Lehrbeauftragter für Mediation, Konfliktlösung, Streitschlichtung und

Transcription

Lehrbeauftragter für Mediation, Konfliktlösung, Streitschlichtung und
Streiten – Verhandeln – Einigen
oder
Über
die
Notwendigkeit,
sich
mit
Mediation,
Konfliktlösung,
außergerichtlicher
Streitschlichtung und Verhandlungsmanagement zu beschäftigen
Rechtsanwalt Karl Ehler, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Mediator (ADR),
Lehrbeauftragter für Mediation, Konfliktlösung, außergerichtlicher Streitschlichtung und Verhandlungsmanagement an der
Universität Siegen und der FH Schmalkalden,
Dozent im Weiterbildungsstudium zum/zur „Mediator/in und Verhandlungsmanager/in (FH)“
Berufsbilder im Wandel machen nicht bei Naturwissenschaftlern und Ingenieuren halt, sondern
betreffen natürlich und gerade auch Juristen1. Fachwissen allein wird in der Zukunft nicht
ausreichen, für den Berufsalltag gerüstet zu sein. Neben dem juristischen Handwerkszeug des
normorientierten Subsumierens wird die Bewältigung von Streitigkeiten und Konflikten über den
Streitgegenstand hinaus immer bedeutsamer. Denn neben dem gerichtlichen und dem
schiedsgerichtlichen Verfahren haben sich in den letzten Jahren Dank Mediation,
außergerichtlicher Streitschlichtung und dem Verhandlungsmanagement verschiedene
Verfahrensweisen und Methoden herausgebildet und entwickeln sich weiter, mit deren Hilfe
Streitigkeiten und Konflikte unterschiedlich teuer, unterschiedlich schnell, unterschiedlich
beziehungswahrend und damit unterschiedlich effektiv in Qualität und Quantität gelöst werden
können.
I. Anekdote über Churchill zur Einleitung
Um Winston Churchill, der u. a. für seine Sprachgewalt bekannt ist, ranken sich viele Anekdoten.
Eine davon lautet wie folgt: Lady Nancy Astor hatte einen Disput mit Churchill, der für
Frauenrechte nicht viel übrig gehabt haben soll 2. Im Verlauf der verbalen Gefechte soll Lady Astor
zu Winston Churchill gesagt haben: „Wenn ich mit Ihnen verheiratet wäre, würde ich Ihnen
morgens beim Frühstück Gift in den Kaffee schütten.“ Worauf Churchill erwidert haben soll: „Und
wenn ich mit Ihnen verheiratet wäre – ich würde ihn trinken.“3
Das ist sicherlich schlagfertig. Was diese Form des Umganges aber in Verhandlungen bewirken
würde, kann man sich lebhaft vorstellen; Einigungshindernisse werden dadurch „eher nicht
beseitigt“ - die Beziehung kaum entlastet.
II. Warum sich mit Mediation beschäftigen?
1. Aspekt: Ausbildungsinhalt von Juristen
Aufgrund Änderungen im Deutschen Richtergesetz, und zwar dessen § 5a Abs. 3 S. 1 DRiG, der nun
Schlüsselqualifikationen,
insbesondere
die
Streitschlichtung,
die
Mediation
und
das
Verhandlungsmanagement ausdrücklich zum Gegenstand der Ausbildung macht, haben die Länder
ihre Ausbildungsordnungen für Juristen entsprechend angepasst.
Alle Landesregelungen zur Juristenausbildung verweisen auf § 5a Abs. 3 S. 1 DRiG (wie z. B.
Thüringen durch § 8 ThürJAG4 i. V. m. § 1 Abs. 5 ThürJAPO5) oder übernehmen teilweise wörtlich
(wie z. B. das Juristenausbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen6 in dessen § 7 Abs. 2 JAG) die Norm
des § 5a Abs. 3 S. 1 DRiG: „Die Inhalte des Studiums berücksichtigen die rechtsprechende,
Wellmann/Kraus/Kampherm, in: PricewaterhouseCoopers/Europa-Universität Viadrina (Hrsg.), Praxis des
Konfliktmanagements deutscher Unternehmer“, 2007, S. 9, 25 f.
2 Zum Teufel alle miteinander – Anekdoten über Churchill, S. 30.
3 Zum Teufel alle miteinander – Anekdoten über Churchill, S. 30; Rolf Miller, „Kein Grund zur Veranlassung“,
Bühnenprogramm 2007.
4 Thüringer Gesetz über die juristischen Staatsprüfungen und den juristischen Vorbereitungsdienst i. d. F. v. 28.01.2003
(GVBl. §. 33).
5 Thüringer Juristenausbildungs- und prüfungsordnung i. d. F. vom 24.02.2004 (GVBl. S. 217)
6 I. d. F. vom 11.03.2003.
1
RA und FAfArbR Karl Ehler, Mediator (ADR), Meiningen
Stand 12/2012
verwaltende
und
rechtsberatende
Schlüsselqualifikationen
wie
Praxis
einschließlich
Verhandlungsmanagement,
der
hierfür
erforderlichen
Gesprächsführung,
Rhetorik,
Streitschlichtung, Mediation, Vernehmungslehre und Kommunikationsfähigkeit.“
Wenn schon der „sog. Volljurist“ sich damit beschäftigen muss, so muss es der Student im
Studiengang Wirtschaftsrecht, ob mit oder ohne europäische bzw. internationale Bezüge, erst recht
tun. Je größer der Anteil der späteren Tätigkeit im beratenden und gestaltenden Bereich
angesiedelt sein wird, desto wichtiger und unerlässlich werden die Themen Mediation,
Konfliktlösung, außergerichtliche Streitschlichtung und Verhandlungsmanagement - gerade auf den
spannenden,
herausfordernden
Arbeitsplätzen
in
Unternehmen,
Unternehmens-
und
Personalberatungen, Verbänden und Organisationen an der Schnittstelle von Rechtswissenschaft
und Betriebswirtschaft.
Dies lässt sich am Beispiel der Unternehmensnachfolge gut darstellen. Handwerksbetriebe,
Familienunternehmen und kleine bzw. mittelständische Unternehmen sind wesentlich davon
geprägt, dass die persönliche Identifikation mit dem Unternehmen sehr hoch ist, bzw. das
Unternehmen oft an die nächste Familiengeneration weitergegeben wird. Zahlen, Fakten,
Rechtsformen, Businesspläne sind natürlich sehr wichtig und Teil von Prüfung und Beratung. Die
Welt der Unternehmensnachfolge wird wesentlich von Zahlen geprägt - allerdings nicht
ausschließlich.
Gerade
in
Familienunternehmen
lassen
sich
wirtschaftlich-technische
Rahmenbedingungen nicht von der familiären, persönlichen, menschlichen Beziehungsebene
trennen.
Auch wenn das Unternehmen, aus welchen Gründen auch immer, nicht an die „Next Generation“
weitergegeben wird, werden Aspekte und Kriterien außerhalb der sachlich-rationalen Ebene bei
der Entscheidung über die Übertragung eine maßgebliche Rolle spielen.
2. Aspekt: Mediation, Konfliktlösung und Verhandlungsmanagement sind mehr als
Schlüsselqualifikationen
a. Verfahrensmanagement
Mediation, Konfliktlösung und Verhandlungsmanagement - wie es der Gesetzgeber in § 5a Abs. 3 S.
1 DRiG getan hat – als Schlüsselqualifikationen einzuordnen, ist vor diesem Hintergrund aber nur
bedingt richtig; denn es geht dabei um wesentlich mehr: es geht darum, auf Streitigkeiten und
Konflikte dasjenige Verfahren und diejenigen Methoden anzuwenden, die ganzheitlich, effektiv,
ressourcensparend, kostengünstig und vor allem auch die Beziehung wahrend eine Lösung
bewirken können. Dem Prozess, innerhalb dessen ein Konflikt gelöst bzw. ein Streit geschlichtet
wird, fällt damit eine große, entscheidende Funktion zu. So ist im Verständnis um eine umfassende
und nachhaltige Streitschlichtung bzw. Konfliktlösung (ADR = alternative/advanced/appropriate
dispute resolution7) die Strukturierung des Verfahrens (Verfahrensmanagement) eines der
wesentlichen Aufgaben bei der Konfliktlösung, wobei die flexible Anwendung von ganz
unterschiedlichen Konfliktlösungsverfahren und einzelnen Strukturmerkmalen die Möglichkeit und
damit die Wahrscheinlichkeit erhöht, zu einer Lösung des Konfliktes zu kommen. 8
Dabei sei an dieser Stelle bereits auf einen der großen Irrtümer über Mediation hingewiesen. Denn
es gibt nicht nur ein einziges Verfahren zur Streitschlichtung und Konfliktlösung; das
Mediationsverfahren ist nur eines von vielen Verfahren und Methoden der ADR; daneben gibt es
eine Vielzahl von Konfliktlösungs- und Streitschlichtungsverfahren, deren gezielte Anwendung und
gezielte Mischung gute Chancen haben, eine außergerichtlichen Lösung eines Konfliktes oder
7
Unter Praktikern steht das Akronym ADR auch für avoiding disastrous results.
BB 2010, 702, 703 f.; Ehler, RAK Thüringen 01/2011, S. 11 f.
8Ehler,
2
RA und FAfArbR Karl Ehler, Mediator (ADR), Meiningen
Stand 12/2012
Streites zu befördern, sofern der ernsthafte, wirkliche Wille für eine Klärung vorhanden ist 9. Leider
beschränkt sich das vermittelte Wissen üblicherweise auf das Mediationsverfahren. Gegenstand
muss aber die ADR mit ihren unterschiedlichen Methoden und Verfahren sein10.
b. Wertschöpfung
Wendet man also die effektiven Verfahren und Methoden an und erhöht dadurch die Chance für
eine Einigung bzw. Erledigung, so könnte man die Suche nach Lösungen hin zu sog. Win-WinSituations nutzen, um gemeinsam bessere Ergebnisse zu erarbeiten als im ressourcen- und
kräfteraubenden Gegeneinander. Dadurch besteht die Chance, Ergebnisse qualitativ und quantitativ
weiter zu verbessern. Es geht also nicht nur um Methodik, Dogmatik und Effektivität, sondern auch
um Verbesserung der Ergebnisqualität – es geht somit auch um Wertschöpfung.
c. Handlungskompetenz
Um den beruflichen Herausforderungen gerade in leitenden Positionen gerecht werden zu können
soll die fachliche Qualifikation um soziale und methodische Kompetenzen ergänzt werden. Durch
das Vernetzen von fachlicher, sozialer und methodischer Kompetenz soll die eigentliche
Handlungskompetenz entstehen.11
3. Aspekt: Widerspruch von Anwendungshäufigkeit und Ergebnisqualität
Eine Studie der Universität Viadrina (Frankfurt/Oder) hat einen interessanten Aspekt deutlich
werden lassen, nämlich dass Gerichtsverfahren im Vergleich zur Mediation zwar als nachteilig
empfunden werden (gerade im Hinblick auf Kosten und Grad der Einflussnahme auf das Ergebnis)
und die Mediation demgegenüber als positiv gewertet wird, dennoch wird in der Realität viel
häufiger das Gericht bemüht als der Mediator 12. Anwendungshäufigkeit und Ergebnisqualität fallen
weit auseinander. Dieser äußerst auffällige Widerspruch muss aufgelöst werden!13
4. Aspekt: BVerfG vom 14.02.2007
In einer Entscheidung vom 14.02.2007 – 1 BvR 1351/0114 hat das Bundesverfassungsgericht
deutlich gemacht, dass die Mediation bzw. Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung als
probate und verfassungsgemäße Mittel zur Beschleunigung der Konfliktlösung, Förderung des
Rechtsfriedens und Entlastung der Gerichte anerkannt werden.
In dem Urteil ging es um die Verfassungsmäßigkeit der in § 10 Gütestellen- und Schlichtungsgesetz
des Landes Nordrhein-Westfalen (i. V. m. § 15 a EGZPO) vorgesehenen Verpflichtung zur
Durchführung eines außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens bevor staatliche Gerichte in
Anspruch genommen werden können. Zitat aus dem Urteil des BVerfG: „Der möglichen
Beeinträchtigung stehen hinreichende Vorteile für die Rechtsuchenden gegenüber. Im Erfolgsfalle
führt die außergerichtliche Streitschlichtung dazu, dass eine Inanspruchnahme der staatlichen
Gerichte wegen der schon erreichten Einigung entfällt, so dass die Streitschlichtung für die
Betroffenen kostengünstiger und vielfach wohl auch schneller erfolgen kann als eine gerichtliche
Auseinandersetzung. Führt sie zu Lösungen, die in der Rechtsordnung so nicht vorgesehen sind, die von
Ehler, BB 2010, 702, 704; s. a. Eberl-Borges, ZErb 2010, 255 ff.
ADR wird auch als umbrella term bezeichnet.
11 Faix/Laier, Soziale Kompetenz, 1991, S. 37.
12 So das Ergebnis einer Studie aus dem Jahr 2005 der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) in Zusammenarbeit mit
PricewaterhouseCoopers.
13 S. a. die Nachfolgestudie der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) in Zusammenarbeit mit
PricewaterhouseCoopers aus dem Jahr 2007, welche leider lediglich auf einer Datenbasis von nur 17 befragten
Unternehmen erfolgte, die im Übrigen nicht alle bereits an der Studie von 2005 teilgenommen haben.
14 ZKM 2007, 128 ff.
9
10
3
RA und FAfArbR Karl Ehler, Mediator (ADR), Meiningen
Stand 12/2012
den Betroffenen aber - wie ihr Konsens zeigt - als gerecht empfunden werden, dann deutet auch dies
auf eine befriedende Bewältigung des Konflikts hin. Eine zunächst streitige Problemlage durch eine
einverständliche Lösung zu bewältigen, ist auch in einem Rechtsstaat grundsätzlich vorzugswürdig
gegenüber einer richterlichen Streitentscheidung.“
5. Aspekt: Bereits in Kraft befindliche gesetzliche Regelungen des Hier und Heute
Es existiert bereits eine Vielzahl von Rechtsnormen, die eine „Verhandlung mit dem Ziel einer
Einigung“ vorsehen.
Auf nur eine sehr wichtige Regelung, deren gesetzgeberischen Inhalt man sich bewusst machen
sollte und den es schon seit Jahrzehnten gibt, sei hingewiesen: § 74 Abs. 1 S. 2 BetrVG: „Sie
(Arbeitgeber und Betriebsrat) haben über strittige Fragen mit dem ernsten Willen zur Einigung zu
verhandeln und Vorschläge für die Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zu machen.“ 15
6. Aspekt: Einfache und qualifizierte Mediationsklauseln in Verträgen
In die Vertragsgestaltung werden zunehmend sog. Mediationsklauseln 16 aufgenommen. Mit deren
Hilfe wird in einfacher oder komplexer Form einvernehmlich formuliert, wie im Falle von
Meinungsverschiedenheiten, Konflikten oder Streitigkeiten damit umgegangen werden soll.
Verfahrensmanagement im oben beschriebenen Sinne wird damit zum wesentlichen Element einer
effektiven Vertragsdurchführung; gleichzeitig wird die Zusammenarbeit der Vertragspartner auch
bei „Störfällen“ effektiv und beziehungswahrend gestaltet und geregelt sowie eine belastbare
Geschäfts- und Kundenbeziehung für die Zukunft erhalten oder aufgebaut.
7.
Aspekt:
Mediationsrichtlinie,
Mediationsgesetz,
Vorschläge
der
Europäischen
Kommission einer Richtlinie über alternative Streitbeilegung verbraucherrechtlicher
Streitigkeiten und über eine Verordnung über Online-Streitbeilegung)
a. Mediationsgesetz
Eines der stärksten Argumente dürfte eine EG-Richtlinie sein. Der Europäische Rat hat bereits auf
seiner Tagung im norwegischen Tampere am 15. und 16. Oktober 1999 unter dem Aspekt des
besseren Zugangs zum Recht in Europa die Mitgliedstaaten aufgefordert, alternative
außergerichtliche Verfahren zu schaffen. Dabei ist schon in diesem Zusammenhang Wert darauf zu
legen, dass hier der Plural verwendet wird („außergerichtliche Verfahren“).
Der nächste Schritt dauerte dann bis zum 19.04.2002, an dem die Kommission der Europäischen
Gemeinschaften das sog. Grünbuch über alternative Verfahren vorgelegt hat. Ausdrücklich wird
dort die ADR – und zwar „nur“ die ADR genannt, zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht;
den Begriff „Mediation“ findet man dort vergebens.
Als Ergebnis einer Anhörung vom 21. Februar 2003 zur ADR beauftragte die Kommission
verschiedene Vertreter und Repräsentanten der Mediationsverbände und ADR-Interessierter usw.,
einen "European Code of Conduct for Mediators" zu entwerfen, während sie sich gleichzeitig
vornahm, einen Richtlinienvorschlag für die Durchführung von Mediation vorzulegen.
Die angesprochene Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.
Mai 2008 steht zur Umsetzung bis zum 20. Mai 2011 an. Die Bestimmungen der Richtlinie sollen für
15
16
Ehler, BB 2010, 702, 703; Ehler, BB 2000, 978, 980.
Unberath, NJW, 2011, 1320 ff.
4
RA und FAfArbR Karl Ehler, Mediator (ADR), Meiningen
Stand 12/2012
grenzüberschreitende Streitigkeiten gelten, aber auch auf interne Mediationsverfahren, also
Mediationsverfahren ohne grenzüberschreitenden Bezug, anwendbar sein können.
Das Bundesjustizministerium hatte schon frühzeitige beabsichtigt, die Mediation mit nationalem
und mit grenzüberschreitendem Bezug auf eine einheitliche Grundlage zu stellen; damit soll
vermieden werden, dass für Mediationen mit nationalem und solche mit europäischem Bezug
unterschiedliche Maßstäbe gelten. Einer Rechtszersplitterung soll entgegengetreten werden. 17
Mit Datum des 4.8.2010 wurde zwischenzeitlich der Referentenentwurf zum Mediationsgesetz
vorgelegt. Der Bundestag hat das Mediationsgesetz in der Fassung der Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses18 am 15.12.2011 beschlossen; es ist am 26. Juli 2012 in Kraft getreten.
b. Weitere Vorhaben der EU-Kommission im Bereich alternativer Streitbeilegung (November
2011)
Nachdem die EU den Anstoß für die Nutzung von Mediationsverfahren gegeben hat, geht die
Integration außergerichtlicher Streitschlichtungs- und Konfliktlösungsverfahren nun weiter. Im
November 2011 hat die Kommission dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Europäischen
Wirtschafts- und Sozialausschuss eine Mitteilung über „Alternative Verfahren zur Beilegung von
Verbraucherstreitigkeiten im Binnenmarkt“ vorgelegt. In der „Strategie Europa 2020“, so heißt es,
sei ein stärkerer, vertiefter und erweiterter Binnenmarkt für mehr Wachstum und Beschäftigung
von fundamentaler Bedeutung. Dies würde sich aber nur realisieren lassen, wenn der Zugang zum
Recht im europäischen Waren- und Dienstleistungsverkehr für die Verbraucher (und auch
Unternehmen)
gewährleistet
werden kann. Verbraucher scheuen
den Kauf oder die
Inanspruchnahme von Dienstleistungen im europäischen Wirtschaftsverkehr, da sie die
Durchsetzung wie im eigenen Land nicht gesichert sehen. Würden die Verbraucher den gesamten
europäischen Markt nutzen, würden auch Unternehmen durch den grenzüberschreitenden Warenund Dienstleistungsverkehr profitieren. Die Unternehmen in den einzelnen Ländern könnten ihren
Markt über das die eigenen Landesgrenzen hin zum europäischen Markt möglichst umfassende
erweitern. Der Markt würde sich auch unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbs zu Gunsten aller
verändern können.
Vor diesem Hintergrund schlägt die Europäische Kommission dem Europäischen Parlament und
dem Rat eine Richtlinie und eine Verordnung vor, die zur Erreichung des genannten Ziels der
Schaffung eines effektiven Binnenmarkts für Wachstum und Beschäftigung erforderlich und
nützlich sind.
Dabei handelt es sich zum einen um den Vorschlag für eine Richtlinie 19 des Europäischen
Parlaments und Rates über Formen der alternativen Beilegung verbraucherrechtlicher
Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/EG
(Richtlinie über alternative Streitbeilegung; zum anderen wird der Vorschlag für eine Verordnung
des europäischen Parlaments und des Rates über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher
Streitigkeiten (Verordnung über Online-Streitbeilegung) zur Ergänzung eingebracht. Beide
Vorhaben hängen miteinander zusammen und ergänzen sich.
Dabei
ist
methodisch
insbesondere
darauf
hinzuweisen,
dass
dadurch
neben
dem
Mediationsverfahren weitere außergerichtliche Streitschlichtungsverfahren im Sinne der ADR
ihren Weg in die Rechtswirklichkeit auch in Deutschland finden werden.
So die Leiterin der Abteilung Rechtspflege im Bundesministerium der Justiz Marie Luise Graf-Schlicker auf dem 13.
Mediations-Kongress der Centrale für Mediation am 3.4.2009 in Berlin.
18 Drs. 17/8058.
19 In Richtlinien werden Ziele festgelegt, die die EU-Länder umsetzen müssen; wie diese Richtlinien umzusetzen sind bleibt
den Ländern in gewissem Rahmen selbst überlassen, solange die vorgegebenen Ziele dadurch erreicht werden.
17
5
RA und FAfArbR Karl Ehler, Mediator (ADR), Meiningen
Stand 12/2012
III. Was ist eigentlich Mediation?
Etymologisch wird der Begriff abgeleitet aus dem Englischen to mediate, was soviel heißt wie
vermitteln; „to mediate“ leitet sich wiederum aus dem lateinischen Wort mediare ab, heißt in seiner
ursprünglichen Bedeutung soviel wie „in der Mitte sein, in der Mitte stehen“; daraus wird vielfach
ein Vermitteln, Ausgleichen, Ausbalancieren abgeleitet bzw. übertragen.
Das Mediationsgesetz formuliert nachfolgende wesentliche Definitionsmerkmale:

Mediation ist ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem Parteien mit Hilfe eines
oder mehrere Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung
ihres Konflikts anstreben. (§ 1 Abs. 1 MediationsG)

Ein Mediator ist eine unabhängige und neutrale Person ohne Entscheidungsbefugnis, die die
Parteien durch die Mediation führt. (§ 1 Abs. 2 MediationsG)

Die Parteien wählen den Mediator aus (§ 2 Abs. 1 MediationsG)

Der Mediator ist allen Parteien gleichermaßen verpflichtet. Er fördert die Kommunikation der
Parteien und gewährleistet, dass die Parteien in angemessener und fairer Weise in die
Mediation eingebunden sind. (§ 2 Abs. 3 S. 1 und 2 MediationsG)
Mediation wird in diesem eben definierten Sinne lediglich als quasi abgekürzte Form für das
Mediationsverfahren verstanden (s. a. § 2 Abs. 2 MediationsG). Nur so macht diese Definition Sinn;
denn
bereits
durch
das
Definitionsmerkmal
„neutrale
Person
ohne
eigene
Entscheidungskompetenz“ wird eindeutig auf ein Mediationsverfahren hingewiesen, ein Verfahren
also, mit ganz bestimmten Verfahrensmerkmalen und Strukturen. Auf solche Mediationsverfahren
beschränkt sich leider in der Regel das heute kursierende Wissen und Verständnis dazu und
blendet auf diese Weise andere Verfahren der Streitschlichtung und Konfliktlösung sowie
wesentliche und wichtige Erkenntnisse und Methoden aus.
Das Mediationsverfahren ist aber nur ein Verfahren der sogenannten ADR. Neben dem
Mediationsverfahren gibt es eine Vielzahl von drittunterstützten Verfahren (assisted procedures),
die als ADR-Verfahren zusammengefasst werden. Gerade die Nutzung von ganz unterschiedlichen
Verfahren und flexiblen und kreativen Formen ist doch gerade eines der Erfolgsrezepte bzw. der
Vorteile20 der außergerichtlichen Streitschlichtung und Konfliktlösung.
IV. Moderne Anwendungsbereiche und ergänzende Themenkreise
Bewusst oder unbewusst hat der Gesetzgeber durch seine Formulierung in § 5a Abs. 3 S. 1 DRiG
„Verhandlungsmanagement,
Gesprächsführung,
Rhetorik,
Streitschlichtung,
Mediation,
Vernehmungslehre und Kommunikationsfähigkeit“ dem Begriff der Mediation die Begriffe
Streitschlichtung und Kommunikationsfähigkeit zur Seite gestellt. Mit Mediation scheinen die
notwendigen Qualifikationen offensichtlich nicht hinreichend beschrieben. Ein paar besonders
wichtige Anwendungsfelder, die die eine vergrößerte Bandbreite der notwendigen Qualifikationen
darstellen, sollen kurz erwähnt sein:
1. Compliance
Unternehmen, die an US-amerikanischen Börsen notiert sind, sind durch das Sarbanes Oxley ACT
(SOX) verpflichtet, bestimmte Verhaltenspflichten insbesondere zur Einhalt von Gesetzen bzw. zu
20
Ehler, BB 2010, 702 ff.
6
RA und FAfArbR Karl Ehler, Mediator (ADR), Meiningen
Stand 12/2012
Berichtspflichten und Feststellungen von Gesetzesverstößen organisatorisch abzusichern 21. Diese
Absicherung erfolgt wesentlich durch den sog. Code of Conduct.
Der Deutscher Corporate Governance Kodex 22 hat dieses übertragen auf Unternehmen in
Deutschland (s. § 161 AktG). Mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex sollen „die in
Deutschland geltenden Regeln für Unternehmensleitung und –überwachung für nationale wie
internationale Investoren transparent gemacht werden, um so das Vertrauen in die
Unternehmensführung deutscher Gesellschaften zu stärken.“ 23
In diesem Zusammenhang sei auch auf die sog. Ethik-Richtlinien24 hingewiesen.
2. Wirtschaftsethik
Wirtschaftsethik ist im Zeichen von Finanzkrise und Bonuszahlungen untrennbar mit der
Wertevermittlung verbunden. Datenschutz 25 und bereits benannte Ethik-Richtlinien stellen im
Zusammenhang mit Compliance-Vorschriften ein thematisches Netzwerk zusammen, welches
prägend die Unternehmensphilosophie und die Unternehmenskultur beschreiben und bestimmen.
3. Streitkultur
Mediation und Methoden der außergerichtlichen Streitschlichtung und Konfliktlösung sind
grundsätzlich keine Entdeckung des 20. oder 21. Jahrhunderts.
Konfliktlösung ist Bestandteil einer Gesellschaft zusammenlebender Menschen und muss es auch
sein, will man nicht dem sog. Stärksten das Feld überlassen. Dies führt unweigerlich zu dem Begriff
„Kultur“, besser „Streitkultur“ – überlässt man die Durchsetzung von Interessen dem „Stärkeren“
oder will man eine werteorientierte, chancengleiche Interessenklärung.
Übrigens: In Japan und China ist der Vermittlungsgedanke seit jeher das hauptsächliche Mittel zur
Beilegung von Konflikten26, was bis heute auf die starke Betonung von Konsens, Kooperation und
Harmonie in diesen Ländern zurückzuführen ist27.
Im asiatischen Kulturkreis kennt man den Spruch „Einen Freund zu behalten ist wichtiger, als einen
Sieg zu erringen“. Im europäischen Kulturkreis kann man den Eindruck gewinnen „Lieber einen
Freund verloren, als einen guten Witz verpasst“. Hieraus werden bereits große Unterschiede im
soziokulturellen Verständnis deutlich.
V. Schlusszitat
In Anlehnung an Gilbert Keith Chesterton28 soll das Schlussstatement lauten:
„Die Leute streiten im Allgemeinen nur deshalb, weil sie nicht verhandeln können“.
Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, 2009, 1. ff. 6 f.
Eingeführt durch das Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz- und Publizität
(Transparenz- und Publizitätsgesetz) vom 19.07.2002, BGBl. Teil I Nr. 50 vom 29.07.2002.
23 So die vom Bundesministerium der Justiz im September 2001 eingesetzte Regierungskommission Deutscher Corporate
Governance Kodex, die am 26.02.2002 den CGK verabschiedet hat.
24 BAG vom 22.07.2008 – 1 ABR 40/07, NZA 2008, 1248; LAG Düsseldorf vom 14.11.2005 – 10 TaBV 46/05, NZA 2006, 63.
25 Thüsing, NZA 2009, 865; Kock/Francke, NZA 2009, 646 ff.
26 Iwanowski, Reisegast in Japan, 2005, S. 151 ff. Haft/Schlieffen-Hehn, Handbuch Mediation, 2002, S. 154.
27 Haft/Schlieffen-Hehn, Handbuch Mediation, 2002, S. 154 und 167; Oboth/Seils, Mediation in Gruppen und Teams, 2006, S.
17.
28 1874 – 1936, engl. Schriftsteller und Journalist
21
22
7