Falk Gastro-Kolleg Darm

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Falk Gastro-Kolleg Darm
Falk
Gastro-Kolleg
Darm
Differenzialdiagnostik der
chronischen Diarrhö
Prof. Dr. V. Groß
Medizinische Klinik II
Klinikum St. Marien
Mariahilfbergweg 5–7
92224 Amberg
Zusammenfassung
Das differenzialdiagnostische Spektrum der chronischen Diarrhö ist groß. Pathophysiolo­
gisch lassen sich 2 große Gruppen der chronischen Diarrhö unterscheiden: die malab­
sorptive/osmotische Diarrhö und die sekretorische/exsudative Diarrhö. Während die
malabsorptive/osmotische Diarrhö in der Regel unter Nahrungskarenz sistiert, bleibt die
sekretorische/exsudative Diarrhö von einigen Ausnahmen abgesehen unter Nahrungs­
karenz bestehen. Die Gruppe der malabsorptiven/osmotischen Diarrhö umfasst Dünn­
darmerkrankungen, die zu einer Verminderung der funktionell aktiven resorptiven
Oberfläche führen (z. B. einheimische Sprue), Erkrankungen, die mit einer Vermehrung
nicht resorbierbarer intraluminaler Solute einhergehen (z. B. Pankreasinsuffizienz mit
der Folge der Maldigestion, Lactasemangel), sowie Erkrankungen, bei denen aufgrund
eines beschleunigten Transits die Resorption gestört ist. Die Gruppe der sekretorischen/
exsudativen chronischen Diarrhö umfasst einerseits entzündliche Erkrankungen, bei
denen die passive Sekretion (Exsudation) im Vordergrund steht (z. B. chronisch entzünd­
liche Darmerkrankungen, chronische Infektionen), sowie Erkrankungen, die durch eine
aktive Sekretion charakterisiert sind (z. B. chologene Diarrhö, Nahrungsmittelallergie,
neuroendokrine Tumoren). Bei vielen Erkrankungen sind die Zusammenhänge jedoch
komplex, da gleichzeitig verschiedene Diarrhömechanismen aktiv sind (z. B. Diarrhö bei
chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, Diarrhö bei langjährig schlecht eingestell­
ten Diabetikern, Diarrhö bei bakterieller Überbesiedlung des Dünndarms). Darüber
hinaus ist zu berücksichtigen, dass viele Patienten mit chronischer Diarrhö unter einer
funktionellen Diarrhö im Rahmen eines Reizdarmsyndroms leiden. Die Abklärung der
chronischen Diarrhö erfordert daher den kritischen und gezielten Einsatz der diagnosti­
schen Verfahren, um einerseits eine Überdiagnostik zu vermeiden, andererseits jedoch
bedeutende Erkrankungen nicht zu übersehen.
Schlüsselwörter
Fragebeantwortung unter
www.falkfoundation.de
Falk Gastro-Kolleg
Chronische Diarrhö | Differenzialdiagnostik | Malabsorption |
sekretorische Diarrhö
Titelbild: Colitis ulcerosa
Differenzialdiagnostik der chronischen Diarrhö
Einleitung
Die individuelle Bandbreite der Stuhlgewohnheiten ist groß und wird von vielen
­Faktoren beeinflusst. Im Allgemeinen wird ein Patient dann über Diarrhö berichten,
wenn es zu einer Veränderung seiner individuellen Stuhlgewohnheiten mit einer
­erhöhten Stuhlfrequenz und einer geminderten Stuhlkonsistenz gekommen ist. In­
nerhalb der Allgemeinbevölkerung stellt die Diarrhö ein häufiges Symptom dar. In
Umfragen berichteten 2–4% der Befragten eine häufige (> 25 % der Tage oder Gele­
genheiten) Erhöhung der Stuhlfrequenz und 5–17% eine häufige Minderung der
Stuhlkonsistenz.
Für eine rationelle Abklärungsstrategie der chronischen Diarrhö ist daher neben der
Kenntnis der Krankheitsbilder vor allem eine Vorstellung von ihrer Häufigkeit hilfreich.
Patienten, die einer gastroenterologischen Klinik zur Abklärung einer chronischen
­Diarrhö zugewiesen wurden, hatten in 60% funktionelle Störungen und in 40% orga­
nische Erkrankungen (chronisch entzündliche Darmerkrankungen 7–12%, Infektionen
4–11%, Zustand nach abdominellen Operationen 2,5–10%, Malabsorption 5%, Laxan­
zienabusus 3–4%, andere Medikamente und/oder Drogen 2%). Die Schwierigkeit bei
der Abklärung der chronischen Diarrhö besteht einerseits in der Vielzahl der Differen­
zialdiagnosen, andererseits in der Tatsache, dass die chronische Diarrhö häufig im
Rahmen eines Reizdarmsyndroms auftritt, und dieses eine Ausschlussdiagnose dar­
stellt. Für jeden Patienten ist daher kritisch abzuschätzen, welche Diagnostik erforder­
lich ist, um einerseits Überdiagnostik zu vermeiden, andererseits jedoch wichtige Er­
krankungen nicht zu übersehen.
P Patienten, die über chronische
Diarrhö berichten, haben in ca. 60%
eine funktionelle Störung
1 Definition
Die Diarrhö ist durch Veränderungen von Stuhlfrequenz, Stuhlvolumen und Stuhlkon­
sistenz charakterisiert.
Pathophysiologisch ist die echte Diarrhö durch mehr als 3 Stuhlentleerungen pro Tag,
ein Stuhlgewicht über 200–250 g/Tag, sowie flüssigen/breiigen Stuhl (Stuhlwasser­
gehalt über 80%) definiert. Die Angaben zur Mindestdauer der Symptomatik, ab der
die Diarrhö als chronisch bezeichnet wird, schwanken zwischen 2 und 4 Wochen.
P Definition der chronischen Diarrhö:
> 3 Stuhlentleerungen/Tag,
Stuhl­volumen > 200–250 g/Tag,
flüssiger/breiiger Stuhl;
Symptomdauer > 2–4 Wochen
Der erste Schritt bei der Abklärung besteht darin, eine echte Diarrhö zu sichern und
von anderen Veränderungen abzugrenzen, die ebenfalls zu einer Erhöhung der Stuhl­
frequenz führen (Tab. 1).
Tab. 1
Diarrhö – Definition
Echte Diarrhö
Pseudo­
diarrhö
Paradoxe
Diarrhö
Inkontinenz
Stuhlfrequenz
> 3/Tag
> 3/Tag
> 3/Tag
> 3/Tag
Stuhl­konsistenz
flüssig/breiig
wechselnd
flüssig
Stuhlschmieren
Stuhlgewicht
> 200–250 g/Tag
normal
normal
normal
Ursache
(Beispiel)
Sprue,
Entzündung
Reizdarm
Kotsteine
Sphinkterdefekt
Dazu zählen die funktionelle Diarrhö (auch Pseudodiarrhö oder „falsche“ Diarrhö ge­
nannt) im Rahmen eines Reizdarmsyndroms, die paradoxe Diarrhö, verursacht durch
Stuhlretention mit sekundärer Verflüssigung, sowie die Inkontinenz, die zum Stuhl­
schmieren führt. Durch eine sorgfältige Anamnese, die „Stuhlvisite“, sowie die rektale
Untersuchung gelingt in der Regel die Abgrenzung der echten Diarrhö von der funk­
tionellen Diarrhö, der paradoxen Diarrhö und der Stuhlinkontinenz.
P Die echte Diarrhö muss von der
funktionellen Diarrhö, der paradoxen
Diarrhö und der Stuhlinkontinenz
abgegrenzt werden
2 Klassifikation der chronischen Diarrhö
Stuhlvolumen und Stuhlkonsistenz sind überwiegend durch den Wassergehalt des
Stuhls bestimmt. Pro Tag gelangen ca. 9 l Flüssigkeit in den Dünndarm, ca. 2 l durch
exogene Zufuhr, ca. 7 l durch Sekretion von Speicheldrüsen, Magen, Pankreas, Galle,
Darmepithel. Davon erreichen ca. 1000–1500 ml den Dickdarm und nur ca. 100 ml,
d. h. ca. 1% der exogenen und endogenen Zufuhr, werden mit dem Stuhl ausgeschie­
den. Eine Störung des Gleichgewichts von intestinaler Sekretion und Resorption mit
der Folge einer vermehrten Nettosekretion führt zur Diarrhö (Tab. 2).
Normaler und pathologischer intestinaler Wassertransport
Normal*
Dünndarm­
diarrhö**
Dickdarm­
diarrhö**
Eintritt in Jejunum
(Aufnahme plus
endogene Sekretion)
9000 ml/24 h
Eintritt in lIeum
3000 ml/24 h
Eintritt in Coecum
1000–1500 ml/24 h
6000 ml/24 h
1000 ml/24 h
Stuhl
100 ml/24 h
1500 ml/24 h
700 ml/24 h
Tab. 2
* Durchschnittswerte
** Beispielwerte
Entsprechend der vorherrschenden Funktionsstörung kann zwischen 2 wesentlichen
Diarrhömechanismen unterschieden werden:
1.Diarrhö aufgrund insuffizienter Resorption von Soluten und Wasser (malabsorptive/
osmotische Diarrhö) und
2.Diarrhö mit vermehrter Sekretion (sekretorische/exsudative Diarrhö).
P Die beiden Hauptgruppen der
chronischen Diarrhö sind die malabsorptive/osmotische Diarrhö und die
sekretorische/exsudative Diarrhö
Innerhalb der beiden Hauptgruppen lassen sich Untergruppen mit gleichem Pa­
thomechanismus darstellen. Die Gruppe der malabsorptiven/osmotischen Diarrhö
umfasst Dünndarmerkrankungen, die zu einer Verminderung der funktionell aktiven
resorptiven Oberfläche führen, Erkrankungen, die mit einer Vermehrung nicht resor­
bierbarer intraluminaler Solute einhergehen, sowie Erkrankungen, bei denen auf­
grund eines beschleunigten Transits die Resorption gestört ist. Die Gruppe der sekre­
torischen/exsudativen chronischen Diarrhö umfasst entzündliche Erkrankungen, bei
denen die passive Sekretion (Exsudation) im Vordergrund steht, sowie Erkrankungen,
die durch eine aktive Sekretion charakterisiert sind. Tabelle 3 führt diese Untergrup­
pen und die wichtigsten Erkrankungen ohne Anspruch auf Vollständigkeit auf. Natür­
lich stellt die Tabelle eine Vereinfachung dar. Sie berücksichtigt den vorherrschenden
Mechanismus der Diarrhö. Bei vielen Krankheiten sind jedoch gleichzeitig mehrere
Diarrhömechanismen aktiv. Bei der Sprue besteht z. B. neben der malabsorptiven
Komponente auch eine sekretorische Komponente aufgrund eines Barrieredefekts
mit Steigerung der intestinalen Permeabilität. Beim Morbus Crohn kann neben
der sekretorischen Komponente bei ausgedehntem Dünndarmbefall auch eine
malabsorptive Komponente eine Rolle spielen. Bei der bakteriellen Überbesiedlung
spielt neben der osmotischen Komponente durch den vermehrten Übertritt von
­dekonjugierten Gallensäuren ins Kolon auch die sekretorische Komponente eine
wichtige Rolle.
Klassifikation der chronischen Diarrhö
Tab. 3
1 Malabsorptiv/osmotisch
1.1 Verminderung der funktionell aktiven resorptiven Oberfläche
•Zöliakie
•Intestinales T-Zell-Lymphom
•Morbus Whipple
•HIV-Enteropathie
•CVID (common variable immunodeficiency)
•Tropische Sprue
•Amyloidose
•Strahlenschaden
•Zytostatikaschaden
•Kurzdarmsyndrom, Dünndarmresektion, enterocolische Fistel
1.2 Vermehrung nicht-resorbierbarer intraluminaler Solute
•Pankreasinsuffizienz (Maldigestion)
•Zollinger-Ellison-Syndrom (Pankreasenzyme durch sauren pH gehemmt)
•Laktasemangel
•Seltene kongenitale Transportdefekte
(z. B. Glukose-Galaktose-Malabsorption)
•NNR-Insuffizienz (gestörter Ionentransport)
•Vermehrte Zufuhr nicht oder nur eingeschränkt resorbierbarer Solute
(Fruktose, Sorbit, Xylit, Lactulose, Magnesium-haltige Antazida)
•α-Glukosidaseinhibitoren (Acarbose, Miglitol)
•Bakterielle Überbesiedlung (Blindsacksyndrom, Stase durch Motilitätsund Passagestörung)
1.3 Beschleunigter Transit
•Hyperthyreose
•Karzinoid
•Reizdarm?
2 Sekretorisch/exsudativ
2.1 Passive Sekretion/Exsudation
•Morbus Crohn
•Colitis ulcerosa
•Mikroskopische (kollagene und lymphozytäre) Colitis
•NSAR-Enterocolitis
•Infektionen: Clostridium difficile, Yersinia enterocolitica, Giardia lamblia,
Entamoeba histolytica, Tuberkulose, Wurmerkrankungen, opportunistische
Infektionen bei HIV oder anderer Immunsuppression (Mycobacterium
avium intracellulare, CMV, Cryptosporidium, Microsporidium, Isospora,
Cyclospora, Cryptococcus, Aspergillus)
2.2 Aktive Sekretion
•Laxanzien (Phenolphthalein, Bisacodyl, Antrachinone, Rizinus)
•Chologene Diarrhö
•Nahrungsmittelallergie
•Eosinophile Enterocolitis, systemische Mastozytose
•Villöse Adenome, Karzinome
•Neuroendokrine Tumoren (Karzinoid, VIPom)
3 Anamnese und klinische Untersuchung
Die gründliche Anamnese erlaubt in vielen Fällen bereits eine entscheidende dia­
gnostische Weichenstellung. Folgende Fragen sollten gestellt werden:
1.Häufigkeit und Art der Stuhlentleerung (Frequenz, Stuhlbeschaffenheit)
2.Abhängigkeit der Diarrhö von der Nahrungsaufnahme (Besserung unter Nahrungs­
karenz?)
3.Abhängigkeit der Diarrhö von bestimmten Nahrungs- oder Genussmitteln
4.Beginn der Diarrhö in Zusammenhang mit besonderen Ereignissen (z. B. Auslands­
reise)
5.Vor-/Begleiterkrankungen (z. B. Diabetes mellitus), Voroperationen
6.Vormedikation und aktuelle Medikation (z. B. Antibiotika, orale Antidiabetika, NSAR)
7.Begleitsymptome (z. B. Meteorismus, Gewichtsverlust, Leistungsknick, Schmerzen,
Fieber, Flush)
Zu den wichtigsten Eingangsuntersuchungen zählen:
1.Beurteilung des Allgemeinzustands und des Ernährungszustands
2.Komplette klinische Untersuchung mit besonderem Schwerpunkt auf dem Abdo­
men (Qualität der Darmgeräusche, Meteorismus?, Resistenzen?)
3.Untersuchung von Anus einschließlich rektal-digitaler Untersuchung (perianale
Entzündung?, Schließmuskelschwäche?, Resistenz?, Stuhlimpaktation?)
4.Stuhlvisite (Volumen, Konsistenz, Blut-, Schleim-, Eiterauflagerung?)
3.1 Stuhlfrequenz und Stuhlbeschaffenheit
Großvolumige, wässrige Diarrhöen mit geringer Erhöhung der Stuhlfrequenz spre­
chen für eine Dünndarmerkrankung. Häufige, kleinvolumige Stühle deuten auf eine
Dickdarmerkrankung hin. Blutbeimengungen sprechen für eine entzündliche Darm­
erkrankung oder für einen Tumor und sind in der Regel kolonischen Ursprungs. Groß­
volumige, übel riechende, ölige Stühle sind typisch für die Steatorrhö, das Kardinal­
symptom der Fettmalabsorption. Meteorismus und Flatulenz sprechen für eine
Kohlenhydratmalabsorption (Gasbildung infolge der bakteriellen Kohlenhydratfer­
mentation).
P Stuhlfrequenz und Stuhlbeschaffenheit geben Hinweise auf die Ursache
der Diarrhö
3.2 Nahrungskarenz
Die Symptome der malabsorptiven/osmotischen Diarrhö bessern sich in der Regel
unter Nahrungskarenz. Die sekretorische/exsudative Diarrhö persistiert mit Aus­nahme
der chologenen Diarrhö und der Nahrungsmittelallergie auch unter Nahrungskarenz,
wenn auch häufig etwas abgeschwächt.
P Die malabsorptive/osmotische
Diarrhö sistiert im Allgemeinen unter
Nahrungskarenz, die sekretorische/
malabsorptive nicht
3.3 Einfluss von bestimmten Nahrungsmitteln
Treten Diarrhö und Meteorismus vermehrt beim Verzehr von Milchprodukten auf,
­besteht der Verdacht auf eine Laktoseintoleranz. Die Fähigkeit zur Laktosespaltung
zeigt große individuelle Schwankungen. Sie nimmt im Laufe des Lebens ab, sodass
die Laktoseintoleranz mit zunehmendem Lebensalter häufiger wird. In Mitteleuropa
beträgt die Häufigkeit der Laktoseintoleranz bei Erwachsenen ca. 10%.
P Laktoseintoleranz als Ursache
von Diarrhö und Meteorismus beim
Verzehr von Milchprodukten
Weitere Auslöser von Diarrhöen und Meteorismus können die gesteigerte Zufuhr von
Fruktose (> ca. 50 g/Tag), Sorbit (> ca. 10 g/Tag) oder Xylit sein, da die Resorptions­
kapazität für diese Substanzen begrenzt ist. Letztere finden sich zum Teil in beträcht­
lichen Mengen in Kernobst, Softdrinks oder Diabetiker-Produkten.
P Nach dem Verzehr von sogenannten
„zuckerfreien“ Produkten fragen
(Sorbit, Xylit)!
Patienten vermuten häufig Nahrungsmittelallergien als Ursache für postprandial auf­
tretende Diarrhöen und Meteorismus. Echte Nahrungsmittelallergien, d. h. immunolo­
gisch vermittelte Reaktionen auf Nahrungsmittel oder Nahrungsmittelzusatzstoffe,
sind jedoch selten. Nahrungsmittelallergien treten gehäuft bei Atopikern auf.
P Echte Nahrungsmittelallergien
sind selten Ursache einer
chronischen Diarrhö
3.4 Lebensführung, besondere Ereignisse
Diese sind individuell zu erfragen, z. B. Auslandsreise als Auslöser, gleichzeitig auftre­
tende Durchfallerkrankung in der Umgebung, Drogenkonsum?
3.5 Vorerkrankungen, Voroperationen
Der langjährige, schlecht eingestellte Diabetes mellitus kann zu einer chronischen
­ iarrhö führen. Ursächlich wird eine viszerale Neuropathie angenommen. Diese kann
D
einerseits über eine gestörte Motilität mit Stase zu einer bakteriellen Überbesiedlung
mit der Folge der malabsorptiven/osmotischen Diarrhö führen, andererseits durch
eine gesteigerte Sekretion zu einer sekretorischen Diarrhö. Während die bakterielle
Überbesiedlung auf Antibiotika anspricht, kann die sekretorische Diarrhö auf Clonidin
ansprechen. Ferner ist bei Diabetikern mit chronischer Diarrhö an orale Antidiabetika
(α-Glucosidaseinhibitor, Metformin) als Auslöser (siehe 3.6) zu denken.
P Die chronische Diarrhö bei
langjährigen Diabetikern
hat komplexe Ursachen
Verschiedene gastrointestinale Operationen können über unterschiedliche Mechanis­
men zur chronischen Diarrhö führen. Dazu zählen das Kurzdarmsyndrom nach aus­
gedehnter Dünndarmresektion, die exogene Pankreasinsuffizienz bei ausgedehnter
Pankreasresektion, das sogenannte Postgastrektomiesyndrom, das Postvagotomie­
syndrom, sowie Diarrhöen nach Cholezystektomie.
P Chronische Diarrhö als Folge
verschiedener Operationen
Nach Strahlentherapie im Bereich des Abdomens kann es infolge einer Schleimhaut­
schädigung (Strahlenenterocolitis) zur Diarrhö kommen. Ferner kann langfristig durch
strahlenbedingte Motilitätsstörungen oder Strikturen eine bakterielle Überbesiedlung
mit der Folge der chronischen Diarrhö entstehen.
P Chronische Diarrhö als Folge
abdomineller Strahlentherapie
3.6 Medikamente
Zahlreiche Medikamente können Diarrhöen auslösen. Zu erwähnen sind insbesondere
Antibiotika, Antidiabetika, nicht-steroidale Antirheumatika, Magnesium-haltige Anta­
zida, Zytostatika, Laxanzien (heimliche Einnahme).
Die Antibiotika-assoziierte Diarrhö kann in verschiedenen Formen auftreten. Die ein­
fache Antibiotika-assoziierte Diarrhö sistiert meist nach Absetzen des Antibiotikums.
Sie beruht auf einer Störung der Darmflora mit gestörter bakterieller Fermentation
von Kohlenhydraten und Gallensäuren. Auf diese Weise kann es einerseits über osmo­
tische, andererseits über sekretorische Mechanismen zu gehäuften, weichen und
­voluminösen Stuhlentleerungen kommen. Die zweite Form der Antibiotika-assoziier­
ten Diarrhö ist die Clostridium-difficile-assoziierte Diarrhö während oder nach Anti­
biotikatherapie. Die schwerste Form dieser Diarrhö stellt die pseudomembranöse
­Colitis dar. Die Diagnose wird durch den Nachweis von Clostridium-difficile-Toxin-A/B
im Stuhl geführt. Bei schwerer Erkrankung und Verdacht auf das Vorliegen einer Clostridium-difficile-Variante mit gesteigerter Toxizität werden der kulturelle Nachweis und
die molekularbiologische Typisierung empfohlen.
Eine besondere Form der Antibiotika-induzierten Colitis ist die segmental hämorrha­
gische Colitis (Hypersensitivitätsreaktion?) nach Penicillintherapie.
P Antibiotika
Aus der Gruppe der Antidiabetika können die α-Glucosidaseinhibitoren durch Hem­
mung der Kohlenhydratresorption zu Meteorismus und auch Diarrhö führen. Ferner
kann Metformin, insbesondere in höherer Dosierung, zur Diarrhö führen.
P Antidiabetika
Die Langzeiteinnahme von nicht-steroidalen Antirheumatika kann zu einer Enteropa­
thie und Colitis mit den Folgen des intestinalen Eiweiß- und Blutverlusts führen. Ur­
sächlich spielt eine Störung der intestinalen Permeabilität eine wichtige Rolle.
P NSAR
Darüber hinaus können viele Medikamente im Rahmen ihres gastrointestinalen Ne­
benwirkungsspektrums zur Diarrhö führen. Aufgrund der großen Verbreitung soll hier
nur an die Gruppe der Psychopharmaka erinnert werden.
P Psychopharmaka
Bei anderweitig nicht erklärbarer chronischer Diarrhö ist auch an einen heimlichen
Laxanzienabusus zu denken.
P Heimlicher Laxanzienabusus
3.7 Begleitsymptome
Gewichtsverlust und Leistungsminderung sind in der Regel Hinweis auf eine mal­
absorptive Diarrhö. Als Folge einer längerfristigen Malabsorption können zahlreiche
­andere Mangelsymptome auftreten (Tab. 4).
Malabsorption – Symptome und Mechanismen
Symptom
Ursache (Störung von/Mangel an)
Gewichtsverlust
Fettassimilation
Diarrhö, Meteorismus
Kohlenhydratassimilation
Muskelschwund, Ödeme
Proteinassimilation
Anämie
Eisen, Vitamin B12, Folsäure, Zink
Blutungen
Vitamin K, Vitamin C
Osteomalazie
Calcium, Vitamin D, Vitamin A
Tetanie
Calcium, Magnesium
Adynamie
Kalium
Glossitis, Neuropathie
Vitamine B1, B2, B6, Eisen
Hyperkeratosen
Vitamin A, Zink
Schmerzen, insbesondere im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme treten bei
entzündlichen Darmerkrankungen oder bei Erkrankungen, die mit Stenosen einher­
gehen, auf. Schmerzen können jedoch auch bei malabsorptiven Diarrhöen infolge
des Meteorismus oder beim Reizdarmsyndrom auftreten und müssen daher kritisch
beurteilt werden.
Fieber ist in der Regel Hinweis auf eine Darmentzündung infektiöser oder anderer
(z. B. immunologischer, vaskulärer) Genese.
Tab. 4
P Gewichtsverlust, Schmerzen,
Fieber als Begleitsymptome
Gelegentlich können andere Symptome, z. B. dunkle Hautfärbung, Schwäche, Hypo­
tonie bei Nebenniereninsuffizienz, Flush beim Karzinoidsyndrom oder Wärmeinto­
leranz, Schwitzen, Unruhe bei der Hyperthyreose auf eine spezifische Ursache der
­chronischen Diarrhö hinweisen.
4 Diagnostische Tests
4.1 Fastentest
Ein einfacher Test zur Unterscheidung zwischen osmotischer/malabsorptiver und
­sekretorischer/exsudativer Diarrhö ist die Nahrungskarenz. Nach 48-stündiger oraler
Nahrungskarenz sistiert die osmotische Diarrhö, während die sekretorische Diarrhö in
den meisten Fällen (wenn auch meist etwas abgeschwächt) persistiert. Ausnahmen
hiervon stellen die chologene Diarrhö und die Nahrungsmittelallergie dar.
4.2 Stuhltests
4.2.1 Stuhlfett
Eine gesteigerte Stuhlfettausscheidung findet sich bei genereller Malabsorption oder
bei schwerer Pankreasinsuffizienz. Bei normaler Nahrungsfettzufuhr, d. h. 70–100 g/Tag
gilt eine Stuhlfettausscheidung > 7 g/Tag als pathologisch. Die makroskopisch sicht­
bare Steatorrhö weist auf eine ausgeprägte Malabsorption oder schwere Pankreas­
insuffizienz hin. Ersatzweise kann die β-Carotinkonzentration im Serum bestimmt
werden; ein erniedrigtes β-Carotin korreliert mit einer erhöhten Stuhlfettausschei­
dung.
P Stuhlfettausscheidung > 7 g/Tag
bzw. erniedrigtes Serum-β-Carotin
bei Steatorrhö
4.2.2 Osmotische Lücke, Stuhl-pH
Zur Unterscheidung einer osmotischen/malabsorptiven Diarrhö von einer sekreto­
rischen/exsudativen Diarrhö ist die Bestimmung der sogenannten „osmotischen
­Lücke“ im Stuhlwasser sowie des Stuhl-pH hilfreich. Zu diesem Zweck wird flüssiger
Stuhl abzentrifugiert, der Überstand über ein Filterpapier gereinigt, und in der verblei­
benden Flüssigkeit werden die Elektrolyte bestimmt. Die Stuhlosmolalität entspricht
physiologischerweise der Plasmaosmolalität, d. h. sie beträgt 290–300 mosmol/kg H2O.
Beim Gesunden wird die Stuhlosmolalität im Wesentlichen durch Natrium und Kalium
mit ihren begleitenden Anionen bestimmt. Bei der osmotischen Diarrhö sind andere
­osmotisch aktive Moleküle vermehrt, sodass Natrium und Kalium plus ihre Anionen
nicht mehr die Osmolalität von 290 ergeben (Tab. 5).
Stuhlbefund bei osmotischer und sekretorischer Diarrhö
Osmotisch*
Sekretorisch*
Stuhlosmolalität (mosmol/kg)
290
290
Natrium (mmol/l)
30
100
Kalium (mmol/l)
30
40
(Natrium + Kalium) x 2
120
280
Osmotische Lücke
170
10
Tab. 5
* Beispiele
Durchführung:
• Osmotische Lücke = 290 – (Natrium [mmol/l] plus Kalium [mmol/l]) x 2
Eine osmotische Lücke > 50 mosmol/kg H2O beweist eine osmotische Diarrhö. Schwie­
rigkeiten können bei der Kohlenhydratmalabsorption bestehen, bei der die osmotische
Lücke geringer sein kann. Dabei ist jedoch im Allgemeinen ein Abfall des Stuhl-pH
< 5,3 nachzuweisen. Die Kombination einer osmotischen Lücke < 50 mosmol/kg H2O
plus einem sauren Stuhl-pH spricht somit auch für eine osmotische Diarrhö.
P Osmotische Lücke > 50 mosmol/kg H2O
bei osmotischer Diarrhö
4.2.3 Entzündungs- und Infektionsmarker
Die Neutrophilen-Proteine Lactoferrin bzw. PMN-Elastase sind sensitive Parameter, um
im Stuhl nicht-invasiv Entzündungen, die mit einer Vermehrung neutrophiler Granu­
lozyten in der Darmwand mit nachfolgender Sequestration ins Lumen einhergehen,
zu detektieren. Ein erhöhter Lactoferringehalt im Stuhl eignet sich z. B. zur Abgren­
zung einer aktiven chronisch entzündlichen Darmerkrankung von einem Reizdarm­
syndrom.
P Lactoferrin im Stuhl als
nicht-invasiver Marker für
Darmentzündungen
Für eine spezifischere Infektionsdiagnostik erfolgt die Stuhluntersuchung auf patho­
gene Keime. Bei Normalpersonen können aus der Gruppe der darmpathogenen
Keime Clostridium difficile (Risikofaktor Antibiotikatherapie), Yersinia enterocolitica,
Giardia lamblia, sowie Entamoeba histolytica chronische Durchfälle verursachen. Bei
immunsupprimierten Patienten ist insbesondere an eine CMV-Colitis als Ursache
chronischer Diarrhöen zu denken (Nachweis durch Histologie und CMV-Nachweis
mittels PCR im Gewebe; ergänzend Nachweis von CMV pp65 im Blut). Bei Patienten
mit HIV-Infektion im Stadium AIDS sind auch opportunistische Erreger (atypische
­Mycobakterien, Cryptosporidien, Microsporidien, Isospora, Cyclospora, Cryptococcus)
zu berücksichtigen. Die Darmtuberkulose ist in Deutschland selten.
P Das Erregerspektrum chronischer
infektiöser Diarrhöen ist vom
Immunstatus abhängig
Zum Nachweis einer exsudativen Enteropathie, die im Rahmen verschiedener intesti­
naler und extraintestinaler Erkrankungen auftreten kann, eignet sich die α1-Antitryp­
sinbestimmung im Stuhl.
4.3 D-Xylose-Test
Der D-Xylose-Test ist ein Globaltest zur Bestimmung der resorptiven Oberfläche des
proximalen Dünndarms, wird heute jedoch nur noch selten eingesetzt. D-Xylose wird
nach oraler Gabe vom proximalen Dünndarm, insbesondere vom Jejunum zu ca. 50%
resorbiert. Da D-Xylose nicht metabolisiert, sondern renal ausgeschieden wird, korre­
lieren sowohl der Serumspiegel als auch die Urinausscheidung bei normaler Nieren­
funktion mit der intestinalen Resorption.
P D-Xylose-Test geeignet zur
Bestimmung der Resorptionskapazität
des proximalen Dünndarms
Testdurchführung:
• D-Xylose 25 g in 400 ml Flüssigkeit, nach 1 Stunde 400 ml nachtrinken.
• Urin für 5 Stunden sammeln; normal > 16% (4 g) D-Xylose-Ausscheidung.
• Blutprobe nach 60 Minuten nehmen; normal > 25 mg D-Xylose/dl.
Sensitivität und Spezifität des D-Xylose-Tests betragen ca. 95%. Der Test eignet sich ins­
besondere zur Abgrenzung einer Malabsorption von einer Maldigestion. Störfaktoren,
die zu einem falsch-positiven Testergebnis führen können, sind Magenentleerungs­
störungen, Erbrechen, Sammelfehler, Aszites, Cholestase sowie eine eingeschränkte
Nierenfunktion.
4.4 Pankreasfunktionstests
Der klassische Test zur Bestimmung der Pankreasfunktion, der Sekretin-Pankreozymin
(Coerulein-)Duodenalsondentest wird wegen seiner Aufwendigkeit kaum mehr
durchgeführt. Als Alternative zum Sondentest stehen Stuhltests zur Verfügung, die
allerdings eine geringere Sensitivität für Pankreasfunktionsstörungen aufweisen:
­Chymotrypsin im Stuhl, sowie Pankreaselastase-1 im Stuhl. Die Pankreaselastase-1
zeichnet sich durch besondere Stabilität im Stuhl aus. Die Pankreaselastasebestim­
mung im Stuhl eignet sich mit ausreichender Sensitivität zur Bestimmung einer mit­
telgradigen bis schwergradigen Einschränkung der Pankreasfunktion, während eine
leichte Funktionseinschränkung nicht erfasst wird. Zu beachten ist, dass der Test bei
Diarrhö durch den Verdünnungseffekt falsch positiv ausfallen kann.
P Elastase-1 im Stuhl ist einfachster
Test zur Detektion einer mittel- bis
schwergradigen Pankreasinsuffizienz
4.5 H2-Atemtests
Grundlage der H2-Atemtests ist die Metabolisierung malabsorbierter Kohlenhydrate
durch die luminale Flora in Wasserstoff und kurzkettige Fettsäuren. Der Wasserstoff
wird von der Darmschleimhaut resorbiert und über die Lunge exhaliert. Als patholo­
gisch wird ein H2-Anstieg in der Ausatemluft um mehr als 20 ppm (parts per million)
über den Ausgangswert gewertet.
4.5.1 Laktose-H2-Atemtest
Der Laktose-H2-Atemtest eignet sich für die Diagnostik der Laktoseintoleranz.
Testdurchführung:
• Bestimmung von H2 in der Ausatemluft vor Laktosegabe.
• Verabreichung von 50 g Laktose in 500 ml Flüssigkeit.
• Bestimmung von H2 in der Ausatemluft alle 30 Minuten für 180 Minuten.
P Laktose-H2-Atemtest bei
Verdacht auf Laktoseintoleranz
Für die Diagnosestellung einer Laktoseintoleranz ist es jedoch notwendig, dass zu­
sätzlich zum pathologischen H2-Anstieg klinische Symptome wie Durchfall, Schmer­
zen, Krämpfe und/oder Blähungen auftreten. Der Test hat eine Sensitivität von
69–100%, sowie eine Spezifität von 89–100 %. Abbildung 1 zeigt einen pathologischen
Laktose-H2-Atemtest.
Laktose-H2-Atemtest bei Laktoseintoleranz
100
Abb. 1
ppm
Unverträglichkeit
Normal
80
60
40
20
0
0
20
40
60
80100120
Zeit (min)
10
4.5.2 Fruktose-H2-Atemtest
In ähnlicher Weise kann auch die Resorptionskapazität für Fruktose (mit 25 g Fruktose)
bestimmt werden. Die klinische Wertigkeit eines Fruktose-H2-Atemtests ist jedoch
nicht gesichert.
4.5.3 Glukose-H2-Atemtest
Die oben genannten H2-Atemtests fallen bei Patienten mit bakterieller Überbesied­
lung des Dünndarms ebenfalls (falsch)positiv aus, da die Zucker im Dünndarm durch
die bakterielle Flora metabolisiert werden. Zum Beweis der bakteriellen Überbesied­
lung des Dünndarms eignet sich der Glukose-H2-Atemtest, da Glukose im Regelfall
vollständig im Dünndarm resorbiert wird und nicht ins Kolon gelangt, sodass ein
H2-Anstieg in der Ausatemluft > 20 ppm auf eine Besiedlung des Jejunums mit min­
destens 105 Keimen/100 ml Darmsaft hinweist.
P Glukose-H2-Atemtest bei
Verdacht auf bakterielle
Überbesiedlung des Dünndarms
Testdurchführung:
• Bestimmung von H2 in der Ausatemluft vor Glukosegabe.
• Verabreichung von 80 g Glukose in 500 ml Flüssigkeit.
• Bestimmung von H2 in der Ausatemluft alle 30 Minuten für 180 Minuten.
Die Sensitivität des Glukose-H2-Atemtests für eine bakterielle Überbesiedlung beträgt
62–93%, die Spezifität 78–100%.
4.5.4 Lactulose-H2-Atemtest
Der Lactulose-H2-Atemtest eignet sich zur Bestimmung der orocoecalen Transitzeit.
Motilitätstests zur Bestimmung der Passagezeit haben jedoch bei der Abklärung der
chronischen Diarrhö keinen definierten Stellenwert.
5 Abklärungsstrategien
Zunächst ist anamnestisch und durch die Stuhlvisite eine echte Diarrhö zu sichern
und von der Pseudodiarrhö, der paradoxen Diarrhö, sowie der Inkontinenz abzugren­
zen. Anamnese (Sistieren unter Nahrungskarenz?), körperliche Untersuchung mit be­
sonderem Schwerpunkt auf Abdomen und Anorektum, sowie die Stuhlvisite sollten
Hinweise darauf geben, ob es sich um eine malabsorptive/osmotische oder eine
­sekretorische/exsudative Diarrhö handelt. Das Basislabor gibt ebenfalls wichtige diffe­
renzialdiagnostische Hinweise (z. B. mikrozytäre Anämie [Hinweis auf Eisenmangel
oder Blutverlust], Entzündungszeichen, Eiweißmangel [Hinweis auf exsudative Ente­
ropathie], Immunglobulinmangel, Elektrolytstörungen [Hinweis auf Elektrolytverlus­
te], Kreatininerhöhung [Hinweis auf Exsikkose], TSH0-Erniedrigung [Hinweis auf Hy­
perthyreose]). Bei pathologischen Werten im Basislabor sind weitere spezifische
Labortests indiziert, z. B. Ferritin bei mikrozytärer Anämie, Vitamin B12, Folsäure bei
­Makrozytose. Für die Eingangsklassifizierung der chronischen Diarrhö ist ferner die
Bestimmung der osmotischen Lücke und des Stuhl-pH hilfreich.
Gewichtsverlust und Mangelsymptome weisen auf eine malabsorptive Diarrhö, verur­
sacht durch eine starke Reduktion der funktionell aktiven resorptiven Oberfläche des
Dünndarms oder durch eine (in der Regel pankreatische) Maldigestion, hin. Zwischen
diesen beiden Formen kann durch den D-Xylose-Test und Pankreasfunktionstests
(Pankreaselastase im Stuhl) unterschieden werden. Steht der D-Xylose-Test nicht zur
Verfügung, kann bei Verdacht auf Malabsorption auch direkt eine Endoskopie mit tief­
er Duodenalbiopsie erfolgen.
P D-Xylose-Test und Pankreaselastase
im Stuhl zur Differenzierung zwischen
Malabsorption und Pankreasinsuffizienz
11
Bei Nachweis oder Verdacht auf eine malabsorptive Diarrhö infolge Minderung der
resorptiven Oberfläche des Dünndarms muss eine weitergehende Abklärung der zu­
grunde liegenden Erkrankung erfolgen. Differenzialdiagnostisch ist insbesondere die
Zöliakie (einheimische Sprue) zu berücksichtigen. Die Erkrankung kann in jedem Le­
bensalter auftreten und auch oligosymptomatisch verlaufen. Als Suchtest eignet sich
der Nachweis von Immunglobulin (Ig)-A-Antikörpern gegen Gewebetransglutamina­
se oder gegen Endomysium. Bei Patienten mit IgA-Mangel werden die IgG-Antikörper
bestimmt. Der Nachweis der histologischen Veränderungen gelingt durch tiefe Duo­
denalbiopsien. Der histologische Befund der Zöliakie wird nach Marsh in 5 Typen
­unterteilt: Normalbefund (Typ 0), Vermehrung der intraepithelialen Lymphozyten
(Typ 1), zusätzliche Kryptenhyperplasie (Typ 2), zusätzliche Zottenatrophie (Typ 3),
Zotten- und Kryptenatrophie (Typ 4). Durch die Zottenatrophie besteht initial fast im­
mer eine Laktoseintoleranz und häufig eine exokrine Pankreasinsuffizienz. Entschei­
dend sind die glutenfreie Ernährung und die Kontrolle durch erneute Dünndarmbiop­
sie bei klinischer Besserung nach etwa 3 Monaten.
P Serum-GewebetransglutaminaseAntikörper als Suchtest und Duodenalhistologie als Nachweistest bei
Verdacht auf Sprue/Zöliakie
Bei Vorliegen eines Malabsorptionssyndroms zusammen mit Fieber, Gelenkschmerzen
und evtl. weiteren Symptomen (Herz, ZNS) besteht der Verdacht auf einen Morbus
Whipple. Die Diagnose wird durch den Nachweis der typischen histologischen Ver­
änderungen in Dünndarmbiopsaten oder Biopsien aus anderen betroffenen Organen
(mit Gram-positiven Granula gefüllte Makrophagen, Schaumzellen) gesichert. Der
­Erreger ist mittels pezifischer PCR im Gewebe nachweisbar (Tropheryma whippelii).
P Der Morbus Whipple ist histologisch
und durch Erregernachweis im
Gewebe (PCR) zu sichern
Bei chronischen Diarrhöen jüngerer Personen, insbesondere bei Angehörigen von
­Risikogruppen, ist an eine HIV-Infektion mit HIV-Enteropathie oder an infektiöse chro­
nische Diarrhöen auf der Basis einer HIV-Infektion zu denken.
Andere Formen der malabsorptiven chronischen Diarrhö lassen sich bereits durch die
Anamnese (z. B. Zustand nach Radiatio, Zytostatikatherapie, Zustand nach Darmresek­
tion) diagnostizieren.
Die Pankreasinsuffizienz als Ursache einer chronischen Diarrhö führt im fortgeschritte­
nen Stadium zur Steatorrhö. Selbstverständlich erfordert der Verdacht auf Pankreas­
insuffizienz die Untersuchung des Organs mittels bildgebender Verfahren (Sonografie,
ggf. auch Endosonografie, MR einschließlich MRCP, ERCP). Ferner ist die Ursache der
Pankreaserkrankung (z. B. Alkoholismus, Mukoviszidose, andere Formen der chronischen
Pankreatitis) abzuklären.
P Bei Pankreasinsuffizienz sind
bildgebende Diagnostik und
Ursachenabklärung erforderlich
Eine wesentliche Differenzialdiagnose bei osmotischer Diarrhö, die ohne Gewichts­
verlust einhergeht, ist die Laktosemalabsorption. Ihr liegt meist ein hereditärer (lateonset) Laktasemangel zugrunde, dessen Prävalenz bei uns ca. 10% beträgt, in der
­Dritten Welt und Asien bis zu 100%. Ferner können zahlreiche Dünndarmerkran­
kungen zu einem sekundären Laktasemangel führen. Andere primäre DisaccharidaseEnzymdefekte sind im Vergleich zum Laktasemangel außerordentlich selten.
Die bakterielle Überbesiedlung, nachweisbar durch einen positiven Glukose-H2-Atem­
test, kann verschiedene Ursachen haben, z. B. Zustand nach Operation, Strikturen,
­Divertikel, Zustand nach Bestrahlung, diabetische Enteropathie, intestinale Pseudo­
obstruktion. Neben einer exakten Anamnese erfordert die Abklärung eine weitere
morphologische und ggf. funktionelle Dünndarmdiagnostik.
Endokrine Störungen als Ursache einer chronischen Diarrhö, wie z. B. die Hyperthyre­
ose oder die Nebenniereninsuffizienz, werden durch die typische Laborkonstellation
gesichert. Bei Verdacht auf ein hormonaktives neuroendokrines Karzinom kann die
Bestimmung von Chromogranin A als Globalmarker erfolgen, sowie die Bestimmung
der entsprechenden Peptidhormone. Ergänzend dazu erfolgt eine morphologische
Diagnostik, evtl. ergänzt durch eine Somatostatinrezeptor-Szintigrafie.
P Chromogranin A ist Globalmarker
für neuroendokrine Tumoren
Bei Verdacht auf eine exsudative chronische Diarrhö sind in erster Linie chronische
Infektionen, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, sowie die mikroskopische
Colitis in das differenzialdiagnostische Spektrum einzubeziehen. Zur Abklärung sind
12
mikrobiologische Stuhluntersuchungen und eine morphologische Darmdiagnostik
indiziert. Als erste bildgebende Untersuchung wird die Darmsonografie empfohlen.
Beim sonografischen Nachweis einer Darmwandverdickung, eventuell ergänzt durch
die Farbduplexsonografie wird die Verdachtsdiagnose einer Darmentzündung er­
härtet (Abb. 2).
Abb. 2
Darmsonografie mit Power-Doppler bei Colitis ulcerosa (Colon descendens)
Bei negativen Stuhlkulturen ist (natürlich auch bei unauffälligem Sonografiebefund)
eine Ileokoloskopie indiziert. Diese erlaubt aufgrund des endoskopischen Befundes,
ergänzt durch die Entnahme von Biopsien aus dem terminalen Ileum sowie den ver­
schiedenen Kolonsegmenten, die Diagnose einer Reihe von entzündlichen Erkran­
kungen, die zur chronischen Diarrhö führen können, wie z. B. Morbus Crohn (Abb. 3),
Colitis ulcerosa, NSAR-Colitis, eosinophile Enterocolitis, aber auch die prognostisch
wichtige Detektion von Adenomen und Karzinomen.
Abb. 3
Terminales Ileum bei Morbus Crohn
13
Da die mikroskopische (kollagene, lymphozytäre) Colitis an Häufigkeit zunimmt, sind
auch bei makroskopisch unauffälliger Schleimhaut Biopsien aus den verschiedenen
Kolonsegmenten zu entnehmen. In Abhängigkeit von der vorherrschenden Ver­
dachtsdiagnose wird die Ileokoloskopie durch die radiologische, kernspintomo­
grafische oder endoskopische Untersuchung des Dünndarms ergänzt.
P Wichtige Untersuchungsmethoden
bei Verdacht auf chronisch entzündliche
Diarrhö sind Stuhlmikrobiologie,
Darmsonografie, Ileokoloskopie
plus Histologie
Bei unauffälliger Ileokoloskopie einschließlich Histologie ist an eine chologene Diar­
rhö zu denken. Es werden 3 Typen der chologenen Diarrhö unterschieden: 1) Gallen­
säureverlust aufgrund einer Erkrankung bzw. Resektion oder Bypass des distalen
­Ileums, 2) primäre Gallensäurenmalabsorption aufgrund eines Transportdefekts im
terminalen Ileum, 3) Gallensäurenverlust nach oberer gastrointestinaler Chirurgie, z. B.
nach trunkulärer Vagotomie oder Cholezystektomie. Bei Verdacht auf chologene
­Diarrhö kann die ileale Reabsorption von Gallensäuren durch den 75Se-HCAT-Test
­bestimmt werden. In der Praxis wird der Test nur selten durchgeführt. Häufiger wird
probatorisch ein Therapieversuch mit Cholestyramin unternommen.
P Bei Verdacht auf chologene Diarrhö
probatorischer Therapieversuch
mit Cholestyramin
Bei fehlenden morphologischen Veränderungen wird auch häufig eine Nahrungsmit­
telallergie vermutet. Die exakte Diagnostik erfordert eine detaillierte Nahrungsmit­
telanamnese. Hauttests sowie RASTs zeigen eine beschränkte Sensitivität und Spezifi­
tät und reichen in der Regel nicht aus, um eine echte Nahrungsmittelallergie zu
sichern. Hierfür bedarf es einer Eliminations- oder Suchdiät. Der fundierteste Nach­
weis ist die doppelblinde Nahrungsmittelprovokation.
P Bei Verdacht auf Nahrungsmittelallergie detaillierte Anamnese,
RASTs, Eliminations- und Suchdiät,
ggf. doppelblinde Nahrungs­
mittelprovokation
Abbildung 4 zeigt die Grundstruktur eines diagnostischen Algorithmus. Damit lassen
sich die meisten, aber nicht alle Fälle einer chronischen Diarrhö klären. Falls in unge­
klärten Fällen starke Hinweise auf eine organische Ursache bestehen, sind weitere Un­
tersuchungen indiziert, z. B. eine weitergehende Tumordiagnostik zum Ausschluss
eines paraneoplastischen Syndroms. In der Mehrzahl der ungeklärten Fälle ist jedoch
nochmals kritisch die Medikamentenanamnese aufzugreifen oder die Frage nach
einem Reizdarm zu stellen.
Abb. 4
Algorithmus zur Abklärung der chronischen Diarrhö
Anamnese
Körperliche Untersuchung (einschl. rektal-digital)
Stuhlvisite
Basislabor (BB, CRP, ggf. BSG, Gesamt-EW, Elektrophorese, Na , K, Ca, Cl, Crea, TSH0)
ggf. Fastentest
osmotische Lücke, Stuhl-pH
V.a. sekretorische/
exsudative Diarrhö
V.a. malabsorptive/osmotische Diarrhö
Reihenfolge abhängig von Verdachtsdiagnose
(
D-Xylose-Test
)
*
pathol.
Stuhl­
elastase
pathol.
H2-Atemtest
Laktose
Glukose
pathol.
pathol.
ÖGD
spezif.
Diagnose
keine
Diagnose
weitere
Diagnostik
* kann ggf. entfallen
weitere
Pankreas­
diagnostik
und
Therapie
Laktose­
weitere
arme
Diagnostik
Kost
Stuhlmikrobiologie
normal
Ileokoloskopie
+ Biopsie
ggf. Dünndarm­
diagnostik
pathol.
pathol.
spezif.
Therapie
normal
spezif.
weitere
Therapie Diagnostik
14
Zu empfehlende Literatur
Literatur
1 American Gastroenterological Association (AGA).
American Gastroenterological Association medical position statement:
Guidelines for the evaluation and management of chronic diarrhea.
Gastroenterology 1999; 116: 1461–1463.
2 American Gastroenterological Association (AGA).
AGA technical review on the evaluation and management of chronic diarrhea.
Gastroenterology 1999; 116: 1464–1486.
3 Camilleri M.
Chronic diarrhea: a review on pathophysiology and management for the clinical
gastroenterologist.
Clin Gastroenterol Hepatol 2004; 2: 198–206.
4 Layer P, Rosien U (Hrsg), Berg T, Brambs HJ, Ell C, Fischbach W, Gebel MJ, Groß V,
Stolte M, Zirngibl H (Mithrsg).
Praktische Gastroenterologie.
Urban & Fischer Verlag, München, Jena. 3. Auflage 2008.
5 Lankisch PG, Mahlke R, Lübbers H, Lembcke B, Rösch W.
Leitsymptom Diarrhoe.
Dtsch Arztebl 2006; 103: A-261/B-226/C-221.
6 Nielsen OH, Vainer B, Schaffalitzky de Muckadell OB.
Microscopic colitis: a missed diagnosis?
Lancet 2004; 364: 2055–2057.
7 Schiller LR.
Chronic diarrhea.
Gastroenterology 2004; 127: 287–293.
8 Stein J, Wehrmann T (Hrsg).
Funktionsdiagnostik in der Gastroenterologie.
Springer Verlag, Heidelberg. 2. Auflage 2006.
15
Fragen zur Differenzialdiagnostik
der chronischen Diarrhö
Falk
Gastro-Kolleg
Darm
Frage 1:
Ab welcher Mindestdauer spricht man von einer chronischen
Diarrhö?
w1–2 Wochen
w2–4 Wochen
w1–2 Monaten
w2–3 Monaten
w3–6 Monaten
Frage 2:
Welche Form der Diarrhö findet sich beim Reizdarm?
Bitte beachten Sie:
Bei der Beantwortung der Fragen
ist immer nur 1 Antwort möglich.
wEchte Diarrhö
wPseudodiarrhö
wInkontinenz
wParadoxe Diarrhö
wSekretorische Diarrhö
Die Beantwortung der Fragen und
Erlangung des Fortbildungszertifikats
ist nur online möglich.
Bitte gehen Sie dazu auf unsere Homepage
www.falkfoundation.de.
Unter dem Menüpunkt Falk Gastro-Kolleg
können Sie sich anmelden und die Fragen
beantworten.
Bitte diesen Fragebogen nicht
per Post oder Fax schicken!
Frage 3:
Welche Flüssigkeitsmengen gelangen beim Gesunden pro Tag
in den Dünndarm/Dickdarm/in den Stuhl?
w9 l / 4,5 l / 0,5 l
w9 l / 2,5 l / 0,5 l
w9 l / 1 l / 0,1 l
w5 l / 1 l / 0,1 l
w5 l / 0,5 l / 0,1 l
Frage 4:
Welche Erkrankung würden Sie ausschließen, wenn ein Patient
gehäufte Stuhlentleerungen mit Blutbeimengungen angibt?
wCMV-Colitis
wColitis ulcerosa
wLaktoseintoleranz
wMorbus Crohn
wRektumkarzinom
Frage 5:
Bei welcher Erkrankung liegt eine vorwiegend malabsorptive
Diarrhö vor?
wColitis ulcerosa
wMikroskopische Colitis
wNahrungsmittelallergie
wNSAR-Enterocolitis
wZöliakie
Wichtig:
Fragebeantwortung unter
www.falkfoundation.de
Falk Gastro-Kolleg
16
Frage 6:
Bei welcher Erkrankung liegt eine vorwiegend sekretorische
Diarrhö vor?
wChologene Diarrhö
wHIV-Enteropathie
wLaktoseintoleranz
wMorbus Whipple
wZöliakie
Falk
Gastro-Kolleg
Darm
Frage 7:
Welche Aussage zur osmotischen Lücke ist richtig?
wDie osmotische Lücke ist die Differenz zwischen Stuhlosmolalität und Plasma­
osmolalität
wFür die Errechnung der osmotischen Lücke müssen Natrium und Chlorid im
Stuhlwasser bestimmt werden
wFür die Errechnung der osmotischen Lücke müssen Kalium und Chlorid im
Stuhlwasser bestimmt werden
wDie osmotische Lücke ist bei osmotischer Diarrhö erhöht
wDie osmotische Lücke ist bei sekretorischer Diarrhö erhöht
Frage 8:
Welcher Test eignet sich zum Nachweis einer bakteriellen
Überbesiedlung des Dünndarms?
wFruktose-H2-Atemtest
wGlukose-H2-Atemtest
wLaktose-H2-Atemtest
wLactulose-H2-Atemtest
wStuhl-pH
Frage 9:
Bei welcher Erkrankung erwarten Sie einen pathologischen
D-Xylose-Test?
wKarzinoid
wKurzdarmsyndrom
wLaktasemangel
wMikroskopische Colitis
wPankreasinsuffizienz
Frage 10:
Welche der genannten endokrinen Erkrankungen kann eine
chronische Diarrhö verursachen?
wDiabetes mellitus
wHyperthyreose
wMorbus Addison
wVIPom
wAlle vorher genannten
17