Untersuchungsbericht - Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung BFU

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Untersuchungsbericht - Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung BFU
Bundesstelle für
Flugunfalluntersuchung
Untersuchungsbericht
Identifikation
Art des Ereignisses:
Unfall
Datum:
9. Juni 2012
Ort:
nahe Teisendorf
Luftfahrzeug(e):
Hubschrauber
Hersteller / Muster:
Robinson Helicopter Company / R44 Raven I
Personenschaden:
vier Personen tödlich verletzt
Sachschaden:
Luftfahrzeug zerstört
Drittschaden:
Flur- und Forstschaden
Informationsquelle:
Untersuchung durch Beauftragte der BFU
Aktenzeichen:
BFU CX011-12
Sachverhalt
Ereignisse und Flugverlauf
Der Pilot wollte gemeinsam mit drei Bekannten in einem Hubschrauber Robinson
R44 Raven I von Worms über Augsburg nach Salzburg fliegen. Von Salzburg aus
plante er mit einem zweisitzigen Hubschrauber und einem Passagier nach Augsburg
zurückzufliegen.
Untersuchungsbericht BFU CX011-12
Nach der Zwischenlandung in Augsburg startete der Hubschrauber um
ca. 16:11 Uhr1. Laut der Radar-Flugwegaufzeichnung flog der Hubschrauber mit
südöstlichem Kurs an München vorbei in Richtung Traunstein. Um 17:01 Uhr nahm
der Pilot vor Erreichen der Kontrollzone Salzburg Funkkontakt mit dem Turm auf. Der
Hubschrauber wurde mit Radar identifiziert und der Pilot bekam die Anweisung, zum
Meldepunkt Teisendorf zu fliegen. Eine Freigabe für den Einflug in die Kontrollzone
Salzburg erhielt er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Im Bereich Traunstein änderte
sich der Flugkurs um 17:06 Uhr in Richtung Süden. Zirka zwei Minuten später flog
der Hubschrauber in geringer Höhe entlang der Autobahn A8 in Richtung Osten.
Nach Passieren der Autobahnanschlussstelle 113 Neunkirchen im Bereich der Atzlbachtal-Brücke flog der Hubschrauber um ca. 17:11 Uhr in tiefer Bewölkung über ansteigendem Gelände in ein Waldstück ein.
Der Hubschrauber wurde zerstört und die vier Insassen kamen ums Leben.
Überblick Flugverlauf, Sichtverlust, Unfallstelle
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Bild: BFU/Google Earth™
Alle angegebenen Zeiten, soweit nicht anders bezeichnet,
entsprechen Ortszeit
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Angaben zu Personen
Der 26-jährige Pilot war im Besitz einer Privatpilotenlizenz für Hubschrauber
(PPL(H)) nach JAR-FCL deutsch, erstmalig erteilt am 09.05.2012, gültig bis
09.05.2017. In der Lizenz waren die Musterberechtigungen für G2, gültig bis
09.05.2013 und R44, gültig bis 05.06.2013 eingetragen. Er verfügte über ein Flugtauglichkeitszeugnis Klasse 1 ohne Auflagen, gültig bis 22.06.2012, und Klasse 2
gültig bis 22.06.2016.
Die Gesamtflugerfahrung des Piloten betrug seit Beginn seiner fliegerischen Ausbildung im August 2011 ca. 87 Stunden bzw. ca. 26 Stunden nach Lizenzerhalt. Die Erfahrung auf dem betroffenen Muster R44 betrug inklusive der Ausbildung zum Erwerb der Musterberechtigung ca. 13 Stunden. Das Flugvorhaben am Unfalltag war
das erste als verantwortlicher Pilot auf dem Muster R44.
Der Pilot hatte den Flughafen Salzburg im Rahmen der Ausbildung und nach Lizenzerhalt mehrmals angeflogen.
Angaben zum Luftfahrzeug
Der einmotorige Hubschrauber R 44 Raven I des Herstellers Robinson Helicopter
Company ist ein leichter Mehrzweckhubschrauber für bis zu vier Insassen. Das
Grundmodell R 44 wurde 1992 nach FAR Part 27 zugelassen. Der Hubschrauber
verfügt über ein Kolbentriebwerk Lycoming O-540-F1B5, einen Zweiblatthauptrotor,
ein Kufenlandegestell und einen Heckrotor für den Drehmomentausgleich um die
Hochachse. Die maximal zulässige Abflugmasse beträgt 1 089 kg.
Der verunfallte Hubschrauber, Baujahr 2008, hatte die Werknummer 1919. Die Betriebsleermasse betrug ca. 669 kg und die Flugmasse zum Unfallzeitpunkt unter Berücksichtigung der Kraftstoffmenge und des Gewichts der Personen an Bord
ca. 1 047 kg. Die Bescheinigung über die Prüfung der Lufttüchtigkeit (ARC) wurde
am 06.07.2011 ausgestellt. Die letzte 100-Stunden-Kontrolle wurde am 07.06.2012
bei ca. 878 Betriebsstunden durchgeführt. Zum Unfallzeitpunkt hatte der Hubschrauber eine Gesamtbetriebszeit von ca. 880 Stunden.
Halter des Hubschraubers war ein vom Luftfahrt-Bundesamt (LBA) genehmigtes Luftfahrtunternehmen. Der Hubschrauber war in Österreich zum Verkehr zugelassen.
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Meteorologische Informationen
Entsprechend der Routinewettermeldung (METAR) wurden zehn Minuten nach dem
Unfall an dem ca. neun nautische Meilen (NM) entfernten Flughafen Salzburg folgende Wetterbedingungen beobachtet:
Der Wind kam aus 200 Grad mit 3 kt, teilweise drehend zwischen 150 und 270 Grad.
Die Sicht in Bodennähe betrug mehr als 10 km im Regen. Geringe Bewölkung (FEW)
lag in 500 ft und durchbrochene Bewölkung (BKN) in 6 000 ft vor. Die Temperatur lag
bei 14 °C und der Taupunkt bei 13 °C. Der Luftdruck (QNH) betrug 1 017 hPa.
Zeugen, die sich am nächstgelegenen Gehöft zur Unfallstelle aufhielten, hörten den
Hubschrauber dicht vorbeifliegen bzw. die Kollision mit den Bäumen, konnten jedoch
weder den Hubschrauber noch den Unfall sehen, da Nebel mit geschätzten Sichtweiten von 50 - 100 m vorlag.
Die Besatzung des in Traunstein stationierten und zur Unfallstelle alarmierten Rettungshubschraubers beschrieb die ca. 18 Minuten nach dem Unfall angetroffene
Wettersituation im Bereich der Unfallstelle.
Der direkte Anflug zur Unfallstelle war aufgrund der tiefen Bewölkung nicht möglich.
Auf Höhe Siegsdorf war zu erkennen, dass die Wolkenuntergrenze Richtung Osten
(Gelände leicht ansteigend) deutlich nach unten ging, teilweise auflag. Wolkenuntergrenze bis dahin ca. 300 bis 400 ft AGL, gute Sicht. Ab der Bergstraße waren die
Bedingungen dann auch an der Autobahn über dem Waldgebiet komplett aufliegend.
Auf Höhe Gschwend wurde der Anflug um 17:28 Uhr abgebrochen bzw. beendet, der
Notarzt und der Rettungsassistent stiegen in ein Fahrzeug um. Die Wolkenuntergrenze in diesem Bereich war über den Feldern nur noch ca. 120 ft, ansonsten
„ringsum“ komplett aufliegend.
Für die Untersuchung des Flugunfalls hat die BFU beim Deutschen Wetterdienst
(DWD) eine amtliche flugmeteorologische Auskunft für den 09.06.2012 eingeholt:
In Südostbayern lag eine Kaltfront, die im Bereich der Absturzstelle, dem Teisenberg,
noch Niederschlag verursachte. Damit einhergehend sanken die Wolkenuntergrenzen im frontalen Bereich stark ab und in Höhen von 4.500 Fuß AMSL lagen die Wolken im Niederschlag auf. Dies stand so auch in der Vorhersage der Flugwetterübersicht von München.
Das Gebiet 82 „Östliches Alpenvorland“ wurde im GAFOR mit DELTA 1 eingestuft.
Das bedeutete bei einer Bezugshöhe von 2500 Fuß Sichten mit 8 km und mehr und
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Wolkenuntergrenzen (Ceiling) zwischen 1.000 und 2.000 Fuß. Dies wiederum entsprach einer Ceiling von 3500 bis 4500 Fuß AMSL.
Im Niederschlagsradar sieht man gut die durchziehende Kaltfront mit Regen. Bei den
Radarreflektionen, können dabei auch mäßige Regenschauer im Frontbereich gefallen sein.
Der Experte des DWD kam abschließend zu dem Fazit:
Die beschriebenen Wetterbedingungen der Besatzung des Rettungshubschraubers
mit aufliegender Bewölkung am Teisenberg sind nachvollziehbar, war sie doch schon
innerhalb kürzester Zeit nach dem Unfall vor Ort. Auch die Aussagen des Turms in
Salzburg mit tiefer Bewölkung über dem nordwestlichen Bergland sprechen dafür.
[…]
Niederschlags-Radarbild zum Unfallzeitpunkt
Quelle: DWD
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Navigationshilfen
An Bord des Hubschraubers befand sich zur Unterstützung der Navigation ein fest
eingebautes GPS Garmin GNS 430. Das Gerät war während des Fluges in Betrieb.
Funkverkehr
Der Pilot stand in Funkkontakt mit dem Flughafen Salzburg. Der Funkverkehr wurde
aufgezeichnet und lag der BFU zur Auswertung vor.
Funkumschrift zwischen Salzburg Turm und Pilot des Hubschraubers (Uhrzeiten UTC)
Angaben zum Flugplatz
Zielflugplatz war der Flughafen Salzburg (LOWS). Dieser verfügt über gemischten
Flugverkehr mit Luftfahrzeugen nach Sicht- als auch nach Instrumentenflugregeln.
Der Flughafen ist von einer Kontrollzone umgeben. Luftfahrzeuge, die nach Sichtflugregeln betrieben werden, haben sich spätestens drei Minuten vor Erreichen des ersten Pflichtmeldepunktes über Funk bei Salzburg Turm zu melden und werden entlang der Meldepunkte zur Landung bzw. zur Warteposition westlich der Piste geführt.
Der Flughafen verfügt über eine 2 750 m lange Piste mit der Ausrichtung 16/34. Die
Flugplatzhöhe beträgt 1 411 ft AMSL. Laut Luftfahrthandbuch (AIP) kann es u.a. im
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Westen der Kontrollzone aufgrund von Bergen unterhalb von 5 000 ft AMSL zu Funkabschattungen kommen.
Unfallstelle
Auszug Sichtflugkarte Salzburg
Quelle: AIP Austria / BFU
Flugdatenaufzeichnung
Der Hubschrauber war nicht mit einem Flight Data Recorder (FDR) oder Cockpit
Voice Recorder (CVR) ausgestattet. Diese Aufzeichnungsgeräte waren nicht vorgeschrieben.
An der Unfallstelle wurde jedoch eine Kamera gefunden. Bei der Überprüfung wurde
festgestellt, dass Fotos entlang der Flugstrecke gemacht wurden und der Flugverlauf
teilweise gefilmt wurde. Eine Kopie der Fotos und der Filmaufzeichnung standen der
BFU zur Auswertung zur Verfügung. Die Filmaufnahme zeigt zum Ende hin den
Hubschrauber mit ca. 80 KIAS entlang der Autobahn A8 fliegen, tief hängende bzw.
aufliegende Bewölkung und den Einflug in die Wolken ca. 1 100 m vor der Unfallstelle.
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Der Flugweg von Augsburg bis ca. 9 NM vor Salzburg wurde mit Radar aufgezeichnet. Die Radaraufzeichnung endet um 17:10.45 Uhr, ca. 21 Sekunden nachdem der
Funkkontakt abgerissen war, in unmittelbarer Nähe der Unfallstelle.
vergrößerter Ausschnitt Ende Aufzeichnung
Radaraufzeichnung Flugweg von Augsburg nach Salzburg
Quelle: DFS / BFU
Unfallstelle und Feststellungen am Luftfahrzeug
Die Unfallstelle befand sich südlich der Autobahn A8, ca. 18 km nordwestlich des
Verkehrsflughafens Salzburg an einem in Flugrichtung ansteigenden bewaldeten
Hang. Die Höhe der Unfallstelle betrug ca. 797 m AMSL. Die ersten Einschlagsspuren des Hauptrotors befanden sich in Baumhöhen von ca. 10 m bzw. 13 m.
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Darstellung der Einflugstelle des Hubschraubers in den Wald
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Foto: BFU
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Nach der ersten Baumberührung lagen in Richtung 165 Grad entlang einer Linie von
ca. 55 m Wrackteile. Die vier Insassen wurden aus der Kabine geschleudert. Teile
der Hauptrotorblätter hingen in den Einschlagsbäumen. Der Heckrotor einschließlich
Heckrotorgetriebe hing ca. 16 m nach der ersten Baumberührung im Geäst. Der
Hauptrotormast lag ca. 22 m, der Heckausleger ca. 27 m, das Triebwerk ca. 38 m
von der Stelle der ersten Baumberührung entfernt. Der Hubschrauber war zerstört.
Teile der Kabine und das Triebwerk zeigten Brandspuren.
An der Unfallstelle wurden Flugvorbereitungsunterlagen gefunden. Unter anderem
hatte der Pilot zwei Flight-Logs erstellt. Eines von Worms nach Augsburg und eines
von Salzburg nach Augsburg. Handschriftlich hatte er Angaben zum Gewicht der
Personen an Bord und der Kraftstoffmenge notiert. Die ausgedruckten Wettermeldungen (METAR und TAF) entlang der Flugstrecke von Augsburg nach Salzburg von
15:34 Uhr lagen vor.
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Medizinische und pathologische Angaben
Der Leichnam des Piloten wurde obduziert. Es ergaben sich keine Erkenntnisse für
eine medizinische Beeinträchtigung.
Brand
Das Wrack war im Bereich der Kabine bzw. der Tanks und des Triebwerks verbrannt.
Überlebensaspekte
Der Einflug in den Wald erfolgte mit hoher Geschwindigkeit. Hierbei wurde die
Rumpfzelle des Hubschraubers zerstört und die Personen wurden aus der Kabine
geschleudert. Die dabei aufgetretenen Kräfte waren nicht überlebbar.
Organisationen und deren Verfahren
Der Halter des Hubschraubers betrieb an mehreren Standorten Außenstellen des
Luftfahrtunternehmens, u.a. in Worms, Augsburg und Salzburg. Der betroffene Hubschrauber sollte nach einer planmäßigen Wartung zur Nutzung nach Salzburg zurück
geflogen werden. Der Hubschrauber war nach Auskunft des Halters am 10.06.2012,
14 Uhr für den nächsten Flug ab Salzburg geplant gewesen.
Im Rahmen der Ausbildung zum Berufspiloten musste der verunfallte Pilot nach dem
Erwerb der Privatpilotenlizenz Flugstunden sammeln, um mit dem Ausbildungsabschnitt zum Erlangen der Berufspilotenlizenz fortfahren zu können. Hierzu bestand
mit dem Halter des Hubschraubers ein Chartervertrag über insgesamt 185 Flugstunden mit dem Muster Capri G2, davon 110 Stunden ohne Ausbilder.
Nach Auskunft des Halters wollte der Pilot zunächst einen Hubschrauber R44 in
Augsburg für einen privaten Rundflug mit seinen Freunden chartern. Da dort kein
entsprechender Hubschrauber zur Verfügung stand, wurde ihm stattdessen angeboten, einen Überführungsflug von Worms über Augsburg nach Salzburg durchzuführen. Von Salzburg aus bestand die Möglichkeit, mit einem Hubschrauber Capri G2
nach Augsburg zurückzufliegen. Dieser Hubschrauber war ab dem 11.06.2012 zur
weiteren Verwendung in Augsburg geplant gewesen.
Nach Angabe des Flugbetriebsleiters hatte der Pilot am Vortag die Flüge in Augsburg
vorbereitet.
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Zusätzliche Informationen
Aus Gründen der Sicherheit im Flug ist es zulässig, dass ein Pilot eine so genannte
Sicherheitslandung durchführt. § 25 Luftverkehrsgesetz (LuftVG) unterscheidet zwischen einer im Voraus geplanten und genehmigten Außenlandung, einer ungeplanten Sicherheitslandung z.B. aufgrund Wetterverschlechterung und einer unumgänglichen Notlandung.
(1) Luftfahrzeuge dürfen außerhalb der für sie genehmigten Flugplätze nur starten
und landen, wenn der Grundstückseigentümer oder sonst Berechtigte zugestimmt
und die Luftfahrtbehörde eine Erlaubnis erteilt hat. […]
Absatz 1 gilt nicht, wenn […]
(2) die Landung aus Gründen der Sicherheit oder zur Hilfeleistung bei einer Gefahr
für Leib oder Leben einer Person erforderlich ist. Das Gleiche gilt für den Wiederstart
nach einer solchen Landung mit Ausnahme des Wiederstarts nach einer Notlandung.
[…] In diesem Falle ist die Besatzung des Luftfahrzeugs verpflichtet, dem Berechtigten über Namen und Wohnsitz des Halters, des Luftfahrzeugführers sowie des Versicherers Auskunft zu geben; […]
In Deutschland ist für Flüge nach Sichtflugregeln zur Vermeidung unnötiger Gefahren
und Belästigungen Dritter in § 6 der Luftverkehrsordnung (Luft VO) eine Sicherheitsmindesthöhe definiert.
(1) Die Sicherheitsmindesthöhe darf nur unterschritten werden, soweit es bei Start
und Landung notwendig ist. Sicherheitsmindesthöhe ist die Höhe, bei der weder eine
unnötige Lärmbelästigung im Sinne des § 1 Abs. 2 noch im Falle einer Notlandung
eine unnötige Gefährdung von Personen und Sachen zu befürchten ist. Über Städten, anderen dicht besiedelten Gebieten, Industrieanlagen, Menschenansammlungen, Unglücksorten sowie Katastrophengebieten beträgt die Sicherheitsmindesthöhe
mindestens 300 Meter (1.000 Fuß) über dem höchsten Hindernis in einem Umkreis
von 600 Metern, in allen übrigen Fällen 150 Meter (500 Fuß) über Grund oder Wasser. […]
(3) Überlandflüge nach Sichtflugregeln mit motorgetriebenen Luftfahrzeugen sind in
einer Höhe von mindestens 600 Meter (2000 Fuß) über Grund oder Wasser durchzuführen, soweit nicht aus Sicherheitsgründen nach Absatz 1 Satz 2 und 3 eine größere Höhe einzuhalten ist. Überlandflüge in einer geringeren Höhe als 600 Meter
(2000 Fuß) über Grund oder Wasser dürfen unter Beachtung der Vorschriften der
Absätze 1 und 2 angetreten oder durchgeführt werden, wenn die Einhaltung sonsti-
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ger Vorschriften und Festlegungen nach dieser Verordnung, insbesondere die Einhaltung der Luftraumordnung nach § 10, der Sichtflugregeln nach § 28 oder von
Flugverkehrskontrollfreigaben, eine geringere Höhe erfordert.
Der Hersteller des Hubschraubers warnt in der Safety Notice SN-18 “LOSS OF VISIBILITY CAN BE FATAL“ vor Einflügen in Gebiete mit reduzierter Sicht für den Piloten. Er verweist darauf: […] You must take corrective action before visibility is lost!
Remember unlike the airplane, the unique capability of the helicopter allows you to
land and use alternate transportation during bad weather, provided you have the
good judgement and necessary willpower to make the correct decision. […]
Beurteilung
Der Pilot besaß die Lizenz und Musterberechtigung zum Führen des Hubschraubers.
Seine Gesamtflugerfahrung sowie die Mustererfahrung auf Hubschraubern Robinson R44 waren sehr gering. Dennoch verfügte er sicherlich über einen guten
Übungsstand, da er seine gesamte Flugerfahrung von ca. 87 Flugstunden in den vorangegangenen neun Monaten gesammelt hatte. Die Filmaufnahmen in der Kabine
des Hubschraubers und die Obduktion des Piloten ließen keine körperliche Beeinträchtigung des Piloten als Ursache für den Unfall erkennen.
Der Hubschrauber war entsprechend den gesetzlichen Regularien instand gehalten
und zum Verkehr zugelassen. Die Filmaufnahme vor dem Unfall weist auf keine technischen Mängel oder eine Ablenkung des Piloten durch ein technisches Problem hin.
Das Flugwetter war entlang der Flugstrecke bis südlich des Chiemsees für den Sichtflug unproblematisch. Die Flugsichten lagen bei weit mehr als 10 km und die Wolkenhöhen waren ausreichend für einen Überlandflug. Erst ab Traunstein verschlechterte sich das Wetter aufgrund einer Kaltfront mit Regenschauern, die kurze Zeit
vorher durchzog. Den Fotos aus dem Hubschrauber entsprechend gab es im Flachland teilweise niedrige Wolken bzw. Ausdunstungen in Senken. An den Hangbereichen der südlich der Flugstrecke liegenden Berge lag die Bewölkung auf und reichte
bis in höhere Lagen.
Der Überlandflug von Worms über Augsburg zum Flughafen Salzburg stellte mit großer Wahrscheinlichkeit für den Piloten eine gewisse Herausforderung dar, zumal er
mit Freunden als Passagiere an Bord zum ersten Mal als allein verantwortlicher Pilot
auf dem Muster R44 flog. Die Flugplätze Augsburg und Salzburg einschließlich der
Kontrollzonen mit den entsprechenden An- und Abflugverfahren und Verkehrsauf-
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kommen sowie die Flugstrecke um die Kontrollzone München waren ihm aufgrund
mehrfacher Anflüge während der Ausbildung bekannt. Dennoch lag mit großer Wahrscheinlichkeit aufgrund der erforderlichen genauen Navigation innerhalb der Kontrollzonen unter Radarkontrolle, des nötigen Sprechfunkverkehrs im Beisein der mitfliegenden Bekannten und dem Umgang mit einem neuen Hubschraubermuster eine
erhöhte Arbeitsbelastung des Piloten vor. Er hatte die gesamte Strecke mit Karten
navigiert. Ein Foto vom Cockpit auf der Flugstrecke Worms – Augsburg zeigt, dass er
das fest eingebaute GPS nur als Unterstützung mit dem Zielflugplatz als Navigationspunkt nutzte.
Der Pilot nahm südlich des Chiemsees Funkkontakt mit dem Kontrollturm Salzburg
auf. Der Platzverkehrslotse sendete um 15:05:47 Uhr UTC […] turn right then and
follow the motorway to Whiskey, next report Whiskey. Diese Anweisung las der Pilot
verkürzt zurück und änderte laut Radaraufzeichnung seinen Kurs augenblicklich im
Bereich Traunstein mit einer Rechtskurve in Richtung Süden, obwohl er weiter im
flacheren Gelände in Richtung Osten zum Meldepunkt Teisendorf hätte fliegen sollen. Eine Verwechselung der Ortschaften Traunstein und Teisendorf und ein darauf
zurückzuführender Navigationsfehler ist auszuschließen, da er genau über den Rettungshubschrauberstützpunkt in Traunstein flog und dort Luftaufnahmen von dem
Rettungshubschrauber gemacht wurden. Er flog mit Südkurs bis zur Autobahn A8 auf
das ansteigende Gelände und die tiefe Bewölkung zu und folgte dann der Autobahn.
Der Lotse erkannte die ungewöhnliche Kursänderung von Ost- auf Südkurs und gab
dem Piloten zirka zwei Minuten später, im Moment des Erreichens der A8, die
Kursinformation 108 Grad zum Meldepunkt Whiskey. Dieser Kurs führte zu diesem
Zeitpunkt direkt über den Teisenberg (4 373 ft AMSL) und in die aufliegende Bewölkung nördlich des Teisenbergs.
Die Filmaufnahme zeigt, dass der Hubschrauber in geringer Flughöhe mit
ca. 80 KIAS der Autobahn A8 folgte, dabei an der Untergrenze der Bewölkung flog
und zeitweise in die Bewölkung einflog. Kurz vor dem Unfall befand sich der Hubschrauber vollständig in Wolken. Eine terrestrische Navigation war nicht mehr möglich.
Warum der Pilot den örtlich begrenzten schlechten Wetterbedingungen nicht auswich, den Turmlotsen in Salzburg nicht ausdrücklich über das vor ihm liegende Wetterproblem unterrichtete und das höhere Gelände nicht umflog oder eine Sicherheitslandung durchführte, bleibt aus Sicht der BFU ungeklärt. An Bord des Hubschraubers
hätte sich ausreichend Kraftstoff für ein Umfliegen des Schlechtwettergebietes be-
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funden. Es gab auch entlang der Autobahn vielfältige Möglichkeiten für eine Sicherheitslandung. Nach Angaben des Hubschrauberhalters bestand kein Zeitproblem,
niemand wartete auf die Ankunft des Hubschraubers in Salzburg. Auch der geplante
Rückflug wäre durch eine Zeitverzögerung nicht gefährdet gewesen. Es waren noch
mehrere Stunden Zeit bis zum Sonnenuntergang und dem Ende der Öffnungszeit
des Flugplatzes Augsburg.
Es ist zu vermuten, dass der Pilot aufgrund seiner geringen Flugerfahrung die möglichen Handlungsalternativen nicht erkannte. Das in der Fachliteratur als „Airmanship“
und „Situational Awareness“ bezeichnete Verhalten - rechtzeitiges Erfassen von sich
anbahnenden Situationen, Erkennen und Abwägen von Handlungsmöglichkeiten war noch nicht ausreichend ausgeprägt.
Längere Zeit vor dem Unfall war das Einhalten der Sicherheitsmindesthöhe nicht
mehr möglich. Aus Sicht der BFU ist es aufgrund häufiger Flugunfälle mit Hubschraubern im Tiefflug äußerst wichtig, z. B. im Rahmen der Ausbildung und wiederkehrender Überprüfungen von Piloten, auf die Bedeutung des Einhaltens der Sicherheitsmindesthöhen hinzuweisen. Wenn diese nicht mehr eingehalten werden können, sind Flüge abzubrechen. Flüge in Höhen unterhalb 500 ft AGL bergen jederzeit
die Gefahr in ein Hindernis, z.B. hohen Bewuchs, Freileitungen oder Windkraftanlagen einzufliegen, gerade dann, wenn die Flugsicht reduziert ist.
Schlussfolgerungen
Der Flugunfall ist auf eine Hindernisberührung zurückzuführen. Ursächlich war die
Fortsetzung des Fluges in geringer Flughöhe über ansteigendem Gelände ohne Außensicht.
Untersuchungsführer:
Axel Rokohl
Untersuchung vor Ort:
Joachim Haag, Klaus Mehring,
Hans Rachl
Braunschweig, 15. Januar 2013
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Die Untersuchung wurde in Übereinstimmung mit der Verordnung (EU)
Nr. 996/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über die Untersuchung und Verhütung von Unfällen und Störungen in der Zivilluftfahrt und dem Gesetz über die Untersuchung von Unfällen und Störungen beim Betrieb ziviler Luftfahrzeuge (Flugunfall-Untersuchungs-Gesetz - FlUUG) vom 26. August 1998 durchgeführt.
Danach ist das alleinige Ziel der Untersuchung die Verhütung künftiger
Unfälle und Störungen. Die Untersuchung dient nicht der Feststellung des
Verschuldens, der Haftung oder von Ansprüchen.
Herausgeber
Bundesstelle für
Flugunfalluntersuchung
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