Liebesgedichte des Expressionismus

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Liebesgedichte des Expressionismus
LMU München • Institut für deutsche Philologie • PD Dr. Michael Ansel / Janine Wadewitz, M. A.• HS Liebesgedichte des
Expressionismus; Textauswahl (WiSe 2008/09)
Seite 1
Johannes R. Becher: Dorka
[Aus: Mädchen II]
Sie –: Dorka. Die ein orphischer Erdsturz braust.
Ihn aufwarf und bereißt. Entsog. Zerstückte.
Ihm Helferin zu seinem ersten Bau.
Um deren Mund sich Sturm aus Bajonetten zückte.
Armeeen sich im Abgrund ihres Nabels schlugen.
(– vor der er sich zum Trank der Gosse bückte –)
Wie lang schlief er in solchen Leibes Fuge.
Nie je war Nacht so fabelhafte Nacht.
Mit Engeln, die uns auf der Wolken Samtbett trugen.
Sie Dorka. Die ein schmetterndes Orchester lacht!
Am Horizont aufsteht sie, wachsend ungeheuer.
Die Sterne purzeln tönend in den Schacht
Des Schoßes. Wolkgemäuer
Treibt vor und schäumt und klebt sich in die Haut.
Von Küsten euch o Lippen sprudelt Feuer! Feuer!!
Vor dem der Dachstuhl aller Kathedralen taut.
Der Haare schwarze Fahn zuhöchst dem Haupt gehißt.
... und von Morästen braut
Es, untermischt mit Wiesen, um den Flor
Der Wimpern, die gleich Lanzengittern niederschatten.
Um Locken Waldung sprießt ein Natternchor.
An Schläfen Nester triefender Kasematten.
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Seite 2
Johannes R. Becher: Mund ob Mund
Mund ob Mund –
Deine Hand auf meiner Stirn –:
Geliebte was fiel noch schwer?!
Frieden wär.
Und Völker Umarmende sich.
Heiliger Bund.
Unsere Menschenschritte klirrten sehr.
Nichts das unmöglich wär.
Geliebteste in unserem Leib
Berg schwingt, glänzt Meer.
Der Mensch erblüht.
O Mann! O Weib!
Mit Eroberer=Fäusten stieß ich Stern auf Erden nieder.
So klebte nimmer Erde schwer.
Mit Eroberer=Fäusten Himmel erdennieder.
Da erschwebten selbst die Ärmsten, körperleer.
Landschaften, Paradiese kreisten.
Kaleidoskop. Und klar Gehirn.
Nichts das unmöglich wär.
Glück den Schwachen und Verwaisten.
Wie tönt ein Hund ...
Mund ob Mund ...
Mit Eroberer=Fäusten – –
Deine Hand auf meiner Stirn.
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Seite 3
Gottfried Benn: D-Zug
Braun wie Kognak. Braun wie Laub. Rotbraun. Malaiengelb.
D-Zug Berlin – Trelleborg und die Ostseebäder. –
Fleisch, das nackt ging.
Bis in den Mund gebräunt vom Meer.
Reif gesenkt. Zu griechischem Glück.
In Sichel-Sehnsucht: wie weit der Sommer ist!
Vorletzter Tag des neunten Monats schon! –
Stoppel und letzte Mandel lechzt in uns.
Enthaltungen, das Blut, die Müdigkeiten,
Die Georginennähe macht uns wirr. –
Männerbraun stürzt sich auf Frauenbraun:
Eine Frau ist etwas für eine Nacht.
Und wenn es schön war, noch für die nächste!
O! Und dann wieder dies Bei-sich-selbst-sein!
Diese Stummheiten. Dies Getriebenwerden!
Eine Frau ist etwas mit Geruch.
Unsägliches. Stirb hin. Resede.
Darin ist Süden, Hirt und Meer.
An jedem Abhang lehnt ein Glück. –
Frauenhellbraun taumelt an Männerdunkelbraun:
Halte mich! Du, ich falle!
Ich bin im Nacken so müde.
O dieser fiebernde süße
Letzte Geruch aus den Gärten. –
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Seite 4
Gottfried Benn: Karyatide
Entrücke dich dem Stein! Zerbirst
Die Höhle, die dich knechtet! Rausche
Doch in die Flur, verhöhne die Gesimse – –:
Sieh: durch den Bart des trunkenen Silen
Aus seinem ewig überrauschten
Lauten einmaligen durchdröhnten Blut
Träuft Wein in seine Scham.
Bespei die Säulensucht: toderschlagene
Greisige Hände bebten sie
Verhangnen Himmeln zu. Stürze
Die Tempel vor die Sehnsucht deines Knies,
In dem der Tanz begehrt.
Breite dich hin. Zerblühe dich. O, blute
Dein weiches Beet aus großen Wunden hin:
Sieh, Venus mit den Tauben gürtet
Sich Rosen um der Hüften Liebestor –
Sieh' dieses Sommers letzten blauen Hauch
Auf Astermeeren an die fernen
Baumbraunen Ufer treiben, tagen
Sieh' diese letzte Glück-Lügenstunde
Unserer Südlichkeit,
Hochgewölbt.
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Seite 5
Ernst Blass: Diese ruhigen Nächte ...
Diese ruhigen Nächte werden nicht wiederkommen,
Wo Laternen heiter geschie nen haben,
Und daß unsre Stimmen wie die Stimmen von spielenden Knaben
Verklangen, entlief und ist jetzt schmerzlich verschwommen …
Kaum zu glauben.
Was ich mich heute fast auszusprechen scheue,
Ist: daß ich schlief. Nie ist mir bewußt gewesen,
Wie du wie ein Flieder triebest in mein Wesen,
Heut fühl ich meine heißen Blicke lesen
In deiner lichten Haut, du Abendbläue!
In einer Qual, die geil und steinig blüht,
Treib ich umher in verwirbelt staubigem Grau.
Und war doch einst manchen Abend wie Tau
Und Straßenecke, mädchenübersprüht.
Ernst Blass: [Was waren deine Wangen? ...]
[Aus: Die Gedichte von Trennung III]
Was waren deine Wangen? Kleine Zinnen,
Wo Erdbeer ruht, und sich ein Schwan bewegt,
Und wo ein Mohr aus scheinenden Gewinnen
Die Fülle ungemünzten Goldes trägt.
Was waren deine Lippen? Große Züge
Von Straßen weit von Feld zu Abendrot,
Der Küsse paradiesische Genüge,
Das weiße Krankenlager vor dem Tod.
Was waren deine Augen? Blaue Zeichen,
Dir eigen, wie in Erde deine Spur,
Die mächtig dich beweist vor dem Verstreichen,
Dich Glied, o dich Gebilde der Natur!
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Seite 6
Paul Boldt: Die Liebesfrau
– Nackt. Ich bin es nicht gewohnt.
Du wirst so groß und so weiß,
Geliebte. Glitzernd wie Mond,
Wie der Mond im Mai.
Du bist zweibrüstig,
Behaart und muskelblank.
So hüftenrüstig
Und tänzerinnenschwank.
Gib dich her! Draußen fallen
Die Regen. Die Fenster sind leer,
Verbergen uns ... – allen, allen! –
Wieviel wiegt dein Haar? Es ist sehr schwer.
– Wo sind deine Küsse? Meine Kehle ist gegallt,
Küsse du mich mit deinen Lippen!
– Frierst du? – – – Du bist so kalt
Und tot in deinen hellen Rippen.
–––––––––––––––––––––
Paul Boldt: Mädchennacht
Der Mond ist warm, die Nacht ein Alkohol,
Der rasch erglühend mein Gehirn betrat,
Und deine Nacktheit weht wie der Passat
Trocknend ins Mark.
Du hast ein weißes Fleischkleid angezogen.
Mich hungert so – ich küsse deine Lippen.
Ich reiße dir die Brüste von den Rippen,
Wenn du nicht geil bist!
– Küsse sind Funken, elektrisches Lechzen
Kupferner Lippen, und die Körper knacken!
Mit einem Sprunge sitzt mein Kuß im Nacken
Und frißt dein Bäumen und dein erstes Ächzen.
Und als ich dir die weißen Knie und,
Dein Herz verlangend, allen Körper küßte,
Geriet mein Schröpfkopf unter deine Brüste;
Da drängte sich das Herz an meinen Mund.
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Seite 7
Albert Ehrenstein: Lethe!
[Aus: Ich weiß bloß Tod und Liebe VI]
Ich sehne mich nach deinen Winterwimpern,
Sommersprossen, der Frühlingshand, herbstrotem Haar
– Und nur die Winterwehmut ist und war.
Verbannt aus Frühlingsland, das wir genossen,
In graue Wüste, selbstverdrossen
Erlösche ich im Licht, das Larven scheint.
Mir weint der Regen, und selbstversteint
Alt-einsames Herz
Gibt sich der Träne, die den Regen grüßt.
Wenn ich wüßte,
Wer den Regen weint in meine graue Wüste
– Sein Schmerz schluchzt nah
Meinem Gram um nichtgeküßte Küste
Und Tränenregen frißt
Alt-einsames Herz,
Fern deinen Winterwimpern, Sommersprossen,
Der Frühlingshand, herbstrotem Haar
Und allem, was einst war
Und nicht mehr, nicht mehr ist.
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Seite 8
Walter Hasenclever: Begegnung
[Aus: Hilfe den Toten! IX]
Sag aus meer- und wolkenhaftem Munde,
Schon verirrt in Deines Bettes Nacht,
Wo Du mit dem Andern schliefst im Bunde:
Welche Stunde bist Du aufgewacht?
Wann begannen dunkel Dir zu tönen
Uhr und Glas auf Deines Tisches Ra nd;
Wann erhobst Du Dich aus dumpfem Stöhnen,
Schauernd unter einer fremden Hand?
In derselben ängstlichen Sekunde
Schloß mir Jene auf ihr Gartentor,
Wo ich stand verloren in der Runde
Schwarzer Bäume und dem Sternenchor.
Plötzlich allen nächtlichen Verbannten
War ich nahe in der gleichen Zeit –
Und da fühlt ich, daß wir uns erkannten
Tief in Treue aus der Wirklichkeit.
Walter Hasenclever: [Liebst du an mir ...]
[Aus: Der Abenteurer VII]
Liebst du an mir, daß ich, wie du, mich härme?
Kennst du das ferne Streicheln meiner Hände?
Fliehst du vor mir, wenn ich zu nah dir schwärme?
Erschauerst du beim Kuß, als wärs das Ende?
Bist du das Eine, das ich immer finde –
Gesicht des eignen Blutes, fremd und scheu?
Was irrst du traurig unter dem Gesinde –
So tritt hervor! Erkenn dich! Sei dir treu!
Du bist, wie ich, Geschenk an Tag und Erde,
Aus deren Herz du wieder zu dir kreist.
Und alles, was du weißt von Tag und Erde,
Ist nur dein Spiegelbild in deinem Geist.
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Seite 9
Max Herrmann-Neisse: Konfession
[Aus: Lieder für Leni I]
Ich aber bin der Kleinsten Einer
Und der Geringste unter ihnen,
Und bin nicht wert, dir scheu zu dienen,
Denn so verscheucht, als ich, ist keiner,
Und jeder hat in seinen Mienen
Doch noch ein: Keuscher Ich und Reiner!
Ich aber bin ein Ding voll schlechten,
Verpfuschten Schatten und Gerümpel
Und jeder Wollust toter Tümpel –
Der niedrigste von deinen Knechten
Ist neben mir ein stolzer Wimpel
Und prangt als Sonne der Gerechten!
Denn ich bin so vermorscht und kleiner
Als der verlorne Wurm im Staube,
Ich bin der Rest von deinem Raube,
Ich bin der Ausgestoßnen Einer
Und hab nur dies: Ich weiß und glaube
Und liebe dich so sehr, wie Keiner! ...
Max Herrmann-Neisse: [Mit Blüten wollte ich Dich überschütten ...]
Mit Blüten wollte ich Dich überschütten,
Mit weißen, flatternden, duftigen Flocken,
Die Dich wie Amoretten umgaukelt,
Tändelnd um Nacken und Brüstchen geschaukelt,
Und zärtlich gestreichelt die goldigen Locken...
Ich ging durch ein Dorf, auf dessen Hütten
Die Sommersonne versengend brannte;
Wo vor verhängten Fenstern in Scherben
Kranke Blumen fiebernd versterben – – –
Der ich Dein jauchzendes Lachen kannte!
Ein Teich träumt da, ein totes Auge.
Umsäumt von dürren, verwelkten Kressen,
Ein ausgestorbener Saal, ohne Zecher.
Bienen umsummen die leeren Becher – –
Könnt ich Dein jauchzendes Lachen vergessen!
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Seite 10
Georg Heym: Deine Wimpern, die langen ...
An Hildegard K.
Deine Wimpern, die langen,
Deiner Augen dunkele Wasser,
Laß mich tauchen darein,
Laß mich zur Tiefe gehn.
Steigt der Bergma nn zum Schacht
Und schwankt seine trübe Lampe
Über der Erze Tor,
Hoch an der Schattenwand,
Sieh, ich steige hinab,
In deinem Schoß zu vergessen,
Fern, was von oben dröhnt,
Helle und Qual und Tag.
An den Feldern verwächst,
Wo der Wind steht, trunken vom Korn,
Hoher Dorn, hoch und krank
Gegen das Himmelsblau.
Gib mir die Hand,
Wir wollen einander verwachsen,
Einem Wind Beute,
Einsamer Vögel Flug,
Hören im Sommer
Die Orgel der matten Gewitter,
Baden in Herbsteslicht,
Am Ufer des blauen Tags.
Manchmal wollen wir stehn
Am Rand des dunkelen Brunnens,
Tief in die Stille zu sehn,
Unsere Liebe zu suchen.
Oder wir treten hinaus
Vom Schatten der goldenen Wälder,
Groß in ein Abendrot,
Das dir berührt sanft die Stirn.
Göttliche Trauer,
Schweige der ewigen Liebe.
Hebe den Krug herauf,
Trinke den Schlaf.
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Seite 11
Einmal am Ende zu stehen,
Wo Meer in gelblichen Flecken
Leise schwimmt schon herein
Zu der September Bucht.
Oben zu ruhn
Im Hause der durstigen Blumen,
Über die Felsen hinab
Singt und zittert der Wind.
Doch von der Pappel,
Die ragt im Ewigen Blauen,
Fällt schon ein braunes Blatt,
Ruht auf dem Nacken dir aus.
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Seite 12
Georg Heym: Der Tod der Liebenden
(Letzte Fassung)
Durch hohe Tore wird das Meer gezogen
Und goldne Wolkensäulen, wo noch säumt
Der späte Tag am hellen Himmelsbogen
Und fern hinab des Meeres Weite träumt.
„Vergiß der Traurigkeit, die sich verlor
Ins ferne Spiel der Wasser, und der Zeit
Versunkner Tage. Singt der Wind ins Ohr
Dir seine Schwermut, höre nicht sein Leid.
Laß ab von Weinen. Bei den Toten unten
Im Schattenlande werden bald wir wohnen
Und ewig schlafen in den Tiefen drunten,
In den verborgenen Städten der Dämonen.
Dort wird uns Einsamkeit die Lider schließen.
Wir hören nichts in unserer Hallen Räumen,
Die Fische nur, die durch die Fenster schießen,
Und leisen Wind in den Korallenbäumen.
Wir werden immer beieinander bleiben
Im schattenhaften Walde auf dem Grunde.
Die gleiche Woge wird uns dunkel treiben,
Und gleiche Träume trinkt der Kuß vom Munde.
Der Tod ist sanft. Und die uns niemand gab,
Er gibt uns Heimat. Und er trägt uns weich
In seinem Mantel in das dunkle Grab,
Wo viele schlafen schon im stillen Reich. “
Des Meeres Seele singt am leeren Kahn.
Er treibt davon, ein Spiel den tauben Winden
In Meeres Einsamkeit. Der Ozean
Türmt fern sich auf zu schwarzer Nacht, der Blinden.
In hohen Wogen schweift ein Kormoran
Mit grünen Fittichs dunkler Träumerei.
Darunter ziehn die Toten ihre Bahn.
Wie blasse Blumen treiben sie vorbei.
Sie sinken tief. Das Meer schließt seinen Mund
Und schillert weiß. Der Horizont nur bebt
Wie eines Adlers Flug. der von dem Sund
Ins Abendmeer die blaue Schwinge hebt.
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Seite 13
Kurt Heynicke: Gedicht
Ein Meer ist mein Blut.
An deines Leibes Küsten brandet laut das Meer.
Ich bin ein Schiff.
Und bin von Knabenträumen schwer.
Ein Glockenton verfliegt in unserm Haar,
die Sonne glutet tief in uns hinein,
es blüht ein Baum für unsre Liebe.
In unsern Garten fällt ein neuer Traum.
Hoch blüht der Baum in unserm Garten.
Die weissen Wege münden hell in deine Brust.
Du leuchtest.
Und die Stunde singt.
Aus allen Himmeln senkt sich blaue Lust.
Kurt Heynicke: In der Mitte der Nacht
[Aus: Der Garten Liebe VI]
Deine Liebe ist ein weißes Reh,
das in die Mitternacht meiner Sehnsucht flieht,
ein Baum von Tränen steht im Wald meiner Träume nach dir,
nun bist du da –
Erfüllung wirft mir der Mond aus der Schale seines Glanzes zu –
ich liebe dich,
du,
und stelle Nelkenduft vor deine Kammer,
und werfe Narzissen über dein Bett.
Ich selber komme silbern wie du
und wölbe mich hoch,
ein heiliger Hain
über dem Altar deiner frommen Seele.
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Seite 14
Jakob van Hoddis: Die Tänzerin
[Aus: Varieté VIII]
Wie mich die zärtlichen Gelenke rühren,
Dein magrer Nacken, deiner Kniee Biegen!
Ich zürne fast. Werde ich dir erliegen?
Wirst du zu jenem Traum zurück mich führen,
Den ich als Knabe liebend mir erbaute
Aus süßen Versen und dem Spiel der schönen
Schauspielerinnen, linden Geigentönen
Und Idealen, die ich klaute?
Ach! Keine fand ich jenem Traume gleich,
Ich mußte weinend Weib um Weib vermeiden,
Ich war verbannt zu unermessnen Leiden,
Und hasse jenen Traum. Ich spähe bleich,
Und sorgsam späh Ich, wie dein Leib sich wende,
Nach jeder Fehle, die im Tanz du zeigst,
Ich bin dir dankbar, da du doch am Ende
Mit einem blöden Lächeln dich verneigst.
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Seite 15
Ernst Wilhelm Lotz: Ich küsste Dich …
Meine Lippen sind bunt gesprungen.
Ich küßte dich zu sehr, zu lang.
Mein buntes Herz hat sich in meine Lippen hinaufgeschwungen.
Hörst du: Es atmet und zuckt. Es stimmt einen süßen Gesang.
Es singt ein wehendes Lied auf deinen Mund.
Nur dein Lippenherz kann begreifen sein Tönen,
So singend, so bunt.
Langsam müssen wir unser Staunen daran gewöhnen.
Ernst Wilhelm Lotz: In deinem Zimmer
In deinem Zimmer fand ich meine Stätte.
In deinem Zimmer weiß ich, wer ich bin.
Ich liege tagelang in deinem Bette
Und schmiege meinen Körper an dich hin.
Ich fühle Tage wechseln und Kalender
Am Laken, das uns frisch bereitet liegt.
Ich staune manchmal still am Bettgeländer,
Wie himmlisch lachend man die Zeit besiegt.
Bisweilen steigt aus fernen Straßen unten
Ein Ton zu unserm Federwolkenraum,
Den schlingen wir verschlafen in die bunten
Gobelins, gewirkt aus Küssen, Liebe, Traum.
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Seite 16
Kurt Schwitters: An Anna Blume
Oh Du, Geliebte meiner 27 Sinne, ich liebe Dir!
Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, – – – – wir?
Das gehört beiläufig nicht hierher!
Wer bist Du, ungezähltes Frauenzimmer, Du bist, bist Du?
Die Leute sagen, Du wärest.
Laß sie sagen, sie wissen nicht, wie der Kirchturm steht.
Du trägst den Hut auf Deinen Füßen und wanderst auf die Hände,
Auf den Händen wanderst Du.
Halloh, Deine roten Kleider, in weiße Falten zersägt,
Rot liebe ich Anna Blume, rot liebe ich Dir.
Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, – – – – – wir?
Das gehört beiläufig in die kalte Glut!
Anna Blume, rote Anna Blume, wie sagen die Leute?
Preisfrage:
1.) Anna Blume hat ein Vogel,
2.) Anna Blume ist rot.
3.) Welche Farbe hat der Vogel.
Blau ist die Farbe Deines gelben Haares,
Rot ist die Farbe Deines grünen Vogels.
Du schlichtes Mädchen im Alltagskleid,
Du liebes grünes Tier, ich liebe Dir!
Du Deiner Dich Dir, ich Dir, Du mir, – – – – wir!
Das gehört beiläufig in die – – – Glutenkiste.
Anna Blume, Anna, A – – – – N – – – – N – – – – A!
Ich träufle Deinen Namen.
Dein Name tropft wie weiches Rindertalg.
Weißt Du es Anna, weißt Du es schon,
Man kann Dich auch von hinten lesen.
Und Du, Du Herrlichste von allen,
Du bist von hinten, wie von vorne:
A – – – – – – N – – – – – – N – – – – – – A.
Rindertalg träufelt STREICHELN über meinen Rücken.
Anna Blume,
Du tropfes Tier,
lch – – – – – – – liebe – – – – – – – Dir!
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Seite 17
Ernst Stadler: In der Frühe
[Aus: Stationen VIII]
Die Silhouette deines Leibs steht in der Frühe dunkel vor dem trüben Licht
Der zugehangnen Jalousien. Ich fühl, im Bette liegend, hostiengleich mir zugewendet dein
Gesicht.
Da du aus meinen Armen dich gelöst, hat dein geflüstert „Ich muß fort“ nur an die fernsten
Tore meines Traums gereicht –
Nun seh ich, wie durch Schleier, deine Hand, wie sie mit leichtem Griff das weiße Hemd die
Brüste niederstreicht ..
Die Strümpfe .. nun den Rock .. das Haar gerafft .. schon bist du fremd, für Tag und Welt geschmückt ..
Ich öffne leis die Türe .. küsse dich .. du nickst, schon fern, ein Lebewohl .. und bist entrückt.
Ich höre, schon im Bette wieder, wie dein sachter Schritt im Treppenhaus verklingt,
Bin wieder im Geruche deines Körpers eingesperrt, der aus den Kissen strömend warm in
meine Sinne dringt.
Morgen wird heller. Vorhang bläht sich. Junger Wind und erste Sonne will herein.
Lärmen quillt auf .. Musik der Frühe .. sanft in Morgenträume eingesungen schlaf ich ein.
Ernst Stadler: In diesen Nächten
[Aus: Stationen XI]
In diesen Nächten friert mein Blut nach deinem Leib, Geliebte.
O, meine Sehnsucht ist wie dunkles Wasser aufgestaut vor Schleußentoren,
In Mittagsstille hingelagert, reglos lauernd,
Begierig, auszubrechen. Sommersturm,
Der schwer im Hinterhalt geladner Wolken hält. Wann kommst du, Blitz,
Der ihn entfacht, mit Lust befrachtet, Fähre,
Die weit der Wehre starre Schenkel von sich sperrt? Ich will
Dich zu mir in die Kissen tragen so wie Garben jungen Klees
In aufgelockert Land. Ich bin der Gärtner,
Der weich dich niederbettet. Wolke, die
Dich übersprengt, und Luft, die dich umschließt.
In deine Erde will ich meine irre Glut vergraben und
Sehnsüchtig blühend über deinem Leibe auferstehn.
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Seite 18
August Stramm: Liebeskampf
Das Wollen steht
Du fliehst und fliehst
Nicht halten
Suchen nicht
Ich
Will
Dich
Nicht!
Das Wollen steht
Und reißt die Wände nieder
Das Wollen steht
Und ebbt die Ströme ab
Das Wollen steht
Und schrumpft die Meilen in sich
Das Wollen steht
Und keucht und keucht
Und keucht
Vor dir!
Vor dir
Und hassen
Vor dir
Und wehren
Vor dir
Und beugen sich
Und
Sinken
Treten
Streicheln
Fluchen
Segnen
Um und um
Die runde runde hetze Welt!
Das Wollen steht!
Geschehn geschieht!
Im gleichen Krampfe
Pressen unsre Hände
Und unsre Tränen
Wellen
Auf
Den gleichen Strom!
Das Wollen steht!
Nicht Du!
Nicht Dich!
Das Wollen steht!
Nicht
Ich!
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Seite 19
August Stramm: Wunder
Du steht! Du steht!
Und ich
Und ich
Ich winge
Raumlos zeitlos wäglos
Du steht! Du steht!
Und
Rasen bäret mich
Ich
Bär mich selber!
Du!
Du!
Du bannt die Zeit
Du bogt der Kreis
Du seelt der Geist
Du blickt der Blick
Du
Kreist die Welt
Die Welt
Die Welt!
Ich
Kreis das All!
Und du
Und du
Du
Stehst
Das
Wunder!
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Seite 20
Franz Werfel: Ein Liebeslied
Alles, was von uns kommt,
Wandelt schon andern Raum.
Tat ich dir Liebe an,
Liebt' ich die Welt darum!
Bist du durch mich erhöht,
Lächelt und glänzt dein Schritt.
Wenn mich mein Weh verspült,
Bin ich im höchsten Sinn!
Ach, was man Schicksal nennt,
Raffe mich wolkenwärts!
Trifft mich am Tor der Pfeil ...
Wenn du nur glücklich bist.
Daß du zur Flöte tönst,
Roste mein Tag im Nu!
Sieh, wir auf Erden sind
Ebenbild Gottes so!
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Seite 21
Franz Werfel: Widmung
[Aus: Du Tausendfache, die du bist und nicht ... I]
Du Tausendfache, die du bist und nicht!
Du Taggestalt, du letztes Nachtgesicht!
Du, die ich oft in vielen Frauen weiß,
Und die erkannt flieht den Erscheinungskreis!
Die in so mancher schweren Herbergsnacht
Das Haus, das selbst mich faßt, treu überdacht.
Die tags auf Straßen mir vorüberfliegt,
Und nachts im Antlitz eines Krüppels liegt!
Die fern mir sitzt im goldnen Strandcafé,
Und die in Logen ich verschwinden seh!
Die mich auf manchem aufgelösten Ball
Bestürzt mit ihres Daseins Wasserfall!
Vom Tag verbannt, im Traume doppelt nah,
Traumloser Nacht, im luftigen Mittag da!
Die ich nicht fassen kann, weil du nicht bist.
Und die mich faßt, wenn dich mein Herz vergißt!
Du mir Geschick zu schwerem Zweck bestimmt,
Daß ziellos mein Gefühl kein Ende nimmt.
So jauchz' ich jetzt, weil sie dich nicht bezwingt,
Daß durch das Ganze meine Liebe dringt.
So jauchz' ich jetzt, daß, der dich doch nicht kennt,
Dich jeder Schmerz mit einem Namen nennt.
Daß diese Brust, bei jedem Schlag und Stich
– Die dich nie hielt – noch flüstert: 's ist für dich!
Daß du mich schufst zu allerletztem Sein,
Der ich in grenzenlosen Nächten mich allein
Durch alle Betten dieser Erde wein'!
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Seite 22
Alfred Wolfenstein: Abschied
[Aus: Das neue Bewußtsein IV]
Die sonderbarste meiner Trennungen ..
Wir hatten immer uns nur fremd geliebt,
Nur das von uns in uns gesiebt,
Was nackten Stoff gab unsern Brennungen.
Und küßte meine Brust an deinen zwein,
Dein Mund an meinem von Gelüst und Geiste doppeIten – :
Die Scham, daß sie so uneins sich verkoppelten,
War schwächer als die Lust, sich nichts zu sein.
Ach .. Liebe .. , dachten wir, umarmt .. und hinter Mauern,
Verworrner Wunsch, sich füreinander hinzutöten,
Der guten Grenzen plumpe Überschreiterin!
Und nun, als hätten wir uns doch betreten,
Als sei Genuß auch tief, .. erfaßt uns Trauern
.. Wär nicht der Zug da, dehnten wirs vielleicht noch ewig weiter hin ..
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Expressionismus; Textauswahl (WiSe 2008/09)
Seite 23
Alfred Wolfenstein: An G.
[Aus: Andante der Freundschaft XVI]
Nur Licht der roten Lampe ist mein Glühn,
Doch du, mit Lippen, die tief außen blühn
Im Kleid von Nachtgewitter übergrün,
Sieh – heute bin ich innen nur erleuchtet –
Ich halte still, in meinen Traum verirrt,
Von meinem angehäuften Wort verwirrt,
Ihr Finger auf und nieder schwebend sirrt
Nur um ein schweres Dickicht nebelumfeuchtet.
Und fühlt es nicht – ? Weil ihr so fühlend seid,
Nicht stumpf! Und perlte eure Zärtlichkeit
Nicht überzart bewußtlos aufgereiht:
Gestört durch mich - ihr würdet mich zerstören.
Ihr Kniee heimlich tanzend, zaghaft toll,
Und Schultern, deiner weichen Nerven vo ll,
O daß ihr mich auch liebt, indes ich denke, soll
Als eure reichste Schönheit mir gehören!
Mein Schatten regnet auf dein Feuerhaar,
Es löscht nicht aus, ich dunkle wie ich war,
Doch zwischen uns erhebt wie Freundschaft klar
Sich unser Werk aus meiner Stirne Chören.
LMU München • Institut für deutsche Philologie • PD Dr. Michael Ansel / Janine Wadewitz, M. A.• HS Liebesgedichte des
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Seite 24
Achtung „GIFTSCHRANK“!
Nicht für Minderjährige und sittlich Ungefestigte!
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Johannes R. Becher: Mann. Weib
Mann taucht in Weib. Hah, wie die Fleische klirren!
... da kneteten Gewitter in den Schößen,
Der Ruten Türme stemmten Schlacken Himmels aus – – –
Nun bricht sichs los ... und züngelnd Messer in verworrenem Schlund.
Leib: Viadukt. Es heißt (brüllt vor, steht flammend weit): Wir töten!
Wir springen kläffend an! Verbeißend ineinand.
Hah, Aug frißt Hand.
Gelenke splittern. Haar-Wälder prasseln nieder.
Mund reißt Geheul.
Girrt Schläfen Tamburins! Hosianna! Spiel der Muskeln!
Schmeißt Bälle euch! Bravo und nochmals bravo der exzentrischen Verrenkung! O Trott versumpfter Armen-Völker!
Verquollene Tiere. Wir. Im Netz heißester Träume:
Atem bengalischer monddurchtauter südlichster gemischtester aus schwingendem
Sternduft blauschattig dem Fleisch zarter Renntier-Elche Kairo
Zedern Hängematten.
Blutflöten leis bewinden uns ...
Und schleppen bald im stumpfen Käfig uns auf und nieder ...
So tritt er schnaubend ins Bordellgemach.
Mond knistert nach.
Gekreuzigt auf den Sofas.
Nagel-Peitschen schwingt der Kavalier.
Ja, Huren-Mädchen drehend manche Bilder.
Stößt Messer stier ...
(... und stoßen Messer, Messer stoßen, Messer, Messer ...)
Du streckst sie nieder: Ungeheuer Mann.
Ums Felsen-Knie – die äugt – mimosene Flechte.
Die Rute wippt. Bäumt. Ragt. Jäh Monument. Tyrann!
Ihr watet feixend kolossale Schlächter.
... du schleifst, o Mann, solch Weib im Mord-Gebiß.
Voll Frühgestrahl muß er den Weg beginnen.
Blut-Gespinste fein auf Trottoiren rinnen.
Es klafft der Schoß. Treibt ins Gesicht: ein Riß.
Schon tönt der Raum.
Wie Pulsschlag tackt es im Gemäuer kaum.
Dann ... Mörser kracht ein Puls! um Puls!
Du zögst Mordbruder in den Ta g, entzwei.
Der Tag hängt schwer. Du bist vorbei.
Die Rute schwillt. Der Schoß wächst in den Raum.
Rute: Geschütz. Wie stößt es Pulver Schaum.
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Seite 26
Jed Schlag, o Bruder, zückt gleich Hölle Blitz.
Gedärme brodeln aus der Bäuche Schlitz.
Enthüll dich Schoß, –: da schwirrt von Gift ein Dampf.
Spritz, Bajonett! Schwer triefend Eiter Schlamm.
Magnetischer Trichter, saug uns alle jetzt.
Rute: Peitsche jäh ins Land gefetzt.
Zermalmer die. Um krümmt sich Tier. Biegt Stein.
Lawinen Blut rollt in die Städte ein!
Wir aber –: Segler sterbend auf den Rücken.
Da Köpfe platzten in geschwollener Luft.
Brust-Säcke baumelnd aus der Fenster Lücke.
Gas-Odem breit aus Schlauch der Münder pufft.
Wenn Warzen-Fäuste aber krallen nur das eine –:
Nur Messer! Messer! Blank wie kleinster Blitz.
Die Äste knoten sich zu Lassos. Knüpfen
Sich um die Schwarten-Hälse. Zungen schnellen.
Und Schienen müßten sieh zu Säbel-Würmern schwenken.
Beil-Schatten stürmten euerer Häuser Front.
Gespenster-Riesen aber schleichen um mit Bo mben,
Und welche winselnd, mordend mit Gestänken.
Hah –: wieder flitzen Messer in den Runden,
Und Messer, Messer, Lanzen, Guillotinen.
Und Messer-Schleifen wickeln sich aus Schienen.
Geschütze Bomben Messer Beile Messer ...
–!
Mann taucht in Weib. O Brüder Schwestern lind!
Die Fleische hochgefügt gleich Harfen tönen.
Sich Atem misch! Ja, Fluren Sommers breitester Wind.
Doch euerer Muskeln Fest-Orchester schwelge: dröhne!
Weib taucht in Mann. O, schwingend Märchen sie!
Emporgeglänzt aus süßesten Kindheits-Träumen.
Sanft Urmutter-Melodie
Katarakte-Tempo rings versäumend.
O Mann, o Weib! Ihr müßtet fort euch schlingen
Umarmer alle. Mund rollt. Kuß auf Kuß.
O heilige Phalanx. Lösende Gewässer dringen
Wirr durch Erz-Gebirge. – Hosianna-Schuß.
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Seite 27
Johannes R. Becher: Sommer
Stoß um Stoß. Und Nacht rapid.
Tag gedunsen jäh.
Männer dröhnend sternhin Glieds.
Weib-Schoß brodelt.
Himmel knetet Erdschlamm bunt.
Schmelz o Wälder Schnee.
Arm-Beil schwingt. Hah Mund frißt Mund.
Haar-Turm lodere!
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Seite 28
Gottfried Benn: Ball
[Aus: Der Psychiater V]
Ball. Hurenkreuzzug. Syphilisquadrille.
Eiert die Hirne ab, die Sackluden!
Mit diesen meinen Zähnen: zerrissen, zerbissen
Hundebregen, Männer-, Groß- und Kleinhirne:
Selbst ihre Syntax klappert nach der Scheide.
Mich bauern Dorfglücke an: Kausaltriebe,
Ölzweige, stetige Koordinaten –:
Heran zu mir, ihr Heerschaar der Verfluchten,
Schakalt mir nach den eingegrabenen Samen:
Entlockung! Schleuderhonig! Keimverderb!
Ihr Stallverrecken, Misthaufen-Augenbruch,
Verweste Blasen, Veilchenfrau-Verhungern,
Ihr brandiges Geblüte, – Kanalfischer,
Heringsfängert ans Land
Die Hodenquallen!
Finale! Huren! Grünspan der Gestirne!
Verkäst die Herrn! Speit Beulen in die Knochen!
Rast, salometert bleiche Täuferstirnen!
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Seite 29
Gottfried Benn: Notturno
[Aus: Der Psychiater III]
Schlamme den grauenvollen Unterleib,
Die fratzenhafte Spalte, die Behaarung,
Den Rumpf, das Leibgesicht, das Afternahe,
Das sich im Dunkel vorfühlt, über meinen:
Füllt euch bis an die Gurgeln!
Verfilzt das Röhricht!
Beißt euch an die Wurzeln!
Schon ist ein Wehen an den Schläfen,
Entquellungen und Sammlung oberhalb –
Schlachtet und klafft und brütet und verdickt euch:
Aufrauschung will geschehn: Mein Hirn!! Oh!: Ich! –
Flutet die Scha m in Trümmer durch die Nacht –:
... Nun steht es dunkelblau
Gewölbt von Stern und Licht. –
Blut-über. Schamstill. Irdisch abgenabelt.
In sich. Der Kreis. Der Einsame. Das Glück.
Halbgö ttisch prüft die Hand die kühle
Sterntraube. Schmale helle Luft die Lippe
Saugt sich ans Herz gedehnten Zuges. –
Geschlechtszersetzungen. Zerfall
Der Artbedienung: Augen aufgetrunken,
Ohren zerrauscht, verwehend Lippe:
Hirnsche itelsonne. Schattenentsteigung:
Ich!? –
Ausgenackt, Hirn-anadyomene ...??
Man bläfft die Sterne an,
Und von der Schulter schmilzt das Meer,
Und die Koralle aus dem Haar
Und von dem Knie der Fisch –
Aber die rauhe Muschel am Gemächte ...??
Flutschändung! Schlammblut!
Und noch nicht schattenlos ...? Die kleinen Monde
Der blauen Dunkel um den Fuß der Brust?
Und Mittagszeit ...? Und Nächtigung
Im Mittagsauge ... ?? –
Und leiser Überfall ...? Und Uferschatten ...?
Zeltgiebel wieder ...? Rauchhemmungen
Des Lichts ...? Ein Aasgestank nach Zunge ...?
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Seite 30
Wo bist Du, Nackter?!!
Schwinge!
Flügelrausche!!
Entfaltung!!!? –
Keine Antwort? Schweigen? Schielen nach der Vorhaut?
Rückzug? Gutes altes Ludentum ...?
Zerrinnung? Wahnwort? Vögelhypothese ...??
In die Knie, Hund!
Bedunste Dich!!
Rumpf, Leibgesicht, Afternahes,
Über ihn! –
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Seite 31
Ernst Blass: Bordell
Der Fünfzehnmarksekt ist nicht zu genießen.
Der Raum sprießt bunt und wie ein Korbgeflecht
Mit Spiegeln, die Blitze von Licht verschießen.
Die Mädchen sind zwar lebhaft, aber schlecht.
Wie Hirsche stark, lautlos und voll Geschrei –
Sie tragen Netze, welche maschig fließen
Um Glieder, die sie uns gern überließen:
Nur eine reizt; auch sie nicht einwandsfrei.
Schlimm stehts, wenn Fraun stören statt zu betören.
O großer Hund, der an dem Eingang schlief!
O bunter Raum, der mitternächtig rief!
Uns ist, als ob wir einem Schiff gehören –
Das wippend uns führe, mit Licht am Bug hinaussteuernd durch die Nacht unverwandt,
Ganz schräg über das wolkigblaue, noch dunkel liegende Süddeutschland.
Ernst Blass: Kreuzberg II
Wir schleifen auf den müdgewordnen Beinen
Die Trägheit und die Last verschlafner Gierden.
Uns welkten (ach so schnell!) die bunten Zierden.
Durch Dunkliges kriecht geil Laternenscheinen.
Im Trüben hat ein träger Hund gebollen.
Auf Bänken übertastet man die Leiber.
Zum Teile gar nicht unsympathscher Weiber.
Die schaukeln noch – wir wissen, was wir wollen.
Du gähnst mich an – in deinem Gähnen sielt
Sich halbverfaulte Geilheit. Hundgebelle.
Und durch das überlaubte Dings da schielt,
In Stein gemetzt, der Bürgermeister Zelle.
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Seite 32
Paul Boldt: Der Frauentod
Der Tod umarmt mich in den warmen Frauen.
Beischlaf erregt, zersetzt die Moleküle.
Ich wandre durch Provinzen der Gefühle
Der Freude ab und komme in das Grauen.
Dich, Dirne, macht die Nacktheit antlitzschön.
Heiliges Fleisch steht auf den Knien im Haar.
Ich liege bei dir, lächelnd, am Altar,
Dem Tod entrückt auf deiner Brüste Höhen.
Aber nach den Umarmungen, nach allem
Durchscheinen jedes Fleisch die hellen Knochen.
Die Muskeln schimmern am Skelett, zerfallen.
Ich sterbe. Niemand hat zu mir gesprochen.
Irrsinnig lasse ich mich sagen, lallen,
Und fühle dich vor Blut und Brüsten kochen.
Paul Boldt: Die Dirne
Die Zähne standen unbeteiligt, kühl
Gleich Fischen an den heißen Sommertagen.
Sie hatte sie in sein Gesicht geschlagen
Und trank es – trank – entschlossen dies Gefühl
In sich zu halten, denn sie ward ein wenig
Wie früher Mädchen und erlitt Verführung;
Er aber spürte bloß Berührung,
Den Mund wie einen Muskel, mager, sehnig.
Und sollte glauben an ihr Offenbaren,
Und sah, wie sie dann dastand – spiegelnackt –
Das Falsche, das Frisierte an den Haaren;
Und unwillig auf ihren schlechten Akt
Schlug er das Licht aus, legte sich zu ihr,
Mischend im Blut Entsetzen mit der Gier.
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Seite 33
Paul Boldt: Friedrichsstraßendirnen
Sie liegen immer in den Nebengassen,
Wie Fischerschuten gleich und gleich getakelt,
Vom Blick befühlt und kennerisch bemakelt,
Indes sie sich wie Schwäne schwimmen lassen.
Im Strom der Menge, auf des Fisches Route.
Ein Glatzkopf äugt, ein Rotaug' spürt Tortur,
Da schießt ein Grünling vor, hängt an der Schnur
Und schnellt an Deck einer bemalten Schute,
Gespannt von Wollust wie ein Projektil!
Die reißen sie aus ihm wie Eingeweide,
Gleich groben Küchenfrauen ohne viel
Von Sentiment. Dann rüsten sie schon wieder
Den neuen Fang. Sie schnallen sich in Seide
Und steigen ernst mit ihrem Lächeln nieder.
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Seite 34
Albert Ehrenstein: Entwandlung
[Aus: Eros X]
Sprach zu mir,
Die Beine auseinandergebend, das Weib:
„Schön ist's, das Schicksal
Zwischen den Lenden zu zwingen.
Lockt dich nicht der Wälder Wald, der zarte,
Der sich dir offenbarte,
Lockt dich nicht das frühe Zirpen
Scheuer Grillen,
Das Seufzen jener stillen Rillen,
Die sich nie enthüllen?
Schon schwingt mit frischen Nüstern
Die Zinne sich zum Traume hoch,
Schon sind die guten Fluren lüstern –“
„Geschirrt in Beischlafs Joch!
Himmel in der Hölle? O Ekel!
Wen soll ich lieben oder was?
Euch speist der Speichel aller Lippen,
Schal schmeckt mir die Zungenfrucht
Und die Brust.
Haarbüsche unter dem Arm
Und über dem Schoß –
Sie sind den Schweiß nicht wert.
Zwangsarbeit im Tümpel des Geschlechts?
Der Teufel zerreiße den phallischen
Aphrodietrich, die Hoden.
Ihr zeugt und pflanzet fort
Des Unkrauts Samen!
Fischtriefend im Geruch der Regel,
Von Haaren bewachsen,
Zum Himmel stinkt die Scham.
Liebe, Lust
Klingt nur so,
Loch ist Loch –
Wer weiß wo?!“
„Im Dämmern winken Nymphen
In ein sanftes Abendmahl,
Ziehen dich zu lieben Sümpfen –
Vergiß die Welt im Freudensaal!
Willst du nicht in die schönste Hure rutschen,
Auf einem jungen Bauch dich hutschen?!
Himmelan die Türme baden,
Gastlich rings die Täler laden.
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Seite 35
An den Buchten harter Brust
Werde du der Lust bewußt!
Willst du nicht ruhen Bein an Bein,
Bis holder Glieder starres Sein
Sich fügt zu süßem Binnenreim?“
„Immer wieder verblüht der Flieder!
Bereitest mir nur ein kurzes Heim,
Schleim grüßt den Schleim,
Ich will des reineren Todes sein!
Vom Regen laß ich mir die Hände waschen.
Mag mich ein freundlicher Stern
Heimwärts zum Himmel bald führn.
Meine weißen Haare lügen nicht.
Mergle mich aus,
Novemberschwäche des Greises,
Letzter Odem des Fiebers!“
Der schwere Engel des Todes wuchs vor mich:
„Endlich gedenkst du mein.
Du liebtest mich vor Zeiten,
Werbend um schärfste Lust.
Dann aber die Töchter erdgeborener Weiber,
Verwitterte Huren:
Die dunkeln Schluchten des Leibes,
Gerippen entstarrende Knochen,
Dem Druck nachgebendes Fleisch
Und Seligkeit heuchelnde Augen.
Wilder Zwerg im Venusberg!
Der du Weiber schwächlich zuerst,
Hernach mit meinen eisernen Fäusten
Fassend am Knöchel des Fußes,
Schleuderst zur Hölle– “
„Keine erstrahlte mir
Sanft verwandelt zum Stern!“
„Den Stürzenden barsten die irdischen Rippen!
Du Roß der Rache –
So werde, was du bist,
Auf der Erde, die dich frißt!“
Mit den Händen griff der Malmer
In meinen Staub,
Entwirbelnd verschwand ich Geraubter
Im neu ergrünenden Laub.
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Seite 36
Albert Ehrenstein: Fluch
Unerhört zu überwintern!
Fern schwingt sich ihre Brunst im Tanz
mit einem zahlenden Hengst.
Ich friere kalt.
Und doch,
was schiert mich Spalt
der grellen Dirnen,
oder einer Alten
beleidigter Hintern?
Ihr heget in Liebe
die adrettesten Hündchen;
möge ein Nashorn
euch Haarweibern
die Brusthaufen zertrampeln!
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Seite 37
Albert Ehrenstein: Messalulu
[Aus: Seelen I]
Dein Schoß säuft Samen
Von hundert Berserkern,
Dein Bein tanzt auf Festen mit hundert Wilden,
Dein Mund trinkt auf Festen
Hundert Becher und Küsse,
Es bersten die Gläser der Weine
An wankenden Wänden.
Was hast den Knaben du
Nur ein Mal nachts umschlossen?
Du bist eines von den wüsten Rossen,
Du hast sein Herz zerstoßen,
Du hast sein Blut vergossen,
Sein rotes Blut, das ist ins grüne Gras geflossen,
Draus sind Rosen aufgeschossen,
Du schlucktest dornenunverdrossen
Viel Knospen jung und unerschlossen.
Mit bleichen Rosen
Schläfst du bei den bleicheren Matrosen.
Du hast genossen.
Nun stirbst du lang in allen Gossen.
Die kalte Hand hat schon gegriffen
Nach deinem Tierschoß, Weib.
Das Messer ist geschliffen
Für deinen Unterleib.
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Seite 38
Albert Ehrenstein: Warum?
Mich ekelt ihrer Schminke weißer Ruß,
tief falle ich von Kuß zu Kuß.
O Schleimgewächs aus Arsch und Puder,
warum zerknie ich mich vor einem Luder?
Edel wuchs ich Knabe heran;
Weib verdarb mich rasch zum Mann,
Samen enteitert zur Euterbrust,
nasser Schraubstock wird höchste Lust.
O unheiliger Wollustwust,
Diener des Lichts
wird Anbeter des Nichts!
Einsam, Trauer, Wand und Mauer,
Tisch, Stuhl, Bett und ewige Uhr,
wirre Schauer ohne Dauer,
Liebe, Haß und eine Hur!
Warum denn nur, warum denn nur?
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Seite 39
Walter Hasenclever: Nächte VI
Eine enge Gasse – Dächerfirne
Hängen herunter auf Dich und mich.
Du – eine ganz gemeine Dirne,
Und ich.
Wie wütend unsere Lippen haften!
Man wird zum Tier.
Eine enge Gasse – Leidenschaften!
Und – Nacht über Dir und mir.
Walter Hasenclever: [Schnell von zitterndem Arm streif ...]
[Aus: Die Verheißung VI]
Schnell von zitterndem Arm streif das Gewand dir ab,
Biege dich katzengleich, zärtliche Liebhaberin!
Leise den Finger tauch ein in dein feuchtes Grab,
Unerlöst, du allein, schwankend durch Bilder hin.
Und wie du tiefer dich wärmst, steigen dir Städte auf,
Kavaliere und Herrn, heiß an dein Knie gepreßt.
In bacchantischer Lust treibst du auf Stromes Lauf,
Hoch in die Gluten geküßt, und du tanzst auf dein Fest.
Und wie du jäh dich bäumst, sinnloser Rausch dich umfängt,
Eilt deines Herzens Takt wilder in dunkelndes Glück,
Bis dich erwachendes Licht, das deine Wimpern sengt,
Müde aus traumloser Flut hebt in die Kissen zurück.
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Seite 40
Georg Heym: Rom
Sie hängen, die Leiber, und bersten an ihren [Pfählen],
Schwarz wie Stroh. In ungeheuren Spiralen
Steigt der Wirbel der Schreie vorn Roste der Qualen,
[Aus dem Meere der Flammen, darin ihre Köpfe] schwelen
Rot wie Kohlen. Die mageren Hände darren,
[Verbrannt von] Glut. Und [durch die] geborstenen Arme
Stechen die Knochen, wie schwarze, verkohlte Sparren.
Ihr Bauch birst. [Das Blut] kocht schwarz in dem Darme.
[Entsetzlicher Rauch, Hitze und Flammen versengen
Den Sand der Arena. Eine riesige Wolke
Steigt auf in den Himmel, wo oben die Geier hängen,
Klein, schwarz. Doch die Reihen, die voll von dem Volke,
Voll von Tausenden, weiß, wie ein Winterberg
Vom Schnee der Togen, sie zittern in wildem Gestampf
Rasender Gier, wenn durch das brennende Werg
Sie die Leiber erschaun, durch den beißenden Dampf.
Unter dem Sonnensegel, das weit sich spannt,
Zittert purpurn die Luft, von den Schreien beladen.
Gier nach Fleisch schreit, und es sollt der Diskant
Sterbender weiß durch den Raum und die rötlichen Schwaden.
Die Schreie ziehn auf, wie goldener Vögel Schar,
In den Äther hinauf, seine weiten Gerüste.
Arme langen nach Schenkeln, Arm, blondem Haar,
Nackten Knien, Schultern. Der Jungfrauen Brüste]
Klammert der Schweiß einer Hand. Die Wollust beschäumt
Wie mit Milch ihr Gesicht. Raserein
Zittern darauf. Und ein Phallus bäumt
Hoch, ein Turm, in den Himmel hinauf aus den Schrein.
Ein Haufe von Weibern stürzt wie ein weißer Bach
Die Gänge herab, herunter, gejagt vom Orkan
Der Begier, hoch von dem Sonnendach
Die Treppen hinaus, in die endlose Bahn.
Männer von Männern, Weiber von Weibern gejagt.
Und ein Berg vo n Fleisch wächst unten im Sand.
Der Haufe der Leiber, der weiß in die Höhe ragt,
Flackert auf, ein riesiger Fackelbrand.
Ihre Augen brennen wie Schwefel, wie purpurner Kardamom,
Wie Zinnober rot. Und der Hunger reißt ihre Zähne
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Seite 41
Eine Handbreit heraus. In den Berg, in den weißen Strom
Schlagen sie tief sie ein. Sie verankern die Zähne
Einem Bein, einem Hals, einer zitternden Brust.
Syrer, Juden, Neger mit breitem Genick,
Gallische Schmiede, die Arme berußt
Auf der Brüste Weiß, wie Steinsäulen dick.
Manche waten herauf, wie Wanderer über das Meer.
Und sie tanzen im Ra usch. Sie machen die Arme breit
Und sie stürzen hinab. Das Fleisch wogt über sie hin,
Sie versinken wie Götter ins Meer der Unendlichkeit.
Göttlicher Wahnsinn. Unendliche Raserei.
Fleisch. Fleisch. Man sinkt in die Leiber ein.
Man versinkt. Man erstickt. Süßer Tod, süßer Schrei,
?? ????e. Und wie himmlischer Wein
Überschwemmt sie der Rausch, wie ein ewiges Meer,
Ein urewiges Meer. Hoch in die leeren Reihn
Schleudert die Leiber der Sturm, wie die Brandung schwer
Flackernd verebbt hoch über der Riffe Stein.
Wie die Lenden des Meers, weiß in der Nacht,
So brennt die Arena weiß von der Le iber Schaum.
Und der Rausch steigt auf in unendlicher Pracht,
Meer, Musik, Tag und Glanz, in den ewigen Raum.
Und der Caesar steht auf. Um die Schultern schlägt
Er den Mantel, der schwarz wie der Nacht Geleucht,
Wie ein Gott, der sein riesiges Haupt bewegt
Gegen den Himmel, der ‹grau› von Stürmen feucht.
Und es wächst wie ein Turm seine Majestät,
Ewigkeit Roms beschattet der Schläfen Firn.
Und er schweigt wie die Nacht. Ave Caesar. Er geht.
Doch es donnert das Diadem seiner Stirn.
Aber die Schreie fliegen noch weit, von dem Lichte bekrönt.
Azurene Vö gel, wo an die Nacht der Paktol
Tobt der Ewigen Stadt, der Nacht, die wie Stürme dröhnt
Mit dem erzenen Schild hoch über dem Capitol.
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Seite 42
Klabund: Musette
Wenn dein Mund liegt
An meiner Scham,
Und meine Sehnsucht wund wiegt,
Als ob ein grosser Vogel mich auf seine Flügel nahm:
Dann meine Lippen rasen
In der entflammten Nacht.
Aufsteigt ein Wasen,
Der mich von Sinn und Seelen macht.
Mir wird in seinem Ruch
So süsser Träume schwer.
Genug
Weiss ich dann von der Welt und will nichts wissen mehr. -
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Seite 43
Ernst Stadler: Heimkehr (Brüssel, Gare du Nord)
[Aus: Die Spiegel VII]
Die Letzten, die am Weg die Lust verschmäht; entleert aus allen
Gassen der Stadt. In Not und Frost gepaart. Da die Laternen schon in schmutzigem Licht verdämmern,
Geht stumm ihr Zug zum Norden, wo aus lichtdurchsungnen Hallen
Die Schienenstränge Welt und Schicksal über Winkelqueren hämmern.
Tag läßt die scharfen Morgenwinde los. Auffröstelnd raffen
Sie ihre Röcke enger. Regen fällt in Fäden. Kaltes graues Licht
Entblößt den Trug der Nacht. Geschminkte Wangen klaffen
Wie giftige Wunden über eingesunkenem Gesicht.
Kein Wort. Die Masken brechen. Lust und Gier sind tot. Nun schleppen
Sie ihren Leib wie eine ekle Last in arme Schenken
Und kauern regungslos im Kaffeedunst, der über Kellertreppen
Aufsteigt – wie Geister, die das Taglicht angefallen – auf den Bänken.
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Seite 44
August Stramm: Freudenhaus
Lichte dirnen aus den Fenstern
Die Seuche
Spreitet an der Tür
Und bietet Weiberstöhnen aus!
Frauenseelen schämen grelle Lache!
Mutterschöße gähnen Kindestod!
Ungeborenes
Geistet
Dünstelnd
Durch die Räume!
Scheu
Im Winkel
Schamzerpört
Verkriecht sich
Das Geschlecht!
August Stramm: Trieb
Schrecken Sträuben
Wehren Ringen
Ächzen Schluchzen
Stürzen
Du!
Grellen Gehren
Winden Klammern
Hitzen Schwächen
Ich und Du!
Lösen Gleiten
Stöhnen Wellen
Schwinden Finden
Ich
Dich
Du!
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Seite 45
Paul Zech: Überwältigung
Gehst du abends durch die einsamen Alleen
jenen Schatten nach, die deine n Schritt verlängern,
und so fliehn wie Jungfraun vor Bedrängern,
kann es sein daß eine Hure auf gespitzten Zehn
Plötzlich dir in den Rücken fällt mit Atem und mit Haar.
Und du bist zu feige das Gesicht zu wenden
und verkriechst dich vor dem Weibsgeruch der Lenden
wie in einem hohlen Baum und spürst Gefahr.
Doch dein Blut ist Süße – junger, süßer Saft.
Und ein Wort nur, hingezielt in eine Blöße
und geschnellt vom Fieber vieler Frauenschöße,
trifft dich tödlich wie ein zugespitzter Schaft.
Und es rinnt von dir und flutet hin zu ihr.
Und es klafft ein Riß durch dein bezwungenes Gewissen.
Und die Dirne scheint dir nicht mehr fortgeschmissen
von viel andern; oh, sie ist wie eine erste schier
Und es hilft dir nichts mehr! Sie ist hart und heiß!
Frau und Kinder stehn herum wie Gräbermale.
Und nur diese eine reicht dir hin die rotgefüllte Schale –
Aus geknickten Gräsern glänzt es furchtbar weiß.