Wenn Ozzy und Charles denselben Spot sehen - Sinus

Transcription

Wenn Ozzy und Charles denselben Spot sehen - Sinus
planung&analyse
4/2016
Zeitschrift
für Marktforschung
und Marketing
Eine Marke der
dfv Mediengruppe
Sonderdruck
Frauke Stockmann und Manfred Tautscher
D11700F
Wenn Ozzy und Charles
denselben Spot sehen
Haben verschiedene
Werte: Ozzy Osbourne
und Prinz Charles
Wenn Ozzy
und Charles
denselben
Spot sehen
Gezielte Werbewirkung durch
SINUS-MILIEUS mit einer Kombination
aus qualitativem und
quantitativem Zielgruppenverständnis
Frauke Stockmann, Diplom-Soziologin, ist als Studienleiterin der Marketingforschung beim Sinus-Institut tätig.
[email protected]
Manfred Tautscher ist Gründer und
Gesellschafter der Integral Markt- und
Meinungsforschung GmbH in Wien.
Seit 2009 ist er Gesellschafter und
Geschäftsführer von Sinus.
[email protected]
2
planung&analyse
4/2016 Sonderdruck
S
elbst bei neueren Marketingund Werbeformen, wie Social-Media- oder ContentMarketing, gilt: Gefälligkeit
und Branding sind Kategorien, die über
Erfolg oder Misserfolg von Maßnahmen
entscheiden. Durch die Verknüpfung mit
den Sinus-Milieus können Zielgruppeneffekte deutlich gemacht werden. Frauke
Stockmann und Manfred Tautscher vom
Sinus-Institut stellen den Sinus:Total-Score
vor, mit dem schnell und effizient Wege
aufgezeigt werden können, um das Potenzial optimal auszuschöpfen.
Würde jemand auf die Idee kommen, Ozzy
Osbourne und Prinz Charles mit demselben
Werbespot über identische Kanäle anzusprechen – die meisten Mediaplaner und
Werbetreibende wären sofort skeptisch.
Warum ist das so? Wird die Zielgruppe so
definiert, dass der Spot Männer ab 60 Jahre,
mit großer Kaufkraft oder hohem Einkommen und Familie ansprechen soll, landen
Charles und Ozzy in einer Zielgruppe.
Schaut man sich hingegen ihre Werteorientierung, ihren Lifestyle und ihre ästhetischen Präferenzen an, ist klar: Selbst wenn es
um das gleiche Produkt geht, müssen beide
unterschiedlich angesprochen werden. Das
ist die Philosophie, mit der Sinus seit über 30
Jahren arbeitet: Zielgruppen rein soziodemographisch zu definieren, stößt schnell an
seine Grenzen. Dies gilt vor allem bei der
Entwicklung von Kommunikationsstrategien sowie Werbemaßnahmen und ist daher
ein wichtiger Faktor bei der Messung der
Werbewirkung.
Für unterschiedliche Marketingziele und
Kommunikationsstrategien haben sich die
Sinus-Milieus vor allem in Deutschland als
eine breit genutzte Währung für Werbetreibende und Mediaplaner etabliert: Durch die
Verfügbarkeit in unterschiedlichen Marktplanung&analyse
4/2016
43
FOTO: JENS NIERING / PICTURE ALLIANCE; MONTAGE: PLANUNG&ANALYSE
Die
Autoren
wissen&forschung thema
Media-Studien lassen sich Informationen
über das Mediennutzungsverhalten der Milieus gewinnen. Speziell zur Fernsehnutzung gibt es eindeutige Insights: Welches
Milieu schaut wann auf welchem Sender
welche Programme? Jedoch ist der bestplatzierte Spot verschenktes Mediabudget,
wenn er die Zielgruppe emotional, ästhetisch und inhaltlich nicht erreicht. Das heißt,
die Sinus-Milieus können nicht nur herangezogen werden, um Antworten auf das
„Wann“ und „Wo“ zu geben, sondern viel
wichtiger: Auch auf das inhaltliche und ästhetische „Was“, „Wie“ und „Warum“. Wie
schauen unterschiedliche Zielgruppen fern?
Wie rezipieren sie Werbung? Warum gefällt
der einen Gruppe eine bestimmte Werbung
und den anderen nicht? Es ergibt sich somit
ein integrativer Prozess, der nicht erst bei der
Mediaplanung einsetzt, sondern auch bei
vorgelagerten Prozessschritten, von Werbeentwicklung bis -qualifizierung, um ganzheitliches Marketing erfolgreich planen,
entwickeln und umsetzen zu können.
Quantitative Ergebnisse mit
qualitativen Insights
44
planung&analyse
4/2016
Die Dimensionen des
Sinus:Total-Score
Das Instrument ist so konzipiert, dass die
einzelnen Dimensionen – Branding, Liking,
Word-of-Mouth, Image und Message – hierarchisch, das heißt entsprechend ihrer Bedeutung gewichtet, in den Score einfließen.
Die zwei wichtigsten Dimensionen stellen
zum einen das Branding, zum anderen die
Gefälligkeit, das Liking, dar: Nur wenn dem
Rezipienten gefällt, was er sieht, behält er es
auch im Gedächtnis. Erst dann können alle
anderen Faktoren ihre Wirkung entfalten.
Mit dem Branding steht und fällt der Werbeerfolg aus Sicht des werbenden Unternehmens. Wenn die Marke des Absenders
nicht eindeutig ersichtlich ist, wirbt auch der
beste Spot im Worst Case für die gesamte
Produktkategorie und nicht für die eigene
Marke. Eine andere wichtige Dimension im
Zusammenhang mit der Marke ist die des
Images. Ein Spot hat im besten Fall einen
positiven Einfluss auf die Meinung zu einer
Marke. Neben diesen Dimensionen geht es
im Sinus:Total-Score weiterhin um die Vira-
Treiber für Werbewirkung
Dimensionen des Sinus: Total-Score
Message
WOM /
Viralität
Liking
Total Score
Branding
Image transfer
Quelle: Sinus
planung&analyse 4/2016
SINUS-MILIEUS® SIND EIN EINGETRAGENES WARENZEICHEN
Das Prinzip unserer Werbewirkungsforschung verknüpft zwei Ansätze: Zum einen
Erkenntnisse aus langjähriger Expertise und
qualitativen Milieustudien hinsichtlich Ästhetik, Lifestyle, Wording in unterschiedlichen Branchenbereichen. Zum anderen ein
standardisiertes Tool mit klassischen Benchmarks. Dadurch ist es möglich, einen Blick
über die reinen Zahlen hinaus zu werfen
und zu verstehen, warum eine Werbung
besonders gut oder schlecht bei der Zielgruppe ankommt.
Das quantitative Tool, welches wir für die
Werbewirkungsforschung entwickelt haben, macht es möglich, mit wenigen Fragen
in rund sieben Minuten Stärken und Schwächen von Werbemitteln mit Zahlen zu belegen und ihren Werbe-Impact für das beworbene Produkt oder die Marke nach Zielgruppen zu ermitteln. Dieses Tool lässt sich
auf unterschiedliche Werbemittel, also
Fernsehen, Plakat oder Zeitungen und Zeitschriften, sowie im Post- als auch im PreTesting gleichermaßen anwenden. Neben
gängigen Dimensionen der Werbeforschung ist es in Zeiten von Video-on-Demand (Netflix, Amazon Prime), YouTube,
Mediatheken, Livestream-Angeboten relevant zu erfassen, welche Zielgruppen überhaupt noch Werbung im Fernsehen rezipieren oder wer hauptsächlich online zu erreichen ist. Geht es um das Post-Testing eines
Spots, ist im Sinne einer Erfolgsmessung des
Werbedrucks und des Recalls wichtig zu erfahren, welche Reichweiten der Spot hat:
Haben die Rezipienten den Spot einmal
oder mehrere Male gesehen? Der Content
eines Werbemittels ist vom Macher so konzipiert, dass er verschiedene Eigenschaften
über die Marke beziehungsweise das beworbene Produkt transportiert. Im Testing geht
es darum zu ermitteln, ob die erwünschten
Eigenschaften beim Befragten ankommen
oder unerwünschte vermieden werden.
Diese und ähnliche Fragen sind relevant,
fließen allerdings nicht in unseren finalen
Sinus:Total-Score ein, der einzelne Werbemittel mit der Benchmark vergleicht. Hierbei geht es um die relevanten und gängigen
Dimensionen zur Werbewirkung, die sich
im Zweifelsfall nicht oder nur sehr schwer
durch einen hohen Werbedruck kompensieren lassen.
litätskraft. Das heißt, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, mit der die Befragten selbst
zu Werbeträgern werden, zum Word-ofMouth beitragen? In Zeiten, in denen Werbung nicht mehr am dafür vorgesehenen
Ort und Zeitpunkt konsumiert wird, sondern oft nicht-linear, kann der richtige Werbeinhalt ungeahnte Dynamiken abseits der
klassischen Kanäle entwickeln, wobei die
Rezipienten selbst Treiber dieser Dynamiken darstellen. Last but not least geht es
neben der allgemeinen Gefälligkeit ganz
konkret um die Message des Spots und ihre
Relevanz für die Befragten.
Der Sinus:Total-Score besteht somit aus
fünf gewichteten Dimensionen, die für jeden Spot addiert und mit der Benchmark,
also dem Mittelwert aller von uns getesteten
Anzeigen, Plakate oder Spots verglichen
werden – entweder über alle Produktkategorien oder innerhalb einer Produktkategorie. Dieser Score hat nun zwei Funktionen:
Zum einen kann er in direkte Relation zum
potenziellen wirtschaftlichen Erfolg einer
Kampagne gesetzt werden. Erreicht ein Spot
beispielsweise einen Wert von 70, so lässt
sich bei einem eingesetzten Media-Budget
von einer Million Euro nur einen Returnon-Investment von 700.000 Euro erzielen.
Umgekehrt gilt: Ein Wert von 150 erzielt
bei gleichem Media-Budget einen ROI von
1,5 Millionen Euro. Dieser Spot ist demnach
um 50 Prozent besser als der Durchschnitt.
Zum anderen lassen sich die Stärken und
Schwächen eines Spots durch die modulare
und hierarchische Zusammensetzung des
Scores ermitteln. Der Gesamtscore kann
wieder in seine „Einzelteile“ zerlegt werden
und es können Ansatzpunkte identifiziert
werden, um mit wenig Aufwand den Gesamtscore nach oben zu ziehen.
Vor kurzem haben wir bei einem PreTesting einen Spot mit mittelmäßigem
Sinus:Total-Score gefunden. Bei der Detailanalyse der Dimensionen wurde deutlich,
dass dies vor allem am Branding lag: Während im gesamten Spot eine Stimme aus
dem Off zu hören war, wurde der Absender
des Spots am Ende lediglich eingeblendet.
Mit kleinen Änderungen konnte diese
Schwäche des Spots behoben werden.
Die Wichtigkeit von Benchmarks
– auch innerhalb der Zielgruppe
Werbewirkungsforschung lebt von Benchmarks. Seien sie bevölkerungs-, zielgruppen-, kategorie- oder kanalbezogen: Ohne
Benchmarks weiß man nicht, ob ein Spot
zwar gut, aber im Vergleich schlechter als
andere bewertet wird. Wenn man gleichzeitig mit bestimmten Zielgruppen arbeitet,
lässt sich auch feststellen, welche Spots bei
planung&analyse
4/2016
3
welchen Zielgruppen ankommen beziehungsweise bei welcher Zielgruppe ein Spot
am besten ankommt. Möchte man eine bestimmte Zielgruppe von einem Produkt, einer Dienstleistung oder Marke überzeugen,
wetteifert man nicht nur mit direkten Konkurrenten, sondern einem großen Wettbewerbsumfeld, das ins Relevant Set dieser
Zielgruppe gelangen möchte. Deswegen
geht es gleichzeitig immer um einen Bezugspunkt innerhalb einer Zielgruppe, mit dem
Sinus:Total-Score für einzelne Werbemittel
verglichen werden.
Auto-Werbespots unter der
„Milieubrille“
Im Juli 2014 haben wir dreizehn Auto-Werbespots (Produkt- und Image-Spots) getestet, die, mit einer Ausnahme, zu diesem
Zeitpunkt im deutschen Fernsehen liefen.
Dank vorverorteter Panellisten im Respondi-Panel, also Respondenten, von denen uns
bereits die Milieukennung bekannt ist,
konnten wir die uns interessierenden Milieus schnell und effektiv ansteuern. In dieser Online-Befragung haben wir insgesamt
535 Respondenten im Alter von 16 bis 70
Jahren befragt, die vorhaben sich in den
nächsten fünf Jahren sicher oder vielleicht
einen neuen Pkw anzuschaffen.
Zwei der getesteten Spots haben mit Personen aus der deutschen Fußballszene als
Testimonial gearbeitet und bieten sich daher
für eine exemplarische Analyse an: Audi
warb zu diesem Zeitpunkt mit Pep Guardiola und Opel mit Jürgen Klopp. Fassen wir die
Spots kurz zusammen: Im Audi-Spot ist der
Fokus die meiste Zeit auf Pep Guardiola. Er
4
planung&analyse
4/2016 Sonderdruck
spricht zu einer nicht zu benennenden Zuhörerschaft über Erfolg und Visionen. Als
ihm in seiner Motivationsrede das Wort
„Vorsprung“ fehlt, springt die Zuhörerschaft
ein – es ist nicht der FC Bayern München,
sondern ein Team von Audi. Der Opel-Spot
spielt im Borchards, wo diverse Prominente
speisen. Ein Kellner bittet um Aufmerksamkeit und möchte „den“ Opelfahrer um etwas
bitten, woraufhin sich mehrere Personen erheben. Der Kellner grenzt es auf einen Insignia in schwarz ein, sodass nur noch Jürgen
Klopp übrig bleibt und den Opel „umparkt“.
Während Opel mit seinem Spot einen
Sinus:Total-Score von über 120 erreicht,
kommt der Audi-Spot lediglich auf einen
Wert von 85. Seine größte Schwäche liegt
beim Image, was gerade bei einem ImageSpot fatal ist. Auch auf Milieu-Ebene wird
ersichtlich, dass dieser Spot es nicht schafft,
die Milieus von sich zu überzeugen. Das
Epizentrum von Audi liegt bei den Performern, Expeditiven und Liberal-Intellektuellen, für die ein Audi bei Neuanschaffung
eines Pkw in Frage käme. Gerade bei diesen
Milieus schneidet der Spot besonders
schlecht ab. An diesem Punkt kombinieren
wir die harten Fakten der Bewertung mit der
langjährigen, qualitativen Milieuexpertise.
Im ersten Moment wirkt der Audi-Spot perfekt auf die Performer zugeschnitten: Die
grundsätzliche Ästhetik stimmt, Pep Guardiola als Trainer des Rekordmeisters verkörpert ein Leistungsprinzip, mit dem sich
dieses Milieu identifizieren kann und auch
Begriffe wie „Erfolg“, „Visionen“ und „Vorsprung“ treffen das Wording des Milieus.
Was ist also schiefgelaufen? In der gewählten
Kameraperspektive ist der Rezipient dieses
Spots gezwungenermaßen Teil der gebannten Zuhörerschaft, die Pep Guardiolas Motivationsrede lauscht und von ihm belehrt
wird. Performer, mit ihrem Selbstverständnis als Leistungselite, sehen sich selbst aber
auf der anderen Seite – neben Pep Guardiola
oder sogar an seiner Stelle, vor allem aber
möchten sie nicht belehrt werden. Sie verstehen sich selbst als Menschen, die keine
Motivationsreden nötig haben, da sie bereits
intrinsisch zu Leistung aus Leidenschaft
motiviert sind und diese selbst an andere
weitergeben.
Der Opel-Spot, mit einem Sinus:TotalScore von 122, hingegen hat bei vielen
Milieus einen positiven Eindruck hinterlassen. Spannend wird es, wenn man sich die
Positionierung der Marke anschaut: Opel
käme bei Neuanschaffung vor allem für
die Milieus der Mitte oder den traditionellen
und teilweise auch unteren Rand der Gesellschaft in Frage. Besonders gut kommt der
Spot auch bei den Milieus der Oberschicht
beziehungsweise Leitmilieus an. Das bedeutet in der Konsequenz, dass Opel es durch
diesen Spot, vermutlich durch die gesamte
„Umparken-im-Kopf“-Kampagne, geschafft
hat, die Marke insgesamt nach oben zu ziehen, bis zu den Milieus, die Vorbild und
„aspirational“ für andere sind. Diese beiden
Beispiele zeigen zudem beide Seiten der Medaille bei der Arbeit mit Testimonials: Die
Marke Pep Guardiola hat die Marke Audi im
getesteten Spot kannibalisiert. Im OpelSpot ergänzen sich hingegen der (damalige)
Trainer des wiederauferstandenen Phönix
Borussia Dortmund mit der wiederauferstandenen Marke Opel, die beide plötzlich
in einem anderen Licht erscheinen.