Auszug aus “Manual for Fight Club: A Chorus” by post theater [n

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Auszug aus “Manual for Fight Club: A Chorus” by post theater [n
Auszug aus “Manual for Fight Club: A Chorus” by post theater [new york / berlin / tokyo] “
Das “Handbuch…” in vollständiger Länge kann vom post theater über [email protected]
bestellt werden.
0.1. Prolog
Dies ist ein sehr ungewöhnliches Buch. Tatsächlich sind es viele Bücher in einem. Vielleicht haben Sie
es gerade gelesen. Vielleicht löst es etliche Gedanken in ihrem Kopf aus. Vielleicht ermutigt es Sie
sogar Ideen, die darin beschrieben sind, umzusetzen, weil es ein Handbuch ist – ein Buch voll von
Anleitungen. Normalerweise trifft man auf Handbücher, wenn man ein neues Gerät kauft. Dieses
Handbuch ist zwei in Einem: das Gerät und sein Handbuch. Mit diesem Buch hat man alles was man
braucht, um eine Performance zu kreieren: die Performance von Fight Club: A Chorus. Außer einem
Handbuch ist das Buch auch ein Kode – ein Körper aus Regeln und Prinzipien, die man bei der
Inszenierung der Performance von Fight Club: A Chorus befolgen muss.
0.2. Über Regeln
Beim Theater dreht sich alles um Regeln. Keine Kunstform hängt so sehr von Anweisungen,
Vorschriften und Gesetzen ab wie das Theater, weil der Hauptbestandteil, das Medium und die Substanz
des Theaters die Menschen sind. Das, was die Beziehung unter Menschen organisiert, sind Regeln.
„A spielt B vor C“ ist die gebräuchlichste Formel zur Erklärung dessen, was Theater ist. Die Formel
deutet darauf hin, dass wenigstens drei verschiedene Funktionsbereiche mit im Spiel sind, wenn eine
Aufführung gezeigt wird. Im schlimmsten Fall sind A, B und C nicht alle körperlich anwesend (wie in
einer Probe oder bei einer zensierten Aufführung). Im besten Fall sind es mindestens zwei Körper, die
sich treffen – ein Zuschauer und ein Darsteller. Viele definieren eine Aufführung als eine Aktivität, die vor
einem Zuschauer ausgeführt wird.
Die entsprechenden Haltungen der Beteiligten sind – wie in jeder sozialen Beziehung – reguliert,
manchmal öffentlich sichtbar gemacht durch Hinweisschilder. Dies kann Anmerkungen im
Programmheft, Ankündigungen oder auch allgemein anerkannte Konventionen umfassen. Z.B. weiß das
Publikum normalerweise, dass es während einer Aufführung leise sein soll, dass vom Rauchen im
Theater abzusehen ist und dass man am Ende einer Vorstellung Beifall klatscht. Um diesen
Erwartungen gerecht zu werden braucht es gewöhnlich keinen zusätzlichen Hinweis.
Die Kommunikation zwischen denjenigen, die ein Stück inszenieren, ist im Vorfeld weit komplizierter als
während oder nach der eigentlichen Aufführung. Es kann vorkommen, dass Leute mit sehr
unterschiedlichen Berufen und in unterschiedlichen Funktionen auf sehr unterschiedliche Art und Weise
interagieren. Ein Großteil ihrer Kommunikation hängt von Anweisungen ab. Die Anzahl der Menschen in
Entscheidungspositionen und die Anzahl derjenigen, die Anordnungen zu befolgen haben, hängt vom
jeweiligen Theatertypus ab. Einige Traditionen sind sehr auf eine Führungsperson ausgerichtet, während
andere Traditionen Künstler involvieren, die wiederum Anderen sagen, was zu tun ist. Im westlichen
Theater ordnet ein künstlerischer Leiter, oder einfach Regisseur genannt, an, was alle anderen
Teilnehmer zu tun haben. Traditionellerweise hat auch eine zweite Stimme großen Einfluss auf eine
Produktion: der Autor. Die ersten schriftlichen Dokumente über das Theater sind die Textbücher selbst.
Diese beschreiben normalerweise nicht die Handlung auf der Bühne, vielmehr schreiben sie die Dialoge
der beteiligten Charaktere vor. Die Anzahl der Stücke, in der die Bühnenhandlung explizit ausgeführt ist,
ist in der Geschichte des Stückeschreibens durchweg ansteigend. Diese niedergeschriebenen
Instruktionen heißen für gewöhnlich „Regieanweisungen“. Viele Kämpfe wurden mit Autoren zu ihren
Lebzeiten oder mit ihren Erben über den Grad der Werktreue ausgefochten. Den meisten Autoren
zufolge dreht sich das Drama, schon seit Aristoteles-Zeiten, um Konflikte. Die Handlung ist nur dann für
ein Publikum interessant, wenn zwischen den Charakteren oder aber innerhalb eines einzelnen
Charakters ein Konflikt sichtbar wird. Nicht nur das Stück selbst, sondern auch seine Schöpfung und
Produktion bringen naturgemäß Konflikte mit sich. Dies hat für gewöhnlich die Form von künstlerischen
Interessenskonflikten – zwischen Autor und Regisseur, zwischen Regisseur und Schauspieler, zwischen
Choreograph und Tänzer und so weiter. Man könnte annehmen, das Form und Inhalt koexistieren
sollten und ein perfektes Gemisch zusammen bilden, zumal die Verhandlung von Regeln, Anweisungen
und Autoritäten und die dabei entstehenden Konflikte genau das sind, was für das Theater
bestimmender als für andere Kunstformen ist.
Weshalb beginnen wir ein Buch, dass als „Ein Handbuch“ etikettiert ist, mit dieser kurzen Einführung
über Konflikte und Regeln? Weil die Performance, die mit diesem Handbuch erschaffen wird, auf der
Verhandlung von Regeln basiert. Dieses Handbuch ist eine Ansammlung von sehr vielen
Regieanweisungen gefolgt von einem sehr kleinen dramatischen Text. Dieses Buch ist ein Regisseur.
Oder eher: dieses Buch ist ein Meta-Regisseur, zumal es auch andere potentielle Regisseure anweist.
Dieses Buch ist eine Autorität, die weiß, dass es umstritten ist. Allein die Tatsache, dass Sie dies lesenund möglicherweise seine Bedeutung und Auswirkungen abwägen- ist bereits ein Indikator, dass Sie
etlichen Autoritäten folgen: den Autoren dieser Zeilen, sowie den Menschen, die Ihnen dieses Buch
gegeben haben (die ein und dieselben sein könnten).
Sie könnten ein professioneller oder ein Amateurschauspieler sein. Sie könnten ein erfahrener Redner
sein oder ein scheuer Sachbearbeiter. Sie könnten jemand sein, der Kino und gutes Essen liebt oder
jemand, der alleine Computerspiele spielt oder eine Essstörung hat. Sie sind in jedem Fall ein
potentieller oder zukünftiger Mitarbeiter in der Produktion von Fight Club : A Chorus. Selbst als
Zuschauer, der vielleicht die Aufführung gesehen und dann dieses Handbuch gekauft hat, haben Sie an
dieser Performance mitgewirkt, aufgrund dessen dass Sie als Zuschauer anwesend waren. Eben jene
ersten Worte auf dieser Seite beziehen Sie mit ein, auch wenn Sie vor hatten diese nur Passiv zu
empfangen, könnten sie jetzt von dem Gedanken verfolgt sein, dass sie Teil dieses Projektes sind. Nun
sind Sie drin, wenn auch nur auf einem theoretischen Level. Es gibt kein Entkommen. You are caught in
the act.
0.3. Hintergrundinformation:
Die Quelle der Inspiration
Chuck Palahniuks berühmter Roman Fight Club ist ein zeitgenössischer Klassiker der angloamerikanischen Literatur und eines der Kultbücher aus den späten 1990ern. Im Gegensatz zur
landläufigen Meinung geht es in diesem Roman weder um Aggression noch ums Kämpfen, vielmehr
handelt er von Gruppenbildung und Schaffung einer Subkultur. Im eigentlichen Sinn ist es eine Kritik der
zeitgenössischen Dienstleistungsgesellschaft.
Der Roman erzählt eine Geschichte über die Transformation von „Dienstleistungssklaven“ in „subversive
Elemente“, von der Verwandlung einsamer Individuen in Teamplayer. Ausgehend vom Roman und David
Finchers berühmter Verfilmung dekonstruiert die Performance Fight Club: A Chorus den sozialen
Prozess, der von der originalen Erzählung aufgezeigt wird und übersetzt sie in ein Stück, dessen Inhalt
und Form sich gegenseitig spiegeln. Die Vorproduktion, das Casting und die Probenprozesse der
Performance gleichen den Rekrutierungs-, Akzeptanz- und Indoktrinations- / Instruktionsprozessen des
fiktiven Fight Club. Die Performance konstituiert gewissermaßen einen “Non-Fighting Fight Club”, der
die Spannungen zwischen und innerhalb von Individualismus, sozialen Prozessen, heutigen
Arbeitsbedingungen, Schizophrenie und dem Wunsch nach Ruhm behandelt. Als formaler Hintergrund
des Tanz-Chors dient die Methodik von Rudolf von Laban, einem avantgardistischen Choreographen
des frühen 20. Jahrhunderts. Labans Interesse lag in der Einbeziehung Nicht-Professioneller in
Masseninszenierungen im Modern Dance. Fight Club: A Chorus transferiert diesen Prinzipien ins
zeitgenössische Theater. Der Chor ist so alt wie das Theater selbst und dient auf einfachste Art als eine
Repräsentanz des Publikums auf der Bühne. In Fight Club: A Chorus ist er das wichtigste Element der
Performance und in diesem Handbuch ist es der Wesenszug des Stücks, der am eingehendsten
beschrieben wird.
0.4. Der Plot
Der Hauptfokus von Palahniuks Roman liegt auf der Misere des entfremdeten Individuums, auf Jack.
Jack arbeitet in einem völlig langweiligen Bürojob und hat keine emotionale Verbindung zu seiner Arbeit.
Als Folge davon wird er zunehmend von Schlaflosigkeit und Apathie heimgesucht. Schließlich findet er
einen Weg, um wieder seine Emotionalität zurück zu erlangen, indem er Selbsthilfegruppen von kranken
Menschen besucht. Sein nächster Schritt ist es, selbst eine Gruppe zu gründen, in der Männer ihre
Aggressionen ausleben können und dabei die Erfahrung physischen Schmerzes machen - den Fight
Club. Mit der Zeit wandelt sich dieser Club in eine Terroristengruppe, dem sogenannten “Projekt Chaos”.
Jacks Partner in der Leitung des Fight Club ist Tyler Durden. Tyler ist alles, was Jack sein will:
rücksichtslos, cool, klug, attraktiv und charmant. Am Ende des Romans erfährt der Leser, daß Tyler Jack
ist- oder vielmehr Jacks Alter Ego.
0.5. Schizophrenie und Ruhm
Im Fight Club geht es um Schizophrenie. Fight Club: A Chorus transferiert die Schizophrenie in das
Ensemble. Alle Darsteller sind Jack, alias Tyler Durden. Die Performance befasst sich mit der
Spannung, die zwischen der Hauptfigur und dem Chor entsteht, wenn man diese beiden nebeneinander
stellt und zusammen zwängt.
Schizophrenie wird nicht so sehr als psychologisches Phänomen dargestellt, sondern vielmehr als eine
Metapher für die Sehnsucht nach einer anderen Identität. Welche unterschiedlichen Arbeitsbedingungen
bringen welche Persönlichkeiten hervor? Nach welcher anderen Identität sucht der Mensch? Eine
Identität – die der Berühmtheit – ist das am meisten propagierteste Vorbild in unserer Gesellschaft, und
das nicht nur bei Jugendlichen.
Massenmedien haben Ruhm zu einem unentrinnbaren und verführerischen Ideal gemacht. Fight Club: A
Chorus setzt sich mit diesem Phänomen auseinander; Andy Warhols sprichwörtliche „15 minutes of
fame“ sind hier reduziert auf eine Minute spezieller Aufmerksamkeit für jeden Darsteller, bevor sie oder
er sich in den Chor einfügt. Der Ablauf der Vorstellung wird bestimmt vom Aufbau eines massiven,
kraftvollen Chors, dem Übergang von einer leeren Bühne zu einem komplett ausgefüllten,
überbevölkerten lebendem Bild, bestehend aus 48 Körpern.
0.6. Das Konzept
Das Grundschema ist sehr einfach: jede Minute geht ein Darsteller auf die Bühne und präsentiert seine
oder ihre Zeilen, anschließend wiederholen die Darsteller, die bereits auf der Bühne sind Teile dieses
Textfragments. Jede Wiederholung des Chors ist eine Verstärkung der gesprochenen Worte. Und
ebenso wie die physische Präsenz der Körper auf der Bühne mit der Zeit zunimmt, schwillt die
Lautstärke der stimmlichen Projektion an. Wenn ein Darsteller zuerst auf die Bühne kommt erfreut er
oder sie sich an einem gewissen Grad von freiem Ausdruck für die 30 Sekunden an Berühmtheit. Aber
gleich darauf vereinigt sich der Darsteller mit der Menge. Die Architektur der Körper – die Art, wie die
Körper auf der Bühne angeordnet sind – ist sorgsam choreographiert. Es gibt kein Bühnenbild als
solches, nur die Körper der Darsteller. Dieses Konzept wird in diesem Handbuch an späterer Stelle im
Detail erklärt.
0.7. Dieses Handbuch
“Die erste Regel des Fight Club lautet -- ihr verliert kein Wort über den Fight Club.”
Die erste Regel zur Inszenierung des Fight Club: A Chorus lautet inszeniere nicht den Fight Club.
Im Fight Club geht es um Regeln. Macht handelt von Regeln. Bei Regisseuren und Choreographen geht
es um Regeln. Das Projekt Fight Club: A Chorus ist ein Zusammentreffen von Künstlern und NichtKünstlern, die an einem Live Kunstprojekt zusammenarbeiten, indem sie bestimmten Richtlinien folgen,
oder in anderen Worten, Regeln folgen.
Seit seiner Gründung hat das post theater immer die Konventionen, die maßgeblich bestimmend sind
für das „WAS passiert“ auf der Bühne und das „WIE ist es gemacht“, in Frage gestellt. post theater stellt
die typischen Theaterhierarchien vielfach in Frage. Es hat u.a. mit Begriffen und Ideen wie
„Konzeptregisseur“, „Probenregisseur“, „Originalregie“ und „erneuter Regie“ gearbeitet.
Als Theatercompany, die weder ein Ensemble noch einen permanenten Aufführungsort hat, untersuchte
und experimentierte es in unterschiedlichen Formen von Gemeinschaftsproduktionen. Als Folge der
besonderen Natur des Fight Club und der spezifischen Mission und Erfahrung des Post Theaters als
Performing Arts Office zeigt
Fight Club: A Chorus eine völlig neue Form der Zusammenarbeit zwischen post theater und anderen
Künstlern. Die Performance ist ein Konzept des post theater [new york / berlin / tokyo]. post theater
bietet ein detailliertes Regelwerk für seine Produktion- und zwar das „Handbuch“, das Sie gerade in
ihren Händen halten. Dieses Handbuch besteht aus detaillierten Anweisungen für alle teilnehmenden
Personen: der / die örtliche(n) Regisseur(e) / Choreograph(en) / Dramaturg(en) / Techniker / Designer /
PR Leute etc., sowie für alle 48 Darsteller. Es wird nicht jede Bewegung eines jeden Darsteller in
akribischen Details schriftlich ausgearbeitet, vielmehr zeigt es die Prinzipien und die Struktur des
Stücks.
Fight Club: A Chorus ist sehr formalistisch. Trocken und rational wie es ist, entfaltet es doch die Vision
des post theater von einer internationalen und interkulturellen Zusammenarbeit. Die flüchtige Natur der
darstellenden Künste durch ein Handbuch in Frage gestellt, welches sich stark auf die Dokumentation
der Performance konzentriert und diese vorschreibt.
In den folgenden Seiten finden Sie:
1) einen Vorschlag für ein Beispielskript für 48 Personen.
2) die Regeln, wie man die Performance aufführt / strukturiert und wie man dieses Skript benutzt.
3) Kennzeichnungen der jeweiligen “Leerräume”, in denen die örtlichen Produktionsteams die
Performance frei an den jeweiligen spezifischen Kontext anpassen können
Dieses Handbuch ist, neben vielen anderem:
1) Die Mitgliedskarte des Produktionsteams von Fight Club: A Chorus.
2) ein Werkzeug / Anweisungen für die Künstler, die an der Aufführung des Fight Club: A Chorus beteiligt
sind.
3) ein Kunstwerk / eine Gegenleistung / ein Souvenir / ein Merchandise Artikel für das Ensemble / die
Crew oder das Publikum.
Dieses Handbuch wird für jeden Empfänger vom örtlichen Regisseur personalisiert und an das
Ensemble und die Crew in der Vorbereitungsphase der Produktion ausgeteilt.
Der Regisseur wird in jedem individuellen Handbuch die Aufgaben für jeden Mitarbeiter kennzeichnen.
Ein äußerst wichtiger Aspekt des Konzeptes ist auch der Verkauf des Handbuchs auf einem
Büchertisch, der für alle Zuschauer sichtbar sein aufgestellt sein soll. Wenn es nach der Performance
gekauft wird, bleibt es unbeschrieben und unpersönlich.
Die Performance Fight Club: A Chorus wird viel eher eine Adaption / Interpretation des „Handbuchs für
Fight Club: A Chorus“ sein, als eine Adaption des Roman oder des Film Fight Club.