Gottfried Benn - Homepage Michael Ansel
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Michael Ansel: Gottfried Benn, Vorlesung im SoSe 08 (Folien I–V) 1. Stunde (15. April) Expressionistische Lyrik I: „Ach, wie die kleinen Schnauzen quietschten!“ Schöne Jugend (1912) [GWE I, S. 22] Literatur: n n Gottfried Be nn. Gesammelte Werke in der Fassung der Erstdrucke, hg. von Bruno Hillebrand, 4 Bände (I: Gedichte, II: Prosa und Autobiographie, III: Essays und Reden, IV: Szenen und Schriften), Frankfurt/M.: Fischer 1982–1990 [= GWE] Gottfried Benn. Sämtliche Werke (Stuttgarter Ausgabe). In Verbind ung mit Ilse Benn [†] hg. von Gerhard Schuster (Bände I–V) und Holger Hof (Bände VI–VII/2). 7 Bände in 8 Bänden, Stuttgart: Klett-Cotta 1986–2003 [= SW] Benn: Schöne Jugend Der Mund eines Mädche ns, das lange im Schilf gelegen hatte, sah so angeknabbert aus. Als man die Brust aufbrach, war die Speiseröhre so löcherig. Schließlich in einer Laube unter dem Zwerchfell fand man ein Nest von jungen Ratten. Ein kleines Schwesterchen lag tot. Die andern lebten von Leber und Niere, tranken das kalte Blut und hatten hier eine schöne Jugend verlebt. Und schön und schnell kam auch ihr Tod: Man warf sie allesamt ins Wasser. Ach, wie die kleinen Schnauzen quietschten! (GWE I, S. 22) Versschema 6 v– vv – vv – vv – v – v – v – v– v – v – – vv – – v – v – v – vv – vv –v– vv –v– vv – v – vv – v – v – v v– v – vv v– v– v – vv – vv – v 2 – vv – v – v – v – vv – v – vv – v– v – v – v – v– v – v – v – v – vv – v – v – v 11 George Grosz: Nachtcafé (1918) Lektüreempfehlungen: n n GB: Karyatide, in: GWE I, S. 88 GB: Der Arzt II, in: GWE I, S. 81 3 2. Stunde (22. April) Expressionistische Lyrik II: „Die Krone der Schöpfung, das Schwein, der Mensch“. Karyatide (1916) [GWE I, S. 88) Der Arzt II (1917) [GWE I, S. 81] Athen, Akropolis: Erechtheion (406 v. Chr) Benn: Karyatide Entrücke dich dem Stein! Zerbirst Die Höhle, die dich knechtet! Rausche Doch in die Flur, verhöhne die Gesimse – –: Sieh: durch den Bart des trunkenen Silen Aus seinem ewig überrauschten Lauten einmaligen durchdröhnten Blut Träuft Wein in seine Scham. Bespei die Säulensucht: toderschlagene Greisige Hände bebten sie Verhangnen Himmeln zu. Stürze Die Tempel vor die Sehnsucht deines Knies, In dem der Tanz begehrt. Breite dich hin. Zerblühe dich. O, blute Dein weiches Beet aus großen Wunden hin: Sieh, Venus mit den Tauben gürtet Sich Rosen um der Hüften Liebestor – Sieh' dieses Sommers letzten blauen Hauch Auf Astermeeren an die fernen Baumbraunen Ufer treiben, tagen 4 Sieh' diese letzte Glück-Lügenstunde Unserer Südlichkeit, Hochgewölbt. (GWE I, S. 81) Benn: Der Arzt II Die Krone der Schöpfung, das Schwein, der Mensch –: Geht doch mit anderen Tieren um!: Mit siebzehn Jahren Filzläuse, Zwischen üblen Schnauzen hin und her, Darmkrankheiten und Alimente, Weiber und Infusorien, Mit vierzig fängt die Blase an zu laufen –: Meint ihr, um solch Geknolle wuchs die Erde Von Sonne bis zum Mond –? Was kläfft ihr denn? Ihr sprecht von Seele – Was ist eure Seele? Verkackt die Greisin Nacht für Nacht ihr Bett – Schmiert sich der Greis die mürben Schenkel zu, Und Ihr reicht Fraß, es in den Darm zu lümmeln, Meint Ihr, die Sterne samten ab vor Glück ...? Äh! Aus erkaltendem Gedärm Spie Erde wie aus anderen Löchern Feuer, Eine Schnauze Blut empor –: Das torkelt Den Abwärtsbogen Selbstgefällig in den Schatten. (GWE I, S. 88) GBs expressionistische Lyrik (bis ca. 1920) n n n n Einzelpublikationen in folgenden Zeitschriften: Die Aktion, Pan, Das neue Pathos, Die weißen Blätter Morgue und andere Gedichte, Berlin- Wilmersdorf: A[lfred] R[ichard] Meyer 1912 Söhne. Neue Gedichte, Berlin-Wilmersdorf: A. R. Meyer 1913 Fleisch. Gesammelte Lyrik, Berlin-Wilmersdorf: Verlag der Wochenschrift Die Aktion (Franz Pfemfert) 1917 Benn: Gesänge 2 Verächtlich sind die Liebenden, die Spötter, Alles Verzweifeln, Sehnsucht, und wer hofft. Wir sind so schmerzliche, durchseuchte Götter. – Und dennoch denken wir des Gottes oft. 5 Die weiche Bucht. Die dunklen Wälderträume. Die Sterne schneeballblütengroß und schwer. Die Panther springen lautlos durch die Bäume. Alles ist Ufer. Ewig ruft das Meer. – (GWE I, S. 47) Benn: Nachtcafé II/V (2. Strophe) [...] Der Bürgerpfuhl tritt auf die Bänke aus: Pack, Pickel, Ehe, Bärte und Medaillen: Viele vier Liter Blut, von denen dreie Am Darm sich mästen: und der vierte Strotzt am Geschlecht. [...] (GWE I, S. 77 u. 98) Lektüreempfehlungen: n n n GB: Gehirne, in: Gottfried Benn: Gehirne. Novellen. Textkritisch herausgegeben von Jürgen Fackert, Stuttgart: Reclam 2004 (= RUB 9750), S. 3–8 GB: Gehirne, in: GWE II, S. 19–23 Pauler, Thomas: Schönheit und Abstraktion. Über Gottfried Benns ,absolute Prosa‘, Würzburg: Königshausen & Neumann 1992 6 3. Stunde (29. April) Expressionistische Prosa I: „Zerstäubungen der Stirne – Entschweifungen der Schläfe“. Gehirne (1916) [GWE II, S. 19–23] Literatur: n Gottfried Benn: Gehirne. Novellen. Textkritisch herausgegeben von Jürgen Fackert, Stuttgart: Reclam 2004 (= RUB 9750) Benn: Gehirne Rönne, ein junger Arzt, der früher viel seziert hatte, fuhr durch Süddeutschland dem Norden zu. Er hatte die letzten Monate tatenlos verbracht; er war zwei Jahre lang an einem pathologischen Institut angestellt gewesen, das bedeutet, es waren ungefähr zweitausend Leichen ohne Besinnen durch seine Hände gegangen, und das hatte ihn in einer merkwürdigen und ungeklärten Weise erschöpft. Jetzt saß er auf einem Eckplatz und sah in die Fahrt: es geht also durch Weinland, besprach er sich, ziemlich flaches, vorbei an Scharlachfeldern, die rauchen von Mohn. Es ist nicht allzu heiß; ein Blau flutet durch den Himmel, feucht und aufgeweht von Ufern; an Rosen ist jedes Haus gelehnt, und manches ganz versunken. Ich will mir ein Buch kaufen und einen Stift; ich will mir jetzt möglichst vieles aufschreiben, damit nicht alles so herunterfließt. So viele Jahre lebte ich, und alles ist versunken. Als ich anfing, blieb es bei mir? Ich weiß es nicht mehr. (Fackert, S. 3) [...] es tat ihm wohl, die Wissenschaft in eine Reihe von Handgriffen aufgelöst zu sehen, die gröberen eines Schmiedes, die feineren eines Uhrmachers wert. Dann nahm er selber seine Hände, führte sie über die Röntgenröhre, verschob das Quecksilber der Quarzlampe, erweiterte oder verengte einen Spalt, durch den Licht auf einen Rücken fiel, schob einen Trichter in ein Ohr, nahm Watte und ließ sie im Gehörgang liegen und vertiefte sich in die Folgen dieser Verrichtung bei dem Inhaber des Ohrs: wie sich Vorstellungen bildeten von Helfer, Heilung, guter Arzt von allgemeinem Zutrauen und Weltfreude, und wie sich die Entfernung von Flüssigkeiten in das Seelische verwob. Dann kam ein Unfall und er nahm ein Holzbrettchen mit Watte gepolstert, schob es unter den verletzten Finger [...] (Fackert, S. 3 f.) Er sann nach, wann es begonnen hätte, aber er wußte es nicht mehr: [...] Es schwächt mich etwas von oben. Ich habe keinen Halt mehr hinter den Augen. Der Raum wogt so endlos; einst floß er doch auf eine Stelle. Zerfallen ist die Rinde, die mich trug. (Fackert, S. 5) Er sei keinem Ding mehr gegenüber; er habe keine Macht mehr über den Raum, äußerte er einmal; lag fast ununterbrochen und rührte sich kaum. (Fackert, S. 7) Der Chefarzt wurde zurückgerufen; er war ein freundlicher Mann, er sagte, eine seiner Töchter sei erkrankt. Rönne aber sagte: sehen Sie, in diesen meinen Händen hielt ich sie, 7 hundert oder auch tausend Stück; manche waren weich, manche waren hart, alle sehr zerfließlich; Männer, Weiber, mürbe und voll Blut. Nun halte ich immer mein eigenes in meinen Händen und muß immer darnach forschen, was mit mir möglich sei. Wenn die Geburtszange hier ein bißchen tiefer in die Schläfe gedrückt hätte ...? Wenn man mich immer über eine bestimmte Stelle des Kopfes geschlagen hätte ...? Was ist es denn mit den Gehirnen? Ich wollte immer auffliegen wie ein Vogel aus der Schlucht; nun lebe ich außen im Kristall. Aber nun geben Sie mir bitte den Weg frei, ich schwinge wieder – ich war so müde – auf Flügeln geht dieser Gang – mit meinem blauen Anemonenschwert – in Mittagsturz des Lichts – in Trümmern des Südens – in zerfallendem Gewölk – Zerstäubungen der Stirne – Entschweifungen der Schläfe. (Fackert, S. 8) Lektüreempfehlungen: n n GB: Ich finde ... [Schöpferische Konfession], in: GWE IV, S. 153 f. Baßler, Moritz: Absolute Prosa, in: Fähnders, Walter (Hg.): Expressionistische Prosa, Bielefeld: Aisthesis 2001, S. 59–78 8 4. Stunde (6. Mai) Expressionistische Prosa II: „Mich sensationiert eben das Wort [...] rein als assoziatives Motiv“. Ich finde ... (1920) [GWE IV, S. 153 f.] Erich Reiss Benn: Ich finde… Ich finde nämlich in mir selber keine Kunst, sondern nur in der gleichen biologisch gebundenen Gegenständlichkeit wie Schlaf oder Ekel die Auseinandersetzung mit dem einzigen Problem, vor dem ich stehe, es ist das Problem des südlichen Worts. Wie ich es einmal versucht habe darzustellen in der Novelle „Der Geburtstag“ (Gehirne); da schrieb ich: „da geschah ihm die Olive“, nicht: da stand vor ihm die Olive, nicht: da fiel sein Blick auf eine Olive, sondern: da geschah sie ihm, wobei allerdings der Artikel noch besser unterbliebe. Also, da geschah ihm „Olive“ und hinströmt die in Frage stehende Struktur über der Früchte Silber, ihre leisen Wälder, ihre Ernte und ihr Kelterfest. (GWE IV, S. 153) Mich sensationiert eben das Wort ohne jede Rücksicht auf seinen beschreibenden Charakter rein als assoziatives Motiv und dann emp finde ich ganz gegenständlich seine Eigenschaft des logischen Begriffs als den Querschnitt durch kondensierte Katastrophen. Und da ich nie Personen sehe, sondern immer nur das Ich, und nie Geschehnisse, sondern immer nur das Dasein (Da-sein), da ich keine Kunst kenne und keinen Glauben, keine Wissenschaft und keine Mythe, sondern immer nur die Bewußtheit, ewig sinnlos, ewig qualbestürmt –, so ist es im Grunde diese, gegen die ich mich wehre, mit der südlichen Zermalmung[,] und sie, die ich abzuleiten trachte in ligurische Komplexe bis zur Überhöhung oder bis zum Verlöschen im Außersich des Rausches oder des Vergehens. (GWE IV, S. 153 f.) 9 Literatur : n Baßler, Moritz: Absolute Prosa, in: Fähnders, Walter (Hg.): Expressionistische Prosa, Bielefeld: Aisthesis 2001, S. 59–78 Benn: Der Geburtstag Tiefer bettete er den Nacken in das Weinkraut, das roch nach Thyrsos und Walpurgen. Schmelzend durch den Mittag kieselte bächern das Haupt. Kein Tod schleuderte die triefäugige Mamsell stündlich, wenn die Uhr schlug, vor das Nichts. Krämer scharrten; keine Lava über den toten Schotter. Und er? Was war er? Da saß er zwischen seinen Reizen, das Pack geschah mit ihm. Sein Mittag war Hohn. (GWE II, S. 47 u. 49) Benn: Lyrik des expressionistischen Jahrzehnts Sein inneres Wesen mit Worten zu zerreißen, der Drang sich auszudrücken, zu formulieren, zu blenden, zu funkeln auf jede Gefahr und ohne Rücksicht auf Ergebnisse, das Verlöschen des Inhalts zugunsten der Expression [...] (SW VI, S. 214) Benn: Der Geburtstag Was wurde verkauft: Holzpantinen für die Notdurft, grüne Klöße für das Ich, Ankerschnäpse für die Lust, Nötigstes des Leibes und der Seele, Salbenbüchsen und Madonnen. (Fackert, S. 61) Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: Auff den mund Mund! der die seelen kan durch lust zusammen hetzen / Mund! der viel süsser ist als starcker himmels-wein / Mund! der du alikant des lebens schenckest ein / Mund! den ich vorziehn muß der Inden reichen schätzen / Mund! dessen balsam uns kan stärcken und verletzen / Mund! der vergnügter blüht / als aller rosen schein. Mund! welchem kein rubin kan gleich und ähnlich seyn. Mund! den die Gratien mit ihren quellen netzen; Mund! Ach corallen- mund / mein eintziges ergetzen! Mund! laß mich einen kuß auff deinen purpur setzen. 10 Lektüreempfehlungen: n n GB: Das moderne Ich, in: GWE III, S. 29–46 Anz, Thomas: Literatur des Expressionismus, Stuttgart und Weimar: Metzler 2002 11 5. Stunde (20. Mai) Zeitdiagnostik in der Krise: „Sie dürfen sich erschaffen, Sie sind frei“ Das moderne Ich (1920) [GWE III, S. 29–46] Benn: Das moderne Ich Da trat doch noch einmal die Blüte des 19. Jahrhunderts an. Was waren das für Pneumatiks und Scherenfernrohre, erstklassig, gar nicht zu sagen! Da war doch einmal Gelegenheit, sich vorzuführen, die gesamte Chemie, Nahrungsmittel wie auch Gase. Was für eine Leben und Weben in den technischen Künsten, ganze Autogenkolonnen unter Wasser, was für ein rüstiger Fortschritt vom Mantelgeschoß bis zur Lydditgranate! (GWE III, S. 32 f.) Wunderbar, ruft hier jeder aus. Wunderbar, sagt der Patient, wenn man ihm die Harnröhre ableuchtet, wie weit hat es doch die Wissenschaft bereits gebracht. Wunderbar, sagt die Patentante, wieviel Leiden kannst du lindern, wieviel Schmerzen stillen in Hütte und Palast. Wunderbar, sage ich, wenn nicht nur Deutschland zusammengebrochen wäre, sondern dieser ganze Kontinent von Island bis zu den Balearen mit sämtlichen Röntgenröhren und Termophoren seines blasenspülenden Säkulums. (GWE III, S. 33 f.) Es sollte eine Art Denknotwendigkeit sein, daß in der Ausgangsform einer Entwicklung alle Ergebnisse irgendwie schon enthalten seien. Meyer aber stellt die Entwicklung dar als das Prinzip, das nicht abläuft oder entfaltet, sondern auf den vorhandenen Grundlagen schöpferisch das Unberechenbare erbaut. Der Geist ist entstanden und kämpft täglich um sein Reich. Das Licht erschuf die Linse nicht, die Organismen haben sie geschaffen im Licht und für das Licht, und der Geist ist frei und der Schöpfung trächtig. (GWE III, S. 38) Die aufklärende Arbeit der Naturwissenschaften als Ursache zum Weltkrieg, das ist nicht übel. Wie steht es aber nun mit diesen Gesetzen, die sie aus den Sinais ihrer Laboratorien und Zuchtanstalten ehern gebar? Um es kurz zu sagen, sie gelten heute nicht mehr. Der Weltkrieg ist auf einer falschen naturwissenschaftlichen Grundlage, sozusagen irrtümlich entstanden. (GWE III, S. 37) Benn: Ich finde… / Das moderne Ich Und da ich nie Personen sehe, sondern immer nur das Ich, und nie Geschehnisse, sondern immer nur das Dasein (Da-sein), da ich keine Kunst kenne und keinen Glauben, keine Wissenschaft und keine Mythe, sondern immer nur die Bewußtheit, ewig sinnlos, ewig qualbestürmt - , so ist es im Grunde diese, gegen die ich mich wehre, [...] [...] immer nur das Ich; [...] kein Geschehnis, immer nur das Sein; [...] ohne Glauben und ohne Lehre, ohne Wissenschaft und ohne Mythe, nur Bewußtsein ewig sinnlos, ewig qualbestürmt – 12 Benn: Das moderne Ich Hellstes Griechenland, die Taineschen Hellenen, arme sparsame junge Rasse und plötzlich: aus Thrazien: Dionysos. Aus den phrygischen Bergen, von Kybelens Seite, unter dem Brand von Fackeln um Mitternacht, beim Schmettern eherner Becken, einklingend ihm tieftönende Flöte von der Lippe taumelnder Auleten, umschwärmt von Mänaden in Fuchspelz und gehörnt, tritt er in die Ebene, die sich ergibt. Kein Zaudern, keine Frage: Über die Höhen geht der Nächtliche, die Fichte im Haar, der Stiergestaltete, der Belaubte: Ihm nach nun, und nun das Haupt geschwungen, und nun den Hanf gedünstet, und nun den ungemischten Trank –: nun ist schon Wein und Honig in den Strömen – nun: Rosen, syrisch – nun: gärend Korn – nun ist die Stunde der großen Nacht, des Rausches und der entwichenen Formen. (GWE III, S. 45) Schiller: Die Götter Griechenlandes (8. Strophe) Das Evoe muntrer Thyrsusschwinger, und der Panther prächtiges Gespann meldeten den großen Freudebringer Faun und Satyr taumeln ihm voran, um ihn springen rasende Mänaden ihre Tänze loben seinen Wein, und die Wangen des Bewirters laden lustig zu dem Becher ein. Benn: Das moderne Ich Es ist Mittag über dem Ich oder Sommer, es schweigt von Früchten, über allen Hügeln, es schweigt von Mohn. Es ruft, Echo ruft, das ist keine Stimme, keine Antwortstimme, kein Glück, kein Ruf. Aber es sind Felder über der Erde, die tragen nichts als Blumen des Rauschs – halt an, Narciß, es starben die Moiren, mit den Menschen sprichst du wie mit Wind –, wie weit du fühltest, wie weit du spültest, dir ward dein eignes lyäisches Bild. Narciß, Narciß, es schweigen die Wälder, die Meere schweigen um Schatten und Baum: – Du, Erde, Wolken, Meer, um deine Schultern, schreiend nach Zeugung, hungernd in den Fäusten, dir Stücke aus dem Leib der Welt zu reißen, sie formend und sich tief in sie vergessend, aus aller Not und Scham der Einsamkeit – dann: über die Lider des Baumes Hauch, dann: Gurren, dann: zwischen Asphodelen schaust du dich selbst in stygischer Flut. (GWE III, S. 46) Lektüreempfehlungen: n GB: Chaos –, in: GWE I, S. 150 f. 13 n n Ridley, Hugh: Schutt, in: Interpretationen. Gedichte von Gottfried Benn, hg. von Harald Steinhagen, Stuttgart: Reclam 1997, S. 73–86 Esselborn, Hans: Atavismus und Modernität in Gottfried Benns Gedichten der zwanziger Jahre, in: Wirkendes Wort 52. 2002, S. 398–416