Die Situation älterer Arbeitnehmer (55plus) in der BRD
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Die Situation älterer Arbeitnehmer (55plus) in der BRD
Die Situation älterer Arbeitnehmer (55plus) in der BRD - Nationale, sektorale und unternehmensspezifische Best Practice-Strategien in den Branchen Banken, Bau, Metall und Textil „Active Ageing – The Good Practices for the Information and Vocational Guidance for Workers over 55 at their Workplace” VS/2007/0528 Dr. Sandra Siebenhüter Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt Juli 2008 INHALTSVERZEICHNIS 1. Ältere Arbeitnehmer in der BRD und ihre Chancen am Arbeitsmarkt ..... 4 1.1. Qualifikation und Beschäftigung .......................................................... 5 1.2. Differenzierung nach Altergruppen ...................................................... 6 1.3. Geschlechtsspezifische Arbeitsmarktchancen ................................... 8 1.4. Weiterbildung von älteren Arbeitnehmern ........................................... 9 2. Ältere Arbeitnehmer in unterschiedlichen Branchen.............................. 11 2.1. Die Erwerbsquote älterer Arbeitnehmer............................................. 11 2.1.1. Baugewerbe ..................................................................................... 12 2.1.2. Metallbranche ................................................................................... 12 2.1.3. Bankengewerbe................................................................................ 13 2.1.4. Bekleidung und Textil ....................................................................... 15 2.2. Personalmaßnahmen für ältere Arbeitnehmer................................... 16 3. Nationale und Regionale Initiativen für ältere Arbeitnehmer ................. 18 3.1. Perpektive 50 plus ................................................................................ 18 3.2. Initiative Neue Qualität der Arbeit (RehaBau, Demographielotsen). 19 3.3. Förderung beruflicher Weiterbildung - Programm WeGebAU.......... 20 3.4. Sonstige Maßnahmen .......................................................................... 20 3.4.1. Eingliederungszuschüsse (EGZ) ...................................................... 21 3.4.2. Betriebliche Trainingsmaßnahmen ................................................... 21 3.4.3. Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer ......................................... 21 4. Best Practices im Umgang mit älteren Arbeitnehmern........................... 22 4.1. Aktuelle Handlungsfelder in Unternehmen ........................................ 22 4.1.1. Unternehmenskultur und Führungskräfte sensibilisieren.................. 23 4.1.2. Wissensmanagement und Weiterbildung ......................................... 24 4.1.3. Arbeitsorganisation und Arbeitsgestaltung ....................................... 25 4.1.4. Gesundheitsförderung und Arbeitsschutz......................................... 27 4.1.5. Öffentlichkeitsarbeit .......................................................................... 28 4.2. Verbandsinitiative „Mit Erfahrung Zukunft meistern“...................... 29 4.3. Ehemalige Mitarbeiter als neue Zielgruppe........................................ 29 5. Ausblick ...................................................................................................... 31 6. Literatur....................................................................................................... 34 2 Abstract: Die Europäische Union hat sich im Rahmen Ihrer Beschäftigungsstrategie bis 2010 das Ziel gesetzt die Erwerbsquote der 55-64 Jährigen auf 50 Prozent zu erhöhen und das durchschnittliche Austrittsalter aus dem Erwerbsleben um fünf Jahre hinauszuschieben, um so die Europäische Union zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Die allermeisten EU-Länder haben hier noch einen weiten Weg um den EU-Forderungen gerecht zu werden, Deutschland hingegen hat diese Forderungen bereits weitestgehend erfüllt. Im September 2006 verabschiedete die deutsche Bundesregierung die „Initiative 50plus", welche durch ein Bündel von Maßnahmen die Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer erhöhen, sowie deren Beschäftigungsfähigkeit verbessern soll. Darin enthalten sind Mittel für die Unterstützung von Regionalen Beschäftigungspakten für Ältere aber auch Hilfestellungen für die unternehmerische Praxis im Rahmen der "Initiative Neue Qualität der Arbeit“. Im April 2007 folgte unter Federführung des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ein Europäischer Kongress zum Thema „Demografischer Wandel als Chance: Wirtschaftliche Potenziale der Älteren". Diese Aktivitäten der Bundesregierung machen deutlich, dass die nationale Politik die künftigen Herausforderungen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund eines drohenden Fachkräftemangels, erkannt hat. Doch auch wenn diese positiven Nachrichten und die Anstrengungen der Bundesregierung Anerkennung verdienen, so besteht dennoch kein Anlass zu Euphorie, denn bei genauerem Blick in die Betriebe zeigt sich ein weitaus differenzierteres Bild. Vor allem wird deutlich, dass auch hierzulande noch große gemeinsame Anstrengungen von Arbeitgebern, Sozialpartnern, dem Gesetzgeber und den Arbeitnehmern notwendig sind, um die Herausforderungen des Demographischen Wandels anzunehmen und gut zu meistern. Dieser Aufsatz ist eine Bestandsaufnahme und soll einen Überblick geben über die derzeitige Situation älterer Beschäftigter in unterschiedlichen Wirtschaftssektoren innerhalb der BRD und dabei sowohl regionale, branchenwie unternehmensspezifische Best Practices aufzeigen. 3 1. Ältere Arbeitnehmer in der BRD und ihre Chancen am Arbeitsmarkt In der Bundesrepublik ist die Erwerbstätigenquote der 55-64jährigen Arbeitnehmer im Laufe der letzten Jahren stetig angestiegen und erreichte im Jahr 2007 eine Quote von 51,5 Prozent (2000: 37,6 Prozent, EuroStat 2007), was über dem von der EU angepeilten Ziel von 50 Prozent liegt. Auch wenn diese Zunahme um 13,9 Prozentpunkte der höchste Anstieg der Alterserwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen innerhalb der „EU der 15“ darstellt, muss diese Steigerung doch kritisch betrachtet werden. Grundlegend für diese Entwicklung ist die stetige Absenkung des Rentenniveaus, so dass insgesamt bei den Beschäftigten die Bereitschaft abnimmt vor dem gesetzlichen Renteneintrittsalter den Arbeitsmarkt zu verlassen (Brussig, Wojtkowski 2006). Ältere Beschäftigte bemühen sich stark darum möglichst lange im Arbeitsprozess zu bleiben und dem Arbeitsmarkt zu Verfügung zu stehen, um mögliche Rentenabschläge zu vermeiden oder zu minimieren. Weitere Ursachen für den Anstieg der Erwerbsquote sind nachfolgende (Brussig, Wojtkowski 2008): Seit dem Jahr 2000 hat sich die demographische Situation für die Altersbeschäftigung positiv entwickelt, da neue, geburtenstarke Jahrgänge in die Gruppe der Älteren im erwerbsfähigen Alter hineinwuchsen und diese alterbedingt eine höhere Erwerbsbeteiligung aufweisen als jene die herauswachsen. Diese demographische Entwicklung trug ca. 20 Prozent zur Erhöhung der Alterserwerbstätigenquote bei und wird diese auch für die nächsten 15 Jahre begünstigen. Seit September 2007 erfasst das Statistische Bundesamt die Erwerbstätigkeit nach dem Labour-Force-Konzept der ILO, welches auch Personen als erwerbstätig einordnet, die u.a. nur geringfügig oder gelegentlich arbeiten, also zusätzlich zum Bezug von Arbeitslosenleistungen („1-Euro-Jobs“) oder einer eigenen Rente hinzuverdienen (Rentner mit einem Minijob). Ebenso gelten Personen in der Freistellungsphase der Altersteilzeit1 und solche, die krankheits-bedingt vorübergehend nicht arbeiten können, als erwerbstätig. Seit 2001 ist die Inanspruchnahme der Altersteilzeit stark gestiegen und auch jene, die sich bereits in der Freistellungsphase befinden, gelten nach dem ILO-Konzept als erwerbstätig. Neben dem Anstieg der Erwerbsquote in der BRD hat auch die Zahl der Betriebe, welche ältere Arbeitnehmer beschäftigen, in den vergangenen Jahren stetig zugenommen und dies trotz einer anhaltend hohen Arbeitslosigkeit (vor 1 Seit ihrer Einführung im Jahr 1996 stieg die Zahl derer, welche von der Altersteilzeit im Jahresdurchschnitt Gebrauch machen stetig an. Lag die Zahl zu Beginn bei 3.286 (1997) und stieg dann auf 69.673 (2003) an, so liegt sie nun im Jahr 2007 bei 104.350 (Bundesagentur für Arbeit 2007). Auffallend dabei ist, dass die Altersteilzeit fast ausschließlich (87,8 Prozent) als Blockzeit in Anspruch genommen wird, d.h. die Betroffenen arbeiten die erste Hälfte der Zeit (1,5 Jahre bis 3 Jahre) bei vermindertem Einkommen in Vollzeit weiter, um dann die zweite Hälfte der Altersteilzeit unter Weiterbeziehung ihrer Bezüge zuhause zu bleiben (Freistellungsphase). Nur 11,4 Prozent nutzen das Alterteilzeitmodell in der ursprünglich von der Politik gedachten Variante, d.h. als wöchentlich halbierte Arbeitzeit. 4 allem bei jüngeren Arbeitnehmern) und einer Nachfrageschwäche, welche die gesamtdeutsche Konjunktur beeinflusste. Anteil der Betriebe in Prozent mit älteren Arbeitnehmern 2002 – 2004 Westdeutschland 2002 2003 2004 Ostdeutschland 2002 2003 2004 49 53 51 57 51 55 Quelle: LIAB-Betriebskonzept 2002 – 2004 (Entnommen aus: Bellmann, Leber u.a. 2006, S. 43) Auch in diesem Falle ist diese Zunahme nicht ausschließlich auf einen Gesinnungswandel seitens der Firmen über die Qualitäten von älteren Arbeitnehmern zurückzuführen. Eine Ursache ist, dass die Belegschaft der Unternehmen insgesamt gealtert ist und damit Mitarbeiter im Beobachtungszeitraum in die „50 plus-Gruppe“ gerutscht sind, also nun zu den älteren Arbeitnehmern zählen. Besonders deutlich wird dies in Ostdeutschland, wo im Gegensatz zum Westen mehr Arbeitnehmer in die Altersklasse „50-plus“ hineinwachsen (Fuchs, Söhnlein 2005), was auch den stärkeren Anstieg der Quote in Ostdeutschland erklärt. Mit zunehmender Betriebsgröße (Bellmann, Leber 2006, S. 45) steigt insgesamt die Wahrscheinlichkeit, dass in den Betrieben auch ältere Arbeitnehmer anzutreffen sind: In den Betrieben mit 10 bis 19 Beschäftigten sind die höchsten Anteile junger Beschäftigter zu finden, was auch im Zusammenhang mit Firmenneugründungen zu sehen ist. Hingegen finden sich in Betrieben ab einer Größe von 50 Beschäftigten nur noch selten Betriebe ohne ältere Beschäftigte. In der Metall- und Elektrobranche ist diese Entwicklung nicht so stark ausgeprägt (vgl. 2.1.2.). Innerhalb der Gruppe der älteren Arbeitnehmer sind aber noch weitere Differenzierungen nach dem Grad der Qualifikation, dem genauen Alter und dem Geschlecht auszumachen. 1.1. Qualifikation und Beschäftigung Deutsche Bevölkerung nach Qualifikation und Alter im Jahr 2005 in Mio. Schüler, Studierende, Auszubildende Ohne Berufsabschluss Mit Lehre/Fachschule Mit Hoch/Fachhochschulreife 14-24 Jahre 6.0 25-34 Jahre 0,7 34-44 Jahre k.A. 45-54 Jahre k.A. 55-65 Jahre k.A. 1,8 2,1 k.A. 1,8 5,9 1,5 2,2 9,3 2,3 1,9 7,9 1,9 2,0 6,4 1,3 Quelle: Dietz 2008 Im Vergleich zeigt sich, dass die Generation 55-64 Jahre im Verhältnis schlechter ausgebildet ist, als die nachrückenden Generationen. Doch auch wenn der Anteil der Hochschul- und Fachhochschulabsolventen unter der jüngeren Generation höher liegt, so gehört die BRD mit 20,6 Prozent (2004) im 5 Vergleich zu anderen OECD Staaten (OECD-Mittel 34,8 Prozent) immer noch zur Schlussgruppe (OECD 2006). Die Gruppe derjenigen, die über keinen Berufsabschluss verfügen liegt über alle Altersgruppen hinweg auf einem sehr hohen Niveau, was sich bei den zukünftigen Arbeitsmarktchancen dieser Menschen niederschlagen wird (IAB Kurzbericht 2005, Nr. 9). Auch wenn diese Zahl in den jungen Altergruppen geringfügig auf 1,8 Mio. zurückgeht, muss dennoch von einer „Verfestigung“ der Ungelerntenquote gesprochen werden. In der Gruppe der älteren Arbeitnehmer verfügen 2,0 Mio. über keinen Berufsabschluss, was sich unmittelbar in der Erwerbstätigenquote dieser Altergruppe niederschlägt (vgl. 1.3). Erwerbstätigenquote 2006 der 55-64 Jährigen nach Qualifikation Qualifikationsgrad Berufsqualifikation hoch (Fachhochschul-/Hochschulabschluss) mittlerer Qualifikation (mit beruflicher Ausbildung) niedriger Qualifikation (ohne berufliche Ausbildung) Prozent 68,7 47,9 35,5 (Quelle: Brussig, Wojtkowski 2008, S. 7) Die Erwerbstätigenquote der 55-64 Jährigen stieg zwischen 2001 und 2006 stark an und zwar auch innerhalb derjenigen, welche eine niedrige und mittlere Qualifikation besitzen. Die Ursachen hierfür sind neben den in Kapitel 1 aufgeführten statistischen Ursachen auch die Umstellung der Sozialen Sicherung durch die Agenda 2010 und das Absinken des Rentenniveaus (Verband deutscher Rentenversicherer 2004, Nürnberger u.a. 2004, Bourcade 2006), so dass die steigende Erwerbstätigkeit nicht nur freiwillig erfolgt, sondern auch in der Notwendigkeit begründet liegt, bei gleichzeitigem Transferleistungsund Rentenbezug erwerbstätig zu sein. 1.2. Differenzierung nach Altergruppen Ältere Arbeitnehmer sind stärker von Arbeitslosigkeit bedroht sind als Jüngere und liegen deutlich über Quote aller Arbeitslosen. Im September 2007 betrug die Arbeitslosenquote der 50 – 65 Jährigen 12,8 Prozent, bei den 55-65 Jährigen bei 12,4 Prozent und die Gesamtarbeitslosenquote lag bei 11,6 Prozent, so dass eine Annäherung der Arbeitslosigkeit zwischen den Gruppen Jung und Alt feststellbar ist. Deutsche Gesamtarbeitslosenquote Älterer Arbeitnehmer in Prozent 2006/2007 50 - 65 Jährige 55 - 65 Jährige 15 - 65 Jährige 2007 12,8 12,4 11,6 2006 15,8 16,1 13,7 Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2007 Betrachtet man die Gruppe der 50-65 Jährigen hinsichtlich ihrer Erwerbstätigkeit genauer, wird ein Zusammenhang zwischen dem genauen Alter und der Erwerbslosigkeit evident: Innerhalb der Gruppe der älteren 6 Arbeitnehmer (50-55 Jährige / 55-60 Jährige / 60-65 Jährige) sind zudem nochmals starke örtliche Unterschiede auszumachen. Arbeitslosenquoten nach genauen Altersgruppen im Vergleich 1997 und 2007 in Prozent 45 – 50 Jahre 50 - 55 Jahre 55 – 60 Jahre 60 – 65 Jahre Gesamtquote BRD West (ohne Berlin) 1997 2007 5,0 9,3 6,4 10,9 13,4 12,1 13,4 4,2 6,4 9,7 BRD Ost (mit Berlin) 1997 2007 19,6 18,8 21,6 20,9 33,7 22,1 20,8 4,7 20,4 19,1 Quelle: Dietz 2008 Insgesamt haben sich die Beschäftigungschancen für Ältere im vergangenen Jahr verbessert und die Quote der älteren Arbeitnehmer in der Arbeitslosenstatistik sinkt. Diese Entwicklung ist umso bemerkenswerter, da der Anteil der Älteren an der Gesamtbevölkerung steigt. Gründe für die dennoch steigende Erwerbsquote liegt wie bereits mehrfach erwähnt auch im Rückgang der Bezugsdauer der Sozialleistungen, im Absinken des Rentenniveaus und auch in einer stagnierenden bzw. fallenden Reallohnquote, was vor allem viele Frauen dazu motiviert „hinzuzuverdienen“. Zwar profitieren ältere Arbeitslose auch von einem Konjunkturaufschwung, dennoch sind sie mit 66,9 Wochen im Vergleich zu allen Arbeitslosen (41,9 Wochen) wesentlich länger arbeitslos. 54,3 Prozent der älteren Arbeitslosen sind seit über einem Jahr arbeitslos (Langzeitarbeitslose), bei allen Arbeitslosen liegt dieser Anteil bei nur 39,1 Prozent (Bundesagentur für Arbeit 2007). Ein Beschäftigungsverlust im Alter erhöht demnach die Gefahr, immer länger oder sogar endgültig vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen zu werden. Zudem findet sich hier die Bestätigung des, im Zusammenhang mit Ältern Arbeitnehmern immer wieder diskutierte „Defizitmodells“, das in den Köpfen der Personalverantwortlichen noch weit verbreitet zu sein scheint (Maintz 2002, Frai, Thiehoff 2007). Wird das Alter in Beziehung zur beruflichen Qualifikation gesetzt, fällt auf dass es in erster Linie die gut ausgebildeten Personen sind, die lange im Berufsleben verweilen und dass bei den Hochqualifizierten die Erwerbstätigenquote bis zum Renteneintritt auf einem relativ hohen Niveau bleibt. Bei den Hochqualifizierten und damit auch Gutverdienenden wird ein Zusammenhang zwischen dem berufliche Status und die Erwerbsneigung bis ins hohe Alter hinein sichtbar (Radl 2007). Im Gegensatz dazu tragen vor allem Ungelernte bereits mit 50 Jahren (Junge Alte) das größte Arbeitsmarktrisiko (vgl. Kapitel 3: Regionale Initiativen - 50 plus). 7 Erwerbstätigenquote nach Alter und Qualifikation im Jahr 2003 Niedrige Qualifikation (ohne Berufsabschluss) Mittlere Qualifikation Berufliche Ausbildung Berufliche Ausbildung + Meister/Techniker Höhere Qualifikation Fachhochschul/Universitätsabschluss 50-54 Jahre 55-59 Jahre 60-64 Jahre 56,0 % 48,6 % 23,2 % 78,3 % 69,0% 33,3 % 91,4 %91 86,0 % 50,5 % 91,2 % 89,9 % 67,4 % Quelle: IAB Kurzbericht 2006, S. 5 Die Älteren und Geringqualifizierten sind darüber hinaus doppelt Leidtragende einer betriebswirtschaftlichen Entwicklung innerhalb der Unternehmen: War es den Firmen ehemals möglich ältere und auch leistungsschwächere Arbeitnehmer in sogenannte „Schonbereiche“ zu versetzten, ist dies heute kaum noch möglich. Durch die immer noch anhaltend betriebliche Auslagerung weniger qualifizierter Arbeiten (Lager, Logistik, Postdienste…) zu Fremdfirmen oder zu Leiharbeitnehmern verschärft sich die Arbeitsplatzsituation dieser Arbeitnehmer. 1.3. Geschlechtsspezifische Arbeitsmarktchancen Zwar ist seit 2003 die Erwerbsbeteiligung der 55-64 Jährigen insgesamt angestiegen, jedoch mit einer deutlichen Geschlechterdifferenz. Über die vergangenen zehn Jahre liegt die Erwerbsquote der Frauen unterhalb der Erwerbsquote der Männer. Die Gründe hierfür sind vielfältig und liegen auch begründet in der immer noch traditionellen Rollenverteilung und der seit Jahren anhaltenden Entwicklung, dass vielfach die Frauen trotz ihres zumeist jüngeren Alters zeitnah zusammen mit ihren älteren Partnern in Rente gehen (Wanger 2006). Bisher wird dieser vorzeitige Renteneintritt der Frauen noch durch eine besondere Altersrente erleichtert, eine Abschaffung dieser „Frauen-Regelung“ ist für das Jahr 2012 bereits geplant. Dann können Frauen ebenfalls erst mit 65 Jahren ohne Abschläge in die Rente eintreten, was langfristig die Erwerbsbeteiligung von Frauen stärker ansteigen lässt als die der Männer. Fand der Anstieg der Erwerbstätigenquote bei Männern in den vergangenen Jahren überwiegend in der Altersgruppe der 58- bis 63-jährigen statt (Brussig, Wojtkowski 2008, S. 5), hat sie bei Frauen in allen Altersgruppen gleichermaßen (vor allem seit dem Jahr 2000) zugenommen, was ebenfalls ursächlich mit dem Absinken des Rentenniveaus in Zusammenhang steht. Beschäftigungsquote Älterer Arbeitnehmer in Prozent Beschäftigungsquote gesamt Männer Frauen 1997 38.1 43.6 28.7 2000 37.6 46.4 29.0 Quelle: EuroStat 2007 8 2003 39.9 48.2 31.6 2007 51.5 59,7 43.6 Auch der Anstieg der Männer-Erwerbstätigenquote ist auf die zunehmende Wirksamkeit von Abschlägen bei vorzeitigem Rentenbeginn zurückzuführen, welche besondere Anreize für einen längeren Verbleib im Arbeitsleben setzt. Die statistisch geänderte Erfassung von Personen in Altersteilzeit währen der Freistellungsphase (vgl. Kap 1. – ILO Konezept) trägt ebenfalls dazu bei, dass die Erwerbsquote unter Männern noch relativ hoch erscheinen. 1.4. Weiterbildung von älteren Arbeitnehmern Weiterbildung sollte generell und insbesondere vor dem Hintergrund des Demographischen Wandels einen sehr hohen Stellenwert in den Betrieben einnehmen. Doch bereits weit vor dem 50. Lebensjahr ist eine gewisse „Weiterbildungsmüdigkeit“ feststellbar, obwohl dies der einzige Weg ist, einer möglichen Dequalifizierung entgegenzuwirken, welche aufgrund eines strukturellen und inhaltlichen Wandels der Arbeitsanforderungen zwangsläufig eintritt (Frerichs 2005, S. 52, vgl. Kap. 3 - „Programm WeGebau“). Quelle: TNS Infratest 2007; entnommen aus Dietz 2008 Die Gründe für den Rückgang bereits ab dem 40. Lebensjahr sind neben fehlender Motivation auch bildungsökonomische Überlegungen, d.h. Investitionen in Bildung werden mit zunehmenden Alter von betrieblicher wie auch von individueller Seite als nicht mehr notwendig oder kaum lohnend angesehen und lassen so besonders bei älteren Arbeitnehmern ab 50 Jahren eine Investition in die Weiterbildung bei begrenztem Verbleib im Betrieb als nachrangig erscheinen (Behringer 2002). Vergessen wird dabei aber, dass mit dieser steigenden „Verweigerungsquote“ bei zunehmendem Alter auch die Chancen auf Einbindung in Qualifizierung- und Entwicklungsmöglichkeiten verloren gehen und die „Lernkompetenzen“ weiter reduziert werden. Neben dem allgemeinen Absinken der Weiterbildungsquote in allen Altersgruppen, ist auch ein Mangel an passenden Weiterbildungsangeboten feststellbar, welche auf die Lernbedürfnisse und Lerngewohnheiten älterer Erwerbstätiger abgestellt sind und was die verhaltende Teilnahmequote Älterer Arbeitnehmer zumindest zum Teil erklären würde. Seitens der Firmen wird dieser Mangel an zielgruppenadäquaten Weiterbildungsmöglichkeiten bisweilen 9 mit dem Argument zurückgewiesen, dass sich ältere Arbeitnehmer durch spezifische Weiterbildungsangebote für ihre Altergruppe diskriminiert fühlen könnten und sie diese nicht in Anspruch nehmen würden (vgl. 4.1.2.). Älter Betriebliche Maßnahmen für ältere Arbeitnehmer in Betrieben Anteil der Betriebe in Prozent (Mehrfachnennung möglich. Grundgesamtheit sind Betriebe, welche 50 Jährige und Ältere beschäftigen) 2002 2006 Betriebe mit Maßnahmen Altersteilzeit Besondere Ausstattung der Arbeitsplätze Herabsetzung der Leistungsanforderungen Altergemischte Gruppen Einbeziehung in betriebliche Weiterbildungsaktivitäten Spezielle Weiterbildungsangebote 19 177 11 10 2 1 3 2 6 5 6 5 1 1 Quelle: IAB Betriebspanel 2002 und 2006 Ein Vergleich zeigt, dass Betriebe ihre Maßnahmen für ältere Arbeitnehmer eher reduzieren (2002: 19 Prozent; 2006: 17 Prozent) als aufzubauen und dass auch die Einbeziehung der älteren Arbeitnehmer in betriebliche Weiterbildungsaktivitäten abnimmt (2002: 6 Prozent; 2006: 5 Prozent). Für die Mehrheit der Betriebe gilt, dass die Altersteilzeit immer noch als das am meisten geeignete Instrument für den Demographischen Wandel angesehen wird. Maßnahmen für ältere Arbeitnehmer in Betrieben nach der Betriebsgröße in Prozent (2006) Betriebliche Maßnahmen Betriebesgröße 20-99 Betriebsgröße 100-499 Betriebsgröße ab 500 Einbeziehung in Weiterbildung 11 24 42 Betriebe mit Maßnahmen 36 71 92 Spezielle Weiterbildungen für ältere Arbeitnehmer 1 2 7 Quelle: IAB-Betriebspanel 2006 Spezifische Weitebildungsangebote für ältere Arbeitnehmer existieren auf die Gesamtheit gesehen nur in sehr wenigen Betrieben (2002 und 2006: 1 Prozent) (IAB Betriebspanel 2002 und 2006). Unter Berücksichtigung der Betriebsgröße wird deutlich, dass in KMU (klein- und mittelgroßen Unternehmen) die Initiativen für ältere Arbeitnehmer geringer sind als in größeren Betrieben, auch wenn die Zahl mit nur 7 Prozent ( Betriebe mit über 500 Beschäftigten) immer noch niedrig ist (Bellmann, Leber u.a. 2007). Eine Herausforderung für die Zukunft wird es daher sein, passgenaue Weiterbildungsangebote für ältere Arbeitnehmer bereitzustellen, welche ohne Vorbehalte angenommen werden (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2005) oder das Recht auf Weiterbildung in den Tarifvertrag zu verankern.2 Die geringe Zahl an betrieblichen Maßnahmen, insbesondere der Weiterqualifizierung älterer Arbeitnehmer, wird bereits mittelfristig zu Problemen bei den Betroffnen und in den Betrieben vor Ort führen (Barkhold 2002, S. 27f.): 2 Der Tarifvertrag der Textil- und Bekleidungsindustrie hat das Recht auf Weiterbildung incl. einer Weiterbildungsabgabe im Tarifvertrag verankert, da dort erkannt wurde, dass Anpassungsweiterbildung unverzichtbar sind und dass eine systematische Förderung und Weiterentwicklung von beruflichen Kompetenzen notwendig ist (Tarifvertrag Textil- und Bekleidung 2004). 10 - - - Durch einseitige physische und psychische Arbeitsbelastungen, aber auch zu niedrigen Qualifikationsanforderungen kommt es zu einem frühzeitigen Verschleiß der älteren Belegschaft. Den Betrieben fehlt es an Konzepten zur Gestaltung des Erwerbsverlaufs, welche Vorsorgeund Ausweichmöglichkeiten bieten. Auch bei den Beschäftigten selbst mangelt es an einem kritischen Bewusstsein über die Belastungen ihrer Tätigkeit. Es kommt zu einer Entstehung von altersbezogene Belegschaftssegmentierung und Spezialisierungsfallen, indem ältere Beschäftigte zumeist für auslaufende Produkte und Produktionslinien eingesetzt werden. An Produkt- oder Prozessinnovationen nehmen zumeist nur jüngeren Mitarbeiter teil. Als Grund wird angeführt, dass die Älteren ihre Erfahrungen einsetzen könnten und zudem dem Betrieb Kosten für Qualifizierungsmaßnahmen erspart bleiben. Probleme treten jedoch dann auf, wenn eine „alte“ Produktionslinie eingestellt wird. In den meisten Betrieben ist der Großteil der Belegschaft zwischen 30 und 50 Jahre alt, was langfristig zu einer kompakten Alterung der gesamten Belegschaft führt. Diese Situation erschwert eine generationenübergreifende Personalpolitik und so entstehen Probleme des Wissens- und Erfahrungstransfers zwischen den Generationen. Oft mangelt es an Möglichkeiten, durch Neueinstellung von Nachwuchskräften neues Wissen zu generieren. aber auch besteht die Gefahr bei einer Verrentung im großen Ausmaß, dass das Erfahrungswissen der Älteren nicht an Jüngere weitergegeben wird. 2. Ältere Arbeitnehmer in unterschiedlichen Branchen 2.1. Die Erwerbsquote älterer Arbeitnehmer Ein erster Überblick über die Beschäftigungszahlen in den Branchen Metall, Banken, Textil-/Bekleidung und Bau macht bereits die Unterschiede in der Beschäftigungsquote der 50-65 Jährigen deutlich. Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und Beschäftigungsquote der 50-65 Jährigen zum 31.12.07 Insgesamt Beschäftigte Baugewerbe Textil- und Bekleidung Metallerzeugung, Metallbearbeitung, Herstellung von Metallerzeugnissen Kreditgewerbe Davon 50 bis unter 65 Jahre 1.500.631 127.009 absolut 306.181 38.150 1.106.295 276.955 665.788 152.657 In Prozent 20,4 30,0 25,0 22,9 Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2008 Besonders fällt auf, dass die Branchen Textil-/Bekleidung einen relativ hohen Anteil Älterer Arbeitnehmer beschäftigten, die Branchen Bau und Kreditgewerbe dagegen eine auffallend niedrige Beschäftigungsquote Älterer aufweisen. Die Ursachen für die sehr unterschiedlichen Beschäftigungsquoten sind 11 branchenspezifisch und lassen auch Rückschlüsse auf die in den Branchen vorherrschende Unternehmenskultur und die dortige Auftragslage zu. 2.1.1. Baugewerbe Das Baugewerbe erlebte in den vergangenen Jahren einen starken Konjunkturaufschwung und die Auftragsbücher in der Bauwirtschaft sind immer noch prall gefüllt (Deutsche Bauindustrie 2008). Dies hat zur Folge, dass auch die Branche auf ältere Fachkräfte nicht verzichten kann und es somit nicht zu einem Stellenabbau, sondern vermehrt zu einem Stellenaufbau kommt. Davon profitieren nicht zuletzt auch die älteren Arbeitnehmer, obwohl gerade das Baugewerbe aufgrund seiner spezifischen Bedingungen (starke körperliche Belastung, Witterung, Umgang mit gefährlichen Stoffen, hohe Unfallgefahr) im Verhältnis zu anderen Branchen durch eine relativ junge Belegschaft gekennzeichnet ist. Durchschnittsalter im Baugewerbe 1997- 2000- 2007 in Prozent Poliere/Meister Gewerbliche Arbeitnehmer gesamt (m + w) Gewerbliche Arbeitnehmer (nur weiblich) Angestellte Gesamtdurchschnittalter 1997 (nur West) 47,9 39,1 2000 (BRD gesamt) 45,90 39,75 2007 (BRD gesamt) 46,34 40,43 43,5 k.A. 44,26 41, 4 42,62 (m) 41,01 (w) 39,3 43,23 (m) 42,27(w) 40,1 39,7 Quelle: SOKA-Bau, Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes, Wiesbaden. Das Durchschnittsalter bei jenen, die eine Vorgesetztenfunktion erfüllen (Meister und Poliere) liegt mit über 45 Jahren deutlich höher, als bei jenen die keine Vorgesetztenfunktionen erfüllen deren Durchschnittsalter bei knapp 40 Jahren liegt. Die hohe körperliche Belastung zeigt sich daran, dass bei steigendem Alter die Beschäftigten der Baubranche überdurchschnittlich häufig aufgrund von Erkrankungen des Bewegungsapparates ausscheiden (AOK Hessen 2003). Diese branchenspezifische Auffälligkeit wird zwar erst ab dem Alter von 49 Jahren evident, da sich vorher die Branchen hinsichtlich der auftretenden Arbeitsunfähigkeitstage kaum unterscheiden, aber ab diesem Zeitpunkt hat die Baubranche einen massiven Anstieg der Krankheitstage zu verzeichnen. Dies mag mit ein Grund sein, warum die Baubranche ein Hauptakteur der Beschäftigungsinitiative INQA (Initiative Neue Qualität der Arbeit) ist (vgl. 3.2). 2.1.2. Metallbranche Die Metall- und Elektrobranche ist seit Jahren eine Boombranche, was sich zum einen an den Lohnabschlüssen der vergangen Jahre, aber auch an dem sehr hohen Beschäftigungsgrad von Leiharbeitern ablesen lässt. Von dieser sehr guten Auftragslage profitieren auch ältere Arbeitnehmer und so zeigt sich die Alterstruktur in der Metall- und Elektrobranche sehr viel differenzierter. Auffallend ist, dass die Alterstruktur in kleinen wie in größeren Betrieben sehr ähnlich ist, d.h. die Betriebsgröße hat in dieser Branche scheinbar kaum 12 Einfluss auf die Bereitschaft (Gesamtmetall 2004). ältere Arbeitnehmer zu beschäftigen Sozialversicherungspflichtige Beschäftigte in der M+E- Branche3 nach dem Alter in Prozent: Unter 40 Jahre 40-49 Jahre 50-59 Jahre 60 und älter 1999 53,4 26,6 17,9 2,1 2004 47,5 30,4 18,9 3,3 2006 43,7 32,4 20,8 3,1 2007 42,7 32,6 21,3 3,2 Quelle: Arbeitgeberverband Gesamtmetall Die Zeitreihe macht deutlich, dass die heutige Belegschaft im Rahmen eines starken Stellenaufbaus in den 90er Jahren aufgebaut wurde und nun mit dem Konjunkturboom und den Firmen „älter“ wird. So schrumpfte der Anteil der unter 40 Jährigen in den vergangen 8 Jahren um mehr als 10 Prozentpunkte von 53,4 (1999) auf 42,7 Prozent (2007); den stärksten Zuwachs erfuhr die Gruppe der 40 bis 49 jährigen mit plus 6 Prozentpunkte. Auch die Altersklassen ab 50 haben über die Jahre hinweg stetig zugenommen. Diese „Alterung der M+E Branche“ wird vor dem Hintergrund des jetzt schon sichtbaren Fachkräftemangels nur durch eine verstärkte Ausbildungsbereitschaft in den Betrieben selbst aufzufangen sein, denn der Zusammenhang zwischen dem Demographischen Wandel und einem Fachkräftemangel zeigt sich in dieser Branche jetzt bereits besonders deutlich. 2.1.3. Bankengewerbe Nachdem in den 90er Jahren die Mitarbeiteranzahl im Bankengewerbe noch aufgebaut wurde, kam es vor allem seit dem Jahr 2000 zu einem massiven Stellenabbau in der Kreditbranche. Eine Vielzahl von Fusionen und Einsparmaßnahmen reduzierten die Stellen von 779 450 (1994) auf nunmehr 681 300 im Jahr 2006. Dies ist ein Rückgang innerhalb von 12 Jahren um mehr als 12,5 Prozent und mit weiterem Stellenabbau ist zu rechen4. Beschäftigte im privaten und öffentlichen Kreditgewerbe 1991-2006 1991 1994 1995 2000 2006 2007 Beschäftigtenzahl jeweils zum 31.12. 744 800 779 450 778 250 774 550 681 300 665 788 Quelle: Arbeitgeberverband Banken und Bundesagentur für Arbeit 3 In vielen Statistiken der BRD wird die Metall -und Elektrobranche zusammengefasst, da beide Branchen von den gleichen Sozialpartnern vertreten werden. 4 Die italienische Großbank Unicredit meldet, dass bei ihrer deutschen Tochter Hypo-Vereinsbank weitere 2000 Stellen gestrichen werden sollen (SZ, 27.06.08). Die Bayern LB streicht bis zu 350 Stellen (SZ, 18.06.08). 13 Der Abbau der Arbeitsplätze fand dabei bisher vor allem über die Nutzung der Altersteilzeit und die Möglichkeit des Vorruhestandes statt, was zu einer stetigen Verjüngung der Bankenbranche führte. Altersteilzeit und Vorruhestand im privaten Bankgewerbe Jährliche Neueintritte in die Altersteilzeit in Zahlen Gesamtbestand Altersteilzeit in Prozent des Stammpersonals am Jahresende Jährliche Neueintritte in den Vorruhestand in Zahlen Gesamtbestand Vorruhestand in Prozent des Stammpersonals am Jahresende 1997 2001 2003 2004 2006 k.A. 1340 1460 1520 513 k.A. 2,00 % 3,57 % 3,73 % 2,60 % 2756 1218 1527 955 447 3,91 % 2,65 % 3,30 % 3,00 % 2,54 % Quelle: Arbeitgeberverband Banken Der Anteil derjenigen im Bankgewerbe, welche die Möglichkeit der Altersteilzeit nutzen liegt im privaten Bankgewerbe bei jährlich über 2 Prozent: Den Höchststand erreichte die Zahl im Jahr 2004, wo 3,73 Prozent der Stammpersonal-Beschäftigen die Möglichkeit nutzten durch die Altersteilzeit frühzeitig aus dem Arbeitsleben auszuscheiden. Das Modell „Blockbildung“ wird mit 94,2 Prozent im Bankengewerbe überdurchschnittlich häufig genutzt wird und liegt weit über dem Durchschnitt aller anderen Branchen (87,8 Prozent, Bundesagentur für Arbeit 2007). Auch die Möglichkeit des Vorruhestandes wurde in den vergangen Jahren von 2,54 Prozent (2006) bis zu 3,91 Prozent (1997) (Arbeitgeberverband Banken) der Beschäftigten genutzt, um aus dem Arbeitsleben auszuscheiden. Ein Blick in die Statistik der Genossenschaftsbanken (Volk- und Raiffeisenbanken) zeigt ein ähnliches Bild, denn auch hier waren die letzten Jahre geprägt von Fusionswellen, welche Stellenabbaumaßnahmen zur Folge hatten von denen vor allem ältere Arbeitnehmer betroffen waren. Das Modell der Altersteilzeit erhielt dabei eine steigende Bedeutung und der Bestand der Beschäftigten, welche über Altersteilzeit aus dem Betrieb aussteig, wuchs von 2001 bis 2005 von 1,9 Prozent auf ca. 4,9 Prozent. Der Vorruhestand dagegen blieb zwischen 2001 und 2005 bei ca. 0,8 Prozent auf gleichbleibendem Niveau (Arbeitgeberverband der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (AVR) 2005). Neben dem Stellenabbau aufgrund von Fusionen und Verlagerungen, führen auch die psychischen Belastungen im Kreditwesen zu einem vermehrten Berufsausstieg. Tägliche oder wöchentliche Umsatzabfragen sind keine Seltenheit, anspruchsvolle Umsatzvorgaben und die Ausdünnung der Personaldecke stellen für die Mitarbeiter hohe Belastungen dar und veranlassen vor allem ältere Arbeitnehmer zu einem frühen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Umfragen der Gewerkschaft ver.di zeigen, dass die psychische Belastung zwischen 1995 und 2008 in der Bankenbranche stark angewachsen ist. Eine im Frühjahr 2008 durchgeführte Umfrage, an der sich 3350 Mitarbeiter von 41 Banken und Sparkassen in Hessen beteiligt haben, ergab, dass 80 Prozent über Stress am Arbeitsplatz klagen; 1995 lag dieser Wert bei nur 50 Prozent. Ebenso gaben im Frühjahr 2008 44 Prozent der Befragten an, sie 14 hätten wegen ihrer Tätigkeit gesundheitliche Schwierigkeiten und mehr als drei Viertel befürchteten eine Gefährdung ihrer Gesundheit, wenn die Anforderungen noch weiter steigen sollten (FAZ 18.03.08). 2.1.4. Bekleidung und Textil Seit Ende der 70er Jahre kam es in der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie zu einer stetigen Verschärfung des Strukturwandels, was einen immensen Rückgang der Beschäftigten nach sich zog. Die Ursachen dafür waren der zunehmende Wettbewerb und der damit verbundene Zwang zur Produktivitätssteigerung. Vor allem im Bekleidungssektor machten die wachsenden billigen Importe eine kostendeckende Produktion in der BRD kaum noch möglich, so dass die deutschen Bekleidungshersteller ihre Produktion überwiegend ins Ausland verlagerten oder ganz einstellten. Die Bekleidungsbranche war damit eine der ersten, die auf Internatonalisierungsprozesse reagierte (Nierling, Bechmann 2007) und eine Art Vorreiterrolle für andere Wirtschaftsbereiche inne hatte. Die so stark dezimierte Beschäftigtenzahl führte dazu, dass sich auch die Gewerkschaft Textil und Bekleidung (GTB) 1997 auflöste und die Beschäftigten nunmehr von der IG Metall vertreten werden. Zahl der Betriebe und Beschäftigten im Bekleidungsgewerbe (1965-2007): Zahl der Betriebe Zahl der Beschäftigten5 1965 5500 ca. 380.000 2000 549 66 199 2004 408 44 732 2007 k.A. 34 236 Quelle: Merkel 2004 und Gesamtverband Textil und Mode 2006, 2008 Zahl der Betriebe und Beschäftigten im Textilgewerbe (2000-2007): Zahl der Betriebe Zahl der Beschäftigten6 2000 1 049 2004 880 2007 k.A. 69 041 Quelle: Gesamtverband Textil und Mode 2006, 2008 Dass ein Drittel der Beschäftigten der Textil- und Bekleidungsindustrie (vgl. 2.1.) älter als 50 Jahre ist, hat seine Ursache darin, dass viele der Arbeitnehmer (vor allem in der Textilbranche) gewissermaßen „mit ihren Betrieben alt geworden sind“ und kaum Neueinstellungen im Bekleidungsgewerbe zu verzeichnen waren. Ein Blick in einzelne Betriebe in Südbayern macht deutlich, wie stark differenziert die Branche auch in sich ist. 5 An dieser Stelle sei noch auf die divergierenden Beschäftigtenzahlen zum Kap. 2.1. hingewiesen, welche dort von der Bundesagentur für Arbeit zusammengestellt wurden. Diese Zahlen hier beziehen sich auf die Angaben des größten Arbeitgeberverbandes in der Branche, woraus zu schließen, dass eine Vielzahl von Betrieben nicht im Gesamtverband Textil und Mode eingebunden sind. Dadurch sind sie nicht an die vom Verband ausgehandelten Tarifverträgen gebunden und können somit billiger produzieren. 6 Vgl. Fußnote 4 15 Bekleidungshersteller in der Region 10: Beschäftigte Durchschnittalter Fa. Rosner 315 45 Fa. Bäumler 140 37 Fa. Goldix 55 50 Fa. Zorn 400 43 Quelle: Seehars 2007 Textilunternehmen in der Region 10 – Automobilzulieferer: Beschäftigte Durchschnittalter Fa. Faurecia 1200 34,5 Fa. Ideal 200 35 Quelle: Seehars 2007 Die Bekleidungsfirmen weisen eine sehr gemischte Alterstruktur auf mit der Tendenz zu einem Durchschnittsalter über 40 Jahren, während sich in der Textilbranche ein völlig anderes Bild zeigt: Die beiden Automobilzulieferer Faurecia und Ideal stellen Textilprodukte für die Automobilbranche her (Sitze, Türverkleidungen, Dämmmatten) und sind in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Aufgrund der schweren Arbeitsbedingungen werden in erster Linie junge und körperlich kräftige Mitarbeiter bevorzugt einstellt, was dazu führt, dass der Altersdurchschnitt auffallend jung ist, auch im Verhältnis zu anderen Industriezweigen. 2.2. Personalmaßnahmen für ältere Arbeitnehmer Das Angebot an altersspezifischen Personalmaßnahmen ist von der Betriebsgröße wie auch von den jeweiligen betrieblichen Altersstrukturen abhängig (Brussig 2005), weniger stark dagegen von der Branche. Altersspezifische Personalmaßnahmen sind in größeren Betrieben eher anzutreffen als in kleineren, was auch seine Ursache darin hat, dass Klein- und Mittelbetriebe (KMU) über weniger flexible Zeit- und Ressourcenmöglichkeiten verfügen als größere Betriebe, aber auch eine geringer ausdifferenzierte Personalpolitik betreiben. Andere Vermutungen gehen davon aus, dass in kleineren Betrieben mit einem hohen Älterenanteil das Thema „Alter“ weniger stark problematisiert wird und dort auch weniger oder keine speziell auf Ältere zugeschnittenen Maßnahmen entwickelt werden. Generell ist festzustellen, dass es sich bei den Betrieben mit einem hohen Älterenanteil zumeist um kleinere Betriebe handelt (Brussig 2005), nur für die M+E Branche (vgl. 2.1.2) ist zu konstatieren, dass die Altersverteilung dort sehr unabhängig von der Betriebsgröße ist. Wie sich das Angebot an altersspezifischen Personalmaßnahmen nach Wirtschaftszweigen darstellt geht aus der nachfolgenden Tabelle hervor. Immer noch zeigt sich, dass Altersteilzeit mit weitem Abstand die am meisten altersspezifische eingesetzte Personalmaßnahme ist. Altergemischte Arbeitsgruppen und Weiterbildungsmaßnahmen folgen erst in weitem Abstand. Ebenfalls sehr gering ist die besondere Ausstattung der Arbeitsplätze nach den Bedürfnissen älterer Arbeitnehmer. 16 Angebot altersspezifischer Personalmaßnahmen nach Branchen* (Anteil der Betriebe in % ) * Das Bankgewerbe ist dabei dem Handel der Dienstleistungsbranche, der Metall- und Textilsektor dem Produzierenden Gewerbe zuzurechnen. Legende: A= Altersteilzeit C= Herabsetzung der Leistungsanforderungen E= Einbezug in betriebliche Weiterbildungsaktivitäten G= Andere Maßnahmen B= Besondere Ausstattung der Arbeitsplätze D= Altersgemischte Arbeitsgruppen F= Spezielle Weiterbildungsangebote Quelle: IAB-Betriebspanel 2002. Entnommen aus: Bellmann, Leber u.a. 2006, S. 86 Über alle Branchen hinweg fällt auf, dass die spezifische Personalmaßnahme „Weiterbildung für Ältere“ ähnlich gering ausfällt (vgl. auch Kap. 1.4), wobei größere Betriebe mehr Weiterbildungsangebote für ihren älteren Mitarbeiter anbieten als KMUs. Dies mag daran liegen, dass Großbetriebe generell mehr Weiterbildung anbieten, da sie eher stunden- oder tageweise auf einzelne Arbeitnehmer verzichten können als Kleinbetriebe. Daher darf aus der höheren Weiterbildungsquote in Großbetrieben nicht unbedingt auf ein stärkeres Engagement und eine höhere Sensibilisierung im Umgang mit älteren Arbeitnehmern geschlossen werden. 40 Prozent der Betriebe mit 1000 und mehr Beschäftigten in Westdeutschland und mit 500 bis 999 Beschäftigten in Ostdeutschland geben an, ältere Mitarbeiter in Weiterbildungen mit einzubeziehen, wobei die Verbreitung spezieller Weiterbildungsmaßnahmen für Ältere auch in Großbetrieben eher gering ist: Der Anteil der Betriebe mit spezieller Weiterbildung für Ältere ist in den Betrieben mit 1000 und mehr Beschäftigten mit 5 Prozent (West) und 7 Prozent (Ost) zwar überdurchschnittlich hoch, bewegt sich aber dennoch auf einem niedrigen Niveau (Bellmann, Leber u.a. 2006, S. 87). Die Autoren sind sich uneinig darüber, ob dies daran liegt, dass die Betriebe spezielle Maßnahmen für Ältere als nicht notwendig erachten, oder ob andere Faktoren (Kostengründe o.ä.) hierfür verantwortlich sind. Die geringe Einbeziehung der älteren Arbeitnehmer hat zwangsläufig zur Folge, dass diese von technischen Innovationen ausgeschlossen werden und sich somit ihr Arbeitslosigkeitsrisiko erhöht. Oft sind es, so Bellmann, Leber u.a. (ebd.), zumeist die gleichen Betriebe, welche sich in mehrfacher Hinsicht engagiert dem Demographischen Wandel widmen, d.h. Betriebe, welche altersgemischte Arbeitsgruppen fördern, legen 17 auch Wert auf eine spezifische Ausstattung für Arbeitsplätze Älterer und sind darüber hinaus auch bestrebt ihre älteren Mitarbeiter in Weiterbildungsmaßnahmen mit einzubeziehen. Dies bestätigte sich auch in der für diese Studie durchgeführte qualitative Umfrage unter Unternehmen verschiedener Branchen. 3. Nationale und Regionale Initiativen für ältere Arbeitnehmer 3.1. Perpektive 50 plus Seit November 2005 fördert die Bundesregierung das Programm „Perspektive 50 plus - Beschäftigungspakte für Ältere in den Regionen"7, welches zum einen das Ziel verfolgt die Beschäftigungsmöglichkeiten Älterer auszubauen, zum anderen aber für Firmen auch Anreize schaffen will, vermehrt Ältere einzustellen. In der 1. Phase (2005-2007) wurden 62 innovative Modellprojekte von knapp hundert Arbeitsgemeinschaften und kommunalen Trägern mit 250 Millionen Euro gefördert, in der 2. Programmphase (2008 - 2010) beläuft sich die Förderung auf 275 Millionen Euro. Während der 1. Phase wurden bundesweit 62 regionale Beschäftigungspakte zur beruflichen Wiedereingliederung älterer Langzeitarbeitsloser unterstützt, wodurch mehr als 10.100 ältere Langzeitarbeitslose in den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert werden konnten. Zudem wagten 600 ältere Langzeitarbeitslose den Schritt in die Existenzgründung, rund 1.200 sind in Mini-Jobs (400 Euro-Jobs) oder Midi-Jobs (800 Euro-Jobs) beschäftigt und ca. 1.100 fanden im Bereich der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung eine neue Chance auf dem Arbeitsmarkt. In der 2. Phase wurden die Beschäftigungspakte regional nochmals ausgeweitet, so dass nun insgesamt 194 Arbeitsgemeinschaften und zugelassene kommunale Träger am Bundesprogramm beteiligt sind. Bewerben können sich Regionen, welche im Rahmen eines Ideenwettbewerbs ausgewählt werden und das Ziel verfolgen ältere Langzeitarbeitslose in den allgemeinen Arbeitsmarkt einzugliedern. Das Programm basiert auf einem regionalen Ansatz, der die lokalen und regionalen Besonderheiten bei der Wahl der Integrationsstrategie berücksichtigt. Partner in den regionalen Netzwerken sind neben den Unternehmen auch Kammern und Verbände, kommunale Einrichtungen und Bildungsträger, Politik, Gewerkschaften, Kirchen und Sozialverbände. Ebenso kooperieren in dem Projekt die ortsansässigen Arbeitsagenturen (Job-Center) mit den lokalen Zeitarbeitsfirmen, um den schwankenden Personalbedarf von Unternehmen ganz gezielt mit Arbeitnehmern über 50 Jahren zu besetzen (Süßbauer 2008). Der gewählte Ansatz führt dazu, dass ein breites Spektrum an Modellen und Instrumenten, die jeweils an die regionalen Bedingungen angepasst sind, zum Einsatz kommen. Durch die intensive fachliche Begleitung, die programmbegleitende Evaluierung sowie den überregionalen Austausch von Informationen und Erfahrungen zwischen den Projekten können Strukturen entstehen, die über die jeweiligen Regionen und über die Förderdauer hinaus dauerhaft die Integration Älterer in den allgemeinen Arbeitsmarkt unterstützen. Sie können dabei helfen, besonders erfolgreiche Projekte und Ansätze zu identifizieren, welche dann die Grundlage für bundesweite Strategien und Lösungen sein können (Jakob, Kolf 2007). Doch auch hier zeigt sich das bereits 7 www.perspektive50plus.de 18 im Kap 1.3. aufgezeigte Dilemma: Kaum vermittelbar sind Ältere ab 55 Jahren ohne Qualifizierung. Die jährliche Auszeichnung "Unternehmen mit Weitblick", welche an Unternehmen vergeben wird die in ihrer Personalpolitik über einschlägige Erfahrungen mit alternden Belegschaften oder mit der Einstellung älterer Arbeitnehmer/-innen verfügen, soll die Attraktivität des Programms bei den Unternehmen erhöhen und die Firmen für den Demographischen Wandel sensibilisieren. 3.2. Initiative Neue Qualität der Arbeit (RehaBau, Demographielotsen) Die Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA)8 ist eine im Jahr 2002 gestartete Gemeinschaftsinitiative von Bund, Ländern, Sozialpartnern, Sozialversicherungsträgern (Unfall- und Krankenversicherung), Stiftungen und Unternehmen. Ziel ist es, gute Arbeitsbedingungen zu schaffen und dabei die Interessen der Beschäftigten und der Unternehmen miteinander zu verbinden. Die Unternehmen bilden die Hauptzielgruppe von INQA und sollen dafür sensibilisiert werden, dass eine systematische Gesundheitsförderung und eine mitarbeiterorientierte, wertschätzende Unternehmenskultur ein wirtschaftlicher Erfolgsfaktor ist. Die Initiative sieht sich als Plattform für Entwicklung, Austausch und Transfer des Wissens, welche heute Unternehmen im globalen Wettbewerb brauchen, um den damit verbundenen Herausforderungen besser begegnen zu können. Zudem ist es ein Anliegen der Netzwerkpartner, eine gesellschaftliche Debatte zum Thema Zukunft der Arbeit initiieren zu und so deutlich machen, dass am Arbeitsmarkt Quantität und Qualität der Arbeit untrennbar miteinander verbunden sind. INQA fördert Projekte und Praxisbeispiele von Unternehmen unterschiedlichster Branchen und initiiert ihren Erfahrungsaustausch und gemeinsame Kooperationen. Ein starker Partner in dem Netzwerk ist dabei die Bauwirtschaft, welche vor allem mit den Themen Gesundheitsförderung und Arbeitsschutz stark vertreten ist. Ein darin gefördertes Projekt für ältere Arbeitnehmer ab ca. 35 Jahren war das Projekt RehaBau 9, mit dem Ziel Bauhandwerker, die bereits Beschwerden haben und deren Arbeitsfähigkeit eingeschränkt ist, eine neuen und verbesserten Umgang mit ihrer Tätigkeit zu vermitteln, so dass sie möglichst lange erwerbstätig bleiben können. Das Programm wurde in enger Kooperation mit arbeitswissenschaftlichen und arbeitsmedizinischen Experten und einer Rheumaklinik durchgeführt (RehaBAu Abschlussbericht). Ab September 2008 wird im Rahmen der INQA-Initiative ein 18-monatiges Projekt gefördert, welches die Qualifizierung zum Demographie-Lotsen 10 unterstützt. Ziel dabei ist Personen zu Qualifizieren, welche in Betrieben in den Bereichen Arbeits- und Gesundheitsschutz tätig sind. Ebenso sollen Personalverantwortliche sowie Personal- und Organisationsberater/innen miteinbezogen werden. 8 http://www.inqa.de http://www.inqa.de/Inqa/Redaktion/Projekt-Datenbank/PDF/bau-berufsgenossenschafthamburg-abschlussbericht,property=pdf,bereich=inqa,sprache=de,rwb=true.pdf 10 http://www.inqa.de/Inqa/Redaktion/Zentralredaktion/PDF/Ausschreibungen/projektdemographie-lotsen-2008,property=pdf,bereich=inqa,sprache=de,rwb=true.pdf 19 9 3.3. Förderung beruflicher Weiterbildung - Programm WeGebAU Um dem Defizit in der beruflichen Weiterbildung entgegenzutreten und damit vor allem ältere Arbeitnehmer langfristig vor Arbeitslosigkeit zu schützen, wurde von der Bundesregierung das Programm WeGebAU11 (Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen) ins Leben gerufen. Das Programm hat das Ziel, kleine und mittlere Unternehmen bis 250 Beschäftigten bei der Qualifizierung ihrer Beschäftigten zu unterstützen. Zielgruppe dabei sind neben den Arbeitnehmern ab 45 Jahren auch gering qualifizierte Arbeitnehmer (ohne Berufsabschluss) und Arbeitnehmer mit Berufsabschluss, die aber seit mehr als 4 Jahren eine an- oder ungelernte Tätigkeit ausgeübt haben und daher in ihrem alten Beruf kaum noch Vermittlungschancen mehr haben. Im Rahmen des Programms werden den Betrieben, welche ihren Arbeitnehmern eine Weiterbildung ermöglichen, die Weiterbildungskosten erstattet. Dadurch soll die Anpassung beruflicher Qualifikationen an die aktuellen Erfordernisse des Arbeitsmarktes vorangetrieben werden, um so eine Erhöhung der dauerhaften Beschäftigung und eine längere Erwerbsfähigkeit zu erreichen. Von Januar bis Juni 2008 wurden insgesamt ca. 19.500 beschäftigte Arbeitnehmer gefördert, wobei 4200 Förderungen auf ältere Arbeitnehmer entfielen. Das Programm war zunächst nur wenig bei den Arbeitgebern bekannt, dies hat sich inzwischen jedoch verbessert und für das Jahr 2008 stehen Mittel in Höhe von 200 Mio. Euro zur Verfügung. Eine Weiterführung des Programms WeGebAU im Jahr 2009 ist geplant (Eiber 2008). 3.4. Sonstige Maßnahmen Die Arbeitslosenquote der Menschen ab 50 Jahren liegt bereits seit Jahren deutlich über der Gesamtarbeitslosenquote, auch wenn sich die Unterschiede inzwischen verringern (vgl. 1.2.). Zwar konnten von Januar bis September 2007 1,2 Mio. Ältere über 50 Jahren ihre Arbeitslosigkeit beenden (was einen Zuwachs von 5,6 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ausmacht), jedoch nimmt mit steigendem Alter die Vermittlungsquote weiter ab. Ältere über 50 Jahren beenden ihre Arbeitslosigkeit (ca. 29 Prozent) seltener als alle Arbeitslosen (ca. 36 Prozent) durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, sondern gehen trotz hoher Rentenabschläge letztlich ungewollt früher in den Ruhestand (Bundesagentur für Arbeit September 2007). Indiz dafür, dass es Älteren schwerer fällt nach einer Phase der Arbeitslosigkeit wieder in das Erwerbsleben zurückkehren, sind die längeren Zeiten der Arbeitslosigkeit (vgl. 1.2.). Insgesamt existieren für ältere Arbeitslose mehr Hindernisse und sie treffen auf mehr Vorurteile bei den Arbeitgebern als junge Arbeitslose, so dass der Weg zurück in den Arbeitsmarkt für sie deutlich schwieriger ist. Der Gesetzgeber versucht durch spezifische Fördermöglichkeiten (Sozialgesetzbuch III) ältere Arbeitnehmer wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern. 11 http://www.arbeitsagentur.de/Dienststellen/RD-BB/Potsdam/AA/A04Vermittlung/Publikation/pdf/Wegebau-Flyer.pdf 20 3.4.1. Eingliederungszuschüsse (EGZ) Arbeitgeber erhalten für die Eingliederung von Arbeitnehmern mit Vermittlungshemmnissen (Ältere, Schwerbehinderte usw.) einen Zuschuss (§ 217ff. SGB III). Dem Arbeitgeber können bis zu 50 Prozent des regelmäßig gezahlten Arbeitsentgelts sowie des pauschalierten Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag als monatlicher Lohnkostenzuschuss für die Dauer von längstens zwölf Monaten gezahlt werden. 3.4.2. Betriebliche Trainingsmaßnahmen Sie sollen die Eingliederungsaussichten von Arbeitslosen verbessern, indem ihnen die Möglichkeit gegeben wird, ihre persönliche Eignung und ihre beruflichen Fertigkeiten am konkreten Arbeitsplatz in Firmen oder anderen Einrichtungen unter Beweis zu stellen oder alternative Beschäftigungsmöglichkeiten in Erwägung zu ziehen und diese zu erproben (§§ 48 ff. SGBIII). Der Anteil der über 50-Jährigen an allen Eintritten in Trainingsmaßnahmen lag im Jahr 2006 (Januar-Oktober) bei fast 13 Prozent. Betriebe sind angehalten bei Neueinstellungen vor allem die Bewerbungen älterer Arbeitsloser und auch die vorhandenen Förderungsmöglichkeiten durch betriebliche Trainingsmaßnahmen zu berücksichtigen. 3.4.3. Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer Arbeitslosen und von Arbeitslosigkeit bedrohten Personen über 50 Jahren soll durch die Entgeltsicherung Anreize zur Aufnahme einer gegenüber der früheren Tätigkeit geringer entlohnten Beschäftigung geboten werden, indem durch eine zeitlich befristete Aufstockung des Arbeitsentgelts in Höhe von 50 % der Nettoentgeltdifferenz die finanziellen Einbußen teilweise ausgeglichen werden (§ 421j SGB III). All diese in Kapitel 3 beschriebenen Maßnahmen werden bisweilen auch kritisch betrachtet, insbesondere die öffentliche Förderung von frühzeitigem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben, der besondere Kündigungsschutz oder die finanzielle Unterstützung von Unternehmen, welche ältere Arbeitnehmer einstellen. Diese öffentliche Unterstützung, so Koller und Gruber (2001), signalisieren auch, dass ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt keine gleichwertigen Konkurrenten sind und dies könne dazu führen, dass die anders gelagerten Potentiale der älteren Arbeitnehmer falsch gedeutet werden. Vor diesem Hintergrund könne man, so Koller und Gruber, dem Bund wie auch den Ländern eine Mitschuld an der schlechten Bewertung der Älteren Arbeitnehmer vorwerfen. Doch diese Argumentation ist etwas zu kurz gegriffen, denn nicht die seitens des Bundes und der Länder initiierten Maßnahmen verschlechtern die Chancen der Älteren am Arbeitsmarkt, sondern die Einstellung der Unternehmen gegüber älteren Arbeitnehmern und die damit verbundene Rekrutierungspraxis. Bangali, Fuchs und Hildenbrand (2006) zeigen in ihrer Studie auf, dass die Rekrutierungshemmnisse sowohl im institutionellen Bereich (Kündigungsschutz, hohe Lohnkosten und in Folge betriebwirtschaftliche Kostensteigerung) wie auch im qualifikatorischen Bereich (geringe Lernbereitschaft und Lernfähigkeit, gesund21 heitliche Einschränkungen und geringe Belastbarkeit) liegen. Auch wenn die Mehrheit der Unternehmen das Erfahrungswissen, die Arbeitsmoral, den Fleiß, die Zuverlässigkeit und das selbstständige Arbeiten der älteren Fachkräfte sehr wohl als positiv bewerten, sie sind dennoch nicht bereit diese einzustellen (ebd.). 4. Best Practices im Umgang mit älteren Arbeitnehmern 4.1. Aktuelle Handlungsfelder in Unternehmen Insgesamt zeigt sich, dass das Bewusstsein innerhalb der Firmen für die Herausforderungen des demografischen Wandels und einer damit zukünftig wachsenden alternden Belegschaft noch eher wenig ausgeprägt ist. Immer noch gelten ältere Mitarbeiter als weniger konkurrenzfähig, körperlich und psychisch weniger belastbar und auch die motorischen Fähigkeiten, so die verbreitete Auffassung, nehmen bei älteren Arbeitnehmern stark ab (Defizitmodell - vgl. Frai, Thiehoff 21007). Zudem gelten sie aufgrund des besonderen Kündigungsschutzes und höherer Lohnkosten als Kostenfaktor und nicht zuletzt wegen ihres selbstbewussteren Auftretens bisweilen auch als unbequem. Allzu häufig werden sie daher in Altersteilzeit oder Frühverrentung gedrängt, um die Hürden des Kündigungsschutzes zu umgehen. Auch wenn inzwischen viele Firmen das Erfahrungswissen, die Arbeitsmoral, den Fleiß, die Zuverlässigkeit und den hohen Grad an selbstständigem Arbeiten zu Gunsten der älteren Fachkräfte werten, sind es immer noch die betriebswirtschaftlichen Überlegungen, die dazu führen, dass die aktive Auseinandersetzung mit dem Thema ältere Arbeitnehmer entweder verdrängt oder zumindest nur halbherzig angegangen wird. Andere Vorurteile sind, dass Leistungs- und Lernfähigkeit sowie Lernmotivation und Lernbereitschaft bei Älteren nicht ausreichend vorhanden sei und sie daher von Weiterbildungsmaßnahmen ausgeschlossen werden. Jedoch vergessen die Unternehmen häufig, dass sie vor dem Hintergrund des technologischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Wandels im Betrieb besonderen Wert darauf legen sollten, ihre älteren Fachkräfte zu motivieren an Weiterbildungen teilzunehmen, damit auch sie sich an den technischen Wandel anpassen können und so die Mischung „Alt und Jung“, die einem Betrieb auch die soziale innerbetriebliche Stabilität verleiht, erhalten bleibt. Für die kontinuierliche Qualifizierung älterer Mitarbeiter müssen Arbeitsumfeld und Arbeitsorganisation lernförderlich gestaltet sein und die Unternehmen müssen über die Leistungsfähigkeit der Älteren noch stärker aufgeklärt werden. Eine andere Möglichkeit ist es, die Unternehmen im Rahmen von Tarifverträgen in die Pflicht zu nehmen, auch ältere Arbeitnehmer weiterzubilden. Viel zu wenig wird in den Personalabteilungen bis heute berücksichtigt, dass ältere Fachkräfte über spezifische Stärken, Kompetenzen und ein hohes Erfahrungswissen verfügen, welches erst dann nachgefragt werden, wenn aufgrund von Entlassungswellen ältere Arbeitnehmer auf ein Minimum reduziert worden sind. Es müssen daher sowohl die Arbeits- und Lernbedingungen in den Firmen neu überdacht werden, wie auch die Qualifikation und Beschäftigungsfähigkeit Älterer gefördert werden, indem neue Formen der Arbeitsorganisation durch eine vorurteilsfreie Personalpolitik in den Firmen entwickelt werden (Bangali, Fuchs u.a. 2006). 22 Firmen, welche diese Entwicklung für sich erkannt haben, sind dann zumeist auf mehreren Handlungsfeldern gleichzeitig tätig und entwickeln ein Gesamtkonzept, um die Beschäftigungsfähigkeit der Alternden auszubauen, die älteren Fachkräfte zu fördern und zudem eine Personalpolitik und Personalentwicklung zu betreiben, welche frühzeitig die Weichen für eine demographiefeste Zukunft in den Betrieben stellen. An dieser Stelle soll kein Überblick gegeben werden, welche Maßnahmen jeweils in Betrieben durchgeführt werden, da eine Vielzahl von Firmen sich diesem Thema bereits punktuell angenommen haben. Zu betonen ist aber, dass es nicht ausreicht, selektive Maßnahmen nach dem Motto „ein wenig Rückenschule hier und ein neuer Bürostuhl dort“ (Frai, Theihoff 2007, S. 33) durchzuführen, sondern dass die unterschiedlichen Handlungsfelder miteinander kombiniert werden müssen, um so in den Betreiben ein systematisches „Age-Management“ (ebd.) zu verankern. 4.1.1. Unternehmenskultur und Führungskräfte sensibilisieren Ältere Arbeitnehmer haben aufgrund ihrer Lebens- und Berufserfahrungen andere Erwartungen an ihre Vorgesetzten als junge Mitarbeiter, zudem verfügen sie über ein anderes Wissen und können erwarten, dass Führungskräfte und auch Unternehmen in der Lage sind, mit dem Potential älterer Mitarbeiter dementsprechend umzugehen. Führungskräfte müssen, um nicht in die Wahrnehmungsfalle des Defizitmodells zu tappen, über die Potenziale der Älteren sowie über Gestaltungsprinzipien einer alters- und alternsgerechten Arbeitsumgebung informiert und nachhaltig aufgeklärt werden. Ihre Aufgabe ist es, den Abbau von Vorurteilen über die Leistungsfähigkeit älterer Beschäftigter innerhalb der Firma und der Abteilungen voranzutreiben und sich auch dafür stark zu machen, dass die Erfahrung Älterer in Innovationsprojekten besser genutzt wird. Zudem müssen Führungskräfte in der Lage sein, mit den seitens der Älteren Arbeitnehmer an sie herangetragenen Erwartungen umzugehen. Diese beziehen sich vor allem auf eine hohe Bereitschaft zur Kooperation und eine ausgebaute Fähigkeit zur Kommunikation. Vor dem Hintergrund einer immer jüngeren Führungselite in den Firmen gilt es, diesem Punkt eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Vereinzelt mussten Firmen bereits erkennen, dass sehr junge Vorgesetzte nicht in der Lage sind, mit der Erwartungen und Bedürfnissen älterer Arbeitnehmer umzugehen und dies in der Vergangenheit zu heftigen Konflikten führte. Vereinzelt sind Firmen dazu übergegangen, da sie auch den damit verbundenen wirtschaftlichen Schaden erkannt haben, die Auswahl für ihren Führungskräftenachwuchs zu überdenken und die Altergrenze für den Eintritt in das Management nach hinten zu schieben. Den Vorgesetzten obliegt die Aufgabe, ältere Arbeitnehmer offensiv in Arbeitgruppen zu integrieren und so den Erfahrungsaustausch und die Kommunikation zwischen den Generationen zu verbessern, aber auch das Innovationspotenzial ihrer älteren Mitarbeiter so vollständig zu nutzen. Um nun sowohl die Rekrutierungspraxis wie auch die Einstellungen der Unternehmen gegenüber älteren Arbeitnehmern zu verbessern, arbeiten Betriebe mit Nachdruck daran, eine Sensibilisierung ihrer Führungskräfte zu betreiben. In Kursen für leitende Angestellte und Manager sollen diese anhand von Simulationen, die mit dem Alter einhergehenden veränderten Bedürfnisse und 23 Motive ihrer Mitarbeiter erkennen und diese in ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen. Ein weiteres Ziel ist es bestehende Kommunikationshürden abzubauen und so ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, das geprägt ist von Anerkennung und Wertschätzung. Vor allem jüngere Führungskräfte müssen lernen, dass ältere Mitarbeiter nicht als Untergebene gesehen werden, sondern als Partner, welche über ein spezifisches und unverzichtbares Wissen verfügen. Firmen, welche auch ältere Fachkräfte suchen, legen Wert darauf, dass Stellenausschreibungen so formuliert sind, dass sich auch ältere Stellensuchende angesprochen fühlen und nicht bereits durch das Lesen der Anzeige demotiviert werden, sich zu bewerben. 4.1.2. Wissensmanagement und Weiterbildung Lebenslanges Lernen und Weiterbildungsangebote sind die Schlüsselpraktiken, um Unternehmen demographiefest zu machen. Wie in den vorherigen Kapiteln ausführlich dargelegt, herrscht hier noch ein großes Defizit. Besonders für ältere Arbeitnehmer muss die ganze Vielfalt der Lernorte genutzt werden, um einen Transferverlust zu reduzieren (Bangali, Fuchs 2006, S. 50). Wichtig ist daher eine Kombination verschiedener Lernorte, d.h. eine Verzahnung von Lernen und Arbeiten in Form von Lernen im Kurs oder Seminar (learning-offthe-job), Lernen am Arbeitsplatz (training-on-the-job) und das Arbeitsplatznahe Lernen (training-near-the-job). Nur so gelingt es das Lernen von spezifischem Wissen im Seminar durch transferorientierte Maßnahmen am Arbeitsplatz erfahrbar zu machen, wovon vor allem ältere Arbeitnehmer nachhaltig profitieren. Die "Pluralität der Lernorte" lässt ein "Optimierungsparadigma" für Lernprozesse entstehen, was insbesondere Älteren entgegenkommt und ihre bisherigen Erfahrungen mit einbezieht. Dabei sollen Dozenten zum Einsatz kommen, welche über die Kompetenz „Altersgerechter Lernmethoden“ verfügen, so dass sie je nach Lernanforderungen altersheterogene oder altershomogene Lerngruppen bilden können. Es zeigt sich, dass Kurse für ältere Arbeitnehmer stark praxisorientiert und direkt am Produktentwicklungsprozess orientiert sein sollen, was eben durch die Kombination der Lernorte gewährleistet wird. Zudem verweisen die Autoren (ebd.) auf die Bedeutung, dass vermehrt Weiterbildungsmaßnahmen und Lernformen angeboten werden sollen, die auf Vorwissen und Erfahrung beruhen, neue Erkenntnisse entsprechend einzuordnen erlauben und auch auf die individuellen Interessen und Lebensbedingungen der Beschäftigten eingehen. Dazu gehören etwa auch eine spezifische Aufbereitung des Lernstoffs und ein höherer Grad an persönlicher Beratung und Betreuung beim Lernen. Bei den Qualifizierungsmaßnahmen sollen vermehrt aktivierende Methoden des Lernen und Lehrens eingesetzt, und der klassische dozentenorientierte Unterricht weitestgehend vermieden werden, da eine starke Steuerung durch den Dozenten und die damit verbundene Schülerrolle von Älteren häufig als störend empfunden werden. Ebenso sollen die verwendeten Aufgaben einen hohen Realitätsbezug, d.h. einen engen Bezug zur Lebensund/oder Arbeitwelt der Älteren haben. Bei Weiterbildung für Ältere gilt es auch, den beruflichen Sozialisationshintergrund (tayloristische Arbeitsweise, starke Funktionsteilung) zu berücksichtigen mit dem Ziel ihre möglicherweise ungenutzten Kreativitätspotentiale wieder neu zu wecken. 24 Doch gerade Weiterbildungsprogramme speziell für Ältere werden in den Unternehmen vor Ort auch kritisch gesehen, da die Gefahr gesehen wird, dass sich die Betroffenen diskriminiert fühlen: „Es gibt keine speziellen Weiterbildungsprogramme oder -konzepte. Vielmehr werden die älteren Mitarbeiter auch in diesem Bereich wieder aktiv in die jeweiligen Programme einbezogen. So waren im letzten Jahr knapp ein Viertel der Mitarbeiter, die eine Weiterbildungsmaßnahme besucht haben, in der Altersgruppe 50plus. Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass es nicht erforderlich ist, spezielle Seminare für ältere Mitarbeiter (z. B. EDV-Trainings oder Sprachkurse) anzubieten. Im Gegenteil: Sie würden sich dadurch eher benachteiligt fühlen. Schließlich sind sie ja nicht dumm oder begriffsstutzig, nur weil sie älter sind. Wir bieten in unserem Hause viele Themen als Inhousetraining an, und es zeigt sich immer wieder, dass in altersgemischten Lerngruppen das Lernen sehr effizient ist.“ (Personalleiterin einer Baufirma) In vielen Firmen findet der Wissenstransfer über Generationsübergreifende Mentoring-Programme oder Tandemmodelle statt, die im Bereich des TopManagement und der Förderung von Nachwuchsführungskräften seit langem sehr verbreitet sind. Denn ältere Arbeitnehmer, unabhängig von ihrer Qualifikation, verfügen über ein hohes Erfahrungswissen, welches sie auch gerne weitergeben. „Ihre Stärken liegen in der jahrelangen Berufserfahrung. Dadurch besitzen sie zum Einen umfangreiches Fachwissen, zum Anderen sind sie gelassener und routiniert. Außerdem spielt bei ihnen der "Konkurrenzfaktor" normalerweise keine Rolle mehr, d. h. sie müssen sich nicht um jeden Preis beweisen, wie dies bei jungen Berufseinsteigern durchaus der Fall sein kann.“ (Personalleiterin einer Baufirma) In der Baubranche werden ältere Mitarbeiter, auch trotz gesundheitlicher Einschränkungen, in der Ausbildung eingesetzt: „Ein Spezialbaufacharbeiter im Fertigteilwerk, der aufgrund eines Bandscheibenschadens seine bisherige Tätigkeit nur noch eingeschränkt ausüben konnte, betreut nun die Auszubildendenkolonne der Beton- und Stahlbauer mit 6 bis 7 jungen Auszubildenden. Er leitet sie fachlich an, gibt ihnen aber darüber hinaus wertvolle Erfahrungen aus seinem Berufsleben mit auf den Weg und versucht, auf ihre Sozialkompetenz positiv Einfluss zu nehmen.“ (Personalleiterin einer Baufirma) 4.1.3. Arbeitsorganisation und Arbeitsgestaltung Ein Ausbau von innovativen Arbeitszeitmodellen ermöglicht es älteren Mitarbeitern, ihre Arbeitszeit so zu gestalten, dass diese besser auf ihre Leistungsfähigfähigkeit abgestellt ist, zudem bietet sie aber auch Motivation für den Übergang in den heranrückenden Ruhestand. Das Institut für Industriebetriebslehre und Industrielle Produktion (IIP - Abteilung Arbeitswissenschaft der 25 Universität Karlsruhe) entwickelte in diesem Zusammenhang eine Arbeitsmodell-Datenbank für die Bedürfnisse älterer Arbeitnehmer 12. Im Rahmen der flexiblen Arbeitszeitgestaltung nutzen Firmen verschiedenste Arbeitszeitmodelle und Arbeitszeitkonten, um den Bedürfnissen der älteren Arbeitnehmer nach einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung nachzukommen. Neben dem bekannten Gleitzeitkonto findet sich in den Firmen noch ein weiteres FlexKonto (auf dem bis zu 120 Überstunden geparkt sein müssen) und noch ein drittes Lebensarbeitszeitkonto, welches den Beschäftigten ermöglichen soll, früher in den Ruhestand zu wechseln. Jedoch zeigen sich bei letzterem zwei Probleme: Nur wenige Firmen, zumeist große Unternehmen, verfügen über diese sog. Lebensarbeitzeitkonten und bei einem Arbeitgeberwechsel kann das bereits angesparte Zeit-Guthaben nicht transferiert werden und muss unter finanziellen Einbußen ausbezahlt werden. Das andere Problem liegt darin, dass – um auch nennenswert früher in den Ruhestand gehen zu können – der Betroffene über mehrere Jahre hinweg eine Vielzahl von Überstunden leisten muss, welche wiederum auf Kosten seiner Gesundheit gehen. Vermehrt erkennen Firmen auch, dass ältere Arbeitnehmer zur Regeneration längere Ruhezeiten brauchen als jüngere, so dass sie darauf achten, dass ältere Arbeitnehmer mindestens drei Wochen am Stück Urlaub nehmen und auch längere Pausenzeiten einhalten. Für einen hohen Grad an Arbeitszufriedenheit und Arbeitmotivation ist eine Arbeitsorganisation wichtig, welche den älteren Arbeitnehmer eine weitgehende Autonomie ermöglicht. Diese bezieht sich dabei auf die Wahl der eigenen Arbeitsweise, der Arbeitsmittel, der Pausenzeiten, der Arbeitszeit, der Arbeitsgeschwindigkeit und auch der Arbeitsplanung. Die Arbeitsaufgabe sollte von einem Tätigkeitsmix (Job-Enlargement, Job Enrichment, Job Rotation) geprägt sein, der die Arbeitnehmer weder über- noch unterfordert und bei der den Instrumenten der Tandembildung und des Mentoring ein hoher Stellenwert eingeräumt werden (Frai, Thiehoff 2007, S. 34). 12 Demoversion der Datenbank ist abrufbar unter: http://respect.iccs.ntua.gr/German_website/HTML/fo_pr_respect_ergebnisse_un.htm 26 4.1.4. Gesundheitsförderung und Arbeitsschutz Gesundheits- und Arbeitsschutz in allen Bereichen ist ein wichtiger Baustein, im Sinne einer alters- und alternsgerechten Gestaltung des Arbeitsplatzes. Dabei müssen physische und psychische Arbeits- sowie Fehlbelastungen vermieden bzw. reduziert werden und einer alters- und alternsgerechten Arbeitsplatz- und Arbeitszeitgestaltung sowie einer fachgerechten Arbeitsorganisation größeres Gewicht beigemessen werden (vgl. 4.1.3), welche sich durch einen Tätigkeitswechsel im Laufe der Erwerbsbiographie, aber auch in einer Begrenzung der Verweildauer an belastenden Arbeitsplätzen zeigt. Projekte zur betrieblichen Gesundheitsförderung für alle Altersgruppen können helfen, das Gesundheitsbewusstsein der Mitarbeiter zu fördern und ihre Gesundheitsressourcen zu erschließen. Die Nutzung von Präventionsprogrammen und eine individuelle Gesundheitsvorsorge sollte durch positive Anreize gefördert werden, um auch das Bewusstsein für die Mitverantwortung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die eigene Gesundheit zu stärken. Inzwischen gehören Programme zur Gesundheitsvorsorge besonders in Großbetrieben zum festen Bestanteil der Personalpolitik, wie etwa regelmäßige Check-ups und Vorsorgeprogramme. Firmen verfügen auch über spezielle Arbeitskreise zum Thema Gesundheit und Prävention, welchen die Organisation von Sport- und Gesundheitsveranstaltungen, aber auch der Aufbau und der Implementierung einer Art Frühwarnsystem obliegen, mit dem Ziel, mögliche Beeinträchtigungen des Mitarbeiters rechtzeitig zu erkennen. Vielfach werden Gesundheitsprogramme (Rückenschule, Gesund Abnehmen, Lauf Dich fit usw.) von Sportvereinen und Sportstudios seitens der jeweiligen (Betriebs-) Krankenkassen unterstützt, so dass früh ein Gesundheitsbewusstsein unter den Arbeitnehmern geschaffen werden soll. „Wir haben auch ein eigenes, professionell geführtes Gesundheitsstudio, in dem alle Mitarbeiter unter vergünstigten Konditionen (auch ehemalige Mitarbeiter) trainieren und etwas für ihre Gesundheit tun können…. Aber trotz dem Einsatz moderner Maschinen auf der einen Seite und Bemühungen um gesundheitsfördernde Maßnahmen auf der anderen, werden nicht alle Mitarbeiter (insbesondere natürlich die im gewerblichen Bereich) in der Lage sein, bis zum 67. Lebensjahr ihren Job auszuüben. Bislang ist es uns noch in allen Fällen gelungen, die betroffenen Mitarbeiter auf körperlich weniger belastende Arbeitsplätze umzusetzen. Allerdings ist das Kontingent an solchen Schonarbeitsplätzen begrenzt, wenngleich wir bestrebt sind, die Anzahl in den nächsten Jahren sukzessive aufzustocken“ (Baufirma) Vor allem die Baubranche zeigt sich aufgrund der spezifisch anspruchsvollen Arbeitsbedingungen einem hohen handwerklichen Anspruch verbunden und sie zeigt sich nicht zuletzt aufgrund des seit Jahren anhaltenden Konjunkturbooms als besonders innovativ. Bereits im Jahr 2003 wurde auf Landkreisebene (Landkreis Heinsberg) das Kompetenzzentrum „SiGePool“ gegründet, welches Teil der „Arbeitsgemeinschaft Netzwerk für Gesundheit und Qualifikation“ (Netzwerk Gesunde-Bauarbeit)13 ist. Ziel des Projekts ist es, speziell die Wettbewerbssituation von KMUs durch betriebsgerecht zugeschnittene, indivi13 www.gesunde-bauarbeit.de 27 duelle Beratungs- und Weiterbildungsangebote nachhaltig zu verbessern und die regionale Bauwirtschaft in den Bereichen Sicherheit und Gesundheit zu stärken. Schwerpunkte dabei sind die Förderung von Arbeitssicherheit auf der Baustelle und Gesundheitsmaßnahmen für die Mitarbeiter. Der dort entwickelte Pool bildet für die regionalen Klein- und Mittelbetriebe eine gemeinsame Informationsplattform, um sowohl im Bereich Aus- und Weiterbildung, aber auch im Bereich Gesundheitsvorsorge ein breit gefächertes und durch die Netzwerkbildung kostengünstigeres Angebot für die Bauunternehmen und Handwerksbetriebe im Kreis Heinsberg anzubieten. Die Automobilbranche sucht schon länger Wege um Fahrzeuge gesundheitsfreundlicher zu montieren und ergonomische Fallen im Fertigungsprozess abzubauen. Die Firmen sind bestrebt, dass der Einbau an der Fertigungslinie ergonomiegerecht aufrecht stehend durchgeführt werden kann. Die Opel AG in Rüsselsheim nutzt dazu ein vom Institut für Arbeitswissenschaft in Darmstadt entwickeltes Analyseinstrument zum Einsatz (New Production Worksheet NPW), zur Bewertung und Dokumentation von Arbeitssituationen (Hüttmann 2004). Der Vorteil dieses Instruments ist es, dass so bereits in frühen Projektphasen das Erkennen und Bewertung von Belastungen die ein Gesundheitsrisiko bergen, möglich ist und ergonomisch optimierte Prozesse mit einer Reduzierung der Montagezeiten einhergehen. Auch wenn die Gesundheitsprogramme insgesamt eher positiv zu werten sind, so bleibt dennoch die Frage offen, welche Wirksamkeit solche Programme – jenseits des Imagegewinns – auch wirklich für die Beschäftigten haben. Ebenso zeigt sich, dass Firmen, welche Endprodukte herstellen (Automobile, Maschinenbau) stark in Gesundheitsprogramme investieren, zumal sie aufgrund von Tarifvertragsbindungen und einem aktiven Betriebsrat auch gefordert sind, diesen Bereich nicht zu vernachlässigen. Doch wie sieht es in weniger prestigeträchtigen Firmen aus, etwa Zulieferbetriebe, welche unter einem starken Kostendruck stehen und Kosten zumeist über Einsparungen bei Mitarbeitern und in anderen Bereichen versuchen auszugleichen? 4.1.5. Öffentlichkeitsarbeit Immer mehr Firmen erkennen den Wert des Themas Demographischer Wandel für ihr Firmenimage und betreiben eine offensive Öffentlichkeitsarbeit nach außen und in die Firmen hinein. Die Vielzahl von Initiativen (zumeist mit Datenbanken im Internet) gibt den Firmen Gelegenheit, sich in positiver Weise darzustellen. Dabei ist es sowohl für die Betroffenen selbst, als auch für die Firmen durchaus wünschenswert, dass im Rahmen einer öffentlichkeitswirksamen Kampagne die vielfältigen positiven Erfahrungen, die Unternehmen mit dem Arbeitseinsatz älterer Beschäftigter gemacht haben, bekannt werden. Projekte zum Thema „Demographie gestalten“ finden sich u.a. unter: Initiative Neue Qualität der Arbeit (vgl. Kap 3.2): http://www.inqa.de/Inqa/Navigation/Gute-Praxis/datenbank-gutepraxis,did=235906.html Demographie Netzwerk – Bundesanstalt Arbeitsmedizin, Hamburg http://www.demographie-netzwerk.de/ 28 für Arbeitsschutz und Bertelsmann Stiftung „Aktion Demographischer Wandel“ http://www.bertelsmannstiftung.de/cps/rde/xchg/bst/hs.xsl/prj_73032.html 4.2. Verbandsinitiative „Mit Erfahrung Zukunft meistern“ Das Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) in Nürnberg hat zusammen mit dem Verband der bayerischen Metall- und Elektroindustrie e.V. (VBM), dem Bayerischer Unternehmensverband Metall und Elektro e.V. (BayME) und der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft e.V. (vbw) die Initiative „Mit Erfahrung Zukunft meistern“14 gestartet, bei der Firmen über ein Online Portal ein ELearning Modul bearbeiten können, um zu testen, wie gut vorbereitet sie für den Demographischen Wandel sind. Das Programm ist folgendermaßen aufgebaut: 1. Betriebcheck zur Heranführung der Betriebe an das Thema durch Altersstrukturanalyse des Betriebes Ableiten des konkreten Handlungsbedarfs und Simulation der Betriebssituation in 5-10 Jahren Informationen über die eigene Unternehmenskultur 2. Ermittlung des Handlungsbedarfs in den Bereichen mit Hinweisen und Lernmodulen Arbeitsorganisation und Gestaltung Kompetenz und Personalentwicklung Führung und Unternehmenskultur Gesundheit und Arbeitsbedingungen Personalrekrutierung und Personalbindung Die Initiatoren bieten darüber hinaus interessierten Firmen Beratung und Begleitung bei der Entwicklung einer zukunftsfähigen Arbeits- und Personalpolitik an und führen mit Modell-Unternehmen eine betriebsspezifische Problemanalyse durch, entwickeln ein passendes Maßnahmenkonzept, begleiten die ersten Umsetzungsschritte und führen Verbesserungsmaßnahmen, wie etwa Training für Führungskräfte und Mitarbeiter. Zudem unterstützen sie den Erfahrungsaustausch zwischen bereits beteiligten und interessierten Unternehmen durch regionale Workshops und stellen Leitfäden und Materialien zur Verfügung. 4.3. Ehemalige Mitarbeiter als neue Zielgruppe Gut qualifizierte Ältere sind nicht nur länger im Erwerbsleben tätig (vgl. 2), sondern sie sind auch noch über ihr Arbeitsleben hinaus gefragt. Vermehrt gehen Firmen dazu über, auf das Wissen der bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmer zurückgreifen, wie etwas Siemens, Pfizer oder Bosch. Die Bosch GmbH hat im Jahr 2002 ein eigenes Management Support Center gegründet, 14 http://www.m-e-z.de 29 das Kontakt zu 300 Bosch Pensionären hält, die auf freiwilliger Basis auch im Ruhestand noch Aufträge auf Honorarbasis annehmen, wobei – und das ist vor dem Hintergrund des vermeintlich schnellen technischen Wandels erstaunlich drei Viertel der Aufträge aus dem technischen Bereich kommen. Angefragt werden ehemalige Führungskräfte, besonders Ingenieure, da diese über das fachliche Know-How verfügen, gepaart mit der sozialen Kompetenz, technische Großprojekte mit vielen Mitarbeitern umzusetzen. Für die Firmen liegen die Vorteile des Modells auf der Hand: Ihnen bleibt durch die freiberufliche Weiterbeschäftigung ehemaliger Mitarbeiter wertvolles Wissen noch länger erhalten und sie befreiten sich damit von Sozialabgaben und einem möglichen Kündigungsschutz. Ein Internetportal „Erfahrung Deutschland“15 widmet sich dieser steigenden Nachfrage seitens der Firmen und listet dort speziell Führungskräfte. Die Interessenten können sich kostenlos anmelden und nach eigenen Angaben haben sich bereits 5000 ehemalige Fach- und Führungskräfte in der Datenbank registriert. Interessierte Unternehmen richten dabei ihre Anfrage an die Initiative, wo dann nach einer passenden Person mit dem entsprechenden Erfahrungsprofil gesucht wird. 15 www.erfahrung-deutschland.de 30 5. Ausblick Der Demographische Wandel ist in den deutschen Betrieben angekommen, obwohl dies viele Firmen für sich noch nicht wahrgenommen haben. Auch wenn sich die deutsche Bilanz der „Beschäftigungsquote Älterer Arbeitnehmer“ auf EU-Ebene durchaus sehen lassen, ist die Lage vor Ort in den Betrieben eher unbefriedigend. Zurückliegender Arbeitsplatzabbau in den 90er Jahren im großen Stil, von dem vor allem ältere Arbeitnehmer betroffen waren, verschleiert die Versäumnisse der letzten Jahre und beschönigt die Bilanz der Unternehmen. Eine Vielzahl von Betrieben „drückte“ sich bis heute erfolgreich davor, diesem Thema ihre Aufmerksamkeit zu schenken und greift noch immer zu einfachen Lösungen, nämlich ältere Arbeitnehmer zu entlassen und sie unfreiwillig in Ausstiegsmodelle wie Altersteilzeit oder Vorruhestand zu drängen. Sie versäumen es, ihre Belegschaft bereits weit vor dem 40. Lebensjahr dafür zu sensibilisieren, was es in einer Arbeitwelt, geprägt von immer kürzeren WissensVerfallszeiten und einem kaum überschaubaren organisatorischen und wirtschaftlichen Wandel, bedeutet, bis weit über das 60. Lebensjahr hinaus im Erwerbsleben zu stehen. Vielen Personalverantwortlichen wird die Brisanz des Themas erst dann bewusst, wenn sie erkennen, dass sie trotz voller Auftragsbücher keinen Nachwuchs rekrutieren können, es aber auch versäumt haben ihre ältern Mitarbeiter auf dem aktuellen Wissensstand und durch attraktive alterspezifische Maßnahmen so lange wie möglich im Betrieb zu halten. Beim Blick in die Betriebe, nach dem Umgang mit älteren Arbeitnehmern, lassen sich nach Bellmann, Leber und Gewiese (2006) fünf Gruppen unterscheiden (Dequalifizierungstyp – Requalifizierungstyp – Schutztyp – Indifferenztyp – Verdrängungstyp), wobei im Rahmen der hier durchgeführten Umfragen vor allem eine Gruppe verstärkt aufgefallen ist: Jene Gruppe, bei der es kaum ein Bewusstsein dafür gibt, was Demographischer Wandel eigentlich bedeutet und die nach dem Motto „alles wie bisher“ weitermachen, sich aber auch der Praktiken des Verdrängungs- und Dequalifizierungstypus (Bellmann, Leber u.a.2006) bedienen. Ihnen fehlt nicht nur der Blick dafür, wie ältere Arbeitnehmer bereits bei Einstellungen benachteiligt werden, sondern sie nutzen die institutionalisierten Regeln und Möglichkeiten, um diese aus dem Arbeitsprozess zur drängen. Der innerbetrieblichen Gesundheitsvorsorge, flexiblen Modellen der Arbeitszeitgestaltung und Weiterbildungsqualifizierungen wird kaum Beachtung geschenkt. Diese Firmen haben für sich weder kurznoch mittelfristig einen Handlungsbedarf erkannt, beziehen dieses Thema daher in nicht ihre Planungen mit ein und glauben jederzeit auf ausreichend junge Arbeitnehmer zurückgreifen können. Diese Betrieben müssen noch umfassender über die Folgen des demographischen Wandels aufgeklärt werden, damit sie stärker als bisher um ältere Fachkräfte werben, ihre Kompetenzen und ihr Erfahrungswissen nutzen um dem drohenden Fachkräftemangel entgegenzutreten und notwendige Innovationsdefizite zu verringern. Sie müssen begreifen, dass sie ihren älteren Fachkräften Hilfestellungen geben müssen, damit sich diese dem technologischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Wandel anpassen können und damit auch das Unternehmen weiterhin wettbewerbsfähig bleibt. Neben der kontinuierlichen Qualifizierung aller Mitarbeiter müssen sowohl das Arbeitsumfeld und wie auch die gesamte Arbeitsorganisation lernförderlich 31 gestaltet, aber auch alle Mitarbeiter in den Unternehmen noch stärker für die spezifischen Potentiale der Älteren sensibilisiert werden Positiv fielen jene Unternehmen auf („Requalifizierungstyp“: Bellmann, Leber 2006), welche nicht nur die Potentiale ihrer älteren Mitarbeiter wert zu schätzen wissen, sondern sich darüber bewusst sind, welche Kompetenzen ihren jüngeren Fachkräften vielleicht noch fehlen und die erkennen, dass einer Firma, bestehend aus überwiegend jungen fachlichen Einzelkämpfern, auch der soziale Zusammenhalt fehlt. Die Qualifikation der Älteren wird nicht als Beschäftigungsnachteil empfunden, bei Bedarf wird deren Wissen aufgefrischt und sie sind stetig in die Prozesse der Modernisierung miteingebunden. Diese Unternehmen haben erkannt, dass alle Mitarbeiter, egal ob Alt oder Jung, Lehrling oder Ingenieur, Facharbeiter oder Büroangestellte, durch ein ganzes Maßnahmenpaket überhaupt in die Lage versetzt werden müssen gesund, und auf einem hohen Niveau leistungsfähig, älter zu werden. Die Firmen wissen, dass sie die Beschäftigungsfähigkeit aller Arbeitnehmer durch gesundheitsfördernde Maßnahmen und ein ausgefeiltes Wissensmanagement, welches die Didaktik und Methodik der altersübergreifenden und altersspezifischen Wissensvermittlung berücksichtigt, erhalten müssen. So bleiben die Beschäftigten für den Arbeitgeber wie auch für den Arbeitsmarkt attraktiv und lernen sich dem schnellen Wandel in der Arbeitswelt anpassen. Sehr schwer einzuschätzen waren Firmen, welche zwar die Aktualität des Themas „Demographischer Wandel“ erkannt haben und sehr darum bemüht sind sich dort theoretisch gut aufzustellen, bei genauerer Betrachtung jedoch ein Widerspruch offenbar wird: Trotz des hohen Bewusstseins in den Betrieben werden immer noch vermehrt ältere Arbeitnehmer ausgestellt und Arbeitsmodelle entwickelt, welche ältere Arbeitnehmer strukturell diskriminieren. Diese Unternehmen müssen sich die Frage gefallen lassen, ob das Thema ältere Arbeitnehmer nur deshalb stark im Focus der Unternehmenspolitik steht, da dies derzeit ein politisch forciertes Thema ist mit dem eine positive öffentliche Aufmerksamkeit zu erzielen ist. Anhand der Best Practices zeigt sich, dass es, um Betriebe „demographiefest“ zu machen, weitaus mehr bedarf als gutgemeinter Einzelmaßnahmen und kurzfristiger Aktionen. Unternehmen müssen miteinander vernetzte Instrumente und Handlungsstrategien entwickeln um die gesamte Unternehmenskultur auf dieses Thema einzustellen: Ausgehend von einer Sensibilisierung der Führungskräfte, über dauerhaft präsente Lern- und Wissensmanagementstrategien, über gesundheitspräventive und -fördernden Maßnahmen, welche auch die psychischen Belastungen der heutigen Arbeitswelt berücksichtigen, bis hin zu Arbeitsmodellen, welche auf die persönlichen Bedürfnisse der Beschäftigten abgestellt sind. Umsichtige Unternehmen planen langfristig, wissen um die unterschiedlichen Wissenspotentiale der Beschäftigtengenerationen in ihrem Betrieb und sind sich vor dem Hintergrund des globalen Wettbewerbs auch bewusst, dass eine gewachsene Belegschaft ihr größter Standortvorteil ist. Unterstützt werden können solche Betriebe durch eine enge Vernetzung mit überbetrieblichen (Kammern, Arbeitsagenturen, Bildungsträger, Gewerkschaften, Städte und Gemeinden) wie auch innerbetrieblichen Akteuren im Rahmen von Regional- und Beschäftigungsinitiativen, um eine bedarfsgerechte Entwicklung und Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen vor allem für ältere Arbeitnehmer durchzuführen. 32 Wie stark die ausgeprägte Finanzialisierung der Unternehmenspolitik und der inzwischen weit verbreitete Blick, Menschen als Kostenfaktoren zu betrachten, diesem Konzept entgegensteht und dazu beiträgt ältere Arbeitnehmer, unabhängig von ihrer Leistung im Rahmen von Stellenabbaumaßnahmen in den Vorruhestand oder in die Alterteilzeit zu drängen, zeigt sich auch an einer vermeintlich positiven Entwicklung: Ursprüngliche Rekrutierungshemmnisse (Kündigungsschutz und hohe Lohnkosten) werden dadurch umgangen, indem hochqualifizierte, ausgeschiedene Mitarbeiter freiberuflich weiterbeschäftigt werden. Dies wirft noch eine andere Frage auf: Wer wird in der heutigen Unternehmenswelt überhaupt noch als leistungsstark definiert? Sind es nur jene hochqualifizierten Mitarbeiter zwischen 20 und 35. Jahren ohne soziale Bindungen, die auch jederzeit örtlich flexibel und einsatzfähig sind, ohne Murren Überstunden machen und jahrelang bereit sind auf Kosten ihrer Gesundheit für die Firma, auch am Wochenende zu arbeiten? Vor diesem Idealbild des leistungsfähigen Arbeitnehmers muss ein älterer Arbeitnehmer mit sozialen Verpflichtungen, möglicherweise bereits gesundheitlichen Einschränkungen und einer Portion Widerspruchsfreudigkeit gegenüber dem Arbeitgeber als leistungsschwach und unbequem gelten. Obwohl bereits im Jahr 2002 weniger als 20 Prozent der Betriebe den „Jugendzentrismus“ als zukunftsträchtigen Weg in ihrer Personalentwicklung angesehen haben sehen (Hübner, Wahse 2002), ist bis heute kaum eine Trendumkehr feststellbar. Die Arbeitsbedingungen müssen so geändert werden, dass auch für die heute jungen Arbeitnehmer ein gesundes Altern möglich ist und sie - zumal vor dem Hintergrund der „Rente mit 67“ - nicht gezwungen sind ihre ganzen Energie- und Kraftreserven bereits im Alter zwischen 25 und 45 Jahren aufzubrauchen. Die derzeitige Entwicklung einer steigenden Burn-Out Rate, auch unter jungen Arbeitnehmern, lässt hier für die Zukunft nicht Gutes erahnen. Sicherlich ein erster Schritt in die richtige Richtung war der im September 2006 abgeschlossene Tarifvertrag in der Eisen- und Stahlindustrie zur „Gestaltung des demographischen Wandels“. Die darin enthaltenen Empfehlungen für die Entwicklung einer zukunftsgerichteten betrieblichen Alterskultur können helfen, bestehende Defizite zu korrigieren und so alterns- und gesundheitsgerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten zu schaffen. Eine der großen europäischen Herausforderungen ist es daher, über die nationalen Grenzen hinweg gemeinsame Lösungen zu finden und Strategien zu entwickeln, wie Firmen zum einen mit dem Demographischen Wandel insgesamt besser umgehen, aber auch wie sie der bisherigen Entwicklung entgegenwirken können, dass es als „Normalität“ hingenommen wird, in auftragsschwachen Zeiten ältere Arbeitnehmer durch Abfindungen und Sonderzahlung zu einem verfrühten Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu drängen, um dann bei konjunkturell positiven Zeiten den Arbeitskräftebedarf ausschließlich durch junge, rundum flexible Mitarbeiter aufzufüllen. 33 6. Literatur Alterteilzeitgesetz (AltTZG) in der Fassung vom 20.12.2007. Andersen, U., Woyke, W. (2003) (Hrg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 5. Auflage, Opladen. 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