legte gleich klar, wie besessen der israelische Porno von «Arabern» ist. Doch natürlich findet man keine Araber, die Rollen in einem israelischen Porno übernehmen. Deswegen werden «die Araber» von Israelis dargestellt, was eine durchaus trashige, aber wirksame Klischee-Fantasienmaschine anwirft und «die Araber» zu Karikaturen macht. Der Erfolg von Filmen mit Titeln wie «Tunesian Sandwich», «The Horny Muezzin» und «Shaved Arab Pussies» wird nur noch von Pornos mit «echten Arabern» übertroffen. Nicht zuletzt, weil die eigentlich verboten sind. Als ein Libanese Sex mit seiner Ex-Freundin im Internet veröffentlichte, glotzten geschockte Libanesen und faszinierte Israeli zu Tausenden mit. Das Mädchen aus dem Film lebt übrigens nach der Verbreitung ihres Gesichts gefangen in einem Netz aus Angst vor Gewalt und gesellschaftlichem Ausschluss im Verborgenen. Doch an dieser Stelle sollte man auch daran erinnern, dass auch in Deutschland die Karriere der türkischen Schauspielerin Sibel Kekilli («Gegen die Wand») zerstört wurde, als herauskam, dass sie einst als Pornodarstellerin tätig war. Homosexualität als Mythos nige männlicher Weiblichkeit. So lange der Schein als «normaler Mann» aufrechterhalten wird, gibt es wenig Probleme. Das kreiert durchaus subversiven Spielraum, aber auch noch stärkere Repression gegenüber femininen Schwulen und Transen. Wie in anderen – auch europäischen – homophoben Staaten ist der einfachste Weg also das «Passing» als Heterosexueller. Die Erotik des Schreckens Auch im heutigen Frankreich wird zunehmend mehr Pornographie mit Migranten produziert. «Gay Ethnic Pronography» ist nach dem Pariser Queer-Theoretiker Maxime Cervulle eines der erfolgreichsten Subgeneres der schwulen Porno-Marktes. Insbesondere das Label «Studio Beur» ist bekannt geworden durch die Darstellung möglicherweise heterosexueller Migranten aus dem arabischen Raum. Gangsterund Hip Hop-Klischees sowie proletarische Männlichkeit treffen hier auf harten schwulen Sex, der von den weissen Zuschauern begehrt wird. Dass «die Araber» angeblich heterosexuell sind, aber Sex mit weissen Schwulen haben scheint ein besonderer Kick zu sein: Der «Studio Beur»-Produzent und –Regisseur Joen-Noel Rene Clair erzählte in einem Interview mit einer schwulen Website, dass er mit seinen Performern eine sehr «männliche» Beziehung hätte. Er würde sogar fiktionale Freundinnen erfinden. Es wäre wichtig, dass es hier nicht um ein «Schwuchtelding» ginge. Männlichkeit und Hetero-Performance werden also schon vom Regisseur mit aufrechterhalten. Ob sich allenfalls der eine oder andere Performer gerne outen würde, interessiert ihn nicht. «Der heteromachistische Araber» scheint genau in die Reihe der schwulen Phantasmen von homophober Unterdrückung zu passen. So verbinden die Filme des «Studio Beur» Rasse mit Sexualität. Und Identitäten, die sie fürchten, haben Schwule schon immer erotisiert. Siehe den Polizisten bei Y.M.C.A (Warum gibt es eigentlich kein schwules Begehren für Psychoanalytiker nach der langen Geschichte der Pathologisierung schwulen Begehrens?) Doch leider dreht sich der Spiess teilweise um, wenn die Identitätsfetische der Lust selbst Unterdrückte sind. Die Antwort auf diesen Konf likt der verschiedenen Achsen von Macht wären im Moment mehr geoutete schwule Araber und mehr weisse Schwule, die gerade deren Schwulsein begehren. Eine weitere neue Verkettung zwischen israelischen und palästinensischen Begehren, erzählte Liad Kantarowicz, findet in der schwul-lesbischen Underground-Szene von Tel Aviv statt, in der Transgenders und Drag Kings zwar noch eine Seltenheit, aber keine Unbekannten mehr sind. Als vor ein paar Jahren das erste Mal ein junger, palästinensischer Schwuler als Drag Queen auf einer Party im besetztem Territorium nahe Tel Aviv performte, wurde er von den anwesenden «Arabern» begeistert supportet. «Geoutet ist die palästinensiche schwule und lesbische Community noch nicht», schreibt Kantarowicz. «Aber sie ist auf dem Weg dahin.» Von Tim Stüttgen Die Forderung nach Outing ist zwar trotz seiner identitären Begrenzung unablässlich in einer homophoben Gesellschaft, doch eigentlich ist die Geschichte der Identität in der arabischen Welt eine andere als im Westen. Die Vorstellung, wonach sexuelle Orientierung und Gender zusammen die innere, feste Identität eines Menschen bilden, ist eine konkrete Erfindung des westlichen Europas. Dass sexuelle Praktiken das Innere des Menschen widerspiegeln, dass es also Heteros und Homos gibt, gilt in der arabischen Welt immer noch als Mythos. So lange ein Ehemann sich nicht homosexuell nennt, mag er durchaus Sex mit Männern praktizieren. Das grosse Tabu ist eher dasje- Liad Kantarowiczs Text «Queen Hussein» zu Queerness in Palästina findet man hier: mrzine.monthlyreview.org/kantorowicz010606.html 7 Referenzen: Die deutschsprachige Version von «Drei Milliarden Perverse» findet man manchmal noch in Antiquariaten. Es erschien 1980 in der Reihe «Schwule Texte» im Verlag Rosa Winkel, Berlin. Ein vielschichtiger Text zur kontroversen Arbeit «Die Araber und Wir» und der Geschichte des Buches «Drei Milliarden Perverse» findet man von Gary Genesko auf: www.rhizomes.net/issue11/genosko.html Maxime Cervulles Text «Erotic / Exotic. Race and Class in Gay Ethinc Pornography» erscheint Ende Jahr im Buch «Post Porn Politics». Herausgegeben von Tim Stüttgen, b-books, Berlin. DIE ORIENT ausgabe «Die Vielfalt der Traditionen» Das «Ocora»-Label und die Diskussion um das Verschwinden ursprünglicher Musik Um es gleich vorweg zu benennen: Kein Mensch braucht das Genre Weltmusik. Schon der Begriff ist völlig irreführend. Letztlich spielen auch Madonna und Radiohead Weltmusik, oder stammen sie etwa von einem anderen Planeten? Unter diesem Begriff hat sich in den westlichen Ländern ein seltsamer musikalischer Hybrid ausgebreitet, der in der Regel nichts anderes meint, als auf westliche Hörgewohnheiten zugeschnittene Musik aus nichtwestlichen Ländern. Mit traditioneller Musik – ebenfalls ein problematischer, aber nicht ganz so irreführender Begriff – hat das meist nichts zu tun. Natürlich ist es völlig legitim und musikalisch oft auch gewinnbringend, wenn sich westliche Pop-, Rock- und Jazzmusik so genannte Folklore aneignet. Doch das, was in Weltmusik-Regalen angeboten wird, hat weniger mit Bereicherung als mit Angleichung zu tun. Es ist eine falsch verstandene, nämlich kulturindustriell lancierte Form der Assimilierung und damit oft Ausdruck eines latenten Rassismus und Exotismus, der die Klischees vom heissen «latin lover» oder primitivistischen AfroTrommler fortschreibt. Dem gegenüber ist die Archivierung von traditioneller Musik erst einmal wertneutral. Das stellt die von Radio France herausgegebene «Ocora»-Reihe wie kein anderes Label auf hohem Niveau unter Beweis. Ganz gleich, ob Musik aus Indien, Marokko, Spanien, Armenien, Chile oder Nigeria: Die Aufnahmen von «Ocora» sind um grösstmögliche Authentizität bemüht, ein Begriff, der in diesem Fall ausnahmsweise einmal Sinn macht. Das bedeutet: Keine CD aus dieser Reihe schmeichelt westlichen Ohren. Im Gegenteil, selbst und gerade Aufnahmen aus Europa, zum Beispiel «Danemark – Chanteurs et ménétriers» oder «Belgique – Ballades, danses et chansons de Flandre et de Wallonie» klingen dermassen sperrig und stellenweise sogar atonal, dass man sich wundert, welch eigentümliche Musik sich sogar in unseren Breitengraden entdecken lässt. Die «Ocora»-Reihe ist weltweit einzigartig und in gewissem Sinn Resultat der imperialen Geschichte Frankreichs. Der Edition selbst haftet der positivistische Geist des neunzehnten Jahrhunderts an, dem es vor allem darum geht, die Vielfalt traditioneller Musik ohne Unterschiede und Wertungen möglichst lückenlos zu dokumentieren. Vom Umfang her hat die Reihe etwas Enzyklopädisches, wirkt wie der verzweifelte Versuch, die traditionelle Musik aus möglichst allen Winkeln dieser Erde auf Tonträger zu bannen, solange sie noch nicht verschwunden ist. Aber es wäre zu einfach, die «Ocora»-Edition nur unter diesem Aspekt zu betrachten und zu beklagen, dass der westliche Pop die hier dokumentierte Artenvielfalt langfristig aussterben lässt. Einmal abgesehen davon, dass Folklore selbst permanenten Veränderungen unterworfen und daher nichts Statisches ist, sondern sich durch ständige Migrationsbewegungen nationalen Eingrenzungen – zum Glück – entzieht, ist die Existenz einer Reihe wie «Ocora» ja bereits der beste Garant, dass solche Traditionen nicht wirklich aussterben. So unterschiedliche Popmusiker wie Squarepusher und Animal Collective haben erklärt, dass sie sich intensiv mit Aufnahmen traditioneller Musik beschäftigen und diese in ihre eigene Musik integrieren – ohne dabei dem Etikett Weltmusik zu entsprechen. Was ist aber der Grund dafür, dass ausgerechnet viele der europäischen Aufnahmen der «Ocora»-Reihe in unseren Ohren fremd oder zumindest ungewohnt klingen, Aufnahmen wie das türkische «L’art vivant de Talip Özkan» oder die kurdische CD «Zikr et chants soufis» dagegen vergleichsweise vertraut? Womöglich liegt es daran, dass traditionelle Musik in den meisten europäischen Ländern nicht mehr in einem aktiven Austausch mit anderen Musikspielarten steht und aus dem Alltag nahezu völlig verschwunden ist. Selbst das Wissen um sie ist von Schlager, Chanson oder volkstümlicher Musik absorbiert worden. In einem Land wie der Türkei dagegen gibt es keinerlei Musikspielart von HipHop bis Heavy Metal, von Punk bis Dancef loor, die nicht von der traditionellen Musik des eigenen Landes durchdrungen wäre. Dies hat erst einmal nichts mit Chauvinismus zu tun, sondern mit Eigenständigkeit. Eine türkische Metal-Band weiss, dass niemand sie bräuchte, wenn sie nur wie eine Kopie westlicher Vorbilder klingen würde. Fatih Akins Dokumentarfilm «Crossing The Bridge – The Sound Of Istanbul» (2005), in dem Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten den unterschiedlichsten Musikern in der türkischen Metropole nachspürt, macht deutlich, dass dort jegliche Musik traditionelle Elemente enthält. Selbst die Gangsta Rapper sind stolz auf ihren arabesken Sound, der nicht einfach nur die amerikanischen Ghetto-Sounds nachahmt. Was der Film allerdings verschweigt, musste ich auf einem Symposium in Istanbul vor drei Jahren erleben, bei dem auch Alexander Hacke anwesend war. Das türkische «Bant»-Magazin hatte Journalisten aus ganz Europa zu einer Tagung über Popkultur eingeladen. Am Rande der Veranstaltung wurde auch darüber diskutiert, dass «Bant» von vielen Jugendlichen in der Türkei angefeindet wird, weil es sich vorwiegend mit westlicher Independent-Musik beschäftigt. Dass «Bant» nun dem türkischen Publikum mit einer Zeitverzögerung von zum Teil über zehn Jahren Bands wie Fugazi oder Sigur Ros nahe bringt, wird von seinen Gegnern als Verwestlichung und Verrat an der eigenen Musikkultur empfunden. Hier zeigt sich die Kehrseite einer von traditionellen Elementen durchdrungenen Musikkultur: Das Fehlen des Traditionellen wird sofort als Identitätsverlust kritisiert. Für europäische Ohren klingen solche Argumente ziemlich absurd, ganz so, als ob man eine deutsche Band ablehnen müsste, sobald sie keine Jodler in ihre Songs einbaut oder die schottischen Belle & Sebastian nicht hören dürfte, weil in ihrer Musik kein Dudelsack vorkommt. Vielleicht müsste man dem entgegen halten, dass Popund Rockmusik in Europa längst zu neuen Formen von Folklore geworden sind, was nichts mit Verlust, sondern lediglich mit Identitäts-Verschiebung zu tun hat. 8 Und doch konnte sich ein Label wie «Ocora» wahrscheinlich nur in Westeuropa ansiedeln, wo der Blick und die Ohren noch immer mit ein wenig Neid und Bewunderung vernehmen, wie vielfältig und lebendig die traditionelle Musik im Orient, im Balkan, in Afrika und Fernost ist. Man kann und sollte die Aufnahmen von »Ocora« lieben, ohne sie gleich für einen Diskurs über Identitäten und Traditionspf lege zu instrumentalisieren. Gute Musik im Sinne von intensiven, den ganzen Körper erschütternden Klängen , überlebt immer. Allerdings nur, wenn die Tradition nicht wie ein Korsett geschnürt und krampf haft bewahrt werden soll oder für ein Konstrukt wie Nation herhalten muss. Von Martin Büsser Ocora Top-Five: Albanie: Pays labe. Plaintes et chants d’amour Rein vokale, mehrstimmige Gesänge aus Albanien. Herzerreissend traurige Liebeslieder. Arménie: Musique de tradition populaire et des Achough. Getragen, oft geradezu wie in Zeitlupe verlangsamte Stücke, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Turquie: L’art vivant de Talip Özkan. Historische Aufnahmen von einem der besten Lautenspielers der Türkei, dem es gelingt, ebenso verziert wie reduziert zu klingen. Finlande: Musique traditionnelle. Musikalische Miniaturen, zum Teil auf Pfeifen frei improvisiert, die weit von Klischees wie dem finnischen Tango entfernt sind. Ouzbekistan: Farhod Qori Halimov – Chants classiques tadjiks. Zu zwei Lauten und Percussion vorgetragene Klagelieder aus Usbekistan. Fabrikzeitung September 2008 Was übrig bleibt Seit der Schliessung der Boa im November 2007 klafft in der Luzerner Kulturlandschaft eine Lücke. Das «Boa-Teil» dokumentiert nun die Geschichte der Luzerner Alternativkultur. Die Szeneaktivisten suchen derweil nach Freiräumen jenseits des Südpols. Die Boa existierte von 1988 bis 2007. Sie war ein Markstein in der Geschichte der Luzerner Alternativszene. Hier wurde getanzt und gefestet, getrunken und gekifft, diskutiert und politisiert. Kulturell war alles zu haben, ausser Mainstream. Was die Boa für Luzern und die Innerschweiz bedeutet hat, lässt sich nicht auf einen Nenner bringen. «Für die einen war die Boa ein Ort der hoch stehenden Musik, für andere ein Zentrum des freien Theaters, der politischen Debatten, der Literatur. Für viele war es vor allem ein schlafraubender Partytempel. Für die junge Generation war es ein Platz, an dem die sogenannte Alternativkultur gelebt, erlebt und gelernt werden konnte, und für die ältere Generation ist die Geschichte des Hauses ein Zeitzeugnis für erkämpften Freiraum», schreiben die Herausgeber im «Boa-Teil». Das soeben erschienene Buch schildert auf 260 Seiten in Wort und Bild die Euphorien und Leiden eines alternativen Kulturzentrums. Über Hundert Autoren und Grafiker haben am «Boa-Teil» mitgewirkt. Die Initiative für das Buch kam von jungen Leuten, die nicht mit Nostalgie geladen waren, sondern die Boa als Freiraum der Vielfalt kennen und schätzen gelernt hatten und auch den Geist der Alternativkultur reflektieren wollten: Im Schlusskapitel «Der letzte Walzer im grossen Saal» unterhalten sich zwei anonyme Exponenten in einem fiktiven Dialog über Freiräume, Strukturen, alternative Lebensformen, Konsumzwang und verlängern damit ein vermeintlich abgeschlossenes Kapitel über den Tag hinaus. Für die historische Aufarbeitung der BoaEtappen engagierte das Redaktionsteam Journalisten, die das kulturelle Geschehen in Luzern schon lange verfolgen und teilweise regelmässige Boagänger waren. Darüber hinaus wurden Dutzende von Personen eingeladen, ihre persönlichen Boa-Erlebnisse kund zu tun: MusikerInnen, BesucherInnen, Boa-Mitarbeitende, VeranstalterInnen, KünstlerInnen. Gestaltet wurde das Teil vom jungen Grafiker- und Verlegerteam Mario Suter und Camillo Paravicini. Erkämpft, umdefiniert, befriedet Die Boa wurde von unten erkämpft. Ganz im Gegensatz zum «südpol», dem offiziellen Boa-Nachfolger, der im November 2008 eingeweiht wird: Der Neubau auf dem Areal des alten Schlachthofs an der Grenze von Luzern und Kriens wurde als politischkultureller Schachzug von oben konzipiert und sozusagen fixfertig hingestellt. Luzerns neues Multi-Kulturzentrum ist ein 25-Millionen-Projekt, das neben dem Boa-Ersatz auch Proberäume für das Luzerner Theater und das Luzerner Sinfonieorchester anbietet sowie die städtische Musikschule unter dem gleichen Dach vereint. Vor gut 20 Jahren war die Boa eine leer stehende Schlauchfabrik in einer Wohn- und Gewerbezone. Die Räumlichkeiten wurden besetzt und die ersten Feste gefeiert. Luzern steckte mitten in der Kulturraum-Debatte. Die Stadtverantwortlichen planten das KKL und machten dafür in einer ersten Etappe über 100 Millionen Franken locker. Das provozierte die Alternativ- und Jugendkultur. Auch sie wollten ihren Anteil an frei nutzbarem Kulturraum. Unter der Ägide von Stadtpräsident Franz Kurzmeyer entstand der sogenannte «Kulturkompromiss»: Die etablierte Kultur erhielt das KKL Luzern (250 Millionen Franken), die alternative Szene wurden für zwölf Millionen mit dem Konzerthaus Schüür (Schwerpunkt Musik) und dem Kulturzentrum Boa (Schwerpunkt Theater) befriedet. Trotz besten infrastrukturellen Voraussetzungen und einigen eindrücklichen Produktionen in der Frühphase (Urs Steiner, Theater Klara, Theater Marie, zusammenstoss) konnte sich die Boa als Theaterhaus nie etablieren. Zu karg war die finanzielle Unterstützung, zu dominant war die Musikfraktion, zu wenig Widerhall kam vom Publikum. Die Boa wurde immer stärker ein Ort für Konzerte. Aber sie funktionierte auch als Spielweise für Konzeptkunst, Spielabende und andere Eigenproduktionen, bei denen nie der Kommerz, aber immer Spass und quere Ideen im Vordergrund standen. Mit dem Umbau anfangs der Neunziger Jahre wurde das Experiment Boa in ein offizielles Kulturzentrum umdefiniert und damit befriedet. Für viele ging mit diesem Schritt ein erstes Stück Freiheit und Magie verloren. Andere wussten längst, dass auch die sogenannt alternative Kultur nicht gefeit war vor den Gesetzen des Marktes und des Konsums, vor den Einmischungen der Politik und auch nicht vor zwischenmenschlichen Konfliktpotentialen. Ideologische Diskussi- onen und zu knappe Betriebsgelder zerrten intern an den Nerven. Die Boa sorgte mit jeder Vollversammlung und jeder DefizitAnkündigung wieder für Schlagzeilen, was dem Image nach aussen nicht förderlich war. Die bürgerlichen Parteien forderten klare Führungsstrukturen, die SVP ortete gar Revolution in der Boa und wollte das Kulturzentrum schliessen. Der Ruch des Versifften Dabei war die Boa schlicht ein fantastischer Ausgangsort: Gut erreichbar, unkompliziert und ideal, um in die Nacht hinein zu hängen. Für musikalische Highlights hatten in den frühen Neunziger Jahren schon die Programm-Verantwortlichen Trixa Arnold und später Orpheo Carcano gesorgt. Sie brachten die «Step Across The Border»Musiker (Fred Frith, Tom Cora, Iva Bittova), radikale Underground-Bands aus Osteuropa (Ne Zhdali, Dunaj), Noise-Avantgardisten aus Japan (Otomo Yoshihide), Impro-Punks wie The Ex, Crossover-Sonderlinge wie Eugene Chadbourne, Folk-Legenden wie Townes van Zandt, Klangtüftler wie Pierre Bastien, oder eigensinnige Volksmusiker wie Rees Gwerder in die Bar, in das Foyer oder in die Aktionshalle. Mehrtägige Anlässe wie das Solofestival konfrontierten das Publikum mit Klängen und Performances, wie sie in der Innerschweiz sonst nirgends zu erleben waren. Es war eine Zeit, in der man ungeachtet der Namen in die Boa pilgern und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit glücklich bis milde verstört wieder von dannen ziehen konnte. Nur eines war es nie: Mittelmässig. Ab Mitte der Neunziger Jahre wurde die Boa auch eine regelmässige Plattform für elektronische Musik. Die Leute von Ephidrena/Spezialmaterial und vom Buffet für Gestaltung – beide Gruppierungen sind unterdessen in Zürich tätig – gestalteten visuell stimulierte Konzert- und DJ-Abende mit avantgardistischen Electronica-Acts wie Autechre oder Plaid. Zur Sonderklasse entwickelte sich die musikalische Programmation in den letzten drei Jahren unter Eugen Scheuch. Ironie des Schicksals: Je stärker die Boa aufgrund von Lärmklagen der Anwohner und später auch gerichtlichen Verfahren in die Enge getrieben wurde, desto solider, unbeirrter und publikumswirksamer fuhr sie zur Hochform auf. Alleine in den letzten zwei Betriebsjahren traten Bands wie Tortoise, Lambchop, The Go-Betweens, Coco Rosie, Element Of Crime, Art Brut oder Band of Horses auf, aber auch MusikerInnen wie Howe Gelb, Cat Power, Eleni Mandell, M.Ward oder José Gonzalez. Impro-Abende mit Joyful Noise oder Hardcore-Rock mit dem New Yorker Gitarristen Marc Ribot stiessen auf ein interessiertes Publikum. Dazu kam die erfolgreiche World-Music-Reihe «un otro mundo es possibile», die das stilistische Spektrum von Gypsy-Balkan-Brass über Latin-Ska bis Klezmer zog. Auch ein externer Veranstalter wie Memphisto prägte die Boa über Jahre mit seinem erstklassigen Angebot an dreckig wühlenden GarageRock-Bands. Lesungen, Filmabende und politische Diskussionen sorgten immer mal wieder für Nachspiele in der Presse. Dass sich phasenweise auch junge linke Aktivisten und Autonome samt ihren Hunden in der Boa einnisteten, störte wiederum die Rechtschaffenen und Kulturetablierten. Ohnehin war das raue Punk-Ambiente mit dem Ruch des Versifften nicht immer dazu angetan, die potentiell interessierten Bildungsbürger für die alternative Kultur zu gewinnen. Ihnen fehlte der Blumenschmuck auf den Tischen, und auf den Toiletten hatte es so komische Sprayereien. Den Grundwiderspruch jedes nicht-etablierten Kulturhauses – warum soll das System eine Institution unterstützen, die ihr auch mal ans Bein pisst – ist auch die Boa nie losgeworden. «südpol» versus Freiraum Das System hat sich am Ende als stärker erwiesen. Auch wenn die internen Machtkämpfe der Boa-Betreiber und Szenen alles andere als förderlich waren und die jahrelangen Auseinandersetzungen mit den Anwohnern wegen Nachtruhestörung das Klima zermürbten: Den Todesstoss führte die Stadt Luzern mit ihrer Baupolitik, die notabene auch von den linken Parteien durchgewunken wurde: Die Erstellung von 85 Eigentumswohnungen in unmittelbarer Nähe zur Boa verdoppelte die ruhebedürftigen Nachbarn und verschärfte die Konflikte. Eine Lärmsanierung der Boa wurde an der Urne knapp abgelehnt. Dass nun die gleiche Stadt Luzern mit dem «südpo» ein neues Kulturzentrum aufgebaut hat, das explizit auch die alternative Kultur abholen soll, ist eine verdienstvolle, wenn auch verdammt teure Geste, die mehr nach Wiedergutmachung riecht und weniger nach einer wahren Einschätzung der Bedürfnisse einer sogenannten Alternativkultur. Denn diejenigen, die sich als alternativ verstehen, haben sich von Anfang an vom «südpol» distanziert und Räume gefordert, die sie selber gestalten und betreiben können. Es wäre ein obsoleter Versuch, im «südpol» eine neue Boa etablieren zu wollen. Was die Boa verkörperte, hat die Geschichte ausgeschwitzt. Sollte etwas davon lebendig geblieben sein, wird es sich erneut durchsetzen, wenn die Zeit reif dafür ist. Die Bewegung «Aktion Freiraum» ist ein erstes Zeichen dafür. Die neue Organisation hat in Luzern schon mehrere Kundgebungen lanciert und dank dem massiven Polizeieinsatz im Dezember 2007, bei dem rund 250 Personen eine Nacht lang in den Sonnenbergtunnel gesperrt wurden, viel Aufmerksamkeit erlangt. «Un otro mondo es possibile» hiess die World-Music Reihe der letzten Boa-Crew. Im gleichen Sinne darf man behaupten: «Un otro Boa es possibile.» Nur braucht es dafür viel mehr Leute, die es anpacken, als solche, die bloss darauf warten. Im heutigen Klima von Konsum und Kultur-Wellness ist das geradezu eine Utopie. Nicht nur die Aktion Freiraum ist gefordert, sondern alle, die eine Alternative neben der obrigkeitsverordneten Alternative wollen. Von Pirmin Bossart Das «Boa Teil» ist bestellbar unter www.maniacpress.ch Fabrikzeitung September 2008 Fabrikzeitung September 2008 13 Jahre Erismannhoffest Heute schon gesoundsnackt? FaZ-Kolumnist Audioviel, bekennender alphabetisch-einsortierender Plattensammler und MP3-Skeptiker, scheitert an den Hörgewohnheiten der jüngeren Generation. Ein Festival der anderen Art. Zwar hat es nichts mit der Roten Fabrik direkt zu tun, aber wir können es nicht lassen, trotzdem darauf hinzuweisen. Dreizehn ist eine Glückszahl. Zumindest am Erismannhof. Bereits zum dreizehnten Mal wird in diesem Jahr nämlich im Hof des 1927 erbauten Häusergevierts an der Seebahnstrasse gefeiert, getrunken, gezockt und getanzt. Über die Jahre hinweg hat das Fest zunehmend an Kontur und Ausstrahlungskraft gewonnen, ohne dabei seine finanzielle und ideologische Unabhängigkeit zu verlieren. Bis zum heutigen Tag gibt keine versteckten Seilschaften, keine Subventionen oder Sponsorengelder, welche die Kasse füllen. Vielleicht ist es gerade diese Widerständigkeit, welche den Erismannhof zu einer beliebten Adresse für lokales Kunstschaffen machen. Die Bereitschaft, für wenig Geld fantastische Arbeit zu leisten, ist beeindruckend gross. So geben sich auch in diesem Jahr attraktive Formationen die Ehre: Am Freitagabend wird die französische Chanson-Sängerin Clara Moreau erwartet, am Samstag dann betreten die The Circle Brothers die Showbühne, gefolgt von den Country Terminators, den legendären Bucks und Newcomern Joules. (pd) Programm: Freitag, 5. September Ab 18.30 Uhr Offenes Jassturnier (Anmeldung direkt im Festzelt) und Konzert der französischen Chanson-Sängerin Clara Moreau, Bar Samstag, 6. September Ab 15 Uhr Kinderfest mit Sirupbar und Blasiomatten Ab 18 Uhr Bar und Grill Ab 19 Uhr Livekonzerte mit The Circle Brothers (ZH), Country Terminators (ZH), The Bucks (ZH) und Joules (ZH) The Circle Brothers The Bucks Joules Wenn die Circle-Brüder auftreten, lässt sich von den ersten Akkorden an die Hitze der Prärie erahnen. Der Staub, die Weite und die Einsamkeit. Country ist eine wichtige Komponente in den Kompositionen des Trios, doch lässt sich ihr Schaffen nicht darauf reduzieren: «Unsere Musik ist wesentlich düsterer und wird von New Wave und Bands wie Sixteen Horsepower beeinflusst», führt Songwriter Alban Ringli aus. Der Mix scheint zu überzeugen. In der Presse gab es Lobeshymnen und Vergleiche mit Nick Cave zu lesen. Eine hochinteressante Affiche also. Alles ist heute «Kult» und vieles «Legende». Beide Wörter werden inflationär gebraucht. Doch im Zusammenhang mit den Bucks haben sie ihre Richtigkeit. Die Band um den Bassisten und Sänger Rams und den Schlagzeuger Päde Scherrer hat Kultstatus. Ihre Anfänge gehen in die 70er-Jahre an die Wurzeln des Punk zurück. Vorbei an allen kurzlebigen Trends hat die Band über Jahrzehnte hinweg ihre Authentizität und künstlerische Eigenständigkeit bewahrt. Ihr neustes Doppelalbum «More is More» ist gerade erst in diesem Frühjahr erschienen: Druckvoll und kompromisslos. Der Auftritt der Bucks im Erismannhof kann also gut und gern als «legendär» bezeichnet werden. Ein Song von Joules kann gut und gerne 10 Minuten dauern. Die drei Zürcher, die im vergangenen Sommer ihr Bühnendebüt gaben, verbinden schwere Gitarren- und Bassriffs mit fetten Beats und melodiösen Gesangslinien zu einem unverkennbaren Sound, der packend mit der Monotonie spielt. Dass zwei Drittel der Band waschechte Erismannhöfler sind, macht dieses Konzert zu einem spannenden Heimspiel. www.circlebrothers.net Country Terminators Auch die fünf Country Terminators aus Wollishofen, Tennessee brettern in bestechendem Wildlederchic auf ihren Instrumenten rasant gen Westen. Ihr ironisch unterfüttertes Repertoire reicht von Johnny Cash über Hank Williams bis zu Steve Earle und Augie Meyers. Sie können rockig klingen, punkig, dann aber auch wieder süss wie der Saft des Feigenkaktus. www.thebucks.ch schweiz.myspace.com/joulesrocks Bei der täglichen Lektüre meiner Lieblingsseiten des RTL-Teletextes, den «V.I.P.News» (ab Seite 150) und speziell der «Musik-News»-Sektion (ab Seite 180), stiess ich auf die vielversprechende Meldung «Der Trend zum Quickie mit Musik». Und gerade, weil man in den Niederungen des RTL-Teletexts bei einer solchen Headline eine Story à la «wer wo wie lange mit wem bei welcher Musik» erwartet oder allenfalls einige tiefgründige Ausführungen zum Thema «Half Hit Wonders» und wie unglaublich kurzlebig das Musik-Business heutzutage doch sei, war ich überrascht, dass sich tatsächlich eine Story dahinter verbarg. Es geht um folgendes: eine Studie (ich liebe Studien) im Auftrag von Sony Ericsson (die mag ich etwas weniger) hat das Hörverhalten von knapp 10‘000 Menschen zwischen 18-24 Jahren erhoben, indem sie europaweit Menschen der erwähnten Zielgruppe die Möglichkeit gaben, online über ihre Musikgewohnheiten Auskunft zu geben. Wie repräsentativ dies nun in Wirklichkeit ist, bleibe mal dahingestellt. Weitere Details botder RTL-Artikel nicht, schliesslich musste auch noch etwas Platz für Sandy sein, die gerade im Online-Chat wartete. Der österreichischen Zeitung «Der Standard» ist allerdings gelungen, was ich trotz aufwendiger Suche im Web nicht erreicht habe, nämlich Details der Studie zu erhalten. Die folgenden Erkenntnisse betreffen die österreichische Jugend, dürften wohl aber nicht allzu unterschiedlich zu hiesigen Hörgewohnheiten sein. Demzufolge hören 10 Prozent der Befragten «immer» nur 20-30 Sekunden eines Songs. 41 Prozent gaben an, «oft» zu snacken. Mehr als eine Minute Spieldauer gewähren gerade mal sechs Prozent der Hörer einem Song. Und im Schnitt bloss 3 von 100 der Befragten hören die ganzen Songs. Und es gibt keine erwähnenswerten Unterschiede der Hörgewohnheiten von Männlein und Weiblein. Wenn ich jetzt also richtig rechne, hören 51 Prozent der 18-24 Jährigen immer bis oft nur 20-30 Sekunden eines Tracks. Nicht erhoben wurde leider, ob das alles Songs sind, die die Konsumenten mögen. Ich gehe jetzt aber mal davon aus, wer schleppt schon Songs auf seinem MP3-Player oder Handy oder was auch immer, mit sich herum, die er nicht hören will? Das Musik-Quicken heisst in der «Fachsprache» auch «Soundsnacking» und darunter versteht man, dass die Songs nur kurz angespielt werden (etwa 30 Sekunden ist gemäss Studienautoren ein gängiger Mittelwert). Danach geht’s zum nächsten Track. Falls Sie das nicht gewusst haben, sind Sie vermutlich alt, denn 97 Prozent der befragten 18-24 Jährigen wussten, was «Soundsnacking» bedeutet. Ich wusste es nicht. Falls Sie alt sind und es trotzdem gewusst haben, Hut ab. Oder Sie haben Kinder. Ok. Also 20-30 Sekunden sind ja schon ziemlich kurz. Aber ich bin ja so ein furchtbar junggebliebener alter Sack, daher ab zum Selbstversuch. Die Testbedingungen: mein iPod mit ein paar hundert Songs unterschiedlichster Stilrichtungen aus unterschiedlichsten Epochen drauf. Eingestellt auf Terrormodus - sprich zufällige Wiedergabe der Tracks kreuz und quer. Ein mittelmässiger Kopfhörer. Als Testdauer gebe ich mir 30 Minuten, was dann wohl in etwa 60 kastrierte Songs bedeuten wird. Als Standort pflanze ich mich vor den Computer. Ein bisschen surfen dazu, Ausgangsseite ist «www.bild.de». Los geht’s. Klick. Klick. Klick. Eine ganz schön nervöse Angelegenheit das. Klick. Klick. Klick. Lustig sind die Live-Tracks mit Ansagen. Bis zum Song geht’s gar nicht. Klick. Klick. Klick. Auch die zufällige Wiedergabe macht Spass. Jetzt hatte ich gerade 30 Sekunden Rachmaninov-Klavierkonzert und danach 30 Sekunden Reeves Gabrels. Gefolgt von Falco. Klick. Klick. Klick. Fairerweise muss ich zugeben, dass ich auch ein paar Songs begegnet bin, die aus irgendeinem Grund auf meinem iPod sind und dort eigentlich gar nicht hingehören, so dass ich froh war, dass ich nach 30 Sekunden weiterklicken konnte. Fünf Sekunden hätten teilweise auch gereicht. Klick. Klick. Klick. Songs mit langen Intros funktionieren irgendwie nicht so recht. Klick. Klick. Klick. Lieblingstracks sowieso nicht, was für ein Ärger, ich will die Synthies am Schluss von Bowies «Ashes To Ashes» hören! Klick. Klick. Klick. Was Spass macht, ist zu schauen, wie lange ich brauche, bis ich weiss, welcher Song jetzt gerade läuft. Mehr so als Kampfsportart. Klick. Klick. Klick. Klick. Klick. Zig Klicks, ein Valium und eine halbe Stunde absoluter Ruhe später hier nun die Erkenntnisse: das funktioniert für mich überhaupt nicht und macht mich nervös. Ich bin mindestens 15 Songs begegnet, bei denen es mich geärgert hat, diese nicht auf der Stelle zu Ende hören zu können. Die Songs, die ich nicht hören wollte, hätte ich nach fünf Sekunden weggeklickt. Fazit: Ich bin alt. Meine Hörgewohnheiten sind langweilig konservativ. «Soundsnacking» ist definitiv nichts für mich. Ist mir zu anstrengend. Ich solidarisiere mich hiermit feierlich mit den 3 von 100 Befragten, die ganze Songs hören. Willkommen meine Freunde. Seid nicht traurig, dass ihr Aussenseiter seid! Schliesst euch zusammen und gründet eine Community für bedrohte Songteile! Kämpft für die «Intros», «Bridges» und «Outros»! Und für die «Soundsnacking»Fans hier noch ein paar Überlegungen: Stellen Sie sich mal vor, wie. Klick. Aber würden Sie nicht. Klick. Haben Sie jemals ein. Klick. Es könnte aber doch sein, dass. Klick. Sind Sie sicher, dass. Klick. Können Sie nachts gut. Klick. Power off. Von Silvan Lassauer In 30 Sekunden können Sie von ausgewählten Stilrichtungen in etwa Folgendes hören: Pop Referenztrack «Kylie Minogue: Can’t Get You Out Of My Head»: 8 Takte Intro plus 8 Takte «La La La». Dance Referenztrack «Dylan Rhymes: Don’t Want You Anyway»: Ein cooles Intro mit spacigen Synthiesounds. Hip-Hop Referenztrack «Eminem: Business»: Intro und etwa 8 ½ Takte der ersten Strophe. Elektro Referenztrack «Squarepusher: Planetarium»: 16 Takte Drum-Intro und 4 Takte Drums mit Bass. Heavy-Metal Referenztrack «Slayer: Seasons In The Abyss»: 15 ½ Takte pompöses Intro Klassik Referenztrack «Rachmaninov: Piano-Konzert #2, 1. Moderato»: Das wunderschöne Piano-Intro, der Einsatz des Orchesters wird im Keim erstickt. Experimentelles Zeugs Referenztrack «Coil: Untitled 2»: Nuff Said Fabrikzeitung September 2008 In eigener Sache: Saisonauftakt Fabriktheater Mit einem wahren Paukenschlag geht das Fabrikthater in die neue Spielzeit: Wo hört die Darstellende Kunst auf und wo beginnt die Musik? Wann ist Musik performativ und wann wird die Performance zum Musikstück? Zum Saisonauftakt des Fabriktheaters gehen lokale und nationale Kunstschaffende unter dem Titel «Is it wrong to mix your Wasabi with your Soya sauce?» über zwei vollgepackte Abende diesen Fragen nach. FR 12., SA 13. SEP / 19.30h // Fabriktheater Is it wrong to mix your Wasabi with your Soya Sauce? Neun Performances zur Saisoneröffnung des Fabriktheaters Rote Fabrik Wenn nicht anders vermerkt, sind die Performances in einem Aufführungsblock gebündelt, der jeweils um 19.30h beginnt. Beide Tage: Bleu Remix Mit «Bleu Remix» lädt der Performer Yann Marussich (GE) zu einer neuen geheimnisvollen und intimen Reise ein, die unter die Haut geht. Dabei nimmt er wesentliche Elemente aus «Bleu Provisoire» (2001) wieder auf und macht sich auf die Suche nach dem Universalmenschen. Die Idee des Remix gilt auch für den Sound der Performance. Bei jeder Vorstellung mixt ein lokaler Musiker den Originalsound von «Bleu Provisoire» (Herztöne, Atmung, Blutfluss...) auf seine Art und Weise und trägt so zur Einmaligkeit des Abends bei. Konzept und Performance Yann Marussich Beide Tage: DANCE MA(E)DL(E)Y & PARADISE Mit grossen Schuhen an den Füssen tastet sich die Performerin vor. Naturmaterialien sowie Garten- und andere Alltagsgeräte sind ihre Mess-, Orientierungs- und Erkundungsgeräte. Sie zieht Steine über den Boden, hebt sie auf und bringt sie zum Tönen; Wasser, Pflanzen, Früchte und Musik von Velvet Underground navigieren sie im Raum. Alles hat sein eigenes Gewicht und der Umgang damit existenzielle und manchmal prekäre Seiten. Beide Tage: Beide Tage: Pigs And Birds 2 Frisörsalon «Pigs And Birds» bezeichnet ein fortlaufendes Projekt. Auf der Basis von Grundmaterial werden durch performative Verfahrensweisen neue Erscheinungsformen und Inhalte entwickelt. Im Verlauf der 30-minütigen Performance Pigs And Birds 2 erfährt der Zuschauer durch das Spiel mit Kommunikationsformen eine Entwicklung, die ihn von non-verbaler zu verbaler Kommunikation führt. Rosi betreibt einen Frisörsalon in einer kleinen Stadt. Ganz nach den Regeln der guten alten Frisörkunst. Dauerwelle ist hier kein Schimpfwort, sondern die Pflicht einer Dame. Es wird viel geschnackt ( Norddeutsch für plappern) - sämtliche Informationen aus Dorf und Familie werden auf eine hart aber herzliche Art und Weise verwertet, umgedreht, weiter getragen und natürlich mit ihrer Stammkundin Hilde ausgetauscht und intensivst diskutiert. Wat auf den Tisch mut, mut auf den Tisch! Vereinbaren Sie einen Termin und Sie wissen wieder, was los ist in ihrer kleinen Stadt. Konzept und Performance: Anne Rosset und Robert Alexander Beide Tage: Tote tanzen nicht Die Begegnung, oder wenn man so will der Tanz mit dem Tod, kann als ein Fall von extremer Vereinzelung, bei welcher die zwischenmenschlichen Beziehungen an ihr Ende kommen, betrachtet werden. «Tote tanzen nicht» zelebriert das Alleinsein der Lebenden. Das Klavierkonzert «Totentanz» von Franz Liszt ist Teil der performativen Installation. Inspiriert zu dieser Komposition wurde Liszt vom Bild «Triumph des Todes», gemalt 1353 von Buffalmacco Buonamico. Von und mit Trixa Arnold und Ilja Komarov Beide Tage: Shanghai Die Shanghai-Auftritte sind von theatraler und medialer Natur. Die Musikerinnen werden in Schattenform verdoppelt und mit den Realschatten projiziert. Dabei kommen Fragen zur Zeitverschiebung, Live- oder Konservenmusik, Realität oder Echtheit auf. Die Schattenzwillinge bearbeiten Bühnenposen, die man nur zu gut aus der Rockmusik kennt und versuchen mit diesen neue Choreografien zu formen. Musikalisch experimentieren Shanghai im instrumentalen Setting von 2 Bässen und elektronischen Sounds und Beats. Stini Arn; Elektonik, Beats, Gesang, Video Franziska Koch; Bass, Gesang, Video Monika Schori; Bass, Gesang, Video Von und mit Heike M. Götze und Gästen Nur FR 12. SEP / ab 23.00h // Fabriktheater CLUB Dani König - der bekannte DJ, Produzent und Musikchef bei Radio 105 nimmt gemeinsam mit Pitsch und Smasch fx (zwei weiteren spektakulären Figuren der Schweizer Partyszene) nun ein neues Projekt in Angriff. Die ungewöhnliche Location CLUB öffnet ihre Pforten am 12. September im Fabriktheater und bietet ihren Gästen die Möglichkeit, die Stars aus nächster Nähe zu erleben. Für die Produktionsleitung ist die Künstlerin Marina Belobrovaja mit an Bord. Nur FR 12. SEP Casiofieber Casiofieber sind die Königinnen des Bügelbrett-Pop oder der EinbauküchenDisco. Seit drei Jahren sind die beiden Frauen Vree Ritzmann und Nora Vonder Mühll eine Band. Auf dem Bügelbrett bedienen sie je ein Kinderkeyboard und singen eigene, deutsche Popsongs mit raffinierten Texten, spielen ausgefeilten Trashpop, zärtlich und fies. Von und mit: Vree Ritzmann und Nora Vonder Mühll Nur SA 13. SEP Geschichten aus der Plattensammlung «Weißt du noch...?» Die erste Platte, der erste Slowtanz, Autofahrten mit offenem Fenster oder das erste verregnete Openair – Erlebnisse sind oft verbunden mit einem ganz besonderen Lied oder einer Musikband und werden so zu unvergesslichen Ereignissen. Phil Hayes und Veit F. Stauffer (Rec Rec) graben tief in ihren Plattensammlungen und enthüllen ihre eigenen Geschichten. Von und mit: Dorothea Rust Von und mit Phil Hayes und Veit F. Stauffer IMPRESSUM ... dann doch lieber Sport Kontakt: Fabrikzeitung Seestrasse 395 Postfach 1073 8038 Zürich [email protected] Tel. 044/ 485 58 08 Druck: Ropress Genossenschaft Baslerstrasse 106 8048 Zürich Herausgeberin: IG Rote Fabrik Seestrasse 395, 8038 Zürich www.rotefabrik.ch www.glashaus.ch/faz Redaktion: Etrit Hasler Reto Aschwanden Gestaltung: Gregor Huber Artwork (2. / 3. Bund): Adam Thompson Mit Beiträgen von: Yvonne Kunz, Charlotte von Bausznern, Tim Stüttgen, Martin Büsser, Pirmin Bossart, Richard Zöllig, Silvan Lassauer und Etrit Hasler Website: www.rotefabrik.ch/fabrikzeitung Auflage: 3‘500 Exemplare Erscheinungsweise: monatlich Abonnemente: 35 Fr. pro Jahr/10 Ausgaben 60 Fr. Soliabonnement [email protected] Der Sommer ist zu Ende, die Zugvögel und die Hippies haben ihre Koffer gepackt und streifen durch die menschenleeren Strassen auf der Suche nach den Güterwagen Jack Kerouacs. Während wir ein letztes Mal den Grill anwerfen und uns am Blick auf den satellitenzerstochenen Himmel freuen, Schnapsgläser gefüllt bis zum Rand, geht pünktlich irgendwo ein Krieg los. Na dann Prost. Für jeden Russen weniger bleibt mehr Vodka für uns. Das sagt sich auch unsere marginalisierte Jugend und leitet die zweckgebundene Vernichtung der Überschüsse in die Wege. Da soll noch jemand behaupten, die hätten keine Ahnung von Nachhaltigkeit. Einzige, die damit ein Problem hat: Panik-Esthi. Das muss man verstehen. Vor allem stört sie daran, dass sie sich kein besseres Konzept zur Nutzung der vergammelten Seepromenaden ausgedacht hat. Und was stört, ist nicht erlaubt. Und wer nicht erlaubt ist, wird eingesperrt. Und Kinder, die von tollwütigen Stadtpolizisten mit Knüppeln in die Fresse geschlagen werden, geben ein noch schlechteres Bild ab als alternde Fotografen. Was tun? Was tun? Verzeihung, wir schweifen ab. Es herrscht Krieg. Aber wirklich schlimm ist doch, dass Rennpferde fitgespritzt werden, oder? Wo kommen wir denn da hin, wenn wir nicht einmal mehr Wendy vertrauen könne, dass sie ihre Pferdefarm drogenfrei führt? Wenigstens haben wir endlich eine Erklärung für die psychedelischen Farbkombinationen. Apropos Drogen: Ab nächstem Jahr dürfen wir zwar überall kiffen, aber nirgends mehr rauchen. Niemand hats gemerkt, und das ist gut so. Und wer das nicht versteht, der soll weiter den Sportteil lesen. Habe ich schon erwähnt, dass Krieg ist? Das klingt so selbstverständlich und regelmässig wie zu sagen, dass die olympischen Spiele stattfinden. Oder das Wetter. Oder dass die Fussballsaison wieder begonnen hat – der älteste Fussballverein der Welt, der noch nie in einer Profiliga gespielt hat, ist gerade aufgestiegen, auf den Flügeln eines rasierten Tigers und den Ausdünstungen seines bald pensionierten Stürmers Dean Windass. Und ja, für den Namen gehören seine Eltern an den Galgen. Apropos Eltern: Die SVP will euch an den Kragen. Konntet ihr euch bisher darauf verlassen, eure stressigen Bälger den Tag durch in die Korrekturanstalt Armee abschieben zu können, ist jetzt Schluss damit, wenn man Volks-Toni glauben darf. Nieder mit Harmos, nieder mit der Schweizer Armee, so sein neues Kredo. Bei so viel Politik schalten wir gern auch einfach mal das Hirn ab. Man kann nicht alles Leid der Welt in sich aufnehmen, hat mir meine manische Nachbarin einmal erklärt und sie hatte recht. In ihrem Fall war es sogar so, dass die Welt allein nicht stark genug war, ihr Leid zu tragen. Irgendwann verschwinden wir alle unter der Erde und irgendwann buddeln sie uns alle wieder aus, ob auf jüdischen Friedhöfen oder aus Massserngräbern – alles verändert sich, alles bleibt gleich. Ich kralle mich mit meinen Zehen in die Decke, damit ich behaupten darf, ich hätte wenigstens versucht, mir eine neue Perspektive zuzulegen. Hangman Monatsprogramm September 2008 Musikbüro Fabriktheater Konzept Musikbüro Musikbüro Jon Spencer Blues Explosion Saisoneröffnung KOFO ohne Dolmetscher? Immortal Technique The Melvins Unter dem Titel «Is it wrong to mix your Wasabi with your Soya Sauce?» startet das Fabriktheater gleich über zwei Abende mit Vollgas in die neue Saison: Neun Performances, gebündelt zu einem grossen Paket, das von Musik und Remix über Tanz und Club bis hin zu Casino, Friseursalon und Schanghai reicht, verspricht eine geballte Ladung und den perfekten Startschuss für eine gelungene Saison. Die Öffnung für Nicht-Gehörlose ist ein konstantes Thema für die Gehörlosenkultur. In einem Podium wird kontradiktorisch die Frage erörtert, ob KOFO-Abende in Zukunft ohne Gebärdendolmetscher stattfinden sollen, um damit der Gebärdensprache mehr Gewicht zu verschaffen. Moderiert von Nejla Helbling. Unter amerikanischen HipHop-Fans gilt er als einer der bösesten Reimkünstler überhaupt. Ob dies daran liegt, dass er sich mehr oder weniger offen zum Kommunismus bekennt, oder weil er sich traut, die sozialen Missstände präziser als die meisten seiner Zeitgenossen zu benennen, sei dahingestellt. Tatsächlich kommt man in der Musikrichtung an Immortal Technique kaum mehr vorbei, sein zweites Album war sogar der konservativen Washington Post eine Rezension wert. In Zürich gastiert er nun mit seinem schon dritten Longplayer, «The 3rd World». Nicht verpassen! Wenn schon, denn schon. Als Ausklang des Super-Startmonats in die Saison bringt das Musikbüro ein weiteres Mal die Melvins in die Fabrik. Der Band wird gerne unterstellt, sie hätten den Grunge begründet, einfach, weil Kurt Cobain einmal ihr Roadie war. Musikalisch trennt sie von dem wenig organisierten Lärm der Grunge-Bewegung allerdings Welten; Wahrscheinlich ist denn dies auch der Grund, weswegen sie als eine der wenigen Bands der Welle den Sprung ins neue Jahrtausend geschafft haben und seither auch in Kollaborationen mit allem was Rang und Namen hat aufgefallen sind. Nicht nur eine der überzeugendsten Politbands aus Amerika, sondern auch ein verdammt heisser Live-Tip. An dem Versuch, ihre Musik zu beschreiben, sind schon unzählige Musikjournalisten gescheitert. Dabei ist der Name schon Metapher genug, und wem das nicht reicht, dem sei ein Zitat von Frontmann Jon Spencer selber hinterhergeliefert: «The bottom line is, for fuck‘s sake, it‘s just rock‘n roll!» Zwar ist es in den letzten Jahren etwas ruhiger um das New Yorker Trio geworden – wobei ruhiger ohnehin das falsche Wort sein muss -, doch verschwunden sind sie noch lange nicht. In der Roten Fabrik kann man sich davon live überzeugen. DI 02. SEP / 21.00h Clubraum FR 12., SA 13. SEP / 19.30h Clubraum, Fabriktheater ausführliches Programm Seite 12 MI 24. SEP / 19.30h Clubraum FR 26. SEP / 21.00h Aktionshalle SA 27. SEP / 21.00h Aktionshalle Fabrikzeitung September 2008 Fabrikzeitung September 2008 Texte wie in Stein gemeisselt Songwriter-Poet Conor Oberst kommt schon zum dritten Mal in die Rote Fabrik. Der bekennende Oberst-Fan Richard Zöllig erklärt, wieso dass man das auf keinen Fall verpassen darf. Es ist fast mein ältestes Lied: Die Liebe zu Menschen, die auf wenigen Zeilen grosse Geschichten erzählen. Voltaires «Trösterin Zeit» ist eine solche. Oder Strophen wie diese: Gott sagte zu Abraham: «Kill mir einen Sohn» Abe sagt: «Du willst mich wohl verarschen, Mann» Gott sagt: «Nein» – Abe sagt: «Was?» Gott sagt: «Mach, was du willst, Abe, aber... wenn du mich das nächste Mal kommen siehst, renn lieber weg» Abe sagt: «Wo willst du das Schlachten haben?» Gott sagt: «Draussen auf dem Highway 61» Conor Oberst möge mir verzeihen, dass die geplante Hymne auf ihn mit Bob Dylan beginnt. Schon wieder! Genauer mit der 30-Sekunden-Kurzgeschichte aus «Highway 61 revisited» aus dem Jahr 1965. All diese Vergleiche mit dem Songwriter-Überdaddy! Jesses, möchte man aus voller Brust ins Jenseits schreien, wo sich all die Überväter von Dylan – Woody Guthrie zum Beispiel oder Robert Johnson – schenkelklopfend über die jämmerlichen Versuche, das Wesen der Musik zu verstehen, von diesem Planeten abwenden und brachial mit Friedrich Dürrenmatt anstossen. Die Erkenntnis, höre ich Friedrich sturzhagelbetrunken zu Woody und Robert sagen, wohnt in einer Etage, in der Leute, die über Musik schreiben, keinen Zutritt haben. Bildstarke und hintersinnige Geschichten in den Köpfen der Hörenden mit ein paar Worten in Fahrt zu bringen, ist eine der grossen Stärken des 28-jährigen Conor Oberst, der an diesem Freitag zum dritten Mal nach 2002 und 2005 in der Roten Fabrik spielen wird. Der Dylan-Vergleich, so abgenutzt er auf den ersten Blick erscheinen mag, ist zulässig, wie einige Beispiele aus der Feder von Conor Oberst unterstreichen: I‘ve made peace with the falling leaves. (Method Acting, 2002) And if I sold my soul for a bag of gold to you Which one uf us would be the foolish one? (Don‘t know when but a day is gonna come, 2002) Some plans were made and rice was thrown. A house was built. A baby born. How time can move both fast and slow amazes me. (I believe in symmetry, 2005) We made love on the living room floor. With the noise in the background from a televised war. (Landlocked Blues, 2005) Future Markets, Holy Wars Been tried ten thousand times before If you think that God is keeping score, Hooray! (Clairaudients, 2007) The Bible‘s blind, the Torah‘s deaf, the Qu‘ran‘s mute If you burned them all together you‘d get close to the truth (Four Winds, 2007) Du und wieviel von deinen Freunden? Der 28-jährige Conor Oberst ist ein verspielter Geschichtenerzähler. Mit seinen Texten, die auch in Stein gemeisselt werden könnten, findet er oft den Hinteroder Seiteneingang in die gesellschaftliche Aktualität. So lässt er die Zuhörerinnen und Zuhörer in «At the bottom of everything» auf dem Album «I‘m wide awake its morning» (2005) zunächst fast zwei Minuten einem skurrilen Dialog zwischen zwei Passagieren in einem abstürzenden Flugzeug folgen. Vier Jahre nach dem Trauma der brennenden Twin Towers von New York schildert Oberst einen «glücklichen Flugzeugabsturz», und der Moment, in dem die Maschine ins Wasser knallt, wird vom Ausruf «It‘s a wonderful splash» und glockenklaren Akustik-Gitarren begleitet. Ein bloss stellendes Wohlfühllied auf die Paranoia von Fluggästen, die inzwischen hinter jedem Bart in der Sitzreihe neben ihnen einen Bruder aus einer Al-Kaida-Zelle vermuten. Eine Satire auch auf das kollektive Trauma des Westens nach den Anschlägen auf das World Trade Center. Ein rein politischer Songwriter ist der Mann aus Omaha/ Nebraska dennoch nicht. Auch wenn er im letzten USWahlkampf gemeinsam mit Leuten wie Michael Stipe von R.E.M. oder Bruce Springsteen auf der «Vote for change Tour» für John Kerry war. Angesprochen auf allfällige Absichten in seinen Songs entgegnet er im Gespräch in München 2004 jedenfalls zunächst mit einem Lachen: «Oh, you mean a message?» Man könne das auch so nennen, sage ich, und Conor Oberst fährt fort: «Ich möchte schon, dass meine Musik Gefühle wie Liebe und Mitgefühl auslöst. Aber das kann ich nicht kontrollieren. Ich weiss nicht, was die Leute aus meinen Liedern machen.» Sie hören ihm auf jeden Fall in immer grösserer Zahl zu. Und sie werden älter. Bei seinem ersten Auftritt im Clubraum der Roten Fabrik im Dezember 2002 waren es vielleicht 150, vornehmlich sehr junge Leute, die sich von seinem 12-köpfigen Bandkollektiv «Bright Eyes» mitreissen liessen. Drei Jahre später füllte der Mann mit seiner expressiv verletztlichen Stimme, die direkt aus den Ewigen Jagdgründen des Mittleren Westens zu kommen scheint, bereits die Aktionshalle. Nun besucht er Zürich mit seinem neuen Solo-Projekt und der Band «The Mystic Valley Band». Die Generation der heute 30- bis 45-Jährigen hat den Songwriter aus Nebraska ebenfalls entdeckt. Sie kennen die Sehnsucht, dass Musik (politische) Bewegungen auslösen kann und sind empfänglich für schnelle Heilungen: «There‘s nothing that the road cannot heal», singt Oberst 2008 im Song «Moab», womit wir wieder bei Voltaire und seiner «Trösterin Zeit» sind. Und leise höre ich, wie Dürrenmatt, Guthrie und Johnson einander erneut zuprosten und sich im Jenseits totlachen. Von Richard Zöllig Richard Zöllig (1967) arbeitet beim Ostschweizer Kulturmagazin «Saiten» (www.saiten.ch). Aufgrund einer Empfehlung eines viel jüngeren Freundes besuchte er 2002 das erste Bright-Eyes-Konzert in der Roten Fabrik, ohne einen einzigen Ton des damals 22-Jährigen gekannt zu haben und seither (fast) jedes im Umkreis von 300 Kilometern. Am 4. September macht eine aussergewöhnliche Band halt in der Roten Fabrik. Kettcar legt nicht nur textlich soweit vor wie kaum jemand in Deutschland, ihre Geschichte beweist auch, dass es ein Überleben für Musiker jenseits des Mainstreams gibt. Es gibt also doch ein Musikleben nach der Pubertät; diese magischen Momente, wo man einem Sound, einem Song, einer Band nach nur acht Takten mit Haut und Haaren verfällt. Bei mir war dies 2002, als der damals noch alternative St.Galler Radiosender toxic.fm die erste Kettcar-Single «Wäre er echt» plötzlich in die Rotation setzte. Niemand war darüber erstaunter als ich selber, der das Aufkommen der ganzen Hamburger Schule desinteressiert an sich hatte vorbeiziehen lassen: Einerseits, weil mir das musikalisch immer ein zu kompromissbereiter Weg zwischen Punk und Kuschelrock für Studenten gewesen war, andererseits, weil all die anderen Mittzwanziger um mich herum nicht müde wurden, mir mit den von Lowtzows und Distelmeyers als grossen Poeten des neuen Jahrtausends die Ohren vollzujammern – ich hatte damals gerade Bret Easton Ellis und Chuck Palahniuk für mich entdeckt und deutsche Poeten konnten mir, gelinde gesagt, gestohlen bleiben. Und vielleicht war genau das der Grund, dass Kettcar mich so vollkommen unvorbereitet erwischten. Da kam schrummeliger Gitarrensound daher, wie ihn schon unzählige Bands davor gemacht hatten (wäre ich fünfzehn gewesern, ich hätte das wohl unter progressivem Schlager abgetan) mit genuschelten Texten, die man beim ersten Hinhören kaum identifizieren konnte. Und trotzdem hockte ich vor meinem Radioempfänger, hinund hergerissen zwischen gleich Losheulen oder nackt auf die Strasse rennen und einen wildfremden Menschen zu küssen, weil das Leben zu kurz ist, um es daheim vor dem Radio zu verbringen. Es ging keine 48 Stunden, bis sich in meinem Bekanntenkreis jemand fand, der nicht nur den gehörten Song, sondern das ganze Album «Du und wieviel von deinen Freunden?» bei sich zuhause hatte, was dazu führte, dass wir zusammen bei Rotwein um einen Stubentisch sassen, ich fassungslos durch das Booklet mit den als Lyrik getarnten Songtexten (oder war es umgekehrt?) blätternd, während mir meine Bekannte Song für Song mit «und hör dir den an, ist das nicht der Wahnsinn?» ankündigte. Mit Befindlichkeit gegen Coca-Cola Wahrheiten Kettcar hatte mich. Die Tatsache, dass es sich beim Kern der Band um « ...but alive», bekannte Ex- (oder doch Alt-?)Punker aus Hamburg handelte, die zwei MajorDeals ausgeschlagen hatten, um mit Tomte-Frontmann Thees Uhlmann ein neues Label auf die Beine zu stellen, machte die Band natürlich noch sympathischer, aber ich hätte sie wahrscheinlich auch noch gehört, wenn es sich um Verwaltungsräte des Daimler-Konzerns gehalten hätte. Die Band verlieh dem abgelutschtesten Begriff der Neunziger, der mythischen «Authentizität», wieder eine Glaubwürdigkeit, wie sie sonst nur gerade Olifr M. Guz von den Aeronauten hatte transportieren können. Und natürlich, dass die erste Platte mit einem Monolog Chuck Palahniuks endet, war noch das Zürckerchen obendrauf. Sechs Jahre später sieht die Welt ein bisschen anders aus. Das «Befindlichkeitsfixierte» von «Du und wieviel von deinen Freunden?» hat sich zwar auf immer in meine Gehörgänge eingebrannt, aber noch einmal würde mich ein solches Album nicht mehr erwischen. Aber dafür hat sich Kettcar und die Gefühlswelt der fünf Hamburger auch zu sehr verändert: Hörte sich das zweite Album «Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen» noch an wie eine Sammlung ausgefeilter B-Seiten zu ihrem Debut an – eine liebevolle Mischung zeitloser Balladen wie «Balu» und Stadionrock zum Mitgrölen à la «Deiche» oder «Tränengas im High-End Leben» -, beginnt das neue Album mit einem Paukenschlag: «Graceland», eine Kriegserklärung an den Jugendwahn, setzt den Ton für ein Album, das zeitgemässer kaum sein könnte. Während sich Blumfeld aufgelöst haben und Tocotronic von der «Kapitulation» singt, haben sich Kettcar (und allen voran ihre zwei Texter Lars Wiebusch und Reimer Bustorff) noch einmal aufgerafft und gehen in die Vollen. Ob sie in «Kein aussen mehr» die Sehnsucht nach schwarzweissen «Coca-Cola»-Wahrheiten demontieren oder mit «Geringfügig/Befristet/Raus» die potentielle Hymne gegen den Turbokapitalismus abliefern, mit «Sylt» gehen Kettcar keine Kompromisse ein. Mit den ersten zwei Alben sei es auch als FDP-Wähler noch möglich gewesen, ihre Musik zu hören, doch die Zeiten seien vorbei, bemerkte Sänger Markus Wiebusch kürzlich in einem Interview mit «Visions». Und tatsächlich ist es so, dass Kettcar inzwischen Massen anzieht. Beim Southside-Festival, wo ich die Gelegenheit zum einem kurzen Gespräch mit Gitarrist Erik Langer erhalte, strömen zehntausende vor die Bühne, um die alten Hits mitzusingen. Und tatsächlich, bei fast allen Songs der neuen Platte verstummt der Chor der tausend Kehlen bis auf die hundert Freaks in der ersten Reihe. Auf dem schmalen Grat zwischen eingängig und peinlich Tatsächlich sei es so, dass sie für viele Leute inzwischen als Mainstream-Band gelten, erzählt Erik im Gespräch vor dem Auftritt. Deswegen sei es für sie umso wichtiger, sich die Locations für ihre Auftritte genau auszusuchen. «Es ist für uns toll, dass wir in der Roten Fabrik spielen können, das ist ein Ort mit linken Wurzeln, wo man noch genau hinschaut, wer da spielt und wer nicht,» meint er, und man hat fast das Gefühl, als wolle er sich dafür verteidigen, dass Kettcar diesen Sommer kaum ein grosses Festival auslassen. Dabei kann man ihnen weiss Gott nicht vorwerfen, sie hätten der Versuchung des Geldes nachgegeben. «Sylt» wurde anstatt mit einem Monsterkonzert mit knapp zehn Clubgigs getauft, die dann auch in Rekordzeit ausverkauft waren. Und immer, wenn es um die Sache der alternativen Kultur geht – zum Beispiel gegen die «Säuberung» des Hamburger Schanzenparks -, sind die Jungs zur Stelle. Und was beinahe am erstaunlichsten ist, sie schaffen es, damit trotzdem noch Geld zu verdienen. «Wir sind immer wieder total überrascht, wie viele Leute immer noch unseren Weg mitgehen. Das war bei der ersten Platte eine Riesenüberraschung und jetzt genauso wieder.» Was Kritiker der Band immer vorhalten werden, ist dass sie musikalisch nichts neues macht. Wie gesagt, progressiver Gitarrenschlager. Das will Erik auch gar nicht schönreden: «Klar, wir haben nicht so einen breiten Horizont, wir könnten niemals eine Jazz-Platte machen. Wenn wir mal anders klingen wollen, dann kommt ein Song wie Graceland dabei heraus.» Der Eröffnungssong der neuen Platte, der die Fans geteilt hat wie kein Zweiter. Dabei eigentlich der Song, der das Programm der neuen Platte – abschrecken, um die Leute zu zwingen, genauer hinzuhören – klar auslegt, auch ohne krampfhaft politisch sein zu müssen. «Wir wollen eine Popband sein, keine Punkband. Unser Ziel ist es, den schmalen Grat zwischen eingängig und peinlich zu gehen.» Und dabei sind die Texte der wichtigste Faktor, daran ist kein Zweifel, auch nicht innerhalb der Band. «Ich glaube nicht, dass wir mit der Musik so viele Platten verkaufen würden, wenn da nicht diese Texte wären. Aber es ist auch nicht so, dass der Rest der Band da einfach aussen vor bleibt,» führt Erik aus. «Wir reden sehr viel über die Texte in der Gruppe, feilen an Formulierungen, wenn etwas unklar ist. Jeder gibt seinen Teil.» Das Resultat spricht für sich. Und da die Texte im Zentrum dieser Band stehen, ist es umso enttäuschender, sie an einem grossen Festival zu sehen oder in akustisch desaströsen Klubs (wie beim letzten Schweizer Klubgig im Abart), wo im besten Fall ein rockig klingender Brei dabei herauskommt. Am «Southside»-Festival wurde jede zweite Zeile im wahrsten Sinn vom Winde verweht. Da verspricht der Auftritt in der Aktionshalle einiges mehr. Von Etrit Hasler So n n ta g ,2 8. S ep te m be r 20 08 ,C lu br au m Ro te Fa br ik Monatsprogramm September 2008 Monatsprogramm September 2008 monatsprogramm Rote Fabrik September 2008 Musikbüro Fabriktheater Di 02. SEP / 21.00h // Clubraum / Sugarshit Sharp: Do 04. SEP / 21.00h // Aktionshalle / Sugarshit Sharp: Fr 05. SEP / 21.00h // Aktionshalle / A Thousand Leaves: Fr 26. SEP / 21.00h // Aktionshalle / Woo-Hah!: FR 12., SA 13. SEP / 19.30h // Fabriktheater & Clubraum FR 19., SA 20. SEP / 20.00h // Fabriktheater DO 25., FR 26. SEP / 20.00h // Fabriktheater / Berner Platte: JON SPENCER BLUES EXPLOSION KETTCAR CONOR OBERST IMMORTAL TECHNIQUE Meister Panda and the Mystic Valley Band / Sky Larkin Diabolic / Dj Stoecker Stereo Cobra Killer www.kettcar.net www.saddle-creek.com www.immortal-technique.com Is it wrong to mix your Wasabi with your Soya Sauce? DatanzDa Anderswo Mexican Elvis Ein speediges Splatter-Passionsspiel von Kopp / Nauer / Vittinghoff www.thejonspencerbluesexplosion.com Empfindungen und Gefühle sind doch etwas Ureigenes. Doch wer einfach so mal das Radio andreht und den dort vor sich hinplätschernden Songs Beachtung schenkt, wird feststellen, dass einem Herzensangelegenheiten meist in den immer gleichen, plumpen Worten dargelegt werden. Eine sprachliche Armut, die der Hamburger Band Kettcar fremd ist: «Du bist New York City, ich bin Wanne-Eickel» textete Sänger Marcus Wiebusch zum Beispiel auf ihrem zweiten Album «Spatzen und Tauben, Dächern und Händen». Seit 2001 unternimmt die fünfköpfige Band vom Gitarrenpop mit leicht verstimmtem, melacholisch wirkendem Klavier und Akustikklampfe aus triftig groovende Ausflügen in den Indie Rock. - Da sich für ihr Debütalbum kein Plattenlabel fand, gründete man gemeinsam mit Thees Uhlmann von Tomte einfach selbst ein Label. Auf diesem, Grand Hotel van Cleef mit Namen, erschien nun auch ihre neue Platte «Sylt». «Man ist immer so alt wie man sich lügt», stellt Wiebusch darauf mit behauchter, ungeschulter Stimme fest. Der Ton ist zweifelnd bis verzweifelt, oft politisch, meist sozialkritisch, aber nie konventionell. Es war vor drei Jahren, kurz nach den Anschlägen auf die Londoner U-Bahn, als der charismatische Songwriter Conor Oberst mit seiner Band Bright Eyes auf der Bühne des Jazzfestivals in Montreux stand. Nach knapp vierzig Minuten voller intensiv durchlittener Songs nahm er seinen Becher, liess den Inhalt mit den Worten «There goes humanity.» auf die Bühne rinnen und verliess eilig die Bühne. Niemand nahm ihm das krumm. Zu genau wissen die Fans um sein engagiertes Wesen. Immer spricht aus seinen zwischen Folk, Indie Rock und Country angesiedelten Songs die Leidenschaft. Während der letzten gut zehn Jahre hat der 28-jährige Oberst seine Heimatstadt Omaha im Bundesstaat Nebraska mit den Veröffentlichungen seines Labels Saddle Creek Records zu einem eigentlichen Stilbegriff gemacht. Nun stellt er, nach Jahren in Begleitung des wechselnden Musikerkollektivs Bright Eyes, in neuer Konstellation ein Soloalbum vor. Die bewegte, manchmal fast weinerlich klingende Stimme und die akustischen Americana-Klänge werden bleiben. Felipe Coronel fixiert finster und entschlossen sein Publikum. Die Faust schliesst sich fest um das Mikrofon, jeder Muskel seines Körpers ist angespannt. Wenn sich der in Peru geborene und im New Yorker Stadtteil Harlem aufgewachsene Immortal Technique an die Verbreitung seiner Rapbotschaften macht, ist ihm nie zum Spassen zumute. Mit schneidend scharfen Worten kritisiert er politische Führer, klagte Bush des Hochverrats am amerikanischen Volk an oder rechnet mit der Musikindustrie ab. Wachrütteln heisst seine Devise, HipHop seine Waffe. Boom-Bap-Beats mit oftmals sehr versöhnlichen Melodien bilden die Grundlage für seine grosskalibrigen Wortgeschosse. Im Juni dieses Jahres hat er nach unzähligen Konzerten auf der ganzen Welt sein drittes Album «The 3rd World» veröffentlicht. Auf Einladung von DatanzDa erarbeitet die in Berlin lebende Bildende Künstlerin Patrycja German eine performative Installation mit 10 Zürcher Frauen unterschiedlichen Alters und Backgrounds. In ihren Performances und Videoinstallationen ist Patriycja German auf der Suche nach Bildern, die Einsicht in die Realität des Menschen erlangen lassen. Dabei gilt ihr Interesse der Interaktion mit dem Gegenüber und der Frage, ob echte Nähe in einer inszenierten Situation möglich ist. Wer hinter dem Namen dieser amerikanischen Band eine Truppe von alternden Bierbäuchen vermutet, die sich an den Werken von B.B. King und seiner heiligen Saitendame Lucille versuchen, liegt falsch. Um nicht zu sagen, völlig falsch. Hier rinnt Schweiss aus den Poren, hier wird dem Blues alles Staubige ausgetrieben, hier wird gerne mal übersteuert und rückgekoppelt. Das in New York ansässige Trio beschreibt seine Musik gerne als infernale Vermählung von rebellischem Rock, Punk, Boogie und feurigem Blues. Ein Sperrfeuer aus zwei Gitarren und einem mit seinem engagierten Spiel locker den Bass ersetzenden Schlagzeug. Und vorne fuehrt Sänger Jon Spencer mit einer an Elvis zu seinen besten Zeiten erinnernden Stimme die Band seit bald 18 Jahren und sieben Alben durch das Feuer und zurück. That‘s Rock‘n‘Roll. Aktuelles Album: «Jukebox Explosion» Aktuelles Album: «Sylt» Conor Oberst Wo hört die Darstellende Kunst auf und wo beginnt die Musik? Wann ist Musik performativ und wann wird die Performance zum Musikstück? Zum Saisonauftakt des Fabriktheaters gehen lokale und nationale Kunstschaffende diesen Fragen nach. Wenn nicht anders vermerkt, sind die Performances in einem Aufführungsblock gebündelt, der jeweils um 19.30h beginnt. So 28. SEP / 21.00h // Clubraum / A Thousand Leaves: THE MELVINS Big Business, Porn MY BRIGHTEST DIAMOND www.melvins.com Clare & The Reasons Anne Rosset und Robert Alexander Vorschau: Fr 10.10.08 Bishop Lamont, Black Milk, Guilty Simpson Sa 11.10.08 Anthony B Sa 18.10.08 Platinum Pied Pipers Do 23.10.08 Hanson Brothers Fr 24.10.08 Lambchop Sa 08.11.08 Sly & Robbie feat. Cherine Anderson Mi 12.11.08 The Streets Di 18.11.08 Mogwai Do 20.11.08 Joan As Police Woman Mi 26.11.08 Roots Manuva www.mybrightestdiamond.com Dichter kann man kaum weben: Die Atmosphäre, die Sängerin Shara Worden mit ihrem Projekt namens My Brightest Diamond in den Raum zaubert, kennt keine Lecks oder Laufmaschen. Höchstens ein paar schwarze Löcher, aber das muss jeder selber ergründen. Mit grosser Perfektion gestaltet die 30-jährige, in New York lebende Musikerin ihre Klangräume mit diplomierter Opernstimme, einem Portishead-ähnlichen Stimmungsbewusstsein, klassischen Streicherklängen und IndierockUnterboden aus. So perfekt, dass die Kritik sich zu grossen Vergleichen hingerissen fühlt: Manche beschreiben sie als björkiger als Björk, manche als Mischung aus Beth Gibbons, Tom Waits, Nina Simone (damit sind wohl die Schwingungen gemeint) und Harfen-Sängerin Joanna Newsom. Dazu nur so viel: Wordens zweites Studioalbum «A Thousand Shark‘s Teeth» wird ihren eigenen Name sehr bald als feste Referenz verankern. Für atemberaubend stimmungsvolle Musik und gutes Songwriting. My Brightest Diamond Cervelle & Gloria Aktuelles Album: «A Thousand Shark‘s Teeth» Ziischtigmusig Fabrikjazz DI 23. SEP / 21.30h // Ziegel oh Lac / Ziischtigmusig: Di, 30.SEP / 20.30h // Ziegel oh Lac / Ziischtigmusig: MI 17. SEP / 20.30h // Clubraum / Fabrikjazz: 31 Knots Unhold plus Support Lucas Niggli The Freeks www.unholdmusic.ch www.lucasniggli.com www.31knots.com In Meiringen treffen sich die Züge aus Interlaken und vom Brünig im Sackbahnhof. Hier geht es nicht mehr weiter. Ausser runter in die Aareschlucht oder hoch zum Grimsel. Von hier kommen Unhold, vier nicht mehr ganz so junge Männer mit Gitarren und Verzerrern im Gepäck. Seit 1992 aktiv, schuf man sich dank Talent und fleissigem Spielen den Ruf, die Schönheit und das Biest im Tanz zu vereinen, als wären diese Gegensätze das selbstverständlichste Traumpaar. Metal, Noise und Hardcore sind die Zutaten, schwere Brecher das Resultat. Nach vier Jahren erscheint dieser Tage das neue Album «Gold Cut» - 52 dynamische Minuten zäh brodelnder Energie: wütende Ausbrüche und dazwischen immer wieder Melodien.. Das erinnert an Neurosis, Deftones und wenn das Quartett mal ein, zwei Gänge runter schaltet auch an Black Sabbath. Im Herbst geht es auf ausgedehnte Europatournee, beim Zürcher Aufritt dürften Unhold also bestens eingespielt sein. Bis dahin sollte auch die Nackenmuskulatur der hiesigen Headbanger austrainiert sein. Klanglandschaften aus zwei Kontinenten finden zusammen, wenn Lucas Niggli, Rolando Lamussene, Kesivan Naidoo und Conradin Zumthor ihre Drumsets im Kreis anordnen und zu spielen beginnen. Lamussene, ein grossartiger Rhythmiker aus Mozambik, nutzt Handtrommel und Mbira (Daumenklavier), um seine Geschichten zu erzählen. Der aus Südafrika stammende Kesivan Naidoo ist stark mit dem tanzbaren Jive-Jazz seiner Heimat verbunden, während der Bündner Conradin Zumthor neuere Spielarten des Rock einbringt. Lucas Niggli, der einen Teil seiner Kindheit in Kamerun verbracht hat, lebt in Uster. Er hat für Beat Bag Bohemia Kompositionen geschrieben, in denen zarteste Klänge genauso Platz finden wie schweisstreibende Beats. Das Quartett knüpft an eine Tradition an, die mit Art Blakey’s AfroDrum Ensemble in den fünfziger Jahren begann, von Max Roach weitergeführt wurde und zu der Pierre Favre mit Singing Drums eine europäische Variation beisteuerte. Aktuelles Album: «Gold Cut» Mit freundlicher Unterstützung durch Stadt Zürich Kultur , Stiftung Corymbo, Ernst Göhner Stiftung DatanzDa Konzept Lucas Niggli, drums/composition; Peter Conradin Zumthor, drums; Kesivan Naidoo, drums; Rolando Lamussene, djembe/mbira SA 27. SEP / 20.00h SO 28. SEP / 18.30h // Fabriktheater / Berner Platte: MI 24. SEP / 19.30h // Clubraum / KOFO // Aktionshalle / Musik-Tanz-Theater Cervelle & Gloria Willkommen im Labor Dr. Wünsch KOFO ohne Gebärdensprachdolmetschung? Schon die alten Griechen wussten: «Vom Gehirn und nur vom Gehirn stammen unsere Freuden, Vergnügen, unser Lachen und Scherzen, aber auch unsere Sorgen, Schmerzen, Trauer und Tränen.» In Cervelle & Gloria begegnet Gloria ihrem eigenen Gehirn, das eines Morgens die Synapsen gestrichen voll hat von ihr. Ein Duell beginnt. Eine aufreibende Reise durch das eigene Labyrinth, vorbei an komisch tickenden Zwergen, frivolen Hula-Tänzerinnen und anderen zwielichtigen Gestalten. Doch halt! Ist dies alles nur eine Versuchsanordnung von Dr. Wünsch, dieser Koryphäe der Hirnforschung, die sagt: «Seele? Gibt’s nicht! Geist? Vergiss es! Wir tun nicht, was wir wollen, sondern wir wollen, was wir tun!» Regie: Heiko Kalmbach Text: Grazia Pergoletti Bühne, Kostüme: Reni Wünsch Video/Animationskonzept: Irena Germano Animation: Elio Lüthi Musik & Ton: Frank Gerber Licht: Daniel Müller Produktion: Cristina Achermann Aktuelles Album: «Nude With Boots» Aktuelles Album: «Worried Well» Info:datanzda.blogspot.com Ausführliches Programm auf Seite 12 Aktuelles Album: «Conor Oberst and the Mystic Valley Band» Sa 27. SEP / 21.00h // Aktionshalle / Sugarshit Sharp: 31 Knots sind drei Virtuosen aus Portland. Wobei Virtuosität hier nicht mit selbstvergessenem Gefrickel verwechselt werden sollte. Das Trio hält seine Kompositionen drahtig wie Fugazi, modeliert die Melodien à la Gang Of Four und gniedelt, einmal in Fahrt gekommen, dass Zappa selig beifällig mitnickt. Den Rhythmus wechseln die Jungs so flink wie die Instrumente, und wer nicht aufpasst, riskiert durchaus, sich den einen oder anderen Knoten in die Beine zu tanzen. Leitung: Patrycja German Performance: Patrycja German und 10 Frauen Aktionsgruppe DatanzDa: Angelika Ächter und Anne Rosset Fabriktheater The Melvins Wenn man fliegen will, muss man loslassen; und zwar ganz. Und das bedeutet Schmerz. Meister Panda bietet aktive Lebenshilfe. Denn jeder Schicksalsschlag bedeutet auch eine Chance. Auf einer Reise an die Grenzen der menschlichen Leidensfähigkeit lehrt er uns Demut und Bescheidenheit. Öffne Dein Herz und reisse die Liebe heraus. Aber Vorsicht! Opferbereitschaft allein reicht nicht aus. Denn da lauert auch noch der heimtückische Lama Dama. Und wie entrinnt man der wütenden Bevölkerung von Môtiers? Wie kommt man durch die Wirren einer immer schneller werdenden Zeit? Wo findet man die Erlösung Bambis? Und brennt wirklich für jeden irgendwo ein Licht? Aktuelles Album: «The 3rd World» Musikbüro 24 Jahre sind vergangen und 23 Tonträger entstanden, seit Gitarrist und Sänger Buzz Osborne und Schlagzeuger Dale Crover die Band The Melvins gründeten. Und eigentlich haben wir damit schon viel zu brav begonnen, um die schroffe Musik dieser kultisch verehrten, um die beiden Schlüsselfiguren herum wechselnd besetzten Truppe zu beschreiben. Die Gitarren dröhnen oft wie ein schwarz gestrichener Rasenmäher oder ein Schwarm tief brummender Bienen. Dazu kurvt Osbornes Stimme zwischen Frustabbau und Selbsttherapie herum. Und auch am eigenwilligen Spiel von Drummer Crover kann man die Punk-Attitüde dieser Band jederzeit ablesen. Eine Attitüde, die sich in verschiedenen Stilen äussert: Gestartet im Hardcore Punk haben die Melvins unbewusst massgeblich zur Geburt des Grunge beigetragen, ihrem ehemaligen Roadie Kurt Cobain tüchtig den Kopf verdreht und laut lärmend immer wieder die Grenzen des RockGenres ausgelotet. Auf ihrer diesjährigen Tour stellen sie ihr Album «Nude With Boots» vor, das Anfang Juli auf dem Label von Ex-Faith No More Sänger Mike Patton erschien. Neun Performances zur Saisoneröffnung des Fabriktheaters Rote Fabrik Tag der offenen Fabrik Vorschau: Tag der offenen Fabrik am Samstag, 13. September 2008 Fr 03. OKT Rafik Schami & Günter Sommer Mi 22. OKT Ingrid Laubrock Trio und Matthew Shipp Solo So 09. NOV The Zimology Quartet, feat. Zim Ngqawana Einmal im Jahr stehen auf dem ganzen Areal Türen und Tore offen und lassen den Blick hinter die Kulissen zu. Auf dem Programm stehen von 14 – 18 Uhr eine ganze Menge Attraktionen, denen man beim Gang kreuz und quer durchs Areal begegnet. Wer sich für Kunst interessiert, kommt nicht zu kurz: Zahlreiche KünstlerInnen-Ateliers stehen den Besuchern offen, Amitesh Grover aus Dehli präsentiert im neuen Atelier für Artists in Residence seine Videoarbeiten, und im Druckatelier wird in die verschiedenen Drucktechniken eingeführt. Ausserdem öffnet die Gruppe Dock 18 in den Räumen der ehemaligen Infothek erstmals die Türen zum Raum für Medienkulturen und startet zum Tag des Europäischen Denkmals mit einem virtuellen Zeichen. Lucas Niggli Seit ihrer Gründung werden die KOFO-Veranstaltungen in Zürich immer mit Übersetzung in Gebärdensprache durchgeführt. KOFO war bisher offen für gehörlose und hörende BesucherInnen. Um der Gehörlosenkultur und -sprache noch mehr Gewicht zu geben, fragen sich viele, ob es besser wäre, die KOFO-Abende ohne DolmetscherInnen durchzuführen. Ein Diskussionsabend mit Pro- und Kontra-Gästen. Wird eine neue Ausrichtung gewünscht? Moderation: Nejla Helbling, Eintritt Fr, 2.-beim Eingang einwerfen Rote Fabrik mit Gehörlosen- und Sportverein Zürich in Zusammenarbeit mit sichtbar GEHÖRLOSE ZÜRICH DO 25. SEP / 20.00h // Clubraum / Film Marthas Garten Ein Kriminal-Film Super-8, D/CH 2007, 35 Minuten, Farbe, Ton, Drehbuch, Regie: Paul Dorn Mit: Dorothea Flatau, Gisela Honens, Jana Issleib, Luis Krummenacher, Marco Krummenacher, Anja Saran, Thomas Scherl, Rüdiger Schnause, Paul Dorn Musik: Ueli Schill Ein Dichter schreibt, verwirft, verbrennt das Papier... Die Figuren werden lebendig. Er schreibt von Lisa und Alex, einem frisch verheirateten Paar. Der Vorsitzende einer kleinen, ominösen Partei erteilt den Auftrag, Alex zu liquidieren. Der Parteisekretär, von Beruf Kellner – und Killer, erwischt das Paar in den Flitterwochen am Kasseler Herkules. Alex findet sich in der Unterwelt wieder. Der Kommissar tritt umgehend auf den Plan. Er gewährt der verzweifelten Lisa Quartier. Sie schlafen ein. Der Traum, die Träume bestim-men die Spurensuche des Kommissars; Gegenstände beginnen sich zu verändern, der Dichter wird in seine eigene Geschichte verwickelt, Wort wird Fleisch... Fabrikvideo In den Musikproberäumen lassen es die Bands so richtig krachen, während im Bewegungsraum die Konzentration auf das Jonglieren und die Akrobatik gerichtet ist. Wer will, kann sich hier auch an der Kletterwand versuchen. Kleinere Besucherinnen und Besucher sind zu einer Rundfahrt auf der Eisenbahn im Hof eingeladen und können sich an der Sirup- und Popcornbar vergnügen. Und wer bei der Segelschule vorbeischaut, bekommt eine kleine Einführung ins Segeln auf dem Zürisee. Die Entdeckungsreise hinter die roten Backsteinmauern kann auf eigene Faust unternommen werden, man kann sich aber auch einer der im Halbstundentakt stattfindenden Führungen anschliessen. Start ist beim Infostand im Hof. FABRIKVIDEO - Schnittplätze begleitete Videowerkstatt Videokurse Projektbegleitung Überspielungen DV /DVD / SVHS / Beta Kamerakurs In diesem Kurs lernst du die Grundlagen der Kameratechnik und der Filmsprache kennen. Der Kurs besteht aus Theorie und Praxis. 4x am Dienstagabend von 18.30-21.30 Uhr Beginn: 9.9., dann 16.9./ 23.9./ 30.9. Fr. 240.Animationskurs In diesem Kurs lernst du anhand eines Countdowns die verschiedenen Möglichkeiten und Techniken des Animationsfilm kennen. Anschließend kannst du eine eigene Animationsidee umsetzen. 4x am Montagabend von 18.30-21.30 Uhr Beginn: 8.9., dann 15.9./ 22.9./ 29.9. Fr. 240.After Effects CS 3 After Effects wird für die professionelle Gestaltung animierter Grafiken und visueller Effekte im Bereich Film, Video, Multimedia und Internet eingesetzt. Du wirst das Programm kennen lernen und anwenden. Sa/So 13./14. September Fr. 240.Videogrundkurs In diesem Kurs lernst du die Grundlagen der Filmsprache und der Videotechnik kennen. Der Kurs besteht aus Theorie und Praxis und gibt dir einen Einblick in den gesamten filmischen Ablauf. 8x am Dienstagabend von 18.30-21.30 Uhr Beginn: 7.10., dann 14.10./21.1 0./28.10./4.11./11.11./18.11./25.11. Fr. 390.Schnittkurs: Final Cut Pro auf dein Projekt bezogen Hast du schon gefilmt? Möchtest du unter fachkundiger Anleitung dein Material bearbeiten und die Schnittsoftware Final Cut Pro anwenden lernen? Fr-So 10.-12. Oktober Fr. 450.Für Gruppen ab 3 Personen können eigene Kurse und Daten vereinbart werden. Bürozeiten: Dienstags 10-13 Uhr Donnerstags 17-20 Uhr Tel. 044 485 58 78 [email protected] www.fabrikvideo.ch Idee / Bühne / Text: Kopp / Nauer / Vittinghoff Spiel: Armin Kopp/Philippe Nauer Regie: Dirk Vittinghoff Technik: Ulysses Probst/Dirk Vittinghoff Video: Efa Mühlethaler Produktionsleitung: Sibylle Heiniger Monatsprogramm September 2008 Rote Fabrik September 2008 1 Mo 2 Di Musikbüro Jon Spencer Blues Explosion Clubraum 21 Uhr 3 Mi 4 Do Musikbüro Kettcar Aktionshalle 21 Uhr 5 Fr Musikbüro Conor Oberst and the Mystic Valley Band Aktioshalle 21 Uhr 6 Sa Party Flaming Monkey Clubraum 22 Uhr 7 So 8 Mo 9 Di 10 Mi 11 Do 15 Mo 16 Di 17 Mi 22 Mo 23 Di 13 Sa Fabriktheater Saisoneröffnung Clubraum 19.30 Uhr 14 So 19 Fr Fabriktheater Datanzda anderswo Fabriktheater 20 Uhr 20 Sa Fabriktheater Datanzda anderswo Fabriktheater 20 Uhr 21 So 26 Fr Fabriktheater Meister Panda Fabriktheater 20 Uhr 27 Sa 12 Fr Fabrikjazz Lucas Niggli & Beat Bag Bohemia Clubraum 20.30 Uhr Ziischtigmusig 31 Knots Ziegel Oh Lac 21.30 Uhr Fabriktheater Saisoneröffnung Clubraum, Fabriktheater 19.30 Uhr 18 Do 24 Mi Konzept KOFO Clubraum 19.30 Uhr 30 Di Ziischtigmusig Unhold Ziegel Oh Lac 21.30 Uhr Party GS & Motoguzzi Label Nacht Clubraum 23 Uhr 25 Do Konzept Marthas Garten Clubraum 20 Uhr Fabriktheater Meister Panda Fabriktheater 20 Uhr Musikbüro Immortal Technique Aktionshalle 21 Uhr Fabriktheater Cervelle & Gloria Fabriktheater 20 Uhr Musikbüro The Melvins Aktionshalle 21 Uhr 28 So Fabriktheater Cervelle & Gloria Fabriktheater 18.30 Uhr Musikbüro My Brightest Diamond Clubraum 21 Uhr 29 Mo ROTE FABRIK SEESTRASSE 395, ZÜRICH WWW.ROTEFABRIK.CH DAS DOCK18 ÖFFNET DIE TÜREN ZUM RAUM FÜR MEDIENKULTUREN DER WELT AM TAG DES EUROPÄISCHEN DENKMALS UND STARTET DEN VORVERKAUF MIT EINEM VIRTUELLEN ZEICHEN ARCHIVFILME ZUR ROTEN FABRIK OFFENE ATELIERS DER KÜNSTLERINNEN IN DER ROTEN FABRIK ARTIST IN RESIDENCE: AMITESH GROVER AUS DEHLI PRÄSENTIERT SEINE VIDEOARBEITEN DRUCKATELIER: EINFÜHRUNG IN DIE VERSCHIEDENEN DRUCKTECHNIKEN BANDS AUS DEN MUSIKPROBERÄUMEN LASSEN VON SICH HÖREN BEWEGUNGSRAUM: JONGLIEREN UND OFFENES AKROBATIKTRAINING, KLETTERWAND PROGRAMM AUF DEM GANZEN AREAL VON 14 – 18 UHR INFOSTAND: BROSCHÜREN, FLYERS, FABRIKZEITUNG UND ALLE INFORMATIONEN RUND UM DIE ROTE FABRIK FÜHRUNGEN KREUZ UND QUER DURCH'S AREAL, ALLE 30 MINUTEN AB INFOSTAND SPIEL UND SPASS IM HOF: EISENBAHN UND TRAMPOLIN, MIT SIRUP- UND POPCORNBAR VOM QUARTIERTREFF MUSIKPERFORMANCE IM HOF SEGELSCHULE: KLEINE EINFÜHRUNG INS SEGELN AUF DEM ZÜRISEE RAD-LOS! VELOWERKSTATT ZIEGEL OH LAC: FEINES ZUM ESSEN UND TRINKEN VON 11 BIS 2 UHR. 19.30 UHR: SAISONERÖFFNUNG FABRIKTHEATER MIT PERFORMANCE-FESTIVAL BITTE VORVERKAUF BENÜTZEN INFOSTAND // FÜHRUNGEN // EISENBAHN UND TRAMPOLIN IM HOF // SIRUP- UND POPCORNBAR // DIE FABRIK IM FILM // DOCK18 PRÄSENTIERT ZÜRICHS GRÖSSTES DENKMAL: DIE ROTE FABRIK // OFFENE ATELIERS UND DRUCKATELIER // ARTIST IN RESIDENCE: VIDEOARBEITEN VON AMITESH GROVER (DEHLI) // BANDS LIVE AUS DEN MUSIKPROBERÄUMEN // JONGLIEREN UND AKROBATIKTRAINING // MUSIKPERFORMANCE IM HOF // EINFÜHRUNG INS SEGELN AUF DEM ZÜRISEE // ZIEGEL OH LAC: FEINES ZUM ESSEN UND TRINKEN VON 11 BIS 2 UHR. // 19.30 UHR: FABRIKTHEATER: PERFORMANCE-FESTIVAL (VORVERKAUF)