Zu Besuch bei reichen Leuten
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Zu Besuch bei reichen Leuten
2/11 April – Juni Freundesbrief der Ökumenischen Kirchenwochenarbeit in Deutschland Zu Besuch bei reichen Leuten In halt vor ein paar Jahren dachten wir im „Aufwind“ über tragende Werte des Lebens nach. Und über weniger tragende. Damals zitierten wir einen Satz des schwerreichen Reeders Aristoteles Onassis, der mir bei der Arbeit am neuen „Aufwind“ wieder einfiel: „Ein reicher Mann ist oft nur ein armer Mann mit viel Geld.“ Ist so gesehen die Sorge ums liebe Bankkonto nicht lediglich die Vergrößerung der eigenen Armut mit anderen Mitteln? Es ist nur eine Frage des Blickwinkels: Wer besitzt wen? Während viele Zeitgenossen heute nichts Besseres zu tun haben, als – wiederum so gesehen – die eigene Armut zu vermehren, gibt es hier und da auch wirklich reiche Leute. Sie haben einen Schatz gefunden, der größer und kostbarer ist als alles Gut und Geld der Welt. Darum müssen sie dasselbe, so sie etwas davon bekommen haben, nicht „vergraben“ oder für sich vermehren. Im Gegenteil: Es macht ihnen Freude, es an andere weiter zu geben. Und sie stellen am Ende fest: Die eigentlich Beschenkten sind sie selbst. Ist das nicht verrückt? Solche Menschen haben wir besucht. In Tansania etwa oder in Rumänien und Moldawien. Aber es gibt sie auch hier, mitten unter uns. Manchmal haben sie viel, manchmal weniger. Es ist nur eine Frage des Blickwinkels. Viel Freude bei unseren Reisenotizen wünscht Euch Stefan Lehnert Bautzen, im Juni 2011 3 „Schwester Karsten“ Unterwegs in Tansania 6 Von bunten Perlen und gefüllten Fischen Einmal Moldawien und zurück 10 Ich bin steinreich! Die ganz andere Buchhaltung Gottes 14 „So funktioniert das bei uns“ Gott wird persönlich: Thomas und Rosina Depner 18 Zu Besuch bei „Tante Ruth“ Unsere Begegnungsstätte in Tauscha 20 Pinnwand Informationen aus unserer Arbeit „Schwester Karsten“ Unterwegs in Tansania Safaris, natürlich mit jeder Menge Löwen und Elefanten, Gottesdienste mit Temperament, Trommeln und Tänzen, unerträgliche Hitze, jede Menge liebenswürdiger Menschen, spontan und kreativ. Und vor allem: nichteuropäische Verhältnisse in allen vorstellbaren Bereichen des täglichen Lebens … Titelbild: Rosina Depner aus Gîrbova/Urwegen, Rumänien (siehe Interview S. 14); Foto: S. Lehnert Die Ökumenische Kirchenwochenarbeit ist ein überkonfessionelles Werk. Wir möchten Menschen mit der Botschaft von Jesus Christus erreichen, Gemeinden auf der Grundlage des Wortes Gottes dienen und Christen zu verbindlicher Nachfolge und Jüngerschaft ermutigen. Das Werk besteht aus verschiedenen Arbeitsbereichen: Gemeinde dienste • Rüstzeiten für verschiedene Altersgruppen • Jüngerschaftsschule • Arbeit mit Kindern und Teenagern • Begegnungsstätte „Schmiede“ • Mission-Osthilfe mit Begegnungsstätte „Ruth“ • Medien/ „Aufwind“ • Audio- und Videodienst • Büro. Unter Ökumene verstehen wir die vom Heiligen Geist gewirkte Einheit des Leibes Christi. luxuz::. / photocase.com S o hatte ich mir Afrika immer vorgestellt. So machten wir uns Anfang Februar, mit jeder Allerdings sollten einige meiner VorstelMenge Hilfsgütern und Lebensmitteln bepackt, lungen gründlich über den Haufen gezu fünft auf den Weg. Das Abenteuer konnte beworfen werden. Im Februar diesen Jahres verließ ginnen. ich das erste Mal den europäischen Kontinent, um für drei Wochen in Singida, Tansania, zu sein. Und es begann früher als erwartet. Schon die Aber wie komme ich eigentlich nach Afrika? Hinreise war eines Afrika-Besuchs mehr als würGanz einfach: Ich durfte als Englisch-Übersetzer dig. Eigentlich wollten wir über Kairo fliegen, aber der Familie Leubner mitfliegen, die in Singida ihre aufgrund des Ausnahmezustandes in Ägypten Tochter Esther besuchen wollte. Sie arbeitet als wurde unser Flug Berlin-Kairo gestrichen. So ging Krankenschwester in einem medizinischen es per Zug nach Frankfurt a. M., aber auch von Projekt des Vereins LaHfA* mit. Dieser Verdort konnten wir nicht über Kairo ein hat es sich zur Aufgabe gemacht, dort nach Tansania gelangen. Nun wurde Etwa 74 Stunden mit einer einheimischen Gemeinde, der es turbulent. Wir wurden umgenach unserem Utemini-Church, ein christliches Krankenbucht und sollten über London flieStart in Bautzen haus zu errichten. Das ist schon etwas begen. Allerdings galt unser neues landeten wir in sonderes, da es nach meiner EinschätTicket nur für die Hälfte unseres GeDaressalam. zung in Tansania nicht so oft vorkommt, päcks. Die Lufthansa war so nett, dass Einheimische und Europäer etwas uns trotzdem ohne Mehrkosten gemeinsam in Angriff nehmen. nach London zu befördern. Leider Im Moment besteht das deutsche Team aus verpassten wir dort unseren Anschlussflug und dem Chirurgen Markus Albrecht und seiner Fami- saßen fest. Nach zwei Nächten in London und vielie, die für drei Jahre in Singida bleiben wollen. len Gesprächen mit unterschiedlichen FluggesellDazu kommen fünf weitere Helfer, die für ein Jahr schaften konnte das Chaos endlich gelöst werals Krankenschwestern, Informatiker und Lehrer den. Irgendwann saßen wir im Flieger nach Afrika dort arbeiten. Sie haben im Dezember 2010 mit und landeten ca. 74 Stunden nach unserem Start der Gemeinde, einheimischen Ärzten und Kranin Bautzen endlich in Daressalam, Tansania. kenschwestern als ersten Schritt eine Arztpraxis Schon diese ersten Tage zeigten uns neu, wie eröffnet und planen gerade den Bau des Kranwunderbar unser Gott ist. Denn als wir auf die kenhauses. Ziel unseres Besuchs war es, sie zu Idee kamen, dass ich als Übersetzer mitfliegen ermutigen und zu unterstützen. könnte, ahnte niemand von uns, dass wir in London stranden würden und zwei Tage lang auf Englisch um unsere Reise kämpfen mussten. * „Love and Help for Africa“ – Liebe und Hilfe für Afrika In Tansania empfingen uns Esther Leubner und John, der Pastor der Gemeinde, schon sehnsüchtig. Sie hatten ja drei Tage auf uns gewartet. Es ging mit dem Jeep noch einmal elf Stunden quer durchs Land, bis wir am Ziel waren, in Singida. In den folgenden Tagen schauten wir uns erst einmal alles an und waren über manches sehr erstaunt. Die Wohnverhältnisse sind, zumindest bei den Reicheren, gar nicht so anders als bei uns. Abgesehen davon, dass es jeden zweiten Tag keinen Strom gab und das Essen deswe- „Halt mal fest“ – der Autor (rechts) zusammen mit dem Chirurgen Markus Albrecht und einem Helfer im medizinischen Kampf 3 Karsten Fischer, Martin Leubner „Guck mal, ist der blass …“ Die Tansaniareise bedeutete für die Besucher aus Deutschland nicht nur ein Wiedersehen mit den Landsleuten – den Krankenschwestern Esther und Katharina sowie Markus Albrecht (Bilder oben v. l.). Sie lernten ein fremdes Land kennen mit eigenen Lebens-, Koch- und Essgewohnheiten und einer eigenen Gemeindekultur. 4 gen auf Holzkohlegrills gekocht wurde. Allerdings sind die Gegensätze zwischen Arm und Reich sehr extrem. Wir trafen Menschen, die in großen, schön eingerichteten Häusern wohnen und andere, die nur in kleinen Lehmhütten ohne Fenster und mit einem Vorhang als Tür leben. Aber trotz dieser Umstände und meiner viel zu kurzen Predigten (nach einer Stunde wird der einheimische Pastor normalerweise erst richtig warm) erlebten wir, dass Gott handelte. In einem Gottesdienst, in dem ich über Segen und Fluch gepredigt hatte, forderte Pastor John dazu auf, dass jeder für seinen Nachbarn betet und ihn segBegeistert waren wir von der Arztpraxis, zu der net. Ich stand mit einem älteren Mann zusammen, nach nur zwei Monaten seit der Eröffnung schon den ich nicht kannte und wir beteten füreinander. jeden Tag 40 bis 50 Menschen kamen. Alles war Da ich an diesem Tag sehr müde war, hatte ich sauber und ordentlich und die Patienten fühlten keine große Erwartung an Gottes Eingreifen. sich, abgesehen von ihren KrankheiUm so überraschter war ich, als beim ten, ganz wohl. Einzig die langen WarGottesdienst am folgenden Sonntag Nach einer tezeiten störten sie ein wenig. Aber mit genau dieser Mann nach vorn ging. Stunde Predigt 50 Patienten lief die Praxis auch schon Er erzählte, dass er seit über 20 Jahan ihrer geplanten Kapazitätsgrenze. wird der einheiren Schmerzen hatte, gegen die die mische Pastor Eher schockiert haben mich die ZuÄrzte nichts tun konnten. Nach unnormalerweise stände im städtischen Krankenhaus. serem Gebet waren diese Schmererst richtig warm. Hier darf das LaHfA-Team zwei Mal pro zen weg! Woche notwendige Operationen durchführen, z.B. bei Knochenbrüchen. Da Ansonsten war die Zeit in Tansania gerade eine der Krankenschwestern durch Malageprägt von vielen Eindrücken und praktischen ria ausfiel, hatte ich Gelegenheit, mir das KranArbeiten. Martin Leubner brachte das Grundstück kenhaus genauer anzusehen: Für zwei Tage war und einige Fahrräder auf Vordermann. Seine Frau ich als „OP-Schwester“ im Einsatz. Martina half bei der Physiotherapie und besuchte Tja, wann hat man schon mal die Chance, in behinderte Kinder. Ich half beim Unterrichten der einem OP-Saal zu stehen? Auch wenn die Türen Kinder von Familie Albrecht. sich nicht schließen lassen, Fliegen und Mücken Kurz vor dem Ende unseres „Urlaubs“ machten ihr Unwesen treiben, ein Fenster eingeschlagen wir dann auch noch einen dreitägigen Ausflug. ist und das Röntgenbild vor einem von der Sonne Dabei erfuhren wir, dass „Safari“ auf Kisuaheli eibeschienenen Fenster hängt … Was für ein Erlebgentlich nur „Reise“ bedeutet. Wir bereisten also nis! Dazu harte Arbeit. Bei zwei Operationen reich- den Nationalpark Tarangire und sahen jede te ich Instrumente zu und half dem Chirurgen, wo Menge Elefanten, Löwen und andere wunderes nötig war. Doch nach über vier Stunden Steschöne Tiere. Und wir bestiegen den Hanang, den hen klappte ich aufgrund der Hitze und des Wasvierthöchsten Berg Tansanias. sermangels auch noch zusammen. Trotzdem ging Was mich vielleicht am meisten bewegt hat, ich am nächsten Tag wieder mit in den OP-Saal. war die Selbstverständlichkeit, mit der wir von den Menschen in den Gemeinden aufgenommen In der Gemeinde vor Ort wurden wir sehr herzund als Brüder und Schwestern behandelt wurlich begrüßt und hielten dort auch mehrmals Ver- den. Da war es egal, ob sie zum ersten Mal einen kündigungen. Insgesamt predigte ich in zehn Weißen sahen oder schon eine Zeit lang mit Gottesdiensten, da sich die Gemeinden mittihnen zusammenarbeiteten. Wir waren willkomwochs, freitags und sonntags zum Gottesdienst men und haben uns sehr wohl gefühlt. treffen. Dazu besuchten wir auch Gemeinden in Dörfern der „näheren“ Umgebung; eines davon Karsten Fischer lag 100 km entfernt. (hier eingerahmt von Zu meiner großen Überraschung gab es in keiPastor John und Familie nem Gottesdienst jemanden, der trommelte. Leubner) ist Mitarbeiter Dafür hatten sie aber jede Menge Chöre, die zu der Kirchenwochenihrem Gesang tanzten. Fast überall gab es ein arbeit. Er lebt in Keyboard mit elektronischen Rhythmen. Dazu Bautzen. eine zumeist gnadenlos übersteuerte Musikanlage, die dem schönen Gesang nicht förderlich war. So etwas hätte ich mir nicht träumen lassen! Selbst bei Stromausfall stand meistens irgendwo ein Generator, der die Lautsprecher zum Tönen brachte. 5 In einem Hauskreis in Chişinău, wo an Jesus gläubige Juden zusammen kommen. Von bunten Perlen und gefüllten Fischen Wie begrüßt man sich auf Moldawisch? Wo kommen die Vorfahren der Siebenbürger Sachsen her? Wie verabschiedet man sich auf Ungarisch? Dies und noch viel mehr erfuhren wir bei unserer Besuchsfahrt nach Moldawien kurz vor Ostern. Es war ein wenig wie eine Reise zu einem anderen Planeten. Dieses kleine Land am Rand Osteuropas ist für Unbedarfte aus dem Westen ein gewisser Kulturschock. Die in Rumänien allgegenwärtigen Pferdefuhrwerke oder Roma-Frauen in bunter Tracht mögen ja noch romantisch sein. Die offensichtliche Armut in den Roma-Siedlungen ist es schon weniger. Und spätestens bei den in Moldawien flächendekkend holprigen Schlaglochpisten oder der manchmal irrationalen Fahrweise vieler Einheimischer hört die Folklore auf. Zu fünft waren wir unterwegs: Sylvia, Ines, Johannes und ich aus Bautzen sowie Uwe aus Auerswalde. Johannes und Uwe wechselten sich als erfahrene OsteuropaFahrer am Steuer ab. Für Sylvia war es die zweite Moldawienreise; für Ines und mich die erste. Vor 15 Jahren fuhr ich schon einmal mit nach Rumänien. So hatte ich einen gewissen Vergleich und staunte 6 über viele echte Bemühungen in diesem Land, die kommunistischen Hinterlassenschaften zu „überbauen“. Was zieht uns immer wieder in solche entlegenen Länder? Haben wir kein komfortableres Reiseziel gefunden? Über die Grenzen des heutigen Moldawien hinaus erstreckt sich eine historische Landschaft mit dem klangvollen Namen Bessarabien. In früheren Jahrhunderten lebten dort in den Städten bis zu 40% Juden. Meist unter ärmlichen Bedingungen und verachtet von ihren nichtjüdischen Nachbarn. Dann kamen unsere Landsleute mit dem Totenkopf an den Uniformmützen und brachten Tod und Trauer mit. Das ist der erste Grund für unsere Reise: Eine Verantwortung für das, was unsere Vorfahren angerichtet haben. Mit dem Wissen: Wir können nichts „wieder gut machen.“ Gott fordert uns dazu auf, sein Volk zu trösten. Wir wollen für die Menschen da sein und ihnen zeigen, dass sie nicht vergessen sind. Nach dem 2. Weltkrieg ging der Rote Stern über Bessarabien auf; die Sozialistische Moldawische Sowjetrepublik entstand. Die meisten überlebenden und aus den Lagern heimgekehrten Juden änderten ihre Namen. Aus Moishe Glikman wurde Michail Glogow, aus Rachel Schnajder Rita Shirinskaja. Einfach aus Selbstschutz, um nicht aufzufallen. Oder um einen Studienplatz zu bekommen. Die 1990er Jahre kamen und die Sowjetunion verabschiedete sich aus der Weltgeschichte. Die Moldawier gründeten ihren eigenen unabhängigen Staat, der heute am Rand Osteuropas ein einsames Dasein fristet. Moskau hatte den Moldauern jahrzehntelang eine Monokultur verordnet, und die hieß Wein. Weinanbau sieht man allerorten, das halbe Land ist unterkellert. Dafür gibt es dort so gut wie keine Industrie. Und wenn heute irgendein Abnehmerland sagt: „Danke, wir wollen euren Wein nicht mehr“ – und das passiert –, dann bleibt Moldawien eben darauf sitzen. Ansonsten hat das Land nicht viel zu exportieren. Armut und Kriminalität grassieren; wer kann, versucht im Westen Arbeit zu finden. Zurück bleiben vielfach die Kinder und die Alten. Das ist der zweite Grund unserer Reise: Alten und Bedürftigen zu helfen, wo wir können. Uns ist klar, dass wir nicht vier Millionen Moldawiern helfen können. Seit vielen Jahren arbeiten wir mit dem Ehepaar Ilja und Ljuba Altmann zusammen. Sie stammen aus der Hauptstadt Chişinău und leben heute in Deutschland. Ilja ist gebürtiger Jude, der – in der Sowjetzeit dem Glauben seiner Väter entfremdet – erst mit seiner Hinwendung zu Jesus sein JudeSein wieder entdeckte. Ljuba und er kennen viele Juden in Moldawien. Zwei Mal im Jahr fliegen sie für jeweils vier Wochen in ihre alte Heimat. Ilja bezeugt in Begegnungen und Gesprächen seinen jüdischen Messias Jeschua HaMaschiach*. Ganz natürlich. Auf Jiddisch, auf Russisch. Mit seiner Geige und einem jüdischen Lied. Die Altmanns verstehen es, die Menschen anzusprechen und ihre Herzen anzurühren. An diese Besuche konnten wir uns gewissermaßen „dranhängen“ und die beiden in ihrem Dienst unterstützen. Es ist unmöglich, unsere Eindrücke und Gefühle bei diesen Begegnungen wiederzugeben. Etwa als wir in Bălţi (gesprochen „Belz“), nördlich der Hauptstadt, durch schäbige Plattenbau-Siedlungen stapfen, an eine Tür ohne Namensschild klopfen und plötzlich eine winzige alte Dame mit Kopftuch und großen Augen vor uns steht und sagt: „Scholem alejchem, kumt arain!“ Wir müssen uns herab beugen, um von ihr auf landestypische Weise begrüßt zu werden: zwei Küsschen auf die Wangen – eins rechts, eins links. Manja und ihre kranke Schwester wissen, dass wir kommen. Aber wir ahnen nicht, was unser Besuch für sie bedeutet. Sie schütten ihre Herzen vor uns aus, ihre Trauer um ihren vor kurzem verstorbenen Bruder, ihre Ratlosigkeit angesichts der für sie astronomisch hohen Lebenshaltungskosten, der kalten Heizungen im Winter … Ljuba übersetzt hin und her. Es berührt uns, als Manja immer wieder ins Jiddische übergeht. Als Ilja sie fragt, ob sie Jeschua vertraut, dass er alles gut macht, schaut sie ihn mit ihren großen traurigen Augen an: „Wos fir a Freg“ – Was für eine Frage? Später stimmt Ilja ein altes jiddisches Lied an: „Mayn Schtetele Belz“. Manja und Schejndel können die Tränen nicht zurückhalten. Sie schütten ihre Herzen vor uns aus, ihre Trauer und ihre Ratlosigkeit. Viktor ist ein alter Jude in der Hauptstadt Chişinău, dessen blinde und fast gehörlose Frau jede Nacht mehrmals durch die dunkle Wohnung irrt. Er aber sitzt voller Würde und Charme lächelnd vor uns und sagt, wie sehr er sie liebt und für sie sorgen möchte. Als ehemaliger Jurist reicht seine Rente kaum für die Miete ihrer ärmlichen kleinen Mansarde. In einem Schrank hängen hinter einer Glastür alte Fotos aus besseren Zeiten. So wie Viktor geht es vielen Moldawiern. Viele sind verschuldet bis über beide Ohren und freuen sich, wenn humanitäre Organisationen – jüdische oder christliche – ihnen wieder für ein paar Tage oder Wochen weiterhelfen. Auch Ilja und Ljuba haben für jeden, den sie besuchen, ein paar Lei (die moldawische Währung) und ein kleines Lebensmittelpaket dabei. Ljuba packt diese Pakete oft bis tief in die Nacht. Auch ein Hauskreis von Juden, die an Jesus glauben, steht auf unserem Besuchsprogramm. Wie immer bringen alle, die kommen, etwas zu Essen mit. Erst recht, wenn Gäste aus Deutschland angekündigt sind. Die schmackhafte Bewirtung beschämt uns um so mehr, als wir erfahren, dass der „Gefilte Fisch“ und die anderen Köstlichkeiten für sie ein besonderes Feiertagsmenü sind. In dem kleinen Hilfsgüter-Zwischenlager in Chişinău teilen Ljuba und Ilja Altmann Kleidung, Schuhe und Lebensmittel nach dem persönlichen Bedarf der Menschen auf, die sie besuchen. 7 * hebräisch Jesus Christus Unter dieser bedrückenden Situation im Land haben auch die Gläubigen zu leiden. Es wäre nur natürlich, wenn jeder von uns „reichen Westlern“ erwarten würde, dass wir mit Geld um uns werfen. Doch wir spüren nichts dergleichen. Im Gegenteil: Unsere Gastgeber versichern uns, dass ihre Hilfe nur von Gott kommen kann und nicht von Menschen – woher diese auch immer kommen mögen. Eine Frau sagte uns einmal, dass viele Moldawier denken, dass „das Gold dort ist, wo sie gerade nicht sind“. Die Gläubigen im Hauskreis vermitteln uns eine andere, festere Gewissheit: Gott ist da, auch mitten in der Misere des Landes, von der auch sie nicht verschont sind. Er trägt sie durch und begegnet ihnen. „Viele Moldawier denken, das Gold ist dort, wo sie gerade nicht sind.“ Im Rückblick staunen wir über unsere Begegnungen quer durch alle möglichen Konfessionen und Sprachen. Auf der Hinreise machten wir in Siebenbürgen, Rumänien, Zwischenstopp. Dort leben und arbeiten Christiane und Joachim Lorenz, die aus Thüringen stammen und seit 18 Jahren in Malmkrog/Mălîncrav die Gemeindearbeit leiten. Die evangelische Gemeinde besteht mehrheitlich aus Siebenbürger Sachsen. Joachim ist „nebenbei“ ehrenamtlicher Landesjugendreferent. Er und seine Mitarbeiter betreuen zum großen Teil rumänische Kinder und Jugendliche, die durch Freunde oder durch die deutsche Schule zur evangelischen Kirche oder in ihre Jugendarbeit gekommen sind. Eine weitere Zwischenstation war auch das Camp Harghita bei Vlăhiţa. Ungarische Baptisten betreiben dieses Rüstzeit- und Feriencamp auf einer Hochebene in den rumänischen Karpaten. Seit den Anfängen dieses Zwischenstopp auf unserer Fahrt bei Christiane und Joachim Lorenz in Malmkrog, Siebenbürgen; Christiane zeigt uns den gerade fertig gestellten Raum für die Kinderstunden Abends vor unserem Quartier in Stăuceni (von links: Ines Wende, Sylvia Böhnisch, Johannes Steinmüller, Uwe Fleischer) 8 Projektes konnten wir sie auf unterschiedliche Weise unterstützen. Wann immer wir kommen, steht uns das Haus für Übernachtungen offen, so als wären wir ihre persönlichen Gäste. In Moldawien besuchten wir in zwei Gemeinden von Juden, die an Jesus glauben, die Gottesdienste. Einer war pfingstlich geprägt, der andere erinnerte uns, z.B. was die Lieder betraf, eher an Gottesdienste russischer Baptisten. Das hat sicher auch damit zu tun, wer die Gemeinden betreut. Hier waren es ein Pfingstpastor sowie ein ehemaliger Baptistenprediger. Unser moldawisches Quartier war das Gästehaus einer katholischen Sozialstation in Stăuceni nahe der Hauptstadt. Oft trafen wir abends den deutschen Pater Klaus oder Schwester Jadwiga aus Polen und unterhielten uns mit ihnen. Einmal fanden wir Zeit, eine ihrer Abendandachten in der kleinen Kirche nebenan zu besuchen. Rumänische Psalmengesänge und stille Betrachtung der Hostie – Anbetung auf etwas andere Weise. Für uns etwas ungewohnt, aber im Mittelpunkt stand Jesus. Das macht uns eins. Danach gab es ein turbulentes Kontrastprogramm im Jugendkeller der Station: Zwei von uns tobten mit Yanni, einem jungen Priester von den Fiji-Inseln, und Petru, einem 12-jährigen Ministranten aus Stauçeni, um die Tischtennisplatte. Bei einem meiner Morgenspaziergänge kam ich an einer orthodoxen Kirche im Rohbau vorbei. Der freundliche Pope zeigte mir die noch unverputzte, aber beeindruckende Kirche. Als er hörte, dass ich evangelisch bin, aber die orthodoxe Glaubensart mit ihrer Bilderpracht und den Liturgien bewundere, sagte er mir auf Russisch: „Wort Gottes nur durch die Ohren ist wie Brot ohne Salz. Aber Wort Gottes durch die Augen und durch den Mund – das ist das Salz, mit dem das Brot erst richtig schmeckt.“ Ein nachdenkenswerter Satz. Auf der Heimfahrt steuerten wir u.a. das siebenbürgische Urwegen an, wo der Landwirt und Pfingstpastor Thomas Depner und seine Frau Rosina leben. Sie bewirteten und umsorgten uns in ihrem offenen Haus. Bei einem Glas selbstgekelterten Landweines erzählten sie aus der Geschichte der Siebenbürger Sachsen: Als wir Chaja, Schejndel und Manja, Viktor und Sarah besuchten, wurde viel erzählt und gelacht und geweint. Letzteres vor allem wegen der jiddischen Lieder, die Ilja auf Im 12. Jahrhundert waren ihre Vorfahren u.a. aus der Moselgegend und dem Rheinland ins damals ungarische Transsilvanien eingewandert. Thomas und Rosina sprechen mit uns Deutsch, mit diesem schönen, leicht singenden Akzent. Ines bat die beiden, sich kurz in ihrer Mundart zu unterhalten, in der sie sonst miteinander reden. Wir verstanden kein Wort. Von Pfingstlern über Baptisten bis hin zu Katholiken oder Orthodoxen – wir erlebten das Miteinander als bereichernd, auch wenn der Kontakt manchmal nur kurz war. Ilja und Ljuba, Joachim und Christiane in Malmkrog, Thomas und Rosina in Urwegen, Pater Klaus und Schwester Jadwiga in Stăuceni, Gyula und seine Mitarbeiter in Vlăhiţa – sie alle tun ihren Dienst so, wie sie sich von Gott geleitet wissen. Wir sind dankbar für diese Perlen im Reich Gottes. Ach ja, und was heißt „Auf Wiedersehen“ auf Ungarisch? Nun ja, „Viszontlátásra“. Wer es fassen kann, der fasse es. Fotos / Graphik: Lehnert der Geige anstimmte Armut und Reichtum – knapp 2.000 km von uns entfernt Die Kontraste sind groß in Moldawien – auf der einen Straßenseite stehen glitzernde Konsumpa- Stefan Lehnert läste wie die „Mall Dova“; gegenüber ist Mitarbeiter der Kirchenwochen- wohnen in abbruchreifen Plattenbau- arbeit. Er ist verheiratet mit Beate, ten Menschen, die im Winter ihre Hei- sie leben in Bautzen. zung nicht bezahlen können. 9 MMchen / photocase.com Ich bin steinreich! Die ganz andere Buchhaltung Gottes: Was wir als viel erachten, ist in seinen Augen wenig. Was wir als wenig erachten, ist in seinen Augen viel. 10 enn mich einer fragen würde: „Bist du reich oder bist du arm?“ – was würde ich antworten? Ich wohne nicht in einer Luxusvilla mit modernster Inneneinrichtung und beheiztem Swimmingpool. Aber ich lebe in einer gemütlichen Mietwohnung, habe ein Dach über dem Kopf. Damit bin ich reicher als viele andere Menschen, die auf einer Müllkippe hausen, unter einer Brücke oder auf einer Parkbank schlafen. Ich habe keine Millionen, die ich auf Sparkonten oder in Aktien anlegen könnte. Aber ich habe eine Arbeitsstelle und erhalte jeden Monat einen Lohn. Damit bin ich reicher als viele andere Menschen, die seit Jahren arbeitslos sind, obwohl sie sich um Arbeit bemühen. Und ich bin reicher als viele, die um eine Schale Reis betteln müssen, damit sie den einen Tag wieder überleben können. Reich oder arm? Woran messen wir das? Mein Lebensstil ist für deutsche Verhältnisse nicht luxuriös. Wenn ich aber an Besuche bei armen, alten Menschen in Osteuropa denke, dann lebe ich im Vergleich zu ihnen im Überfluss. Mein Empfinden von „Ich bin reich“ wird also davon beeinflusst, womit ich mich vergleiche. Und auch davon, welchen Wert ich Dingen, Menschen, Gott und Erlebnissen beimesse. Es hat also auch etwas mit meiner inneren Haltung zu tun. Die meisten kennen das Beispiel mit dem halben Glas Wasser. Sage ich „Das Glas ist halb voll“ oder „Das Glas ist halb leer“? Für mich hat die Antwort auch etwas mit Dankbarkeit zu tun. Wenn ich z. B. das betrachte, was sich in unserem deutschen Gesundheitssystem zusehends verschlechtert, wo der Bürger immer mehr Kosten selber tragen muss, dann nähre ich Ängste, Ärger, Misstrauen und Unzufriedenheit. Ich bin natürlich von den steigenden Kosten nicht begeistert und betrachte diese Entwicklung mit Besorgnis. Aber gleichzeitig bin ich dankbar, dass unser Gesundheitssystem noch relativ gut funktioniert, dass wir Medikamente kaufen, Operationen erhalten und Arztbesuche machen können. Das sind Privilegien, die viele Menschen auf der Erde nicht genießen. Wenn ich das Schwere und die Verluste, die ich bisher erlebte, immer vor Augen habe und mich damit mehr beschäftige als mit der Gegenwart, dann werden meine Augen für Glück und Zufriedenheit vermutlich blind sein. Dabei weiß ich durchaus, dass es schwere Zeiten gibt, die wir nicht einfach ignorieren können. Manchmal müssen wir Vergangenes bearbeiten. Und Schmerz, Wut, Ängste, Misstrauen und andere Gefühle können ein gutes Lebensgefühl verdrängen. Es ist wichtig, sich dem zu stellen. Wir müssen Trauerzeiten und Bearbeitungsprozesse zulassen, um Trost zu erfahren, Lasten loszuwerden, Heilung zu erleben und in neue Reife zu kommen. ehe ich nur auf das, was ich nicht oder nicht mehr habe, dann wächst Unzufriedenheit in mir. Also noch einmal die Frage etwas anders gestellt: „Wie reich sind wir eigentlich?“ Reich bin ich, wenn ich mit dem zufrieden sein kann, was ich habe: Beziehungen, Güter, mein Sein und Tun. Aber was ist, wenn mein Lebenstraum sich nicht erfüllt? Was ist, wenn ich mit einer Krankheit oder körperlichen Einschränkung leben muss? Was ist, wenn ich Menschen oder Dinge verliere, die mir sehr viel bedeuten? Wie zufrieden kann ich dann noch mit meinem Leben sein – oder wie dankbar? Als Christ komme ich spätestens jetzt an den Punkt, dass ich durch meine Beziehung mit Jesus einen Reichtum habe, der mir nicht durch Umstände, Lebensführungen, Krankheiten oder Verluste abhanden kommen kann. Paulus formuliert es im Kolosserbrief folgendermaßen: Seinen Heiligen „wollte Gott zu erkennen geben, was der Reichtum der Herrlichkeit dieses Geheimnisses unter den Nationen sei, und das ist: Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit.“ (1,27). Unser Reichtum als Christen besteht darin, dass die Herrlichkeit Gottes durch Christus bereits in uns wohnt! Paulus führt weiter aus, dass in Christus „alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen sind“ (Kol.2,3). Wenn diese kostbaren Schätze in Christus sind und dieser wiederum in uns wohnt, dann müssen sowohl Weisheit als auch Erkenntnis in uns vorhanden sein. Das sind schon mal wichtige Voraussetzungen, um gute Entscheidungen Wir sollten uns nicht damit aufhalten, uns mit anderen zu vergleichen. und Planungen in unserem Leben vornehmen zu können. Noch mal Paulus: „Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig, und ihr habt diese Fülle in ihm“ (Kol.2,9f). Können wir diesen Reichtum überhaupt ermessen?! Die ganze Fülle Gottes ist durch Christus in uns vorhanden! Das heißt, die Fülle der Eigenschaften Gottes sind in Jesus verkörpert und durch ihn in uns. Welche Eigenschaften? Ich glaube, was Paulus als die „Frucht des Geistes“ (Gal.5,22) bezeichnet, ist ein guter Hinweis, was Gottes Wesen ausmacht und was er in uns entfalten möchte: Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung. Das alles ist durch Christus wie kostbare Edelsteine in uns hineingelegt. Wie in eine Schatztruhe. Ich kann die Truhe anschauen, ihre Schönheit bewundern und den Schatz darin ungenutzt liegen lassen. Leider hat dann keiner was davon. Oder ich kann die Truhe öffnen und den reichen Schatz an Gold, Silber und Edelsteinen nutzen, genießen und für andere einsetzen. Jesus sagt: „Ich bin gekommen, dass sie das Leben und volle Genüge haben sollen“ (Joh.10,10). Wenn wir Jesus als Herrn annehmen, dann versiegelt er uns mit dem Heiligen Geist, der unser Pfand dafür ist, dass wir ewiges Leben haben. Aber sind wir auch hier auf der Erde schon lebendig? Hast du „volle Genüge“? Durch Jesus ist alles in uns vorhanden, was wir zum Leben brauchen. Wir dürfen und sollen Gottes Gaben genießen, uns darüber freuen, sie dankbar nutzen. Wir sind nicht nur Gottes Bodenpersonal, das laufend dienstbar sein muss. Sondern wir sind Gottes geliebte Kinder. Und Kinder dürfen spielen, Süßes naschen (na ja, manchmal), Warum-Fragen stellen, kuscheln, träumen, sich an der Schulter von Mama oder Papa ausheulen, auf dem Schoß sitzen, Bausteintürme bauen, die wieder einfallen, auch mal das größte Kuchenstück bekommen … Meiner Meinung nach will unser himmlischer Vater, dass wir „volle Genüge“ haben. Er will, dass wir uns als seine geliebten Kinder wissen und uns bewusst sind, dass wir kostbar und wertvoll für ihn sind. Denn wenn wir das wissen, sind wir Zufriedene; dann müssen wir Dankbarkeit nicht mühevoll aus uns herausquetschen. Sie wird – wie aus dem Baum die kostbare selbstausfließende Myrrhe (Harz), die ohne Anritzen der Rinde gewonnen wird – von selber aus uns herausströmen. Wir dürfen vor Gott einfach nur sein. Da er jedoch auch Kreativität, Schaffenskraft und Begabungen in uns hineingelegt hat, würde uns sicher schnell langweilig werden. Der Sinn unseres Lebens würde uns entgleiten, wenn wir absolut nichts tun könnten. Eine neuere Bibelübersetzung drückt das sehr schön in Eph.2,10 aus: „In Jesus Christus sind wir Gottes Meisterstück. Er hat uns geschaffen, dass wir gute Werke tun, gute Taten, die er für uns vorbereitet hat, damit wir sie in unserem Leben ausführen“. Gott hat für uns Taten vorbereitet, die wir aus- 11 führen sollen. Also können wir sicher sein, dass er uns mit allem ausstattet, was wir benötigen, um dies auch bewerkstelligen zu können. Manches wird eine Herausforderung sein, wird Mühe und Arbeit bedeuten. In manche Aufgaben müssen wir erst hineinwachsen, manches beschert uns Lampenfieber. Doch unser Tun auf den Wegen Gottes ist nicht nur mit Mühsal verbunden. Es wird uns auch eine Befriedigung geben, weil wir die in uns aufbewahrten Schätze unseren Fähigkeiten entsprechend gewinnbringend anwenden können. 12 Jesus erzählte die Geschichte von einem Mann, der verreiste und seinen Knechten seine Habe übergab (Mt.25,14-30). Einem gab er fünf Talente, dem anderen zwei und dem dritten ein Talent. Nur eins? Das scheint wenig. Aber ein Talent war damals ein Geldgewicht, das 6.000 Drachmen entsprach. Der Tageslohn eines Arbeiters war eine Drachme. Das heißt, ein Tagelöhner hätte von diesem Geld ca. 20 Jahre leben können; von den fünf Talenten sogar 100 Jahre. Der Mann vertraute also jedem seiner Knechte ein riesiges Vermögen an! Und er gab „einem jeden nach seiner eigenen Fähigkeit“ (V.15). Er wusste, welches Können, welche Befähigungen seine Knechte aufwiesen und teilte seine Habe entsprechend zu. ch glaube, dass Gott uns auch entsprechend unserer Fähigkeiten sein Gut anvertraut, uns Aufgaben gibt. Aber nicht nur die Aufgaben, sondern auch die Gaben und Fähigkeiten kommen von Gott. Er will sie mit uns gemeinsam entfalten und beleben. Sie sollen Gottes kostbarstem „Gut“, den Menschen, dienen. Die beiden ersten Knechte in der Geschichte hielten sich nicht damit auf, sich mit den anderen zu vergleichen: „Ätsch, ich hab halt mehr als ihr.“ Oder: „Och, gemein, ich habe drei Talente weniger als du.“ Sie zogen los und verdoppelten das Guthaben ihres Herrn. Er hatte sie vollkommen richtig eingeschätzt. Sie konnten mit diesem Reichtum verantwortlich umgehen und ihn vermehren, zum Wohl ihres Herrn. Auch wir sollten uns nicht damit aufhalten, uns mit anderen zu vergleichen. Gott hat jeden von uns begabt und beauftragt. Wir müssen dabei nicht in fremden Schuhen laufen, sondern in unseren eigenen. Ich bin zum Beispiel kein begeisterter Evange- list, das liegt mir nicht. Aber ich lehre gern über biblische Wahrheiten und wichtige Lebens- und Glaubensthemen. Und ich glaube, der Hirtendienst passt zu mir. Denn mir liegt das Wohl von Kindern Gottes am Herzen (den „Schafen“, die schon zur Herde gehören), und weniger die Bekehrung von Ungläubigen. Muss ich mich jetzt schlecht fühlen? Ich kann nicht berichten: „Bei meinem Einsatz haben sich Hunderte bekehrt“. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie viele Menschen aufgrund meines Redens oder Tuns bislang zu Jesus gefunden haben. Aber ich versuche, mit den Talenten zu handeln, die Gott in mich hineingelegt hat. Und ich vermute, dass schon eine gewisse Vermehrung stattgefunden hat. Der dritte Knecht hatte ein echtes Problem. Er buddelte ein Loch in die Erde und vergrub das Geld. Wieso denn das? Er hatte scheinbar keine gute Beziehung zu seinem Herrn und misstraute ihm. Als sein Herr mit ihm abrechnete, sagte der Knecht: „Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist; du erntest, wo du nicht gesät, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg dein Talent in der Erde. Siehe, da hast du das Deine!“ (V.24f) Bei dem letzten Satz meint man förmlich zu sehen, wie er seinem Herrn den verschmutzten Geldsack vor die Füße schmeißt. Was war nur los mit diesem Knecht? Wir kennen seine Geschichte nicht und können nicht sagen, er hätte eine „schlechte Kindheit“ gehabt. Fest steht: Er hat seinen Herrn nicht geliebt. Er scheint ihn sogar verachtet zu haben. Denn wie kann ein Knecht seinem Herrn vorwerfen, dass er ernte, wo er nicht gesät habe? Es ist doch wohl selbstverständlich, dass er die Arbeit zu tun hat, die ihm aufgetragen wird. Er bekommt ja auch Lohn für seine Arbeit und der Herr den Gewinn der Ernte. Dieser Knecht schien aufgrund seines Hasses gegen den Herrn an Realitätsverlust zu leiden. Er war sich seiner Pflichten überhaupt nicht bewusst. Warum brachte er das Geld nicht wenigstens auf die Bank? Dann hätte es Zinsen gebracht. Es scheint so, als hätte er dem Herrn keinerlei Gewinn gegönnt. Entsprechend seiner Haltung und seiner Untätigkeit fiel die Beurteilung aus. Für ihn gab es keine Party, sondern er wurde in die Finsternis hinausgestoßen. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken. Meine „Talente“ will ich nicht in der Erde verbuddeln, sondern Gott den Gewinn gönnen. Ich will mit meinem Leben fette Beute machen für das Reich Gottes! Den Knechten war ein Riesenvermögen anvertraut. Aber der Herr sagte, dass sie über Weniges treu waren. Gott kommt es anscheinend weniger auf den großen Gewinn an als auf unsere Treue. Wir sollten dringend die Angst ablegen, dass wir vielleicht nicht genug tun, Fehler machen, selber leer ausgehen, zu kurz kommen, an der falschen Stelle investieren … Gott kommt damit klar, wenn wir Fehler machen, mal etwas versäumen, nicht das Beste aus einer Situation herausholen. Aber diese Geschichte mit den Knechten legt uns nah, dass Gott es nicht akzeptiert, wenn wir unsere Begabungen vergraben und nichts damit anfangen. Für mich hat das nicht in erster Linie mit meiner Bereitschaft zum Dienen zu tun, sondern zuallererst mit meiner Beziehung zu Gott. Weil er mir seine Liebe schenkt, will ich ihn und andere auch lieben – und mich selbst. Weil ich Gott liebe und weil ich seiner Liebe zu mir traue, will ich mit meinen Gaben die Werke tun, die er für mich vorbereitet hat. Die beiden ersten Knechte wurden von ihrem Herrn nach seiner Rückkehr gelobt: „Recht so, du guter und treuer Knecht! Über weniges warst du treu, über vieles werde ich dich setzen; geh hinein in die Freude deines Herrn“ (V.21ff). Ihnen war ein Riesenvermögen anvertraut. Aber der Herr sagte, dass sie über Weniges treu waren. Eigenartig! Jesus vermittelt in diesem Gleichnis wohl wieder die ganz andere Buchhaltung Gottes. Was wir als viel erachten, ist in seinen Augen wenig? Was wir als wenig erachten, ist in seinen Augen viel? Diese göttliche Rechnung kann uns sowohl vor Stolz als auch vor Minderwertigkeit bewahren. Wir müssen keine Bewertungen unseres „Erfolges“ vornehmen. Denn der Herr ist es, der am Schluss „abrechnen“ wird, wie es in dem Gleichnis heißt. Er wird beurteilen, was Wert hat für ihn und was nur menschlich wertvoll aussieht. Das erwirtschaftete Geld in diesem Gleichnis war dem Herrn scheinbar nicht so wichtig wie die Zuverlässigkeit und Treue seiner Knechte. Gott kommt es anscheinend weniger auf den großen Gewinn an als auf unsere Treue, die aus der Liebe entsteht. So wie die beiden Knechte „in die Freude des Herrn“ eingeladen wurden – vielleicht zu einem Festmahl als Belohnung – so wird Gott auch all unseren Einsatz reich belohnen. Wir dürfen auch immer wieder innehalten und mit anderen gemeinsam Feste feiern. Oder kleine, stille Feiern ganz allein mit Gott: Ich juble ihm zu, weil ich eine Gebetserhörung erlebt habe. Ich feiere mit Gott, indem ich ihm von Herzen danke, weil mir eine Arbeit sehr gut gelungen ist, jemand mir etwas Gutes getan hat, ich mit jemandem ein gutes Gespräch hatte, ich alle meine Rechnungen bezahlen konnte, der Magnolienbaum beim Nachbarn so herrlich blüht … ie reich bin ich also? Mein Leben ist ein Riesengeschenk Gottes. Da ich geboren wurde, habe ich die Möglichkeit, auf dieser Erde Positives zu bewirken. Das ist ein kostbarer Gewinn für mich und andere. Und ich habe gleichzeitig die Chance, die ganze Ewigkeit in Gottes Herrlichkeit zu verbringen. Ich bin steinreich! Außerdem schenkt Gott mir seine größte Gabe: Christus in mir. Schon allein diese Tatsache macht mich reicher als jeden Milliardär. Meine Erlösung durch Christi Tod und Auferstehung ist mein kostbarstes Gut, das mir niemand jemals rauben kann. Wenn ich meine Arbeitsstelle, meine Gesundheit oder einen geliebten Menschen verliere, dann sind das schmerzliche Verluste, mit deren Folgen ich leben lernen muss. Erinnere ich mich dann trotz der Umstände an die Freude meiner Erlösung? Sie bleibt mein Schatz für immer – auch wenn ich keinen Finger mehr rühren kann. In Christus ist alle Fülle Gottes. Weil er in mir lebt, steht mir diese Fülle zur Verfügung. Einerseits habe ich als Christ Pflichten und bin Gott meinen Dienst schuldig. Andererseits hilft mir Jesus, seine kostbaren Gaben entsprechend meiner Beauftragung zu entdecken und mit ihm zusammen im Leben umzusetzen. Ich stehe also nicht armselig und allein da und muss mich mühsam abquälen. Ich bin reich beschenkt mit allem, was ich selber brauche und was mir zum Dienst an anderen nützlich ist. Dass ich etwas mit meinen eigenen Händen oder mit meinem Verstand schaffen kann, gibt mir eine Befriedigung, die mir gut tut und die mich zu weiterem Handeln anspornt. Wir sind reich. Lasst uns nach den Schätzen in unserem Leben graben und sie für uns selber und für andere nutzen! Gottes Schatzkiste ist immer noch gefüllt bis an den Rand. Karin Schwab ist Mitarbeiterin der Kirchenwochenarbeit. Sie lebt in Bautzen. 13 Im Portrait: Menschen aus Vergangenheit und Gegenwart, deren Leben und Persönlichkeit Gottes Wesen widerspiegeln „So funktioniert das bei uns“ 14 Thomas und Rosina Depner aus Gîrbova/Urwegen, Rumänien Foto: Steinmüller Vielleicht sollten sie mal ein Buch schreiben, so viel haben sie erlebt. Sie haben durch die CeaușescuZeit in Rumänien hindurch ihren Glauben an Jesus bewahrt, fünf Kinder großgezogen und sind bis heute unterwegs für Gott und ihre Mitmenschen. Lehnert Thomas und Rosina Depner üben praktisch drei Berufe aus, von denen jeder einzelne schon für ein volles Programm sorgt: Sie sind Landwirte, leiten eine Pfingstgemeinde in ihrem 2.000-SeelenDorf und sie verteilen quer durchs ganze Land Hilfsgüter. Wir sprachen mit ihnen über ihr Leben und ihre Arbeit. Thomas und Rosina, eure Namen tauchen ja hin und wieder im „Aufwind“ auf, wenn es um Rumänien geht. Vielleicht fragt sich der eine oder andere Leser: Wer seid ihr? Rosina (lacht): Wir sind ganz einfache Leute. Thomas: Rosina und ich arbeiten als Landwirte. Unsere Tochter Marianne mit ihrer Familie lebt auch hier in Urwegen, unsere anderen Kinder leben in Deutschland. Mein Beruf war Zimmermann, und das hat auch wunderbar funktioniert in der kommunistischen Zeit. Aber dann kam es anders. Es begann gleich nach der Revolution in Rumänien im Dezember 1989: Johannes Friese, Johannes Steinmüller und andere kamen als die Ersten und brachten Hilfsgüter ins Land. Die Transporte waren nicht einfach, aber sie kamen durch und die Freude war sehr groß. Und so funktioniert es bis heute. Seit 20 Jahren hat uns Gott diesen Beruf anvertraut, mit Hilfsgütern humanitäre Arbeit zu verrichten. Nach der Wende haben wir wie viele gedacht, dass es sicher bald für die Menschen in Rumänien leichter werden wird. Aber das war nicht so. Wir merken, dass es für die meisten immer noch schwer ist. Es gibt dieses Sprichwort: Die Reichen werden reicher und die Armen ärmer. Das erleben wir hier jeden Tag. Und es ist uns eine große Freude, helfen zu können. Wenn die Hilfsgüter von euch aus Tauscha kommen, ist es unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass sie ans richtige Ziel kommen. Ob Kleidung, oder Schuhe, Lebensmittel, medizinische und technische Ausrüstung oder Betten für Altenheime und Spitäler – die Freude ist sehr groß, wenn Menschen die Hilfsgüter erhalten. Wie kommen sie an die richtige Adresse? Thomas: Das ist unterschiedlich. Wir fahren ins Land zu einzelnen Familien oder sie kommen zu uns und holen Sachen ab. Oder wir gehen in Gemeinden und sagen: „Hier ist ein Geschenk für euch!“ Viele Menschen können das nicht glauben; sie wollen für eine Bananenkiste mit Kleidern oder Schuhen bezahlen. Wir sagen: „Das bekommt ihr kostenlos.“ – „Nein, niemand gibt etwas kostenlos. Man muss für alles bezahlen.“ – „Das hier kommt von Gott! Und er ist ein reicher Gott. Er liebt alle Menschen.“ So haben wir die Möglichkeit, die Menschen neben den Hilfsgütern auch mit christlicher Literatur mit der Botschaft von Jesus zu erreichen. Die Hilfsgüter teilen wir nach Bedarf für Familien oder Gemeinden auf. So funktioniert das bei uns. Und die Menschen staunen und freuen sich, wenn sie etwas geschenkt bekommen. Wir sagen ihnen: „Vergesst nicht: Das, was ihr bekommt, hat jemand bezahlt! Es ist von weit her gekommen. Und auch so ein Transport kostet nicht weniger als 2.000 €. Das alles hat jemand für euch bezahlt!“ – „Ja, aber wer? Du, Thomas? Machst du das?“ – „Nein, wie könnte ich das? Aber Gott hat die Seinen überall in der Welt. Es gibt Menschen, die sich aufopfern, sich hingeben für andere. Die haben das bezahlt.“ – „Ach, so kommt das.“ – „Ja. Danke Gott und bete weiter!“ – „Wie soll ich beten?“ Viele Rumänen sind orthodoxe Gläubige. Ich sage zu ihnen: „Ihr habt doch von Klein auf das Vaterunser gelernt.“ – „Ja, die Mutter oder der Vater haben uns das beigebracht.“ – „Und dann gibt es die Zehn Gebote.“ – „Die Zehn Gebote? Ja, der Pope hat uns davon erzählt.“ Aber viele haben das vergessen, und nun erinnern sie sich wieder und fragen: „Und was hat das mit dem Christsein zu tun?“ Denn in Rumänien verstehen sich fast alle als Christen. Wir sagen: „Durch Glauben und Tun.“ Dann sagen wir: „Jetzt ist die Zeit gekommen, wo man seinen Weg überdenken sollte. Also anders zu leben und anders zu arbeiten.“ – „Und wie?“ – „Auf dem Glaubensweg. Lernt zu danken! Dann werdet ihr erleben, wie der Segen Gottes fließt. So wirst du ein lebendiger Fisch!“ – „Wieso ein lebendiger Fisch?“ – „Du siehst doch: Das Wasser fließt abwärts und ein toter Fisch merkt nichts davon. Aber ein lebendiger Fisch schwimmt aufwärts bis hoch in die Berge, gegen den Strom.“ So kommen viele Menschen ins Nachdenken. Sie fangen an, anders zu leben und auch anders zu arbeiten. Auf dem Glaubensweg, im Alltagsleben, auf dem Land oder in der Fabrik. „Die Zehn Gebote? Ja, der Pope hat uns davon erzählt.“ Großes Bild: Abend in Urwegen > 15 Johannes Friese, Johannes Steinmüller Um 1987: Thomas Depner in seiner Gemeinde und zusammen mit Pfarrer Johannes Friese (li., heute Sohland/OL) und Johannes Steinmüller in einem Café in Sibiu/Hermannstadt und mit Rosina und Freunden bei einem Picknick Rosina, wenn Thomas im Land unterwegs ist, begleitest du ihn dann? Rosina: Nicht immer, ich bleibe meistens zu Hause. Es muss jemand hier sein, denn jeden Tag klopft bei uns jemand an. Gerade gestern waren Leute aus den Bergen da, die hier immer selbst gemachte Besen verkaufen wollen. Am Montag war ein altes Mütterchen mit ihrer Schwester da, auch aus den Bergen. So kommen immer wieder Menschen. Einige wollen eine Kerze oder etwas Waschpulver, andere brauchen Kartoffeln. Hilfsgüter geben wir ihnen kostenlos. Aber wir können nicht alles verschenken. Für Kartoffeln oder andere Dinge, die wir selbst ernten, müssen sie bezahlen. Aber viele können das nicht und sagen: „Wenn das Kindergeld oder die Sozialhilfe gekommen ist, bezahlen wir die Kartoffeln.“ Manche kommen dann ein Jahr lang nicht wieder. Thomas: Oder sie kommen mit einer Hand voll Geld und sagen: „Gib mir soviel, wie ich Geld habe. Und leg noch etwas dazu, dann bringe ich das übrige Geld nachher.“ So leben viele Familien „vom Stengel“, wie wir bei uns sagen. 16 Rosina: Einmal kamen wir am Sonntag aus der Gemeinde nach Hause, da klopfte es und ein Mann mit völlig kaputten Schuhen stand da. Er kam von weit her, hatte hier den Sommer über für jemanden gearbeitet, der ihn dann aber nicht bezahlte. Nun wollte der Mann zur Polizeistation gleich neben unserem Haus, aber am Sonntag war keiner da. Also ließen wir ihn bei uns mit der Polizei telefonieren und konnten ihm dann noch passende Stiefel, etwas zu Essen und ein wenig Geld für seine Heimreise mitgeben. Damit hatte er gar nicht gerechnet. Thomas: Am Sonntag kommt sonst niemand. Da ist Kirche und wir möchten einen Ruhetag haben. Das hat sich irgendwie herumgesprochen. Aber von Montag bis Samstag klopft es immer wieder bei uns, weil die Leute wissen: Hier können sie etwas bekommen. Und man kann das ja auch verstehen. Wenn der Hunger die Menschen treibt, dann ist es schwierig für sie. Viele Familien leben „vom Stengel“, wie wir bei uns sagen. Heute: Auf einem Privatgrundstück in Urwegen entstand in den letzten Jahren ein neues Gemeindehaus mit vielen Steinmüller, Lehnert Funktionsräumen. Oder wenn Naturkatastrophen passieren. Vor drei oder vier Jahren gab es im Süden an der Donau riesige Überschwemmungen. Das passiert immer wieder, aber damals war es eine große Katastrophe. Das Wasser hat tief liegende Ortschaften weggeschwemmt. Da riefen Gemeinden von dort bei uns an, ob sie bei uns Hilfsgüter für ihre Orte abholen können. Wir freuen uns, dass wir ihnen helfen konnten. Ihr leitet in Urwegen eine Pfingstgemeinde. Wie seid ihr dazu gekommen? Rosina: Als Siebenbürger Sachsen stammen wir beide aus der Evangelischen Kirche. Wir wurden traditionell gläubig erzogen, getauft und konfirmiert. Als Thomas und ich heirateten, ging ich dann mit den Kindern in die Brüdergemeinde, die es hier im Ort gibt. Es gab dort deutsche Kinderund Jugendstunden. Zur Brüdergemeinde gingen damals fast nur Siebenbürger Sachsen; heute sind die meisten von ihnen nach Deutschland gegangen. Thomas’ Eltern waren in die Pfingstgemeinde übergetreten und er ging mit ihnen. Das war aber nicht gut – ich hier und er dort. Als unsere Kinder groß waren und ihre eigene Richtung fanden, ging ich dann auch zur Pfingstgemeinde. Das war unser Weg. Wie es genau kam, weiß ich nicht, jedenfalls gab es in der Pfingstgemeinde eine Trennung. Irgendetwas war zwischen die Brüder gekommen. Mein Schwiegervater gründete in seinem Haus eine eigene Gemeinde, zu der neben Thomas und mir größtenteils Zigeunergeschwister* kamen. Dann starb der Schwiegervater. Bald gab der Herr mir aufs Herz, dass wir uns wieder vereinen sollten. Ich sagte es Thomas und wir fragten den Prediger aus Sebes, der über unsere Gemeinde Hirte ist. Wir wollten nicht etwas durchsetzen, was nicht Gottes Wille ist. Der Prediger sagte: „Das ist ein guter Gedanke! Der ist sicher von Gott.“ Dann beteten wir für die Sache und fragten die anderen leitenden Brüder. Die meisten von ihnen waren für ein neues Zusammengehen. Aber wie sollte das gehen? Die Gemeinden versammelten sich in zwei Häusern; bei ihnen war es zu klein, und bei uns auch. Thomas bekam es aufs Herz, ein neues Gebets- und Gemeindehaus zu bauen; da war er 72 Jahre alt. Eine Sächsin aus dem Ort vererbte uns ihren Hof. Auf diesem Grundstück konnte mit Gottes Hilfe und mit viel Unterstützung aus dem Ausland der Bau gelingen. Es war wunderbar: Immer, wenn wir etwas brauchten – Sand zum Bauen, Geld für Dachziegel, usw. – kam das Nötige. Als das Haus vor fünf Jahren fertig wurde, kamen die beiden Gemeinden zusammen. Das ist eine große Freude für uns. Unsere Aufgabe in der Gemeinde ist, dass wir sie betreuen und uns Mühe geben, dass alles gut läuft. Thomas predigt, leitet Gebetsversammlungen und Gottesdienste, alles auf Rumänisch. Wir sind in einem landesweiten Verbund von Pfingstgemeinden. Aber wir achten die Geschwister aus den anderen Kirchen sehr. Gibt es ein Bibelwort, das für euch persönlich eine besondere Bedeutung hat? Rosina: Ja. „Dienet dem Herrn mit Freuden“ (Ps.100,2). Warum? Rosina: Weil es eine große Belohnung hat. Weil wir einen Schatz im Himmel erben durch unseren Glauben. Aber Glaube ohne Werke – geht das? Dennoch wollen wir uns nicht auf unsere Werke stützen. Danke für das Gespräch und Gottes Segen für euch und eure Arbeit. Das Gespräch führten Johannes Steinmüller und Stefan Lehnert. * Der bei uns verwendete Name „Roma“ ist in Rumänien weithin unüblich. Selbst untereinander ist „Ţigan“ (Zigeuner) die normale Selbstbezeichnung dieser Volksgruppe. 17 Zu Besuch bei „Tante Ruth“ Fast zehn Jahre Begegnungsstätte „Ruth“ in Tauscha 18 ie sieht eine ganz normale Woche bei uns in Tauscha aus? Am Montag beginnen wir – Matthias Mühlbauer und Doreen Enghardt – gemeinsam mit Uwe Fleischer, dem Mitarbeiter der Mission/Osthilfe, mit einer Dienstbesprechung und Gebet. Ein weiterer Gemeinschaftstag ist in der Regel der Mittwoch, an dem Johannes und Dagmar Steinmüller aus Bautzen dazu kommen. Meist stehen praktische Arbeiten im Haus und auf dem Gelände an und Hilfsgüter werden sortiert. Als Stoßzeiten in der Vor- und Nachbereitung erleben wir Wochenenden, an denen unsere Jüngerschaftsschule, Rüstzeiten und Seminare stattfinden oder Gäste erwartet werden. Das bedeutet für uns zum Teil die inhaltliche und praktische Organisation für den Ablauf der jeweiligen Veranstaltungen, die auch Einkaufen, Kochen, Wäsche waschen und Saubermachen beinhalten können. Im Ausgestalten und Vorbereiten der Veranstaltungen werden wir von vielen ehrenamtlichen Helfern unterstützt, ohne deren Mithilfe wir dies nicht tun könnten. Zu unserem engen Mitarbeiterteam vor Ort gehören Stefan und Danny Göppert aus Penig und Christina Lang aus Tauscha. Wöchentlich treffen wir uns zum persönlichen Austausch und zum Gebet für die anstehenden Dienste. Wir treffen uns auch immer wieder zu gemeinsamen Mahlzeiten oder auch zu Spieleabenden. In den letzten Jahren ist auch der Kontakt zum Dorf enger geworden. Besonders durch Judith Mühlbauer und die Kinder entstanden manche Kontakte zu Leuten aus dem Ort, die wir gerne pflegen. Seit 2008 bieten wir mehrmals jährlich einen Bastelnachmittag zu jahreszeitlichen Themen für Kinder und Erwachsene an. Dieses Angebot nutzen immer mehr Mütter und ihre Kinder. Wie sind die Mitarbeiter der Begegnungsstätte „Ruth“ nach Tauscha gekommen? Doreen Enghardt: Seit September 2003 bin ich bei der Kirchenwochenarbeit angestellt und arbeitete in Bautzen in der Begegnungsstätte „Schmiede“ mit. An den Wochenenden fuhr ich zu den Veranstaltungen der Jüngerschaftsschule nach Tauscha. Im Lauf der Zeit kamen hier erste Anfragen nach Seelsorgegesprächen. So blieb ich meist bis Montag in Tauscha. In dieser Zeit kam der Wunsch nach einem Netzwerk für Seelsorger und Berater aus der Umgebung auf, so dass wir eine Intervisionsgruppe* gründeten und uns seitdem mehrmals im Jahr treffen. Aus meinem seelsorgerlichen und beratenden Hintergrund heraus organisier* Intervision bedeutet: Seelsorger und Berater treffen sich zu Austausch und Schulungen über christlich-psychologische Themen. Sie können sich so unter Wahrung der Anonymität ihrer Ratsuchenden austauschen und dadurch für ihre Beratungsprozesse Hilfestellungen erhalten. Aus dem Alltag der Begegnungsstätte: 1 Gemütliches Beisammensein auf der Terasse 2 Doreen mit Seminarteilnehmern bei der feierli1 chen Urkundenzeremonie 2 3 Während eines Seminars für Kindermitarbeiter mit Johannes und Anja Tröger (Bautzen) 4 Matthias beim Fenster- 4 3 te ich ab 2007 zweimal jährlich Wochenendseminare im Bereich Kinder- und Jugendseelsorge mit einer Referentin aus Bayern. Da diese Veranstaltungen immer zahlreicher wurden, wuchs in meinem Herzen der Wunsch, nach Tauscha zu gehen. Judith und Matthias Mühlbauer konnten sich das auch sehr gut vorstellen und so beteten wir intensiver dafür. Aber ich wollte nicht allein nach Tauscha gehen. Im Frühling 2008 fand eine Freundin und ehrenamtliche Mitarbeiterin im Nachbarort eine neue Arbeitsstelle und suchte nun eine Wohnung und Mitbewohnerin. So war das für mich Gottes Reden, dass die Zeit für meinen Ortswechsel gekommen war. Im Sommer 2008 begann meine Arbeit in Tauscha. Ein großes Haus ist hauswirtschaftlich zu versorgen, Beratungsgespräche zu führen und Hilfsgüter zu sortieren. Zu den laufenden Veranstaltungen kamen nach und nach Bastelnachmittage, Seelsorgeschulungen und Tagesseminare. Meine Gesprächstätigkeit weitete sich so langsam von Beratung von Erwachsenen bis hin zur Seelsorge an Kindern aus. Das beinhaltet Spielen, Basteln, Rollenspiele, Beziehung bauen, Vertrauen lernen und üben, Grenzen zu setzen. Matthias Mühlbauer: Kurz nach der Einweihung der Begegnungsstätte „Ruth“ im November 2002 zogen wir als Familie nach Tauscha. 2003 fand die erste Jüngerschaftsschule Daniel Hering umbau hier statt; inzwischen wollen wir im September diesen Jahres den zehnten Kurs beginnen. Damals konnten wir uns das alles noch nicht vorstellen. Vieles hat sich in dieser Zeit entwickelt. Viele Jüngerschaftsschüler und -mitarbeiter sind über mehrere Jahre bei uns „hängen geblieben“; sie unterstützen unsere Dienste und Rüstzeiten mit praktischer Hilfe und Finanzen. Dafür sind wir sehr dankbar. Daraus sind auch viele neue Kontakte zu Einzelnen und Gemeinden entstanden. Unsere monatlichen Lobpreisabende sind ein Punkt, solche Kontakte zu pflegen, zu vertiefen und gemeinsam Gott zu loben. Viele der jungen Leute bezeichnen die Begegnungsstätte als ihre zweite geistliche Heimat. Oft sind wir unterwegs, um in ihren Gemeinden oder Jugendgruppen zu dienen. Neben der Jüngerschaftsschule suchen manche den Kontakt zu uns in einer Art Mentorenbeziehung. Auch das ist etwas, was uns sehr auf dem Herzen liegt: junge Leute in dieser Weise zu begleiten und den Weg für eine Zeit gemeinsam zu gehen, Leben, Beziehungen und vieles mehr zu reflektieren. Seit 2007 bin ich regelmäßig mit jungen Leuten zu Einsätzen unterwegs, um Armen und Hilfsbedürftigen zu dienen: im osteuropäischen Ausland sowie im letzten Jahr in Israel. Durch Besuche und Arbeitseinsätze wollen wir ein Licht sein, Hilfe und Ermutigung bringen. Durch unsere Familie haben wir gute Beziehungen zu Leuten im Dorf. Ein besonderer Kontakt ist unsere Freundschaft zu einer Frau aus Tauscha. Nach dem Tod ihres Mannes stellten wir ihr das Haus für die Trauerfeier zur Verfügung. Seitdem hilft sie uns regelmäßig bei der 19 Jüngerschaftsschule in der Küche und besucht unsere Lobpreisabende. Neben der geistlichen Arbeit im Haus bin ich immer wieder froh über die anfallenden praktischen Arbeiten, denn sie sind für mich ein guter Ausgleich dazu. Auch in dieser Weise bin ich gefordert, das Haus zu gestalten, zu erneuern und zu verschönern. Was wünsche ich mir für die nächsten zehn Jahre? Viele gute Beziehungen, etliche Jüngerschaftsschulen, Rüstzeiten, Seminare. Und dass andere durch unsere Dienste ein Stück mehr von Jesus erkennen und ihren Platz im Reich Gottes finden. Jesus hat uns aus der Finsternis in sein Licht gerufen, damit wir von diesem Licht weitergeben und Zeuge seiner Liebe in Wort und Tat sind. Nach fast zehn Jahren Arbeit in Tauscha muss ich festhalten, dass ich mir vorgenommen hatte, niemals hierher zu gehen. Aber Gott hat mein Herz verändert und mir etwas lieb gemacht, was ich mir persönlich nicht gesucht hätte. Hier ist mein Platz, hier will ich sein. Kontakt: Doreen Enghardt, Matthias Mühlbauer, Tel. 037381-81439 Mail: [email protected] INFORMATIONEN AUS UNSERER ARBEIT Johannes Steinmüller Albert Leubner • Zum 31. März 2011 ist Frank Otto aus unserem Werk ausgeschieden. Das Dienstverhältnis wurde in beiderseitigem Einvernehmen beendet. Für Frank und seine Frau Manuela gab es die Möglichkeit eines gemeinsamen Neustarts unter einer neuen Trägerschaft. Etwa 20 Jahre lang hat Frank – die meiste Zeit gemeinsam mit seiner Frau Manuela – im Kinderund Teeniebereich unseres Werkes gearbeitet. Zusammen mit vielen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern bauten sie eine blühende Rüstzeitarbeit für Teenager auf, veranstalteten Kinderevangelisationen, führten Jüngerschaftsschulen durch, waren zu verschiedenen Gemeindediensten unterwegs … Nach intensivem Abwägen haben wir die Verantwortung für die Lobpreisarbeit in Annaberg, die dortige Jüngerschaftsschule und die Rüstzeiten im Gemeindezentrum der Annaberger Adventgemeinde an Frank Otto abgegeben. Wir danken Ottos herzlich für die Zusammenarbeit in den zwei Jahrzehnten und wünschen ihnen für ihren weiteren Weg Gottes Schutz und viel Segen. 20 • Aufgrund ihrer Krebserkrankung wurde Dagmar Steinmüller zum 01. Mai 2011 berentet, ihr Arbeitsverhältnis in unserem Werk endet deshalb. Dagmar war seit 1992 als Teilzeit-Mitarbeiterin im Bereich Mission/Osthilfe angestellt. Wir danken Dagmar herzlich für ihren jahrelangen treuen Einsatz – ob bei Osteuropareisen, beim Sortieren und Vorbereiten von Hilfsgütern für den Osten, Aufräum- und Putzarbeiten in Tauscha, Unterstützung der Dienste von Johannes, ihrem Mann, oder in der liebevollen Aufnahme und Versorgung von vielen Gästen im Verlauf der Jahre … Wir wünschen Dagmar vollständige Genesung und Gottes reichen Segen! • Wieder möchten wir auf unsere neuen Kontodaten hinweisen: Konto 16 12370 016 bei der KD-Bank (Bank für Kirche u. Diakonie), BLZ 350 601 90. Bitte auch die Daueraufträge umstellen! Zum Danken und zur Fürbitte • Für Mitte Juni planen wir die Erneuerung unseres Hausdachs in Bautzen. Die alten Ziegel müssen vollständig abgedeckt werden. Die neuen sind gebrauchte Ziegel in sehr gutem Zustand, die wir im Winter zusammen mit Freunden von einem Abrisshaus in Chemnitz abdecken konnten. Bitte betet um gutes Gelingen. • Im Sommer liegen bei uns wieder verschiedene Aktivitäten an: die Kirchenwoche in See sowie Rüstzeiten für Kinder, Teenager und Twens. Bitte betet um viel Segen und ein gutes Miteinander bei allem, um Schutz beim Unterwegssein und um Gottes Reden und Handeln. • Auch unsere „laufenden Dienste“ wie Beratungs- und Seelsorgegespräche oder Dienste in Gemeinden brauchen immer wieder Fürbitte. IMPRESSUM Redaktion: Beate & Stefan Lehnert, Karin Schwab, Maria Hommel, Jürgen Werth Druck: Gustav Winter GmbH, Herrnhut Postvertriebsstück F 2777 Entgelt bezahlt / DP AG Offenes sozial-christliches Hilfswerk e.V. Ökumenische Kirchenwochenarbeit Goschwitzstraße 15 • 02625 Bautzen Tel. 03591 / 4893-0 • Fax / 4893-28 Mail: [email protected] www.kiwoarbeit.de Bankverbindung: KD-Bank BLZ: 350 601 90 • Konto-Nr. 16 12370 016 Bitte Verwendungszweck angeben! Für Spenden aus dem Ausland: IBAN: DE31 3506 0190 1612 3700 16 BIC: GENO DE D1 DKD „Aufwind“ erscheint vierteljährlich und kann kostenlos bezogen werden (auch als PDF). Spendern und Freunden der Kirchenwochenarbeit wird er obligatorisch zugeschickt. Beigelegt ist ein Zahlschein für Spenden. Es ist für dich gut und nützlich, dass dir dein eigener Wein ausgeht und du nicht mehr deinem eigenen Sinn folgen kannst. Lass dir deine Gefäße von Jesus zunächst mit Wasser füllen. Später wird er es dir in Wein verwandeln. Isaak von Stella (englischer Zisterziensermönch, 12. Jh.) 21 zettberlin / photocase.com