Mangelnder Schutz vor Körperstrafen
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Mangelnder Schutz vor Körperstrafen
Kinderrechte | S C H W E R P U N K T Mangelnder Schutz vor Körperstrafen Die Rechtssituation in der Schweiz ist bezüglich gewaltfreier Erziehung ungenügend Text: Andrea Hauri, Katrin Meier In der Schweiz ist es verboten, dass ein Erwachsener einen anderen ohrfeigt, nicht aber dass er dies gegenüber seinem Kind tut. Kinder haben gemäss UN-Kinderrechtskonvention das Recht auf Schutz vor jeglicher Form von Gewalt. Eine Anpassung im ZGB sowie unterstützende Massnahmen für Erziehende sind nötig. Wer ein Kind schlägt, gibt ihm vor, Konflikte mit Gewalt zu lösen sei erlaubt. Wie soll ein Jugendlicher akzeptieren, dass es verboten ist andere zu schlagen, wenn er selbst von Erwachsenen geschlagen werden darf? Körperstrafen sind entwürdigend, pädagogisch sinnlos, psychisch und teil weise auch physisch schädigend. Mögliche schädliche Folgen von Körperstrafen für Kinder sind in zahlreichen Studien belegt. Kinder, die von ihren Erziehungsberechtigten körperlich bestraft werden, haben Die Schweiz erfüllt ihre Schutzpflicht im Rahmen der KRK nur bedingt, weil sie die Anwendung von Körperstrafen nicht grundsätzlich verbietet ein deutlich höheres Risiko, aggressive und antisoziale Ver haltensweisen zu entwickeln (vgl. Gershoff, 2002; Dur rant, 2006). Kinder lernen am Modell ihrer Eltern, dass Konflikte mit Gewalt gelöst werden. Entsprechend wird im Sinne des Gewaltkreislaufs von einem engen Zusammen hang von eigenem Gewalterleben und einer späteren Ge walttätigkeit ausgegangen. Kinder zeigen zwar oft un mittelbar nach körperlicher Bestrafung ein gehorsameres Verhalten. Mittel- bis langfristig leiden sie aber häufiger an Depressionen, Ängstlich keit und Gefühlen von Hoffnungslosigkeit als Kinder die nicht körper Andrea Hauri, lich gezüchtigt werden Sozialarbeiterin und Sozio (Durrant, 2006). login, ist Dozentin mit Schwerpunkt Kindesschutz am Fachbereich Soziale A rbeit der Berner Fachhoch schule. Katrin Meier, Psychologin/Master of Public Health, ist Projektleiterin bei der Stiftung Kinderschutz Schweiz und u.a. zuständig für das Thema physische und psychische Gewalt in der Er ziehung. Körperstrafen sind immer noch weit verbreitet Eine repräsentative Un tersuchung der Universi tät Fribourg (Schöbi, 2005) kam zum Ergebnis, dass hochgerechnet 40 Prozent aller Kinder in der Schweiz unter vier Jahren auf ir gendeine Weise körper lich bestraft werden. Am Das Recht auf Schutz vor wirtschaftlicher und sexueller Ausbeutung « Kein Kind soll schlecht behandelt, ausgebeutet oder vernachlässigt werden. Kein Kind soll zu schädlicher Arbeit gezwungen werden. » häufigsten betroffen sind Kinder unter zweieinhalb Jah ren. In einer repräsentativen Erhebung bei 1100 Personen aus der deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Schweiz durch das Institut Isopublic vom 11. bis 14. Juli 2007 (Institut Isopublic, 2007) gaben 68 Prozent der Befrag ten an, dass ein Klaps auf den Hintern oder eine Ohrfeige als Erziehungsmassnahme hie und da legitim sei. Nr. 7/8_Juli/August 2013 | SozialAktuell 25 S C H W E R P U N K T | Kinderrechte Wie kann die Anwendung von Körperstrafen reduziert werden? Eine europäische Vergleichsstudie kommt zum Schluss, dass ein gesetzliches Verbot von Gewalt in der Erziehung diesbezüglich einen positiv senkenden Einfluss hat. Am deutlichsten ist dieser Einfluss, wenn parallel dazu inten sive Informationskampagnen durchgeführt werden (Buss mann et al., 2011). Selbst eine gesetzliche Verankerung des Rechts auf gewaltfreie Erziehung ohne begleitende Infor mationskampagne zeigt gemäss dieser Studie eine deut lich stärkere Wirkung auf als eine blosse Informations kampagne ohne eine gesetzliche Verankerung. Neben diesem direkten Zusammenhang zwischen einem Verbot von Körperstrafen und einer Reduktion der Anwen dung derselben im Erziehungsalltag geht die Studie auch von indirekten Zusammenhängen aus: Ein Verbot von Kör perstrafen trägt zu einem veränderten Rechtsbewusstsein bei Erziehungsberechtigten bei. Zudem beeinflusst es die Definition von Gewalt durch die Erziehungsberechtigten und begünstigt eine ablehnende Haltung gegenüber Kör perstrafen (Bussmann, 2011). In der Schweiz fehlt eine rechtliche Verankerung Die Schweiz kennt keine entsprechende gesetzliche Veran kerung. Eine parlamentarische Initiative von alt National rätin Ruth-Gaby Vermot ist 2008 vom Parlament mit der Begründung abgelehnt worden, die aktuelle Rechtssitua tion sei genügend. Zurzeit ist eine Motion von National rätin Yvonne Feri im Parlament hängig. Sie fordert, das Recht auf gewaltfreie Erziehung gesetzlich zu verankern. Bundesverfassung Art. 10 und 11 Schutz der Integrität des Kindes Art. 10 BV Recht auf Leben und auf persönliche Freiheit 1 J eder Mensch hat das Recht auf Leben. Die Todesstrafe ist ver boten. 2 J eder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbeson dere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewe gungsfreiheit. Art. 11 BV Schutz der Kinder und Jugendlichen 1 K inder und Jugendliche haben Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung. 2 S ie üben ihre Rechte im Rahmen ihrer Urteilsfähigkeit aus. I N serat 26 SozialAktuell | Nr. 7/8_Juli/August 2013 Die Bundesverfassung gewährleistet mit Art. 10 und 11 den Schutz der Integrität des Kindes (vgl. Kasten). Art. 302, Abs. 1 ZGB (Erziehung) schreibt vor: «Die Eltern haben das Kind ihren Verhältnissen entsprechend zu erziehen und seine körperliche, geistige und sittliche Entfaltung zu för dern und zu schützen.» Art. 126 Abs. 1 StGB (Tätlichkeiten) sieht vor, dass Tätlich keiten, die keine Schädigung des Körpers oder der Gesund heit zur Folge haben, auf Antrag verfolgt und mit Busse bestraft werden. Wenn der Täter die Tat wiederholt an Es braucht eine gesetzliche Verankerung des Rechts auf Gewaltfreiheit in der Erziehung im Zivilgesetzbuch einer Person begeht, die unter seiner Obhut steht oder für die er zu sorgen hat, namentlich an einem Kind (Art. 126 Abs. 2 StGB), so wird sie von Amtes wegen verfolgt. Das Bundesgericht hat in einem Entscheid präzisiert, dass eine Tätlichkeit anzunehmen ist «bei einer das allgemein übli che und gesellschaftlich geduldete Mass überschreitenden physischen Einwirkung auf einen Menschen, die keine Schädigung des Körpers oder der Gesundheit zur Folge hat». (BGE 117 IV 14, vgl. auch Wyttenbach (2003). Das Bun desgericht erachtete dieses gesellschaftlich tolerierte Aus mass bei einem Stiefvater als überschritten an, der in ei nem Zeitraum von drei Jahren die Kinder seiner Freundin ungefähr zehn Mal geohrfeigt und mit den Füssen getre ten hat. Das Bundesgericht hat die Frage offen gelassen, wann die Grenze genau überschritten ist. Dadurch hat es nicht nur ein beschränktes Züchtigungsrecht der Eltern aufrechterhalten (vgl. auch Fassbind, 2007), sondern auch eine Rechtsungleichheit von Kindern gegenüber Erwach senen geschaffen. In Artikel 19 der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) wer den die Staaten aufgefordert, alle geeigneten Massnah men zu treffen, um das Kind vor jeder Form von körper licher oder geistiger Gewalt oder Verwahrlosung zu schüt zen. Der UN-Kinderrechtsausschuss präzisiert in seinem General Comment Nummer 8, dass mit dem Verbot sämt licher Formen von physischer oder psychischer Gewalt (Art. 19 KRK) kein Spielraum bestehe für abgestufte legale Formen von Gewalt gegen Kinder. Der UN-Ausschuss hat der Schweiz bereits im Jahr 2002 empfohlen, alle Arten von Das Recht auf gewaltfreie Erziehung «Jedes Kind hat das Recht auf eine Erziehung ohne Anwendung von Gewalt.» körperlicher Züchtigung in Familie, Schule und weiteren Institutionen explizit zu verbieten. Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes hält eine explizite Verankerung im Gesetz für absolut unumgänglich. Ende Oktober hat sich die Schweiz ihrer zweiten periodischen, universellen Prü fung der Menschenrechtslage durch den UN-Menschen rechtsrat unterzogen und die Empfehlung einer expliziten gesetzlichen Verankerung eines Verbots von Körperstra fen mit der Begründung abgelehnt, dass die geltenden ge setzlichen Grundlagen die Kinder genügend schützen. Die Schweiz erfüllt ihre Schutzpflicht im Rahmen der KRK nur bedingt, weil sie die Anwendung von Körperstrafen Mögliche schädliche Folgen von Körperstrafen für Kinder sind in zahlreichen Studien belegt nicht grundsätzlich verbietet. Sie trägt dem Art. 19 KRK, d. h. der Schutzpflicht, in Verbindung mit dem Diskrimi nierungsverbot (Art. 2, Abs. 1 KRK) nur bedingt Rechnung. Während eine Ohrfeige bei Erwachsenen strafrechtlich geahndet wird, dürfen Kinder wie bereits dargelegt von ihren Erziehungsberechtigten mehrmals geohrfeigt wer den. Diese Ungleichbehandlung ist vor dem Hintergrund der besonderen Schutzbedürftigkeit des Kindes nicht ak zeptabel. Es braucht eine gesetzliche Verankerung des Rechts auf Ge waltfreiheit in der Erziehung im Zivilgesetzbuch. Eine sol che Verankerung setzt eine entschiedene Norm, fördert eine Haltungsänderung und ermöglicht die Suche nach sinnvollen, alternativen Wegen, wie Grenzen gesetzt wer den können. Eine strafrechtliche Verankerung macht keinen Sinn, da sie die Eltern kriminalisieren und dies zu einer Abwehr führen würde. Damit aber eine starke Wir kung erzielt werden kann, muss eine gesetzliche Veranke rung zwingend mit begleitenden Massnahmen kombi niert werden, welche Eltern in ihrer Erziehungsarbeit stär ken und gesellschaftlich und politisch dazu führen, dass die entsprechenden Rahmenbedingungen und geeignete Strukturen zur Verfügung gestellt werden. Literatur Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend (Hrsg.) (2009). Familie – kein Platz für Gewalt!(?). 20 Jahre gesetzliches Gewaltverbot in Österreich. Vergleichende Untersuchung Österreich – Deutschland – Schweden – Frankreich –Spanien (PDF). Zugriff am 04.04.2013. Verfüg bar unter http://www.kinderrechte.gv.at/home/upload/10%20news/ gewaltbericht_2009.pdf Bussmann, K.; Erthal, C. & Schroth, A. (2011). Effect of Banning Corpo ral Punishment in Europe. A Five-Nation Comparison. In J. Durrant & A. Smith (Hrsg.), Global Pathways to Abolishing Physical Punishment: R ealizing Children’s Rights. New York: Routledge , S. 299–322. Fassbind, P. (2007). Züchtigungsrecht contra Gewaltverbot bei der Aus übung der elterlichen Personensorge. In: Zeitschrift Aktuelle juristische Praxis AJP, Lachen, Dike Verlag, S. 547–555. Institut Isopublic (2007): Jugendkriminalität (PDF). Zugriff am 12.04.2013. Verfügbar unter http://www.isopublic.ch/publikationen/ pdf/Jugkr07.pdf Thompson Gershoff, E. (2002). 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