Soll und Haben in der Bewährungshilfe
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Soll und Haben in der Bewährungshilfe
Bewährungshilfe | P l a t t f o r m Soll und Haben in der Bewährungshilfe Schwieriger Übergang für Strafentlassene vom betreuten Vollzug zur sozialen Einbindung in Freiheit Text: Martin Erismann Bild: team72 Massnahmen zur Resozialisierung finden während des Vollzugs und im Anschluss daran in unterschiedlicher Intensität statt. Tatkräftige Unterstützung bei der gesell schaftlichen Eingliederung kommt letztlich oft zu kurz. Das Postulat des Autors nach einer stärkeren Gewichtung der sogenann ten Nachsorge gegenüber dem Freiheits entzug ergibt sich aus der empirisch belegten Bedeutung sozialer Einbindungen hinsichtlich des Resozialisierungserfolgs. Neuere wie ältere empirische Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass es keine stabile Disposition zu delinquentem Verhalten gibt. Nach der viel beachteten altersabhängigen sozialen Kontrolltheorie von Sampson und Laub (vgl. Sampson & Laub, 1995) war die Wahrscheinlichkeit regelkonformen Verhaltens wesentlich von den Bindungen zu den im Lebensabschnitt relevanten Institutionen sozialer Kontrolle bestimmt. Gewisse Ereignisse des Berufsund Privatlebens konnten demnach unabhängig von Belastungen aus der Kindheit und Jugend jederzeit zu einem Wendepunkt in der Kriminalbiografie führen. Die deutschen Kriminologen Stelly und Thomas untermauerten diesen Befund mit ihrer Studie zur Kriminalität im Lebenslauf (vgl. Stelly & Thomas, 2005) und präzisierten, dass Veränderungen im Arbeits- und Beziehungsbereich regelmässig sowohl das Ende als auch den Beginn einer kriminellen Karriere markierten. Dabei wurde Delinquenz natürlich nicht als Folge rein äusserlicher Umstände gesehen. Vielmehr entstand sie im Zusammenspiel mit defizitären individuellen Verhaltensdispositionen primär bezüglich Problemlösen und Selbstkontrolle. Martin Erismann ist MSc in Sozialer Arbeit und Geschäftsleiter des team72 in Zürich, einer Institution, die teilstationär Bewährungshilfe leistet. Tendenz zu Verwaltung statt p rofessioneller Förderung Dass der Resozialisierungserfolg auch von den (nicht) bestehenden Massnahmen und der Struktur des Justizvollzugs in Abhängigkeit steht, machen die inländischen Studien von Besozzi (vgl. Besozzi, 1998) sowie Sommerfeld, Calzaferri und Hollenstein (vgl. Sommerfeld et al., 2007) deutlich. Beide Untersuchungen kommen bezüglich der strukturellen Defizite des Versorgungssystems zu einem ähnlich klaren – wenn auch in der Ausrichtung recht unterschiedlichen – Schluss: Besozzi prangert an, dass das Gefängnis manchen Insassen als «I nsel der Ruhe» diente, auf der ohne Konfrontation mit dem realen Leben Plänen und Träumereien nachgegangen werden konnte. So verstärkt der Strafvollzug rückfallförderliche Prozesse unter Umständen gar, indem er betreffend das gesellschaft liche Leben «draussen» Schutz bietet oder unrealistische Erwartungen weckt. Auch stellt der Autor fest, dass im Vollzug gegebenenfalls erlernte, sogenannte protektive Fertigkeiten von den förderlichen Bedingungen im Gefängnis abhängig zu sein scheinen. Zur Verbesserung des Versorgungssystems regt er nebst neuen Interventionen auf der individuellen Handlungs- und Einstellungsebene an, sämt liche Schutzfaktoren gegenüber Leben «draussen» abzubauen, den Strafvollzug also durch eine weitgehende Angleichung an die realen Lebensbedingungen quasi zu normalisieren. Sommerfeld et al. rügen zum einen vor a llem die ungleiche Intensität von Massnahmen während des Strafvollzugs im Vergleich zur Zeit nach der Strafentlassung. Dass die weit komplexere und potenziell instabilere Phase der eigentlichen Reintegration in Freiheit eine viel weniger intensive Begleitung erfährt, scheint den Autoren sachlich nicht begründet. Zum anderen beanstanden Sommerfeld et al. generell die Segmentierung sowie die fehlende Koordination der Unterstützungsleistungen. Sie machen eine Art «Patchworkhilfe» aus, die es dem Bedürftigen überlässt, sich bei den je nach Problem ausschnitt zuständigen Institutionen die nötige Unterstützung zu organisieren. Für umfassende und koordinierte Hilfspro- zesse fehlt es also an einer übergeordneten Struktur, die der Komplexität und Dynamik der «Fälle» gerecht werden kann. Tendenziell, so das vernichtende Fazit, zielt das Versorgungssystem vor diesem Hintergrund eher auf eine Verwaltung statt auf professionelle Förderung und trägt damit gar zur Reproduktion von Integrationsproblemen bei. Resozialisierung mehrdimensional betrachtet Konzeptionelle Basis des aktuellen Modells der Bewährungshilfe ist in der Tendenz eine Wirkdynamik nach dem folgenden vereinfachten Muster: Soziale Kompetenzen werden gefördert mit dem Ziel, dass der Adressat gesellschaftlich adäquater denkt und handelt. Dies führt zu einer besseren sozialen Integration, was wiederum eine verminderte Rückfälligkeit im Sinne von erneuter Straffälligkeit zur Folge hat. So eingängig dieses recht simple Ursache-Wirkung-Schema auf den ersten Blick erscheint, so wenig wird es den realen Gegebenheiten bei genauerem Hinsehen gerecht. Gestützt auf die zuvor zitierten empirischen Erkenntnisse muss viel- Bewährungshilfe Mehr Inhaftierte als Entlassene b etreut Die Arbeit der Bewährungshelfer bestand vor der Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches vorwiegend darin, Personen nach ihrer Entlassung aus dem Strafvollzug längerfristig bei der Wohnungs- und Arbeitssuche zu unterstützen, deren finanzielle Situation in den Griff zu bekommen und die soziale Integration zu fördern. Seit der Revision 2007 sind die K antone verpflichtet, auch für die Dauer des Strafverfahrens eine soziale Betreuung sicherzustellen, die meist auch durch die Bewährungsdienste erbracht wird. Aus der neusten Bewährungshilfestatistik des Bundesamtes für Statistik geht hervor, dass drei Viertel der Sozialbetreuung momentan bereits während des Vollzugs stattfinden und nur ein Viertel auf die traditionelle Bewährungshilfe entfällt. Seit 2007 wurden jährlich 3500 neue Sozialbetreuungsfälle aufgenommen. nm Die BfS-Daten und Indikatoren zur Bewährungshilfe können unter www. justice-stat.admin.ch heruntergeladen werden. Nr. 12 _ Dezember 2011 | SozialAktuell 31 P l a t t f o r m | Bewährungshilfe mehr von einem mehrdimensionalen Modell ausgegangen werden, das sich auf gliedert in [1] eine individuelle Dimension mit den Ebenen «persönliche Handlungen» resp. «Einstellungen» sowie ggf. «spezielle Beeinträchtigungen», [2] eine individuell-strukturelle Dimension mit der «sozialen Einbindung» als hauptsächlichem Wirkfaktor betreffs Beginn resp. Ende einer Delinquenz, sowie [3] eine strukturelle Dimension mit den Ebenen «gesellschaft liche Integrationsangebote» sowie «unterstützendes Versorgungssystem» (vgl. Erismann, 2011). Die individuelle und die strukturelle Dimension bestimmen zusammen den Grad der im Zentrum stehenden sozialen Einbindung, weshalb Letztere als kombiniert individuell-strukturelle Dimension angesehen werden kann (siehe unten stehenden Kasten). Während die heutigen Konzepte der gesetzlichen Bewährungshilfe die individuellen Fertigkeiten zur Rückfallprävention in den Vordergrund rücken, betont die aktuelle empirische Forschung eher die Bedeutung strukturell wesentlich mitgeprägter sozialer Einbindung. Mit der tendenziellen Überbewertung der individuellen Anteile von Desintegration gegenüber den strukturellen Faktoren beschränkt sich Soziale Arbeit im Bereiche der Bewährungshilfe nebst der Fallverwaltung inklusive Verlaufskontrolle seit einiger Zeit weitgehend auf (Kurz-)Beratungsdienstleistungen. Eine wirklich tatkräftige Unterstützung beim Erschliessen von Res- sourcen, beispielsweise zur Verbesserung der Arbeitsintegration, ist in der Praxis nach Meinung des Schreibenden die Ausnahme, weshalb der neuere Begriff der «Bewährungshilfe» bei der Zielgruppe auch falsche Hoffnungen wecken kann. Die alte Bezeichnung «Schutzaufsicht» liess diesbezüglich weniger erwarten und erscheint aufgrund des erneut in den Vordergrund gerückten Kontrollaspekts des Mandats schon fast wieder zeitgemäss. Professionsethisch heikel an der Fokussierung der Bewährungshilfe auf die persönlichen Defizite ihrer Klienten ist, dass diese eine gesellschaftliche Problematisierung struktureller Hindernisse betreffend Re sozialisierung potenziell unterläuft. Dem Zeitgeist einer rein individuellen Zuschreibung von gesellschaftlich zumindest mitverursachten sozialen Problemen wie beispielsweise Arbeits- oder Obdachlosigkeit wird damit zu sehr entsprochen, was ungewollt zur Stigmatisierung von Straffälligen beiträgt. Um Missverständnissen vorzubeugen, muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass die zentrale Bedeutung der Dimension der sozialen Einbindung von der Bewährungshilfe im Grundsatz anerkannt ist. Schliesslich stellt die «Behandlung» entsprechender Problematiken auch eine Kernkompetenz der im Berufsfeld hauptsächlich tätigen Sozialen Arbeit dar und sieht sich diese Profession demzufolge zu Recht mit der Durchführung von Bewährungshilfemandaten betraut. Jedoch Die drei Dimensionen der Resozialisierung Individuelle Dimension Ebene des persönlichen Handelns Ebene der persönlichen Einstellung Beeinträchtigung (phys./psych./Sucht) Individuellstrukturelle Dimension Soziale Einbindung primär betr. Erwerbsarbeit und Beziehungen Strukturelle Dimension Wechselwirkung Frühstarter Spätstarter Heranwachsenden-Delinquenz Deeskalierer Wechselwirkung Delinquenzbeginn Delinquenzende Frühe Abbrecher Späte Abbrecher Schleichende Abbrecher Persister Ebene gesellschaftliche Integrationsangebote Ebene unterstützendes Versorgungssystem Zu besseren Verständlichkeit der Grafik an dieser Stelle eine Lesart anhand eines Fallbeispiels: Bezüglich individueller Dimension lassen sich beim mehrfach Straffälligen Y. grössere Verhaltens defizite betreffend Selbststeuerung und Problemlösen sowie Einstellungsdefizite betreffend Orientierung an den geltenden Werten und Normen feststellen. Überdies bestehen körperliche Be einträchtigungen, die eine Berufsausübung erschweren. Was die strukturelle Dimension angeht, fehlt es primär an gesellschaftlichen Integrationsangeboten betreffs Erwerbsarbeit und Wohnen, aber auch Beziehungen. Das Versorgungssystem 32 SozialAktuell | Nr. 12 _ Dezember 2011 schliesslich funktioniert teilweise fehlerhaft, indem der Strafvollzug dem Betreffenden seit Jahren als Zufluchtsort vor den Anforderungen des realen Lebens dient. Mangelhaft bis überhaupt nicht gewährleistet waren in der Verg angenheit überdies die intensive Nachsorge sowie eine koordinierte Hilfestellung. Sämtliche genannten Unzulänglichkeiten führen zu e iner stark defizitären sozialen Einbindung. Diese wiederum steht in e iner Wechselwirkung zur D elinquenz dahin gehend, dass die Bindungsdefizite verstärkt kriminelle Handlungen hervorrufen und Letztere im Gegenzug die Integration weiter verschlechtern. Freiheitsentzug: Eine spätere Integration in das reale Erwerbs- und Beziehungsleben lässt sich letztlich nur in einem alltagsnahen Rahmen effektiv fördern. erweisen sich die Mittel und Strukturen zur Realisierung einer wirklichen sozialen Integration nach Einschätzung des Schreibenden in der Praxis regelmässig als unzureichend. So wird das Ziel der Resozialisierung von vielen Professionellen bei manch einem Klienten als weit entferntes Ideal wahrgenommen, das zu erreichen mit den bestehenden Ressourcen schon zum Vorne herein vermessen erscheint. Vor dem Hintergrund der realen Möglichkeiten des vorhandenen Hilfesystems ist das leider nicht als «voreilige Kapitulation» oder «Zweckpessimismus» abzutun. Während mehr Mittel für eine Erfolg versprechende Auftragsausführung politisch wohl nur schwer zu erschliessen und gewisse hinderliche gesellschaftliche Faktoren kurzfristig kaum zu beeinflussen sind, könnte auf der Ebene des Versorgungssystems prinzipiell eine Leistungsverbesserung erzielt werden. Hierfür wären aber die Art und die Intensität der Interventionen grundlegend zu überdenken – sprich auf eine maximale Förderung existenziell wichtiger sozialer Bindungen auszurichten. Mögliche Optimierung des Justizvollzugs Zur Optimierung des Versorgungssystems postuliert der Schreibende die Umsetzung des folgenden «7-Punkte-Plans» (vgl. Erismann, 2011): – Sämtliche Massnahmen des (teil)stationären wie ambulanten Hilfesystems sind prioritär darauf auszurichten, die sozialen Einbindungen von Straffälligen zu verbessern – speziell bezüglich Erwerbsarbeit und Beziehungen. Bewährungshilfe | Rechtsberatung | P l a t t f o r m – Bei nicht möglicher Erschliessung «echter» sozialer Einbindungen ist im Sinne eines «Empfangsraums» nach der Vollzugsentlassung bezüglich Beziehungen, Erwerbsarbeit und Obdach eine zeitweilige Kompensation sicherzustellen. – Es ist ein möglichst fliessender Übergang vom Vollzug in die Freiheit zu schaffen, wofür nebst dem Wohn-/Arbeitsexternat konkret das Angebot von teilstationären Institutionen der Bewährungshilfe wie dem team72 stark auszubauen wäre. – Es ist flächendeckend eine niederschwellige, grundsätzlich allen Strafentlassenen offenstehende Beratung/Betreuung zu installieren (im Sinne einer «Anlaufstelle»), die in Freiheit unbürokratisch Unterstützungsleistungen erschliesst und koordiniert. – Die Interventionen des Versorgungssystems sind konsequent auf die Verbesserung von Verhaltensfertigkeiten der Klienten auszurichten, wobei diesbezüglich auch mehr eingefordert und im Gegenzug honoriert werden sollte. – Zur Gewährleistung des Praxistransfers resp. der Nachhaltigkeit der Massnahmen ist in jeglicher Hinsicht möglichst konkret und alltagsnah an der Lebenswelt der Klienten in Freiheit zu intervenieren – auch im Strafvollzug. – Den Straffälligen sind auf der gesellschaftlichen Ebene durch Entgegnung auf Stigmatisierungstendenzen Integrationsperspektiven zu eröffnen, vor allem mittels Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die strukturelle Dimension von Delinquenz. Das Postulat einer grösseren Gewichtung der sogenannten «Nachsorge» gegenüber dem Freiheitsentzug ergibt sich aus der empirisch belegten, überragenden Bedeutung sozialer Einbindungen für den Resozialisierungserfolg. Der Strafvollzug leistet seinen Beitrag oftmals durch Kompensation bereits vorher nicht bestehender Integration in den Bereichen Erwerbsarbeit, Beziehungen und gegebenenfalls Wohnen. Auch schafft er tendenziell durch die enge Struktur mit festem Tagesprogramm die Basis für ein (wiederum) geregeltes L eben im Anschluss. Eine Integration im nachfolgenden realen Erwerbs- und Be ziehungsleben lässt sich letztlich aber nur in einem alltagsnahen Rahmen effektiv fördern, den Institutionen des Freiheitsentzugs naturgemäss unzureichend zu gewähren vermögen. Ein Praxistransfer gegebenenfalls im Vollzug erlernter, so genannt protektiver Fertigkeiten erfolgt im Regelfall ebenfalls nicht automatisch «just by doing», wie man aufgrund der begrenzten Angebote im Bereiche der Nachsorge eventuell annehmen könnte. Das Hauptproblem für viele Strafentlassene liegt letztlich darin, dass ihnen der Übergang von der quasi «künstlichen» Integra- tion des Vollzugs zur «echten» sozialen Einbindung in Freiheit einfach nicht gelingen will. Diesbezüglich offenbaren sich im Versorgungssystem nach Meinung des Schreibenden grössere Mängel, bietet es – abgesehen von vereinzelten Institutionen der teilstationären Bewährungshilfe (z. B. team72) resp. des Wohn-/Arbeitsexternats – bei der konstruktiven Gestaltung dieser zentralen Schnittstelle doch keine hinreichende Hilfestellung. Die bestehende ambulante Bewährungshilfe vermag aufgrund der Fallzahlen den hohen Betreuungsbedarf manch eines Strafentlassenen in dieser schwierigen Übergangsphase nicht genügend zu decken. Literatur Besozzi, C. (1998). Die (Un-)Fähigkeit zur Veränderung. Eine qualitative Untersuchung zu Rückfall und Bewährung von erstmals aus dem Strafvollzug Entlassenen. Bern: Bundesamt für Justiz. Erismann, M. (2011). Die Resozialisierung von Straffälligen im Kanton Zürich: Eine Analyse mit Fokus auf Vermögensdelinquente. (PDF.) Zugriff am 10.10.2011. Verfügbar unter http://edoc.zhbluzern. ch/hslu/sa/masa/2011_masa_Erismann.pdf Sampson, R. J., and Laub, J. H. (1995). Crime in the making. Pathways and turning points through life. Cambridge: Harvard University Press. Sommerfeld, P., Calzaferri R., und Hollenstein L. (2007). Die Dynamiken von Integration und Ausschluss. Olten: Fachhochschule Nordwestschweiz. Stelly, W., und Thomas, J. (2005). Kriminalität im Lebenslauf. Tübingen: Institut für Kriminologie der Universität Tübingen. Beobachter-Ratgeber Lohn nicht gemeldet – ist das strafbar? Ich bin Sozialarbeiterin in einer beratenden Institution. Meine Klientin ist verheiratet. Ihr Mann ist vollzeitlich berufstätig, hat aber hohe Schulden. Es laufen verschiedene Betreibungen gegen ihn und auch eine Lohnpfändung. Nun hat seine Frau im Frühjahr eine Stelle angetreten, dies dem Betreibungsamt jedoch erst kürzlich gemeldet. Mit welchen Folgen muss sie rechnen, wenn das Betreibungsamt herausfindet, dass sie schon viel länger mitverdient? Ist so ein Verhalten strafbar, und mit welchem Strafmass müsste die Frau rechnen? Vorab ist zu sagen, dass die Ehefrau gegenüber dem Betreibungsamt nur zur Auskunft verpflichtet wäre, wenn sie Guthaben oder Vermögensgegenstände ihres Mannes besitzen würde. Das ist hier jedoch nicht der Fall. Da die Betreibungen und Pfändungen gegen ihren Ehemann laufen, hat die Frau gegenüber dem Betreibungsamt keinerlei Meldepflicht, wenn sie eine Stelle antritt oder Vermögen erwirbt. Die Ehefrau hat sich somit nicht strafbar gemacht. Der Ehemann dagegen hätte das zusätzliche Einkommen seiner Frau dem Betreibungsamt ange- ben müssen. Bei verheirateten, im Konkubinat oder in eingetragener Partnerschaft lebenden Paaren, bei denen beide Seiten über ein Ein kommen verfügen, wird ein gemeinsames Exis tenz m inimum berechnet. Die Berechnung der pfändbaren Quote ist Ermessenssache. Die Schweizerische Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten gibt Richtlinien heraus. Bei der Berechnung des Existenzminimums wird ein gemeinsamer Grundbedarf eingesetzt, welcher die Kosten für Nahrung, Kleider, Wäsche, Körper- und Gesundheitspflege und Hobbys sicherstellen soll. Dieser Grundbedarf beträgt nach der Empfehlung der Konferenz der Konkurs- und Betreibungs beamten für ein Ehepaar, ein Konkubinatspaar oder ein in eingetragener Partnerschaft lebendes Paar 1700 Franken. Allerdings haben nicht alle Kantone diese Empfehlungen übernommen. Aargau, Schwyz, St. Gallen, Solothurn und Zürich h aben eigene Richtlinien, bei denen der Grund betrag zum Teil höher angesetzt ist. Zum Grundbetrag werden anerkannte Auslagen hinzugerechnet, zum Beispiel für die Miete, Krankenkasse, Versicherungen und für Berufsaus lagen. Der Grundbetrag und die anerkannten A uslagen bilden dann das betreibungsrechtliche Existenzminimum. Bei Paaren wird berücksichtigt, welchen Anteil dieses gemeinsamen Existenzminimums die betriebene Person abdecken muss. G epfändet wird der darüber liegende Teil des Einkommens, nicht jedoch der Lohn der Ehefrau, des Konkubinatspartners oder der eingetragenen Partnerin. Wer bei einer Pfändung falsche Angaben macht, Vermögenswerte verschweigt oder beiseiteschafft, macht sich strafbar. Ebenso, wer während einer laufenden Lohnpfändung dem Betreibungsamt einen Stellenwechsel nicht angibt. Als Sanktion sieht das Gesetz eine Busse vor. Der Ehemann Ihrer Klientin kann möglicherweise einer Bestrafung entgehen, wenn er das Einkommen der Ehefrau unverzüglich angibt. Das Betreibungsamt wird dann im Rahmen einer Revision das Existenzminimum rückwirkend neu berechnen. Gabriela Baumgartner, Juristin im Beobachter-Beratungszentrum Die Fachexperten des Beobachters beraten Sie gerne bei Rechtsfragen! Erfahren Sie mehr über das Angebot unter www.beobachter.ch/sozialabo Nr. 12 _ Dezember 2011 | SozialAktuell 33