Urbane Visionen - Siemens Mobility
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Urbane Visionen - Siemens Mobility
como Complete mobility – Fakten, Trends, Stories Ausgabe 07 | Oktober 2011 | www.siemens.com/mobility S Urbane Visionen Auf der Suche nach der idealen Stadt 2 welcome como 07 | Oktober 2011 Liebe Leserin, lieber Leser, „ eine wichtige Nachricht gleich vorweg: Siemens hat zum 1. Oktober den neuen Unternehmenssektor Infrastructure & Cities aus der Taufe gehoben, in dem Siemens Mobility gewissermaßen eine neue Heimat findet. Damit erhalten die Themen, die Sie von uns kennen und über die Sie in como schon bisher gelesen haben, bei Siemens künftig noch mehr Gewicht: Die Bereiche Schienenfahrzeuge und Komponenten sowie Service und Gesamtbahnanlagen sind nun in einer eigenen Division Rail Systems unter der Führung von Hans-Jörg Grundmann zuhause. Mobility and Logistics, das ich selbst verantworte, wird sich vor allem der Produkte, Systeme und Lösungen für die Automatisierung der Infrastrukturen für die vier Verkehrsträger Schiene, Straße, Wasser und Luft annehmen. Doch viele Themen bleiben uns gemeinsam, und es kommt nicht von ungefähr, dass städtische Infrastrukturen in diesem Heft einen Schwerpunkt bilden. Städte sind der Wachstumsmarkt der Zukunft. Die 600 größten Städte der Welt erwirtschaften schon heute etwa die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung. In den nächsten zwei Jahrzehnten wird die Wirtschaft dort stärker wachsen als weltweit. Zugleich wird der Anteil der in Städten lebenden Bevölkerung von heute gut 50 auf 60 Prozent steigen – das entspricht rund 1,4 Milliarden neuen Stadtbewohnern. In den Städten wird sich auch entscheiden, ob die Menschheit die HerausfordeIn den Städten wird sich entrungen der Zukunft meistern kann – vor allem Klimaschutz, Transport und Mobilität. scheiden, ob die Menschheit Das alles wird nicht ohne Anstrengungen gehen die großen Herausforderunund auch nicht zum Nulltarif. Umso wichtiger sind tragfähige Konzepte wie „Complete mobility“, die gen der Zukunft wirklich Verknüpfung unterschiedlicher Verkehrsströme zu meistern kann. Lande, zu Wasser und in der Luft mit dem Ziel, Mobilität, Transport und Logistik wirklich nachhaltig zu gestalten. Denn eines erkennen wir schon heute: Nur intelligent vernetzte Lösungen für die gesamte Verkehrsinfrastruktur sind zukunftsfähig. Seit es Städte gibt, war das Funktionieren ihrer Infrastruktur ausschlaggebend für Aufstieg, Wachs tum und Blüte der urbanen Gesellschaft. Das lässt sich über Jahrtausende zurück verfolgen, wie der focus-Beitrag in dieser Ausgabe zeigt. Wir können daraus lernen für die Zukunft. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre. Herzlichst Ihr Sami Atiya CEO Mobility and Logistics como 07 | Oktober 2011 inhalt 3 Inhalt 8 horizon 4Grüner fliegen Am weltweit einzigen Flughafen ganz ohne Flugzeuge lassen sich die Infrastrukturen von morgen schon heute testen. 8Aufwind am Airport Wie können die Flughäfen der Welt noch effizienter werden? Das „Airport Health Check“Programm gibt Antworten. 10 focus 10 Schritt für Schritt zur neuen Stadt Urbanes Lebenselixier ist immer die Infrastruktur, sagt Prof. Klaus J. Beckmann. Eine Zeitreise durch Vergangenheit und Zukunft. 18Archigram Wandernde Städte und fliegende Bauten: Visionen mobiler Urbanität in den Sechzigerjahren. 26 connect 26Ideal intermodal Beim Projekt „Future of Hubs“ optimieren die Ingenieure Verkehrsdrehkreuze von morgen. move 32 Fit für Millionen Sicherheit für Millionen Zugkilometer: Siemens Rail Services. 36Mit eBrief und Siegel Postautomatisierung leistet viel – und kann noch mehr. @ 4 horizon como 07 | Oktober 2011 Grüner fliegen Im Siemens Airport Center Fürth, dem einzigen Flughafen der Welt ganz ohne Flugzeuge, ist Zukunft immer zum Greifen nah. Und diese Zukunft verändert sich: Künftig soll das Airport Center mehr denn je ein Test- und Kompetenzzentrum für grüne Infrastruktur-Technologie von Siemens sein. como 07 | Oktober 2011 E in Airport irgendwo auf der Welt. Der Flugbetrieb läuft wie am Schnürchen. Dort drüben an Gate 3 dockt eben ein Ferienflieger an. Das Fluggepäck aus New York gleitet zügig auf das Ausgabekarussell und auf dem Parkdeck für Elektrofahrzeuge sind wieder fast alle Ladestationen belegt. Alles im grünen Bereich – bis einer der 27 Monitore gleich bei mehreren Flügen deutliche Verspätungen und Ausfälle signalisiert. Das kann Ärger bedeuten: Ändert sich nur eine Variable des hoch komplexen Flugbetriebs, sind meist nicht nur die Passagiere betroffen, sondern auch Flottenmanagement und Gebäudeautomatisierung, Gepäckförderung, Fluginformationssystem und Sicherheitsfunktionen. Fal- len gleich mehrere Maschinen aus dem Flugplan, müssen Wartungsfahrzeuge umdirigiert, Personal anders eingeteilt und Speicherkapazitäten des Gepäcksystems neu berechnet werden. Kommt nun der ganze Betrieb aus dem Takt? Damit das nicht geschieht, gibt es seit Ende 2005 das Airport Center von Siemens – einen Flughafen in Fürth bei Nürnberg, auf dem niemals ein echtes Flugzeug landen wird. „Unser Airport Center ist ein virtueller Flughafen, ein Test- und TechnologieLabor zur Simulation und Abstimmung von technischen und organisatorischen Abläufen“, sagt Markus Fuchs, Leiter Marketing Airport bei Siemens. „Die Aufgabengebiete hier verändern sich ständig. Wir beschäftigen uns längst auch mit Themen, die man auf den ersten Blick nicht unbedingt mit dem Fliegen in Verbindung bringt.“ Ein Blick zurück auf die ursprüngliche Idee: Das Airport Center sollte anschaulich und kompakt das gesamte Siemens-Portfolio für Flughäfen darstellen, präsentieren und testen – High-Tech-Lösungen für reibungsloses Einchecken, für zeitsparenden Gepäcktransport und intelligentes Parkmanage ment. Auf der Fläche etwa eines Fußballfeldes baute man die gesamte Infrastruktur eines Airports auf, installierte Check-in-Schalter, Gepäckförderanlage, Parkleitsystem und Steuerzentrale. Zwar gibt es hier weder Flugzeuge noch Tower, Startoder Landebahnen. Doch viele der Rechnersysteme arbeiten mit realen Flughafendaten. So lassen sich Schnittstellen simulieren, tatsächlich vorhandene Komponenten ansteuern und Abläufe auf ihre Sinnhaftigkeit hin überprüfen, testen und optimieren. Weil das Airport Center einen Simulationsbetrieb mit vielen relevanten Einflussfaktoren bis hin zum Verfolgen von eingechecktem Fluggepäck erlaubt, können Siemens-Experten zusammen mit Kunden unterschiedlichste Abläufe durchspielen, Funktionen neu entwickeln und feinjustieren. Reale Projekte lassen sich so auf ihre Praxistauglichkeit überprüfen, lange Zeit bevor ein Grundstein gelegt ist. horizon 5 6 horizon como 07 | Oktober 2011 Das Airport Center erlaubt einen realitätsnahen Simulationsbetrieb. Ein Aufwand, der sich für Flughafenbetreiber rechnet. Denn bei den komplexen Abläufen eines Flughafens ist die reibungslose Zusammenarbeit vieler Experten entscheidend – und viele unterschiedliche Technikkomponenten müssen diese Abläufe unterstützen. Beispielsweise sollte der Airport in Peking rechtzeitig vor den Olympischen Sommerspielen 2008 mit einem neuen Terminal, dem Terminal 3, für jährlich 30 Millionen Fluggäste erweitert werden. Ein gewaltiges Projekt. Deshalb testete man das Zusammenspiel wichtiger Komponenten der Gepäckförderanlage zunächst in Fürth. Siemens installierte hier sogar eine reale, mehr als zwei Kilometer lange Testanlage, mit der sich das geplante, rund 50 Kilometer lange Pekinger Hochgeschwindigkeits-Behälterfördersystem vorab simulieren ließ. Röntgenanlagen zur Gepäckkontrolle sind ebenso in den Technikpark integriert wie Komponenten verschiedener Zulieferer. Und weil das gesamte Gelände flächendeckend mit LAN und WLAN versorgt ist, lassen sich nicht nur IT-Lösungen für die Kommunikation flexibel einrichten und auf ihre Funktionalität hin überprüfen, sondern auch Signal- und Meldesysteme. Längst ist die Test-Förderanlage, einst nach Frankfurt und München die komplexeste in Deutschland, wieder abgebaut. Das Airport Center braucht Platz für Neues. „Wir betreiben schließlich kein Technolo- gie-Museum“, scherzt Markus Fuchs, „sondern ein aktuelles Labor, mit dem wir die Herausforderungen für die Infrastrukturen der Zukunft aufgreifen und auch völlig neue Ideen realitätsnah durchspielen können.“ Effizienz und grüne Technologien stehen nun ganz oben auf der Agenda. „Falls wir eines Tages wieder ein Baggage Handling System hier installieren, dann natürlich eines mit stromsparenden Motoren der neuesten Generation, intelligenter Abschaltung nicht benötigter Bereiche und vielen anderen grünen Eigenschaften.“ Und weil Mobilität nicht auf den Luftweg zwischen Flughafen und Flughafen beschränkt ist, fokussieren sich die Siemens-Experten mehr und mehr auch auf Abläufe an der Peripherie. Markus Fuchs: „Wie können wir die Abläufe in und um den Flughafen effizienter und ressourcenschonender machen? Die Antworten auf diese Frage zu finden, wird künftig Kernaufgabe des Airport Centers sein.“ Dazu gehört beispielsweise, die sogenannten Bodenprozesse auf dem Flugfeld effizienter zu gestalten: Lassen sich die Wege auf dem Rollfeld so verkürzen, dass der Flieger nach der Landung schneller zu seiner Parkposition kommt? Dann lassen sich zugleich die Serviceprozesse und die Laufzeiten der Turbinen verkürzen – beides spart unter dem Strich reichlich Energie. „Außerdem finden derzeit viele Überlegungen statt, ob der ideale como 07 | Oktober 2011 Flughafen wirklich, wie häufig üblich, stark in der Fläche ausgedehnt sein muss, mit langen, rechteckigen Terminals und oft kilometerlangen Wegen für Passagiere und Gepäck. Konzipiert man etwa runde, turmartige Terminalgebäude und lässt die Flugzeuge sternförmig daran andocken, werden die Wege für Passagiere kurz und somit der Zeitund Energieaufwand geringer.“ Da ein Airport zugleich auch „Mobilitäts-Hub“, also hoch frequentierte, intermodale Verkehrsdrehscheibe mit Anschlüssen an Schiene und Straße ist, diskutieren die Siemens-Experten im Airport Center auch dazu alternative, optimierte Abläufe. Zum Beispiel bei der Anreise per Auto: In den Prozessen der Zukunft erhält der Passagier eine Kundenkarte vom Flughafen oder seiner Airline mit einem RFID-Chip. Das Parkleitsystem empfängt dann den Fluggast persönlich und leitet ihn zu einem reservierten Parkplatz weiter – Elektroautos könnten über ein individualisiertes Parkleitsystem direkt an eine freie Ladesäule geleitet werden. „Mehrere Ladestationen haben wir bereits real in Betrieb und werden diese wohl auch später in ein Smart-Grid-Testsystem integrieren“, berichtet Fuchs. „Flughafen-Parkhäuser sind ideale Anwendungsfälle für Elektromobilität und smarte Energieinfrastrukturen, die Batterien geparkter Fahrzeuge als Zwischenspeicher und Puffer nutzen. An einer Straßen-Ladesäule kann man nie wissen, wann der Fahrer zurückkommt und wieder wegfahren will. Am Flughafen aber lässt sich aus den Flugdaten erkennen, in welchem Zeitraum die Batterie dem Smart Grid zur Verfügung steht – und wann der Fahrer nach der Rückkehr eine voll geladene Batterie braucht.“ Könnten solche Erkenntnisse aus dem Airport Center womöglich auch auf anderen Gebieten hilfreich sein? „Aber sicher. Viele Prozesse am Flughafen sind mit den Prozessen an einem Bahnhof vergleichbar. Kommt ein Berufspendler mit dem Auto in die Parkgarage und sucht einen Parkplatz, ist das doch kaum anders als am Flughafen. Fahrgast- informationssysteme, weite Teile der Gebäudetechnik, Sicherheitstechnik und Brandschutzthemen sind sich da ganz ähnlich. Selbst in SchifffahrtsHäfen finden wir Logistik und Überwachungsprozesse, die überraschend nahe an der FlughafenWelt sind“, meint Markus Fuchs. Mit anderen Worten: Der Ideentransfer ist schon in vollem Gange. 1Mehr Sicherheit beim Check-in: Biometriesysteme zur Gesichts- oder … 2 … Fingerabdruck-Erkennung. 3 Gepäckförderanlage für den Praxistest. 4 Smart-Grid-Testsystem für Elektromobilität. 1 2 3 4 horizon 7 8 horizon como 07 | Oktober 2011 Aufwind am Airport Mit dem weltweit erfolgreichen „Airport Health Check“-Programm zeigt Siemens klare Strategien auf, wie Flughäfen effizienter und „grüner“ werden können. como 07 | Oktober 2011 L ängst hat der „grüne“ Gedanke die gesamte Luftverkehrsbranche erreicht. Effizienz und Umweltverträglichkeit stehen bei Flughafen betreibern weltweit auf der Agenda, um wo immer möglich den Energieverbrauch zu senken und CO2Emissionen zu reduzieren. Dieses Ziel vor Augen, entwickelte Siemens Anfang 2010 den sogenannten Green and Efficient Airports Health Check – ein Beratungsprogramm mit Nutzwert: Im Fokus stehen Strategien und Empfehlungen, mit welchen Maßnahmen sich Flughäfen umweltverträglicher, energieeffizienter und zugleich wirtschaftlicher betreiben lassen. Rund vier Wochen dauert ein solcher Gesundheits-Check, bei dem alle Aspekte auf den Prüf- sparungen oder zusätzliche Einnahmen liegt je nach Grad der Umsetzung bei bis zu 1,2 Millionen Euro jährlich. Das machte deutlich, dass sich Umweltmaßnahmen wie Energieeffizienz und die Reduktion klimaschädlicher CO2-Emisionen durchaus rechnen können. Diese positiven Erkenntnisse kann auch Logistikdienstleister FedEx, im pazifischen Raum das am schnellsten wachsende Luftfrachtunternehmen, für sein Verteilzentrum am Baiyun International Airport in der chinesischen Provinz Guangdong für sich nutzen. Siemens erarbeitete im Herbst 2010 Richtlinien, wie das Unternehmen immerhin rund 60 Prozent Energie einsparen könnte. Zu den wichtigsten Empfehlungen gehörten hier Photovoltaik- stand kommen – die Technik ebenso wie Prozessmanagement und Betrieb. Die Siemens-Experten nutzen dabei das weitreichende Know-how des Unternehmens in den Bereichen Gepäck- und Paketlogistik, Materialtransport, Gebäudeautomation, Beleuchtung, Energieerzeugung, Verteilung und IT. Sie überprüfen Einrichtungen und Infrastruktur der Flughäfen und befragen Mitarbeiter. Sie sammeln Daten zu Energie-Mix und Energieverbrauch, prüfen technische Abläufe und analysieren Hintergründe. Und schließlich bewerten sie den aktuellen Umgang mit den Ressourcen. Abschließend dokumentieren die Berater ihre Ergebnisse, schlagen den Flughafenbetreibern konkrete Maßnahmen zur Verbesserung vor und geben eine Prognose zur Wirtschaftlichkeit ab. So entsteht ein konkreter Fahrplan für die Umsetzung einer zukunftsfähigen Umweltstrategie. Den ersten umfassenden Health Check führte Siemens Anfang 2010 bei Venedigs Flughafen Marco Polo durch, der mit jährlich rund 7 Millionen Passagieren zu den verkehrsreichsten Italiens zählt. Und sie entdeckten rund 70 konkrete Ansatzpunkte für eine mögliche Optimierung. Die detaillierte Kosten-Nutzen-Analyse ergab ein – ohne besonderen Aufwand erreichbares – Einsparpotenzial von rund 20 Prozent, das sich beispielsweise durch Stromerzeugung vor Ort weiter steigern ließe. Besonders überzeugend: Einige der vorgeschlagenen Maßnahmen amortisieren sich bereits nach einem Jahr, der wirtschaftliche Nutzen durch Ein- Anlage, effektive Wärmedämmung, optimierte Heizungs-, Lüftungs- und Klimatisierungssysteme sowie energieeffiziente Antriebe für die Paketsortieranlagen. In Deutschland nutzte als erster Airport der Flughafen Hamburg den Health Check. Obwohl dieser Flughafen schon 1989 ein Umweltmanagement mit entsprechenden Richtlinien installierte und hier in mancher Hinsicht wegweisend ist, vermuteten die Betreiber, dass sich manche Abläufe und Verfahren weiter optimieren lassen. Und sie hatten Recht – 38 verbesserungsfähige Bereiche konnten entdeckt werden. Siemens durchleuchtete Terminals, Hangars, Vorfeld und Flugfeldbefeuerung sowie die Bürogebäude auf ihren Energiebedarf hin und legte besonderen Wert auf das Zusammenspiel zwischen Technik und Organi sation. So spielt auch Elektromobilität bei den abschließenden Empfehlungen eine wichtige Rolle. Setzen die Betreiber des Flughafens alle Em pfehlungen des Siemens-Teams um, können sie trotz der guten Vorarbeit ihrer UmweltschutzAbteilung Energiekosten und CO2-Emissionen noch mals deutlich senken. Solche Ergebnisse sprechen sich herum. Nach dem Flughafen Stuttgart, der das Health-Check-Programm erst kürzlich absolvierte, könnte das Beraterteam demnächst in Portugal, Großbritannien und Italien aktiv werden. Schließlich erweisen sich Nachhaltigkeit und Energieeffizienz zunehmend als Wettbewerbsvorteile – auch für Flughäfen. horizon 9 10 focus como 07 | Oktober 2011 Schritt für Schritt Das Zeitalter der Urbanisierung hat begonnen. Mehr als die Hälfte aller Menschen weltweit lebt in Städten, die wie ein komplexer Organismus ihre Bewohner versorgen, ihnen Auskommen, Mobilität und persönliche Freiräume verschaffen. Städte sind leider nicht immer lebenswert: Wo die Versorgung mit Wasser und Energie unsicher ist, wo ständiges Verkehrschaos und dicke Luft den Bewohnern das Leben schwer machen, ist Abhilfe dringend nötig. Wo aber beginnen? Was schafft überhaupt die Voraussetzungen für das Zusammenleben Tausender oder Millionen Menschen – und was müssen Städte von morgen bei stetig wachsender Bevölkerung ihren Einwohnern bieten? Ein Gang durch Geschichte, Gegenwart und Zukunft urbaner Infra strukturen mit Prof. Dr.Ing. Klaus J. Beckmann vom Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin. como 07 | Oktober 2011 focus zur neuen Stadt E ine Stadt mag groß sein oder klein, in Jahrhunderten gewachsen oder kürzlich erst am Reißbrett entworfen – ohne eine funktionierende Infrastruktur wird sie nicht bestehen können. „Gute Infrastruktur ist zwingende Voraussetzung für ein verdichtetes Zusammenleben der Menschen, sie hat Stadtgründungen ermöglicht, war Anlass und Grundlage für Wachstum“, formuliert Prof. Klaus J. Beckmann, als Leiter des Deutschen Instituts für Urbanistik in Berlin Experte auf dem Gebiet der Stadtforschung. Wobei der Begriff Infrastruktur nicht nur geografische und klimatische Vorbedingungen umfasst, sondern vor allem vom Menschen gemachte personelle, materielle und institutionelle Grundeinrichtungen: auf der technischen Ebene die Verkehrswege, Wasser- und Energieversorgung, auf der sozialen Ebene Verwaltung, Schulen, Handel und Dienstleistung und mehr. „Das alles zusammengenommen bestimmt die Funktionalität und Attraktivität der urbanen Gemeinschaft – von alters her.“ Ein Blick zurück: Schon die frühen Hochkulturen legen großen Wert auf gute Infrastrukturen. So besitzt die größte bis heute erhaltene Stadt der 11 12 focus como 07 | Oktober 2011 Militär- und Handelsstraße: Die Via Appia bei Rom. Bronzezeit, das rund 4.500 Jahre alte Mohenjo-Daro am Unterlauf des Indus, nicht allein gute Transportmöglichkeiten per Schiff und fruchtbare Felder entlang des Flusses. Im Zentrum der Stadt erhebt sich statt eines herrschaftlichen oder sakralen Prachtbaus das sogenannte Große Bad – auch eine zentrale Wasserversorgung sowie Entwässerungssysteme für die Zeit des Monsunregens werden bei Ausgrabungen entdeckt. „Griechen und Römer wussten ebenfalls um die Notwendigkeit einer guten Wasserversorgung“, so Prof. Beckmann. „In Italien findet man ja bis heute zahlreiche Aquädukte; ohne diese Fernwasserversorgung aus den Bergen wäre das antike Rom, in seiner Blütezeit immerhin eine Millionenstadt, nicht lebensfähig gewesen.“ Kurz erklärt: Infrastruktur Der Begriff Infrastruktur ist von dem lateinischen Wort infra für „unterhalb“ abgeleitet. Er bezeichnet somit den Unterbau und damit alle Grundeinrichtungen personeller, materieller oder institutioneller Art, die das Funktionieren einer großen, arbeitsteiligen Gemeinschaft ermöglichen. Dazu gehört neben der vorgegebenen Infrastruktur – Klima, räumliche Lage, die Menschen selbst – die von Einzelnen und der Gesellschaft (Staat) gestaltete, technische und soziale Infrastruktur: Wirtschaftsordnung, In frastrukturplanung und -investition, unternehmerisches Handeln. Der Gegenbegriff Suprastruktur umfasst den auf dieser Grundlage errichteten „Oberbau“, also alle Anlagen, Gebäude und technischen Einrichtungen. Das zweite prägende Element ist die Verkehrsinfrastruktur. „An Basispunkten von Passstraßen und sicheren Flussübergängen findet man häufig Stadtansiedlungen, ebenso an Knotenpunkten großer Fernhandelswege oder militärisch wichtiger Straßen.“ Oft steht der militärische Nutzen im Vordergrund wie bei den Fernwegen der Inka durch die Anden und den schnurgeraden, teils gepflasterten Römerstraßen. Noch Ende des 16. Jahrhunderts wird Palmanova in Venetien gleich als Festungsstadt angelegt: mit einem zentralen Exerzierplatz und einem radialen Netz aus breiten Straßen für marschierende Soldaten. Es ist eine Planstadt, nach bestimmten formalen Kriterien errichtet wie das ägyptische Alexandria oder Manhattan. „Auch Berlin als klassizistische Stadterweiterung ist ja nicht von Architekten geplant worden, sondern von Ingenieuren – gerade unter dem Aspekt der technischen Infrastruktur“, so der Professor. Im 13. Jahrhundert schließen sich bis zu 300 Seeund Binnenstädte des nördlichen Europa in der como 07 | Oktober 2011 Städtehanse zusammen und der Verkehr zur See gewinnt an Bedeutung: Die Häfen werden ausgebaut zu Verkehrsknotenpunkten mit Warenlagern und Umladeplätzen für die Kaufmannszüge der Fernhandelswege. Zu Lande ist der Pferdewagen das bevorzugte Transportgerät für Waren – und bald auch für Menschen und ihre Informationen: Ein englischer Pferdekutscher transportiert 1601 erstmals auch Briefpost, 1657 nimmt die erste Postkutschenlinie zwischen London und Chester den Betrieb auf und um das Jahr 1750 haben sich Kutschen als wichtigstes Verkehrsmittel im europäischen Überlandverkehr durchgesetzt. Da zählt Rom nicht einmal mehr 160.000 Einwohner und Peking, die Hauptstadt des Mandschu-Kaiserreichs China, ist mit 900.000 Einwohnern die größte Stadt der Erde. Klaus Beckmann: „In allen Fällen mussten sich die Stadtherren fragen: Wie können wir den Verkehr für Waren und Menschen sicherstellen, wie die Versorgung. Und mit zunehmender Industrialisierung kam im 19. Jahrhundert schrittweise die Frage der Energieversorgung mit Gas und Strom hinzu.“ Es ist das Zeitalter der Dampfmaschinen, Spinnmaschinen und mechanischen Webstühle – und die Zeit der Ingenieure, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts praktisch alle Grundlagen für städtische Wasserversorgungs- und Entsorgungssysteme, Gas- und Stromnetze legen. Sogar alle heutigen Verkehrsmittel werden in jenem Jahrhundert erfunden – das Fahrrad als erstes mechanisches Individualverkehrsmittel, Eisenbahn, Tram und U-Bahn, das Auto und das Flugzeug. Als im Europa der 1830er-Jahre erste Dampflokomotiven und Eisenbahnzüge über Eisenschienen rollen, beginnt auch eine rasante Entwicklung des öffentlichen Verkehrs. „Die ersten Ferneisenbahnen verbinden nur die Städte untereinander“, betont Klaus Beckmann. Doch mit den neuen Indus trieansiedlungen strömen immer mehr Menschen in Städte und in die neu entstehenden Ansied lungen entlang der Schienenstränge für den Stadt- „ und Regionalverkehr – in Berlin beispielsweise steigt die Bevölkerungszahl zwischen 1858 und 1880 von knapp 460.000 auf über 1,1 Millionen Einwohner. Vielerorts sind die überkommenen urbanen Infrastrukturen überfordert. Das ruft zum Ende des Jahrhunderts Visionäre auf den Plan. Der Spanier Arturo Soria y Mata entwirft ein Modell planmäßiger Stadtentwicklung als Die neue Zeit erfordert auch andere Verkehrswege. Reaktion auf die schlechten Wohn- und Lebensverhältnisse in den Großstädten. Er propagiert 1882 die „Bandstadt“ entlang der Verkehrswege zwischen zwei Städten und will so zunächst die Satellitenstädte um Madrid, dann alle Städte der Welt miteinander verknüpfen. Der Brite Ebenezer Howard entwickelt wenig später ein Gegenmodell: Seine „Gartenstadt“ auf der grünen Wiese soll aus mehreren mittelgroßen, durch breite Agrargürtel getrennten Städten bestehen, eine Ringeisenbahn sowie radial angelegte U-Bahnen und Straßen verbinden die Teile miteinander – über intermodale Verkehrsknoten. So will Howard die Nachteile der Großstadt vermeiden und ihre Vorteile, etwa leicht erreichbare soziale Einrichtungen, beibehalten. „Da ist sehr integriert gedacht worden“, betont Beckmann, „und die verfügbare Technik hat städtebauliche Vorstellungen immer stark mitbestimmt.“ Gebaut werden solche streng geometrisch gedachten Gartenstädte zwar nicht, doch die Idee hat in gewisser Weise Zukunft: Vor allem in den USA werden später weiträumige Wohngebiete mit kleinen Häusern und großen Gärten entstehen, die heutigen „Suburbs“. Das 19. Jahrhundert jedoch verändert urbane Verkehrsinfrastrukturen von Grund auf. „Bis dahin Intercity-Verkehr anno 1784: Schnelle Städteverbindung zwischen London und Edinburgh. focus 13 14 focus „ como 07 | Oktober 2011 benutzen nur Fußgänger und Pferdefuhrwerke die Straßen“, so Beckmann. „Nun erfordert die neue Zeit auch eine andere Art von Verkehrswegen – und damit eine andere Planung.“ Die ersten schienengebundenen Systeme revolutionieren fast zeitgleich in der Alten und Neuen Welt den öffentlichen Verkehr. „Das Erste, was die Städte wirklich neu prägt, sind Straßenbahnen, zunächst noch als Pferdekutschen auf Schienen“, sagt der Professor. Die erste Pferdebahn rollt 1832 durch New York, in Deutschland bekommt Kassel 1877 die erste Dampfstraßenbahn – doch schon 1881 nimmt die erste elektrische Straßenbahn der Welt in Lichterfelde, damals Vorort von Berlin, den Probebetrieb auf. Erdacht und erbaut ist die „Elek trische“ von Werner von Siemens, der 1866 das dynamoelektrische Prinzip entdeckte und die erste praxistaugliche Dynamomaschine baute. Grand Central Terminal, New York 1913: Bahnhöfe sind zentrale Verkehrsknoten der Metropolen. Seit 1900 prägt der Individualverkehr die urbane Infrastruktur. Die neuen Verkehrsmittel teilen sich den Straßenraum mit Fußgängern und Pferdewagen – selbst in New York fahren Güterzüge anfangs einfach auf der Straße. „Heute wollen wir solche Nähe, sofern es verantwortbar ist, durchaus wieder haben“, so Beckmann, „allerdings aus anderen Gründen: um öffentliche Verkehrsmittel wieder dichter zu den Menschen zu bringen und ressourcenschonende, umweltverträgliche Mobilität für alle zu gewährleisten.“ Damals freilich ist auf den Straßen vieler Großstädte bald kein Platz mehr für alle. Die Londoner Metropolitan Railway rollt 1863 als erste der Welt durch eine Tunnelröhre und verbindet verschiedene Fernbahnhöfe mit der Londoner City. Der Dampfbetrieb im Tunnel bringt viele Nachteile, und so setzt die Beach Pneumatic Transit in Manhattan, eine Tunnelbahn unter dem Broadway, wie eine Rohrpost auf pneumatischen Antrieb. Le Corbusier: „Das Zentrum abreißen!“ Andere Betreiber stellen die Bahn auf Stelzen und betreiben sie als Dampf- oder Kabel-Hochbahn. Mit der Elektrifizierung beginnt dann der wirkliche Metro-Boom: In London startet 1890 die Northern Line, und 1896 baut Siemens in Budapest die erste elektrische Untergrundbahn auf dem europäischen Festland. Das hat Folgen. „Technische und soziale Entwicklung stehen ja immer in einer Wechselwirkung“, sagt Klaus Beckmann. „So haben sich mit Beginn des 20. Jahrhunderts auch im sozialen Bereich die Infrastrukturen verändert und ausdifferenziert – diese Facette wird oft übersehen. Zum einen vergrößerte sich der Einzugsbereich der Fabriken und die Wege zur Arbeit wurden länger. Zum anderen waren zunehmend auch Frauen erwerbstätig und selbstständiger. Das alles wurde durch das Angebot öffentlicher Verkehrsmittel möglich – und Jahrzehnte später noch como 07 | Oktober 2011 einmal verstärkt durch das private Automobil.“ Denn nach 1900 wird der Individualverkehr die urbanen Infrastrukturen nachhaltig prägen. Haben lange Zeit verschiedene Antriebsarten für Automobile miteinander konkurriert, setzt sich in den 1920er-Jahren der Verbrennungsmotor durch: Kraftstoff aus Erdöl ist billig und praktisch überall zu haben, große Reichweite und vergleichsweise hohe Reisegeschwindigkeiten ermöglichen es den Menschen, ohne Rücksicht auf Schienennetze und Fahrpläne jederzeit überallhin zu gelangen. Auto und Motorrad werden zum Inbegriff persönlicher Freiheit. Klaus Beckmann: „Die individuelle Motorisierung hat ja den unabweisbaren Vorteil, dass man ganz individuell entscheiden kann, wann und wohin man fährt und wen man mitnimmt. Diese zunehmende Individualisierung hat unsere sogenannte westliche Gesellschaft über Jahrhunderte geprägt – ein soziales Element, das man ernst nehmen muss. Ein Zuviel schafft allerdings Probleme.“ In den Großstädten dieser Welt wird das bald offensichtlich – besonders in den Metropolen der USA: So verzeichnet Detroit jährlich einen Zuwachs von 100.000 Einwohnern, und jeder Dritte besitzt ein Auto. Obwohl in Berlin weniger als 20.000 Pkw gemeldet sind, herrschen an manchen Straßenkreuzungen bereits chaotische Zustände. Regeln müssen entwickelt werden – und zwar schnell. Schon 1925 installiert Siemens eine erste, von allen Seiten sichtbare Lichtsignalanlage mitten auf dem Potsdamer Platz in Berlin. Die Stadtplaner suchen nach neuen Wegen – auch der schweizerisch-französische Architekt Le Corbusier. „Er ist überzeugter Vertreter der Funktionstrennung“, so Klaus Beckmann. Le Corbusier entwirft geometrische Stadtraster, Hochhäuser als gut durch- focus 15 16 focus como 07 | Oktober 2011 Öl-Metropole Houston, Texas: Auch das Autoland USA setzt inzwischen wieder verstärkt auf ÖPNV mit Metro und Straßenbahn. lüftete Wohnmaschinen mit großzügigen Grünflächen dazwischen, trennt die Hauptfunktionen der Stadt – Wohnen, Arbeiten, Erholung und Verkehr – klar voneinander. Ein großmaschiges Netz von Schnellstraßen und ein feinmaschiges Wegenetz für Fußgänger soll die Stadt erschließen. „Nun spielt Autoverkehr auf einmal eine ganz andere Rolle, ist noch bedeutender dafür, dass Städte überhaupt funktionieren.“ In seinem utopischen Städtebauprojekt „Plan Voisin“ für Paris will Le Corbusier 1925 für eine gigantische Hochhaussiedlung mit 18 Wolkenkratzern und breiten Straßen große Teile des Pariser Zentrums abreißen. Dazu kommt es nicht, doch Le Corbusier formuliert gemeinsam mit anderen Architekten die „Charta von Athen“, ein Plädoyer für die funktionale Stadt, und verteidigt seine Idee: „Wohin eilen die Automobile? Ins Zentrum! Es gibt keine befahrbaren Flächen im Zentrum. Man muss sie schaffen. Man muss das Zentrum abreißen!“ Erst in den 1950er-Jahren greifen Stadtplaner in Europa die Idee auf und propagieren die „autogerechte Stadt“ als Weg aus dem Verkehrs-Chaos der nun beginnenden Massenmotorisierung. „Da ent- steht die Vorstellung, der gesamte Lebensraum müsse dem ungehinderten Verkehrsfluss des Autos untergeordnet werden – das private Auto wird zum neuen Maß aller Dinge“, so Klaus Beckmann. Viele Städte erhalten breite Stadtautobahnen quer durch bestehende Stadtteile sowie riesige Parkflächen und Parkhäuser, um die Zufahrt für Autofahrer und die Anlieferung von Waren per Lkw zu erleichtern, aus städtischen Plätzen werden Verkehrsverteiler. „Die Massenmotorisierung ist einerseits ein Qualitätsgewinn für die Menschen“, sagt der Professor. „Andererseits bringt sie eine Reihe von Nebeneffekten hervor. Städte in Deutschland, Europa und den USA demontieren ihre Straßenbahnen und setzen beim verbleibenden öffentlichen Nahverkehr auf den Bus – der mit wachsendem Verkehr genauso im Stau steht wie jeder private Pkw. Mit zunehmendem Lärm und steigender Luftbelastung verlassen viele Einwohner die Städte, ziehen in Vororte oder gleich aufs Land.“ Es ist ein Teufelskreis: Durch die anhaltende Stadtflucht werden Wege ins Büro, zum Einkaufen und ins Theater länger und lassen sich nur noch mit dem Auto zurücklegen. 1 como 07 | Oktober 2011 Masdar City im Emirat Abu Dhabi: Zukunftsprojekt für autarke Infrastrukturen. Dann die Rückbesinnung: Schon Anfang der Sechziger entwickelt eine britische Kommission unter Vorsitz von Colin Buchanan Vorschläge für neue Planungskonzepte. Der als Buchanan-Report bekannte Bericht „Traffic in towns“ unterscheidet zwischen dem notwendigen Wirtschafts- und Geschäftsverkehr und dem beliebigen Autoverkehr und stellt fest: Viele Verkehrsprobleme entstehen durch die extreme Zunahme des beliebigen Verkehrs. Er schlägt Zufahrts- und Geschwindigkeitsbegrenzungen sowie Umweltzonen vor, die Qualität des Straßenraumes für Fußgänger und Aufenthalt soll künftig Vorrang haben. Erst in unserer Zeit finden solche Ideen praktische Anwendung – in einer Zeit des Paradigmenwechsels auf allen Gebieten der urbanen Infrastruktur. Klaus Beckmann: „Vor dem Hintergrund einer zukunftsfähigen, nachhaltigen Entwicklung setzen wir bei technischen Infrastrukturen insgesamt stärker auf kompakte, dezentrale Systeme mit einer gewissen Autarkie. Bei der Energieerzeugung sind in den Städten meist dezentral organisierte Systeme mit Photovoltaik, Geothermie und Kraft- Wärme-Kopplung im Kommen. Auch Wasser- und Entsorgungskreisläufe lassen sich dezentral viel besser organisieren als mit Großanlagen.“ Die verkehrlichen Strukturen ändern sich ebenfalls: Statt neue Schnellstraßen durch die Städte zu bauen, nutzt man vorhandene Verkehrsflächen und ertüchtigt sie durch intelligente Suprastrukturen wie Verkehrs- und Parkleitsysteme oder Verkehrssteuerungen, wie sie von Siemens entwickelt und optimiert werden. „Das funktioniert dann besonders gut, wenn sich auch die verschiedenen Verkehrsträger aufeinander abstimmen und zu einem integrierten System verbinden lassen.“ Die Menschen honorieren diesen Umschwung. „Wir bemerken schon eine gewisse Re-Urbanisierung, man zieht gern wieder zurück in die Stadt“, so Beckmann. Denn mit der technischen Infrastruktur verbessert sich auch die soziale: „Die älteren Menschen haben hier die Möglichkeit, selbstständig einzukaufen, zum Arzt zu gehen oder ins Theater. Die Jungen finden hier leicht Beschäftigung und haben in den letzten Jahren Lebensformen entwickelt, die sie am besten im urbanen Umfeld realisieLesen Sie weiter auf Seite 24 focus 17 18 focus como 07 | Oktober 2011 Ideas Circus, Foto Peter Cook © Archigram, 1969 Plug-In City, Peter Cook © Archigram, 1964 Instant City, Peter Cook © Archigram, 1968 Plug-In City, Peter Cook © Archigram, 1964 Instant City, Ron Herron © Ron Herron Archigram Group, 1969 como 07 | Oktober 2011 Drive-In Housing, Michael Webb © Archigram, 1966 House 1990, Foto Dennis Crompton © Archigram, 1967 Entertainments Palace, Michael Webb © Archigram, 1961– 63 23 ARCHIGRAM W focus ie sieht unsere urbane Zukunft aus? Diese Frage beschäftigt manche Architekten auf ganz spezielle Weise. Vor allem in den 1960er Jahren, einem Jahrzehnt des Aufbruchs – und der Widersprüche: Im Jahr 1965 ist die spindeldürre Lesley Hornby, genannt Twiggy, das Modegesicht der Zeit. Der Mont-Blanc-Tunnel wird als längster Straßentunnel der Welt eröffnet und in Deutschland fährt erstmals ein Schnellzug fahrplanmäßig mit 200 km/h. Zum Ende des Jahrzehnts betritt Neil Armstrong den Mond, in Woodstock findet ein Musikfestival statt und die britische Komikertruppe Monty Python überzieht die westliche Welt mit schrillem Humor. In dieser Zeit ist eine Gruppe britischer AvantgardeArchitekten mit utopischen Stadtentwürfen aktiv. Peter Cook, Warren Chalk, Dennis Crompton, David Greene, Ron Herron und Michael Webb geben sich den Namen Archigram – ein Kunstwort aus „architecture“ und „telegram“ – und veröffentlichen poppige Zeichnungen ihrer Ideen zusammen mit Comic-Geschichten und eigenen Gedichten in ihrer gleichnamigen Zeitschrift. Die Pop-Architekten denken sich „Capsules“ aus, IgluSiedlungen und eine „Plug-in-City“, die Megastruktur und Infrastruktur zugleich ist: Gehalten von diagonalen Verstrebungen und durch Röhren verbunden, reihen sich Wohntürme, Bürostrukturen, Theaterwaben und Informationssilos. Mit fest installierten Kränen lassen sich einzelne Module bewegen und austauschen. „Walking Cities“ und „Instant City Airships“ sind sozusagen Städte ohne festen Wohnsitz: Sie versorgen sich selbst, bewegen sich auf Teleskopstelzen oder hängen an gewaltigen Luftschiffen und wandern mit Mann und Möbel einfach dorthin, wo das Leben gerade am meisten bietet. Traum oder Albtraum? A WALKING Inspiriert von Le Corbusiers Idee der intelligenten Wohnmaschine, entwickelt die Architekten-Gruppe Archigram 1964 die Projektvision „Walking City“: Die riesigen „gehenden Städte“ auf teleskopartigen Käferbeinen sind autark, bieten 20.000 Bewohnern Lebensraum und eine komplette Moving New York © Ron Herron Archigram Group CITY Infrastruktur und sind an keinen festen Standort gebunden. Bei Bedarf wandern sie dorthin, wo die Arbeits- oder Lebensbedingungen gerade gut sind. Federführend bei diesem Projekt ist Ron Herron: Seine Bauwerke sollten „sich heiter und gelassen durch die Landschaft bewegen“. 24 focus como 07 | Oktober 2011 Fortsetzung von Seite 17 ren können – immer mehr Städter schaffen jetzt ihr Auto ab.“ Freilich heißt das für die Stadtplaner, dem öffentlichen Verkehr noch deutlich mehr Gewicht zu geben. „Dazu eignen sich Straßenbahnen besonders gut, weil sie bei sehr geringem Flächenverbrauch eine hohe Transportleistung bieten.“ Eine Erkenntnis, die sich durchsetzt: Rund um den Globus beleben derzeit über 50 Kommunen ihre Straßenbahnen neu oder planen erstmals ein Schienennetz. In Nordafrika, der Türkei und den Golf-Emiraten werden Stadtbahnlinien nach europäischem Vorbild installiert, in Portugal, Spanien und Frankreich boomt die Tram. Selbst im Autoland USA stehen Ausbau und Neubau der Netze auf der Agenda. So ist die texanische Erdöl-Metropole Houston, wo Siemens nach 77 Jahren automobiler Vorherrschaft wieder ein schienengeführtes Nahverkehrssystem installiert hat, eines der Beispiele für den Erfolg moderner Light-Rail-Systeme: Die Schienentrasse der neuen Tram zum Geschäftsviertel „Downtown“ führt entlang der Main Street mitten durch die Stadt und hat dort nicht nur einen wirtschaftlichen Aufschwung ausgelöst, sondern auch die Wohn- und Lebensqualität der Menschen deutlich verbessert. „Weltweit brauchen Städte, besonders die rasant wachsenden Metropolen und Megapolen auf der Südhalbkugel, in Indien und China, starke öffentliche Nahverkehrssysteme mit Bussen und Bahnen, die sich gut ergänzen“, betont der Professor. Und die Zukunft gehört den integrierten Systemen: „Die Verkehrsknoten, egal ob Bahnhof oder Flughafen, werden zunehmend intermodale Knoten. Man kann leicht vom Auto in die Bahn wechseln, kann mit Metro und Straßenbahn, dem Bus, dem eigenen Fahrrad oder als Fußgänger ankommen und weiterreisen. Nur intermodale Lösungen werden langfristig tragfähig sein.“ Zur Person: Klaus J. Beckmann Der Bauingenieur Dr. Klaus J. Beckmann wurde 1985 als Professor für das Lehrund Forschungsgebiet Kommunale Infrastrukturplanung an die Universität Karlsruhe berufen. Von 1990 bis 1996 war er als Technischer Beigeordneter (Stadtbaurat) in Braunschweig, danach als Leiter des Instituts für Stadtbauwesen und Stadtverkehr der RWTH Aachen tätig. Seit Oktober 2006 ist er Wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Urbanistik (www.difu.de), der größten Forschungs-, Fortbildungs- und Informationseinrichtung für Städte, Gemeinden, Landkreise, Kommunalverbände und Planungsgemeinschaften im deutschsprachigen Raum. Was aber wird übermorgen wichtig sein? Wofür müssen urbane Infrastrukturen fit gemacht werden, damit Städte auch in 50 Jahren noch funktionieren können? „Grundtendenzen lassen sich bereits erkennen“, sagt der Professor. „Sicher werden unsere Gesellschaften weltweit durch zunehmende Individualisierung geprägt sein.“ Fast ebenso sicher wird durch den individuellen Anspruch, am täglichen Leben mit eigenen Entscheidungen teilzunehmen, wie schon in früheren Jahrzehnten das Bedürfnis nach mehr persönlicher Mobilität weiter steigen – und damit das Verkehrsaufkommen. „Auf der anderen Seite werden die Ingenieure neue, langfristig tragfähige technische Systeme entwickeln müssen, denn Energie wird auch in Zukunft teurer und die Umweltanforderungen steigen. Das betrifft aller- Dezentrale Kraftwerke: Häuser im „Smart Grid“. dings nicht nur die Verkehrsinfrastruktur, sondern zum Beispiel auch die Energie- und Wasserversorgung, die wir stärker dezentral organisieren und in Kreislaufwirtschaften überführen müssen.“ Um dezentrale Anlagen sinnvoll miteinander ver knüpfen zu können, sind leistungsfähige Kommunikationsnetze nötig – „Smart Grids“ für fast alle Bereiche der Ver- und Entsorgung. „Derzeit ist beispielsweise immer wieder die Rolle der Speicherbatterien von Elektroautos in der Diskussion: Kann man diese Akkus auch als Puffer und Zwischenspeicher für Strom aus PV- und Windkraftanlagen einsetzen? Dazu sind Vernetzung und Informationsaustausch in höchster Komplexität notwendig, como 07 | Oktober 2011 aber ich bin sicher, dass dieses Thema hier und in anderen dezentralen Systemen an Bedeutung gewinnen wird.“ Selbst die Mobilität im urbanen Raum könnte sich noch so stark verändern, dass neuartige Strukturen und Technologien notwendig werden – zum Beispiel beim Güterverkehr. „Die meisten City-Logistik-Projekte der Neunzigerjahre sind zwar gescheitert, unter veränderten Rahmenbedingungen aber, wenn künftig nicht mehr jeder Spediteur einfach so in die Innenstadt fahren darf, dürfte die Idee neu aufleben“, so Klaus J. Beckmann. Schließlich ist es ökonomisch und ökologisch sinnvoller, wenn statt vieler Diesel-Lkw wenige elek trische Verteilerfahrzeuge die Waren in einem multimodalen Logistikzentrum an der Peripherie übernehmen und auf optimierten Routen gezielt focus 25 sorgung sind solarbetriebene Entsalzungsanlagen vorgesehen. Und Masdar wird die weltweit erste autofreie Stadt sein: Ein unterirdisches Personal-Rapid-Transit-Netz mit automatischen Einzelkabinen, eine Hochbahn und eine U-Regionalbahn sorgen für Mobilität, die Straßenebene ist Fußgängern und Radfahrern vorbehalten. Ähnlich die „New Town“ genannte algerische Stadt Boughezoul, die rund 200 Kilometer südlich der Hauptstadt Algier entsteht. Das Projekt ist Teil des Umweltprogramms der Vereinten Nationen und soll wie in Masdar einen Lebensraum schaffen, der ohne den Verbrauch fossiler Ressourcen auskommt. Die Mobilität der Einwohner und die Versorgung mit Gütern soll deshalb das umweltschonende Transportmittel Bahn übernehmen – zentraler Verkehrsknotenpunkt wird der Bahnhof sein. Umweltfreundliche, schnelle Züge werden die Städteverbindungen von morgen noch nachhaltiger prägen. in der Stadt ausliefern. Das heißt: Für jede dieser Maßnahmen muss auch die Infrastruktur einer Stadt angepasst werden – intelligentes „Change Management“ ist gefragt. Weiter reichende Ideen für morgen liefern moderne Planstädte wie zum Beispiel Masdar City, 30 Kilometer östlich der Hauptstadt Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Geplant von Foster + Partners aus dem Vereinigten Königreich, soll die „Wissenschaftsstadt“, in der auch Siemens mit seinem Forschungszentrum Naher Osten aktiv ist, durch ein eigenes Solarkraftwerk und Windkrafträder CO2-neutral mit Energie versorgt werden. Für die Wasserver- Klaus Beckmann ist sich sicher: „Werden solche Planungen tatsächlich umgesetzt, können daraus wichtige Impulse erwachsen. Die Projekte haben nicht nur die Funktion von Infrastruktur-Labors – sie finden eben nicht auf dem Forschungsgelände irgendeiner Universität statt – sondern müssen als Stadt wirklich funktionieren.“ So lasse sich realistisch beurteilen, welche Konsequenzen auf Fußgänger, Radfahrer oder den öffentlichen Nahverkehr zukommen und wie Freizeit- und Lieferverkehr organisiert werden kann, so der Wissenschaftler. „Das ist ein wichtiger Schritt hin zu tragfähigen urbanen Infrastrukturen für morgen.“ 26 connect como 07 | Oktober 2011 Flughafen Bei Passagierflügen und im Cargo-Bereich müssen Flughäfen mit wachsendem Transportbedarf rechnen. Was ist zu tun? Ideal intermodal Hafen Die Hafen-Kapazitäten weltweit sind knapp – doch die Umschlagmengen nehmen ständig zu. Welche Lösungen gibt es? Bahnhof Der Personenverkehr nimmt ständig zu. Können Bahnhöfe diesen Ansturm in Zukunft noch bewältigen? Liegen die Fachleute mit ihren Prognosen richtig, geraten in den nächsten Jahrzehnten vor allem die Hubs, die Drehscheiben des Verkehrs, weltweit an ihre Kapazitätsgrenzen. Wie lässt sich dort der Verkehrskollaps vermeiden? Welche Eigenschaften sind gefragt? Im Projekt „Future of Hubs“ suchten Siemens-Experten nach Lösungen. Güterbahnhof Der Warenumschlag im Landesinneren steigt weiter an. Wie wird die Infrastruktur fit für die Zukunft? Städtisches Logistikzentrum In den Städten sollen Warenströme künftig effizient und umweltschonend verteilt werden. Lässt sich das organisieren? 28 connect como 07 | Oktober 2011 V iel deutet darauf hin, dass das Verkehrsaufkommen in den kommenden zwei Jahrzehnten massiv ansteigt. Beim Güterverkehr sowieso: Die globalisierte Wirtschaft mit ihrem Warenaustausch über Ländergrenzen und Kontinente hinweg ist einer der Gründe dafür, dass sich das weltweit transportierte Gütervolumen von heute bis zum Jahr 2020 mehr als verdoppeln könnte. Daraus resultiert eine erhöhte Kapazitätsnachfrage nicht nur in den Häfen, sondern beispielsweise auch auf Güterbahnhöfen, Güterverkehrstrassen der Eisenbahnen und im Verteilerverkehr. Kaum anders beim Personenverkehr. Zum einen werden demografischer und sozialer Wandel in vielen Ländern der Erde die Anforderungen an den Personenverkehr grundlegend ändern. Zum anderen konzentriert die zunehmende Urbanisierung mehr Verkehr auf Städte und Agglomerationen, das belegen stetig steigende Fahrgastzahlen im Bereich des öffentlichen Verkehrs. So erwarten aktuelle Prognosen für Europa, dass der öffentliche Personenverkehr bis zum Jahr 2025 um 40 bis 45 Prozent zu legen wird. Die Akzeptanz der öffentlichen Verkehrsangebote wird maß geblich durch Komfort, Sicherheit und zuverlässige Anschluss verbindungen bestimmt. Flughafen Effizienz, Kundenservice und gute Verkehrsanbindung und Dienstleistungsangebot sind entscheidende Faktoren. Intermodale Anbindung gewinnt deshalb ebenso an Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit von Flughäfen wie der umweltschonende Betrieb. Ansatzpunkte dafür: • Abläufe der Passagier-, Gepäck- und Frachtabfertigung • Betriebsführung und Ablaufoptimierung • Gebäudeautomatisierung und Beleuchtung • Intermodale Anbindung • Sicherheitsstrategien • Versorgungsinfrastruktur • Grüne und nachhaltige Technologien Fatal daran: Bewahrheiten sich diese Vorhersagen, wird auch der laufende Aus- und Neubau von Bahnen und Infrastrukturen nicht ausreichen, die wachsenden Verkehrsströme zu bewältigen. Weiter ansteigende Umwelt- und Klimabelastungen durch noch mehr erdölbetriebene Fahrzeuge wären nicht die einzigen Folgen. Was aber wäre zu tun, um auch in Zukunft komfortable und dennoch möglichst umweltverträgliche Haus-zu-Haus-Mobilität für Menschen und Güter zu sichern? Nachhaltige Lösungen gesucht Welche Eigenschaften Verkehrsdrehscheiben künftig haben sollten, hat Siemens im Rahmen des Projekts „Future of Hubs“ untersucht. Mit einem interdisziplinären Team aus Mitarbeitern verschiedener Arbeitsbereiche sowie im engen Kontakt mit Kunden wurden diverse Zukunftsszenarien durchleuchtet. Dabei kristallisierten sich sowohl neue Techniken heraus als auch Lösungen, die für die künftige Gestaltung von Häfen, Flughäfen, Güterund Personenbahnhöfen sowie Logistikzentren im Binnenland maßgebend sein können. Bahnhof Bahnhöfe als zentrales Element im intermodalen Personenverkehr müssen Verkehrsknoten der kurzen Wege sein. Der schnelle Wechsel zwischen Bahn, Straßenbahn, U-Bahn, Bus und Individualverkehr muss deshalb so leicht und unkompliziert wie möglich sein. Ansatzpunkte dafür: • Bahninfrastruktur und -automatisierung • Passagierdienstleistungen • Strategien für den intermodalen Verkehr • Sicherheitsstrategien • Gebäudeautomatisierung und Beleuchtung • Energieeffizienz como 07 | Oktober 2011 Hafen Mehr denn je sind Häfen künftig Logistikknoten für den Warenaustausch mit Güterbahnhöfen im Hinterland. Daher müssen Hafen- und Hinterlandbetrieb besser integriert, Ressourcen effizienter genutzt werden. Ansatzpunkte dafür: • Betriebsführung und Ablaufoptimierung • Terminal- und Gateautomatisierung • Bahninfrastruktur und -automatisierung • Kranautomatisierung • Passagier-, Gepäck- und Frachtabfertigung • Externe Stromversorgung für Schiffe • Sicherheitsstrategien • Verkehrs- und Transportmanagement • Beratungsdienstleistungen Güterbahnhof Die Frachtanlagen bilden Transportketten intermodal ab, die Waren werden automatisiert erfasst und optimal verteilt. Ansatzpunkte dafür: • Terminal- und Gateautomatisierung • Operations- und Dispositionssysteme • Bahninfrastruktur und -automatisierung • Containerabfertigung • Kranautomatisierung • Lösungen für den intermodalen Güterverkehr • Sicherheitsstrategien • Gebäudeautomatisierung und Beleuchtung • Beratungsdienstleistungen connect Zum Beispiel bei Bahnhöfen. Sie liegen meist inmitten von Städten und Agglomerationen und sind das zentrale Element im intermodalen Personenverkehr. Reisende wechseln vom Zug auf die Straßenbahn und umgekehrt, U-Bahnen und Busse ergänzen das öffentliche Angebot. Andere Passagiere fahren mit Fahrrad oder Taxi. Aber der Bahnhof der Zukunft soll sich noch weiter ins städtische Geschehen einfügen: Verschiedene Dienstleistungen, Produkte und Technologien im Bereich der „Tür-zu-Tür“-Verbindung müssen zur Wahl stehen. Der Übergang zu lokalen Verbindungen, mit denen die „letzte Meile“ im urbanen Verkehr zurückgelegt werden kann, muss reibunglos ablaufen, denn die Akzeptanz der öffentlichen Verkehrsangebote wird maßgeblich durch Komfort, Sicherheit und Zuverlässigkeit bestimmt. Reisende wollen streß- und barrierefrei mobil sein und nicht mit unterschiedlichen, nicht verknüpften Systemen konfrontiert werden. Das bedeutet: Der Bahnhof der kurzen Wege und intelligenten Verknüpfungen ist gefragt, durchgängige mobile Bezahlsysteme, die durch integrierte Schlüsselfunktionen auch den Zugang zu Mobility-Sharing-Angeboten ermöglichen, sorgen für flüssige Abläufe. Städtisches Logistikzentrum In Konsolidierungszentren großer Städte laufen die Warenströme verschiedener Transportunternehmen zusammen, um sie dann gebündelt von einem einzigen Logistikunternehmen auf der „letzten Meile“ in der Stadt zu verteilen – weniger Fahrzeuge sind unterwegs, das innerstädtische Verkehrsnetz und die Bewohner werden entlastet. Ansatzpunkte dafür: • Automatisierungslösungen für die Anlieferung und Abfertigung von Waren • Identifikation von Gütern und Transportbehältern • Sortieranlagen • Lagerhaltung und Auftragsbearbeitung •G ebäudeautomatisierung und Beleuchtung • IT-Lösungen für die letzte Meile 29 30 connect como 07 | Oktober 2011 Ähnliches gilt für Flughäfen: Effizienz, Kundenservice und passgenaue Verkehrsanbindungen sind entscheidende Faktoren für das Funktionieren dieser internationalen Verkehrsdrehscheiben. Das bezieht sich einerseits auf das Flughafenmanagement insgesamt, auf das reibungslose Ineinandergreifen der verschiedenen Prozesse. Andererseits hat die Neue „Airport Cities“ stehen für die wirtschaftliche Prosperität des Verkehrs knotens Flughafen. intermodale Qualität große Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit von Airports, denn mit kurzen Wegen und flexibel aufeinander abgestimmten Prozessen lassen sich Wartezeiten für die Reisenden verkürzen und Aufenthalte angenehmer gestalten. Künftig werden diese Aspekte womöglich überlebenswichtig sein. Zugleich rückt der Komfort vermehrt in den Fokus. Wird das Dienstleistungsangebot am und um den Flughafen herum entsprechend erweitert, entstehen nachhaltig geplante und betriebene „Airport Cities“ mit direkter Anbindung an Stadt und Umland, die für wirtschaftliche Prosperität des Verkehrsknotens Flughafen stehen. Knotenpunkte des internationalen Handels Seehäfen wiederum nehmen für die internatio nale Wirtschaft eine Schlüsselposition ein, denn über diese Logistikzentren laufen die Hauptströme des internationalen Handels. Ihre Containerterminals spielen innerhalb der nationalen und internationalen Transportketten eine besondere Rolle. Denn sie sind einerseits Knotenpunkte der Verkehrsdrehscheiben von morgen: Nachhaltig intermodal Die Verlagerung eines Großteils des Güter- und Per sonenverkehrs von der Straße auf umweltfreundliche Verkehrsträger ist das Kernstück nachhaltiger Verkehrspolitik. Zwar wird die Pkw-Nutzung auch künftig einen Großteil des privaten Transportes ausmachen, doch Carsharing-Modelle und gezielt ausgebaute öffentliche Verkehrssysteme sind besonders in Städten und ihren Einzugsgebieten attraktive Alternativen. Vor allem an Bahnhöfen und Flughäfen werden diese Angebote in Zukunft noch stärker nachgefragt und prägen den künftigen Verkehrsknoten. So sind multimodale, perfekt aufeinander abgestimmte Verkehrsangebote, kurze Wege sowie intelligente Leit- und Buchungssysteme unabdingbar. Zusätzlicher Komfort für Reisende entsteht durch die räumliche und funktionale Integration in die urbane Umgebung: Damit sind Handel und Gewerbe ebenso eingebunden wie Arbeit, Wohnen und Erholung. Transportwege, andererseits findet hier auch der modale Übergang von Seeschiffen zu FeederSchiffen, den Zubringern auf den Binnenge wässern, sowie Bahn und Straße statt. Und weil Transporte per Schiff, Bahn oder Lkw sehr unterschiedliche Laufzeiten haben, fungieren die Terminals zugleich als Pufferspeicher mit entsprechenden Flächen zur Zwischenlagerung der Container. Das stetig wachsende Transportvolumen führt zu einer prognostizierten Zunahme des Containervolumens um etwa 8 Prozent pro Jahr. Freilich lässt sich der Staubereich eines Seeterminals nicht unbegrenzt erweitern. Daher muss das Augenmerk vorrangig der Effizienz aller Prozesse gelten – den Abläufen beim Be- und Entladen der Schiffe, dem Austausch mit dem Hafen- Air Cargo (links): Neben den Seehäfen werden auch die Flughäfen wich tiger für den interna tionalen Warenverkehr. Seehäfen (rechts): Die Containerschiffe werden größer, die Umschlagmengen wachsen in den nächsten Jahren weiter. Der Bahnhof der Zukunft ist mehr als nur Mobilitäts-Drehscheibe: Er ist Teil des urbanen Lebens. terminal sowie den Schnittstellen zu den verschiedenen Verkehrsträgern. Neben schnellen und effizienten Umschlagprozessen zählt deshalb vor allem ein Informationsaustausch ohne System brüche zwischen allen Beteiligten der Logistikkette. Eine wichtige Rolle spielt dabei mehr und mehr auch eine effiziente Verbindung zu Terminals im Hinterland, den Güterbahnhöfen. Ihr Ausbau ist für die Bewältigung des weiter ansteigenden Frachtaufkommens im weltweiten Seeverkehr von grundlegender Bedeutung. Sie können durch verbesserte Umschlaganlagen, CO2-freie Transportsysteme und durchgängige Terminal-Management-Lösungen effizienter und umweltfreundlicher werden. Integrierte Dispositionssysteme helfen dabei, den Warenfluss in der Logistik während der gesamten Transportkette transparent zu gestalten. Und intelligente Planungswerkzeuge: Wird auf sogenannten Umschlagbahnhöfen beispielsweise auf Lkw umgeladen, ist die Optimierung der zugeteilten Zeitfenster besonders wichtig. An Hafenbahnhöfen müssen die Schiffsliegezeiten zum Be- und Entladen minimiert werden. Und Industriebahnhöfe müssen sich einer Just-in-timeProduktion reibungslos anpassen. Elektronische Siegel und Identifizierungssysteme stehen auf dem gesamten Transportweg für die Sicherheit der Waren. Ein wesentlicher Aspekt der künftigen Gestaltung großer Verkehrsknoten ist die Verbesserung der Energieeffizienz: Konsequent umgesetzte Maßnahmen, die den Energieverbrauch großer Gebäude und Anlagen, aber auch der Transporte selbst reduzieren, senken die Kosten für die Betreiber markant und verbessern gleichzeitig die CO2-Bilanz. So können zum Beispiel in großen Ballungsräumen und Mega cities regionale Logistikzentren – sogenannte Konsolidierungszentren – dabei helfen, die Warenverteilung effizienter und umweltschonender zu betreiben. Automatisierte, flexible Lagersysteme beschleunigen die Warenströme und bündeln sie sinnvoll: Statt vieler Lieferfahrzeuge unterschiedlicher Spediteure können nun wenige Verteiler-Lkws – möglichst mit Elektro- oder Hybridantrieb – alle auf ihrer Route liegenden Kunden ansteuern. Die Zahl der gefahrenen Kilometer und damit auch die Belastung der Bewohner und der Umwelt sinkt deutlich. Wie gut ein Verkehrsknoten funktioniert, hängt von der Effizienz seiner IT-Prozesse ab. Diese Beispiele zeigen, dass das reibungslose Funktionieren von Verkehrsknoten künftig vor allem davon abhängt, wie effizient Daten und Informationen geliefert, verarbeitet und genutzt werden. Die gute Botschaft ist: Die Technologien dafür sind weitgehend vorhanden. Die „Complete mobility“Strategie von Siemens, die auf intelligente Vernetzung der Verkehrsströme auf der Schiene, der Straße und in der Luft setzt, bietet bereits heute die Lösungsansätze. 32 move como 07 | Oktober 2011 Fit für Mi Mindestens 30 Jahre und viele Millionen Kilometer sollen Züge unterwegs sein – und das möglichst ohne Pannen. Deshalb gibt es bei S iemens umfassende Service- Leistungen über den gesamten Produkt- como 07 | Oktober 2011 llionen Lebenszyklus hinweg, mobile ServiceTeams und e ine „vorausschauende“ Instandhaltung. So lassen sich Störungen schnell erkennen und beseitigen – noch bevor sie sich auswirken. move 33 34 move como 07 | Oktober 2011 B ahnbetreiber stehen unter einem enormen ökonomischen Druck. Weltweit treten immer mehr private Wettbewerber gegen die traditionellen Staatsbahnen an. Und auch die Bahnkunden werden anspruchsvoller, steigen einfach auf andere Verkehrsmittel um, wenn die Fahrt dort komfortabler ist. Die Folge: War es früher oft erklärtes Ziel, Bahnsysteme mit geringstem Aufwand in Betrieb zu halten, stehen heute auch gesteigerte Attraktivität und entsprechende Technologie-Upgrades auf der Agenda. Instandhaltung und Modernisierung kosten freilich nicht nur Geld, sondern auch Zeit – wertvolle Zeit, in der sich die Fahrzeuge nicht einsetzen lassen. „Betreiber können es sich heute nicht mehr leisten, für den Fall der Fälle beliebig viele Ersatzfahrzeuge bereitzuhalten“, beschreibt Johannes Emmelheinz, Leiter des Business Segments Integrated Services bei Siemens Rail Systems, die Situation. „Ständige Verfügbarkeit ist gefragt, und so wird effiziente Instandhaltung zum kritischen Erfolgsfaktor für die Wirtschaftlichkeit von Bahnsystemen.“ Deshalb konzentrieren sich vor allem private Betreiber zunehmend auf ihr Kerngeschäft, den Transport von Menschen und Gütern; Instandhaltung und Reparatur dagegen lagern sie an externe Service-Partner wie Siemens aus. „Weltweit sind mittlerweile rund 3.500 Service-Mitarbeiter der Siemens Rail Services rund um die Uhr im Einsatz“, so Johannes Emmelheinz. Ferndiagnose Dabei spielt zunehmend auch Ferndiagnose eine wichtige Rolle: Bleibt ein Fahrzeug unterwegs liegen, werden relevante Umfeld-, Betriebs- und Diagnosedaten in das Siemens Rail Support Center in Erlangen übertragen. „Dort stehen täglich rund um die Uhr unsere Experten bereit, die vom Fahrzeug erhaltene Informationen schnell analysieren, Fehler erkennen und Lösungen entwickeln“, beschreibt Emmelheinz. „In acht von zehn Fällen kann den Fahrzeugführern bereits per Telefonanruf geholfen werden.“ Das zeigt, dass längst moderne ITLösungen bestimmen, wie effizient und damit wie erfolgreich ein Service arbeitet. Mobiler Service Das gilt im besonderen Maße auch für den mobilen Service. Das Rail Support Center überwacht nicht nur die angeschlossenen Systeme mittels Datenfernübertragung, es unterstützt die Techniker bei ihrem Einsatz im Feld. Die stellen mit Hilfe einer HeadsetKamera, dem sogenannten „Field Support Device“, eine audio-visuelle Verbindung zu den Kollegen im Center her und verschaffen ihnen so einen direkten Eindruck von der Situation vor Ort. Kommuniziert wird über eine gesicherte Internetverbindung und die „common Remote Service Platform“, bewährte Technik aus dem Hause Siemens. Für Johannes Emmelheinz ist die Erhebung und konsequente Auswertung dieser Systemdaten die Grundlage für einen Service ganz neuer Qualität: „Wir können damit Trend- und Musteranalysen an Komponenten und Gewerken durchführen und Erkenntnisse über deren Zustand ableiten. Das erlaubt die Entwicklung von der herkömmlichen Instandhaltung, die auf Fehlfunktionen reagiert, hin zu einer vorausschauenden Instandhaltung, die sich konsequent am tatsächlichen Zustand des Bahnsystems ausrichtet.“ Mit anderen Worten: Während Instandhaltungszeiten bisher an feste, gesetzlich festgelegte oder herstellerbestimmte Intervalle gebunden waren, lassen sie sich künftig mithilfe intelligenter Sensoren und Datensysteme dann anberaumen, wenn die Technik dies tatsächlich erfordert. Ersatzteile von heute auf morgen Predictive Maintenance Will ein Bahnunternehmen Werkstattleistungen in eigener Regie durchführen, ist auch die Ersatzteilversorgung bestens organisiert. Seit dem Jahr 2000 betreibt Siemens den Online-Ersatzteilkatalog „Rail Mall“ und hat diesen digitalen Vertriebskanal für seine Bahn kunden laufend ausgebaut. Johannes Emmelheinz: „Mit unserem neuen Angebot der Express-Logistik können wir jetzt noch schneller auf den Ersatzteilbedarf unserer Kunden reagieren. Noch spät am Abend bestellte Teile werden direkt aus unserem World Distribution Center in Neu-Isenburg versendet – je nachdem kann das neue Teil schon am nächsten Morgen vor Ort sein.“ „Mit On-Time-Monitoring und innovativen Diagnosetools lassen sich Bahnsysteme und deren Performance kontinuierlich beobachten. Liegen Messwerte außerhalb der Norm, können wir sofort reagieren – noch bevor es zu einer Fehlfunktion kommt.“ Diagnosesysteme können den Zustand der Radsätze, Antriebskomponenten und Klima anlagen kontrollieren. Oder sie überwachen den Strombedarf beim Öffnen und Schließen von Türen. Liegen die Werte außerhalb des Norm-Korridors, könnte das eine Störung ankündigen. Und beim nächsten Instandhaltungstermin steht eine genaue Nachprüfung ganz oben auf der Checkliste. Die Sensoren geben auch Aufschluss über den Verschleißgrad sicherheitsrelevanter Komponenten wie beispielsweise der Bremsen: Künftig wird man Bremsscheiben genau dann austauschen können, como 07 | Oktober 2011 move 35 Sichere Datenübertragung Rail Support Center Remote Data Access Mobiler Service Ersatzteilversorgung Depot Service Mobiler Service: Mit Kamera vor Ort. Vorausschau mit On-Time-Monitoring: Systemdiagnose während des Betriebs. wenn sie einen kritischen Abriebwert erreicht haben, und nicht mehr routinemäßig in festen Intervallen, wenn die Scheiben womöglich noch in gutem oder schon in sehr schlechtem Zustand sind. In der Automobilindustrie hat sich das Verfahren bereits bewährt – und auch bei Bahnsystemen kann vorausschauende Instandhaltung die Standzeiten optimieren und langfristig die Verfügbarkeit einer Zugflotte auf hohem Niveau sicherstellen. Überzeugte Kunden „Mehrere Bahnkunden haben sich schon für diese neuen, effizienten Serviceverfahren entschieden“, so Emmelheinz. „Zum Beispiel werden die Lokomotiven der dänischen Railion, die Velaro-Hochgeschwindigkeitszüge in Spanien und die Flotten des Desiro UK in Großbritannien schon heute nicht nur von den Depots und Instandhaltungswerkstätten, sondern auch von mobilen Service-Technikern betreut. So kann herausragende Verfügbarkeit sichergestellt werden.“ Und das ist erst der Anfang. Im russischen Metallostroy betreibt Siemens eines der modernsten Zug-Depots der Welt und wartet dort die „Sapsan“, Wanderfalke genannten Velaro-Züge, die Russlands Hauptstadt Moskau seit Dezember 2009 mit St. Petersburg und seit Juli 2010 mit der Millionenstadt Nischni Nowgorod verbinden. Hier kontrollieren Diagnosesysteme bereits unter anderem den Zustand der Radsätze und Sensoren erfassen Störmeldungen auch während des Betriebs, auch die Erkennung von Fehlerquellen mithilfe der Trend- und Datenanalysen ist bereits Alltag. Mit dem Computerized Maintenance Management System (CMMS) werden die Wartungsarbeiten zentral geplant, durchgeführt und überwacht. Kommen die Züge zum Service ins Depot, zeigen Bildschirme direkt an den Arbeitsplätzen der Techniker die entsprechenden Arbeitsanweisungen an; die ServiceTeams wiederum können abgeschlossene Arbeitsaufträge gleich über die Touch-Screen-Monitore oder mobile Endgeräte ans System zurückmelden. Unter dem Strich sind damit ein optimierter Betriebsablauf, effiziente Störungsbeseitigung und ein funktionelles Obsoleszenz-Management zum rechtzeitigen Austausch von Verschleißteilen gesichert. „Mit unserem Service betreuen wir Systeme über den gesamten Produkt-Lebenszyklus hinweg“, fasst Johannes Emmelheinz zusammen. „Das beginnt mit den Tests und der Inbetriebsetzung im Prüf- und Validationcenter Wegberg-Wildenrath, umfasst die korrektive und präventive Instandhaltung, den Rail Life Support sowie die Ersatzteillogistik und führt durch technische Upgrades und Modernisierungen zur Verlängerung der Lebensdauer. So verbinden wir Service ganz automatisch mit Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit.“ Fünf-Punkte-Programm für besseren Service Das Service-Spektrum von Siemens sichert Bahnbetreibern eine Reihe wesentlicher Vorteile: • R eduziert die Lebenszykluskosten • Sorgt für die Sicherheit des technischen Betriebes sowie der beförderten Personen und Güter • Verbessert Verfügbarkeit, Qualität und Komfort • Optimiert grenzüberschreitenden Verkehr • Sichert Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit 36 move como 07 | Oktober 2011 @ Mit eBrief und Siegel Der Postmarkt ist in Bewegung. E-Mails ersetzen den klassischen Brief, während zugleich die Zahl der Paketsendungen wächst und der Wett bewerb unter den Postgesellschaften sich verschärft. Mit effizienten Automatisierungs-Systemen aber bleiben Postlogistiker flexibel – und so mancher Brief wird künftig gar nicht erst zugestellt. como 07 | Oktober 2011 move 37 M aschinen, die Adressen lesen und in Windeseile Briefe sortieren, kennt man seit Anfang der 1960er-Jahre. Am 31. Mai 1965 ging die erste elektronische Briefsortieranlage der Welt im Postamt des südwestdeutschen Städtchens Pforzheim in Betrieb. Die Technologie steckte da freilich noch in den Kinderschuhen: Postmitarbeiter tippten die Postleitzahlen der Briefe über eine Tastatur ein, die Anlage setzte die Zahlenfolge in einen maschinenlesbaren Matrix-Code aus fluoreszierenden oder schwarzen Balken um und brachte die Post dann auf den richtigen Weg. Zunächst beschränkte sich automatische Briefsortierung auf Postkarten und Briefe in kleinen Umschlägen. Größere oder dickere Sendungen galten als nicht maschinenfähig und wurden weiterhin manuell sortiert, bis Sortiermaschinen für Großbriefe, sogenannte Flatsorter, die Arbeit übernahmen. Heute gibt es längst effiziente Hightech-Lösungen mit automatischem Feeder und Adressleser – und die Entwicklung geht rasant weiter: In vielen Bereichen der Postsortierung und Verteilung haben Siemens-Ingenieure in den vergangenen Jahren grundlegend Neues geschaffen. Mit dem Ergebnis, dass Postgut – seien es Großbriefe, Zeitungen oder Pakete – in hohem Maße automatisiert bis zum Ziel geführt werden kann. Briefsortieren in Höchstgeschwindigkeit: automatisch und zuverlässig. Groß und klein, dick und dünn Das fängt bei der Vorverarbeitung an, also dort wo die unterschiedlichen Inhalte der Postbriefkästen ihren Anfang nehmen. Bei keiner anderen Briefbearbeitungsmaschine sind die Anforderungen der Kunden so unterschiedlich wie bei der Vorverarbeitungsmaschine, Culler Facer Canceller (CFC) genannt. Sie verarbeitet Sendungen bis zum Format C4, die bis zu 300 Gramm wiegen und in Papierumschlägen stecken. So lassen sich je nach Land immerhin bis zu 90 Prozent aller aus den Postkästen angelieferten Großbriefe automatisch bearbeiten. Aufstellen, verarbeiten, sortieren Das verlässliche Aufstellen aller Briefsendungen macht der neue CLSC 3004 Farbscanner möglich, denn er liefert hochauflösende Ansichten der kompletten Vorder- und Rückseite jeder Sendung als Farb- und als Graubild. Das Farberken- Moderne Vorverarbeitungsanlagen schaffen neben Standardbriefen auch Sendungen bis zum Format C4 und 300 Gramm Gewicht. nungssystem ACR (Advanced Colour Recognizer) erkennt zudem Briefmarken, Stempel von Frankiermaschinen oder 2D-Codes mit sehr hoher Genauigkeit – Grundvoraussetzung für die Klassifizierung der Briefsendungen und das Entwerten von Briefmarken. Werden automatische Adressleser oder Video-Codier-Systeme angeschlossen, kann das System mit zusätzlichen Funktionen bis hin zum automatischen Nachsenden erweitert werden. Diese neuen Möglichkeiten will beispielsweise die Post in Dänemark, die täglich rund 11 Millionen Postsachen verarbeitet, an 5,2 Millionen Kunden in 2,6 Millionen Haushalten ausliefert und laut verschiedener Analysen schon heute der schnellste und effizienteste Briefpostdienst Europas ist, künftig nutzen. Ab 2012 sollen sieben CFC 3004 Vorver- 38 move como 07 | Oktober 2011 arbeitungssysteme mit integrierter Lese- und Videocodiereinheit Großes und Kleines in einem durchgängigen Brieflauf verarbeiten. Das spart Zeit, Arbeitskraft und Platz. Mit den auf zwei Gramm genauen geeichten Wiegemodulen lassen sich außerdem unterfrankierte Sendungen automatisch entdecken. Und weil sich Post Danmark für die höchste Ausbaustufe entschieden hat, sortieren die Sendungen anschließend noch bis auf die Gangfolge des Postboten genau. Und was ist mit Paketen? „ Selbst für Paketsendungen, in Format und Dicke sehr verschieden, gibt es automatische Sortiersysteme wie den Quergurtsorter Variosort EXB 120. Seine miteinander verbundenen umlaufenden Wagen sind mit einem Gurt quer zur Laufrichtung versehen, die Pakete bewegen sich vorwärts und lassen sich im passenden Augenblick nach links oder rechts aussortieren. tiert dort 9.000 Pakete pro Stunde, ist aber auf Zuwachs ausgelegt und kann fast das Doppelte schaffen. Eingehende Pakete werden zunächst vom Lkw auf die Förderanlage geladen, auf ihre Abmessungen geprüft und gewogen. Eine Zuführstrecke schleust sie dann auf das Trägerband des Sorters, der Barcode wird ausgelesen und die Pakete werden ihrem Bestimmungsort entsprechend sortiert. Ist ein Barcode beschädigt oder unlesbar, unterstützt ein OCR-System den Prozess – die EffizienzRate liegt so bei über 97 Prozent. Es geht noch größer: Die Variosort-Anlage im derzeit entstehenden größten Express- und Logistikzentrum Asiens in Nanjing im Hinterland von Shanghai dürfte die weltweit umfangreichste ihrer Art werden. Am Ende des Projekts, bei dem Siemens als Integrator tätig ist, sollen die Wagen des Quergurtsorters in mehreren Ebenen rund fünf Kilometer weit umlaufen und Paket um Paket sortieren. Andere Länder, andere Sorter Mit dem Multi Product Sorter dick und dünn gemeinsam verarbeiten. Auf diese Technik setzt der rumänische Kurierdienst FAN Courier für seinen neuen Logistik-Hub in Bukarest. Das 324 Meter lange Fördersystem sor- Paketlogistik: Mehr Effizienz per „Fingerprint“. Kommen Postkarten, Briefe und Maxibriefe zusammen mit Päckchen, Bunden und Pakete gemeinsam an, sind Multi Product Sorter (MPS) gefragt. Sie bearbeiten neben den üblichen Sendungen auch solche, die wegen ihrer Größe, Dicke, Steifigkeit oder Unförmigkeit bisher nicht automatisiert sortiert werden konnten – und zwar bis 20 Kilo Gewicht. Neben einer automatischen Zuführung für die Sendungen gibt es auch bis zu zwei halbautomatische und bis zu neun direkte Eingaben, anschließend kann in mehr als 150 Richtungen wieder ausgeschleust werden. Die Postlogistiker in Singapur und in Indien hat das auf Anhieb überzeugt. In beiden Ländern wird der MPS neben den Briefsortiermaschinen eingesetzt, um die sogenannte „Restmail“ zu bearbeiten. Vom Barcode zum „Fingerprint“ Die Eindeutigkeit jeder Paketsendung wird üblicherweise durch einen Barcode sichergestellt – doch die Sache hat Haken: Bislang konnten sich internationale Standards nicht flächendeckend durchsetzen. Zahlreiche eigenständige, ländertypische Barcode-Varianten erschweren den Grenzübertritt oder machen es sogar unmöglich, Packstücke von einer Logistikkette in eine andere zu schleusen. Elegante Alternative ist die Fingerprint-Identifizierung für die Paketpost, ein Verfahren das bereits bei der Großbriefsortierung im Open Mail Handling System verwendet wird. Dazu haben sich die Siemens-Ingenieure ein erstaunliches Phänomen zunutze gemacht: Jedes Paket unterscheidet sich optisch eindeutig von einem anderen, selbst wenn die Adressen maschinell auf gebracht wurden. Die neu entwickelte ARTid-Lösung como 07 | Oktober 2011 move Die Post der Zukunft: Nur noch wichtige Briefe – auf Papier oder gleich elektronisch. arbeitet deshalb durchgängig mit dem optischen Merkmal eines Pakets. Kamerasysteme erstellen Bilder der Pakete, gleichzeitig erfolgt die Registrierung der Sendung. Im weiteren Prozess bleibt das Paket über Kameras eindeutig identifizierbar – ganz ohne Barcode. Der große Vorteil: Kostentreibendes Konvertieren von Barcodes ist nicht mehr nötig, die Logistikströme kennen keine Grenzen mehr. „ Postlogistik: Effizienz bis an die Haustür. Bei der Zustellung endet meist die Automatisierung: Dann sortieren die Zusteller Briefe und Großbriefe für ihre Tour selbst in der Reihenfolge, in der sie später Straßen, Häuser und Briefkästen ansteuern, und beladen ihre Taschen. Das alles braucht Zeit, viel Zeit. Dabei ist es längst möglich, dem Briefträger fertig „auf Gangfolge gesteckte“ Behälter anzuliefern, in denen die Briefe schon exakt bis auf die Reihenfolge der Hausbriefkästen sortiert sind. So finden sich auch Krankheits- und Urlaubsvertretungen schnell auf einer fremden Zustellroute zurecht. Und sogar eine dynamische Vorhersage der Zustellmengen ist möglich. Denn für jeden einmal identifizierten Brief lassen sich alle folgenden Prozessschritte vorhersehen – zum Beispiel, wann er bei einem bestimmten Zusteller ankommt. Daraus lassen sich Schlüsse auf die Tagesplanung ziehen und optimierte Sortierstrategien entwickeln. So ist auch in der Postlogistik „Effizienz bis an die Haustür“ möglich – ganz automatisch. Trust-Ebox: Papierbrief und elektronische Post wachsen zusammen Alltag ist, wenn Postsendungen Tag für Tag pünktlich zugestellt werden. Wer aber häufiger unterwegs ist, findet bei der Rückkehr oft jede Menge Werbebriefe, Prospekte und andere unerwünschte Post in seinem Briefkasten vor. Dieses Problem löst die Automatisierungslösung TrustEbox von Siemens elegant durch das sogenannte ReverseHybrid-Mail-Verfahren. Dabei kann der Empfänger seine Papierbriefe wahlweise herkömmlich oder in digitaler Form erhalten – sofern er sie überhaupt haben will. Das Verfahren erproben Siemens und die Schweizerische Post, die mit der Umwandlung von Papierbriefen in elek tronische Briefe und der elektronischen Zustellung bereits gute Erfahrungen gemacht hat, derzeit mit der „Swiss Post Box“: Der Kunde meldet sich für den Service an und beauftragt die Post, zunächst die Briefumschläge zu scannen und die Abbildungen per E-Mail zu senden. Der Empfänger kann dann per Mausklick am Computer oder unterwegs am Smartphone entscheiden, ob er Briefe ungelesen durch den Dienstleister vernichten lässt, ob er sie wie gewohnt zugestellt bekommen will oder ob die Post sie öffnen, die Seiten scannen und als PDF per E-Mail senden soll. Die Vorteile für Postunternehmen und Postdienstleister sind klar: Sie können mit der Siemens-Lösung ihre Kosten bis um das Zehnfache gegenüber vergleichbaren Verfahren reduzieren. Darüber hinaus müssen sich die Zusteller mit Briefen, die der Empfänger ohnehin nicht haben will, gar nicht mehr belasten. Poststellen von Unternehmen wiederum müssen den Teil des Posteingangs, der bereits digital zugestellt wurde, nicht mehr manuell sortieren und verteilen. Und der Empfänger? Der bekommt nur noch Post physisch zugestellt, die er wirklich haben möchte – und kann seine elektronischen Briefe per Mobiltelefon oder Computer an praktisch jedem Ort der Welt auf dem Bildschirm lesen. 39 www.siemens.com IMPRESSUM como Complete mobility – Fakten, Trends, Stories Herausgeber: Siemens AG · Sektor Infrastructure & Cities · Division Mobility and Logistics · 80200 München · Division Rail Systems · 13623 Berlin Redaktionsleitung: Stephan Allgöwer Siemens AG · Sektor Infrastructure & Cities · Division Mobility and Logistics · C ommunications Textredaktion: Eberhard Buhl, www.presse-team.de Fotos: Corbis S. 1, 12, 13, 14/15, 16, 30, 31, 32/33, 38 · iStockphoto S. 8, 10/11, 36, 39 · Getty Images S. 14 · Masdar City S. 17 · Ron Herron Archigram Group S. 18, Centerfold · Archigram Archives S. 18/23 Alle anderen Fotos: Siemens AG Konzeption & Gestaltung: Agentur Feedback, München www.agentur-feedback.de Druck: Mediahaus Biering, München Printed in Germany Copyright: © Siemens AG 2011 Alle Rechte vorbehalten. 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