Pillen und Pipetten

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Pillen und Pipetten
DEUTSCHES TECHNIKMUSEUM BERLIN
Pillen und
Pipetten
Am Beispiel des ehemaligen
Schering-Konzerns informiert
eine Dauerausstellung über
historische und aktuelle
Themen der chemischen und
pharmazeutischen Industrie.
Fotos: Hans-Peter Theurich
ie im Juni gestartete Dauerausstellung „Pillen und Pipetten“ im Deutschen Technikmuseum Berlin (DTMB) lockt vor allem Wissenschaftler von morgen
an: Fauchend jagt eine Rakete in
die Luft und explodiert am nächtlichen Himmel über dem Alexanderplatz. Begeistert mischen ein paar
Gymnasiasten aus Brandenburg am
Touchscreen explosive Ingredienzien. Dann wiederholen sie das virtuelle Feuerwerk per Knopfdruck
auf einem riesigen Monitor – fast
wie professionelle Pyrotechniker.
Das DTMB beschreitet offenbar
erfolgreich neue Wege. „Wir wollen
vor allem Kinder und Jugendliche
für wissenschaftliche Themen interessieren“, erklärt Kurator Volker
Koesling. Am Beispiel des ehemaligen Schering-Konzerns informiert
die Ausstellung über historische und aktuelle Themen
der chemischen und pharmazeutischen Industrie. Ein Novum in der deutschen Museumslandschaft. „Künftig soll
es bei uns nicht nur um Technik gehen, sondern verstärkt
auch um Wissenschaft“, sagt
Dirk Böndel, Direktor der
Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin.
Lokomotiven, Oldtimer
oder Schiffe – dafür stand
das DTMB bislang. Auf 400
Quadratmetern Fläche haben
die Ausstellungsmacher von
„Pillen und Pipetten“ ihre
These umgesetzt: „Unsere
moderne Zivilisation stammt
D
Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 12 | Dezember 2010
Am Molekülmodell
von Kampfer gibt
es eine Hörstation
für Besucher der
Ausstellung „Pillen
und Pipetten“.
Ein virtuelles
Feuerwerk über
Berlin können
Besucher der
Ausstellung „Pillen
und Pipetten“ selbst
inszenieren.
aus dem Labor!“ Ob es um Mikroliterpipetten geht oder um Ameisenmittel, die meisten Objekte
stammen aus dem Scheringianum,
dem Firmenmuseum, das der Schering-Stiftung übereignet wurde.
„Aber wir verstehen uns nicht als
verlängerter Arm eines Konzerns“,
betont Koesling. Damit spielt der
Chemiker auf die Übernahme von
Schering durch die Bayer AG im
Jahr 2006 an.
Die Schau im Technikmuseum
dokumentiert den Aufstieg von
Ernst Schering, der 1851 als Apotheker am Nordrand des damaligen
Berlin (heute Berlin-Mitte) seine
Karriere begann. In einem kleinen
Labor experimentierte er mit besonders reinen Chemikalien, um die
Gesundheit seiner Kunden nicht zu
belasten. Wenige Jahre später gründete Schering eine chemische Fabrik. Die Belieferung
der deutschen Armee mit
Arzneimitteln im Krieg
gegen Frankreich 1870/71
brachte für den Unternehmer
den Durchbruch und die
Umwandlung seiner Firma
in eine Aktiengesellschaft.
Spannend aufbereitet ist
in der Ausstellung die Geschichte von Drospirenon,
das Schering entwickelt hatte. Vorklinische Tests ergaben 1976, dass dieser synthetische Arzneistoff den
Blutdruck senkt – für die Entwicklung eines Herz-Kreislauf-Mittels aber nicht ausgeprägt genug, bewiesen
später klinische Tests. Allerdings
stellten die Wissenschaftler der Firma Schering eine gestagene Wirkung durch Drospirenon fest. Während die jahrelange Forschung an
Herz-Kreislauf-Mitteln eingestellt
wurde, liefen Testreihen mit Drospirenon als Gestagen für eine Antibabypille an. Es folgten klinische
Studien mit diesem Wirkstoff und
einem Östrogen – bis das Arzneimittel als Ovulationshemmer im
Jahr 2000 auf den Markt kam.
Passend zum Thema Pillen befindet sich in dem Raum, in dem die
Geschichte von Drospirenon geschildert wird, auch eine TablettenRundläuferpresse, Baujahr 1984.
Ihr Ausstoß lag bei 300 000 Tabletten in der Stunde. Auf Wunsch
schaltet das Museumspersonal den
mannshohen Kasten gern an. Überhaupt wird in der Ausstellung viel
Wert auf Interaktion gelegt.
Schering entwickelte aus Kiefernharz synthetischen Kampfer.
Ende des 19. Jahrhunderts konnte
man endlich Billardkugeln daraus
anfertigen und auf Elfenbein verzichten. „Ob es um Tierversuche
oder Umweltschäden durch Pflanzenschutzmittel geht, in dieser Ausstellung kann sich jeder ein Urteil
über die chemisch-pharmazeutische
Industrie bilden und Vorurteile
durch Informationen ersetzen“, sagt
Kurator Koesling.
Informationen: Deutsches Technikmuseum Berlin, Trebbiner Straße 9, 10963 Berlin-Kreuzberg, Internet: www.sdtb.de.
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Hans-Peter Theurich
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