Das Wesen der Farbe

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Das Wesen der Farbe
Ludwig-Maximilians-Universität München
Institut für Kunstgeschichte
Seminar: Vincent van Gogh und die
Tradition des 20. Jahrhunderts bis hin zu
Gerhard Richter und Joseph Beuys
Dozenten: Prof. Dr. Martin Faessler, Prof.
Dr. Rainer Crone
SoSe 2007
Das Wesen der
Farbe
Valentina Nikolova
HF: Nordische Philologie
NF: Kunstgeschichte, Slavische Philologie
e-mail: [email protected]
Tel.: 01797365130
Inhalt
I. Newton vs. Goethe, oder: physikalisches vs. psychophysiologisches Wesen der Farbe.....S. 1
1. Sir Isaac Newton (1643 -1727)...............................................................................S. 1
2. Johann Wolfgang Goethe (1749-1832)...................................................................S. 2
II. Das physikalische Wesen der Farbe...................................................................................S. 3
1. Die Natur des Lichtes: Welle-Teilchen-Dualismus................................................S. 3
2. Entstehung der Farben............................................................................................S. 4
3. Optische Eigenschaften der Eitempera und der Ölfarben mit Firnis......................S. 4
3.1. Die Rolle des Firnisses.............................................................................S. 5
4. Erzeugung von Farben in der Kunst durch Subtraktion oder Addition..................S. 5
4.1. Subtraktive Farbmischung........................................................................S. 5
4.2. Additive Farbmischung............................................................................S. 6
4.2.1. Optische Farbmischung.............................................................S. 6
III. Farbwahrnehmung............................................................................................................S. 6
1. Evolutionäre Entwicklung des Sehvermögens........................................................S. 7
2. Theorien des Farbensehens.....................................................................................S. 7
2.1. Die Drei-Farben-Theorie von Young/Helmholz......................................S. 7
2.2. Die Gegenfarbentheorie von Hering........................................................S. 7
2.3. Die moderne Farbtheorie..........................................................................S. 7
3. Psychophysiologie und Kunst...................................................................................S. 8
Literaturverzeichnis
Abbildungen
Gegenstand dieser Arbeit ist die Untersuchung des Wesens der Farbe. Im Laufe der Vorbereitung
dieses Themas haben sich zwei Hauptaspekte herauskristallisiert, nämlich die physikalische und
die psychophysiologische Perspektiven, sowie deren Zusammenhang mit dem Kunstwerk.
I. Newton vs. Goethe, oder: physikalisches vs. psychophysiologisches Wesen der Farbe
Sowohl Newton als auch Goethe waren an der Natur der Farbe interessiert und haben sich damit
auseinandergesetzt. Sie haben zwei verschiedene Aspekte des Wesens der Farbe untersucht.
1. Sir Isaac Newton (1643 -1727)
Newton stellte eine optische Theorie des Lichtes auf, die er 1704 in seinem Werk „Opticks: or A
Treatise of the Reflections, Refractions, Inflections and Colours of Light“ veröffentlichte und
veränderte die damaligen Vorstellungen über die Entstehung der Farben. Es beinhaltet folgende
drei Newtonschen Versuche, die zur Grundlage für das physikalische Verständnis farbigen Lichts
geworden sind:
I.
Zerlegung weißen Lichts in seine Spektralfarben
II.
Unzerlegbarkeit monochromanischen1 Lichtes
III.
Rekombination farbigen Lichts zu Weiß. Dieser Versuch war laut Newton das Beweis
dafür, dass Spektralfarben die eigentlichen Bestandteile des Sonnenlichts sind.
Newton zog einige sehr wichtige Schlüsse aus seinen Experimenten:
Erstens schloss er, Farben entstehen durch unterschiedliche Ablenkung der Bestandteile des Lichts,
die er Korpuskeln nannte, und die unterschiedliche Farbe, Geschwindigkeit und Größe hatten.
Diese Partikeltheorie konnte sich nicht sofort gegen die Wellentheorie von Christian Huygens
durchsetzen.
Zweitens, widerlegte Newton die antike Vorstellung, Farben ergäben sich aus einer Mischung von
Weiß und Schwarz.
Drittens, setzte sich Newton von den bisherigen linearen Farbdarstellungen ab und ordnete die
Farben in einem Kreis, da das rote und violette Ende des Spektrums zusammenpassten. Der
Newtonsche Farbenkreis2 bestand aus sieben Farben in der Folge Rot (p) — Orange (q) — Gelb (r)
— Grün (s) — Cyanblau (t) — Ultramarinblau (v) — Violettblau (x). Schwarz und Weiß fanden
sich dabei nicht mehr, die Kreismitte ist aber eindeutig dem Weißen zugeordnet. Gegen diese
Konzeption wehrte sich Goethe heftig. Weiterhin erkannte Newton als Erster das Prinzip der
Komplementärfarben, die sich im Farbenkreis gegenüberliegen und bei einer Mischung einen
grauen Farbton ergeben. Die Farbenordnung von Newton wurde zum Modell für viele malerische
1
2
Licht gleicher Wellenlänge, einfarbiges Licht
Siehe Abb. 1
Farbsysteme im 18. und 19. Jh. Seine Studie schloss jede sinnliche und seelische Qualität des
Farbbegriffs aus.3
2. Johann Wolfgang Goethe (1749-1832)
Über einen Zeitraum von mehr als 40 Jahren betrieb Goethe Farbenstudien und schuf eine
Farbenlehre, die er für wichtiger hielt als seine gesamten poetischen Werke. „Zur Farbenlehre“,
sein Buch zu diesem Thema, das er zwischen 1808 und 1810 publizierte, besteht aus vier Teilen.
Im ersten Teil befasst er sich mit der physiologischen Wahrnehmung und mit den psychologischen
und ästhetischen Aspekten der Farben. Der zweite Teil ist „Enthüllung der Theorie Newtons“
genannt. Hier bekämpft Goethe die physikalischen Einsichten von Newton, hat aber keine
wissenschaftliche Anerkennung bekommen. Im Dritten Teil schildert Goethe die Geschichte der
Farbenlehre seit der Antike. Der letzte, unvollendet gebliebene Teil, enthält farbige Illustrationen
Goethes.4
Goethe behauptete, Farben entstehen durch eine Mischung von Helligkeit und Finsternis, was auf
einen Rückgriff auf antike Farbvorstellungen hinweist.5
Er nannte die Farben Halbschatten, da sie dunkler als Weiß und heller als Schwarz sind. Eine
Farbmischung kann laut Goethe nie Weiß ergeben, was seine Kritik an Newton war. Das
Übergeordnete war für Goethe nicht wie in der Physik das weiße Licht, sondern das Helldunkel.
Goethe organisierte die Farben erstens linear. Die beiden Pole waren Schwarz und Weiß, und
dazwischen lagen Blau und Gelb, die für ihn die ursprünglichen Farben waren. Noch unterscheidet
er zwischen negative und positive Farben. Violett, Blau und Grün seien negativ wegen ihres
schattenhaften Charakters, während Gelb, Orange und Rot nahe der Helligkeit stehen und als
positive Farben klassifiziert wurden. Später ordnete Goethe die Farben im Kreis,6 wobei die
komplementären Farben sich gegenüber stehen und die Farbenpaare Rot-Grün, Blau-Orange,
Violett-Gelb bilden.7
Jeder Farbe dieses Kreises wird einer menschlichen Eigenschaft zugeordnet.z.B. steht Rot für
schön, gelb für gut, blau für gemein. Außerdem werden die Farben den Bereichen des
menschlichen Geistes- und Seelenlebens zugeordnet, z.B. Gelb/Grün dem Verstand, Blaurot/Rot
der Phantasie.8
Goethe war einer der ersten, die die Phänomene aus den physiologischen und psychologischen
Perspektiven zu erklären versuchten. Er behauptete, Farben entstehen jederzeit und augenblicklich
3
Vgl. Welsch, Norbert und Claus Chr. Liebmann: Farben. Natur, Technik, Kunst, Tübingen 2004, S. 295-297
Vgl. ebd., S. 125
5
Vgl. ebd., S. 126
6
Siehe Abb. 2
7
Vgl. Schmidt, Heinrich: Zur Farbenlehre Goethes, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, Bd. 1, H. 2, 1932, S. 115-116
8
Vgl. Schulze, Sabine (Hg.) Goethe und die Kunst, Stuttgart 1994, S. 141
4
aus den polaren Gegensätzen von Weiß und Schwarz, von Gelb und Blau. Doch eine ähnliche
Entwicklung vollzog sich in Wirklichkeit über viele Jahrmillionen. Unser Farbenreichtum hat sich
aus einem einfachsten Hell-Dunkel-Empfinden und einem späteren Zweifarbensehen gebildet.9
Goethe studierte die Komplementärfarben und erkannte, dass deren besonderen Wirkung von der
Funktionsweise unseres Sehsystems abhängt. Er stellte fest, dass der Farbeindruck, den unser
Gehirn produziert, von der persönlichen Wahrnehmung abhängt, nämlich von dem menschlichen
Sehsystem und von der Weise, auf dem das Gehirn die Information bearbeitet. Goethe konstatierte,
dass das, was wir sehen, eine Funktion des Objekts, des Lichts und der persönlichen Wahrnehmung
ist.10
II. Das physikalische Wesen der Farbe
Physikalisch wird mit Farbe ein bestimmter Wellenlängebereich im elektromagnetischen Spektrum
des sichtbaren Lichtes benannt, eine optische Erscheinung, die mit der Besonderheit des
Tageslichts, einer Mischung der Spektralfarben, zusammenhängt.11
1. Die Natur des Lichtes: Welle-Teilchen-Dualismus
Das Licht verhält sich gleichzeitig als Welle und als Teilchen. Bei der Ausbreitung wirkt es wie
eine Wasserwelle, es wird um Hindernisse herumgebeugt und zeigt sogenannte Interferenzmuster.
Die Lichtteilchen, die Photonen, sind elektrisch neutral, punktförmig, und unterscheiden sich durch
ihre Energie, Ausbreitungsrichtung und Polarisation. Sie sind für den photoelektrischen Effekt
verantwortlich, der z.B. bei Solarzellen benutzt wird.
Die Farben unterscheiden sich voneinander durch die Impulse der Photonen oder durch die
Frequenz der elektromagnetischen Wellen. Das sichtbare Licht12 ist der Teil der
elektromagnetischen Strahlung, der eine Wellenlänge zwischen 380 und 780 Nanometer hat.13
2. Entstehung der Farben
Wir sehen nur Dinge, wenn das Licht, dass sie entweder selbst aussenden14, oder von einer
Lichtquelle reflektieren, ins Auge fällt. Was bedeutet es nun, wenn z.B. ein Blumentopf die Farbe
Rot hat? Physikalisch gesehen hat der Blumentopf überhaupt keine Farbe. In einem dunklen Raum
9
Vgl. Sölch, Reinhold: Biologisch-evolutionäre Farbentheorien: Neues Verständnis für Goethes "Farbenlehre", in:
Goethe-Jahrbuch, Bd. 114, 1997, S. 279-280
10
Vgl. Douma, Michael (2006): Goethe’s Color Theory, in: Vision & Art from WebExhibits, Institute for Dynamic
Educational Advancement, Washington, DC, http://webexhibits.org/colorart/ch.html (04.08.2007)
Vgl. Welsch, Norbert: Farben. Natur, Technik, Kunst; eine interaktive multimediale Darstellung rund um das Thema
Farben, München 2005
12
Siehe Abb. 3
13
Vgl. Welsch 2004, S. 277-278
14
Emission: Aussenden von Licht
11
ist er genauso schwarz wie die Umgebung. Wir sehen ihn rot, wenn er von einer Lichtquelle
beleuchtet wird. Der Blumentopf hat ein gewisses Vermögen, das weiße Licht, das alle Farben in
sich enthält, zu verändern, und zwar reflektiert er alle roten Anteile des Lichts und absorbiert die
übrigen. Wenn das von dem Blumentopf reflektierte Licht das Auge trifft, entsteht das rote
Farbempfinden.
Farbe ist also ein Sinneseindruck, der durch die Verarbeitung sichtbarer elektromagnetischer
Strahlung (Licht) von unterschiedlicher spektraler Beschaffenheit im Gehirn zustande kommt.
Einzelfarben entstehen durch ein Zusammenspiel von Licht und Materie. Dabei finden die
Prozesse Absorption, nämlich das Verschlucken von Strahlung durch einen Stoff, wobei die
Strahlungsenergie in Wärme umgewandelt wird15, und Reflexion, die Zurückstrahlung von
elektromagnetischen Wellen, statt.
3. Optische Eigenschaften der Eitempera und der Ölfarben mit Firnis
Vor dem Jahre 1400 machten die Künstler ihre Farben aus Pigmenten, Eiern und Wasser. Solche
Kunstwerke haben ein charakteristisches Erscheinungsbild, sie sehen „flach“ aus.16 Um 1400
fingen nordeuropäische Künstler an, ihre Farben auf eine neue Art herzustellen, nämlich aus
Pigmenten und pflanzlichem Öl, was die Leuchtkraft der Farben, den Kontrast und die Tiefe der
Gemälde verbesserte17 und eine der Voraussetzungen für die Hochrenaissance in Italien war.18
Die Eitempera- und Ölgemälde haben verschiedene optische Eigenschaften. Das getrocknete Ei ist
uneben und macht das Gemäldeoberfläche matt, während das getrocknete Öl glatt ist und somit
auch die Oberfläche glatt bleibt. Das Licht, das auf die unebene Oberfläche eines
Eitemperagemäldes fällt, wird gebrochen, in alle Richtungen gestreut und nur ein Anteil der
reflektierten elektromagnetischen Wellen trifft das Auge des Betrachters. Die glatte Öloberfläche
hingegen streut das Licht in eine Richtung. Bei dieser Reflektion gelangt das Licht konzentrierter
ins Auge des Zuschauers und das Ölgemälde gewinnt zusätzliche Leuchtkraft.
3.1. Die Rolle des Firnisses
Firnis, der glatte und transparente Gemäldeüberzug mit schützender und dekorativer Funktion, ist
typisch für die Ölmalerei und gibt es nicht in der Eitemperamalerei. Der Firnis hat den Effekt, dass
er die Farblichkeit und die Tiefe des Kunstwerks hervorhebt. Ohne Firnis trifft das Licht die
Oberfläche, dringt in die Farbschicht ein, wo die Wechselwirkung zwischen Pigmente und Licht
stattfindet, und wird dann ins Auge des Betrachters reflektiert. Das ist ein direkter, hinein-und15
Vgl. Welsch 2004, S. 369
Siehe Abb. 4
17
Siehe Abb. 5
18
Vgl. Douma, Michael (2006): From Egg Tempera to Oil, in: Color Vision & Art from WebExhibits, Institute for
Dynamic Educational Advancement, Washington, DC, http://webexhibits.org/colorart/to1.htm (04.08.2007)
16
heraus-Prozess. Der Firnis hält dieses Verfahren auf, indem er den Lichtstrahl zur Farbschicht für
eine zweite Wechselwirkung mit den Pigmenten zurückschickt, bevor das Licht ins Auge tritt.19
Viele Reflektionen dieser Art steigern die Farbintensität der Pigmente und tragen zur Leuchtkraft
der Ölgemälde bei.20
Theoretisch könnte bei Ölgemälden mit Firnis auch Interferenz stattfinden, falls die Farbschicht
durchsichtige Areale hätte, und falls sowohl die Firnisschicht als auch die Farbschicht dünn genug
wären. Interferenz ist eine Überlagerung von Wellen, wessen Ergebnis eine Verstärkung oder
Auslöschung mancher Farben ist. Interferenzfarben sind die meisten Schrillerfarben, die z.B. auf
Schmetterlingsflügeln oder Seifenblasen zu beobachten sind. Interferenz tritt an dünnen,
transparenten Schichten auf, wenn reflektierte Lichtanteile miteinander wechselwirken. Fällt Licht
auf einen solchen Film, werden manche Lichtstrahlen an der Oberfläche reflektiert, andere erst an
der Unterseite, und manche Lichtstrahlen durchdringen den Film vollstädig. Reflektierte
Lichtanteile überlagern sich. Abhängig von der Schichtdicke, vom Einfallswinkel und von der
Wellenlänge, kann konstruktive oder destruktive Interferenz stattfinden. Bei der konstruktiven
Interferenz treffen sich zwei Wellenberge zur gleichen Zeit am gleichen Ort und es kommt zu einer
Verstärkung mancher Farben. Die destruktive Interferenz führt zur Auslöschung mancher Farben
und zwar wenn zwei Wellen um eine halbe Wellenlänge versetzt ankommen.21
4. Erzeugung von Farben in der Kunst durch Subtraktion oder Addition
4.1. Subtraktive Farbmischung
Die subtraktive Farbmischung erfolgt bei der Mixtur von Malfarben, z. B. kann man die Malfarbe
Grün erzeugen, indem man blaue und gelbe Malfarbe mischt.22 Dabei tritt eine Absorption
mehrerer Farbbereiche des Lichts durch die Pigmente ein, die in den Malfarben enthalten sind, man
nimmt quasi einzelne Farbanteile vom weißen Licht, das in sich alle Farben enthält, wie Newton
bewiesen hat. Das ist die meist verbreitete Farbmischung in der Kunst.
4.2. Additive Farbmischung
Dennoch gibt es manche Kunstwerke, die sich der additiven Farbmischung bedienen, nämlich der
Überlagerung verschieden gefärbter Lichtstrahlen.23 Es gibt einen wesentlichen Unterschied
zwischen Farbenerzeugung durch Addition und durch Subtraktion. Jedes Mal, wenn wir einem
Lichtpunkt einen anderen überlagern, vermehren wir die von der Leinwand reflektierte
19
Siehe Abb. 6
Vgl. Douma, Michael (2006): Optical Properties of the Paint Surface, in: Color Vision & Art from WebExhibits,
Institute for Dynamic Educational Advancement, Washington, DC, http://webexhibits.org/colorart/to4.html
(04.08.2007)
21
Vgl. Welsch 2004, S. 389
22
Siehe Abb. 7
23
Siehe Abb. 8
20
Lichtmenge. Jedes Mal jedoch, wenn wir etwas Malfarbe in eine Farbmischung geben, verringern
wir die reflektierte Lichtmenge.24
Als Beispiel für die additive Farbmischung könnten die Kunstwerke von Dan Flavin mit
Leuchtstoffröhren dienen, der mit dem Farblicht und dessen Auswirkung auf den Raum spielt.25
4.2.1. Optische Farbmischung
Eine andere Art additiver Mischung stellt die optische Farbmischung dar. Dabei bilden sich die
Farben gleichermaßen im Auge, wenn es kleine Punkte mit verschiedenen Farben aus einem
gewissen Abstand sieht. Die Ausgangsfarben addieren sich wie überlagerte Lichtfelder zu neuen
Farben. In der Malerei ist diese Technik als Pointillismus bekannt. Maler wie George Seurat26 und
Paul Signac nutzten diese optische Farbmischungseffekte, um Lichteffekte des natürlichen Lichts
zu erzeugen.27
III. Farbwahrnehmung
Im menschlichen Leben spielt die Farbe als Informationsträger eine überragende Rolle.
Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 40% aller von uns gewonnenen Informationen über
Farben verfügbar werden. Psychophysiologisch wird Farbe als Sinneswahrnehmung definiert, die
dann entsteht, wenn Licht von bestimmten Sehzellen in der Netzhaut aufgenommen wird. Die
Farbinformation wird über den Sehnerv an das Gehirn übermittelt. Hier entsteht die eigentliche
Frabenempfindung. Farben sind keine realen, physikalischen Erscheinungen, sondern eine von
unserem Gehirn vermittelte Sinnesqualität.28
1. Evolutionäre Entwicklung des Sehvermögens
Das Farbensehen und sogar das Auge wurde in der Evolution viele Male unabhängig erfunden.
Augen sind bei verschiedenen Tiergruppen zwischen 40 und 60 Mal entstanden. Im Übrigen sind
die Linsenaugen von hochentwickelten Tintenfischen und von Wirbeltieren ein Beispiel für
konvergente Evolution. Beide Tiergruppen, die nicht eng verwandt sind, haben die gleiche
Konstruktion unabhängig voneinander entwickelt. Deren gemeinsamer Vorfahr hat sicherlich noch
nicht über Linsenaugen verfügt.29 Die Fähigkeit des Farbensehens hat sich aus dem HellDunkelwahrnehmung entwickelt. Es ist in der Evolution mehrfach entstanden und zum Teil wieder
24
Vgl. Goldstein, Bruce: Wahrnhemungspsychologie, Heidelberg u. a. 1997, S. 162 ff.
Siehe Abb. 9
26
Siehe Abb. 10
27
Vgl. ebd.
28
Vgl. Welsch 2004, S. 1-2
29
Vgl. ebd., S. 265-266
25
verlorengegangen.30 Das menschliche Auge ist ein Hochleistungsapparat, der von ganz wenigen
Tierarten übertroffen ist. Dennoch weisen Greifvögel bessere Sehschärfe auf, Gliederfüßler sind
den Menschen in die Farbsichtigkeit überlegen und das Nachttierauge ist lichtempfindlicher als das
menschliche.31
2. Theorien des Farbensehens
2.1. Die Drei-Farben-Theorie von Young/Helmholtz
Diese Theorie erklärt die grundsätzliche Funktion unseres Sehsystems auf der Basis der drei
Grundfarben Rot, Grün und Blau. Im Jahre 1967 konnte der amerikanische Biochemiker George
Wald den endgültigen Nachweis für die unterschiedlichen drei Zapfentypen führen.32
Die Drei-Farben-Theorie lässt aber nicht erklären, wieso der Mensch vier bunte Urfarben
unterscheidet, die in den primären Farbbegriffen vieler Sprachen identisch vorkommen, nämlich
die Grundfarben der Drei-Farben-Theorie Rot, Grün und Blau plus Gelb, das nicht als Mischfarbe
empfunden wird.
2.2. Die Gegenfarbentheorie von Hering
Ewald Hering erläutert dieses Phänomen in seiner Gegenfarbentheorie, die besagt, dass das
menschliches Farbensehen auf vier verschiedenen Grundfarben beruht, die sich auf zwei
Gegensatzpaare Rot-Grün und Blau-Gelb anordnen lassen. Laut Hering finden erregende und
hemmende Vorgänge bei der Wahrnehmung statt.33
2.3. Die moderne Farbtheorie
Die moderne Farbtheorie besagt, dass die Farbenwahrnehmung auf der retinalen Ebene
entsprechend der Drei-Farben-Theorie erfolgt, und die Gegenfarbentheorie für die neuronale
Verarbeitung und Weiterleitung der Farbsignale gilt.34
Die Netzhaut enthält zwei Typen von Sehzellen: Stäbchen und Zapfen. Die Stäbchen unterscheiden
nur Helligkeitswerte und dienen der Nachtsicht, dem skotopischen Sehen, wenn die Beleuchtung
schwach ist. Bei hellerem Licht werden die Stäbchen übersättigt, und so erzeugen die Zapfen ein
vollfarbiges Bild: das photopische Sehen findet statt. Es gibt drei unterschiedliche Zapfentypen, die
jeweils für Rot, für Grün und für Blau am empfindlichsten sind.35 Die Spektren der Zapfentypen
überlappen sich und die Verhältnisse der Aktivitäten der verschiedenen Zapfentypen bestimmen,
welche Farbe wir wahrnehmen.
30
Vgl. ebd., S. 267
Vgl. ebd., S. 265
32
Vgl. ebd, S. 227
33
Vgl. Welsch 2004, S. 228
34
Vgl. ebd., S. 227
35
Vgl. ebd., S. 409
31
Die drei Zapfentypen wandeln Licht in Nervenimpulse um, die in den Ganglienzellen der Retina in
Gegenfarben transformiert werden. Diese Erregungsmuster werden dann im Gehirn als Farben
interpretiert.36
Weiß-Schwarz, Gelb-Blau und Rot-Grün bilden die drei Empfindungspaare des menschlichen
Farbensinnes, durch die alle Farben, die wir wahrnehmen, im Gehirn konstruiert werden. Unsere
heutigen Gelb- und Blauempfindungen wurden aus dem urtümlichen Zweifarbensehen abgeleitet
und die Rot- und Grünempfindungen entsprechen dem wesentlich jüngeren Farbenpaar, das
unseren Vorfahren ein leichteres Unterscheiden reifer und unreifer Früchte ermöglichte.37
3. Psychophysiologie und Kunst
In der Tat sieht ein Gemälde anders aus, je nachdem, ob es von künstlichem oder von natürlichem
Licht beleuchtet wird.38 Die Farbkonstanz, nämlich das Phänomen, dass die Perzeption eines
Farbtons gleich bleibt auch wenn sich die Beleuchtung ändert, ist optimal, wenn ein Objekt von
vielen verschiedenen Farben umgeben ist. In den Studien zum Thema verwendete man die
sogenannten Mondrian-Vorlagen39, die sehr ähnlich der Bilder des niederländischen Malers Piet
Mondrian sind40.
Die Gegenfarbenzellen sind verantwortlich für verschiedene Wahrnehmungsphänomene.41
Beobachtungen der sogenannten doppelten Gegenfarbenzellen bei Affen beschrieben stärkste
Reaktionen der Zellen bei rotem Lichtpunkt vor grünem Hintergrund, wessen funktionaler Grund
die Erkennung roter Früchte vor Blätterhintergrund hat. Die doppelte Gegenfarbenzelle trägt dazu
bei, dass der Sinneseindruck von einem kontrastverstärkten und leicht zu entschlüsselnden Bild
entsteht.42
Diese Kombination der Komplementärfarben Rot und Grün, die sich gegenseitig steigern und die
Aufmerksamkeit auf sich fixieren, ist von vielen Künstlern zum Ausdrucksmittel geworden. Auch
in Vincent Van Goghs Bild „Nachtcafé“ vom 188843 wirken diese Gegenfarben als Blickfang.
36
Hansen, Thorsten, Dr.: Vorlesung Wahrnehmung und Sinnesphysiologie, SS 2005, in: Abteilung Allgemeine
Psychologie an der Justus-Liebig-Universität Giessen, http://www.allpsych.uni-
giessen.de/hansen/teaching/VorlesungWahrnehmungUndSinnesphysiologieSS2005/Wahr-05farbe-2.pdf (04.08.2007)
37
Vgl. Sölch 1997, S. 279-280
Vgl. Goldstein 1997, S. 149
39
Vgl. Goldstein 1997, S. 151
40
Siehe Abb. 11
41
Vgl. ebd., S. 143
42
Vgl. ebd., S. 139
43
Siehe Abb. 12
38
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Kunstperzeption durch physikalische Kenntnisse über
das Wesen der Farbe und des Lichtes stark beeinflusst werden kann. Auch die Auseinandersetzung
der menschlichen Wahrnehmungsmechanismen öffnet neue Horizonte für die Kunstforschung, die
die Wirkung und Perzeption der Farbe durch die psychophysiologischen Erkenntnisse
verdeutlichen kann.
Abbildungen
Abb. 1
Abb. 2
Newtonscher Farbenkreis
Farborganisation von Goethe
Abb. 3
Sichtbares Lichtspektrum
Abb. 4
Lorenzo Monaco:
Anbetung der Hl. Drei Könige,
c. 1422
Eitempera auf Holz
115 x 177 cm
Galleria degli Uffizi, Florenz
Abb. 5
Raffael: Anbetung der Hl.
Drei Könige,
1503-1504
Öltempera auf Holz
29 x 150 cm Pinacoteca
Apostolica Vaticano, Rom
Abb. 6
Die Rolle des Firnisses
Ab
b. 7
Abb. 8
Subtraktive Farbmischung
Additive Farbmischung
Abb. 9
Dan Flavin: ohne Titel (an
Janie Lee) eins,
1971
244cm
blaue, violette, gelbe und
grüne Leuchtstoffröhren
Dia Art Foundation, New
York
Abb. 10
Georges Seurat: Ein
Sonntagnachmittag auf der
Insel La Grande Jatte,
1884-1886
Öl auf Leinwand
205,7 x 305,8 cm
The Art Institute of
Chicago
Abb. 11
Piet Mondrian: Composition A: Composition
with Black, Red, Gray, Yellow, and Blue,
1920
Öl auf Leinwand
91.5 x 92 cm
Galleria Nazionale d'Arte Moderna e
Contemporanea, Rom
Abb. 12
Vincent van Gogh: Le Café de nuit, 1888
Öl auf Leinwand
72.4 × 92.1 cm
Yale University Art Gallery
Abb. Titelseite: Hans Hofmann: Equinox,
1958, Öl auf Leinwand, 60 x 72 cm,
Berkeley Art Museum American, California
Literaturverzeichnis
Douma, Michael (2006): Color Vision & Art from WebExhibits, Institute for Dynamic Educational
Advancement, Washington, DC, http://webexhibits.org/colorart/index.html (04.08.2007)
Goldstein, Bruce: Wahrnhemungspsychologie, Heidelberg u. a. 1997
Hansen, Thorsten, Dr.: Vorlesung Wahrnehmung und Sinnespshysiologie, SS 2005, in: Abteilung
Allgemeine Psychologie an der Justus-Liebig-Universität Giessen, http://www.allpsych.unigiessen.de/hansen/teaching/VorlesungWahrnehmungUndSinnesphysiologieSS2005/Wahr-05farbe-2.pdf (04.08.2007)
Schmidt, Heinrich: Zur Farbenlehre Goethes, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, Bd. 1, H. 2, 1932
Schulze, Sabine (Hg.) Goethe und die Kunst, Stuttgart 1994
Sölch, Reinhold: Biologisch-evolutionäre Farbentheorien: Neues Verständnis für Goethes
"Farbenlehre", in: Goethe-Jahrbuch, Bd. 114, 1997
Welsch, Norbert und Claus Chr. Liebmann: Farben. Natur, Technik, Kunst, Tübingen 2004
Welsch, Norbert: Farben. Natur, Technik, Kunst; eine interaktive multimediale Darstellung rund
um das Thema Farben, München 2005