Nachtflug unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen

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Nachtflug unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen
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BOHL & COLL.
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Rechtsanwälte
Nachtflug
unter Berücksichtigung
der höchstrichterlichen Rechtsprechung
Vortrag auf dem
17. International Congress on Traffic Noise
03.10.2008 – Dresden
von
RA Johannes Bohl
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Johannes Bohl
Jutta Kronewald M.A.
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Lehrbeauftragter an der FH Würzburg
Rechtsanwältin und
Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht
Jörg R. Naumann
Dr. jur. Burkhard Tamm
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Rechtsanwalt
ehem. Sozialversicherungsfachangestellter
Schwerpunkt: Medizinrecht
E-Mail: [email protected]
Internet: www.ra-bohl.de
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Zweigstelle Fulda:
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97072 Würzburg
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03.10.2008-Nachtflug.doc
06.10.2008
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1. Einleitung
Flugverkehr ist mit erheblichen Lärmbelästigungen für die Anwohner von Flughäfen und
Flugplätzen verbunden. Dies gilt grundsätzlich für jede Art von Luftfahrzeugen und ist auch
schon dann belästigend, wenn nur wenig oder vorrangig am Tage geflogen wird.
Die Bewertung des Fluglärms von Akzeptorseite hat der Gesetzgeber aus dem vorhandenen Regelwerk TA Lärm und 16. BImSchV ausgenommen. Der Luftverkehr unterliegt nicht
dem Anwendungsbereich des Bundes-Immissionsschutzgesetz, § 2 Abs. 2 BImSchG.
Regelungen mit Auswirkungen auf den Fluglärm enthalten zwar das Fluglärmgesetz und
die AzB. Diese verfolgen aber keinen akzeptorbezogenen Ansatz zur Festlegung von
Schwellenwerten zur Abwehr von Fluglärm (z.B. wegen Gesundheitsgefahren oder unzumutbaren Belästigungen bzw. Nutzungsbeschränkungen). Dies wird offiziell damit begründet, dass sich die Eigenart des Fluglärms nicht hinreichend sicher im Sinne der Nichtüberschreitung bestimmter Immissionswerte gestalten lasse. Es wird aber wohl auch damit zusammen hängen, dass die Festlegung von Immissionsgrenzwerten zu drastischen Beschränkungen des Flugverkehrs führen würde, welche politisch nicht gewollt sind.
Insbesondere fehlen damit zugleich Regelungen über den Nachtflug. Anders als z.B. in der
TA Lärm oder der 16. BImSchV fehlen auch Regelungen zur Definition der Nacht als Zeitraum mit besonderem Ruhebedürfnis.
Die Rechtsprechung hat bislang keine Forderung zur legislativen Regelung für Immissionsgrenzwerte in Bezug auf Fluglärm erhoben. Dadurch unterscheidet sich diese Rechtsprechung zugleich von derjenigen zu Bundesfernstraßen und Eisenbahnen. Die 16.
BImSchV ist letztlich Reaktion des Normgebers auf entsprechende Vorgaben der Rechtsprechung.
2. Zulassung des Nachtflugs in der Planfeststellung oder Genehmigung
2.1
Allgemeine Bedeutung der Planrechtfertigung
Ausgangspunkt für die Frage, ob den Anwohnern eines (geplanten) Flughafens oder Flugplatzes Fluglärm und Nachtflugläm überhaupt zugemutet werden kann, ist die Planrechtfertigung für einen Flughafen. In der neueren Rechtsprechung ist geklärt, dass der Bedarf für
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einen Flughafen oder Verkehrslandeplatz nachgewiesen sein muss. Dieser kann sich aus
den Vorgaben der Landesplanung ergeben, aber auch aus einem schlüssigen Konzept,
wie eine vorhandene oder erwartete Lufteverkehrsnachfrage bedient werden kann.
Die Rechtsprechung verlangt insoweit eine Kongruenz zwischen Bedarfsprüfung und Zielrichtung des Flughafens. Für jede typische Sparte des Luftverkehrs (internationaler Linienflugverkehr, nationaler Linienflugverkehr, Charterflug, Low-Cost-Carrier, Frachtflug, Expressflug) muss dieser Bedarf gesondert begründet werden. Ein für Frachtflug in der Landesplanung vorgesehener Flughafen darf sich z.B. nicht in der Planfeststellung als Flughafen für Personenlinienflug darstellen.
OVG NRW, Urt. v. 03.01.2006 – 20 118/03.AK – Flughafen Weeze, nicht
rechtskräftig
Die allgemeine Planrechtfertigung, der eine grundsätzliche Bedarfsprüfung zugrunde liegt,
wirkt sich damit bereits Fluglärmbegrenzend für die Anwohner aus. Das folgt daraus, dass
jede Sparte des Flugverkehrs mit typischen Flugbewegungsmustern und bestimmten Fluggerät verknüpft ist. Die in der Planrechtfertigung zugrundegelegte Zielrichtung des Flughafens begrenzt damit eine abweichende Entwicklung.
Das dahinterstehende Problem, welches die Rechtsprechung bislang nicht in den Griff bekommen konnte (bzw. wollte), ist die nur in Ansätzen vorhandene Bundesflughafenplanung. Obwohl das Luftverkehrsrecht Gegenstand der Bundesauftragsverwaltung ist, hat
der Bund bislang kein schlüssiges und vollverbindliches Konzept der Entwicklung der Verkehrsflughäfen und Verkehrslandeplätze entwickelt. Damit fehlt es an einer Ordnung des
Luftverkehrs. Flughäfen entwickeln sich daher vorrangig nach landes- und kommunalpolitischen Begehrlichkeiten und stehen in Konkurrenz zueinander („alles ist überall möglich“).
Die gerichtliche Prüfung der Planrechtfertigung kann diese fehlende Bundesflughafenplanung nicht ersetzen, da sie – jedenfalls bisher – keine Prüfkriterien für die Bedarfsprüfung
bei Konkurrenzsituationen zwischen Flughäfen entwickelt hat.
2.2
Besondere Rechtfertigung des Nachtflugs
In § 29b LuftVG findet sich eine besondere (sehr allgemein gefasste) Regelung zum Fluglärm, insbesondere dem Nachtfluglärm:
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§ 29b
(1) Flugplatzunternehmer, Luftfahrzeughalter und Luftfahrzeugführer sind verpflichtet, beim Betrieb von Luftfahrzeugen in der Luft und am Boden vermeidbare Geräusche zu verhindern und die Ausbreitung unvermeidbarer Geräusche auf ein Mindestmaß zu beschränken, wenn dies erforderlich ist, um die Bevölkerung vor Gefahren,
erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen durch Lärm zu schützen. Auf die
Nachtruhe der Bevölkerung ist in besonderem Maße Rücksicht zu nehmen.
(2) Die Luftfahrtbehörden und die für die Flugsicherung zuständige Stelle haben
auf den Schutz der Bevölkerung vor unzumutbarem Fluglärm hinzuwirken.
Die Rechtsprechung sieht in dieser Regelung eine zwingende materielle Anforderung an
die Planfeststellung und Genehmigung (Planungsleitsatz). Sie ist also nicht nur Optimierungsgebot oder einfacher Abwägungsbelang. Gleichzeitig handelt es sich um eine sehr
unbestimmte Rechtsnorm. so dass diese unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls anzuwenden und auszulegen ist.
Im Hinblick auf die Zulassung von Nachtflug wird § 29b Abs. 1 Satz 2 LuftVG faktisch wie
eine gesonderte Planrechtfertigung für den Nachtflug behandelt. Dies wird aus der Vermeidungspflicht gefolgert. Nachtflug, der nicht notwendig ist, ist vermeidbar und kann daher
auch generell Anwohnern nicht zugemutet werden.
Die praktische Handhabung als „Nachflug-Planrechtfertigung“ zeigt sich darin, dass eine
gerichtliche Bedarfsprüfung für den Nachtflug erfolgt. Dazu sind in jüngerer Zeit folgende
„Fallgruppen“ behandelt und entschieden worden:
•
Der nationale und europäische Linienflug im Low-Cost-Sektor rechtfertigt zwei Tagesumläufe. Für Flugziele in Deutschland und Europa ist aber eine Nachtflugverbindung
nicht erforderlich. Die Beschränkung auf nur einen Tagesumlauf ist wirtschaftlich weder
dem Flughafen noch den Luftverkehrsunternehmen wirtschaftlich zumutbar. Daraus
folgt, dass dieser Flugverkehr in der Regel schon um 5.30 Uhr beginnen und erst – je
nach Einzelfall – zwischen 23.00 und 24.00 Uhr enden muss.
BVerwG in einem nichtveröffentlichten Hinweisbeschluss zum Flughafen Dresden
•
Die Nachtkernzeit (0.00 Uhr bis 5.00 Uhr) unterliegt besonderem Schutz. Es bedarf
hierzu eines konkreten Schutzkonzeptes.
BVerwG, Urt. v. 09.11.2006 – 4 A 2001/06 – Flughafen Leipzig/Halle
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•
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Im internationalen und interkontinentalen Flugverkehr sind auch Nachtflugverbindungen
erforderlich. Diese sollen/müssen sich aber auf bestimmte dafür vorgesehene Flughäfen konzentrieren (hier findet durch die Rechtsprechung eine Art „ErsatzBundesflughafenplanung“ statt).
BVerwG, Urt. v. 16.03.2008 – 4 A 1075.04 – Flughafen Berlin/Schönefeld
•
Außerplanmäßige Verspätungen und Notlandungen sind nicht vermeidbar und damit
gerechtfertigt.
BVerwG in ständiger Rechtsprechung
•
Expressfrachtflug, der den sog. „Nachtsprung“ erfordert, ist als Nachtflug erforderlich
und zulässig.
BVerwG, Urt. v. 09.11.2006 – 4 A 2001/06 – Flughafen Leipzig/Halle
•
Frachtflug, der vom Expressfrachtflug nicht sinnvoll „getrennt“ werden kann, ist als Annex auch als Nachtflug zulässig.
BVerwG, Urt. v. 24.07.2008 – 4 A 3001.07 – Flughafen Leipzig/Halle (Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht)
Aber auch zahlreiche Fragen sind noch offen bzw. durch die vorstehenden Fallgruppen
aufgeworfen bzw. „herausgefordert“ worden:
•
Es werden inzwischen auch von Regionalflughäfen interkontinentale Flugverbindungen
angeboten. Das eröffnet eine Rechtfertigung für den Nachtflug (z.B. Flughafen Memmingerberg mit Linienverbindung nach Tel Aviv).
•
Regionalflughäfen nehmen eine Andienungs- und Verbindungsfunktion zu internationalen „Hubs“ wahr und folgern daraus den Bedarf für Nachtflug, um entsprechende zeitliche Anknüpfungen zu schaffen.
•
Der Flughafen Frankfurt (Fraport) ist einerseits der größte deutsche Interkontinentalflughafen. Andererseits ist dies Zahl der nachtflugbetroffenen Anwohner besonders
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groß. Hier wird der Bedarf nach Ausweitung des Nachtflugverkehrs zu prüfen sein. Das
bisherige Rechtsprechungskonzept dürfte dazu ungeeignet sein.
•
Die Nachtflugrechtfertigung für Spartenflugverkehr ist das „Begründungsmuster“, um
Nachtflug im Einzelfall durchzusetzen.
•
Die allgemeine Zulassung von Verspätungsflügen wird im Flugplan „eingeplant“.
3. Nachträgliche Beschränkung des Nachtflugs
Für eine nachträgliche Beschränkung des Nachtflugs bietet das gegenwärtige Recht quasi
keine handhabbare Grundlage. Soweit Altgenehmigungen keine Nachtflugbeschränkungen
haben (z.B. Flughafen Paderborn).
Die Richtlinie 2002/30/EG vom 26.03.2002 über Regeln und Verfahren für lärmbedingte
Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Gemeinschaft ist bislang nicht in nationales
Recht umgesetzt, obwohl die Umsetzungsfrist insoweit am 28.09.2003 auslieft. Die Kommission hat daraufhin gegen die Bundesrepublik Deutschland sowie drei weitere Mitgliedsstaaten ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof eingeleitet.
Mangels Umsetzung spielt die Richtlinie bislang keine Bedeutung in der deutschen Rechtsprechung.
4. Unterlassungs- und Entschädigungsansprüche
Über § 11 LuftVG i.V. mit § 14 BImSchG sind Unterlassungsansprüche gegen den Fluglärm von Flughäfen ausgeschlossen, wenn diese auf Grundlage rechtskräftiger Planfeststellungen und Genehmigungen betrieben werden. Der Unterlassungsanspruch aus § 1004
i.V. mit § 906 BGB ist aber gegeben, wenn der Flugverkehr abweichend von der Planfeststellung oder Genehmigung erfolgt (durchaus der Fall, wenn der Flugverkehr sich wandelt)
oder die Genehmigung völlig fehlt (auch das ist teilweise der Fall) oder gerichtlich angegriffen ist (häufig der Fall).
Da es keine gesetzlichen Regelungen zur Bewertung von Luftverkehrsimmissionen im Sinne von Abwehransprüchen gibt, ist die zivilgerichtliche Rechtsprechung bei der Bewertung
des Fluglärms relativ frei. Es ist erkennbar, dass hier eine gewisse Anlehnung an die TA
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Lärm bzw. die 16. BImSchV erfolgt. Hier sind derzeit mehrere gerichtliche Verfahren im
Gang, die ggf. zu einer weiteren Klärung der Frage führen werden.
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