Spaziergänge durch Rom und Umgebung Veduten

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Spaziergänge durch Rom und Umgebung Veduten
Spaziergänge durch Rom und Umgebung
Veduten und Landschaftsbilder aus der Sammlung Rolf Wirth im Hotel Victoria
Vorwort
Im Herzen Roms, in einer ruhigen Seitenstraße der berühmten Via Veneto und direkt gegenüber der
antiken Porta Pinciana, befindet sich das Hotel Victoria. Es beherbergt Reisende aus aller Welt, die
von hier aus die Ewige Stadt erkunden: In bequemen Spaziergängen, längeren Wanderungen oder
mit Hilfe der modernen Verkehrsmittel erreicht man die Spanische Treppe mit den umliegenden
Plätzen und Straßen, den Kapitolshügel und das sich darunter ausbreitende Forum Romanum, das
Kolosseum, St. Peter oder den Tiberstrom mit der „Isola Tiberina“. Nach einem stärkenden Mahl
im „Ristorante Belisario“ des Hotels, vielleicht zwischen den üppig blühenden Kamelien und
Bougainvilleen auf der Dachterrasse genossen, bietet der nahegelegene, große Park der Villa
Borghese die Möglichkeit eines Spazierganges im Grünen. Auflüge in die „Campagna Romana“
dürfen ebensowenig fehlen wie eine Fahrt nach Tivoli oder in die Albaner Berge. Zurückgekehrt ins
Hotel, kann der moderne Bildungsreisende seine neu gewonnenen Eindrücke mit einer Vielzahl von
Gemälden aus der Sammlung Rolf Wirth vergleichen, die die einzelnen Räumlichkeiten des Hotels
Victoria schmücken und die den Betrachter in die Vergangenheit Roms hineinführen – Bilder, die
von den Vorgängern der heutigen Besucher als Andenken an ihre „Grand Tour“ in Rom erworben
und in ihre jeweiligen Heimatländer mitgenommen worden waren. Durch die Wendungen der
Geschichte in den Kunsthandel gelangt, sind sie zurückgekehrt an ihren Ursprungsort und zieren
nun ein Hotel, in dem sich der Reisende des 18. oder 19. Jahrhunderts sicherlich ebenso wohl
gefühlt hätte wie die auf seinen Spuren wandelnden Touristen der Neuzeit: Es schließt sich ein
Kreis, durch den die Vergangenheit Roms mit der Gegenwart der Stadt verbunden wird. Die Bilder
verlocken dazu, Spaziergänge durch Rom und Umgebung nicht nur zu Fuß oder motorisiert,
sondern auch in der Phantasie zu unternehmen; sie fordern zu Vergleichen heraus, lassen erkennen,
was die Rom-Besucher der Vergangenheit interessierte, wohin es sie zog und wie sie die einzelnen
Monumente und Orte wahrnahmen. Im vorliegenden Buch soll ein imaginärer Reisender auf seinen
Wanderungen durch die Ewige Stadt und ihre Epochen begleitet werden: Die Gemälde des Hotels
Victoria sollen sein „Reiseführer“ sein.
1
Kapitel 1
Die „Piazza di Spagna“
Der von Norden kommende Reisende des 18. oder 19. Jahrhunderts betrat die Ewige Stadt durch
die Porta del Popolo, die sich auf den gleichnamigen Platz öffnet. Folgte er sodann der Via del
Babuino, so erreichte er in kürzester Zeit die Piazza di Spagna, von der die berühmte „Scalinata“
oder spanische Treppe zur Kirche Trinità dei Monti emporführt. In den Straßen und Gassen um den
Platz war seit dem 18. Jahrhundert ein belebtes Künstlerviertel entstanden, in dem sich vor allem
Maler und Bildhauer aus den nördlichen Ländern Europas niederließen: Deutsche, Schweizer,
Österreicher, Engländer, Franzosen, Skandinavier und Russen lebten hier Tür an Tür, und hielten
ihre Ateliers für die wohlhabenden „Grand Tourists“ offen, die Veduten und Landschaften, Kopien
nach den berühmten Werken der älteren Meister, antike Skulpturen und kleinformatige
Nachbildungen davon als Andenken an ihre Reise erwarben. Für das gesellige Leben standen
diverse Etablissements zur Verfügung; so konnten sich die Engländer in das berühmte „Caffè
Inglese” zurückziehen, dessen Wände um 1765 von Giovanni Battista Piranesi (1720-1778) im
ägyptischen Stil mit Sphinxen, Pyramiden und Hieroglyphen dekoriert worden waren. Wem das
Ambiente nicht zusagte – so z. B. der englische Maler Thomas Jones (1742-1803), der das Lokal
„filthy“ fand1 – konnte in die „Trattoria“ (oder Speisehaus) der Familie Rösler in der Via Condotti
ausweichen; aus dieser um die Mitte des 18. Jahrhunderts aus dem Sudetenland nach Rom
verzogenen Familie stammt der Vedutenmaler Ettore Rösler Franz (1845-1907). Zweifellos am
bekanntesten jedoch war das ebenfalls in der Via Condotti gelegene „Caffè Greco“, das seine
Existenz seit 1760 nachweisen kann und das im 19. Jahrhundert gleichsam zum „Stammsitz“ der
deutschen Maler avanciert war.2 Diese hatten sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu einem
lockeren Künstlerverbund, der „Ponte-Molle-Gesellschaft“ zusammengeschlossen, aus der 1845 der
„deutsche Künstlerverein“ hervorging (dazu siehe Kapitel 13): Obgleich der Vereinssitz sich seit
1846 in Palazzo Simonetti an der Via del Corso befand, blieb das Caffè Greco doch ein Fixpunkt
der Geselligkeit und Anlaufstelle für neu in Rom eintreffende Kollegen. Stellvertretend können die
Lebenserinnerungen Ludwig Richters (1803-1884) zitiert werden, der bei seiner Ankunft in Rom im
September 1823 ergriffen im Tagebuch notierte:
„Es war noch ziemlich früh. Die Via Condotti lag noch still und menschenleer im kühlen
Morgenschatten; aber am Ausgang derselben leuchtete bereits im goldenen Glanz der Sonne der
Pincio mit der Kirche Trinità de’ Monti über der spanischen Treppe. Ich kleidete mich rasch an, und
das Herz pochte gewaltig in ahnungsvoller Erwartung der Dinge, die da kommen sollten. […]
Kaum ein paar Schritte gegangen, gewahrte ich zur Linken das vielgenannte Café Greco […]
Bekanntlich wurden damals, wie vielleicht noch heute, alle Briefe an die deutschen Künstler hier
abgegeben, wo das Päckchen am Büfett zwischen einigen Zuckerbüchsen eingeklemmt zu
jedermanns Einsicht seine offene Lagerstätte hatte, selbst Briefe mit Wechseln.“3
Nicht nur deutsche Künstler, sondern auch Maler, Musiker und Literaten vieler anderer
Nationalitäten frequentierten das berühmte Kaffeehaus; beispielhaft können die Dichter Percy
Bysshe Shelley (1792-1822) und John Keats (1795-1821), der Schriftsteller Stendhal (1783-1842)
und der Komponist Engelbert Humperdinck (1854-1921) genannt werden. Der dänische Dichter
Hans Christian Andersen (1805-1875) bezog während seines letzten Rom-Aufenthaltes 1861 ein
1
Der englische Landschaftsmaler Jones hielt sich von 1776 bis 1783 in Rom und Neapel auf und hielt seine Eindrücke
in einem Reisetagebuch fest (Memoirs of Thomas Jones. In: The Volume of the Walpole Society 32, 1946/48; die
Beschreibung des Englischen Kaffeehauses befindet sich auf S. 54).
2
Zum Caffè Greco siehe Tamara Felicitas Hufschmidt/Livio Jannattoni, Antico Caffè Greco. Storia, Ambienti,
Collezioni. Rom ohne Jahr.
3
Ludwig Richter, Lebenserinnerungen eines deutschen Malers. Hrsg. Max Lehrs, Berlin 1923, S. 138.
2
Apartment genau über dem Lokal, wahrscheinlich dasselbe, in dem zeitweilig die Bibliothek des
1833 gegründeten skandinavischen Lesezirkels untergebracht war. Stammgäste waren schließlich
auch die Maler Vincenzo Giovannini, Johann Jakob Frey, Karl Lindemann-Frommel, Gustav
Wilhelm Palm und Johann Wilhelm Schirmer, deren Bildern wir später begegnen werden.
Wollte man vom deutschen Kaffeehaus den Hügel des Pincio erreichen, so galt es, die 138 Stufen
der berühmten „Scalinata“ zu erklimmen: 1725 eingeweiht, führt die Treppe in einer harmonischen
Abfolge von Rampen zur Kirche Trinità dei Monti empor. Eine breite, von einer Balustrade
begrenzte Terrasse unterbricht die Abfolge der Stufen auf der Hälfte; hier teilt sich die Treppe in
zwei Rampen, die jeweils zum oberen Abschluss führen. Im 19. Jahrhundert pflegten junge
Blumenverkäuferinnen in der traditionellen Tracht der Ciociaria die Treppe auf und ab zu steigen –
ein Brauch, an den noch heute durch die im Frühling aufgestellten Azaleen erinnert wird. Mancher
Maler fand hier sein Modell. Doch hatte die Treppenflucht auch eine „Schattenseite“, die mit der im
18. und 19. Jahrhundert ungewöhnlich hohen Zahl von Gewaltverbrechen in Rom zusammenhing:
Da der Spanische Platz mit der daran anschließenden „Scalinata“ nicht der Gerichtsbarkeit des
Papstes sondern des spanischen Botschafters unterstand, der in der am Platz gelegenen spanischen
Gesandtschaft residierte und sich offenbar wenig für die römische Kriminalität interessierte, bot der
Ort Mördern und anderen Übeltätern willkommene Zuflucht. Dieser Tatbestand entging kaum
einem Reisenden. So liest man z. B. in den 1792 publizierten Erinnerungen des Hamburger
Domherren Friedrich Johann Lorenz von Meyer (1760-1844):
„Eine der Hauptfreistätten der Mörder, ist die grosse schöne Treppe, die zur Kirche Trinità de’
Monti führt. Hier wird ihnen von ihren Verwandten und Freunden den Tag über Speise gebracht,
und sie haben ihre Schlupfwinkel für die Nacht. Nach einigen Tagen ist die Sache vergessen, und
die Mörder gehen wieder frei umher.“4
Einen Blick auf die prachtvolle Treppe gibt der Maler P. Hellwig in einem großen, 1950
entstandenen Gemälde, das zusätzlich im Vordergrund die „Fontana della Barcaccia“ zeigt; einen
zwischen 1627 und 1629 von Pietro Bernini (1562-1629) – dem Vater des berühmten Architekten
und Bildhauers – ausgeführten Brunnen, der die Form eines flachen Boots besitzt und an die
Vielzahl der „Barcacce“ erinnert, die im nahegelegenen „Porto di Ripetta“, dem heute nicht mehr
existierenden Stadthafen Roms, vor Anker lagen (siehe Abb. 1).5 Die Blumenverkäuferinnen des
18. und 19. Jahrhunderts sind mehreren von weißen Sonnenschirmen beschatteten Blumenkiosks
am Fuß der Treppe gewichen, die noch in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts dort zu finden
waren. Heute bieten dem auf den Stufen verweilenden Touristen marokkanische Blumenverkäufer
in Zellophan gehüllte Rosen an – ein Zeichen der unaufhaltsam voranschreitenden Globalisierung,
doch scheint der Gedanke tröstlich, dass die Tradition des Blumenverkaufs auf der spanischen
Treppe dem Wandel der Zeiten standgehalten hat.
Steigt der Reisende nun die Stufen empor und wählt für das letzte Stück des Aufstiegs die rechte
Rampe, so bietet sich ihm am Ende ein Blick, den der Maler Arthur Dannebauer (Braunschweig
1856-Weimar 1935) 1914 in einem Gemälde festgehalten hat (siehe Abb. 2):6 Linkerhand säumen
Bäume und Sträucher die seitliche Begrenzung der Treppe; sie gehören zu den Gärten der Häuser,
die den Pincio links und rechts der „Scalinata“ bedecken. Bei dem kleinen, roten Gebäude handelt
es sich um das Haus, in dem John Keats 1821 starb - heute befindet sich darin ein Museum, das
dem Dichter und seinem Freund Shelley gewidmet ist. An die Balustrade der Treppe gelehnt, bietet
4
Friedrich Johann Lorenz von Meyer, Darstellungen aus Italien. Berlin 1792, S. 181-182.
P. Hellwig, “Blick auf die Spanische Treppe und die Kirche Trinità dei Monti”. Öl auf Furnierholz, 125,5 x 191 cm,
bezeichnet P. Helwig
6
Arthur Dannebauer, “Blick auf Rom von der Kirche Trinità dei Monti“. Öl auf Leinwand, 50 x 62 cm, bezeichnet Rom
[..]14
5
3
eine Römerin geröstete Esskastanien – die „Marroni“ – zum Kauf an: Heute als (durchaus nicht
billige) Leckerei von Kindern wie Erwachsenen gern gegessen, bildeten die „Marroni“ im 18. und
19. Jahrhundert ein Grundnahrungsmittel der ärmeren Bevölkerung, und mancher junge Künstler
hat sich mit einer Handvoll gerösteter Kastanien und einem Trunk Wasser über den Tag gebracht.7
Im Hintergrund des Bildes ragt hoch die Kuppel der Kirche S. Carlo al Corso mit ihrem kleineren
Glockenturm empor, dahinter erkennt man die Kuppel von St. Peter. Bei dem ovalen Gebäude
rechts im Bild schließlich handelt es sich um das Mausoleum des Augustus, ein rundes, 44 m hohes
Monument, das seit dem Ende des 16. Jahrhunderts als Arena für Stierkämpfe und
Kunstreitervorführungen, Feuerwerke, und schließlich als Konzertsaal genutzt wurde. Diese letzte
Funktion behielt es bis 1930. Wie man von Gustav Nicolai erfährt, war das Rund des Mausoleums
oben offen. Der Berliner Gerichtsassessor und „Königlich Preußischer Divisions-Auditeur“ Nicolai
brachte 1835 die Erinnerungen an seine Italienreise zu Papier, die ihm – im Gegensatz zu den
beglückenden Erfahrungen der meisten „Grand Tourists“ – nur Enttäuschungen beschert hatte. Mit
kritisch-nüchternem Blick besichtigte der Preuße die römischen Sehenswürdigkeiten, doch wurde
sein Augenmerk zumeist weniger auf die malerischen Ruinen als beispielsweise auf die überall
präsenten Schmutz- und Abfallhaufen gelenkt (tatsächlich besaß Rom noch im frühen 19.
Jahrhundert keine Stadtreinigung; die Entsorgung sämtlichen Mülls, von den Einwohnern einfach
auf die Straßen gekippt, wurde dem Regen überlassen). Dementsprechend betitelte Nicolai seinen
Reisebericht „Italien wie es wirklich ist“, gedacht als „Warnungsstimme für alle welche sich dahin
sehnen.“ Hier liest man:
„Abends waren wir im Mausoleum (Grabmal) des August, und sahen daselbst – die Asche dieses
großen Kaisers? Mit nichten: die Sprünge einer Kunstreitergesellschaft. An der Stelle des
Mausoleums nämlich, so erzählte uns wenigstens unser Cicerone, hat man ein großes Amphitheater
ganz nach alter Art errichtet, in dem Kunstreiter und änliche Leute ihre Vorstellungen geben. Es ist
rund und durchaus von Stein erbaut, von ungeheurer Größe, oben ganz offen, also ohne Dach […]
Wir sahen eine Vorstellung der Guerta’schen Kunstreitergesellschaft und wurden durch die
mittelmäßigen Leistungen derselben eben so sehr als durch eine abscheuliche Musik gelangweilt.“8
Zurück zu Dannebauers Bild, dem zwei rotgewandete Geistliche im Vordergrund einen Farbtupfer
verleihen. Ihre Gewänder kontrastieren mit dem üppigen Grün der Bäume und dem verschatteten
Graublau des Bodens, das sich in der Farbe des Himmels wiederfindet – noch liegt der Platz vor
Trinità dei Monti im Schatten, wenn auch ein Lichtstrahl hinter den beiden Geistlichen und auf den
Dächern der Häuser links das Aufsteigen der Sonne ankündigt. Der Betrachter fragt sich nach der
Bedeutung der roten Gewänder, die die beiden Geistlichen im Vordergrund zur Schau stellen; sind
die Gesichter ihrer Träger doch viel zu jung, als dass diese bereits in den Besitz der Kardinalswürde
7
So z. B. der Potsdamer Maler Johann Gottlieb Puhlmann (1751-1826), der von 1774 bis 1787 in Rom lebte und seinen
Alltag in Briefen an seine Eltern beschrieb. Am 2. Februar 1775 berichtete er minutiös von seinem Tagesablauf, an
dessen Ende ein eher karges Mahl stand: “Kommen wir dann zu Haus, so finden wir Kohlenfeuer. Mr. Hillner zünd
Licht an, dann wird beim Feuer unser Abendbrot verzehrt, was in einer Semmel, einer Apfelsine, Apfel oder Kastanien
besteht.” (Zitiert in: Götz Eckardt, Ein Potsdamer Maler in Rom. Briefe des Batoni-Schülers Johann Gottlieb Puhlmann
aus den Jahren 1774-1787. Berlin 1979, S. 35).
8
Gustav Nicolai, Italien wie es wirklich ist. Bericht über eine merkwürdige Reise in den hesperischen Gefilden, als
Warnungsstimme für alle, welche sich dahin sehnen. 2 Auflage, 2 Bände, Leipzig 1835, I, S. 192. Nicolai kritisierte
überall den Schmutz und Verfall, der ihm u. a. auch den Aufenthalt in Rom verleidete; die mangelnde Hygiene der
Römer (so litt er in seiner Herberge unter Flöhen), das Essen (Olivenöl schätzte er nicht) und selbst die Physiognomien
der Frauen (die er durchweg hässlich fand) überwogen bei weitem die positiven Eindrücke, die z. B. die Peterskirche
und das Kolosseum hinterließen. Wenn auch die meisten Reisebeschreibungen des 18. und 19. Jahrhunderts von
Begeisterung und Enthusiasmus durchdrungen sind (das berühmteste Beispiel ist wohl Goethes Tagebuch der
italienischen Reise), so gab es doch schon im 18. Jahrhundert desillusionierte und kritische Berichte wie z. B. die
Aufzeichnungen des Schriftstellers Johann Wilhelm von Archenholtz: Dieser hatte Rom in der zweiten Hälfte der
1770er Jahre besucht und seine Erinnerungen bezeichnenderweise “England und Italien” betitelt (seine Neigungen
galten eindeutig der ersteren Nation).
4
gelangt sein könnten. Tatsächlich handelt es sich um Zöglinge des „Collegio Germanico-Ungarico“,
welches 1552 von Ignazius von Loyola gegründet worden war und sich seit 1799 in der Nähe der
Piazza Barberini, in der Via Nicola da Tolentino befindet. Der ursprüngliche Zweck des Kollegs
war die Ausbildung deutschsprachiger Priester, die im Zuge der Gegenreformation in die
protestantischen Gebiete Nordeuropas geschickt werden sollten. Sie waren gekleidet in
kardinalsrote Talare, die ihnen in Rom den Spitznamen „Gamberi Rossi“ oder auch „Gamberi
Cotti“ (rote bzw. gekochte Garnelen) einbrachten. 1853 sah auch der Historiker Ferdinand
Gregorovius (1821-1891) ihre auffallenden Gewänder in den Straßen Roms und widmete ihnen
einen Abschnitt in seinem Kapitel über „Römische Figuren“:
„Es ist unmöglich, alle diese Vereine und Körperschaften zu nennen, welche so paarweise und in
socialer Uniform Rom durchschreiten. Es sind Hunderte von pädagogischen Provinzen in dieser
Stadt des geistlichen Socialismus, Hunderte von kirchlichen Phalansterien, welche die Phantasie
Goethe’s oder Fouriers zur Schanden machen.“ Es folgt die Beschreibung einiger dieser
Gesellschaften, woraufhin Gregorovius fortfährt: „Aber die dort, die rotgekleideten, flachshaarigen
Jünglinge, welche eben vorüberkommen, paarweise wie die andern, sprechen alle deutsch, denn es
sind Zöglinge des Collegium Germanicum. Und so sehen wir noch andere Collegien, bald hellblau
gekleidete Jünglinge, bald weißgewandige und bald schwarze, Engländer oder Schotten, Nazarener
und Nobili – wer möchte sie alle benennen!“9
Unser Bild zeigt zwei solche Seminaristen, die vielleicht nach einem Spaziergang in der Villa
Borghese (zu ihr siehe Kapitel 2) in das „Collegio Germanico-Ungarico“ zurückkehren – ein
interessanter Beleg, dass die heute längst aus dem Stadtbild verschwundenen „Gamberi Rossi“ noch
1914 die Straßen Roms belebten.
Wendet unser Reisender auf der Piazza Trinità dei Monti nun den Kopf, so erblickt er, zwischen der
Treppe und der Kirche, einen weithin sichtbaren Obelisk, der unter Papst Pius VI. 1789 von dem
Architekten Giovanni Antinori (1734-1792) hier aufgestellt wurde. Es ist der 13,91 m hohe, aus
rotem Granit angefertigte „Obelisco Sallustiano“, der aus den Gärten der Villa des Sallust an der
Porta Salaria stammt: Tatsächlich handelt es sich nicht um ein ägyptisches Original, sondern um
eine Schöpfung aus der römischen Kaiserzeit. Seine Hieroglyphen wurden – mit einigen
Fehlerstellen - von den Bildzeichen des ägyptischen Obelisken auf der Piazza del Popolo kopiert.10
Die Schriftstellerin Elisa von der Recke (1754-1833), die während ihres Aufenthaltes in Rom an der
Piazza di Spagna Quartier bezogen hatte, notierte am 10. November 1804 in ihrem Tagebuch:
„Einen noch weitern Horizont hat man auf dem Platze vor der Kirche Trinità de’ Monti. Ein
Obelisk, der in dem Raum der Gärten des Sallustius gefunden wurde, und den Pius VI. hier
aufrichten ließ, giebt diesem Platze Bedeutsamkeit und Würde.”11
Wie die Spanische Treppe war auch der Obelisk an ihrem oberen Ende ein beliebtes Bildmotiv bei
den Malern aus dem Künstlerviertel um die Piazza di Spagna. Zu ihnen zählte Niels Anders
9
Ferdinand Gregorovius, Wanderjahre in Italien. Figuren, Geschichte, Leben und Szenerie aus Italien. Gregorovius
Schrift erschien zuerst in fünf Bänden zwischen 1856 und 1877. Hier wird die Ausgabe Den Haag 1953 zitiert (S. 9798).
10
Zu dem Obelisken siehe Cristina Zadro, Gli obelischi di Roma. Dalle sabbie dell’antico Egitto alle piazze della Città
Eterna, dagli imponenti monoliti eretti dai faraoni alle imitazioni successive: un viaggio nella storia e nei segreti dei
monumenti simbolo del potere. Rom 2007.
11
Elisa von der Recke, Tagebuch einer Reise durch einen Theil Deutschlands und durch Italien in den Jahren 1804 bis
1806. Herausgegeben vom Hofrath Böttiger. 4 Bände, Berlin 1815 (Band 1, 2, 3), 1817 (Band 4). Das Zitat findet sich
in Band 1, S. 310.
5
Bredal12 (Kopenhagen 1841-1888), der von 1872 bis 1880 in Rom weilte und sich in der Via
Sistina, damals als Strada Felice bekannt, im Haus Nummer 123 niedergelassen hatte. Bredal
begann in Rom, nicht nur Ölgemälde mit Motiven der Ewigen Stadt und ihrer Umgebung sondern
auch Aquarelle auszuführen; er bildete eine zentrale Figur im skandinavischen Künstlerkreis in
Rom. Nach seiner Rückkehr war er von 1885 bis 1887 als Lehrer an der Technischen Schule in
Kolding tätig.
Bredal zeigt einen Blick auf den Obelisk und die Treppe, die zur Trinità dei Monti hinaufführt.
Links erscheinen die Dächer der tiefer gelegenen Häuser und die Kuppeln der Zwillingskirchen an
der Piazza del Popolo, dahinter erkennt man den Monte Mario mit der Villa Mellini auf seiner Höhe
(siehe Abb. 3).13 Im Gegensatz zu Dannebauers Ansicht liegt der Platz nun im hellen Mittagslicht.
Eine Gruppe schwarz gewandeter Priester zieht an der Basis des Obelisken vorbei, zwei Paare
plaudern vor der zur Kirche hinaufführenden Treppe, und ein einzelner Mönch schaut aufmerksam
in Richtung des Betrachters. Es ist der Blick dieser Figur, der den Bildraum öffnet und uns
Zuschauer vor dem Gemälde in die Bildwelt hineinzieht: Wie der Mönch, so scheinen auch wir auf
dem in gleißendes Sonnenlicht getauchten Platz in der Mittagshitze zu stehen, den unendlich
weiten, blauen Himmel über uns, in den der schlanke Obelisk wie ein Pfeil hineinragt. Das kleine
Bild trägt das Licht und die Wärme eines römischen Sommertages nicht nur in sich, sondern dem
Maler gelang es, diese atmosphärischen Eindrücke gleichsam in den Raum des Betrachters zu
übertragen: Hier handelt es sich um ein Meisterwerk des dänischen Künstlers, das ihn oder einen
anderen Reisenden nach seiner Rückkehr in den dunkleren, kühleren Norden für Augenblicke in die
Ewige Stadt zurückgebracht haben wird.
Kapitel 2
Villa Borghese
In unmittelbarer Nachbarschaft zur Kirche Trinità dei Monti liegt der weitläufige Park der Villa
Borghese, den der Romreisende in einem kurzen Spaziergang bequem erreicht. Die Villa war zu
Beginn des 17. Jahrhunderts für Kardinal Scipione Borghese (1576-1633) als „Villa suburbana“,
also als Lust- und Erholungsort außerhalb des Stadtgebiets, errichtet worden, doch ist die
Dekoration ihres Inneren den Umbauarbeiten zu verdanken, die Marcantonio IV. Borghese (17301800) in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts vornehmen ließ. Unter seiner Ägide wurde auch
der Park von dem Architekten Antonio Asprucci (1723-1808) im Stil eines englischen
Landschaftsgartens umgestaltet. Asprucci legte einen See an, der über einen kleinen Wasserfall –
die „Cascata di scogli“ – aus dem Aquädukt der Aqua Felice gespeist wurde. In der Mitte des Sees
wurde auf einer künstlichen Insel zwischen 1785 und 1787 ein Tempel im klassisch-antiken Stil
errichtet, der dem Äskulap geweiht war; in seinem Inneren thront eine Kolossalstatue des
griechischen Gottes, die um 1785 von dem Bildhauer Vincenzo Pacetti (1746-1820) restauriert
wurde. Rechts und links des Gebäudes befinden sich die Skulpturen zweier von Pacetti und
Agostino Penna (1728-1800) ausgeführter, gelagerter Nymphen, aus deren Amphoren Wasser in
den See strömt. Die Ufer wurden mit einer üppigen Vegetation begrünt; majestätische Steineichen
und Trauerweiden beschatten den Wasserspiegel.14 Der Park wurde nach seiner Umgestaltung von
12
Zu Bredal siehe den Ausstellungskatalog ‘Ottocento danese. Architettura di Roma e paesaggi di Olevano Romano.
Hrsg. von Jens Peter Munk, Rom, Complesso del Vittoriano, 2006.
13
Nils Anders Bredal, “der Obelisk bei der Kirche Trinità dei Monti in Rom”. Öl auf Leinwand, 46,5 x 31 cm. Zu dem
Bild siehe den Katalog der Galerie Paolo Antonacci, Vedute di Roma. Fine XVIII-inizio XX secolo, Rom 2000, Kat.-Nr.
25, sowie den Ausstellungskatalog Rom 2006 (wie oben zitiert), S. 190-191.
14
Zur Gartenanlage der Villa Borghese siehe Alberta Campitelli, Villa Borghese, da giardino del principe a parco dei
Romani. Rom (Istituto Poligrafico e Zecca dello Stato, Libreria dello Stato), 2003.
6
der Familie Borghese für das römische Volk geöffnet; am See standen kleine Boote bereit, deren
erste 1793 von Marcantonio Borghese zur Verfügung gestellt worden waren.
Dieser „Giardino del Lago“ erfreute sich einer großen Popularität bei den Malern nicht nur des
späten 18., sondern auch des 19. Jahrhunderts. Einer davon war der Schweizer Maler Franz
Theodor Aerni (Aarburg 1853-1918), zunächst Schüler von J. J. Geisser (1824-1894), der 1872
nach Modena zog und dort unter Adeorato Malatesta (1806-1891) arbeitete. 1874 siedelte er nach
Rom über. Hier freundete er sich mit dem Landschaftsmaler Hermann Corrodi (1844-1905) an, den
er 1878 auf eine einjährige Reise nach Ägypten und auf die Insel Zypern begleitete; danach kehrte
er nach Rom zurück, wo er auch starb. Der Schweizer Künstler hinterließ ein reiches Werk mit
römischen, aber auch süditalienischen Veduten wie auch Bilder mit Motiven aus Ägypten und
Zypern. Im unserem Gemälde (siehe Abb. 4)15 zeigt Aerni einen Blick auf den See und den Tempel
des Aeskulap, der von einem Standpunkt auf der Wasseroberfläche, wohl von einem kleinen Boot
aus, genommen ist; wir befinden uns tatsächlich ungefähr auf derselben Höhe wie die beiden
schwarzen Schwäne, die, mit anmutig gebogenen Hälsen, rechts über das Wasser gleiten. Die
ruhige Wasserobefläche reflektiert nicht nur die Schwäne, sondern auch den Tempel, die Skulpturen
der gelagerten Nymphen links und rechts davon und die ausladenden Kronen der Steineichen, denen
sich eine Schirmpinie und eine Zypresse sowie ein üppig blühender Strauch hinzugesellen.
Aernis meisterhafte Wiedergabe der ruhigen, und doch von zahllosen kleinen Wellenbewegungen
durchlaufenenen Wasseroberfläche lässt den Einfluss der französischen Impressionisten erkennen,
die in ihren Bildern die einmaligen atmosphärischen Bedingungen eines vergänglichen Moments
einzufangen versuchten. Einen solchen Augenblick, gestaltet durch das Nebeneinander einzelner
Farbtupfer, präsentiert auch Aernis Gemälde: Fast glaubt der Betrachter, das sanfte Schaukeln des
Bootes – in dem er neben dem Maler seinen Platz gefunden hat – selbst zu spüren; es bedarf nur
eines Lidschlags, und die Schwäne werden ihre Position verändert, die ziehenden Wolken die
Sonne verdeckt und das wechselnde Licht auf den im leisen Wind wehenden Blättern eine andere
Färbung hervorgerufen haben. Dieser Eindruck von Bewegung kontrastiert mit der harmonischen,
ausgewogenen Komposition des Gemäldes, dessen Unveränderlichkeit der Flüchtigkeit des
Moments gegenübersteht – im Kunstwerk erwacht die Natur zum Leben.
Ein weiterer Künstler, der sich dem Park der Villa Borghese widmete, war Hans Gyde Petersen
(Vester Aast, Lindeballe Sogn 1863-Gentofte 1943), der von 1882 bis 1888 an der Akademie der
Schönen Künste in Kopenhagen zum Bildhauer ausgebildet worden war; seine Figurengruppen und
Büsten errangen beträchtlichen Erfolg. Immer stärker von der Landschaftsmalerei angezogen,
unternahm Petersen 1895 eine Studienreise nach Paris; danach hielt er sich von 1896 bis 1899 in
Italien auf und besuchte Florenz, Rom und Neapel. Um die Jahrhundertwende gab er schließlich die
Bildhauerei völlig zugunsten der Malerei auf. Ein Aufenthalt in Amerika fand von 1925 bis 1926
statt. Petersen zeigt in unserem Bild einen von Statuen und Urnen gesäumten Weg hinter der Casina
Borghese (siehe Abb. 5).16 Auch hier wird mit schnellem Pinsel ein ganz bestimmter Moment des
Tages festgehalten, dessen unwiederholbare Lichtverhältnisse, das Spiel der Sonne auf den Blättern
der Bäume und den marmornen Statuen, den Künstler fesselten. Der Blick des Betrachters wird vor
allem von einer goldbraun leuchtenden, bauchigen Urne auf einem Postament angezogen: Fast
scheint es, als habe sich das massive Gefäß in einen leuchtenden Ballon verwandelt, seines
Gewichts und seiner Körperlichkeit beraubt, und die fedrigen Blätter der Bäume dahinter, wie
belebt von einem leichten Lufthauch und ohne erkenntliche Anbindung an die dunkel verschatteten
Baumstämme darunter, verstärken den Eindruck des Schwebenden und der Schwerelosigkeit des
15
Franz Theodor Aerni, “Blick auf den Tempel des Aeskulap im ‘giardino del lago’ in der Villa Borghese in Rom“. Öl
auf Leinwand, 60 x 78 cm.
16
Hans Gyde Petersen, “Statuen im Park der Villa Borghese in Rom”. Öl auf Leinwand, 47 x 60 cm, bezeichnet Gyde
Petersen / Roma 1896.
7
Gefäßes. Die leicht dahingestrichenen Blätter und Grashalme, der wie eine Lichtbahn quer durch
das Bild führende Weg vermitteln dem Betrachter das Gefühl eines warmen Windes, der die
marmornen Statuen auf ihren massiven Sockeln gleichsam entkörperlicht und aus ihrer Erstarrung
löst - in der Intimität und Abgeschlossenheit dieses Gartenwinkels scheinen andere Naturgesetze zu
gelten, die Schwerkraft aufgehoben zu sein, und Leichtigkeit und Wärme den Sieg über Schwere
und Unbeweglichkeit davongetragen zu haben.
Einem gänzlich anderen Stil verpflichtet ist das Gemälde von Philippe Robert (Biel 1881Meienried 1930) aus der Bieler Künstlerfamilie der Roberts. Der Maler ist vor allem bekannt für
seine Wandgemälde, deren erstes monumentales 1922 für das Kinderkrankenhaus in Wildermeth
ausgeführt wurde. Er betätigte sich weiterhin als Portraitist und Illustrator, aber auch als
Schriftsteller. Neben Landschaftsdarstellungen finden sich im Werk auch Pflanzen- und
Tierstudien. Der Künstler ertrank noch nicht fünfzigjährig bei einem Badeunfall in der Alten Aare
bei Meienried.
Roberts 1917 entstandenes Bild (siehe Abb. 6)17 zeigt einen Blick auf den sogenannten „Portico dei
Leoni“; eine kleine, durch Arkadenbögen nach vorn begrenzte Grotte mit vier auf steinernen
Sockeln gelagerten, wasserspeienden Löwen, vor denen sich wiederum ein rundes Brunnenbecken
befindet. Im Inneren erheben sich Statuen auf Postamenten. Die Grotte ist links und rechts von einer
hohen Mauer gesäumt, die den Bereich des „Giardino del Lago“ dahinter abstützt. Dieser Teil des
Parks wurde um 1829 von Luigi Canina (1795-1856) entworfen; die Grotte selbst ist allerdings
älter. Robert beschränkte sich bei seiner Darstellung auf klare, leuchtende Farben und beinahe
geometrisch zu nennende Formen, die in deutlichem Kontrast zu den fließenden Übergängen in den
Werken Aernis und Petersens stehen: Die Mauer ist durch horizontale und vertikale Linien
gegliedert, denen in der Mitte die drei Säulenbögen kontrastierend gegenüberstehen. Davor
erstreckt sich das Oval des Brunnens, wiederholt in der Umfassung des grünen Rasens. In der Mitte
des Brunnens befindet sich eine kleine, künstliche Felseninsel, von Robert zu einem grünen Oval
vereinfacht, aus der ein Wasserstrahl in die Höhe steigt.
Die klare Strukturierung der Bildfläche und die Vereinfachung der Gegenstände hätte zu einer
formalen Erstarrung der Komposition führen können, die der Maler durch einen geschickten
Schachzug vermeidet: Der Komplex des Brunnens erscheint nicht direkt vor der Säulenhalle
sondern leicht nach links gerückt, wodurch sich eine perspektivische Öffnung des Bildraumes vom
rechten hinteren Bildbereich zur linken unteren Bildecke ergibt – tatsächlich ertappt sich der
Betrachter bei dem Wunsch, einen Schritt nach links zu gehen, um den Brunnen und die Portikus in
einer Geraden zu sehen. Die solcherart implizierte Bewegung, die der zunächst so statisch
scheinenden Komposition innewohnt, findet ein Äquivalent in der Malweise, die – am Pointillismus
der französischen Maler Georges Seurat (1859-1891) und Paul Signac (1863-1935) inspiriert - aus
einer Vielzahl farbiger Pinseltupfer besteht. Einzelne Farbflächen wie z. B. die rote Innenwand der
Säulenhalle oder die gelb-braune Mauer darum herum lösen sich bei genauem Hinsehen in
Farbpunkte auf, mit schnellem Pinsel nebeneinander gesetzt, wodurch die Gegenständlichkeit der
Bildwelt in den Hintergrund tritt und der reinen Leuchtkraft der Farbe weicht.
Kapitel 3
Das Kapitol und das Forum Romanum
17
Philippe Robert, “Blick auf den ‘Portico dei Leoni’ in der Villa Borghese in Rom.“ Öl auf Leinwand, 34 x 58,5 cm,
bezeichnet PH. ROBERT 1917
8
Nach einem erholsamen Aufenthalt in der Villa Borghese konnte der Reisende sich neuen Zielen
zuwenden, zu denen sicherlich auch das Kapitol und das dahinter liegende Forum Romanum
gezählt haben werden. Der Kapitolshügel, der kleinste der sieben römischen „Colli“ doch zweifellos
der bedeutsamste von allen, war das religiöse und politische Zentrum des antiken Roms und ist
noch heute, als Sitz des Bürgermeisters, das Herz der Stadt. Für den deutschen Reisenden des 19.
Jahrhunderts war das Kapitol noch aus einem weiteren Grund von Interesse: Tatsächlich befand
sich in dem auf seiner Höhe gelegenen Palazzo Caffarelli von 1854 bis 1915 die preußische
Botschaft; auf demselben Grundstück waren die protestantische Kapelle, das deutsche Krankenhaus
und das deutsche Archäologische Institut angesiedelt.18
Zwei Treppen führen zur Anhöhe des Kapitols empor: Da ist zunächst die monumentale
„Cordonata“, eine breite, von Michelangelo (1475-1564) entworfene Marmortreppe, deren unteres
Ende von zwei gelagerten, ägyptische Löwen aus schwarzem Basalt flankiert wird. 1588 wurden sie
von Giacomo della Porta (ca. 1540-1602) als Teil einer Brunneninstallation hier angebracht. Links
daneben führt eine bereits 1348 errichtete, schmalere und steilere Treppe von 122 Stufen hinauf zu
der Kirche S. Maria d’Aracoeli ebenfalls aus dem 14. Jahrhundert. Unmittelbar neben der Kirche
ragt heute das große, Viktor Emanuel II. gewidmete Monument – genannt „Vittoriano“ – empor,
mit dessen Bau 1885 begonnen worden war und das 1911 eingeweiht wurde.
Ein Aquarell von Wilhelm Wagner (Lebensdaten unbekannt) aus dem Jahr 1874 zeigt den Zustand
der Gegend zehn Jahre vor dem Abriss der mittelalterlichen Häuser, die sich ursprünglich neben der
Treppe und der Kirche befanden (siehe Abb. 7):19 Man erblickt die beiden gelagerten Basaltlöwen,
die die „Cordonata“ Michelangelos flankieren; von dieser erscheint weiterhin eine der seitlich
begrenzenden Balustraden, über die zwei sitzende Frauen große Tücher – wahrscheinlich zum
Trocknen – gebreitet haben (tatsächlich lebten in den einfachen Häusern am Kapitol vor allem
Landleute und Wäscherinnen). Dahinter erkennt man die Stufen der nach S. Maria d’Aracoeli
emporführenden Treppe, an die wiederum eng stehende Häuser anschließen. Links sichtbar ist die
Fassade der mittelalterlichen Kirche S. Biagio de’ Mercato, später umbenannt in S. Rita, von der
heute nur noch ein kleiner Campanile und eine Apsis mit dem Wandbild einer „Pietà” aus dem 14.
Jahrhundert geblieben sind.
Auf der zur Kirche emporführenden Treppe sind nur einige wenige Figuren zu erkennen, wohl auf
dem Weg, in dem Gotteshaus ihre Andacht zu verrichten. Wie belebt sich die steile Stufenabfolge
zur Weihnachtszeit darbot, erfahren wir von dem Rom-Reisenden Fridolin Hoffmann, der seine
Eindrücke 1871 als „Bilder Römischen Lebens“ veröffentlichte. Man liest:
„Eine durch Podeste unterbrochene Treppe von hundertundzwanzig Stufen, zu der ein alter
Quirinustempel den Marmor lieferte, führt zur Kirche hinauf. Wir finden dieselbe förmlich belagert
von Händlern, welche ihre in bemalten Heiligenbildchen, Festkalendern und Scapulieren, in ZinnMedaillen und Kreuzchen, in wächsernen Jesuskindchen und aus Thon gefertigten, mit Baumwolle
bekleideten Schaflämmchen bestehende Waare ausrufen: ‚Stück für Stück um einen Bajocch‘, und
noch billiger. ‚Mezzo bajocco … bello colorito … mezzo bejocco […] Ritratto colorito … medaglia
e quadruccio, un bajocco tutti […] Bambinelli di cera, un bajocco!“20
18
Dazu siehe Golo Maurer, Preußen am Tarpejischen Felsen. Chronik eines absehbaren Sturzes. Die Geschichte des
deutschen Kapitols in Rom 1817-1918. Regensburg 2005.
19
Wilhelm Wagner, “Blick auf die Treppe von S. Maria d’Aracoeli“. Aquarell, 27,5 x 32 cm, bezeichnet Wilh. Wagner
1874. Die Lebensdaten des Künstlers ließen sich nicht ermitteln; es ist anzunehmen, dass es sich hier um einen
Reisenden gehandelt hat, der sich als Amateur-Maler betätigte.
20
Fridolin Hoffmann, Bilder Römischen Lebens. Münster 1871, S. 449.
9
Die „Bambinelli“ waren Nachbildungen des „Santo Bambino“, einer Jesus-Figur aus dem 15.
Jahrhundert, die die Haupt-Attraktion von S. Maria d’Aracoeli bildete und zu Weihnachten in einer
Krippe den Gläubigen dargeboten wurde. Hoffmann überliefert (mit leiser Skepsis) die
dazugehörende Legende:
„Der Sacro Bambino selbst ist eine lebensgroße Wickelpuppe mit rundwangigem ausdruckslosem
Gesichte. Seine Ursprungsgeschichte liegt für Denjenigen, der die darüber umlaufende, an
Anachronismen reiche Legende nicht glauben mag, in tiefem Dunkel. Ein frommer
Franziscanerbruder habe, so erzählt sich das Volk im heiligen Lande, die Puppe geschnitzt aus dem
Holze eines Olivenbaums von Oelberge, und während der Pilger ein Mal schlief, Sanct Lucas
dasselbe bemalt, Räuber hätten dann eines Tages diesen Bruder getödtet und mit seiner Habe sich
eingeschifft. Der Bambino sei auf der Fahrt in‘s Meer gefallen, von den Wellen in den Tiber gespült
und in Rom aufgefischt worden. Der Bambino sei ihnen, setzten die Mönche von Ara-Coeli hinzu,
auch schon einmal von kirchenräuberischen Händen vom Capitolshügel weg gestohlen worden,
zum Troste seiner Wächter und Verehrer habe er sich aber von selbst an seinem jetzigen
Aufenthaltsorte wieder eingefunden. Von der Zeit an wird er noch sorgfältiger verwahrt – aus guten
Gründen. Freilich Derjenige, dem das Holzbild schätzenswerth ist als ein religiöses Heiligthum,
wird sich schwerlich daran vergreifen, aber dasselbe ist unter Brüdern viele Tausend Scudi werth
wegen der zahlreichen Edelsteine, mit denen der gewickelte Körper so dicht besetzt ist, daß wohl
kein Quadratzoll der Oberfläche dieses Schmuckes entbehrt.“21
Die „sorgfältige Verwahrung“ war jedoch wiederum nicht ausreichend: Der „Santo Bambino“
wurde 1994 noch einmal entführt und ist seitdem verschollen. In der Krippe der Kirche liegt nun an
Weihnachten eine Nachbildung – ein schwacher Trost für alte und junge Römer, für die jenes
Christkind etwas ganz besonderes war.
Auf der anderen Seite des Kapitolhügels bietet sich dem Besucher ein weiter Blick über die
ausgegrabenen Ruinen des Forum Romanum. In diesem ursprünglich sumpfigen Tal zwischen dem
Palatin, dem Kapitol, dem Quirinal und dem Esquilin entstanden im 5. Jahrhundert v. Chr. die
ersten römischen Tempel, denen bald öffentliche Gebäude zur Seite traten; zwischen den Tempeln
wurden Märkte veranstaltet. In den Jahrhunderten nach dem Fall des römischen Imperiums wurde
das Gebiet völlig aufgegeben und schließlich von Vegetation überwuchert. Als Viehweide genutzt,
war es im 18. Jahrhundert unter dem Namen „Campo Vaccino“ bekannt.22 Erst zu Beginn des 19.
Jahrhunderts wurde mit systematischen Ausgrabungen begonnen.
Ein Gemälde von Vincenzo Giovannini (Todi 1813-Rom 1903) zeigt einen Blick über das Forum
bis auf das Kapitol (siehe Abb. 8).23 Der Maler, in jungen Jahren nach Rom gelangt und dort
zeitlebens ansässig (so befand sich sein Atelier von 1879 bis 1884 in der Passeggiata di Ripetta Nr.
21) widmete sich in großformatigen Gemälden vor allem den römischen Antiken, doch stammen
von seiner Hand auch Ansichten der Campagna Romana. Er arbeitete vor allem für ausländische
21
Hoffmann (wie oben) zitiert, S. 452. Die genaueren Umstände der “Entführung” des “Sacro Bambino” teilt Ferdinand
Gregorovius in seinen Wanderjahre[n] in Italien mit (wie oben zitiert, S. 90). Ihm zufolge war es eine junge
Engländerin gewesen, die sich “bis zum Sterben” in die Puppe verliebte und diese entführte: “Aber in derselben Nacht
fingen alle Glocken im Kloster und in der Kirche Ara Celi von selbst zu läuten an, die Mönche stürzten heraus und
fanden den entführten Bambino mit gebogenem Knie an der Thüre stehen, im Begriff, sie aufzustoßen, denn er hatte
sich aus den Gemächern der Engländerin auf und davon gemacht.”
22
Dazu siehe den Ausstellungskatalog Roma Antica. Römische Ruinen in der italienischen Kunst des 18. Jahrhunderts.
Hrsg. von Brigitte Buberl, Dortmund, Museum für Kunst und Kulturgeschichte, 1994, S. 154-162.
23
Vincenzo Giovannini, “Blick auf das Forum Romanum und das Kapitol”. Öl auf Leinwand, 25 x 31 cm, bezeichnet
V. Giovannini f. Zu dem Pendant des Bildes, einer Ansicht des Tibers und der Engelsburg, siehe Kapitel 11.
10
Rom-Besucher, die seine Bilder als Andenken erwarben.24 Im „Caffè Greco” (zu diesem siehe
Kapitel 1) befinden sich achtzehn große Gemälde Giovanninis, von denen fünf Sujets aus Venedig
zeigen. Weitere vier präsentieren Ideallandschaften; ebenfalls vertreten sind zwei Ansichten Tivolis
und Ternis sowie eine Vedute mit der Campagna Romana. Die restlichen sechs Bilder stellen
römische Motive vor, darunter auch ein Blick auf das Forum Romanum, der dieselben Monumente
zeigt wie unser Gemälde, allerdings von einem anderen Standpunkt aus genommen.25 Dieses letzte
Bild ist 1888 datiert – ein Tatbestand, der eine Datierung auch des Gemäldes im Hotel Victoria um
1888 nahelegen würde.
Der Betrachter erblickt im Bildhintergrund das Kapitol mit dem Senatorenpalast, gut zu erkennen
ist der im 16. Jahrhundert errichtete Glockenturm, die „Torre Campanaria“. Rechts im Mittelgrund
befindet sich der 203 n. Chr. errichtete Triumphbogen des Septimius Severus, in dessen Durchblick
man die vom Kapitol herabführende Rampe erkennen kann. Links daneben erheben sich die drei
Säulen des Tempels des Vespasian, erbaut um 81 n. Chr., und noch weiter links erkennt man die
Säulenfront des Saturntempels, 498 v. Chr. errichtet und bereits 42 v. Chr. restauriert. Die heutige
Gestalt des Monuments geht auf eine Erneuerung aus dem 4. nachchristlichen Jahrhundert zurück.
Dem Betrachter am nächsten schließlich ist die vereinzelt stehende, sogenannte Säule des Phocas,
608 n. Chr. als letztes Monument auf dem Forum Romanum errichtet; sie trug ursprünglich ein
Standbild des römischen Kaisers.
Giovanninis Gemälde zeigt die römischen Monumente bereits vollständig ausgegraben, der Platz
um sie herum ist gleichmäßig eingeebnet und überall begehbar. Vergleicht man den Blick mit einer
Radierung Giuseppe Vasis26 (1710-1782), die 1752 im Rahmen seiner Serie der „Magnificenze di
Roma“ entstand, so werden die Unterschiede sofort sichtbar: Links neben dem Triumphbogen erhob
sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts ein Erdhügel, der sich bis zu den Mauern des Kapitols
heraufzog und von hohen Bäumen bewachsen war. Das Erdreich verdeckte die Basis und den
unteren Teil einiger der Säulen des Saturntempels, an den links wiederum ein ländliches Haus
anschloss. Die drei Säulen des Tempels des Vespasian rechts daneben versanken tief im Boden;
kaum, dass sie zwischen den Bäumen zu sehen waren. Links neben der Phocas-Säule schließlich
stand ein weiteres Bauernhaus, und die Ochsenkarren, die im Vordergrund von Vasis Radierung zu
sehen sind, entsprachen zweifellos der Realität. Am Ende des 19. Jahrhunderts waren die
Landhäuser abgerissen und die Bäume gefällt, der Erdhügel abgetragen und die antiken Tempel
freigelegt. Giovannini zeigt eine Reihe marmorner Pilaster, durch eiserne Gitter verbunden, die die
einzelnen Monumente umgeben und den direkten Zugang versperren. Anstelle der Bauern mit ihren
Ochsen erblickt man promenierende Damen und Herren, die sich nur durch ihre Kleidung von den
heutigen Touristen unterscheiden – aus dem „Campo Vaccino“ war ein archäologisch bedeutsamer
Ort geworden, der für das alltägliche, ländliche Leben der Römer keinen Platz mehr bot.
Kapitel 4
Das Marcellus-Theater
24
Zu Giovannini siehe den Ausstellungskatalog La Campagna Romana da Hackert a Balla. Hrsg. von Pier Andrea de
Rosa und Paolo Emilio Trastulli, Rom, Museo del Corso, 2001, S. 257.
25
Zu Giovanninis Bildern im “Caffè Greco“ siehe Jannattoni/Hufschmidt (wie oben zitiert), S. 215-216, Farbabb. S. 7389. Eine „Ansicht des Kolosseums“ Giovanninis wurde verkauft in der Galerie Paolo Antonacci (Öl auf Leinwand, 84 x
152 cm, bezeichnet V. Giovannini). Dazu siehe den Katalog Un Panorama della Roma antica di Friedrich Loos (17971890) e acquisizioni recenti. Galerie Paolo Antonacci, Rom, 2006, Nr. 24. Hier wird mitgeteilt, dass sich im „Caffè
Greco” heute 20 Bilder Giovanninis befinden.
26
Vasis Radierung wird abgebildet in: Paolo Coen, Le Magnificenze di Roma nelle incisioni di Giuseppe Vasi. Un
affascianinante viaggio settecentesco dalle Mura Aureliane fino alle maestose ville patrizie, attraverso le antiche
rovine, le basiliche e le più belle piazze della Città Eterna. Rom 1996, S. 73, Nr. 31.
11
Schreitet der Reisende Michelangelos breite Treppe vom Kapitolshügel nun wieder herab, so
erblickt er, dem Kapitol schräg gegenüber, ein Bauwerk, dessen Geschichte (wie die des Palazzo
Caffarelli) für kurze Zeit eng mit derjenigen der Deutschen in Rom verbunden war. Es handelt sich
um das sogenannte „Teatro di Marcello“, ein unter Cäsar begonnenes und unter Augustus zwischen
13 und 11 v. Chr. vollendetes Amphitheater, von dessen ursprünglich drei Arkadenreihen nur die
unteren beiden – eine dorische und eine ionische – erhalten sind. Das Theater war bereits im 5.
Jahrhundert aufgegeben und als „Steinbruch“ für Baumaterial neuerer Gebäude benutzt worden. Im
12. Jahrhundert baute die Familie der Fabi es in eine Festung um, und zwischen 1523 und 1527
errichtete schließlich der Architekt Baldassare Peruzzi (1481-1536) auf den verbleibenden Ruinen
zwei Stockwerke eines Palastes im Auftrag der Adelsfamilie der Savelli. Der auf dem Amphitheater
errichtete „Palazzo“ erhielt seine endgültige Form 1712, als er in den Besitz der Familie Orsini
überging. Diese wiederum vermietete die Räumlichkeiten 1816 an den preußischen Gesandten
Barthold Georg Niebuhr (1776-1831), der gleich nach seiner Ankunft in Rom 1816 hier einzog und
darüber begeistert am 3. Juli 1817 an einen Bekannten schrieb:
„Eine schönere Aussicht hat kein Privathaus hier welches ich kenne […] Ich wünschte, daß Sie
gethan haben möchten, was so selten ein Fremder thut, den Palazzo Savelli besuchen; man begnügt
sich die Säulen und die Felsenwand des Theaters des Marcellus von der Straße her zu betrachten.
Wir wohnen hoch auf den Ruinen, das höchste Gebälk der erhaltenen Mauer ist Fensterbank eines
Theils unserer Wohnung, und aus unsern Zimmern gehen wir ebenen Fusses in den Garten, der uns
gerade dient wie das impluvium in den Häusern der Alten. Der Hof, in den unser Wohnzimmer
nach Osten, wie nach Westen in den Garten sieht, ist so einsam wie ein Kirchhof; die Schwalben
nisten über unsern Fenstern, und schwirren ungestört […] Meine Collegen finden die enge Treppe,
die für die hinaufführt, welche sich nicht auf der freilich etwas halsbrechenden Salita im Wagen bis
vor die Hausthüre wagen wollen, indecent; die Römer nicht so, weil vier Cardinäle hier gewohnt
haben; aber die Künstler können sich an der Herrlichkeit nicht müde preisen; und alle müssen
eingestehen, daß das Innere fürstlich schön ist.“27
Im Erdgeschoss des ehemaligen Amphitheaters, auf der zum Kapitol gewandten Straßenseite, hatten
Handwerker ihre Werkstätten eingerichtet; eine Taverne lud zu einem erfrischenden Trunk ein. Hier
war auch Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) während seines römischen Aufenthaltes zu
Gast gewesen. Diesen Blick gibt uns ein wohl um 1900 entstandenes Bild eines unbekannten
Künstlers, der die von Niebuhr beschriebene „Felsenwand“ des Marcellus-Theaters, eingekeilt
zwischen die Wohnhäuser neueren Datums, vorstellt: Ganz unten erkennt man die „Botteghe“ der
Handwerker und die Weinschenke, darüber erheben sich die erhaltenen Arkadenreihen des antiken
Theaters, über denen wiederum hell erleuchtete Fenster auf die ehemalige Wohnung des
preußischen Gesandten schließen lassen (siehe Abb. 9).28 Das Nebeneinander von altem und neuem
Rom beschrieb auch die am Weimarer Hof lebende und gut mit Goethe befreundete Malerin Louise
Seidler (1786-1866), die oft bei Niebuhrs zu Gast weilte:
„Niebuhrs wohnten im alten Theater des Marcellus, einem kleinen Colosseum, dessen Unterbau (in
welchem sich auch die sogenannte ‘Goethe-Kneipe’ befand) offene Bogenhallen bildete, auf denen
zwei Etagen ruhten. […] Das behaglich und vaterländisch eingerichtete Niebuhrsche
Familienzimmer war das letzte einer großen Reihe von Gemächern […] Unter diesem Stockwerk,
sowie unter dem Garten befanden sich kellerartige Räume; in einigen stehengebliebenen
Eingangshallen des zusammengestürzten Theaters hatten Schmiede, Schlosser, Wagner und andere
Handwerker ihre Arbeitsstätten aufgeschlagen […] Ein zerfallener Bogen bildete vor der düsteren,
27
Zitiert in: Maurer (wie oben zitiert), S. 24.
Unbekannter Künstler, „Blick auf das Marcellus-Theater“. Öl auf Leinwand, 32,5 x 48,5 cm, bezeichnet CRAN[I?].
Ein Maler dieses Namens ließ sich nicht identifizieren.
28
12
schmalen Treppe den Eingang zu der interessanten, romantischen Wohnung des preußischen
Gesandten.“29
Seiner „romantischen“ Wohnung zum Trotz gelang es Niebuhr nicht, in Rom heimisch zu werden.
Seine beschränkten finanziellen Verhältnisse erlaubten ihm nicht, den Pflichten eines Gesandten in
der guten Gesellschaft angemessen nachzukommen und ein „großes Haus“ zu eröffnen. Den
Italienern, die er als eine „Nation von wandelnden Toten“ bezeichnete, konnte er nichts
abgewinnen, und als Schriftgelehrter waren ihm die Kunstwerke und Monumente gleichgültig.30
„Der alte graue Kater / Hinter dem Marcellustheater“ (wie der Maler Johann Georg von Dillis
dichtete) verließ die Ewige Stadt bereits 1823 wieder. Seine Nachfolger bezogen Wohnsitz im
Palazzo Caffarelli auf dem Kapitol, und so endete das kurze deutsche Zwischenspiel im MarcellusTheater. Von 1926 bis 1932 wurden die mittelalterlichen Häuser, die es umgaben und die man auch
in unserem Bild rechts und links erkennt, im Zuge der Freilegung des Gebiets um das Kapitol
abgerissen. Heute präsentiert sich das antike Bauwerk isoliert. Die Räume des Palazzo SavelliOrsini existieren nach wie vor – an den ehemaligen preußischen Gesandten Niebuhr jedoch erinnert
hier nichts mehr.
Kapitel 5
Das Kolosseum
Spaziert der Bildungsreisende, das Kapitol im Rücken, weiter das Forum Romanum entlang, so
gelangt er schließlich zum wohl berühmtesten Monument der Ewigen Stadt, dem Amphitheater der
Flavier, besser bekannt als Kolosseum. Das Gelände, auf dem das im Jahr 80 n. Chr. eingeweihte
Bauwerk steht, gehörte ursprünglich zur Domus Aurea des römischen Kaisers Nero, der hier auch
eine Kolossal-Statue seiner selbst errichten ließ; diesem „Koloss“ verdankt das Amphitheater seinen
populären Namen. Nach dem Ende des römischen Imperiums lag das Kolosseum bis ins 11.
Jahrhundert verlassen, danach wurde es über mehrere Jahrhunderte hinweg als „Steinbruch“
benutzt, aus dem die Römer Baumaterial für neuere Konstruktionen beschafften. Erst 1744 setzte
Papst Benedikt XIV. dem ein Ende, indem er das Bauwerk dem Andenken der Passion Christi
weihen und ein großes Kreuz in seiner Mitte errichten ließ, das von 14 Altären umgeben war. Diese
wurden erst 1874 im Zuge von Ausgrabungen entfernt; bis zu diesem Zeitpunkt waren folglich die
unterirdisch gelegenen Räumlichkeiten und Gänge nicht zugänglich.31 Das Kolosseum zählte zu den
beliebtesten Motiven der Landschaftsmaler, welche hier nicht zuletzt eine ganz spezielle Flora
vorfanden: Die aus hundert unterschiedlichen Spezies zusammengesetzte „Flora Colisea“.32 Doch
wurde es auch Zeuge nächtlicher Aufführungen des zu Beginn der 1820er Jahre gegründeten
Singvereins der deutschen Künstler, die hier hin und wieder bei Mondschein ihre Stimmen
erschallen ließen – diese Aktivitäten wurden jedoch zuletzt von der päpstlichen Polizei verboten.33
29
Zitiert in: Maurer (wie oben zitiert), S. 24.
Siehe Maurer (wie oben zitiert), S. 25.
31
Zu Darstellungen des Kolosseums im 18. Jahrhundert siehe den Ausstellungskatalog Dortmund (wie oben zitiert), S.
115-140.
32
Siehe den Ausstellungskatalog Dortmund (wie oben zitiert), S. 115.
33
Siehe den Ausstellungskatalog …denn lebensgroß gezeichnet und vermessen stehst Du im Künstlerbuch. Porträts
deutscher Künstler in Rom zur Zeit der Romantik. Herausgegeben von Michael Wenzel und Eva Hofstetter, Stendal
2008, S. 59-60. Wie man hier erfährt, bestand der Chor aus 15 Sängern, die bei allen größeren Festivitäten auftraten; so
etwa bei der Winckelmann-Feier in der Villa Albani im Dezember 1836.
30
13
Ein Gemälde eines unbekannten Künstlers präsentiert einen Blick auf das Amphitheater vom
Hügel des Palatin, der sich südwestlich des Monuments erhebt. Hier befinden sich die Ruinen der
Domus Augustana, des Palastes der römischen Kaiser, der im Laufe der Antike stets aufs Neue
vergrößert und umgebaut wurde. Nach dem Fall des römischen Reiches diente er noch den
Gotenkönigen und den byzantischen Vize-Kaisern, den Exarchen, während ihrer Aufenthalte in
Rom als Residenz. Nach der Jahrtausendwende entstanden über den antiken Ruinen Gärten,
Kirchen und Konvente. Im 16. Jahrhundert ließ die römische Familie Farnese den größte Teil des
Hügels mit einer prachtvollen Villa überbauen; hier befand sich der erste botanische Garten der
Welt, genannt „Orti Farnesiani“. Nach dem Erlöschen der Farnese 1731 gingen ihre Besitzungen an
die Bourbonen von Neapel über, die die „Orti Farnesiani“ verfallen ließen. Sie wurden 1860 von
Napoleon III. erworben, zu welchem Zeitpunkt umfassende Restaurierungsarbeiten begannen.
Vielen Rombesuchern gefiel der vormalige verwilderte Zustand der Gärten – ganz im Sinne der
„Ruinen-Romantik“ - allerdings besser. Die gut mit Ferdinand Gregorovius befreundete
Reiseschriftstellerin Fanny Lewald (1811-1889), die sich gemeinsam mit ihrem Gatten, dem
Literaturhistoriker Adolf Stahr (1805-1879), im Winter 1866/67 zum zweiten Mal in Rom aufhielt
und ihre Eindrücke in Briefen an verschiedene Freunde festhielt, kommentierte z. B. im Februar
1867 in einem Schrieb über „Moderne Welt in antiken Ruinen“:
„Ich erinnere mich sehr deutlich des Tages, an welchem wir in Deutschland in einem Zeitungsblatte
die Nachricht lasen, daß Napoleon III. die Farnesischen Gärten angekauft habe und daß der
italienische Alterthumsforscher Cavaliere Pietro Rosa dort im Auftrage des Kaisers Ausgrabungen
im großen Style machen lassen werde. Wir konnten uns damals keine rechte Vorstellung von
demjenigen machen, was man mit diesen Ausgrabungen eigentlich beabsichtige, und nun wir zu
den verschiedensten Malen innerhalb dieser Ausgrabungen umhergegangen sind, habe ich jedesmal
einen frostigen, befremdenden Eindruck von diesen […]“
Zuvor, so Lewald weiter, wandelte der Besucher auf einer schönen Terrasse umher und übersah
„zur Rechten und zur Linken und vor seinen Augen ein weites, hügeliges, stark bebuschtes
Terrain.“ Ohne es zu merken, bewegte man sich zwischen den einzelnen Teilen der Paläste, und
„zwischen Baumwurzeln sah man Marmorplatten, welche der Baumwuchs zerprengt hatte, und
mitten aus diesem wieder zu Erde und fruchtbar gewordenen Schutt und Geröll ragten dann mit
Einem Male Pfeiler und Bogen […] hervor […]. Jetzt ist das alles anders geworden.“
Die alte Anlage der Farnesischen Gärten, so die Schriftstellerin, werde wohl beibehalten, doch nun
erblickte der Spaziergänger kleine Springbrunnen zwischen Blumenbeeten. „Rosenhecken umgeben
kleine antike Statuenreste, unter schattigem Gesträuche sind Sitzplätze angebracht“ – eine
„freundliche Anlage“ ohne Zweifel, doch für Fanny Lewald war ein solcher Garten hier „nicht an
seinem Platze, hat er beinahe etwas Komisches.“34
Von den Gartenanlagen auf dem Palatin bot sich ein prachtvoller Blick auf das Forum Romanum
und das Kolosseum, und eine Vielzahl von Veduten belegen die Popularität des Ortes bei den
Malern des 18. und 19. Jahrhunderts. Unser Bild (siehe Abb. 10),35 das bereits die von Fanny
Lewald beschriebene Gartenanlage mit rotblühenden Rosensträuchern und kleinen Blumentöpfen
auf den steinernen Geländern zeigt, entstand zweifellos nach 1860.36 Man erblickt rechts auf der
34
Adolf Stahr und Fanny Lewald, Ein Winter in Rom. Berlin 1869, S. 208-210.
Unbekannter Künstler, “Blick auf das Kolosseum und S. Giovanni in Laterano von den Orti Farnesiani auf dem
Palatin”. Öl auf Leinwand, 46 x 67 cm.
36
Die Datierung wird weiterhin erhärtet durch einem Vergleich des Bildes mit einem 1827 datierten Gemälde des
französischen Malers Jacques Raymond Brascassat (1804-1867), das denselben Blick auf das Kolosseum und S.
Giovanni in Laterano von den Orti Farnesiani – allerdings von etwas entfernterem Standpunkt – zeigt (Rouen, Musée
des Beaux-Arts. Öl auf Leinwand, 74,5 x 100 cm, 1827 datiert. Zu dem Bild siehe den Ausstellungskatalog Imago
Urbis Romae. L‘immagine di Roma in età moderna. Hrsg. von Cesare de Seta, Rom, Musei Capitolini, 2005, Kat.-Nr.
35
14
Anhöhe eine Frau in rotem Gewand neben der verblaßten Figur eines Mannes – wir denken an
Fanny Lewald und Adolf Stahr -, die die Aussicht zur anderen Seite betrachten, wo, dem Betrachter
verborgen, der Circo Massimo den Palatinshügel begrenzt. Links der Einfassungsmauer erkennt
man den Titus-Bogen, 81 n. Chr. unter Kaiser Domitian zum Gedenken an die Siege Vespasians
und Titus über die Juden und die Zerstörung Jerusalems errichtet. Vom Bogen in Richtung des
Kolosseums verläuft die Via Sacra. Neben dem Triumphbogen führt weiterhin ein von einem
kleinen Gebäude überdachter Torweg zum Palatin empor, der sogenannte Clivus Palatinus. Im
Mittelgrund erscheint das Kolosseum, und dahinter erblickt der Betrachter in der Ferne den
Lateranspalast und die Statuenbekrönung von S. Giovanni in Laterano.
In das Kolosseum hinein führt uns ein Gemälde von Johann Conrad Zeller (Hirslanden bei Zürich
1807-1856), der auf Wunsch seines Vaters zunächst als Kaufmann ausgebildet wurde. 1824
unternahm er eine erste Reise nach Rom; 1832 gab er die kaufmännische Tätigkeit auf und widmete
sich als freier Künstler nur noch der Malerei. Er begab sich erneut nach Rom, wo er den Bildhauer
Bertel Thorvaldsen und die Maler Johann Friedrich Overbeck, Joseph Anton Koch und Johann
Christian Reinhart (1761-1847) kennenlernte; hier wurde er Schüler von Horace Vernet. 1847
kehrte Zeller nach Zürich zurück. Sein 1833 entstandenes Bild (siehe Abb. 11)37 zeigt einen Blick
aus den Arkaden des Amphitheaters heraus auf den Tempel der Venus und Roma: Ein kolossaler,
den Göttinnen Roma und Venus geweihter und nach Plänen des Kaisers Hadrian ausgeführter
Doppeltempel, der 136 n. Chr. geweiht und 307 n. Chr. unter Maxentius restauriert wurde. Das
Bauwerk, bei dem es sich um den größten Tempel des antiken Roms gehandelt hat (seine Maße
betrugen 145 x 100 m), bestand aus zwei Cellae, deren Rückwände aneinander stießen und die
jeweils das Standbild einer der beiden Göttinnen enthielten. In Zellers Gemälde erblickt man die
dem Kolosseum zugewandte Cella, in der die Statue der Venus untergebracht war. Nicht sichtbar ist
der Campanile der Kirche S. Francesca Romana, der unmittelbar hinter der Apsiswölbung zu sehen
sein müsste und den der Maler offensichtlich aus kompositorischen Gründen unterschlagen hat.
Es scheint offensichtlich, dass der Künstler keine spiegelgetreue Abbildung der römischen Ruinen
im Sinn hatte, die im Gemälde auch ohne zusätzliche Details zweifelsfrei zu identifizieren sind.
Zeller ging es vor allem um die künstlerische Bewältigung der Dimensionen der antiken Bauwerke,
mit denen er den Betrachter unmittelbar konfrontiert. Wir befinden uns unter einem nur
ausschnittweise zu sehenden Arkadenbogen des Kolosseums, dessen Größe und Massivität ins
Enorme gesteigert erscheint – tatsächlich fühlt sich der Betrachter auf die Größe eines Zwerges
reduziert und zweifelt, ob er jemals in der Lage wäre, den Schatten der gewaltigen Mauerbögen zu
verlassen und in den Bereich der von hellem Sonnenlicht beschienenen Wiese zu treten. Hier nun
steht eine winzige Gestalt – ein Mann, wohl ein Hirte, mit zwei Ziegen -, deren Kleinheit im
Vergleich zu den Dimensionen der Arkaden des Kolosseums eine große Entfernung impliziert. Wo
der Mann sich tatsächlich befindet, vermag der Betrachter nur zu vermuten, doch bestärkt die
minutiöse Figur noch zusätzlich sein Gefühl der eigenen Bedeutungslosigkeit, was sicher in der
Absicht des Malers lag.
Dennoch geht von der dunkel verschatteten Architektur des Kolosseums nichts bedrohliches aus,
wie auch der lichtüberflutete Tempel in ihrem Durchblick keinerlei düsteren Implikationen birgt.
Das Bild thematisiert einzig die überwältigende Größe und Mächtigkeit der römischen Ruinen, in
deren Schatten der Mensch zu einem Nichts zusammenschrumpft. Beschränkt auf die flüchtigen
58). Hier erkennt man wie in dem Gemälde im Hotel Victoria das Torhaus über dem Clivus Palatinus und den TitusBogen, doch dahinter, rechts vor dem Kolosseum, erscheinen einige Gebäude, die in unserem Bild nicht zu sehen sind –
es ist anzunehmen, dass sie im Zuge der Restaurierungsarbeiten in der Gegend abgerissen wurden, wodurch eine spätere
Datierung unserer Ansicht belegt wird.
37
Johann Conrad Zeller, “Blick aus dem Kolosseum auf den Tempel der Venus”. Öl auf Leinwand, 44,8 x 28 cm, auf
der Rückseite signiert und Roma 1833 datiert.
15
Jahre einer kurzen Lebensspanne, ist sein Verweilen auf Erden einem Augenblick gleichzusetzen,
wenn auch das Leben selbst von dieser Erkenntnis unberührt bleibt – der Mann und seine Tiere
stehen im hellen Licht ihrer Gegenwart; sie werden ihren Tag auf dem „Campo Vaccino“
verbringen und am Abend erneut in den römischen Alltag eintauchen. Das Kolosseum aber wird
weiterhin Schauplatz des Kommens und Gehens von Menschen sein, wird weitere Jahrhunderte
überdauern und der Zeit standhalten.
Mit einer solchen Interpretation des römischen Amphitheaters stand Zeller nicht allein. Auch Fanny
Lewald wurde im Februar 1867 von einer vergleichbaren Empfindung ergriffen, als sie, nach einer
Kutschfahrt über das Forum Romanum, vorbei am Bogen des Septimius Severus, der Säule des
Phocas und dem Saturntempel, schließlich das wie „eine Felsmauer“ vor ihr und ihrem Mann
aufragende Kolosseum erreichte:
„Wir steigen aus. Schweigend, in Erinnerung versunken, stehen wir in diesem Riesenbau.
Einundzwanzig Jahre sind vergangen, seit wir ihn zuletzt gesehen. Fast ein Menschenleben lang!
Uns erscheint es wie eine Ewigkeit […] und doch ist‘s, als wären wir erst gestern hier gewesen.
[…] Hier ist Alles noch wie einst! Alles! – Nicht ein Stein ist von seinem Platze gewichen. Sie
liegen noch auf derselben Stelle, die Säulentrümmer, die Friese, die Platten und Quadern mit ihren
Inschriften. Wir sitzen lange, lange, wo wir einst gesessen haben. Wir kennen jede Gallerie und
jeden Pfeiler. Der Epheu und der gelbe Ginster nicken noch gerade so wie vor einundzwanzig
Jahren von den Mauern nieder, der Goldlack und die Federnelke blühen noch wie einst, und auch
unsere Herzen schlagen noch wie einst. Nur das Haar ist weiß geworden. Wir sehen uns fast
verwundert darob an, und drücken einander die Hände und gehen still hinaus.“38
Kapitel 6
Das Forum des Nerva
Der Reisende verlässt das Kolosseum und spaziert die moderne Via dei Fori Imperiali zurück, in
Richtung des Kapitols und der Piazza Venezia. Rechterhand lassen sich nun die sogenannten „Fori
Imperiali“, die Kaiserforen, besichtigen; in der römischen Kaiserzeit errichtete Plätze, die von
Tempeln und Basiliken gesäumt waren und für Versammlungen, Zeremonien, aber auch für
kommerzielle Zwecke genutzt wurden. Zu ihnen gehörte auch das 97 n. Chr. eingeweihte Forum
des Nerva, in dessen Mitte sich ein der Minerva gewidmeter Tempel erhob. Dieses Bauwerk, von
dem heute nur noch die Basis erhalten ist, wurde 1606 auf Befehl Pauls V. zerstört, der den Marmor
für den Bau des nach ihm benannten Brunnens Acqua Paola auf dem Gianicolo benötigte. An der
Wand des Forums erheben sich zwei korinthische Säulen, die einzigen erhaltenen von ursprünglich
über 50, welche entlang der Einfassungsmauern des Platzes angebracht waren. Die beiden Säulen,
unter dem volkstümlichen Namen „Colonacce“ bekannt, tragen einen Fries, auf dem Reliefs mit
arbeitenden Frauen – unter anderem die spinnende Arachne – zu sehen sind: Ihre Tätigkeiten
standen unter dem Schutz der Göttin Minerva, deren Standbild über den beiden Säulen in einer
Statuennische angebracht ist. Durch das Forum hindurch führte der sogenannte „Argiletum“, eine
Straße, die das Forum Romanum mit dem am Kapitol gelegenen Stadtteil der Suburra verband. Von
ihr hat sich ein Stück der ursprünglichen Pflasterung, wenn auch stark beschädigt, vor den beiden
Säulen erhalten.
38
Stahr und Lewald (wie oben zitiert), S. 125-126.
16
Einen Blick auf diesen Winkel Roms zeigt ein Gemälde (siehe Abb. 12)39 von Niels Anders
Bredal (zu ihm siehe Kapitel 1). Sein Bild lässt erkennen, dass die beiden „Colonacce“ nur zur
Hälfte aus der mit Pflastersteinen belegten Straße herausragten; tatsächlich wurden sie erst in den
dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts freigelegt. Der Betrachter erblickt den Fries mit den in
häusliche Arbeiten vertieften Frauengestalten, darüber erhebt sich die behelmte Statue der Göttin
Minerva. Den Maler faszinierten zweifellos nicht nur die antiken Monumente, sondern
gleichermaßen die Selbstverständlichkeit, mit der sich die modernen Römer darin eingerichtet
hatten. Tatsächlich ist die aus großen Quadern zusammengesetzte Wand hinter den Säulen durch
einzelne Fensteröffnungen unterbrochen, hinter denen offenbar Wohnräume liegen. Eine Frau in
weißer Bluse, die Arme auf das Fensterbrett gestützt, blickt auf die Straße hinab, auf der ein Bauer
mit seinem Esel vorbeiwandert. Das Lasttier trägt geduldig nicht nur die Gattin und das Söhnchen
des Landmannes, sondern auch eine Ladung Gemüse, die aus der Satteltasche hervorquillt; eine
weitere Frau, einen Korb auf dem Kopf balancierend, folgt der Gruppe. Eine Händlerin hat ihren
Stand mit Obst und Gemüse an der Hauswand aufgebaut und die empfindliche Ware durch ein
improvisiertes Sonnensegel vor dem Licht geschützt. Gleich daneben führt eine Tür in das dunkle
Innere eines Geschäfts mit der Hausnummer 13, in dem man, wie die darüber angebrachte Inschrift
„Forno“ informiert, Brot kaufen konnte.
Auch Fanny Lewald beschreibt ein solch buntes Straßenbild im Februar 1867, wenn ihre Behausung
auch nicht am Nerva-Forum sondern in der Via Sistina, in der Nähe des Sallustianischen Obelisken,
gelegen war.
„Am Morgen, wenn ich die Läden unserer Fenster öffne, sendet die Sonne ihre Strahlen schon
warm in unsere Straße, in die schöne, auf dem Monte Pincio gelegene Via Sistina, hinein […] Hier
ruft ein Fischhändler seine Fische, dort ein Landmann die Ricotta, den wohlschmeckenden weißen
Ziegenquark, aus, der für den Mittelstand und die Armen hier die Stelle der Butter vertritt. In
großen, offenen Körben werden die herrlichsten Gemüse, die köstlichsten Blumen […]
vorübergetragen. […] Die römischen Hausfrauen machen die Fenster auf und treten vor die
Hausthüren: die nachbarschaftliche Unterhaltung beginnt. Von hüben und drüben rufen sie sich aus
den Fenstern zu. Hier und dort stehen sie, die Arme behaglich über den vollen Körper gekreuzt,
beisammen und schwatzen und schwatzen.“40
Niels Bredal zeigt seine römische Hausfrau am Fenster nicht am Morgen, sondern bereits zu
vorgerückter Stunde: Wie auch der Platz vor dem Obelisk bei der Kirche Trinità dei Monti (siehe
Kapitel 1) liegt der gepflasterte Weg vor den „Colonacce“ im hellen Mittagslicht. Die hoch
stehende Sonne beleuchtet die stehende Verkäuferin und die vorbeiziehende Gruppe, die nur kurze
Schatten werfen; das intensive Licht lässt einzelne Farben wie etwa das Rot in der weißen Bluse des
gehenden Mädchens oder das Grün des Gemüses aufleuchten. Die Kannelierungen und Kapitelle
der Säulen, die Reliefs des antiken Frieses und die halb erleuchtete, halb verschattete Figur der
Minerva erscheinen wie modelliert vom Licht, dessen Wärme und Leuchtkraft von den Mauern der
Gebäude und dem Straßenpflaster reflektiert werden: Fast wünscht der Betrachter, die geblendeten
Augen halb geschlossen, sich in das einladende Dunkel der Bäckerei zurückziehen zu können,
deren Kühle er schon zu spüren vermeint. Auch hier erweist sich der dänische Maler als Meister in
der Wiedergabe atmosphärischer Bedingungen, die die unsichtbare Grenze vom Bildraum zum
Betrachterraum sprengen: Bredals Rom-Ansichten, grundsätzlich der Realität verpflichtet, führen
weit über das Genre der Vedute hinaus und erweisen sich als gelungener Versuch einer
synästhetischen Darstellung, in der auch andere Sinne als allein der Gesichtssinn angesprochen
werden.
39
Niels Anders Bredal, “Blick auf das ‘Forum des Nerva’ und die ‘Colonacce’”. Öl auf Leinwand, 47 x 67 cm, signiert
und 1875 datiert.
40
Stahr und Lewald, wie oben zitiert, S. 116-117.
17
Wir finden denselben Blick auf das Nerva-Forum schließlich auch in einer zeitgenössischen
Fotografie, die den extremen Realismus Bredals belegt: Man erblickt die „Colonacce“, den Eingang
zur Bäckerei – auch in der Fotografie mit „Forno“ überschrieben -, das Fenster, aus dem sich die
Hausfrau lehnt und selbst den Gemüsestand mit seinem Sonnendach. Allein die Zypressen links im
Hintergrund sind einem hohen Haus gewichen. Dies lässt darauf schließen, dass die Fotografie
etwas später als Bredals Gemälde entstand, welches wahrscheinlich in die ersten Jahren seines
römischen Aufenthalts – kurz nach 1872 – datiert werden kann.41
Kapitel 7
Die „Villa Mattei“ auf dem Monte Celio
Der Reisende wendet sich zurück zum Kolosseum und lässt dieses hinter sich, um den südlich daran
angrenzenden Monte Celio, einen der sieben römischen Hügel, zu ersteigen. Dicht besiedelt in der
Antike, erstreckten sich hier im 18. und 19. Jahrhundert neben diversen Klöstern nur Gärten und
Weinberge. Das größte Anwesen gehörte seit 1553 der römischen Familie Mattei, die hier eine
sogenannte „Villa“ besaß: Dieser Ausdruck bezeichnet im italienischen Sprachgebrauch vor allem
einen Park; das dazugehörige Haus, zumeist als Sommerresidenz benutzt, wird „Casino“ genannt.
Zwischen 1581 und 1586 wurde auf Betreiben Ciriaco Matteis (1545-1614) hier ein solches
„Casino“ errichtet, das vor allem zur Aufnahme der bedeutenden Antikensammlung der Familie
dienen sollte. In den weitläufigen Gartenanlagen wurden Brunnen und ein Labyrinth angelegt;
antike Statuen, Säulen, Sarkophage und andere Ausgrabungsfundstücke wurden in den
verschiedenen Gartenwinkeln aufgestellt. In der Mitte eines neben dem „Casino“ angelegten,
halbrunden Platzes, der als „Theater“ bezeichnet wurde, fand schließlich 1587 der sogenannte
„Obelisco Capitolino“, ursprünglich neben der Kirche S. Maria d’Aracoeli befindlich, seinen Platz:
Dieser ägyptische Obelisk, den Ciriaco Mattei als Geschenk für seine Verdienste von der römischen
Stadtverwaltung erhalten hatte, erhebt sich noch heute dort.
Bereits 1770 begann der damalige Besitzer Giuseppe Mattei mit dem Verkauf einiger der
bedeutendsten antiken Statuen und Büsten, die sich heute zum Teil im Louvre in Paris befinden; ein
weiterer Teil wurde für das Museo Pio Clementino vom Vatikan erworben. 1802 wurde das
gesamte Anwesen schließlich verkauft. 1917 ging es in den Besitz des italienischen Staats über, der
den Park 1926 der Öffentlichkeit zugängig machte. Das „Casino“ wurde Sitz der Geographischen
Gesellschaft.42
Unser Gemälde eines unbekannten Künstlers (siehe Abb. 13)43 zeigt einen Blick aus der Nähe der
äußeren, durch eine halbrunde Mauer markierten Einfassung des „Theaters“ auf die römische
Campagna, in der ein Abschnitt der „Mura Aureliane“ zu sehen ist. Die im 2. Jahrhundert unter dem
41
Die Fotografie befindet sich in der Sammlung Marco Besso, Rom. Sie wird publiziert von Pietro Becchetti in dem
Band Roma nelle fotografie della Fondazione Marco Besso 1850-1920, Rom 1993, Nr. 67. Hier wird die Aufnahme
dem Fotografen Carlo Baldassarre Simelli (1811-1880) zugeschrieben und um 1862 datiert: Da die Fotografie eindeutig
einen späteren Zustand beschreibt als Bredals Bild und der dänische Maler Rom erst 1872 erreichte, muss die
Aufnahme nach diesem Zeitpunkt angefertigt worden sein. Auch ein Gemälde von Vincenzo Giovannini im römischen
“Caffè Greco” zeigt die „Colonacce“ und den „Forno“ daneben; das in der Fotografie zu sehende Haus links ist
ebenfalls bereits vorhanden. Giovanninis Bild ist 1889 datiert: Spätestens zu diesem Zeitpunkt waren die Zypressen
dem Neubau des Gebäudes gewichen (zu dem Bild siehe Hufschmidt/Jannattoni, wie oben zitiert, Abb. S. 87).
42
Zur Villa Mattei siehe Paola Hoffmann, Le ville di Roma e dei dintorni. Storia, arte e curiosità delle affascinanti
dimore che, dall’antichità al Novecento, hanno rappresentato con la bellezza dei loro giardini l’anima aristocratica
della capitale. Rom 2001, S.229-245.
43
Unbekannter Künstler, “Blick auf die Campagna Romana und die aurelianische Stadtmauer von der Villa Mattei”, Öl
auf Leinwand, 42,5 x 59 cm.
18
römischen Kaiser Mark Aurel errichtete Stadtmauer umschrieb im 18. und 19. Jahrhundert ein
Gebiet, das sich weit außerhalb der bewohnten Gegenden Roms befand; tatsächlich erkennt man im
Bild nur grasbewachsenes Hügelland, das sich bis zu den fernen Albaner Bergen erstreckt. Links im
Hintergrund verlaufen die Bogenreihen des unter Sixtus V. im 16. Jahrhundert errichteten
Aquädukts der Aqua Felice, das den Moses-Brunnen am Largo S. Susanna speiste. Einzelne Türme
und ländliche Häuser beleben hier und da die Landschaft.
Heute erstreckt sich in dem Gebiet links der Stadtmauer der im 20. Jahrhundert entstandene, dicht
besiedelte und vom Straßenverkehr belebte Stadtteil Appio Latino, in dem nur wenig an die
ländliche Idylle des Gemäldes erinnert. Rechts der Mauer befindet sich allerdings nach wie vor ein
Park, die „Villa degli Scipioni“: Ihre Bäume wachsen auf dem Hügel, der rechts im Bild – offenbar
kahl und ohne Vegetation - zu sehen ist und bei dem es sich um den „Monte Celiolo“ handelt.
Dahinter ist die antike „Porta Latina“ vorzustellen, die sich an dieser Stelle in der aurelianischen
Mauer befindet.
Begibt sich der Reisende auf der Suche nach dem dargestellten Ort in den heute als „Villa
Celimontana“ bekannten Park, so muss er zu seinem Bedauern feststellen, dass die Zeit nicht
spurlos an der Villa und ihren Monumenten vorübergegangen ist. Die vorgestellte Aussicht des
Gemäldes ist an keiner Stelle mehr nachvollziehbar; hohe Bäume versperren überall die Sicht, wenn
auch der eine oder andere Blick auf die fernen Albaner Berge zu erhaschen ist. Am linken Rand des
Gemäldes erkennt der Betrachter zwischen zwei Nadelbäumen einen Teil der von hinten gesehenen,
mit Statuen geschmückten Fassade von S. Giovanni in Laterano sowie die Kuppel einer der
kleineren Seitenkapellen: Auch diesen Blick sucht man heute vergebens. Diese Tatsache lässt sich
vor allem dadurch erklären, dass das Holz der Bäume in und um Rom im 18. und 19. Jahrhundert
als Brennholz benötigt wurde, es im Stadtgebiet also nur relativ wenige und niedrige Bäume gab.
Die dadurch ermöglichten, unverstellten Aussichten von den Hügeln sind heute einem reichen
Baumbestand gewichen, was vielleicht der eine oder andere Rom-Besucher mit Bedauern
konstatiert. Angesichts der Massenbesiedelung und des enormen Vekehrsaufkommens der Stadt
scheint die reiche Präsenz des Straßengrüns alledings wichtiger denn je, und die überall wachsenden
Bäume, das vielfältige Strauchwerk und die üppig blühenden Büsche trösten in den meisten Fällen
über die verloren gegangenen Aussichten hinweg.
Immerhin ist die halbrunde Einfassungsmauer des „Theaters“, später auch als „Belvedere“
bezeichnet, noch vorhanden, wie auch die erste der beiden Statuen auf ihrem hohen Sockel an
derselben Stelle steht – allerdings hat das Schicksal es nicht gut mit ihr gemeint, denn heute fehlt ihr
der Kopf. An die Existenz der zweiten Statue und des dahinter zu sehenden Sarkophags erinnern
nur noch ihre leeren Postamente; der letztere – bekannt als „Sarcofago delle Muse“ aus dem Jahr
280 n. Chr. – kann heute im Museo Nazionale delle Terme im Palazzo Massimo bewundert werden.
Mit Hilfe der dargestellten Antiken lässt sich das Bild mit einiger Präzision datieren: Während die
beiden Statuen auf ihren hohen Postamenten zur originale Ausstattung des „Theaters“ gehörten,
befand sich an der Stelle des Sarkophags ursprünglich eine Büste Alexanders des Großen, die in
einer kleinen Aedikula auf einem Sockel angebracht war. Diese Büste, heute im Museo Pio
Clementino im Vatikan, wurde 1802 verkauft. 1813 erwarb Manuel Godoy, Principe de la Paz aus
Spanien, das Anwesen und gestaltete sowohl das „Casino“ als auch den Park im Stil der klassischen
Antike um. Es ist anzunehmen, dass der „Sarcofago delle Muse“ in diesem Zeitraum der
Restaurierung – welcher 1817 beendet war – an der im Bild zu sehenden Stelle aufgestellt wurde.
Unser Gemälde wurde folglich wohl um 1820 von einem unbekannten Maler ausgeführt; die
sorgfältige Wiedergabe der Vegetation, vor allem der Pflanzen im Vordergrund, aber auch der
Bäume, weisen ihn noch als Anhänger der klassizistischen Landschaftsmalerei in der Nachfolge
19
Jakob Philipp Hackerts (1737-1807) aus, so dass eine spätere Datierung des Bildes nicht
anzunehmen ist.44
Eine Beschreibung der „Villa Celimontana“ des Schriftstellers Rudolf Kleinpaul (1845-1918) aus
dem Jahr 1880 schließlich lässt sich ergänzend neben unser Gemälde stellen. Kleinpaul gibt sich
zunächst melancholischen Betrachtungen über die verflossenen Jahrhunderte hin und kommt
sodann zu dem Schluss: „Es ist als ob die alte Zeit [und damit sind die „vorgeschichtlichen“ Zeiten
noch vor den „glänzenden Tagen der Cäsaren“ gemeint] durch eine jahrhundertelange Civilisation
wie ein Fußboden mit einem Teppich überdeckt und nun, nachdem dieser Teppich durch die
barbarischen Anstrengungen neuer Jahrhunderte zerrissen ist, wieder bloßgelegt worden wäre […]
nur daß der ungepflegte Wald in herrliche Alleen immergrüner Eichen abgetheilt ward, in deren
Zweigen tausend Nachtigallen wonnevoll und begeistern schlugen; nur daß fortan statt der alten
Hexen und Eulen schöne Römerinnen durch diese Alleen lustwandelten, den ahnungsvollen Blick
an ewigen Ruinen und dem malerischen Kranz duftumflossener Berge weidend. Sinnend blieb wol
die Dichterin vor den neun Musen stehen, die an der Front eines verstäubten Sarkophags den
längstverklungenen heitern Reigen aufführten; sinnend betrachtete sie den versteinerten
Sonnenstrahl, der aus dem Klostergarten von Ara-Celi hierher gewandert ist und, obwol jenen
Musen geweiht, sich erblassend an den heißen Sand von Theben und Ammon-Ra erinnert.“45
In unserem Gemälde sind die beiden „schönen Römerinnen“ nicht mit den Musen des Sarkophags
oder dem „versteinerten Sonnenstrahl“ des kapitolinischen Obelisken sondern mit der Pflege ihrer
Kinder und der Beschaffung von Zutaten für das Mittagsmahl beschäftigt, die die stehende Frau im
nächsten Moment ins Haus tragen wird – ganz auf ihre alltäglichen Arbeiten konzentriert, werden
sie wohl für den „Kranz duftumflossener Berge“ wenig Sinn gehabt haben. Der Betrachter jedoch
erfreut sich an jeder Einzelheit des Gemäldes, das mit Sorgfalt und Detailgenauigkeit einen
verlorenen Teil der Ewigen Stadt dokumentiert. Der Weg an der aurelianischen Mauer entlang,
vorbei an der „Porta Latina“ und der „Villa degli Scipioni“, ist immerhin auch heute noch ein
schöner Spaziergang, und der große Park der „Villa Celimontana“ mit seinen vielen alten Bäumen,
Brunnen und Statuenresten zählt zu den beliebtesten der Stadt. Und dennoch: Angesichts der
enthaupteten Statue und des leeren Sockels des Sarkophags kann sich der Besucher des Parks nicht
des wehmütigen Wunsches enthalten, in vergangene Zeiten zurückzukehren und sich den beiden
Frauen im Gemälde zuzugesellen, die Zerstörungen des 21. Jahrhunderts hinter sich lassend.
Kapitel 8
Die Pyramide des Caius Cestius
Der Reisende verlässt die Gegend des Monte Celio und folgt dem Verlauf der aurelianischen Mauer
in südliche Richtung. So gelangt er zu einem einzigartigen antiken Monument in Rom, der
Pyramide des Caius Cestius. Die aus Tuff und Travertin errichtete und mit Marmor verkleidete
Pyramide war von dem im Jahre 12 v. Chr. gestorbenen Volkstribun Caius Cestius Epulonius als
Grabmonument im ägyptischen Stil errichtet worden. Als Kaiser Mark Aurel im 2. Jahrhundert die
Stadt von der nach ihm benannten Mauer umgeben ließ, wurde die Pyramide in den Mauerring mit
einbezogen. Direkt neben ihr befindet sich das Stadttor „Porta S. Paolo“, die antike „Porta
44
Noch 1879 stand der Sarkophag an seinem Platz, wie ein Aquarell Salomon Corrodis (1810-1892) beweist. Dazu
siehe Pier Andrea de Rosa/Paolo Emilio Trastulli, Roma perenne. Rom 2004, Nr. 99 mit Abbildung S. 142-143; das
Bild ist signiert S. Corrodi. Rom. 1879. Der Standpunkt der Künstlers ist etwas geändert, so dass rechts im Hintergrund
die Caracalla-Thermen zu sehen sind. Im Vordergrund erhebt sich rechts die erste der beiden Statuen auf ihrem Sockel,
dahinter erkennt man den Sarkophag.
45
Rudolf Kleinpaul, Roma Capitale. Römische Lebens- und Landschaftsbilder. Leipzig 1880, S. 54-55.
20
Ostiense“, die im Mittelalter mit zwei zinnenbewehrten Türmen versehen worden war. Heute von
lebhaftem Verkehr umtost und in der Nähe des zweitgrößten römischen Bahnhofs, der „Stazione
Ostiense“ gelegen, erhob sich die Pyramide noch im späten 19. Jahrhundert in ländlicher
Einsamkeit, weitab vom bewohnten Teil Roms. Allein am nahegelegenen Monte Testaccio, dem
„Scherbenberg“, aus dem Schutt aufgehäufter römisch-antiker Amphoren entstanden, befanden sich
diverse Weinlokale oder „Osterie“, die von den Römern bei abendlichen Geselligkeiten, vor allem
während der Weinernte in traditionellen „Ottobrate“,46 frequentiert wurden.
Zwischen der Pyramide und dem Monte Testaccio erstreckt sich ein Areal, das den in Rom
ansässigen Nicht-Katholiken – deren Zahl nicht zuletzt durch die zunehmende Reiselust der
Nordländer stetig stieg – im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts inoffiziell als Begräbnisstätte
zugewiesen worden war. Der Ort lag neben einem päpstlichen Schießpulverdepot, frei und
ungeschützt, weidenden Tieren wie Übergriffen vandalistischer Art gleichermaßen preisgegeben,
und die Toten durften nur des Nachts bei Fackelschein zur letzten Ruhe geleitet werden. Es war
dem preußischen Gesandten Wilhelm von Humboldt (1767-1835), der zwei kleine Söhne dort
begraben musste, zu verdanken, dass der Friedhof offiziell anerkannt und 1824 mit einer
begrenzenden Mauer umgeben wurde. Dennoch blieb es bis 1870 strikt untersagt, auf den
Grabsteinen Kreuze oder Bibelsprüche anzubringen.47 Der Friedhof ist heute eine stille Oase im
Lärm der Stadt. Hier ruhen unter hohen Pinien und umgeben von blühenden Sträuchern und
Bäumen neben vielen anderen Johann Wolfgang von Goethes Sohn August, die Maler Carl Philipp
Fohr, Asmus Jacob Carstens, Rudolf Müller, Salomon Corrodi und Johann Jakob Frey (zu ihm
siehe Kapitel 9), der Bildhauer Alexander Trippel und die Dichter Keats und Shelley. Goethe, der
den „cimitero acattolico“ während seines römischen Aufenthaltes 1786 besucht hatte, dichtete
später: „Dulde mich, Jupiter, hier, und Hermes führe mich später, / Cestius Mal vorbei, leise zum
Orkus hinab.“48 Seinem Sohn, der noch am 25. Oktober 1830 an einem der fröhlichen Gelage der
deutschen Künstler teilgenommen hatte und wenige Tage später verstarb, ließ er den Grabspruch
meißeln: „Goethe filius / Patri / ante vertens / obiit / Annor. XL / MDCCCXXX“.
Im Hotel Victoria befindet sich ein außergewöhnliches Gemälde mit einer Ansicht der Pyramide
und der Porta S. Paolo, das von dem Schweizer Maler Max Gubler (Zürich 1898-1973) ausgeführt
wurde. Gubler hatte zwischen 1914 und 1919 zahlreiche aus Deutschland emigrierte Künstler – u. a.
die Lyrikerin Else Lasker-Schüler und Maler aus dem Kreis der sogenannten „Dadaisten“ –
kennengelernt und war 1920 selbst nach Berlin gereist. Nach einem ersten Aufenthalt in Florenz
bezog der Maler 1922 ein Atelier in Zürich. 1923 war er wieder in Florenz, und von 1924 bis 1928
lebte und arbeitete er auf der süditalienischen Insel Lipari. Von 1930 bis 1937 nahm er seinen
Wohnsitz in Paris, danach ließ er sich in Zürich nieder, wo er mit ständig steigendem Erfolg
künstlerisch tätig wurde. Nach einer schweren Erkrankung 1957 jedoch glitt der Maler in die
Depression; sein künstlerisches Schaffen kam weitgehend zum Erliegen. 1969 begab er sich in eine
Klinik in Zürich; hier starb er 1973. Gublers Werk war noch zu seinen Lebzeiten durch mehrere
Einzelausstellungen gewürdigt worden. 1959 verlieh ihm die Stadt Zürich den Kunstpreis. Durch
den Expressionismus geprägt, entwickelte Gubler vor allem während seiner Jahre auf Lipari einen
persönlichen Stil, indem er die Bildsujets zwar wirklichkeitsnah, doch visionär gestaltete. Seine
46
“Ottobrata” ist am besten zu übersetzen mit “Oktober-Fest”. Ein Gemälde des schwedischen Malers Carl Gustav
Hjalmar Mörner (1794-1837) zeigt eine solche Geselligkeit: Im Hintergrund erblickt man die Porta S. Paolo, die
Pyramide und die aurelianische Mauer, während im Vordergrund vor einem ländlichen Haus Bauern und Frauen am
gedeckten Tisch schmausen; andere vergnügen sich im Tanz. Zu dem Bild in Privatbesitz siehe den Katalog der Galerie
Paolo Antonacci, Vedute di Roma fine XVIII-inizio XX secolo. Rom 2000, Kat.-Nr. 6 (Öl auf Leinwand, 93 x 136 cm,
bezeichnet Mörner Roma 1825).
47
Dazu siehe Maurer (wie oben zitiert), S. 22. Zum protestantischen Friedhof in Rom siehe Chiara di Meo, La Piramide
di Caio Cestio e il cimitero acattolico del Testaccio. Trasformazione di un’immagine tra vedutismo e genius loci. Rom
2008.
48
Johann Wolfgang von Goethe, Werke. 1. Abteilung, Band 1, S. 242.
21
Palette war von Helligkeit geprägt; erst in seinen letzten Jahren verdunkelten sich die Farben des
Malers.
Gublers Gemälde mit der römischen Pyramide (siehe Abb. 14)49 ist von besonderem Interesse, da
nur wenige Bilder des Künstlers mit Motiven der Ewigen Stadt überliefert sind. Zwei Ansichten des
Forum Romanum und des Kolosseums belegen Aufenthalte in Rom 1927 und 1928;50 im letzteren
Jahr entstand auch unser Gemälde. Der Betrachter erblickt die Pyramide und das anschließende
Stadttor. Links grenzt eine dunkle Mauer den protestantischen Friedhof ab, dessen Baumkronen
sich darüber erheben. Rechterhand erscheint ein Stück der aurelianischen Mauer, angedeutet sind
weitere Gebäude zu erkennen.
Das mit pastosen Pinselstrichen schnell ausgeführte Bild ist ganz in den hellen, leuchtenden Farben
gehalten, die für Gublers italienische Periode typisch sind. Über der Pyramide öffnet sich ein blauer
Himmel, vor ihr erscheint, einförmig leer belassen, der „Piazzale Ostiense“ in hellem Sonnenlicht.
Die indifferenzierten Farbflächen des Himmels und des Platzes umschließen den Bereich der
Pyramide und der Stadtmauer wie eine Klammer; sie lösen die Monumente aus ihrer örtlichen
Verankerung und versetzen sie in eine Zone der Raumlosigkeit. Auf dem leeren Platz erscheint
klein die Figur eines Mannes, in die Betrachtung der Pyramide versunken – auch er steht in einem
Nicht-Raum, einem Fleck aus Licht, aus dem heraus er seine eigene Existenz zu der des
jahrhundertealten Grabmonuments in Beziehung setzt. Doch wo der Raum negiert wird, existiert
auch keine Zeit: Dies ist der entscheidende Schritt, der die Malerei des 20. Jahrhunderts über die
Vedutisten vergangener Jahrhunderte hinausführt.
Erinnern wir uns an Conrad Zellers Darstellung des Kolosseums, unter dessen machtvollen Bögen
dem Betrachter die Flüchtigkeit der menschlichen Existenz vor Augen geführt wird (siehe Kapitel
5): Konfrontiert mit den steingewordenen Jahrhunderten des antiken Amphitheaters, verliert das
einzelne Individuum zwangsläufig an Bedeutung. Max Gubler ändert die Prämissen, indem er die
Zeit an sich in Frage stellt. Ein einzelner Mensch und ein uraltes Bauwerk stehen voreinander an
einem ins Licht entrückten Nicht-Ort, an dem Alter, Geschichte und Tradition ihre Bedeutung
verlieren. An ihre Stelle tritt die Empfindung von Leichtigkeit und Helligkeit, die den Maler im
Moment des Schaffens bewegte und die zweifellos auch den stehenden Mann vor der Pyramide
erfüllt – den antiken Monumenten, so könnte man die Figur interpretieren, setzt er seine
Lebenskraft entgegen, gebündelt in jenem einzelnen, roten Pinselstrich, der wie ein Akzent über
seinem Oberkörper liegt. Solcherart beinhaltet das Gemälde genau die entgegengesetzte Botschaft
wie Zellers Ansicht des Kolosseums: Es ist der einzelne Mensch, der zählt, und das mutige Rot im
Herzen der kleinen Figur, die sich von der Größe und Bedeutung des steinernen Grabmonuments
nicht überwältigen lässt sondern in Sonnenlicht und Helligkeit ihr eigenes Selbst behauptet,
erscheint dem Betrachter wie der Triumph des Lebens über den Tod. - Das Gefühl dieser
Lebendigkeit, gebunden an die Leuchtkraft der Farben, verlor Gubler nach 1957 in der Schwärze
der Depression. Der Himmel über der Zürcher Klinik, in der er die letzten Jahre seines Lebens
verbrachte, wird für den Maler wohl nur noch ein dunkler gewesen sein.
Kapitel 9
49
Max Gubler, “Blick auf die Pyramide und die Porta S. Paolo in Rom”. Öl auf Leinwand, 70 x 90 cm. Nr. 197 des
Werkkatalogs.
50
Max Gubler, “Blick auf das Forum Romanum”. Privatbesitz, Öl auf Leinwand, 90 x 105 cm, bezeichnet M. Gubler;
ausgeführt im November oder Dezember 1927. Nr. 168 des Werkkatalogs. Max Gubler, “Blick auf das Kolosseum”.
Zürich, Kunsthaus Zürich, Inv.-Nr. 1971/29. Öl auf Leinwand, 73 x 92 cm, bezeichnet M. Gubler 28. Nr. 194 des
Werkkatalogs.
22
Die „Isola Tiberina“
Von der Pyramide des Caius Cestius ist es nicht weit zum Tiber, dem der Reisende nun
stromaufwärts folgt. So gelangt er zu einem weiteren geschichtsträchtigen Ort der Ewigen Stadt, der
„Isola Tiberina“, die in dem Gemälde eines unbekannten Künstlers um 1850 dargestellt ist (siehe
Abb. 15).51 Die schmale und niedrige Insel – sie ist 300 m lang und nur 80 m breit – erinnert in
ihrer Form an einen beladenen Lastkahn, und dies bildet wahrscheinlich den Ursprung der antiken
Legende, derzufolge hier das Schiff des von Epidauros nach Rom reisenden Gottes der Medizin,
Äskulap, im Tiber versunken wäre. Tatsächlich war die „Isola Tiberina“ in der römischen Antike
dem Äskulap geheiligt, dessen Kult in Rom 291 v. Chr. eingeführt worden war. 289 v. Chr. wurde
ihm hier ein Tempel errichtet. Dem Kult des Äskulap verdankt die Insel auch ihre architektonische
Gestaltung: Durch eine wahrscheinlich schon im ersten vorchristlichen Jahrhundert angebrachte
Verkleidung der Ufer mit großen Travertinblöcken erhielt das Eiland die Form eben jenes Bootes,
mit dem der Gott den Strom heraufkam; noch heute zu erkennen sind der Bug, das Heck und die
Seitenwände. In der Mitte der Insel erhob sich ursprünglich ein Obelisk, der den Hauptmast des
Schiffes symbolisierte. Auf der Insel befindet sich seit 1548 ein Krankenhaus, das vom Orden der
Fatebenefratelli geführt wird. Dem Krankenhaus gegenüber zeugt ein mittelalterlicher Turm, die
„Torre dei Caetani“, als einziger Rest von einem Kastell aus dem 11. Jahrhundert, das im 13.
Jahrhundert an die Familie der Caetani übergegangen war. Daneben befindet sich schließlich die
Kirche des Heiligen Bartholomäus „de insula“, die Otto III. am Ende des 10. Jahrhunderts über den
Ruinen des antiken Äskulap-Tempels errichten ließ. Ihre heutige Form verdankt sie
Restaurierungen aus den Jahren 1624 und 1852.
Unser Bild zeigt einen Blick auf den „Bug“ der Isola Tiberina, dessen spitz zulaufende
Travertinverkleidung deutlich zu erkennen ist. Hier befindet sich die Kirche S. Bartolomeo, deren
romanischer Campanile aus dem 12. Jahrhundert hoch über die Dächer ragt. Rechts daneben
erscheint die „Torre dei Caetani“, dahinter ist das Krankenhaus vorzustellen. Die Insel ist durch
zwei Brücken mit dem Festland verbunden, deren eine, der 62 v. Chr. von dem „Curator Viarum“
L. Fabricius erbaute „Ponte Fabrizio“ (auch genannt „Ponte quattro Capi“) zu den ältesten noch
erhaltenen Brücken Roms zählt. Sie führt rechts von der Insel zum Tiberufer; gut im Bild zu
erkennen sind die beiden großen Bögen, zwischen denen ein dritter, kleiner Bogen das Mauerwerk
des Mittelpfeilers öffnet. Die zum linken Ufer führende Brücke wurde 16 Jahre später von dem
„Curator Viarum“ Caius Cestius (vielleicht identisch mit dem Erbauer der Cestius-Pyramide)
errichtet; ihre heutige Form geht auf eine Restaurierung aus den Jahren von 1885 bis 1889 zurück.
Davor erscheint die Ruine einer weiteren Brücke, genannt „Pons Aemilius“, die den Tiber kurz vor
der „Isola Tiberina“ überspannte: Besser bekannt als „Ponte Rotto“, war die antike Brücke nach
ihrem Einsturz im 16. Jahrhundert restauriert worden. Heute existiert nurmehr ein einziger Bogen,
der das Wappen Papst Gregors XIII. – einen Drachen – trägt. Am rechten Bildrand ist der „Tempio
della Fortuna Virile“ zu sehen, der ursprünglich wohl dem Flussgott Portunus geweiht war und aus
dem 2. vorchristlichen Jahrhundert stammt. 872 wurde der Tempel in eine der Madonna geweihte
Kirche umgewandelt: Diesem Umstand verdankt er wahrscheinlich seine Erhaltung bis in neuere
Zeiten. Links im Bild erblickt man die Häuser des Stadtteils Trastevere, und in der Ferne schließlich
erhebt sich der Hügel des Gianicolo.
Über die Gebäude Trasteveres ragt ein weiterer mittelalterlicher Turm mit einem charakteristischen,
schrägen Dach empor: Die „Torre degli Alberteschi“. Die beiden in der Vedute dargestellten Türme
(von denen heute nur noch die „Torre Caetani“ existiert) erinnern den Betrachter daran, dass in
Rom auch in den „dunklen“ Jahrhunderten nach dem Fall des römischen Reichs bedeutende
architektonische Aktivitäten entfaltet wurden, wenn diese auch – so zumindest Fanny Lewalds
51
Unbekannter Künstler, “Blick auf die Tiberinsel in Rom”. Öl auf Leinwand, 33,5 x 49,3.
23
Gatte Adolf Stahr – von teutonischer Kampfeslust inspiriert waren. Der Schriftsteller informiert in
einem Brief vom 3. Februar 1867:
„Im Mittelalter konnte Rom die Stadt der Thürme heißen. Sein neuester Geschichtsschreiber [damit
ist Stahrs Freund Gregorovius gemeint] lehrt uns, daß es in der Mitte des 13. Jahrhunderts über
neunhundert solcher Thürme zählte, unter ihnen mehr als dreihundert Festungsthürme der
römischen Baronalfamilien, errichtet theils auf den alten Monumenten, Grabmälern, Tempeln,
Siegesbogen und Amphitheatern, theils mit den Materialien derselben emporgethürmt. Von ihnen
herab, zum Theil in nächster Nähe, befehdeten sich die Inhaber dieser Schutz- und Trutzburgen,
zumeist deutscher Abkunft, und daher von unermüdlicher Rauflust und Wildheit, Jahrhunderte lang
in fast ununterbrochenen Kämpfen.“52
Das rechte Tiberufer wird schließlich von den Häusern des Ghettos gesäumt, des römischen
Judenviertels, das den Juden in der Hauptstadt des katholischen Glaubens vom 16. bis zum 19.
Jahrhundert als Wohnraum zugewiesen war. Heute erhebt sich hier die zwischen 1899 und 1904
erbaute Synagoge, doch in unserem Gemälde ist nur die Kuppel von S. Carlo ai Catinari zu sehen,
die gleichermaßen mahnend wie triumphierend das Häusergewirr des Ghettos überragt. Die dicht
gedrängten Dächer lassen die Enge ahnen, in der die Bewohner des Judenviertels hausen mussten.
Ferdinand Gregorovius, der dem Ghetto 1853 ein ausführliches Kapitel widmete, informiert:
„Gegenwärtig berechnet man die Gesammtzahl der Ghettobevölkerung auf 3800 Menschen, eine
unverhältnismäßig große Menge, bei dem kleinen Raum des Ghetto, welcher an Flächenausdehnung
weniger beträgt als der fünfte Teil irgendeines Städtchens von 3000 Seelen.“53 Darüber empörte
sich auch Adolf Stahr, der die herrschenden Zustände am 27. Januar 1867 mit heftigen Worten
anprangerte:
„Der Name Ghetto soll arabisch sein und Enge bedeuten […], und eine ‘drangvoll fürcherliche
Enge’ ist es allerdings, in welche hier tausende von menschlichen Wesen durch die erbarmungslose
Intoleranz zusammengekeilt sind […]. Ein riesiger Käse von Maden durchwimmelt ist kein
besonders ästhetisches Bild, aber doch das einzige, welches ich für dieses von Unrath und Gestank
aller erdenklichen Art erfüllte Ghetto im Augenblicke zu finden vermag, in welchem nahezu eine
Bevölkerung von fünftausend Juden auf einem Raume und in Wohnungen hausen, die selbst für den
dritten Theil einer solchen Zahl engzugemessen sein würde.“ Dennoch waren es dem Schriftsteller
zufolge gerade die Juden, die man am ehesten als „echte Römer“ bezeichnen konnte. Die Stadt
selbst mit ihren Monumenten war verfallen und untergegangen,
„Aber diese römischen Juden sitzen noch auf derselben Stelle an dem lehmgelben Tiberstrome, wo
sie zu Cicero‘s und Cäsar‘s Zeiten gehauset; und während schwerlich in den Römern der heutigen
Stadt ein Tropfen alten Römerbluts vorhanden ist, sind die Bewohner des Ghetto die ächten
Nachkommen ihrer von Horaz und Juwenal verspotteten Väter, sind sie die Abkömmlinge
derselben Volksgenossen, die einst dem Triumphe des Kaisers Titus, des Zerstörers von
‚Jeruschalajim‘ weinend zuschauten, als die Bundeslade und die Schaubrote und der riesige
siebenarmige Goldleuchter des Tempels im Triumphe von den römischen Legionssoldaten
einhergetragen wurden.“54 Der Leuchter schließlich, so überliefert Stahr eine alte jüdische Legende,
sei von Kaiser Maxentius auf der Flucht vor dem siegreichen Konstantin von der milvischen Brücke
hinab in den Tiber geworfen worden, wo er heute noch ruhe – ein Ort, dem auch wir auf einer
weiteren Wanderung begegnen werden (siehe Kapitel 13).
52
Stahr und Lewaldt (wie oben zitiert), S. 206.
Ferdinand Gregorovius wie oben zitiert, S. 43.
54
Ebenda, S. 160.
53
24
Auch ein anderes Bild (siehe Abb. 16)55 in der Sammlung des Hotels Victoria zeigt die Tiberinsel,
wenn auch von einem weit entfernten Standpunkt. Johann Jakob Frey (Basel 1813-Rom 1865)
präsentiert einen Blick auf den Tiber von einem Standpunkt auf dem Palatin, auf dessen zum Forum
gewandter Seite die „Orti Farnesiani“ gelegen sind (zu diesen siehe Kapitel 5). Frey kann als einer
der wichtigsten Landschaftsmaler in Rom um die Mitte des 19. Jahrhunderts bezeichnet werden. Er
erreichte die Ewige Stadt 1836 und ließ sich zunächst in der Via di Sant’Isidoro, unweit der Piazza
Barberini nieder. 1841 zog er in die Via Capo le Case um. Zwischen 1836 und 1839 unternahm
Frey zahlreiche Reisen u. a. nach Nepi, Tivoli, Velletri, Spoleto, Assisi, Neapel, Baja, Capri und
Capua; eine lange Sizilienreise folgte. In Neapel wurde der Maler mit der sogenannten „scuola di
Posillipo“ bekannt: Im Zentrum dieser Künstlergruppe standen der niederländische Maler Antonio
Sminck Pitloo (1791-1837) und sein Schüler Giacinto Gigante (1806-1876), die einen neuen Stil
der Landschaftsmalerei „en Plein-Air“ entwickelt hatten. Unter ihrem Einfluss perfektionierte Frey
die Freiluftmalerei. 1842 schloss der Künstler sich einer von dem preußischen Archäologen Karl
Richard Lepsius geleiteten Expedition nach Äthiopien an und hielt sich auf dem Rückweg im Jahr
danach in Griechenland auf; von 1848 bis 1849 finden wir ihn in Spanien. Ab 1849 ließ Frey sich
schließlich dauerhaft in Rom nieder. Sein 1858 bezogenes Atelier in der Via del Babuino Nr. 9
wurde ein Treffpunkt ausländischer Rom-Besucher und Auftraggeber; unter den Käufern seiner
Bilder waren auch Ludwig I. von Bayern und der preußische König. Nicht zuletzt war Frey ein
wichtiges Mitglied der deutschsprachigen Künstlergemeinschaft in Rom, er war Stammgast im
Caffè Greco (zu diesem siehe Kapitel 1). Der Maler starb 1865 an den Folgen des Typhus, den er
sich wahrscheinlich in den Pontinischen Sümpfen zugezogen hatte. Er wurde auf dem
protestantischen Friedhof an der Cestius-Pyramide, begleitet u. a. von seinem Freund Ferdinand
Gregorovius, zur letzten Ruhe gebettet; auf seinem Grabmonument erscheint sein Bildnis im Profil
(zu dem Friedhof siehe Kapitel 8).56
Von Frey sind diverse Ansichten Roms und des Tibers von den umgebenden Hügeln bekannt.57
Unser Bild, 1858 entstanden, zeigt im Mittelgrund zwischen Bäumen und Strauchwerk die Ruinen
der antiken Kaiserpaläste. Gleichermaßen eingerahmt von den Ästen zweier schlanker Bäume links
und der üppigen Krone einer Schirmpinie rechts erscheint sodann in der Ferne, genau im
Bildmittelpunkt, die Vedute Roms: Man erblickt den Tiber, an dessen Ufer der runde Vesta-Tempel
aus dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert zu sehen ist (zu diesem siehe Kapitel 10); neben ihm
befindet sich (allerdings im Bild verborgen) der „Tempio della Fortuna Virile“, der im zuvor
betrachteten Gemälde rechts im Vordergrund zu erkennen war. Die hohe Fassade rechts daneben
gehört zu der Kirche S. Anastasia, am Circo Massimo gelegen. Hinter dem Vesta-Tempel
erscheinen der „Ponte Rotto“ und schließlich die „Isola Tiberina“. Links schließt die CestiusBrücke an. Deutlich zu erkennen sind die Häuser Trasteveres am linken Tiberufer, aus denen der
mittelalterliche Turm der Alberteschi emporragt. Der Campanile daneben gehört zu der Kirche S.
Cecilia. Etwas weiter flussaufwärts wird der Tiber von einer weiteren Brücke überspannt, dem
„Ponte Sisto“. Rechts erhebt sich über dem Dächergewirr die Kuppel von Sant’Andrea della Valle.
Am Horizont schließlich erscheint die große Kuppel von Sankt Peter, vor der die Gebäude des
Vatikans zu erkennen sind.
Weist sich das Gemälde solcherart auch als exaktes „Portrait“ der Stadt aus, so handelt es sich doch
in erster Linie um ein Landschaftsbild und erst in zweiter um eine Vedute. Das Hauptaugenmerk
des Malers galt zweifellos der reichen Vegetation, die die antiken Ruinen überwucherte (und deren
55
Johann Jakob Frey, “Blick auf Rom und den Tiber vom Palatin”. Öl auf Leinwand, 30 x 36 cm, bezeichnet J. j. Frey /
Roma 1858.
56
Zu Freys Biographie siehe ausführlich den Beitrag im Ausstellungskatalog Rom 2001 (wie oben zitiert), S. 255-256.
Zu Frey siehe weiterhin den Katalog Johann Jakob Frey (1813-1865) tra l’Italia e l’oriente. Hrsg. von Fernando
Mazzocca und Lela Djokic. Rom, Galleria Campo dei Fiori 1994.
57
Siehe z. B. einen “Blick auf Rom und den Tiber von der Camilluccia”, Privatbesitz, Öl auf Leinwand, 98 x 135 cm,
bezeichnet J. J. Frey Roma 1858. Dazu siehe den Ausstellungskatalog Rom 2005 (wie oben zitiert), Kat.-Nr. 22.
25
Beschneidung Fanny Lewald 1867 beklagte, siehe Kapitel 5): Große Kakteen wachsen neben
niedrigen Büschen, links entsprießt eine kleine Palme einem Grasbüschel, hinter den Schirmpinien
erblickt man eine Gruppe von Zypressen, und grünes Strauchwerk bedeckt fast überall den braunen
Erdboden. Ein klarer Himmel, vom Morgenlicht golden gefärbt, überwölbt die üppige Vegetation.
Das Bild konfrontiert die Ruinen des antiken Roms, verfallen und von der Natur zurückerobert, mit
der bewohnten, zeitgenössischen Stadt, über der wiederum die allgegenwärtige Kuppel von St.
Peter dominiert. Bereits mehr der himmlischen Sphäre denn der sich davor bzw. darunter
ausbreitenden Stadt angehörend, scheint die Kuppel der Peterskirche das eigentliche Zentrum des
Gemäldes zu sein – die Kirche, so könnte man die Darstellung interpretieren, triumphiert nicht nur
über das antike Rom, das der Natur anheimgefallen ist, sondern garantiert auch den Fortbestand der
Ewigen Stadt in modernen Zeiten, in denen sie unter den Päpsten zu neuem Glanz geführt worden
war. Von dem Gemälde existiert schließlich eine zweite Version, deren Details leicht verändert
sind; dieses Bild trägt die Signatur des Malers, „J. J. Frey“.58
Kapitel 10
Der Vesta-Tempel und der Janus-Bogen
Erneut an die Ufer des Tibers führt das Gemälde eines unbekannten Künstlers aus dem 18.
Jahrhundert (siehe Abb. 17).59 Es zeigt im linken Hintergrund ein kompaktes römisches Monument,
dessen Seitenwände durch hohe Bögen geöffnet sind. Hier handelt es sich um den sogenannten
Janus-Bogen, auch bekannt als „Giano Quadrifronte“, ursprünglich eine überdachte Passage mit
vier Ausgängen, die den römischen Händlern Schutz vor dem Wetter bot und als Treffpunkt diente.
Der Janus-Bogen stammt aus konstantinischer Zeit; er wurde im Mittelalter von der Familie der
Frangipani in eine kleine Festung umgebaut.
Das Monument befindet sich in unmittelbarer Nähe zu der Kirche S. Maria in Cosmedin auf dem
„Forum Boarium“, dem ehemaligen römischen Rindermarkt, schräg gegenüber den Tempeln der
Fortuna Virile und der Vesta. Letzteren vermeint der Betrachter im Vordergrund des Gemäldes zu
erblicken, wo sich (nur zur Hälfte sichtbar) ein Rundtempel erhebt. Bei genauem Hinsehen kommen
jedoch Zweifel auf: Der sogenannte Tempel der Vesta, ein eigentlich dem siegreichen Herkules
geweihter Rundbau aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert, war schon im Mittelalter in eine Kirche
umgewandelt worden. Eine Radierung Giovanni Battista Piranesis60 zeigt ihn mit einem oben spitz
zulaufenden, mit Schindeln gedeckten Dach, auf dem ein kleiner Glockenturm aufsitzt. Das Dach
wird von den Kapitellen selbst getragen, da der Architrav fehlt. Die Säulenschäfte ragen direkt und
ohne Basis oder Unterbau aus der Erde; sie stehen nicht frei (wie diejenigen in unserem Bild),
sondern sind durch Mauerwerk miteinander verbunden. Die Wände sind durch Fenster geöffnet.
Heute präsentiert sich der Tempel wieder in seiner antiken Form; nur das mittelalterliche Dach ist allerdings seines Glockenturmes beraubt - noch vorhanden.
58
Das Bild in Privatbesitz wird veröffentlicht von Pier Andrea de Rosa und Paolo Emilio Trastulli 2004 (wie oben
zitiert), Tafel 120, ohne Maßangaben. Es wird hier fälschlich bezeichnet als “Blick auf Rom von den CaracallaThermen”.
59
Unbekannter Künstler, “Blick auf den Vesta-Tempel und den Janus-Bogen”. Öl auf Leinwand, 45 x 45 cm.
60
Maurizio Marini, Le vedute die Roma di Giovanni Battista Piranesi. Rom 1989, Tafel 50. Eine 1787 datierte
Zeichnung eines unbekannten Künstlers zeigt den Tempel ebenfalls in dieser Form, zusätzlich erkennt man kleine, auf
das Dach aufgesetzte Schornsteine (Rom, Gabinetto Comunale delle Stampe. Feder und Aquarell, 16 x 24,1 cm,
bezeichnet Vue du Temple de Vesta pres l’école greque à Rome au 1787. Dazu siehe den Ausstellungskatalog
Dortmund 1994, wie oben zitiert, Kat.-Nr. 68).
26
Dem Betrachter wird klar, dass der Tempel unseres Gemäldes ein anderes Vorbild gehabt haben
muss. Tatsächlich handelt es sich hier nicht um den römischen Vesta-Tempel sondern um einen
ähnlichen antiken Rundbau, den Tempel der Sybille in Tivoli, der sich bei den Malern des 18.
Jahrhunderts einer großen Beliebtheit erfreute (zu ihm siehe Kapitel 15). Unser unbekannter
Künstler übertrug den Tempel mit kleinen Ungenauigkeiten ins Bild; so verzichtete er z. B. auf die
Kannelierungen der Säulen und ließ das Gesims des Daches zu weit vorkragen. Deutlich zu
erkennen ist jedoch der Bukranion-Fries des Architravs mit hängenden Festons und Rinderköpfen,
der dem Sybillen-Tempel in Tivoli eigen ist. Auch die freistehenden Säulen wurden von dem
tiburtinischen Tempel übernommen.61
Der Rundtempel unseres Gemäldes ist von Wasser umgeben, das sich bis zum Janus-Bogen im
Hintergrund erstreckt. Angesichts dieser Tatsache kommen dem Betrachter Zweifel, ob das
Gemälde mit den beiden römischen Monumenten nicht vollständig erfunden sei: Es könnte sich um
ein Architektur-Capriccio handeln, in dem zwei dem Maler interessant erscheinende Ruinen in
einem neuen Zusammenhang miteinander kombiniert worden sind. Unerwarteterweise ist es jedoch
gerade die Präsenz des Wassers, die die Annahme, es sei hier das Nebeneinander von Vesta-Tempel
und Janus-Bogen gemeint, erhärtet. Tatsächlich ist unmittelbar hinter dem Vesta-Tempel der Tiber
vorzustellen, in den hier auch ein Abfluss der „Cloaca Maxima“, des antiken römischen
Abwassersystems, mündete. Um den Janus-Bogen selbst erstreckte sich in der Antike ein
Sumpfgebiet, woran der Name der neben dem Bauwerk gelegenen Kirche S. Giorgio in Velabro
erinnert; in diesem „velabrum“ (so die antike Bezeichnung des Sumpfes) waren der Sage nach
Romulus und Remus gefunden worden. Noch in nachantiken Zeiten war die ganze Gegend des
„Forum Boarium“ von häufigen Überschwemmungen heimgesucht, und eine solche hat der Maler
unseres Bildes bei seiner Darstellung wahrscheinlich vor Augen gehabt. Im Vordergrund erblickt
man eine Frau, die, einen Korb auf dem Kopf und ein Gefäß in der Hand, unschlüssig auf das
Wasser hinabblickt – vielleicht um davon zu schöpfen, vielleicht auch in der Absicht, es zu
durchwaten. Auf dem Sockel des Tempels befinden sich ein Mann und eine weitere Frau, die auf
dem antiken Monument gleichsam gestrandet sind und nun vielleicht auf das Zurückweichen der
Wassermassen warten.
Ferdinand Gregorovius teilt in seiner „Geschichte des Tiber-Stromes“ 1876 mit, dass es im 18.
Jahrhundert fünf größere Überschwemmungen gegeben habe; die letzten beiden fielen auf die Jahre
1772 und 1780. Es wäre durchaus denkbar, dass unser Bild durch eine dieser beiden Fluten
inspiriert wurde, wenn der Künstler es auch vorzog, anstelle des Vesta-Tempels – der ihm vielleicht
mit seinem erneuerten Dach nicht mehr „antik“ genug erschien – den Sybillen-Tempel aus Tivoli
darzustellen.
Gregorovius erläutert in seinem Aufsatz die verschiedenen großen Überschwemmungen, die Rom
im Laufe der Jahrhunderte heimsuchten, und die diversen Projekte, Abhilfe zu schaffen. Diese
stießen jedoch nicht überall auf Beifall, wie man den einleitenden Worten des Historikers
entnehmen kann:
„Einen Augenblick lang war die gebildete Welt durch den Gedanken in Schrecken gesetzt, daß der
Tiber aus Rom verschwinden werde, daß an Stelle seiner geheiligten Flut, die in sanften Windungen
unter sechs alten Brücken daherrauscht und einen Teil der erhabenen Stadt durchzieht, nichts
anderes mehr sichtbar sein werde als ein magerer Bach, oder ein verschlammtes Rinnsal, oder ein
aufgeschütteter Weg mit langweiligen Häuserreihen zu beiden Seiten. Dieses ungeheure oder, wie
es heute in Rom selbst genannt wird, dieses fanatische Project war dem großen Julius Cäsar von
Garibaldi entlehnt worden. Nachdem der tapfere General die titanischen Kämpfe seines Lebens
61
Man vergleiche die Darstellung z. B. mit einer Radierung Piranesis aus der Sammlung der Vedute di Roma (siehe
Marini, wie oben zitiert, Tafel 63.
27
beendigt hatte, Kämpfe mit den Ungeheuern der Tyrannei, welche sein schönes Vaterland
verwüsteten, kam er nach Rom, seine letzte Herculesarbeit zu verrichten, nämlich die Bezwingung
des nie, selbst nicht von den Cäsaren, überwundenen Flußgottes Tiber.“
Anstelle der radikalen Lösung, den Tiber umzuleiten, wurde schließlich der Entschluss gefasst, die
Ufer zu befestigen und Uferstraßen – die modernen „Lungotevere“ – anzulegen. Mit einem solchen
Kompromiss konnte Gregorovius sich schon eher anfreunden:
„Es scheint übrigens, daß Garibaldi seinen Plan am Ende selbst darauf beschränkte, die
Wassermassen des Tiber nur zu vermindern, den Fluß also nicht ganz aus Rom zu nehmen, sondern
ihn, nach höchstmöglicher Abmagerung, unter den Brücken fortrinnen zu lassen, seine Ufer aber
mit Quais einzufassen. Das Project eines Lungo Tevere, welcher vom Platz del Popolo bis zur
Engelsbrücke fortführen soll, ist in Rom sehr beliebt. Es würde, wenn es mit Großartigkeit und mit
dem Aufwande ungezählter Millionen durchgeführt werden könnte, die Stadt mit einem
unvergleichlichen Schmuck versehen.“
Dennoch konnte sich der Historiker einiger Befürchtungen nicht enthalten:
„An Stelle dieses classisch gewordenen Ufers möchte ich keinen steinernen, geradlinig
abgemessenen, langweiligen Lungo Tevere sehen. Es war überhaupt dieses stete Hereinragen
ländlicher Natur, der stets hereinwehende Hauch der römischen Campagna-Wildniß, was der Stadt
Rom bisher einen unvergleichlichen Reiz gegeben hat. Die Schönheit des Tibers, soweit er Rom
durchfließt, besteht in seiner Schlangenlinie. Aber diese Krümmungen, welche die
architektonischen Gruppen der Stadt so malerisch und so vielfältig machen, sind es gerade woran
man den Fluß jetzt fassen will […] Also wird man dem Pater Tiberinus, nachdem er sich zur Not
vor den Schleußen und Dämmen Garibaldi’s gerettet hat, dennoch hier zu Leibe gehen.“62
Gregorovius wäre beruhigt, könnte er sehen, dass der Tiber nach wie vor seinen geschlungenen
Lauf durch Rom nimmt. Die „langweiligen“ Uferstraßen jedoch wurden gebaut, so dass Szenen wie
diejenige im Gemälde des unbekannten Künstlers heute nicht mehr zu finden sind.
Kapitel 11
Die Engelsburg und die Engelsbrücke
Folgt man den Windungen des Tibers stromaufwärts, so gelangt man zur wohl berühmtesten Brücke
Roms, der sogenannten „Engelsbrücke“, die zur gleichnamigen Burg, dem „Castel Sant‘Angelo“
am westlichen Tiberufer hinüberführt. Bei diesem grandiosen Bauwerk handelt es sich eigentlich
um das Mausoleum des Kaisers Hadrian, um 123 n. Chr. begonnen und 139 n. Chr. vollendet. Das
Monument besteht aus einem quadratischen Unterbau von 89 m Seitenlänge und 15 m Höhe, auf
dem sich ein über 20 m hohe Rundbau erhebt. Darüber war ursprünglich ein mit Zypressen
bepflanzter Erdhügel angebracht, auf dessen Gipfel wiederum ein quadratischer Sockel stand. Die
zwischen 133 und 134 angelegte Brücke diente als Zugang zum Mausoleum; von ihrer
ursprünglichen Form zeugen heute nur noch die drei mittleren Bögen.
Im Laufe der Jahrhunderte wurde das Mausoleum vielfach umgebaut und erweitert: Im 13.
Jahrhundert wurde es durch einen gedeckten Gang (den „passetto“) mit dem vatikanischen Palast
verbunden, und im 15. Jahrhundert wurden Bastionen, Depots im Inneren und Wohnräume
62
Gregorovius 1953 (wie oben zitiert), S. 227.
28
angelegt, in denen sich die Päpste in Zeiten der Gefahr aufhielten.63 Die Engelsburg diente
weiterhin als Gefängnis; so schmachteten hier im 16. Jahrhundert der Bildhauer Benvenuto Cellini
(1500-1571) und der Naturforscher Giordano Bruno (1548-1600). Im 18. Jahrhundert wurde der
Abenteurer Giuseppe Balsamo, selbsternannter Graf Cagliostro (1743-1795) in einem der Verliese
eingekerkert.
Der Name „Engelsburg“ schließlich geht der Legende nach auf eine im Jahr 590 von Papst Gregor
dem Großen veranstaltete Prozession zurück, während derer um die Beendigung einer PestEpidemie gebetet wurde: Auf den Zinnen der Burg, so die Sage, erschien der Erzengel Michael und
verkündete das Ende der Seuche. Auch die Brücke verdankt ihre Bezeichnung diesem Ereignis;
unter Papst Clemens IX. wurde sie mit zehn Statuen von Engeln geschmückt, die von Schülern bzw.
Nachfolgern Gianlorenzo Berninis (1598-1680) ausgeführt wurden.
Das um 1850 entstandene Bild von Vincenzo Giovannini64 (zu ihm siehe Kapitel 3) zeigt einen
Blick auf die Engelsburg und –brücke von einem Standpunkt auf dem linken Tiberufer aus
genommen (siehe Abb. 18).65 Man erblickt im Mittelgrund das Kastell und die über den Tiber
führende Brücke; im Hintergrund erhebt sich die Kuppel von St. Peter. Direkt hinter der Brücke
erkennt der Betrachter ein helles, langgestrecktes Gebäude, über dem links eine oktagonale Kuppel
aufragt: Hier handelt es sich um die Kirche S. Spirito in Sassia mit dem dazugehörigen „Ospedale“,
deren heutige Form auf das 16. Jahrhundert zurückgeht. Rechts hinter der Brücke befindet sich eine
weitere Kirche, S. Maria in Traspontina; dahinter wiederum erheben sich die Gebäude des Vatikans.
Am linken Bildrand schließlich stehen dicht gedrängt die Häuser des Stadtteils Tor di Nona, die
1889 im Zuge der Erbauung der Uferstraßen des Tibers abgerissen wurden. Das mittlere der
Gebäude beherbergte das „Teatro Tordinona“: Hier handelte es sich um das erste öffentliche
Theater Roms, das 1671 von dem Architekten Carlo Fontana (1634/38-1714) aus Holz im Auftrag
des Grafen Giacomo d’Alibert, Sekretär der Königin Christina von Schweden, errichtet worden
war. Das Theater wurde schon 1675 und noch einmal 1733 restauriert; nach einem Brand 1781
wurde es in „Teatro Apollo“ umbenannt. Noch 1829 führte Giuseppe Valadier (1762-1839)
umfangreiche Restaurierungen aus. Wie man von Ferdinand Gregorovius erfährt, wurde hier 1853
Giuseppe Verdis „Trovatore“ uraufgeführt.66 Heute kündet nur noch ein Gedenkstein am
Lungotevere von seiner Existenz – über die Jahrhunderte erhalten als Ort römischer
Schauspielkunst, musste das Theater den Bedürfnissen des modernen Verkehrs weichen.
Die Engelsburg schließlich wurde ein Mal im Jahr zum Schauplatz eines der größten Spektakel, das
Rom seinen Einwohnern und Besuchern zu bieten hatte: Die sogenannte „Girandola“, ein
Feuerwerk, das von einer Vielzahl von Malern dargestellt und von Reisenden beschrieben wurde.
Einen eindrucksvollen Bericht gibt der Dichter und Novellist Franz von Gaudy (1800-1840), der in
den Jahren 1835 und 1839 Rom besuchte. Man liest:
„Die römische Nacht entfaltete die Fülle ihrer Reize […] Im schwarzglänzenden Sammtgewande,
und nur mit dem sanftleuchtenden Erachat des Halbmondes geschmückt, nahm sie die Huldigungen
63
Zu Darstellungen der Engelsburg im 18. Jahrhundert siehe den Ausstellungskatalog Dortmund 1994 (wie oben
zitiert), S. 200-203.
64
Die im Bild vorgestellte Vedute erfreute sich großer Popularität bei den Künstlern des 18. und 19. Jahrhunderts. Wir
finden sie sowohl im Werk Giuseppe Vasis (wie oben zitiert, Tafel 86) als auch Giovanni Battista Piranesis (siehe Le
vedute di Roma di Giovanni Battista Piranesi. Hrsg. von Maurizio Marini, Rom 1989, Tafel 23). Ein 1843 Gemälde von
Ippolito Caffi (1809-1866) zeigt denselben Blick wie das vorliegende Gemälde. Dieses wird ebenfalls um die Mitte des
19. Jahrhunderts zu datieren sein.
65
Vincenzo Giovannini, “Blick auf die Engelsburg”. Öl auf Leinwand, 25 x 31 cm, nicht bezeichnet. Zu dem Pendant
des Bildes, eine Ansicht des Forum Romanum, siehe Kapitel 3.
66
So Gregorovius in seinem 1853 geschriebenen Kapitel über “Römische Figuren” (wie oben zitiert, S. 95): “Das
Apollotheater ist das Opernhaus; in der Wintersaison brachte es den ‘Trovatore’ von Verdi.“
29
der zahllosen Menge an, welche die Brücke Sant’Angelo, die Piazza di Ponte, den Strand des Tibers
längs der Via di Tordinona und die für die Feier erbauten Balkone in gedrängten Haufen füllte. Der
runde Felskoloß, welchen Hadrian über seine Asche wälzen hieß, brütete stumm und düster über
seine feuerspeiende Rolle. […] Da zuckt der Kanonen Doppelblitz, und ehe noch das rollende
Krachen das Echo der nahen Berge geweckt, entladet sich der Zauber-Vesuv einer Flammengarbe
von tausend auf einen Wurf himmelansprühender Raketen, verdoppelt strahlend im Spiegel des
Tiberstroms, knatternd zerplatzend, in Funken herabsinkend. Rauschende Kaskaden stürzen ihre
glühenden Wogen von Stufe zu Stufe; die Namen der Heiligen Pietro e Paolo umfunkeln, ein blauer
Flammengürtel, das Riesengebäu; […] eine Sonne umspinnt in rollendem Kreislauf mit ihrer
prasselnden Strahlenglorie den erznen Engel der Burg; brausend zischt noch einmal ein Lavastrom
von Raketen zu den Sternen auf – und der Kanonen Gebrüll schließt das erhabene Schauspiel.“67
Die erste „Girandola“ hatte 1481 den Nachthimmel über der Engelsburg erhellt, und Gaudy war
einer der letzten glücklichen Zuschauer, dem dieses Spektakel vergönnt war. 1861 wurde das
Feuerwerk verlegt, und schon Ferdinand Gregorovius kam nicht mehr in seinen Genuss. Er
berichtet darüber:
„Ehedem stieg die Girandola am Tage nach der Beleuchtung des Sanct Peter vom Mausoleum des
Hadrian auf, jetzt aber vom Monte Pincio, über der Piazza del Popolo, gegen welche die Façade
dieses herrlichen Spazierganges gekehrt ist. Man sagt, daß sie auf dem hohen Castell einen weit
prächtigern Anblick gewährt habe, und das ist wol glaublich, weil sie von dort aus gleichsam über
die Stadt selbst sich erhob. Indeß macht die Girandola auch auf dem Monte Pincio eine über alles
Vorstellen zauberische Wirkung.“68 Heute erleuchten in Rom zu jeder Jahreszeit bei
verschiedensten Anlässen Feuerwerke die Nacht, doch können sie sich kaum mit der „Girandola“
messen – darin liegt wohl der Grund, warum die römische Stadtverwaltung in jüngster Zeit das
große Spektakel über der Engelsburg erneut veranstalten lässt.
Kapitel 12
St. Peter
Endlich nähert sich der Reisende dem Zentrum der katholischen Christenheit, der Basilika St. Peter,
errichtet über dem Grab des Apostels Petrus unter Konstantin dem Großen im 4. Jahrhundert. Ihre
heutige Form verdankt die Kirche den Entwürfen Bramantes (1444-1514), Raffaels (1483-1520),
Giuliano Sangallos (1443/45-1516) und Michelangelos, der die große Kuppel über das Querschiff
setzen ließ. Vor der Kirche öffnet sich weit die „Piazza S. Pietro“, der Petersplatz, in Form einer
240 m breiten Elypse, der von Gianlorenzo Bernini zwischen 1656 und 1667 entworfen wurde. An
der Front des Platzes präsentiert sich dem Besucher die großartige Fassade der Kirche; die beiden
halbrunden Seiten werden von zwei Portiken flankiert, die aus einer vierfachen Reihe dorischer
Säulen bestehen. Die 284 Säulen umschreiben jeweils drei Gänge, deren mittlerer der breiteste ist;
88 Pilaster treten ihnen zur Seite. Auf dem oben umlaufenden Gebälk sind 140 Heiligenstatuen
angebracht. In der Mitte der „Piazza“ erhebt sich zwischen zwei 14 m hohen Springbrunnen ein
Obelisk, der unter dem römischen Kaiser Caligula im Jahr 37 n. Chr. nach Rom gebracht worden
war. Die Brunnen wurden 1613 bzw. 1677 aufgestellt.
Auf diesen Platz führt uns ein Gemälde des schwedischen Malers Gustaf Wilhelm Palm (Härlöw
1810-Stockholm 1890), der nach Beendigung seiner Studien in Stockholm, Berlin, Dresden und
Wien 1841 nach Italien aufgebrochen war. In Rom fand Palm sogleich Aufnahme in den
67
68
Franz Freiherr Gaudy, Mein Römerzug. Band 3, Berlin 1886, S. 61-64.
Gregorovius (wie oben zitiert), S. 102.
30
schwedischen Künstlerkreis, doch nahm er auch an den Festlichkeiten des deutschen
Künstlervereins teil (zu diesen siehe Kapitel 13) und frequentierte das Caffè Greco, wo eine
Zeichnung von seiner Hand mit einem flötespielenden Hirten aufbewahrt wird (zum Kaffeehaus
siehe Kapitel 1).69 Er widmete sich häufig der römischen Campagna und unternahm Reisen nach
Olevano (1843), Capri (1846) sowie nach Neapel und Sizilien (1849-1850). 1851 kehrte der
Künstler nach Stockholm zurück, wo er eine Professur an der Akademie der Schönen Künste
übernahm. Sein Spitzname war „Palma il giovane“,70 und er pflegte seine Bilder mit den Initialen
seiner Taufnamen sowie dem Bild einer kleinen Palme zu signieren.
Palms Gemälde (siehe Abb. 19)71 zeigt den Petersplatz von einem ungewöhnlichen Standpunkt.
Dem Betrachter wird kein Blick auf die prachtvolle „Piazza“, die Fassade von St. Peter oder den
Obelisk im Zentrum des Platzes geboten. Statt dessen befinden wir uns zwischen den Säulen einer
der beiden Portiken Berninis, hinter denen hervor gerade noch ein Blick auf einen der Brunnen
erhascht werden kann; dahinter erscheinen die Säulen der zweiten Kolonnade, oberhalb derer einige
Heiligenstatuen zu erkennen sind. St. Peter selbst ist jenseits des linken Bildrandes vorzustellen.
Dem Betrachter am nächsten ist das grau-blaue Straßenpflaster, die sogenannten „Sampietrini“, mit
denen eine Vielzahl römischer Straßen belegt ist und die ihren Namen der Werkstatt in St. Peter
verdanken, wo sie ursprünglich hergestellt wurden. Auf diesem Kopfsteinpflaster stehend, spürt der
Betrachter die überwältigende, fast gewalttätige Monumentalität der ins Riesenhafte gesteigerten
Säulen, von denen jeweils nur die Basis und ein kleiner Teil des Schafts zu sehen ist, als wäre er
selbst auf die Maße eines Kindes oder Zwerges reduziert. Dieses Gefühl ist uns vertraut vom
Anblick des Kolosseums Conrad Zellers (siehe Kapitel 5), der das Verhältnis des Bauwerks zum
Menschen ebenfalls ins Überdimensionale steigerte. Hier wie dort wird dem Monument im
Vordergrund ein heller Ausblick auf eine weiter entfernte Architektur gegenübergestellt; in Zellers
Gemälde der besonnte Venus-Tempel, hier der Springbrunnen in der Mitte des Platzes und der
gegenüberliegende Säulengang.
Der entscheidende Unterschied der beiden Veduten liegt in der Präsenz der kleinen Figur eines
Mannes, die in Zellers Gemälde auf der besonnten Wiese vor dem Venus-Tempel zu sehen ist:
Gemahnt das gewaltige Monument auch an die Vergänglichkeit und Flüchtigkeit menschlicher
Existenz, so bietet diese Figur doch einen Ausblick auf ein gegenwärtiges Leben, das sich unberührt
vom Alter und der Geschichtsträchtigkeit des römischen Kolosseums abspielt.
Im Gegensatz dazu fehlt in Palms Ansicht der „Piazza S. Pietro“ jeder Hinweis auf den Menschen.
Die marmornen Heiligen oberhalb der Kolonnade verweisen auf die Größe und Pracht der Kirche,
der Platz vor und hinter den Säulen selbst ist leer. Nur das Wasser des Springbrunnens bringt
Bewegung in die steinerne Pracht, doch erscheint der helle Strahl winzig und wie eingeklemmt
zwischen den Säulen beider Umgänge; er öffnet keinen Raum, in dem eine Figur wie Zellers Mann
vorstellbar wäre, sondern erscheint selbst wie ein Teil der monumentalen Kolonnaden. Der aufwärts
steigende Wasserstrahl wiederholt das Motiv der emporstrebenden Säulen im Hintergrund, das sich
im Vordergrund jedoch in sein Gegenteil verkehrt: Die angeschnittenen Säulenschäfte auf ihren
gedrungenen Basen leiten den Blick nicht empor, sondern drücken ihn zu Boden, schmettern ihn
nieder und lassen ihm nur die Möglichkeit, demütig die grauen „Sampietrini“ zu fixieren. Von
diesem Bild geht nichts Beruhigendes aus: Der einzelne Mensch, so die Botschaft, ist nichts im
69
Die Zeichnung ist in Bleistift, weiß gehöht, ausgeführt; sie misst 24 x 30 cm. Bezeichnet G. W.[…] 1842. Dazu siehe
Hufschmidt/Jannattoni (wie oben zitiert), Abb. S. 176.
70
Eine scherzhafte Anspielung auf den venezianischen Maler Palma il Vecchio (1480-1528).
71
Gustaf Wilhelm Palm, “Blick auf die piazza S. Pietro in Rom”. Öl auf Karton, 41 x 59 cm, bezeichnet ??. Zu Palm
siehe de Rosa/Trastulli 1999 (wie oben zitiert), S. 248 sowie den Ausstellungskatalog Rom 2001 (wie oben zitiert), S.
272.
31
Vergleich mit der Macht und Größe der Kirche. Das einzige, was ihm bleibt, ist, sich im Schatten
der Riesensäulen zusammenzukauern und die unendliche Überlegenheit des Papstes anzuerkennen.
Es stellt sich die Frage, ob hier das Gefühl des Protestanten Palm Ausdruck fand, dessen Atelier –
Ironie des Schicksals – sich zu Anfang seines römischen Aufenthaltes in der Via S. Nicola da
Tolentino 16, in unmittelbarer Nähe des „Collegium Germanicum-Hungaricum“ befand (zu diesem
siehe Kapitel 1): Fühlte der Maler sich überwältigt von der Allmacht und Omnipräsenz des
römischen Klerus? Fanny Lewalds Lebensgefährte August Stahr notierte am 14. November 1866
bei einem Ausflug treffend, man fahre „vorbei an dem christlichen Kolosseum, dem Dome Sankt
Peter, der mit seinen zwei Prachtfontainen und dem Obelisken in der Mitte die Riesenarme seiner
beiden Seitenhallen dem Kommenden entgegenstreckt, als wolle er die ganze Welt in ihnen
aufnehmen.“72 Gustaf Wilhelm Palm, so lässt zumindest sein Gemälde schließen, wollte in diese
Arme nicht aufgenommen werden. Doch wie es auch immer um die persönlichen Gefühle des
schwedischen Malers bestellt war: Sein Bild ist ein Meisterwerk, in dem es ihm einzig durch die
Wahl der Perspektive gelang, das Verhältnis des Individuums zur Institution der katholischen
Kirche auf eindrucksvolle Weise zu thematisieren.
Einen Blick auf die Peterskuppel vom Hügel des Gianicolo präsentiert das Bild eines unbekannten
Künstlers, das wahrscheinlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts ausgeführt wurde (siehe Abb.
20).73 Im Vordergrund des Gemäldes erhebt sich majestätisch eine alte Eiche: Hier handelt es sich
um die sogenannte „Quercia del Tasso“; jene Eiche, unter die sich der Dichter Torquato Tasso
(1544-1595) gegen Ende seines Lebens gern zurückzog, um sich in Erinnerungen zu ergehen. Unter
ihren reich belaubten Zweigen erscheinen rechts die Kirche und der Konvent von S. Onofrio, wo
Tasso zuletzt Wohnsitz bezogen hatte. Hier befindet sich auch sein Grab. Wir finden eine
Beschreibung des Ortes in den „Römischen Spaziergängen“ des Dichters Stendhal, der sich 1813/14
in der Ewigen Stadt aufgehalten hatte und seine Reiseaufzeichnungen 1817 veröffentlichte. Man
liest:
„Wir gingen diesen Morgen, früh, ehe die Hitze drückend wird, an das Kloster St. Onofrio. Wir
setzten uns im Garten unter eine alte Eiche, wo Tasso, als er sein Ende näher fühlte, sich hingesetzt
haben soll, um den Himmel noch einmal anzuschauen (1595). Man brachte uns sein Schreibzeug
und ein von ihm geschriebenes Sonett, das man eingerahmt hat. Mit Rührung betrachteten wir jene,
von wahrer Empfindung und dunkelm Platonismus, der damals die Philosophie der zärtlichen
Seelen war, erfüllten Zeilen. Wir wünschten nun auch die Büste zu sehen, die mittelst einer
wächsernen Maske, welche man selbst dem Antlitze des großen Dichters nach seinem Verscheiden
aufgedrückt hatte, verfertigt worden. Sie findet sich in der Bibliothek des Klosters. Der Mönch, der
uns begleitete, gab uns zur Antwort: da der Obere abwesend sei, könne er unsern Wunsch nicht
erfüllen; er setzte hinzu, von Tasso sprechend: ‘es war ein guter Mensch; aber er ist kein Heiliger. -‘
Zweihundert Jahre hindurch zeigte man diese Maske jedem Fremden; da aber die Schicklichkeit
Fortschritte machte, so hat nun Leo XII verboten, an den der Religion geweihten Orten Bilder von
Personen, die ihr nicht geheiligt sind, zu zeigen. -“74 Tassos Totenmaske befindet sich nach wie vor
in dem kleinen Museum des Konvents von S. Onofrio, heute wieder jedem auf den Spuren des
Dichters wandelnden Reisenden frei zugänglich – den Fortschritten der „Schicklichkeit“ zum Trotz,
der durch die Andacht und Ehrfurcht des Besuchers zweifellos genüge getan wird.
In unserem Gemälde haben sich drei Mönche im Schatten der Eiche niedergelassen, die
wahrscheinlich vom nahen Kloster einen Spaziergang hierher unternommen haben. Links erscheint
72
Stahr und Lewald, wie oben zitiert, S. 97.
Unbekannter Künstler, “Blick auf St. Peter vom Gianicolo”. Öl auf Leinwand, 37,2 x 46 cm.
74
Stendhal, Ueber Italien aus den Spaziergängen in Rom. In: Ueber Frankreich, Italien und Spanien. Von Fiévée,
Stendhal und Rotalde. Mitgetheilt und eingeleitet durch F. W. Carové. Leipzig 1931, S. 78.
73
32
eine Frau mit einem kleinen Mädchen vor einer Treppe, die zur sogenannten „Passeggiata del
Gianicolo“ gehört: Ein öffentlicher Spaziergang, mit dessen Anlage 1865 begonnen wurde und der
gegen Ende des Jahrhunderts vollendet war. Die Kleidung der Frau lässt auf eine Entstehung des
Gemäldes um 1900 oder kurz danach schließen, als Hüte wie der hier gezeigte modern wurden.75
Dem Bild lässt sich eine Fotografie zur Seite stellen, die wahrscheinlich kurze Zeit später
aufgenommen wurde: Man erkennt dieselben Bäume, die Treppe der „Passeggiata“ und die Kuppel
von St. Peter; der Blick auf S. Onofrio ist allerdings durch Blattwerk versperrt. Die im Bild zu
sehende, zerbrochene Basis auf dem Sockel am Ende der Treppe ist nun repariert, sie trägt eine
steinerne Kugel. Ein weiterer Sockel mit einer Schale ist neben einer Aussichtsbank unter der Eiche
aufgestellt worden; hier haben sich im Gemälde die drei Mönche niedergelassen. Von dem antiken
Kapitell neben den Geistlichen ist im Foto nichts zu sehen; es wäre allerdings denkbar, dass es sich
um eine eigenständige Zutat des Künstlers handelt. Die Fotografie könnte ungefähr zehn Jahre nach
dem Gemälde entstanden sein, also um 1910.76
Denselben Blick auf St. Peter kann der Rom-Besucher schließlich auch heute noch genießen. Von
der Eiche aber ist nurmehr ein verkrüppelter Stamm geblieben.
Auch das Gemälde eines weiteren unbekannten Künstlers, das die Jahreszahl 1857 trägt, zeigt
einen Blick auf St. Peter (siehe Abb. 21).77 Nun erblicken wir die Kirche von einem südwestlichen
Standpunkt, wahrscheinlich von den Ausläufern des Parkes der Villa Doria Pamphili.78 Links erhebt
sich der Monte Mario, auf dessen Höhe die Villa Mellini zu erkennen ist; den Horizont begrenzen
die Sabinerberge mit dem hohen Monte Soratte am linken Bildrand. Im Gemälde ist die enorme
Kuppel der Kirche gut zu erkennen, die von Michelangelo entworfen wurde und bei seinem Tod
1564 fast vollendet war. Die beiden kleineren Kuppeln davor überwölben jeweils die „Cappella
Gregoriana“ und die „Cappella Clementina“; sie wurden von Michelangelos Mitarbeiter Vignola
(1517-1573) ausgeführt. Im Vordergrund führen einige Stufen zu einer von einer Brüstung
umgebenen Terrasse, hier haben sich zwei Landfrauen niedergelassen. Rechts erscheint unter einer
Schirmpinie eine kleine Kapelle.
Der gewaltige Bau der Peterskirche erweckte in jedem Rombesucher bewundernde und ehrfürchtige
Gefühlte. Fanny Lewald teilte die ihren in einem Brief vom Januar 1867 mit überschwenglichen
Worten mit: „Je öfter ich sie wiedersehe, je mächtiger, je schöner, je herrlicher erscheint mir dieser
Bau. […] Er soll die Welt umfassen! Das ist der Eindruck, den dieser Riesenbau, den seine wie weit
geöffnete Arme sich vor ihm ausbreitenden Arkaden in dem Betrachter hervorrufen und der durch
alles verstärkt wird, was uns in ihm entgegentritt. […] Die Kolossalität, die Pracht der Einzelheiten
würden überwältigend sein, wäre der Bau nicht so gewaltig, daß auch das Kolossale in ihm noch
klein erscheint […] Man kann mit seinen Ueberzeugungen in Freiheit noch weit hinausgehen über
die Schranken des protestantischen Bekenntnisses, man kann mit allem orthodoxen Glauben und
mit allen Dogmen für sein Theil vollständig gebrochen haben, […] ohne sich deßhalb weniger in
75
Eine Fotografie in der Sammlung der Fondazione Besso in Rom zeigt einen Blick auf St. Peter; im Vordergrund
befinden sich drei Frauen, die dieselbe Kleidung und identische Hüte tragen wie die Frau in unserem Bild. Diese
Fotografie wird von Becchetti um 1905 datiert (Becchetti wie oben zitiert, Nr. 143).
76
Die Fotografie stammt aus dem Archiv der Gebrüder Alinari (Inv.-Nr. 6235); ein Exemplar davon befindet sich in der
Fotothek der Bibliotheca Hertziana, Rom.
77
Unbekannter Künstler, “Blick auf St. Peter und den Monte Mario”. Öl auf Leinwand, 34 x 18,5 cm, 1857 datiert.
78
Diese Annahme wird bestätigt durch einen Vergleich der Ansicht mit einer Ansicht der Peterskirche von Karl
Lindemann Frommel von der Villa Doria Pamphili (Privatbesitz, Öl auf Holz, 19 x 40 cm, 1890 datiert. Eine Fotografie
des Gemäldes befindet sich in der Fototek der Bibliotheca Hertziana, Rom. Zu Lindemann-Frommel siehe Kapitel 13):
Der Blick auf St. Peter ist in beiden Darstellungen derselbe, wenn unsere Ansicht die Kirche auch größer vorstellt; der
Standpunkt des Malers befand sich also etwas näher an der Basilika.
33
seinem Innersten bewegt und erschüttert zu fühlen, wenn man durch die Hallen der Peterskirche
wandelt.“79
Der von Fanny Lewald beschriebenen Wirkung des Bauwerks konnte sich selbst ein
desillusionierter Rom-Verächter wie Gustav Nicolai nicht entziehen: „Steht man in richtiger
Entfernung vor der Kirche, so daß die Kuppel und die beiden Seitenthürme über der Façade
(Vorderseite) im schönen Verhältniß hervortreten, glaubt man einen Zauberpallast vor sich zu
sehen.“ Die Kritik jedoch – der Leser hätte es nicht anders erwartet - folgt auf dem Fuße und lässt
keinen Zweifel daran, dass Nicolai, nun beim Betrachten des Panoramas von der Aussichtsterrasse
des Monte Pincio, den „Zauberpalast“ St. Peter durchaus für verbesserungsbedürftig hielt: „Es war
die erste nähere Ansicht von Rom, die wir hatten; nachdem ich das Innere der Stadt schon kennen
gelernt, übertraf sie meine Erwartungen, wiewohl ich bekennen muß, daß ich mir die ewige
Weltstadt der Enthusiasten viel großartiger vorgestellt habe. Auch hier gähnten uns an vielen
Stellen die schwarzen Fensteröffnungen entgegen; vergebens suchte ich himmelanstrebende
Thürme, wie sie die gothische und altdeutsche Baukunst in unserm Vaterlande geschaffen; mit
Ausnahme der Peterskuppel hat Rom keine hohen Thürme, und selbst diese imponirt nicht so durch
ihre Größe, wie es der Fall sein würde, wenn sie schlank und pyramidenartig sich in die Luft
erhöbe. Wir sind verdammt, enttäuscht zu werden!“80 –
Wir jedoch atmen erleichtert auf, dass Nicolais Vision eines „St.-Peter-Kirchturms“ nur eine
Ausgeburt der Phantasie geblieben ist – dem Liebhaber gotischer Türme steht es in jedem Fall frei,
seine Schritte entschlossen wieder gen Norden zu lenken.
Die Kuppel von St. Peter erscheint schließlich auch in einem weiteren Gemälde eines unbekannten
Künstlers wohl aus der Mitte des 19. Jahrhunderts im Durchblick einer offenen Arkade (siehe
Abb. 22).81 Vor der Basilika erkennt man die Häuser des mittelalterlichen „Borgo“ sowie einen
Bogen der Engelsbrücke. Im Vordergrund erblickt der Betrachter zwei Musikanten vor einem
kleinen Madonnen-Standbild: Hier handelt es sich um zwei „Pifferari“, musizierende Landleute aus
den Abruzzen, die zur Adventszeit die Straßen Roms bevölkerten und die bei Einheimischen wie
Touristen beliebt und bekannt waren. Fanny Lewald berichtet in einem Brief vom Dezember 1866:
„Seit der Adventszeit sind auch wieder die Pifferari nach Rom gekommen, und wie viel hundert
Mal man diese aus den Abruzzen herniedersteigenden Gesellen, in ihrem schmutzigen Spitzhute mit
dem blauen Kragenmantel über der Schulter, mit den Sandalen oder eigentlich mit den Cioccien an
den Füßen auch auf Bildern oder in der Wirklichkeit gesehen und wie oft man ihre Musik und ihren
Gesang auch gehört haben mag, immer wieder hat man an ihnen seine Freude. Sie sind mir für
meine römischen Erinnerungen, was mir der Weihnachtsbaum für die Erinnerung an die Kindheit
und an das Vaterhaus ist, und es hat für uns neulich etwas außerordentlich Ergreifendes und
Rührendes gehabt, als wir – ohne noch einen der Pifferari im Laufe der Tage gesehen zu haben – in
dem tiefen Dunkel der Morgenfrühe plötzlich von den eigenthümlichen fremdartigen und uns doch
in der Erinnerung so vertrauten Tönen dieses musikalischen Mariendienstes aus dem Schlafe
erweckt worden sind.“82
Der größere der beiden „Pifferari“ unseres Bildes trägt keinen blauen, sondern einen braunen
Kragenmantel, doch den von Fanny Lewald beschriebenen schwarzen Spitzhut hält er vor den Leib
gedrückt. Beide Männer sind mit den typischen „Ciocien“ beschuht, eine Sandalenform, zu der
Ferdinand Gregorovius bemerkt:
79
Stahr und Lewald (wie oben zitiert), S. 188-190.
Nicolai (wie oben zitiert), I, S. 191-192.
81
Unbekannter Künstler, “Pifferari in Rom”. Öl auf Leinwand, 44,4 x 31,8 cm.
82
Lewald und Stahr (wie oben zitiert), S. 161.
80
34
„Ein primitiveres [Schuhwerk] läßt sich nicht erfinden, und vielleicht darf man sagen, auch kein
bequemeres. Wenigstens habe ich die Ciocaren aufrichtig darum beneidet. Der Schuh wird einfach
aus einem viereckigen Stück der Esels- oder Pferdehaut hergestellt. Man bohrt Löcher in dieselbe,
zieht einen Bindfaden durch, und umschnallt mit diesem Pergament den Fuß so, daß die Sandale
nach der Fußspitze sich formt, und selber in eine gebogene Spitze ausläuft. Das Bein wird bis zum
Knie herauf mit grober grauer Leinwand fest umwickelt, und mit vielfachen Binden von Stricken
oder Fäden umschnürt.“83
Solcherart gekleidet, waren die „Pifferari“ zur Adventszeit ein fester Bestandteil des römischen
Stadtbildes. Sie erschienen stets in Paaren von einem älteren und einem jüngeren Musikanten;
„einer von ihnen, der eigentliche Pifferaro, bläst die Schalmey, die Piffera, der Andere, der
Zampognaro, spielt die Zampogna, den Dudelsack, und dieser begleitet denn auch den Gesang des
Pifferaro.“84 Schon zu Fanny Lewalds Zeiten waren sich diese wandernden Musikanten durchaus
ihres Wertes für die Maler bewußt, die sie für ihre Modelldienste wohl entlohnten; die
Schriftstellerin berichtet von Musikantengruppen, die „bis nach Paris und London herumgekommen
sind, um in den Maler- und Bildhauerwerkstätten ihr Glück zu versuchen.“85
Noch in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts verließen die „Pifferari“ zur Weihnachtszeit ihre
Dörfer, um in der Ewigen Stadt ihre Instrumente erschallen zu lassen. Der damals einsetzende
Wohlstand der Landbevölkerung, verbunden mit dem allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung,
setzte dieser Tradition ein Ende: Kann der Fremde in Rom auch heute noch im Dezember hier und
da den Klang einer „Zampogna“ oder einer „Piffera“ vernehmen, so handelt es sich doch längst
nicht mehr um Abruzzesen im weiten Mantel und mit Spitzhut, die „Ciocen“ an den Füssen, wie in
unserem Bild dargestellt. Doch welcher Nationalität die Musikanten auch seien – ihre Weisen
erfreuen dennoch Ohr und Herz des lauschenden Reisenden, der eine Erinnerung besonderer Art in
seine Heimat mit zurücknimmt.
Kapitel 13
Die Milvische Brücke („Ponte Molle“)
Folgt der Reisende dem Verlauf des Tibers stromaufwärts, so gelangt er schließlich zu einer der
wichtigsten Brücken des antiken Roms: Es ist der 109 v. Chr. errichtete „Pons Mulvius“, italienisch
„Ponte Milvio“ und schließlich umgangssprachlich „Ponte Molle“ genannt, der für die deutschen
Künstler im 19. Jahrhundert eine besondere Bedeutung erhalten sollte. An dieser Brücke nahmen
vier antike Konsularstraßen – die Via Flaminia, die Via Cassia, die Via Clodia und die Via
Veientana – ihren Ausgangspunkt. Hier fand 312 n. Chr. die entscheidende Schlacht Konstantins
des Großen und seines Rivalen Maxentius statt, die der Sieger im Zeichen des Kreuzes gewann, und
unter ihren Bögen ruht der Legende zufolge der siebenarmige Leuchter aus dem Tempel
Jerusalems, von den Soldaten des Titus im Triumph nach Rom gebracht und von Maxentius auf der
Flucht vor Konstantin in den Fluten des Tibers versenkt (siehe Kapitel 9).
Schon im 6. Jahrhundert waren die Enden der milvischen Brücke aus Verteidigungsgründen durch
Holzkonstruktionen ersetzt und in Zugbrücken umgestaltet worden; diese Form behielten sie bis ins
18. Jahrhundert. Zu demselben Zweck wurden im 14. Jahrhundert die Brückenköpfe mit
Wachtürmen verstärkt, ein weiterer Turm befand sich in der Mitte des Brückenbogens. Während
83
Gregorovius (wie oben zitiert), S. 184.
Lewald und Stahr (wie oben zitiert), S. 161-162.
85
Ebenda.
84
35
der mittlere sowie der Turm an der Stadtseite verfielen, wurde unter Nikolaus V. der Wachturm am
jenseitigen Ufer restauriert. Hier entstand am Ende des 15. Jahrhunderts außerdem eine Poststation
mit einer anschließenden „Osteria“. Anstelle der Turmruine an der Stadtseite wurde 1731 auf dem
einen Brückengeländer eine Statue des Heiligen Johann Nepomuk angebracht; auf dem anderen
befand sich eine Aedikula mit einem Madonnenbild. 1805 schließlich baute Giuseppe Valadier auf
Geheiß von Pius VII. den erhaltenen Wachturm vollständig um; in dieser Form präsentiert er sich
noch heute.86
Das vorliegende Gemälde (siehe Abb. 23)87 zeigt einen Blick auf die Brücke von der Stadtseite:
Man erkennt an ihrem Ende, am anderen Ufer des Tibers, den Wachturm, vor dem die hölzerne
Zugbrücke zu einem weiteren Bogen und schließlich ans Ufer führt. Bei der Gebäudegruppe
dahinter handelt es sich um die Poststation mit dem Wirtshaus. Auch am diesseitigen Ende ist die
hölzerne Zugbrücke gut zu erkennen; daneben erhebt sich die Ruine des Wachturms aus dem 14.
Jahrhundert, zu dem wahrscheinlich auch der einzelne steinerne Pfeiler am rechten
Brückengeländer gehörte. Von Figurenschmuck ist nichts zu sehen: Weder die MadonnenAedikula, die sich an der Stelle des Pfeilers erheben würde, noch die Statue des Heiligen am
gegenüberliegenden Geländer sind vorhanden, woraus sich auf eine Entstehung des Bildes vor 1731
schließen lässt.
Tatsächlich stammt die Vedute von dem niederländischen Landschaftsmaler Jan Both (Utrecht
1618-1652), der zur zweiten Generation der sogenannten „Italianisanten“ zählte. Hier handelte es
sich um holländische Künstler, die sich im 17. Jahrhundert für eine kürzere oder längere Periode in
Rom aufhielten: Sie verliehen der Landschaftsmalerei, die sich um 1600 erst als eigenständige
Gattung zu etablieren begann, entscheidende Impulse und entwickelten einen eigenen Stil, der sich
z. B. neben den Kompositionen der noch zu Lebzeiten berühmten, ebenfalls in Rom wirkenden
Franzosen Claude Lorrain (1600-1682) und Nicolas Poussin (1594-1665) durchaus behaupten
konnte. In der Ewigen Stadt trafen die Niederländer allerdings auf die strengen Vorschriften und
Anforderungen nicht nur der kirchlichen Obrigkeit, sondern auch der römischen Malergilde, der
„Accademia di San Luca“, denen sie sich anzupassen hatten; die Beiträge der Akademie mussten
bezahlt werden, auch wenn die fremden Künstler keine Mitglieder derselben wurden. Aus Protest,
aber wohl auch zur Stärkung ihres Nationalgefühls in der Fremde, schlossen sich schon um 1620
die ersten in Rom ansässigen holländischen Maler in einem Künstlerbund zusammen, der gleichsam
als „Gegen-Akademie“ zur Lukasgilde gedacht war. Dieser Verein, dessen Mitglieder sich als
„Bentveughels“ (ungefähr zu übersetzen mit „Nest-Vögel“) bezeichneten, hatte weder Satzungen
noch Vorschriften, doch entwickelten sich im Laufe der Zeit einige – nicht gerade von
künstlerischem Ernst beseelte – Regeln und Rituale. Dazu zählte z. B. die „Taufe“ eines frisch aus
dem Norden gekommenen Neulings vermittels reichlich genossenem Wein und in Anwesenheit des
Gottes Bacchus persönlich, bei der der „Täufling“ einen Spitznamen verliehen bekam.
Den „Bentveughels“, deren Bund schließlich von Clemens XI. nach fast hundertjährigem Bestehen
1720 wegen häretischer Neigungen mit einem Bann belegt wurde, gehörte sicherlich auch Jan Both
an, der um 1635 in Rom anlangte und 1641 ins heimatliche Utrecht zurückkehrte. Inspiriert durch
seine Erfahrungen in Italien, widmete sich Both auch in den Niederlanden vor allem italienischen
Landschaften, in denen Felsmassen und Berge, Bäume und Gehölz durch Figuren und Tiere belebt
werden. Wie alle „Italianisanten“ benutzte der Maler die römischen Ruinen zumeist als
Versatzstücke (tatsächlich würde sich die vollständig realistische Landschafts-Vedute erst im 18.
Jahrhundert mit Gaspar van Wittel durchsetzen), so dass die dargestellten Gegenden zumeist nicht
identifizierbar sind.
86
Zur milvischen Brücke siehe Alberto Tagliaferri/Valerio Varriale, I ponti di Roma. Arte, architettura, storia e gloria
dei ponti romani dagli antichi guadi sul Tevere alle costruzioni moderne. Rom 2007, S. 22 ff.
87
Jan Both, “Blick auf die Milvische Brücke in Rom”. Öl auf Leinwand, 76 x 108 cm.
36
Das Gemälde im Hotel Victoria stellt eine Ausnahme im Werk des Künstlers dar, indem es den
„Pons Milvius“ der Wirklichkeit entsprechend zeigt. Wie genau der Maler die Brücke studiert hat,
geht aus einer Radierung hervor, die das Bauwerk von demselben Standpunkt – allerdings mit
geänderter Staffage und ohne die Bäume und das Kastell auf dem Hügel im Hintergrund –
präsentiert. Drei überlieferte Zeichnungen Boths dienten wahrscheinlich als Vorstudien.88 Die
offensichtliche Bedeutung des Bildmotivs für den Maler ist verständlich, überquerte doch ein jeder
von Norden kommender Rom-Besucher auf der antiken Brücke den Tiber, um sodann auf der Via
Flaminia bis zur Piazza del Popolo und so zum Ziel seiner Reise zu gelangen.
Schon die „Bentveughels“ hatten es sich zur Aufgabe gemacht, neu in der Ewigen Stadt
eintreffende Zunftgenossen an der „Ponte Molle“ zu empfangen. Dieser Brauch lebte zu Beginn des
19. Jahrhunderts unter den deutschen Künstlern in Rom wieder auf, die ihre niederländischen
Vorgänger allerdings noch um einiges übertrafen: Der Neuankömmling wurde von der milvischen
Brücke in feierlichem Zug zu einer „Locanda“ des Künstlerviertels um die Spanische Treppe
geleitet, wo ihm der „Orden der Ritter vom Bajocco“ (eine am blauen Band hängende
Kupfermünze) verehrt wurde. Lieder wurden gesungen, Gedichte rezitiert, und die Standfestesten
der Alteingesessenen blieben bis tief in die Nacht zur „Brandwache“ beim Trunk versammelt. Aus
dieser Zeremonie entwickelte sich die sogenannte „Ponte-Molle-Gesellschaft“, die sich mit der Zeit
immer aufwendiger in Szene setzte: In Anlehnung an antike Bräuche organisierte man
Triumphzüge, ließ den Anführer in einer Biga vorfahren, wählte Liktoren, Volkstribunen und
Adjutanten und verteilte volltönende Ränge wie etwa den „Generalissimus von Jupiters und Volkes
Gnaden“ (der den Präsidenten der Gesellschaft bezeichnete). 89
Die ausgelassenen Zusammenkünfte der Vereinigung wurden mit der Zeit auch bei Nicht-Künstlern
berühmt, und Römer wie ausländische Reisende besuchten sie mit Vergnügen. Wohl am
bekanntesten war das sogenannte „Cervaro-Fest“, das zur Frühlingszeit in den Grotten von Cervara
am Ufer des Aniene ungefähr 15 Kilometer nördlich von Rom abgehalten wurde. Zu diesem Anlass
versammelten sich die deutschen Künstler, in phantasievolle Kostüme gewandet, früh am Morgen
an der Porta Maggiore und zogen sodann auf der Via Prenestina zu den Grotten hinaus. An der
antiken „Tor de Schiavi“ hielt der „Generalissimus“ eine Heerschau, Orden wurden verliehen, eine
Festrede gehalten, und schließlich zog man weiter bis zu den Grotten, wo geschmaust und
getrunken wurde. Fester Bestandteil des Programms war die Befragung der „Sybille“, deren
Orakelsprüche, die Zukunft einzelner Künstler betreffend, unter Blitz und Donner verkündet
wurden, wie auch die „Olympischen Spiele“, zu deren Disziplinen etwa Sackhüpfen und Wettlauf
88
Ein Exemplar der Radierung befindet sich in Rom, Gabinetto Nazionale delle Stampe, Inv.-Nr. F.C. 76994. 195 x 272
mm, bezeichnet Both fe. Dazu siehe den Ausstellungskatalog I Ponti di Roma dalle collezioni del Gabinetto Nazionale
delle Stampe. Präsentiert von Maria Catelli Isola, Rom, Villa della Farnesina alla Lungara 1975, Kat.-Nr. 70. Die
Radierung ist Teil eines Zyklus von 6 Radierungen mit Ansichten der Umgebung Roms. - Siehe auch James D. Burke,
Jan Both. Paintings, drawings and prints. New York/London 1976, S. 298-299. Burke listet drei Zeichnungen in
Hamburg (Kunsthalle), Amsterdam (Rijksprentenkabinet) und Haarlem (Teyler Foundation) auf, die die Brücke
ebenfalls zeigen. Ein Gemälde Boths mit demselben Motiv befand sich zum Zeitpunkt von Burkes Veröffentlichung in
England in Privatbesitz (siehe S. 199, Nr. 29). Burke bemerkt dazu: “One of Both’s last paintings, rich in colour, and
with the unusually sonorous device of lateral middle and background elements (bridge and distant mountains) which
echo one another. The depth movement is ingeniously worked from near trees, to staffage, to bridge-tower, to distant
mountain – all of which again echo one another in a profession into depth.” Es stellt sich die Frage, ob es sich hier um
das Gemälde heute in der Sammlung des Hotels Victoria handelt, welches nach 1975 verkauft worden sein könnte; die
Maße des von Burke verzeichneten Bildes – 79 x 109 cm – könnten darauf ebenfalls schließen lassen. Als Provenienz
des von ihm verzeichneten Bildes gibt Burke an: “Colls. Sir Henry Oxenden, 1840; Novar 1848; Sir G. Donaldson; Dr.
Mary Jennings; art dealer Duits, London, 1963” (ebenda).
89
Zur “Ponte-Molle-Gesellschaft” und zum deutschen Künstlerverein siehe die Ausstellungskataloge Stendal (wie oben
zitiert) sowie “Vom Freund gezeichnet.” Ein Porträtalbum deutscher Künstler in Rom 1832-1845. Herausgegeben von
Tamara Hufschmidt und Claudia Nordhoff, Rom, Casa di Goethe, 2008. Unverzichtbar ist nach wie vor Friedrich
Noack, Das deutsche Rom. Rom 1912.
37
zählten. Der Höhepunkt war das Scheibenschießen auf die Figur des Kunstkritikers; danach kehrte
man nach Rom zurück. Das Künsterfest in den Cervaro-Grotten, von den Römern auch als
„Carnevale dei Tedeschi“ bezeichnet, fand mit Unterbrechungen bis 1890 statt; seinen Höhepunkt
erreichte es allerdings schon um 1845, als zwischen 250 und 300 Teilnehmer gezählt wurden. In
dieser Zeit, 1845 und 1846, nahm auch der Maler Karl Lindemann-Frommel (zu ihm siehe Kapitel
14) an dem Fest teil; er bekleidete den Rang eines „Adjutanten“ bzw. eines „Kohortenführers“.
Bereits 1840 war Johann Wilhelm Schirmer an dem ausgelassenen Treiben beteiligt (zu ihm siehe
Kapitel 15). Gustaf Wilhelm Palm (zu ihm siehe Kapitel 12), der 1848 unter den Feiernden
dokumentiert ist, übertrieb den sportlichen Einsatz allerdings – er brach sich im Verlauf der
Festivitäten an den Cervara-Grotten den Arm.90
1845 wurde der vor allem durch unverwüstlichen Frohsinn und frechen Witz gekennzeichnete
Verband der „Ponte-Molle-Gesellschaft“ in den „deutschen Künstlerverein“ umgewandelt, dem
auch schweizer und skandinavische, deutschsprachige Maler angehörten. Die vormals lockeren
Gebräuche wichen Vereinssatzungen nebst einem festen Sitz zunächst an der Piazza S. Lorenzo in
Lucina und ab 1846 im Palazzo Simonetti in der Via del Corso. Im Dezember 1889 fand erneut ein
Umzug in den am Pantheon in der Via del Seminario gelegenen Palazzo Serlupi statt, an dessen
Ausmalung auch Franz Theodor Aerni (zu ihm siehe Kapitel 2) beteiligt war. Hier wurden
Ausstellungen der Vereinsmitglieder organisiert; ihnen stand eine Bibliothek zur Verfügung, und
schließlich wurde eine „Künstlerhilfskasse“ eingerichtet, mit deren Mitteln weniger vermögenden
Mitgliedern unter die Arme gegriffen wurde. Solcherart institutionalisiert, konnten die deutschen
Künstler in Rom nun zwar mit gewichtigerem Selbstbewusstsein auf ihre Kollegen anderer
Nationalitäten herabsehen – die Spontaneität und Kreativität, das überschäumende Hochgefühl der
früheren „Ponte-Molle-Gesellschaft“ war jedoch unwiederbringlich dahin. Dies empfand auch
Fanny Lewald, die in einem Brief an einen Kölner Freund vom Mai 1867 eine verunglückte
Weihnachtsfeier des Künstlervereins beschrieb:
„Auf dem großen Ganzen des hiesigen deutschen Künstlerthums liegt […] der Druck jener
gewissen materiellen und geistigen Verkommenheit, der sich über alles hiesige Leben und Treiben
gelagert hat. Die Künstler sehen in ihrer Tracht nicht wie früher phantastisch fröhlich aus, und auch
ihr Versammlungsort in dem ersten Stockwerk der Stamperia Reale hat etwas Trübes; ja, er blieb
farblos selbst am Weihnachtsabende, an dem die Künstler, um sich auf der Bahn des
Herkömmlichen zu erhalten, einen Weihnachtsbaum aufgerichtet und zu diesem ihre Landsleute
gastfreundlich eingeladen hatten.“ Die rechte Stimmung wollte jedoch nicht aufkommen, denn „es
war nämlich kein grade aufgewachsener deutscher Weihnachtsbaum […] es war ein breites
Weihnachtsgebüsch, das sie aufgerichtet hatten, offenbar eine neurömische Erfindung. Dies
wunderliche Weihnachtsgebüsch nahm den oberen Theil eines großen Saales, ein, und war neben
den Lichtern mit allerlei Gethier aus Pappe, Papier und Federn, mit Vögeln, Fröschen, Schlangen,
Eidechsen u.s.w. verziert, die vor Jahren ein geschickter Künstler hergerichtet hatte.“
Fanny Lewald, die den Sinn des Ganzen nicht recht erfassen konnte, beschreibt im Folgenden die
gedrückte Stimmung der Erwachsenen wie der anwesenden Kinder und beurteilt die Veranstaltung
schließlich als „trübselige Geschichte“, der sie sich denn auch nach einer Weile entzog. In einem
Vorzimmer aber, beim Anblick der Portraits früherer Mitglieder des Vereins, wachte „die
Erinnerung an die guten fröhlichen, farbenreichen Tage auf, die wir mit so vielen der hier im Bilde
noch weilenden Freunde in dem damaligen Künstlerklub verlebt hatten, und wir machten eben auch
wieder einmal die Erfahrung, die Goethe in den Worten ausgedrückt hat: ‚ach! und in demselben
Flusse, schwimmst Du nicht zum zweiten Mal!‘“91
90
91
So de Rosa/Trastulli 1999 (wie oben zitiert), S. 248.
Stahr und Lewald (wie oben zitiert), S. 365-366.
38
Kapitel 14
Ein Ausflug in die „Campagna Romana“ und an den „Lago di Albano“
Kein Rom-Besuch konnte vollständig sein ohne einen Ausflug in die landschaftliche Umgebung der
Stadt, besser bekannt als „Campagna Romana“. Zu diesem Zweck folgte der Reisende zumeist der
Via Appia Antica, der bedeutendsten der antiken Konsularstraßen, an deren Seiten sich römische
Grabmäler aneinanderreihen und die den Wanderer zunächst in die Albaner Berge und schließlich
bis nach Brindisi bringt. Die weite Ebene links und rechts der Straße, auch als „Agro Romano“
bekannt, wird von Aquädukten durchquert, die das Wasser aus den umliegenden Hügeln in die
Ewige Stadt brachten. Einzelne Türme, ländliche Häuser und verfallene Ruinen belebten die
Landschaft, deren Boden jedoch sumpfig und von stehenden Gewässern durchsetzt war. So war es
für den Reisenden nicht ratsam, seine Kutsche zu verlassen und sich auf eigene Faust in die
„Campagna“ zu wagen, um so mehr, als dass hier in den Sommermonaten die Malaria herrschte und
die Sümpfe und Tümpel, umschwirrt von Myriaden von Insekten, üble Lüfte ausdünsteten.
Während die armen Bauern und Hirten des Flachlandes dem Wüten der Krankheit auf Gedeih und
Verderb ausgeliefert waren, durcheilten wohlhabende Römer und „Grand-Tourists“ die ungesunde
Gegend so schnell wie möglich, um die hochgelegenen Ferienorte in den sogenannten „Castelli
Romani“ zu erreichen: Bereits die Patrizier des antiken Roms hatten hier in ihren Villen die
Sommermonate verbracht, und diese Tradition der „Villeggiatura“, des sommerlichen Aufenthaltes
in den kühleren Bergen des römischen Umlandes, setzte sich ungebrochen bis ins 19. Jahrhundert
(und letztlich bis in unsere Tage) fort.
Dementsprechend sind aus dem 18. Jahrhundert nur vereinzelte Darstellungen der „Campagna
Romana“ überliefert. Im 19. Jahrhundert jedoch zog es die Maler, aller gesundheitlicher Risiken
zum Trotz, in großen Scharen in die Rom umgebende Ebene.92 Hatte man sich vorher auf die Seen
von Nemi und Albano, die Wasserfälle Tivolis oder die Laubwälder Ariccias und Castelgandolfos
konzentriert, so wurde die noch am Ende des 18. Jahrhunderts als wenig malerisch empfundene
Kargheit und Eintönigkeit der römischen „Campagna“ nun zur künstlerischen Herausforderung.
Italienische, deutsche, skandinavische und englische Maler widmeten sich der Landschaft und ihren
Bewohnern in ihren armseligen Behausungen; die großen Viehherden und ihre Hirten – die
„Butteri“ – wurden zum Motiv zahlloser Gemälde, und landwirtschaftliche Tätigkeit als
bildwürdiges Subjekt anerkannt. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde es schließlich vor allem
unter den in Rom ansässigen Engländern modern, in der römischen „Campagna“ Fuchsjagden
abzuhalten; auch diese fanden Eingang in die Bildproduktion der Künstler.
Einer der Maler, die sich dem römischen Umland widmeten, war Ferdinand Wagner (Passau
1847-München 1927), der sich von 1867 bis 1868 in Rom aufgehalten hatte. Wagner wurde nach
seiner Rückkehr nach Deutschland in München hauptsächlich als Dekorationsmaler tätig; er fertigte
eine größere Anzahl Wandgemälde in öffentlichen Gebäuden wie z. B. im Festsaal des Münchner
Hofbräuhauses an.
Unser Gemälde (siehe Abb. 24)93 entstand wahrscheinlich während des römischen Aufenthaltes. Es
zeigt einen Blick auf die von Pinien und Zypressen gesäumte Via Appia, an deren Rand vereinzelt
kleinere Grabmonumente zu sehen sind. Dahinter erstrecken sich die Arkaden des „Acquedotto
Claudio“. Die noch tiefstehende Morgensonne taucht die Gipfel der fernen Albaner Berge und die
92
Zum Thema siehe z. B. Pier Andrea de Rosa/Paolo Emilio Trastulli, La Campagna Romana. Cento dipinti inediti tra
fine Settecento e primo Novecento. Rom 1999; sowie den Ausstellungskatalog Rom 2001 (wie oben zitiert).
93
Ferdinand Wagner, “Blick auf die ‘Campagna romana’ und die Via Appia Antica“, Öl auf Leinwand, 68 x 108 cm,
bezeichnet F. Wagner.
39
Bögen der antiken Wasserleitung in leuchtendes Rot; ihre Strahlen werden vom Wasser eines
Tümpels im Vordergrund reflektiert, den eine kleine gemauerte Brücke überspannt. Die Landschaft
ist völlig menschenleer, kein Reisender ist auf der antiken Straße zu erblicken, und keine Tiere
beleben die Ebene.
Ohne die Präsenz menschlichen oder tierischen Lebens hebt sich Wagners Darstellung der
römischen „Campagna“ über das gewöhnliche Bild einer domestizierten Landschaft hinaus: Wir
stehen in einer endlosen Weite, überspannt von einem unbegrenzt erscheinenden, wolkenlosen
Himmel und durchlaufen von einer Straße, deren Ziel nicht abzusehen ist – ein Wanderer, der ihrem
Verlauf folgte, würde in der Tiefe der Landschaft verschwinden, so der Eindruck beim Betrachter,
und eingehen in ein Land, das keine Menschen mehr kennt. Auch die Überbleibsel der römischen
Antike erscheinen wie zurückgegeben an die Natur, überglänzt vom Licht der Morgensonne. Die
Pracht und Größe vergangener Zivilisation ist nur noch eine Erinnerung: In der Gegenwart leben
das stille Wasser, die taufeuchte Wiese, stumm aufragende Zypressen und dunkle Pinienschirme,
die über das schweigende Land wachen.
Einen weiteren Blick auf die sumpfigen Ebenen der „Campagna“ zeigt Karl Lindemann-Frommel
(Markirch/Oberelsass 1819-Rom 1881). Im Gegensatz zu Wagner, der nur ein Jahr in Rom lebte,
hatte Lindemann-Frommel sich nach einem ersten Italien-Aufenthalt von 1844 bis 1849 im Jahr
1856 dauerhaft in der Ewigen Stadt niedergelassen; hier wurde er als Professor an die „Accademia
di San Luca“ berufen und erreichte als Landschaftsmaler einigen Ruhm. Der Künstler war schon
während seines ersten Rom-Aufenthalts Mitglied der „Ponte-Molle-Gesellschaft“ geworden und
hatte 1845 und 1846 am Künstlerfest bei den Grotten von Cervara teilgenommen (dazu siehe
Kapitel 13). Er zählte 1845 zu den Gründungsmitgliedern des deutschen Künstlervereins und war
Stammgast des „Caffè Greco“ (zu diesem siehe Kapitel 1).94 Verheiratet mit einer „sehr feinen,
geistig regsamen Frau“, war Lindemann-Frommel in Rom allseits bekannt; sein Salon gehörte zu
den beliebtesten bei den deutschen Bildungsreisenden. Ferdinand Gregorovius zählte zu seinen
engen Freunden. Fanny Lewald (der wir die Charakterisierung der Gattin Lindemann-Frommels,
Auguste Luise Karoline Freiin von Racknitz, verdanken) beschrieb im Mai 1867:
„Lindemann Frommel ist einer von den Wenigen, die auch schon vor einundzwanzig Jahren mit uns
zusammen in Rom gewesen sind. Damals malte er weniger als er zeichnete. Er sammelte die
Studien zu dem Prachtwerk, zu den circa hundert Blättern italienischer Landschaften in
Farbendruck, die zu besitzen für Jeden, der Italien kennt und liebt, eine große Freude sein muß. In
späterer Zeit hat er mehr gemalt und wir haben schöne Landschaften von sehr feiner Stimmung bei
ihm gesehen.“95
Zu diesen „schönen Landschaften“ gehörte vielleicht auch das Bild heute im Hotel Victoria, das im
Mittelgrund die Bögen eines Aquädukts – der „Aqua Claudia“ – präsentiert. Der Himmel ist mit den
rotgoldenen Farben des Sonnenuntergangs überzogen, die sich in einem Tümpel im Vordergrund
reflektieren (siehe Abb. 25).96 Vor dem Aquädukt erscheint klein und kaum auszumachen in der
Weite der Landschaft eine Herde mit zwei berittenen Hirten, den „Butteri“. Dem Bild lässt sich eine
Farblithographie zur Seite stellen, die dem von Fanny Lewald erwähnten Werk mit Rom-Ansichten
94
Tatsächlich gab Lindemann-Frommel das deutsche Kaffeehaus in der Erstausgabe seiner 1847 erschienenen
“Vignetten von Rom” namentlich an; so liest man auf dem Titelblatt, die Vignetten seien “beim Verfasser (Caffe
Greco)” zu erhalten.
95
Stahr und Lewald (wie oben zitiert), S. 370.
96
Karl Lindemann-Frommel, “Blick auf die ‘Campagna romana” mit Viehherde“, Öl auf Leinwand, 29,5 x 42 cm. Zu
Lindemann-Frommel siehe Peter K. W. Freude, Karl Lindemann-Frommel (1819-1891). Ein Malerleben in Rom;
Monografie und Werkverzeichnis. Murnau am Staffelsee 1997.
40
entstammt und das Motiv getreu überträgt; ein entsprechendes Aquarell diente wahrscheinlich als
Vorstudie.97
Eine Viehherde erblickt man schließlich ebenfalls in einem Gemälde von Carel Max Gerlach
Anton Quaedvlieg (Falkenburg 1832-Rom 1874), der einen „Buttero“ in vollem Galopp seine
Herde einen Hang hinabtreibend präsentiert (siehe Abb. 26).98
Quaedvlieg war 1853 in Rom eingetroffen, wo er sich in der Via Margutta 42 niederließ; er war
sicherlich auch mit Lindemann-Frommel bekannt. Der Maler widmete sich vor allem den
Monumenten und der Umgebung der Ewigen Stadt. Von seiner Hand stammt ein interessantes
Gemälde mit einer Darstellung des Frühlingsfestes der deutschen Künstler99 (zu diesem siehe
Kapitel 13). Die römische „Campagna“ jedoch zählte zu seinen bevorzugten Motiven.100
Quaedvliegs Bild zeigt einen Blick auf eine Gegend weiter südlich von Rom als die Ansichten
Wagners und Lindemann-Frommels; bei den Bergen handelt es sich wahrscheinlich um die Monti
Lepini. Das Gemälde kann als Meisterwerk bezeichnet werden, in dem die karge Weite der
römischen „Campagna“ von der reissenden Dynamik der den Hang hinabdonnernden Viehherde
geöffnet wird. Diese Bewegung kontrastiert mit der steinernen Statik der Bergkette am Horizont
und dem weiten, nahezu wolkenlosen Himmel, unter dessen Gleichförmigkeit der untere
Bildbereich in lebendige Bewegung gerät: Unter den Hufen des den Hang herabschlitternden
Pferdes kommt Geröll ins Rutschen, eine Staubwolke erhebt sich über den laufenden Tieren, die in
einer großen, von rechts oben nach links unten verlaufenden Bewegung zum Wasser eines Tümpels
hinabstreben. Ein schwarzer Stier jedoch ist nach vorn, in Richtung des Betrachters vor dem Bild
abgebogen - fast, als hätte er diesen gewittert und würde nun, mit drohend erhobenen Hörnern, im
Angriff aus dem Bildraum herausstürmen. Diese überraschende Richtungsänderung bezieht den
Betrachter in das Geschehen mit ein: Hatte er sich zuvor, bei der Kontemplation der Gemälde
Wagners und Lindemann-Frommels, in aller Ruhe den Gefühlen hingegeben, die die weite
Erhabenheit der kargen Landschaft in ihm erweckten, so ertappt er sich nun erschrocken bei dem
Wunsch, einen Schritt nach hinten zu tun, immer in der Hoffnung, der „Buttero“ würde sein Pferd
gleichfalls in seine Richtung lenken und den wildgewordenen Büffel in die Herde zurücktreiben.
Die drei Gemälde illustrieren auf unterschiedliche Art die römische „Campagna“ und sind, jedes für
sich, als herausragende Werke der jeweiligen Maler zu bezeichnen. Dennoch entgeht dem
Betrachter ein Aspekt, der für den aufgeklärten Reisenden nicht zu übersehen war: Die große Armut
der Bewohner, deren Wohnstätten und Tätigkeiten dem Künstler wohl malerisch erscheinen
mochten, doch die tatsächlich zu den elendsten zählten, die der Kirchenstaat im 19. Jahrhundert
aufzuweisen hatte. An der Grundlage des Übels standen die Besitzverhältnisse, die von Adolf Stahr
ausführlich beschrieben werden. Ihm zufolge befand sich der ganze Grundbesitz der römischen
„Campagna“
97
Zu der Lithographie siehe Freude (wie oben zitiert), S. 248, Nr. DXXI/16 (22,5 x 31 cm), und Abb. 79. Zu dem
Aquarell siehe Freude S. 298, Nr. 482.
98
Carel Max Quaedvlieg, “Blick auf die ‘Campagna romana’ mit Viehherde“, Öl auf Leinwand, bezeichnet Ch.
Quaedvlieg.
99
Carel Max Quaedvlieg und Robert Alexander Hillingford, “Künstlerfest an der Torre Salaria”. Privatbesitz, Öl auf
Leinwand, 61,5 x 99,5 cm. Bezeichnet Ch. Quaedvlieg / R. Hillingford Rome 1856. Das Fest der deutschen Künstler
fand nach 1850 nicht mehr in den Grotten von Cervaro statt, da dieser Ort von der römischen Obrigkeit in Anspruch
genommen worden war; statt dessen versammelten sich die Künstler u. a. in Castel Giubileo an der Via Salaria. Zu dem
Bild, welches die phantastischen Verkleidungen der einzelnen Personen detailgenau vorstellt, siehe den Katalog Vedute
di Roma, fine XVIII-XX secolo. Galerie Paolo Antonacci, Rom 2000, Kat.-Nr. 18.
100
Zu Quaedvlieg siehe de Rosa/Trastulli 2004 (wie oben zitiert), Nr. 24, 25, 27, 31, 62 und S. 251.
41
„in den Händen von nur etwa vierzig reichen Pächtern, Mercanti di Campagna geheißen […] Von
den fürstlichen Grundbesitzern sind es nur einige wenige, die sich insoweit selbst auf die
Bewirthschaftung ihrer großen Güter einlassen, daß sie Viehzucht treiben. Der bei weitem größte
Theil überläßt dieselben den Mercanti di Campagna auf lange Pachttermine gegen gute Pachtzinsen,
ohne sich weiter um deren Treiben zu bekümmern. Dies System ist indessen noch das am wenigsten
schlimme und schädliche. Der Mercante di Campagna […] ist wenigstens, da seine Pachtzeit
meistens eine lange ist, in der Lage, etwas für das gepachtete Gut zu thun […] Kanäle zu ziehen,
Scheuern zu bauen […] und dergleichen mehr. Obschon er nie auf dem Gute selbst lebt, oder auch
nur selbst die Aufsicht über die Arbeiten führt, so besucht er es doch zuweilen, um einen Blick auf
den Zustand desselben zu werfen und mit seinem Faktor (Fattore) zu verhandeln. Dieser letztere,
der ‚Fattore‘, ist der eigentliche Führer der Gesammtwirthschaft […] Sein nächster Untergebener,
mit dem er auch meist die Wohnung […] theilt, ist der Oberhirt, der über die Pferde, Rinder- und
Schafheerden und ihre Hüter die Aufsicht führt. Man kann keinen Ausflug in die Campagna
machen, ohne diese Gestalten, sämmtlich beritten, mit ihrer malerischen Tracht, mit Spitzhut und
Ledergamaschen, den großen braunen grünbesetzten Mantel über den Schultern flatternd […] auf
ihren kleinen rauhhaarigen, unansehnlichen aber feurigen und ausdauernden Pferden über die
hügeligen Ebenen dahinjagen zu sehen.“ Einen solchen Oberhirten sehen wir in Quaedvliegs Bild.
Stahr fährt fort:
„Wenn sich bei dieser Art der Pachtwirtschaft, so weit sie auch von rationeller Oekonomie entfernt
sein mag, doch verhältnißmäßig das Land und die Leute nicht gerade allzu schlecht stehen, so ist
dies dagegen ganz anders bei den der Kirche […] gehörenden Pachtgütern. Natürlich arbeitet die
Kirche noch viel weniger selbst als die fürstlichen Grundbesitzer. […] Aber, was schlimmer ist für
das in ihrem Besitze befindliche Land, das ist die Art und Weise und die Bedingungen, unter
welchen dasselbe von ihnen an die Mercanti di Campagna verpachtet wird. Der Pächter erhält
nämlich nur das nackte Land, alles Inventarium hat er auf eigene Rechnung zu beschaffen. Dazu
werden ihm aber noch wirthschaftlich in doppelter Weise die Hände gebunden. Einmal nämlich
erlaubt die Kirche […] auf ihren Gütern nicht die geringste Abweichung von dem wirthschaftlichen
Herkommen. Weideland bleibt Weideland und darf niemals unter den Pflug gebracht und mit Korn
bebaut werden […] Ackerland […] darf nie als Weideland ausruhen. Was dabei herauskommt, ist
leicht abzusehen. Noch unheilvoller aber für den Boden ist der zweite Umstand: Das kanonische
Gesetz verbietet, Land der Kirche über einen längeren Termin als auf drei Jahre zu verpachten! Dies
schlägt dem Fasse vollends den Boden ein.“ Denn, so führt Stahr weiter aus, unter diesen
Bedingungen baut kein Pächter Schuppen oder Scheunen für Vieh und Korn; die Herden „haben
keinen Zufluchtsort und Schutz gegen Schnee und eisige Winterwinde, noch gegen die Regen des
Spätherbstes und die glühende Sommerhitze. Sie verschlechtern sich, werden mager und krank, die
Milch der Kühe verliert an Güte wie an Menge, das Schlachtvieh an Werth für den Markt, und gar
vieles stirbt in Folge dieser Schutzlosigkeit gegen Wind und Wetter. […] Verlangt der Pächter in
trockenen Jahren Kanäle zum Behuf der Bewässerung, so schreien die Priester, das heiße die
Vorsehung beleidigen […] und wenn in Folge ihrer Hartnäckigkeit eine Mißernte eintritt, so sehen
sie in derselben eine Strafe, welcher sich entziehen zu wollen irreligiös sei. Dabei sind die Abgaben,
welche auf dem Ackerbau lasten, geradezu erdrückend.“101
Ferdinand Gregorovius schließlich, der der römischen „Campagna“ ein ganzes Kapitel seiner
„Wanderjahre in Italien“ widmet, kommt zu dem traurigen Schluss:
101
Stahr und Lewald (wie oben zitiert), S. 313-316.
42
„Sollte man glauben, daß mitten unter der Fülle der Erzeugnisse das Landvolk arm ist? Überblickt
man diese Natur, so scheint sie ein Eldorado glücklicher Bewohner zu sein; aber lebt man mit
diesen, so tritt uns aus dem Paradiese hier nur zu oft der hungerleidende Mensch entgegen.“102
In all ihrer Misere kannten die Bewohner der römischen „Campagna“ jedoch auch Moment der
Fröhlichkeit und des geselligen Beisammenseins, welche ebenfalls gern von den nordischen
Künstlern dargestellt wurden. Das Gemälde eines wahrscheinlich deutschen Malers, um die Mitte
des 19. Jahrhunderts entstanden, zeigt ein ländliches Haus, wohl eine „Osteria“, von der ein Weg in
die ferne Ebene führt. Am Horizont erkennt man einen hohen Rundbau, dessen Form entweder an
dem Grabmal der Cecilia Metella an der Via Appia Antica (zu diesem siehe unten) oder aber an
dem ebenfalls zylinderförmige Grabmal der Plautier an der antiken Brücke „Ponte Lucano“ auf dem
Weg nach Tivoli inspiriert ist (siehe Abb. 27).103
Im Vordergrund sitzt ein junges Paar vor einem stehenden Mann mit einem Weinglas; der Krug in
seiner anderen Hand deutet darauf hin, dass er auch dem Jüngling – der die Hand des schüchtern zu
Boden blickenden Mädchens hält – sein Glas gefüllt hat. Auf dem Balkon des Hauses ist eine Frau
mit ihrer Wäsche beschäftigt. Ein Reiter mit einem Packpferd unterhält sich mit einem Mann auf
den Eingangsstufen. Das junge Mädchen trägt die typische Tracht der Landfrauen aus der
Umgebung Roms, das knappe Mieder über einer weißen Bluse; auch eine goldene Kette und
Ohrringe dürfen nicht fehlen. Ferdinand Gregorovius beschrieb auch die verschiedenen Trachten
der Frauen der römischen „Campagna“; so trugen die Einwohnerinnen Soras z. B. „dicke
Korallenschnüre oder goldene Ketten […], schwere goldene Ohrgehänge schmücken sie; […] der
Busen ruht in einem weißen, in zahllosen Falten zusammengezogenen, doch weiten und losen
Hemde, das eine niedrige purpurrote Büste umschließt.“ Dieses „busto“ war allerdings ein fester
Bestandteil der Tracht aller Frauen in der Umgebung Roms, und zog die Aufmerksamkeit des
deutschen Historikers ganz besonders auf sich: „… endlich de[r] busto, das Hauptstück der
weiblichen Kleidung überhaupt in ganz Latium. Dies ist das Mieder von steifer gesteppter
Leinwand, hart wie ein Sattel, breit und hoch, und an Achselbändern auf den Schultern ruhend. In
ihm wiegt sich und stützt sich die Brust, es scheint als Bollwerk die Tugend zu schirmen, als ein so
gar fester Panzer umgibt es den Busen, doch lose und weit abstehend, so daß es gleichsam noch als
Tasche dient.“104
Das Mädchen unseres Bildes, welches zögernd seine Hand dem neben ihm sitzenden Jüngling mit
roter Mütze überlassen hat, wird zumindest mit diesem verlobt gewesen sein; andernfalls wäre ein
so offensichtlicher Liebesbeweis in aller Öffentlichkeit kaum zulässig gewesen. Tatsächlich waren
die Sitten äußerst streng, wie Gregorovius überliefert:
„Auffallend war mir stets die fast an den Orient erinnernde Zurückhaltung beider Geschlechter von
einander. Es gilt dort der Grundsatz: Männer haben mit Männern, Frauen mit Frauen zu verkehren.
Man findet es lächerlich, wenn der Ehemann seine Frau am Arm führt, und das Mädchen hält ihren
Ruf für gefährdet, wenn sie von einem jungen Mann auf öffentlicher Straße angesprochen, oder gar
von ihm des Wegs begleitet wird. Dem Geliebten wird nur der discorso gestattet, das heißt das
Zwiegespräch am Fenster oder an der Hausthür […] Man bringt Serenaden auf der Guitarre; und oft
hörte ich Schäferständchen von Gesang und klagenden Tönen der Sackpfeife, welche des Nachts
melodisch und trauervoll die Luft durchschweben.“105
102
Gregorovius (wie oben zitiert), S. 178.
Unbekannter (wohl deutscher) Künstler, “ländliche ‘Osteria’ mit Figuren in der römischen ‘Campagna’”. Öl auf
Holz, 37 x 51 cm.
104
Gregorovius (wie oben zitiert), S. 184-185.
105
Ebenda, S. 180.
103
43
Vielleicht erklärt sich so der scheue Blick der Schönen, der wohl bewusst gewesen sein wird, dass
sie hier, am hellichten Tag, Hand in Hand mit ihrem Liebsten, eigentlich nicht hätte sitzen dürfen.
Der zeitgenössischen Leser von Gregorovius Zeilen aber – und wir denken an einen aufgeklärten
Deutschen wie den mit ihm befreundete Adolf Stahr - wird in jedem Fall froh und dankbar gewesen
sein, dass die nordischen Sitten doch um einiges freier waren: Zumindest Stahr wird gern und oft
mit seiner Fanny am Arm (vielleicht heimlich beneidet von ebensolchen Mädchen wie dem hier
dargestellten) die römischen Straßen auf und ab gewandelt sein.
Ein Gemälde von Adolf Friedrich Harper (Berlin 1725-1806) schließlich bringt uns zum
Mausoleum der Cecilia Metella an der Via Appia Antica, das vielleicht für den Rundbau im
Hintergrund des zuvor betrachteten Gemäldes vorbildlich war (siehe Abb. 28).106 Harper hatte die
Landschaftsmalerei bei seinem Vater Johann Harper erlernt; er vervollständigte seine Ausbildung
während ausgedehnter Reisen in Italien. In Rom, wo er Wohnsitz in der Via Condotti bezog, war er
von 1752 bis 1756 Schüler des englischen Landschaftsmalers Richard Wilson (1713-1782). Zu
seinen Freunden zählten Anton Raphael Mengs und Johann Joachim Winckelmann. Nach seiner
Rückkehr aus Italien ließ Harper sich 1756 in Stuttgart nieder, wo 1759 Hofmaler des
württembergischen Herzogs Carl Eugen wurde; ab 1761 war er als Professor an der Stuttgarter
Kunstakademie tätig. 1798 legte der Künstler seine Ämter nieder und zog zurück nach Berlin.
Harpers Bild zeigt einen Blick auf das mit Travertinplatten verkleidete, zylinderförmige Grabmal
aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert, das sich direkt neben der Via Appia erhebt. Es verdankt
sein Überleben in nachantiken Zeiten nicht zuletzt dem Umstand, dass es im Mittelalter an die
römische Familie der Caetani überging (dieselbe, der auch die „Torre dei Caetani“ auf der TiberInsel gehörte; siehe Kapitel 8), die hier eine Festung – das „Castrum Caetani“ - errichtete und das
Mausoleum als Turm derselben benutzte. Tatsächlich stammen die Zinnen, die auch in Harpers Bild
zu sehen sind, aus dem Jahr 1302; auch die Mauerreste und Bögen, die im Gemälde erscheinen,
sowie eine noch heute auf der anderen Straßenseite zu sehende Kirche (S. Nicola) gehören zu dem
mittelalterlichen Komplex.
Harpers Gemälde zeigt das antike Mausoleum vom hellen Licht des Vollmonds übergossen. Dunkle
Wolken dräuen am Nachthimmel. Im Vordergrund haben sich einige Landmänner und ihre Frauen
um ein Feuer gesammelt; ein Herr, dessen roter Umhang und feine weiße Strümpfe ihn als
Angehöriger einer höheren Klasse ausweisen, bewundert das Grabmal. Der Betrachter fragt sich
besorgt, ob der nächtliche Ausflug des Kavaliers vor die Tore Roms mit einer glücklichen
Heimkehr in eine der Herbergen der Ewigen Stadt enden wird, oder ob der ahnungslose Reisende
von den anscheinend in harmloser Geselligkeit um ihr Feuer versammelten Männern und Frauen
seines Habs und Guts beraubt und vielleicht sogar seines Lebens bedroht werden würde.
Tatsächlich war die Gegend um die Via Appia Antica keinesfalls als sicher zu bezeichnen, wie
Adolf Stahr nach einem Ausflug auf der antiken Straße im Januar 1867 notierte:
„Unser Rosselenker hatte schon bei Casal rotondo nicht weiter fahren wollen. Jetzt als wir bei dem
sogenannten Grabe des Gallienus angekommen waren, setzte er unserem Verlangen: die noch
übrige Strecke zu Ende zu fahren, seinen hartnäckigen Widerstand entgegen. Es sei zu spät und –
wir hätten ohnedies schon von Glück zu sagen, bisher keinem Briganten begegnet zu sein.
Vergebens, daß wir ihm unsere Waffen zeigten, und ihm bemerkten, daß wir doch drei Männer
seien, die von einzelnen Raubgesellen nichts zu fürchten hätten. Er blieb bei seiner Weigerung,
obschon er, da wir ihn für die Stundenzahl zu bezahlen hatten, gegen seinen Vortheil sprach, und da
er in Hinsicht der Zeit recht hatte, denn die Sonnen neigte sich, und es begann, kühl zu werden, so
blieb nichts übrig als ihm nachzugeben. Ich habe später dieselbe Tour mehrmals wiederholt, aber
106
Adolf Friedrich Harper, “Blick auf das Mausoleum der Ceicilia Metella an der Via Appia Antica”. Öl auf Leinwand,
64 x 80 cm.
44
keinen Kutscher gefunden, der sich weiter als bis Casal rotondo getraut hätte, ja einer derselben
kehrte sogar bald hinter Cäcilia Metella um, da sein von Furcht geschärftes Auge in der Ferne
verdächtige Gestalten bemerkt haben wollte.“107
Gelang es dem Reisenden, an den Bedrohungen der Briganten vorbei auf der Via Appia Antica die
Ebene hinter sich zu lassen, so gelangte er schließlich in die sogenannten „Castelli Romani“, die
hochgelegenen Orte in den „Colli Albani“, zu denen auch Castelgandolfo am Albaner See gehört.
Das wahrscheinlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts ausgeführte Bild eines unbekannten
Künstlers zeigt einen Blick auf den „Lago di Albano“, entstanden im Krater eines erloschenen
Vulkans, auf dessen hohem, baumbewachsenen Ufer links Castelgandolfo zu erkennen ist (siehe
Abb. 29).108 Der Ort ist vor allem durch seine Funktion als Sommerresidenz der Päpste bekannt, zu
welchem Zweck Urban VIII. hier in den Jahren von 1624 bis 1629 von Carlo Maderno einen Palast
errichten ließ. Unter Alexander VII. wurde die Residenz 1660 erweitert, der weiterhin 1661
Gianlorenzo Bernini damit beauftragte, die Kirche S. Tommaso da Villanova zu errichten. Ihre
Kuppel erscheint in unserem Bild über den Dächern des Papstpalastes.
Der Blick auf den See und Castelgandolfo ist von einem hochgelegenen, von mächtigen Bäumen
überschatteten Weg genommen, auf dem klein ein wanderndes Paar Landleute zu erkennnen ist.
Sonnenlicht fällt durch die Blätter der Bäume, und zwischen Sträuchern und Gräsern am Wegrand
wachsen kleine, rote Blumen, die – wie auch das rote Kleid der Landfrau – dem Gemälde einen
besonderen Farbtupfer verleihen.
Die baumbeschattete Allee über dem Albaner See zählte zu den beliebtesten Bildmotiven der
Künstler. Es handelt sich um eine unter Urban VIII. angelegte Straße, die von Castelgandolfo nach
Albano führt und dort am Konvent der Kapuziner endet; eine zweite, gleichzeitig erbaute Allee
verbindet Castelgandolfo mit Marino. Bekannt als „Galleria di sopra“ und „Galleria di sotto“ führen
sie jeweils auf der Höhe bzw. am Ufer des Sees unter dichten Ulmen und Steineichen entlang – der
Spaziergänger wandert unter einem Dach aus Blattwerk, und so erscheint die Bezeichnung der
Wege als „Galleria“ (der italienische Ausdruck für Tunnel) nur folgerichtig. Unser Bild zeigt die
noch heute gut erhaltene „Galleria di sopra“. Der besonnte Weg, von den ausladenden Kronen der
Steineichen im Bildzentrum beschirmt, wird im rechten Teil des Gemäldes mit dem wie ein kleines
„Bild im Bild“ erscheinenden See konfrontiert. Hier künden die bläulich verschatteten, waldigen
Steilufer schon das Nahen der Abenddämmerung an, doch auf der Höhe der „Galleria“ vergoldet
das Sonnenlicht noch die Blätter und den Erdboden. Es werden diese unterschiedlichen
Lichtverhältnisse, der Kontrast von fern und nah gewesen sein, die den unbekannten Künstler dazu
verlockten, an dieser Stelle des Weges sein Gemälde auszuführen – eine Moment-Aufnahme einer
bestimmten atmosphärischen Konstellation, sicherlich vor Ort und nicht im Atelier angefertigt.
Kapitel 15
Ein Besuch in Tivoli
Ein letzter Ausflug führt unseren Reisenden schließlich in die Tiburtiner Berge nach Tivoli, das sich
seit dem 17. Jahrhundert der Aufmerksamkeit von Bildungstouristen wie Malern aller
Nationalitäten erfreute. Der Ort bot eine Fülle landschaftlicher Schönheiten und Monumente, die es
zu besichtigen galt: Die antike Hadrians-Villa und die im 16. Jahrhundert angelegte Villa d’Este,
107
Stahr und Lewald (wie oben zitiert), S. 186.
Unbekannter Künstler, “Blick auf den Albaner See und Castelgandolfo von der ‘Galleria di sopra’”. Öl auf
Leinwand, 47 x 66 cm.
108
45
das um die Mitte des 15. Jahrhunderts errichtete Kastell „Rocca Pia“, der berühmte SybillenTempel auf seinem Steilhang, und schließlich die durch den Aniene und seine Nebenarme
gebildeten Wasserfälle. All diese Sehenswürdigkeiten zogen die Landschaftsmaler im 18. und 19.
Jahrhundert in Scharen herbei, wie man beispielsweise den Lebenserinnerungen des mit Goethe
befreundeten Malers Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829) entnehmen kann. Tischbein
berichtet über seine Erfahrungen in Tivoli 1779:
„Ich hatte mich diese Tage hindurch mit Gehen und Sehen wirklich erschöpft; denn unser Cicerone,
ein munterer Knabe, der seine Pflicht über die Maßen erfüllte, reizte uns immer an, noch etwas
Schönes zu sehen, und da er alles sehr gut kannte, so nannte er, wenn er uns eben an einen Ort
gebracht hatte, der allein der Mühe wert war, ihn lange zu betrachten, schon wieder einen neuen.
Stand ich nun und bewunderte ihn, so rief er schon: ‚Ja, dort ist es noch weit besser! Denn so sagen
die Mylords alle, und die Myladies wollen vor Entzücken nicht wieder weg! Und, oh! Die Pittori!
Ich muß ihnen gleich ihre Portefeuilles geben und den Sonnenschirm über ihnen ausbreiten, dann
ziehen sie ihre Papiere heraus. Seht, dort sitzt einer auf seinem Feldstuhle im Schatten unter dem
Schirm und da oben einer, der malt. Heute morgen hab ich ihm alle seine Sachen auf meinem Esel
da hingeführt, Staffelei, Farbkasten, Leinwand, Wein und Brot. Das muß ich alle Tage tun. […]
Dann kommen oft andere Maler, die schreien und jauchzen, wenn ich sie auf eine schöne Stelle
bringe, und ich kann ihnen nicht geschwind genug die Portefeuilles reichen. Kaum haben sie die
Skizz, so sind sie fertig! Dann wieder an einen andern Ort. Mit denen kommt man in ein paar
Stunden weit herum.‘“109
Im Zentrum des bunten Künstlertreibens stand der sogenannte Sybillen-Tempel, ein Rundtempel
aus dem 1. vorchristlichen Jahrhundert, der wohl ursprünglich der Vesta geweiht war und der sich
auf einem durch Terrassen befestigten, hohen Steilhang über dem Tal des Aniene erhebt (zu ihm
siehe auch Kapitel 10). Wir erblicken das Monument in einem Gemälde von Conrad Zeller (zu
ihm siehe Kapitel 5), der für seine Vedute einen tiefgelegenen Standpunkt gewählt hat (siehe Abb.
30):110 Gut zu erkennen sind die kannelierten Säulen sowie die Eingangstür zur Cella; dahinter
schließt ein kleineres Gebäude an. Nicht zu sehen ist der zweite, ältere Tempel von rechteckiger
Form, der im Mittelalter in eine Kirche (S. Giorgio) umgewandelt worden war; ihn hat man sich
hinter dem Sybillen-Tempel vorzustellen. Auf den bewaldeten Hängen der umgebende Berge
erscheint im Bildhintergrund eine weiße Villa. Goldenes Sonnenlicht flimmert auf grünen
Rankgewächsen und braunem Erdreich und bringt die Farben der Natur zum Leuchten.
Das in Zellers Bild neben dem Tempel zu sehende Haus gehörte dem Gastwirt Francesco
Coccanari, der hier um die Mitte des 18. Jahrhunderts eine Gaststätte, die „Locanda della Sibilla“
eröffnet hatte. Dieses Lokal war bei den Malern wohlbekannt; so notierte schon Tischbein 1779:
„Wir stiegen bei dem Wirte ab, hinter dessen Haus der berühmte Sibyllentempel steht. Der
freundliche Mann nannte sich Vater der Künstler und nahm uns auch als seine Söhne auf.“111
Tatsächlich führte der als „Signor Cecco“ bekannte Gastwirt diese Bezeichnung nicht zu Unrecht,
wenn er später auch nicht Vater sondern Schwiegervater eines Künstlers wurde: 1815 heiratete
seine Tochter Caterina den Landschaftsmaler Johann Martin von Rohden (1778-1868), wodurch die
„Locanda della Sibilla“ den Künstlern ein weiteres Stück geöffnet wurde. Das Gasthaus bot dem
Reisenden schließlich nicht nur Speis und Trank, sondern auf Wunsch auch ein Nachtlager – so z.
B. der Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739-1807), die im Mai 1789 hier
109
Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Aus meinem Leben. Herausgegeben von Kuno Mittelstädt, Berlin 1956, S. 146147. Tischbeins Schilderung war nicht übertrieben, wie die Auflistung von Malern in Tivoli bei Coriolano Belloni
belegt (I pittori dell’Ottocento a Tivoli. In: L’Urbe 42, 1979, fasc. 5, S. 1-11). Belloni verzeichnet u. a. auch russische,
schwedische, amerikanische und ungarische Maler, von denen sich viele heute nicht mehr nachweisen lassen.
110
Conrad Zeller, “Blick auf den Sybillen-Tempel in Tivoli”. Öl auf Leinwand, 48,5 x 60,5 cm.
111
Tischbein (wie oben zitiert), S. 140).
46
mit ihrer Entourage Station machte. Noch heute befindet sich am Sibyllen-Tempel ein Restaurant,
in dem diverse Gemälde und Zeichnungen an seine belebte Vergangenheit erinnern. An schönen
Tagen kann der Besucher (wie weiland die Weimarer Herzogin) auf einer Terrasse vor dem
Sybillen-Tempel speisen, die in Zellers Gemälde durch mehrere steinerne Pilaster gekennzeichnet
ist.
Nach einem stärkenden Mahl im Gasthaus des freundlichen Signor Cecco (bzw. seiner Nachfahren)
war der Bildungsreisende bereit, sich den weiteren Sehenswürdigkeiten Tivolis zu widmen. Dazu
gehörten vor allem die berühmten Wasserfälle, die bis zum Jahre 1835 an drei verschiedenen
Stellen bewundert werden konnten und die als „Cascata grande“, „Cascatelle grandi“ und
„Cascatelle piccole“ bekannt waren. Die erstgenannte Kaskade stürzte unmittelbar neben dem
Sybillen-Tempel in die Tiefe; etwas weiter flussabwärts folgten sodann der Fall der „Cascatelle
grandi“ und schließlich die kleinen „Cascatelle“. Diese kleineren Wasserfälle wurden aus einem
umgeleiteten Arm des Aniene gebildet, der in den Substruktionsmauern eines Herkules-Tempels,
im 18. und 19. Jahrhundert als „Villa des Maecenas“ bekannt, eine Reihe von Wassermühlen
antrieb. Alle drei Wasserfälle waren bei Künstlern und Reisenden sehr beliebt, doch war der
Aniene, dem sie ihre Existenz verdankten, nicht nur eine Touristen-Attraktion sondern auch eine
Bedrohung für die Einwohner Tivolis, die mit regelmäßigen Überschwemmungen zu leben hatten.
Nach einem Hochwasser 1826, dem der direkt am Flussufer gelegene, mittelalterliche Stadtteil
Castro Vetere zum Opfer fiel, lösten die Tiburtiner das Problem auf radikale Weise: Man leitete den
Verlauf des Aniene kurzerhand um, wodurch auch die Wasserfälle ihre Form veränderten. Die
„Cascata grande“ wurde verlegt – ihr altes Bett ist heute leer -, und die „Cascatelle piccole“
verschwanden ganz. Nur die „Cascatelle grandi“ rauschen auch heute noch wie einst in zwei großen
Stufen in den Aniene hinab.
Ein Johann Wilhelm Schirmer (Jülich 1807-Karlsruhe 1863) zugeschriebenes Gemälde (siehe
Abb. 31)112 zeigt einen Blick auf diese Wasserfälle, wie er nach der Umleitung des Aniene zu
bewundern war. Schirmer, der 1836 eine feste Anstellung als Lehrer für Landschaftsmalerei an der
Düsseldorfer Akademie erhalten hatte, brach im Juli 1839 nach Italien auf und langte schon am 11.
August des Jahres in Rom an. Hier fand er schnell Anschluss an den deutschen Künstlerkreis: Als
zum Ende des Jahres 1839 dem alten Johann Christian Reinhart zu Ehren ein Fest im Palazzo
Caffarelli auf dem Kapitol gegeben wurde, beteiligte Schirmer sich aktiv an der Anfertigung eines
Portraits des Jubilars im Jägerskostüm. Im Oktober 1840 kehrte der Maler nach Deutschland
zurück. 1854 erhielt er einen Ruf an die neu gegründete Kunstschule in Karlsruhe, zu deren
Direktor er 1855 ernannt wurde.
Unser Gemälde präsentiert die Häuser des Städtchens auf der Höhe; links am Hang erkennt man
den Sybillen-Tempel. Dahinter ist gerade noch ein kleiner Ausschnitt der „Cascata grande“ zu
sehen, während weiter vorn die großen „Cascatelle“ zu Tal stürzen. Im Hintergrund erhebt sich der
Monte Catillo. Der Ort und seine Wasserfälle erscheinen eingebettet in das dichte Grün der
umgebenden Berghänge, deren üppige Vegetation der Maler mit besonderer Kunstfertigkeit
dargestellt hat: Das Auge des Betrachters schweift von den besonnten Büschen und Pflanzen im
Vordergrund über den goldbraun leuchtenden Weg hinab zu den Bäumen im tieferen Talgrund,
deren Kronen teils vom Sonnenlicht beschienen, teils in Schatten dunklerer Grüntöne getaucht
werden. Die nur von spärlicher Vegetation bedeckten Hügel im Hintergrund sind in fahleren Farben
gehalten; Ocker- und Grautöne wechseln mit blassem Grün, das in eindrucksvollem Gegensatz etwa
zu dem satten Farbton der Wiesenmatten auf der Hochebene zwischen den beiden Stufen des
112
Johann Wilhelm Schirmer, “Blick auf die Wasserfälle von Tivoli”. Öl auf Leinwand, 42,7 x 60,6 cm. Auf der
Rückseite ein Etikett, demzufolge das Bild aus dem ehemaligen Berliner Kronprinzenpalais stammt (1945). Die
Leinwand ist nicht signiert; ob das Gemälde tatsächlich Schirmer zuzuschreiben ist, kann hier nicht mit letzter
Sicherheit festgestellt werden.
47
Wasserfalles steht. Auf dem bergab führenden Weg erscheint winzig ein Reiter auf einem Packesel
neben einem Wanderer: hier blitzt das Rot eines Wamses auf, ein Farbtupfer, der inmitten der
vielen Grünschattierungen wie ein leuchtendes Signal erscheint. Obgleich das Bild wohl fünfzig
Jahre nach dem Aufenthalt der Weimarer Herzogin in Tivoli entstanden ist, lässt es sich doch
gleichsam als Illustration ihrer Reiseerinnerungen heranziehen:
„Die Cascatellen [und hier sind die „Cascatelle grandi“ gemeint, deren Form auch nach 1835
unverändert blieb] faßen alles in sich, was groß erhaben und schön ist. Sie sind mit der schönsten
Romantischen Gegend umringt. Wo Berge, Hügel, und Thäler miteinander abwechseln, und ein
zaubervollen Anlick bilden. Die lieblich Beschatteten Plätze, welche sich hier und da darbieten,
laden zur Ruhe ein; auf dem weichen Mooß erholt man sich von der hitze und Ermüdung […] alles
dieses Vermag nur ein Magischer Pinsel zu schieldern.“113 Vielleicht der Pinsel, mit dem das
vorliegende Gemälde ausgeführt wurde? Anna Amalia hätte es sicherlich gefallen.
Zum festen Programm eines Tivoli-Besuches zählte schließlich die Villa d’Este, ursprünglich ein
benediktinischer Konvent, der 1550 von seinem Besitzer, dem Kardinal Ippolito d’Este (15091572), in ein prachtvolles Anwesen umgebaut wurde. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
residierte hier Kardinal Gustav Adolf von Hohenlohe-Schillingsfürst, der wiederum eine
Zimmerflucht der Villa dem berühmten Komponisten und Pianisten Franz Liszt (1811-1886) zur
Verfügung gestellt hatte. Das „appartamento Liszt“ lag im oberen Stockwerk des Hauses, und sein
Bewohner genoss von seinen Fenstern einen Blick über den weitläufigen Garten, der zu den
schönsten Italiens zählt. Über fünfhundert kleine und große Brunnen erfüllen die Luft mit ihrem
Rauschen; dazwischen führen symmetrisch angeordnete Wege an seltenen Bäumen und Pflanzen
vorbei, durch Labyrinthe und zu besonderen Aussichtspunkten. Einer der beliebtesten dieser
Blickpunkte war die „Rotonda dei Cipressi“, ein runder Platz, auf dem eine Gruppe majestätischer
Zypressen dem rastenden Spaziergänger Schatten spendet. Hier ließ sich die Weimarer Herzogin
mit ihren Begleitern, der Hofdame Louise von Göchhausen, der Malerin Angelika Kauffmann und
dem Schriftsteller und Theologen Johann Gottfried Herder, am 5. Mai 1789 zu einer Ruhepause
nieder: Herder las der Gruppe aus Goethes „Tasso“ vor, während die Hofdame – wie sie in ihrem
Reisetagebuch vermerkte – ein kleines Lamm mit Blumen fütterte.114 Anna Amalia selbst notierte in
ihren Erinnerungen: „Der Garten am Fuß des Schloßes hat schöne und anziehende partien zwar
nicht im jetzige geschmack, aber doch nicht ohne eine gewiße Größe die hier überall hervorleuchtet.
Bald kömt man in ein Bosquet von hohen Cypressen, bald in ein Kühles Wäldgen von schönen und
erhabenen Platanen, welche die Fantasie zu dichterischen ideen begeistern.“115
Die Zypressen überdauerten die Zeit, wie Fanny Lewalds Freund, der preußische Legationssekretär
Kurd von Schlözer (1822-1894), am 30. April 1864 in einem Brief aus Tivoli vermeldete: „Bei
jedem Schritte fühlt man das sechzehnte Jahrhundert mit seinem zauberisch-genialen Kunstsinn.
Um solchen Duft der Vergangenheit zu genießen, darf nicht alles neu und poliert sein, es muß etwas
von der Patina klassischer Münzen, dem Hautgout der Geschichte an sich tragen – so wie hier in der
Villa d’Este. Des Jungen und Frischen bleibt doch noch genug: der Blick vom hohen Schloßaltan
auf die sonnige, grüne Campagna […] ist heute so schön wie vor 300 Jahren, und in den schattigen
Laubgängen mit ihren wechselnden Durchblicken und Fernsichten duften Lorbeer, Orangen und
Myrte so frisch und würzig wie damals. Die riesigen, vielhundertjährigen Zypressen, deren ernste,
113
Zitiert in: Heide Hollmer (Hrsg.), Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach. Briefe über Italien. St. Ingbert 1999,
S. 38.
114
Louise von Göchhausens Reisetagebuch wurde veröffentlicht von Juliane Brandsch (“Es sind vortreffliche
Italienische Sachen daselbst”. Louise von Göchhausens Tagebuch ihrer Reise mit Herzogin Anna Amalia nach Italien
vom 15. August 1788 bis 18. Juni 1790, Göttingen 2008). Zu der im Schatten der Zypressen versammelten Gruppe
zählten weiterhin der Kammerherr Friedrich Hildebrand von Einsiedel, der römische Kunstkenner und “Cicerone”
Johann Friedrich Reiffenstein und Angelika Kauffmanns Gatte Antonio Zucchi.
115
Hollmer (wie oben zitiert), S. 37.
48
schwarze Wipfel den Park beherrschen, gelten für die schönsten Italiens.“116 Diese Meinung teilte
sicherlich auch Franz Liszt, der die Villa d’Este seinen anderen Wohnsitzen bei weitem vorzog und
sich von ihrem Garten zu diversen Kompositionen inspirieren ließ – in der “Rotonda dei cipressi”
entstand 1877 das Klavierstück „Aux Cyprès de la Villa d’Este.”117
Wohl vom Ende des 19. Jahrhunderts datiert ein Gemälde des Schweizer Malers Jakob Lorenz
Rüdisühli (Sennwald/St. Gallen 1835-Basel 1918), der als Kind mittelloser Eltern seine
Jugendjahre im Armenhaus verbracht hatte (siehe Abb. 32).118 Nach Anstellungen in mehreren
Kunstanstalten, wo er u. a. mit dem Kolorieren von Lithographien beschäftigt wurde, gelang es ihm,
sich zunächst als Kupferstecher und später als Maler zu etablieren; seit 1868 lebte er in Basel. Über
seine Italienreise ist nichts bekannt, doch ist anzunehmen, dass sie im letzten Drittel des 19.
Jahrhunderts stattfand.119 Rüdisühlis in schmalem Hochformat gehaltetenes Bild zeigt einen Blick
auf die „Rotonda dei Cipressi“: Im Vordergrund erscheint der mit grob behauenen Marmorblöcken
umfriedete Platz, um den herum sich die geraden Stämme der Zypressen erheben; daneben steigen
wie Lichtblitze die Strahlen kleiner Springbrunnen empor. Die dunkel verschatteten Silouetten der
Bäume kontrastieren mit dem hellen Baukörper der Villa im Hintergrund, die von gleißendem
Sonnenlicht übergossen ist. Darüber erstreckt sich ein leuchtend azurfarbener Himmel. Eine von
niedrigeren Bäumen und Büschen flankierte Treppe führt vom Haus zur Rotunde hinab. An ihrem
Ende, am Rande des Platzes, steht eine einzelne Frau, ihren leuchtend roten Sonnenschirm hinter
sich im Rücken – sie erscheint winzig neben den dunklen Baumriesen, deren schwarz verschattete
Kronen den Betrachter daran erinnern, dass die Zypresse in Italien ein Friedhofsbaum, ein Baum
des Todes war. Doch diesem Gedanken setzt das warme Rot des Sonnenschirms ein lebendiges
Zeichen entgegen: Für seine Trägerin beinhalten die Bäume keine dunkle Symbolik sondern
schenken ihr Schatten und Kühle, die sie dankbar annehmen wird.
Jakob Lorenz Rüdisühli war künstlerisch von dem aus Basel gebürtigen Maler Arnold Böcklin
(1827-1901) beeinflusst, und so lässt sich die Frage stellen, ob ihm dessen Hauptwerk, die in fünf
Versionen überlieferte „Toteninsel“ bekannt war.120 Hier wie dort ragen schwarze Zypressen in den
Himmel, doch während in Böcklins Gemälde ein verhüllter Totenwächter in einem Nachen einen
Sarg auf seinem Weg in das lautlose Dunkel der Bäume begleitet, symbolisiert die Frauengestalt bei
Rüdisühli – ebenso klein wie die Figur Böcklins – durch das Rot ihres Sonnenschirmes die Kraft
des Lebens. So gesehen, lassen sich Rüdisühlis Zypressen gleichsam als Gegenbild zu denjenigen
Böcklins interpretieren – vielleicht lag gerade dies in der Absicht des Malers.
Heimkehr
Der Reisende kehrt nach Rom zurück. Den Kopf voller Bilder, sucht er seine Herberge auf; seine
Tage in der Ewigen Stadt sind gezählt, die Abreise nahe. Im Gedächtnis bleiben nicht nur
Erinnerungen an die besichtigten Monumente und Orte, sondern auch Sinneseindrücke, die
unverrückbar mit dem römischen Leben verbunden sind: Die Intensität der Farben, die Helligkeit
und Wärme, auch unerträgliche Hitze, der Lärm und das Rufen der Römer auf den Straßen, das
Rauschen der Brunnen und – sollte unser Reisender seine „Grand Tour“, wie Fanny Lewald und
116
Kurd von Schlözer, Römische Briefe von Kurd von Schlözer 1864-1869. Stuttgart/Berlin 1913, S. 42-43.
Zu Liszts Aufenthalten in Tivoli siehe Ernst Burger, Franz Liszt. Die Jahre in Rom und Tivoli 1839, 1861-1886.
Mainz 2010.
118
Jacob Lorenz Rüdisühli, “Blick auf die Rotunde der Zypressen in der Villa d’Este in Tivoli”. Öl auf Leinwand, 70 x
44 cm, bezeichnet J. L. RJ.
119
Zu Rüdisühli siehe das Schweizerische Künstler-Lexikon, redigiert von Carl Brun, II, Frauenfeld 1908, S. 688. Zum
Zeitpunkt des Erscheines lebte der Künstler noch, so dass sein weiterer Lebenslauf nicht berücksichtigt werden konnte.
120
Böcklins 5 Versionen der “Toteninsel” entstanden zwischen 1880 und 1886; die erste Fassung befindet sich in Basel
im Kunstmuseum.
117
49
August Stahr, im Winter unternommen haben – die charakteristischen Klänge der Zampogna und
der Schalmei zur Weihnachtszeit. Sinneseindrücke also, die in der Erinnerung weiterleben und die
durch das Betrachten von Gemälden erneut evoziert werden können. Dieses war die Zielsetzung der
Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts, die damit weit über ihre klassizistischen Vorgänger
hinausgingen: Hatten die Vedutisten des 18. Jahrhunderts vor allem danach gestrebt, eine Gegend
so genau wie möglich zu dokumentieren, so wollten die nachfolgenden Künstler das Licht und die
Wärme malen, Geräusche hörbar machen und Gefühle im Betrachter wecken, die an bestimmte
Erfahrungen gebunden waren. Nicht wenige der Gemälde im Hotel Victoria sind aus diesem
Wunsch heraus entstanden, und der von seinen Ausflügen heimkehrende Rombesucher entdeckt –
vielleicht vor Gustav Palms riesigen Säulen des Petersplatzes, vor der lichtüberfluteten Pyramide
Max Gublers oder vor dem im gleißenden Sonnenlicht emporstrebenden sallustianischen Obelisken
Niels Bredals -, dass hier seine eigenen Sinneseindrücke aus der Flüchtigkeit des erlebten Moments
in überdauernde Kunst gebannt worden sind.
Und so verlässt der Reisende die Ewige Stadt, mit Bildern im Gedächtnis und, vielleicht, mit
Bildern im Gepäck. Die Gemälde im Hotel Victoria jedoch, zurückgekehrt nach Rom, wo sie
entstanden sind, warten auf den nächsten Besucher. Er wird mit ihrer Hilfe die Stadt erkunden, sich
von ihnen zu manchem Ausflug anregen lassen und schließlich seine eigenen Eindrücke und
Erfahrungen in ihnen widergespiegelt finden - festgehalten in längst vergangenen Tagen, und doch
von so unmittelbarer Eindringlichkeit, als hätte der Maler soeben den Pinsel aus der Hand gelegt.
Rom, im Februar 2012
Dr. Claudia Nordhoff
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