Homburger erinnern sich... - Gemeinschaftskreis "UNSER HOMBURG"

Transcription

Homburger erinnern sich... - Gemeinschaftskreis "UNSER HOMBURG"
Homburger erinnern sich...
Gespräch mit Herbert Dwuzet
Sie sind also in einem mutterlosen Haushalt aufgewachsen?
Zunächst ja, später heiratete jedoch mein Vater wieder, so
daß ich wenigstens eine Stiefmutter hatte und, nachdem
zwei Halbgeschwister geboren wurden, doch noch in den
Genuß eines Familienlebens kam.
Wo haben Sie gewohnt?
Zunächst Am Mühlberg; 1936 kaufte mein Vater das
Haus Schwedenpfad 16. Im Nachbarhaus wohnte die Familie Traudt mit ihrer Tochter Marion…
…. mit Marion Liebs haben wir ja in der Augustausgabe
2010 ein interessantes Interview geführt.
Ja, ich weiß. Ich habe dieses mit großer Begeisterung gelesen und hoffe, daß unser Gespräch genauso interessant
wird.
Davon bin ich überzeugt!
Doch zunächst weiter zu Ihrem schulischen Werdegang.
Herr Dwuzet, in einem Bericht über die Frühlingsfahrt
nach Biedenkopf in der Mai-Ausgabe 2010 unserer Heimatzeitung findet sich folgendes Zitat über den Rundgang durch die Altstadt:
„Hier galt es teilweise erhebliche Höhenunterschiede zu bewältigen. Ein besonderes Lob sei in diesem
Zusammenhang unserem Vorstandsmitglied Herbert
Dwuzet ausgesprochen, der trotz seiner 89 (!) Jahre einen über hundert Stufen steilen Treppenaufgang
nahezu gemsengleich und mit bemerkenswerter Kondition bewältigte.“
Das liegt nun acht Monate zurück und in Kürze werden
Sie 90. Würden Sie sich die gleichen Anstrengungen auch
heute noch zutrauen?
Ja, unbedingt. Meine Kräfte haben seit damals nicht
nachgelassen.
Sie müssen ja fantastische Gene besitzen. Ihre Eltern
sind sicher sehr alt geworden.
Mein Vater wurde 89, aber meine Mutter ist bereits am
24. Januar 1921 gestorben, drei Tage nach meiner Geburt.
Ein tragisches Ereignis. Wie ist das passiert?
Ich kam durch einen Kaiserschnitt zur Welt. Das war
damals noch keine Routine-Operation. Meine Mutter infizierte sich, Antibiotika gab es damals noch nicht, sie
konnte nicht gerettet werden.
Ich wurde nach vier Jahren Volksschule in die Sexta des
Kaiserin-Friedrich-Reformgymnasiums, wie es damals
hieß, aufgenommen und blieb dort bis zur „Mittleren
Reife“.
Rolf Hafner, Hans Ochs und Fred Fischer, alles treue
Mitglieder unseres Gemeinschaftskreises, waren meine
Klassenkameraden.
Sie haben Ihre Schulzeit aber nicht mit dem Abitur abgeschlossen?
Nein, und das hatte folgenden Grund:
Mein Vater war Mitinhaber des Elektroinstallationsgeschäftes Fries & Dwuzet. Ich sollte später in diesen Betrieb einsteigen und begann deshalb eine Lehre als Elektroinstallateur. Nebenher bereitete ich mich in Fern- und
Abendkursen auf ein Ingenieurstudium vor.
Wo haben Sie Ihre Lehrzeit absolviert?
Zunächst in einem kleinen Handwerksbetrieb in Oberursel, dann jedoch bei der Elektrizitäts AG (Lahmeyer &
Co.) in der Höhestraße.
Am 30. März 1940 hatte ich ausgelernt.
Inzwischen war der Krieg ausgebrochen. Ich hatte mich
schon im September 1939, also kurz nach Kriegsbeginn,
wie die meisten meiner Altersgenossen, zur Wehrmacht
gemeldet mit dem Wunsch, zur Luftwaffe zu kommen.
Wo wurden Sie eingesetzt, an der Ostfront?
11
Zum Glück nicht. Wir wurden in die Normandie an die
Kanalküste verlegt. Da ich – aufgrund meiner Ausbildung – fachlich als kompetent und qualifiziert galt, kam
ich zu einer Radarstellung. Wir mußten Tag und Nacht
den Himmel mit Funkmeßgeräten nach feindlichen Fliegern absuchen.
Anfang 1944, also noch vor der Invasion, wurde ich zur
Fallschirmjägerausbildung herangezogen, die vornehmlich in Südfrankreich stattfand.
Durch diese Versetzung entging ich den Invasionskämpfen. Auch hier hatte ich wieder Glück.
Schließlich landete ich jedoch mit unserem Fallschirmjägerregiment in Holland, und zwar mitten in die Erdkämpfe nach der Luftlandung der Alliierten bei Arnheim.
Viele meiner Kameraden sind gefallen, ich selbst blieb
unverletzt und geriet bei den Rückzugskämpfen am Niederrhein in der Nähe der Stadt Wesel im März 1945 in
Gefangenschaft.
Nach meiner Gefangennahme kam ich mit Tausend anderen in ein riesiges Zeltlager in der Nähe von Antwerpen.
Im September 1945 wurden alle Kriegsgefangenen, welche in der britischen oder amerikanischen Besatzungszone ihre Heimat hatten, entlassen. Auch hier hatte ich
wieder Glück gehabt. Die aus der französischen Besatzungszone kamen nach Frankreich und mußten dort noch
teilweise jahrelange Zwangsarbeit leisten.
Ich hatte 1944, als ich als Funker auf der Jagdfliegerschule eingesetzt war, meine spätere Frau Marianne Schlegel
kennengelernt. Wir verlobten uns und nach Kriegsende
wollte ich so schnell wie möglich geordnete Verhältnisse haben. Nach meiner Heimkehr fuhr ich deshalb so
schnell wie möglich nach Nürnberg, ihrem Wohnort, um
sie nach Bad Homburg zu holen.
Wie haben denn Ihre drei Klassenkameraden, die sich mit
Ihnen freiwillig zur Luftwaffe gemeldet hatten, den Krieg
überlebt? Hatten diese auch so viel Glück?
Wie ging es beruflich mit Ihnen weiter?
Alle drei sind den Fliegertod gestorben, ich bin als einziger übrig geblieben.
Wie sind Sie nach Nürnberg gekommen, regelmäßige Zugverbindungen gab es im Herbst 1945 wohl noch
nicht?
Das ist richtig. Die Hinfahrt war ein richtiges Abenteuer,
ich konnte auf einem Kohletransportzug mitfahren. Zurück nach Bad Homburg ging es mit mehrfachem Umsteigen ausschließlich auf Güterzügen. Mit vier Koffern
Gepäck, in denen sich die Aussteuer von Marianne befand, kamen wir nach 36 Stunden in Bad Homburg an.
Ich arbeitete in dieser Zeit im väterlichen Elektrobetrieb.
Wir hatten keine Wohnung. Tagsüber stand uns ein winziger, acht Quadratmeter großer Nebenraum im Elektrogeschäft in der Dorotheenstraße zur Verfügung. Nachts
hatten wir eine Schlafstätte bei einer Tante in der Altstadt.
Am 15. Dezember 1945 haben wir unter sehr bescheidenen Verhältnissen geheiratet. Kartoffelsalat mit warmer
Fleischwurst war unser Hochzeitsschmaus.
Im Dezember 1946 machte ich meine Meisterprüfung.
Zur damaligen Zeit arbeitete ich noch in der Firma Fries
& Dwuzet, ich wollte mich jedoch selbständig machen.
Sie sind dann nach Ihrer Entlassung vermutlich nach
Bad Homburg zu Ihren Eltern gekommen.
Ja. Allerdings war mein Elternhaus im Schwedenpfad 16
von den Amerikanern beschlagnahmt. Mein Vater wurde
dort als Hausmeister angestellt, hatte jedoch nur ein einziges Zimmer zur Verfügung.
Wen hatte die Besatzungsmacht denn im Haus untergebracht?
Zunächst US-Offiziere, dann die Kapelle Benny de Weille, die damals ein sehr langes Engagement im RittersPark-Hotel hatte. Im Ritters-Park-Hotel logierten ausschließlich US-Amerikaner. Benny de Weille spielte
auch viel für den amerikanischen Soldatensender AFN.
Die Musiker waren fast ausschließlich Holländer und
Tschechen.
Unser Haus wurde bereits Anfang Oktober 1946 wieder
freigegeben. Allerdings wurden die freien Wohnungen
gleich wieder beschlagnahmt, und zwar von deutschen
Behörden, dort wurden dann Ausgebombte und Flüchtlinge untergebracht. Wir mußten uns mit der Mansarde
begnügen.
Aber nochmals zurück zur Zeit nach meiner Entlassung:
12
1955. Schallplatten-Bar im Elektrogeschäft Dwuzet.
Doris Mack berät die Kunden, auch mit Hörproben.
Ladengeschäft Louisenstraße 26
Haben Sie nicht erwogen, in die Firma Fries & Dwuzet
einzusteigen?
Nein, ich wollte selbständig sein. Im übrigen lag mein
Interesse weniger in der Elektroinstallation, sondern im
Rundfunkbereich. Ich meldete deshalb am 1. Juli 1951
die Firma Herbert Dwuzet Elektro-Radio-Einzelhandel,
Radioreparaturwerkstatt an. Das erste Geschäftslokal
befand sich im Gebäude des Kinos HELIPA. Dieses Geschäft habe ich bis 1957 geführt. Es war jedoch keine
lukrative Angelegenheit, obwohl wir, d. h. ich und meine
Ehefrau, teilweise 60-70 Stunden wöchentlich arbeiteten.
Die Ausgaben für Miete waren sehr hoch und wurden
ständig gesteigert. Ich hatte dann jedoch ein äußerst interessantes Angebot beim Hessischen Rundfunk, insbesondere was den Aufbau des Fernsehens anbetraf. Dort blieb
ich bis zu meiner Pensionierung am 1. Februar 1984.
Ich habe fast alle führenden Rundfunkanstalten nicht nur
in Deutschland, sondern auch in Westeuropa als Leiter
der ARD-Abteilung für die Verknüpfung von nationalen
und internationalen Übertragungen kennengelernt und
war insgesamt sehr oft im Ausland tätig.
Dadurch hatte ich leider die Verbindung zu meiner Heimatstadt etwas verloren. Dies wollte ich nun ändern.
Ich fand im Gemeinschaftskreis „Alt-Homburg“ Menschen, die mit viel Eifer, Begeisterung und Wissen die
Geschichte, Ereignisse und Erlebnisse unserer Stadt aufnehmen und pflegen.
Ich wurde in den Vorstand gewählt. Meinem Vorschlag,
die Bezeichnung „Alt-Homburg“ in „UNSER HOMBURG“ zu ändern, wurde einhellig zugestimmt.
Das Wort „Alt“ hatte wohl viele jüngere Menschen ge-
stört, dem Gemeinschaftskreis beizutreten, den sie als
„Seniorenverein“ ansahen.
Ich hoffe, daß sich der Gemeinschaftskreis nunmehr verjüngt. Erste Anzeichen sind schon zu sehen.
Nach 56jähriger glücklicher Ehe verstarb im März 2001
meine Frau. Ganz allein bin ich nicht. Mein Sohn lebt
mit seiner Frau in Bad Homburg. Leider habe ich keine
Enkel.
Sie resignieren aber nicht?
Nein, auf keinen Fall. Ich lebe jetzt im Kurstift und bin
dort an vielerlei Aktivitäten beteiligt, unter anderem auch
beim Heimbeirat.
Erstaunlich ist ja nicht nur Ihre geistige, sondern auch
Ihre körperliche Fitneß. Wie kommt das?
Ich halte mich auch nach wie vor fit durch Schwimmen,
Radfahren und Nordic Walking. Mit 81 Jahren habe ich
nochmals das Sportabzeichen gemacht.
Gibt es Laster, die Ihre Gesundheit beeinträchtigen könnten?
Geraucht habe ich nie, und Alkohol trinke ich auch nur
in Maßen.
Herr Dwuzet, ich wünsche Ihnen noch sehr viele gesunde
und glückliche Jahre, am liebsten Jahrzehnte, und bedanke mich recht herzlich für dieses Gespräch.
Das Interview wurde geführt von Ulrich Cannawurf
13