Die phonologische Bewusstheit, ihre Bedeutung für den Schrift
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Die phonologische Bewusstheit, ihre Bedeutung für den Schrift
Die phonologische Bewusstheit, ihre Bedeutung für den Schriftspracherwerb und die gezielte Förderung im Kindergarten SAL-Bulletin Nr. 113 September 2004 zusammenfassung der SAL Ein BilderbuCh für Kindergärtnerinnen und Kindergärtner Diplomarbeit Nr. 763 von (sowie für Logopädinnen und Logopäden). Norina Schmidlin .-_, : \ Ein ~ilderbuch zur Förderung der phonologische~ Bewusstheit Norina Schmidlin Seite 1 Die phonologische Bewusstheit ..... SAL-Bulletin Nr. 113 Seite 2 Die phonologische Bewusstheit ..... SAL-Bulletin Nr. 113 September 2004 September 2004 1. Einleitung: Als ich während meiner Ausbildung zur Logopädin das Konstrukt der phonologischen Bewusstheit kennen lernte, war ich etwas erstaunt und auch leicht enttäuscht. Dies, weil ich als Erstausbildung den Beruf der Kindergärtnerin erlernt hatte und in dieser Ausbildung nichts darüber gehört oder gelernt hatte. Mir erschien es deshalb wichtig, dass Kindergärtnerinnen und Kindergärtner über die phonologische Bewusstheit und deren Zusammenhang mit dem Schriftspracherwerb informiert werden und wissen, wie man diese gezielt und vor allem auch lustbetont und kindergerecht fördern kann. So entstand eine Arbeit mit einem theoretischen Teil sowie einer Zusammenfassung, welche als Einleitung und Information zu Beginn des Bilderbuches steht. Das Bilderbuch ist in zwei Teile (phonologische Bewusstheit im engeren und im weiteren Sinne) mit dazugehörigen Übungsideen aufgegliedert. Seite 3 Nach dem Modell von Tunmer und Bowey (1984) wird die metaliguistische Bewusstheit (Fähigkeit, Kompetenz) in vier Bereiche gegliedert: Metalinguistische Bewusstheit Bewusstheit für grammatikalische und semantische Strukturen in Sätzen Bewusstheit für Bewusstheit für Wörter satzübergreifende als separate Einheiten Strukturen und eines Satzes Bedeutungsinhalte Bewusstheit für lautliche Elemente unterhalb der Wortebene 2. Inhaltliche zusammenfassung des theoretischen Teils: Abb. 1: Formen metalinguistischer Bewusstheit nach Tunmer und Bowey (1984) Der Schriftspracherwerb Kinder werden schon sehr früh mit der Schriftsprache konfrontiert. So zum Beispiel wenn in der Familie Zeitung gelesen oder auch Geschichten vorgelesen werden. Im dritten, vierten Lebensjahr sind Kinder auch oftmals schon in der Lage, bekannte Logos wie etwa "Migros" zu erkennen und zu benennen. Um die Schriftsprache dann aber zu erlernen, müssen die Kinder die Zusammenhänge Die Phon logische Bewusstheit Die phonologische Bewusstheit ist ein Aspekt der metalinguistischen Fähigkeit, welcher auf der Kompetenz zur Sprachreflexion aufbaut. Kinder müssen lernen, vom Bedeutungsaspekt (Inhalt) der Sprache abzusehen und sich den formalen, den lautlichen zwischen geschriebener und gesprochener Sprache erkennen können. Sie sollen aber auch lernen, von bestimmten Merkmalen der Lautsprache abzusehen und Unterschiede zwischen mündlicher und schriftlicher Sprache festzustellen. Der Schriftspracherwerb kann anhand von verschiedenen Modellen wie zum Beispiel dem "dual-route"- Lesemodell nach Coltheart (1987), dem Stufenmodell nach Firth (1985) oder dem Phasenmodell nach Günther (1986) erklärt werden. Hier ist wohl das Stufenmodell von Firth mit seinen drei Entwicklungsphasen (Logographische-, Alphabetische- und Ortho-graphische Stufe) am bekanntesten. Merkmalen zuwenden. Skovronek und Marx (1989) unterscheiden zwei Ebenen der phonologischen Bewusstheit. Die phonologische Bewusstheit im weiteren und die phonologischen Bewusstheit im engeren Sinne. Die phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne bezieht sich auf grössere Einheiten der Sprache, was eine weniger anspruchsvolle sprachanalytische Leistung erfordert als die Fähigkeit der phonologischen Bewusstheit im engeren Sinne, nämlich kleinste Sprachsegmente zu erkennen und damit umzugehen. Nicht zu unterschätzen ist auch die Bedeutung der Koartikulation für den Schriftspracherwerb. Beim Sprechen produzieren wir keine einzelnen Laute in einer abgegrenzten Reihenfolge, sondern viel mehr ein Lautkontinuum. Auch beeinflussen sich in der Phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne gesprochenen Sprache die Laute innerhalb einer Silbe gegenseitig. So klingen Laute isoliert anders, als dass sie in einem Artikulationsablauf klingen. Kinder müssen also diese sprachlichen Einheiten (Laute) aus der gesprochenen Sprache ausgliedern können, obwohl diese aus dem kontinuierlichen Verlauf der Sprache akustisch nicht direkt gewonnen werden können. Die phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne umfasst die phonetisch wahrnehmbaren Eigenschaften der Sprache. Sie beinhaltet die Fähigkeit, Wörter in Silben zu segmentieren (Silbieren: Ha-se), Silben zu klatschen und zu reimen. Weiter beinhaltet die phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne noch das Heraushören von phonetischen oder phonologischen Merkmalen eines Wortes, und das Analysieren von betonten Vokalen (tönt Hase und Hose gleich?). Diese Aufgaben mit einem eher geringeren Schwierigkeitsgrad und eher niedrigen kognitiven Anforderungen haben sprechrhythmischen Bezug und werden häufig schon von Kindern im Kindergartenalter bewältigt. voraussetzungen für den Schriftspracherwerb Nach Trossenbach-Neuner (1998) hängt der Erfolg der Aneignung des Schriftspracherwerbs zu einem gros sen Teil von der Entwicklung der metasprachlichen Fähigkeiten eines Kindes ab. Phonologische Bewusstheit im engeren Sinne Die phonologische Bewusstheit im engeren Sinne hingegen umfasst die Analyse einer Lautstruktur. Dies ohne jegliche sprachrhythmische oder semantische Bezüge. Das Die phonologische Bewusstheit ..... SAL-Bulletin Nr. 113 Seite 4 Die phonologische Bewusstheit ..... September 2004 SAL-Bulletin Nr. 113 Seite 5 September 2004 anspruchsvolle Manipulieren einer Lautstruktur wie zum Beispiel das Ersetzen oder Weglassen von Lauten (aus Hund wird und) oder das Zerlegen eines Wortes (H-o-s-e) verlangt grundlegendere Einblicke in den Zusammenhang von Laut- und Schriftspra- Trotzdem sind einfache Formen von segmentaler Analyse, wie das Bestimmen (Anund Auslaut bestimmen) oder Vergleichen (hört man den Laut E im Wort Besen) eines Lautes im Wort im Kindergartenalter schon möglich. che. Somit erfordern diese AufgabensteIlungen vermehrt sprachanalytische Fähigkeiten, die nur durch Schreiberfahrungen möglich werden. 3. Bilderbuch Das Bilderbuch setzt sich ebenfalls aus einem theoretischen sowie einem praktischen Die phonologische Bewusstheit im engeren Sinne ist also sowohl Voraussetzung für den Schriftspracherwerb, wird von diesem aber ebenfalls teilweise beeinflusst und verbessert. Diese Hypothese (Interaktionshypothese) ist heute wohl die allgemein akzeptierte Sichtweise und konnte auch mit amerikanischen und deutschen Studien Teil zusammen. Im theoretischen Teil werden die Kindergärtnerinnen und Kindergärtner kurz und klar über die theoretischen Hintergründe der phonologischen Bewusstheit informiert. belegt werden. Inhalt des Bilderbuches: Die kleine Häsin Sirin sitzt alleine zu Hause und spielt Memory (Tisch - Fisch, das ist Frühförderung der phonologischen Bewusstheit Im Kindergarten In meiner Diplomarbeit werden hier verschiedene Spiele aufgeführt, welche sich für die Förderung einer Kindergartengruppe eigenen. Sie sind wiederum in die Bereiche phonologische Bewusstheit im weiteren und phonologische Bewusstheit im engeren Sinne aufgeteilt und beinhalten: • • Lauschspiele Reime, Verse und Lieder • Sätze und Wörter • • • Silben An- und Auslaut Phoneme (Phonemsynthese und Phonemanalyse) nicht gleich, Hase - Hase ist gleich). Dies macht so alleine aber leider gar keinen Spass und deshalb macht sich Sirin auf die Suche nach einer Freundin. Auf dem Weg zum grossen Spielplatz singt und reimt Sirin vor sich hin. Auf dem Spielplatz angekommen trifft sie dann tatsächlich eine andere Häsin, Lara, mit welcher sie sich gut versteht. Die beiden setzen sich auf die Schaukel und plaudern miteinander. Dabei beginnen sie plötzlich viele tolle, lustige Reime zu komponieren. Später spielen sie zusammen "Himmel und Hölle" und Sirin ist glücklich, eine Freundin gefunden zu haben. Da kommen zwei weitere Hasen auf den Spielplatz, Samira und Leonie, sie wollen mit Sirin und Lara spielen. Sirin verweigert aber, da sie Angst hat, ihre neue Freundin ohne grosse Probleme zu zerlegen, zu silbieren. schon wieder zu verlieren. So spielen Sirin und Lara alleine. Sie stellen sich vor, sie wären Roboter und schlüpfen in diese Rolle. Die anderen zwei Hasen sitzen am Rande des Platzes und schauen traurig zu, wie Sirin und Lara ganz steif umherlaufen und in Robotersprache kommunizieren. Als dieses Spiel zu langweilig wird und die zwei Freundinnen nicht mehr wissen, was sie spielen sollen, mischen sich Samira und Leonie wieder ein. Sie schlagen vor, dass die Vier doch verstecken spielen könnten. Da dies zu zweit nicht gut geht, sind Sirin und auch Lara einverstanden. Nach dem "Versteckis" zieht Samira noch ein Spiel, welches "Anlaut- Endlaut- Schlange" heisst aus ihrem Rucksack und die vier Häsinnen spielen es gemeinsam und haben viel Spass dabei. Als die Sonne langsam unter geht, trennen sich die Vier und jede geht nach Hause. Zu Hause angekommen, erzählt Sirin ihrer Mutter von ihren tollen neuen Freundinnen. Eigentlich war sie auf der Suche nach einer neuen Freundin, nun hatte sie gleich drei gefunden. Aus Freude darüber möchte sie ihre neu gewonnenen Freundinnen zu sich nach Hause einladen. Da Sirin selbst noch nicht schreiben kann, diktiert sie ihrer Mutter, was diese auf die Einladung schreiben soll. Lautsyntheseaufgaben können von Kindergartenkindern mit Hilfe von Bildmaterial gelöst werden. Lautanalyseaufgaben hingegen sind schwieriger und erfordern in der Zu jeder Bildseite gibt es im Bilderbuch eine Spielvariante zur Förderung der phonologischen Bewusstheit. Beobachtungskriterien zur Beurteilung der phonologischen Bewusstheit Die phonologische Bewusstheit kann gut anhand der aufgezählten Bereiche (und Spiele) genau beobachtet werden. Das Reimen ist ein sehr spielerischer Umgang mit der Sprache. Es ist ein Hinweis dafür, dass ein Kind seine Aufmerksamkeit vom Inhalt auf die Form der Sprache zu lenken vermag. Kindergartenkinder sollten fähig sein, Reime zu erkennen, aber auch selbst Reimwörter finden zu können. Ebenso sollten Kinder im Kindergartenalter Sätze bilden und in Wörter zerlegen können. Im zweiten Kindergartenhalbjahr sollten Kinder silbenanalytische Fähigkeiten recht leicht ausbilden können. Es sollte möglich sein, zwei- und mehrsilbige Wörter Regel einen Einblick in den Schriftspracherwerb. Die phonologische Bewusstheit ..... SAL-Bulletin Nr. 113 Seite 6 September 2004 Das Bilderbuch soll als lustbetontes Förderungsmittel für die phonologische Bewusstheit im zweiten Semester des Kindergartenjahres eingesetzt werden können. Das Bilderbuch kann zum Beispiel als Einstieg in die Woche gebraucht werden. Immer am Montagmorgen wird eine Seite erzählt und dazu die praktische Übung gemacht. Diese Übung, sowie weitere Übungen in derselben Art sollten dann die ganze Woche über in der zweiten Sammlung oder als Einstieg wiederholt und erweitert werden. So können die Kinder wichtige Fortschritte im Bereich der phonologische Bewusstheit machen, womit sie intensiv auf den Schriftspracherwerb in der ersten Klasse vorbereitet werden können. 4. Schlusswort Neben der phonologische Bewusstheit gibt es auch noch andere wichtige Voraussetzungen (Individuelle Lernvoraussetzungen, Kognition, soziale und familiäre Einflüsse ... ) für den Schriftspracherwerb, welche nicht vergessen werden dürfen. In meiner Arbeit wollte ich aber vor allem ein Arbeitsmittel für Kindergärtnerinnen und Kindergärtner schaffen, mit welchem die phonologische Bewusstheit einfach erklärt, sowie deren Förderung kindergerecht umgesetzt werden kann. Literaturverzeichnis Andresen, H. 1985. Schriftspracherwerb und die Entstehung von Sprachbewusstheit. OpIaten: Westdeutscher Verlag GmbH. Crämer, c., Schumann, G. 1994. Schriftsprache. In: Baumgartner, S., Füssenich, I. (Hrsg.): Sprachtherapie mit Kindern. München / Basel. 290-344. Rartmann, E. 2002. Möglichkeiten und Grenzen einer präventiven Intervention zur phonologischen Bewusstheit von lautgestörten Kindergartenkindern. Fribourg: Sprachimpuls. Jahn, T. 2001. Phonologische Störungen bei Kindern. Diagnostik und Therapie. Stuttgart: Georg Thieme Verlag. Küspert, P., Schneider, W. 2000. Hören, lauschen, lernen. Sprachspiele für Kinder im Vorschulalter. (2. Auflage). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Küspert, P. 1998. Phonologische Bewusstheit und Schriftspracherwerb. Zu den Effekten vorschulischer Förderung der phonologischen Bewusstheit auf den Erwerb des Lesens und Schreibens. Frankfurt: Verlag Peter Lang. Martschinke, S., Kirschhock, E - M., Frank, a. 2001. Diagnose und Förderung im Schriftspracherwerb. Der Rundgang durch Hörhausen. Erhebungsverfahren zur phonologischen Bewusstheit. Donauwörth: Auer Verlag GmbH. Skowronek, H., Marx, H. 1989. Die Bielefelder Längsschnittstudie zur Früherkennung von Risiken der Lese - Rechtschreibschwäche: Theoretischer Hintergrund und erste Befunde. Heilpädagogische Forschung, 15, 39-49. Trossbach - Neuner, E. 1998. Bausteine fürs Lesenlernen. In: Grundschule, 2, 26-29.