Pressematerial Sophie Hunger

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Pressematerial Sophie Hunger
Artist: Sophie Hunger // Title: Supermoon // Label: Caroline // Release: 24.04.2015
Ein Band zum Mond
Konzert im Orpheum am 19. Oktober 2015, 20:00
Sophie Hunger wollte von Musik nichts mehr hören. Nach einer langen Tour, nach 250.000
verkauften Alben und einem Ruhm, der in Tausenderhallen weiter wuchs – in Deutschland,
Frankreich, in der Schweiz, in England und sogar in den USA. Hektik sieht so aus: Vor drei Jahren die
letzte Studioplatte, «The Danger of Light», unter anderem mit Hilfe von Josh Klinghoffer, dem
Gitarristen der Red Hot Chilli Peppers, gefolgt vom Live-Doppelalbum «The Rules of Fire», einem
Buch und einer fiktiven Doku über die Tournee.
Die Sängerin, Komponistin, Pianistin und Gitarristin, die für jeden Wunsch im Saal zu singen scheint,
war leergewünscht. Und suchte das Weite. «Ich ging nach Kalifornien ohne Versprechen, wann ich
zurück sein würde», sagt sie. Zuerst landete Hunger in San Francisco, in einem Museum im Golden
Gate Park. Dort gibt es Räume, die auf Knopfdruck wackeln wie bei einem Erdbeben. In diesem
Museum lernte die Sängerin etwas über den Mond: Der wurde wissenschaftlichen Theorien zu Folge
nach einem Crash zwischen Erde und einem Himmelskörper ins All geschleudert. Der Mond besteht
demnach aus alter Erde. «Wir heulen ihn an, weil er für uns so schön die Sehnsucht nach dem
Fremden darstellt. Dabei ist er ein Teil von uns.»
Frisch geschüttelt und von astronomischer Erkenntnis gerührt, kaufte sich die 32-jährige Schweizerin
eine Gitarre. Keine zwei Wochen nach dem Gelübde, die Musik einmal ruhen zu lassen. Sie schrieb
Songs in Airbnb-Wohnungen. Und sie schaut die Australien Open in einer Bar in San Francisco – über
das Tennisspiel ihres Landsmannes Roger Federer kann sie sehr engagiert reden, etwa über dessen
Kunst, unnötige, aber schöne Bewegungen in seine Schläge zu weben. Hat Hunger gerade zu einem
argumentativen Schlag ausgeholt, als in dieser Bar auf einmal lauter Musiker um sie herum am
Tresen saßen? Wenig später spielte sie im Studio von John Vanderslice ein Fingerpicking ein, zur
Gitarre kam ein Gesang wie nicht von dieser Welt. Es wurde das Titelstück ihres neuen Albums:
«Supermoon». Wollte Sie sich nicht erholen?
«I was cut out of your stone / I am empty but I'm never alone», singt Hungers Mond, der in der
ersten Person erzählt und auf die Erde hinunterblickt. Man könnte die Sängerin an die Stelle des
Mondes setzen und die Zeilen so verstehen: «Ich bin aus demselben Stein wie Ihr gehauen, liebes
Publikum. Ich bin leer und unbewohnt, aber nie allein.» Kaum eine Künstlerin der letzten Jahre hat
sich so stark über das Konzerterlebnis vermittelt wie Sophie Hunger. Kaum eine unterwirft sich so
deutlich dem Publikum und nimmt es dabei so heilig ernst. Und doch bleibt die Künstlerin dominant.
Ihr Dienst hat mit Anbiederung nichts zu tun..
Sie kennt dieses Gefühl aus der Zeit, als sie gekellnert hat: «Ich war sehr streng – mit mir, aber auch
mit den Kollegen. Das Dienen sollte eine Kunst sein.» Wer will, erkennt diese Ähnlichkeit von Herr
und Knecht aus einigen Romanen des Schweizer Schriftstellers Robert Walser, aus dem frühen 20.
Jahrhundert («Jakob von Gunten» 1909, «Der Gehülfe» 1908). Walser war eine Zeit lang Hungers
Hausdichter: «Ja, ich bin sicher zwei Jahre um ihn herumgeschlichen.» Doch «Supermoon» ist erst
einmal das Gegenteil der Schweiz, als Song wie als Album. Denn es geht ums Weggehen. Wie ein
Leitfaden durchwirken weite Wege das Werk, das verrät bereits die Tracklist: Supermoon, Mad Miles,
Superman Woman, Die Ganze Welt, Heicho (schweizerdeutsch für «Nachhause kommen»), Queen
Drifter. «Supermoon» ist ein Album von einer, die auszog.
In «Heicho» kehrt die Sängerin nur zur Mutter zurück, um zu sterben. Und die hält den Grabstein
schon bereit. «Als ich das Freunden gezeigt habe, die Kinder haben, waren die entsetzt», sagt
Hunger. Auch ihre eigene Mutter musste leise schlucken. Doch der Song ist größer als ihre
persönliche Geschichte, auch wenn die hier für einmal hineinspielt: Sie wohnte in einem kleinen Haus
mit Studio im Keller, Garten und «spielenden Kindern, die mich zu Mittag geweckt haben…», bis der
neue Besitzer sie herauswarf. Hunger war klar, im superteuren Zürich nie wieder etwas Ähnliches zu
finden.
Sie wollte weg. Erst nach Kalifornien. Aktuell wohnt sie in Berlin. «Die Franzosen haben mir vor Paris
abgeraten, weil zu teuer», sagt Hunger. «Ich muss mich in Berlin nur daran gewöhnen, dass deutsche
Männer Angst vor eleganten Gesten haben. Die denken gleich, sie würden die Frauen bevormunden
– ein Kulturschock, wenn man viel Zeit in Frankreich verbringt wie ich…» Wie sehr berühmte
französische Männer Madame Hunger verehren, hört man in der Coverversion von «La Chanson
d'Hélène». Im Original singen es Romy Schneider und Michel Piccoli, auf dem Soundtrack des Films
«Les choses de la vie» («Die Dinge des Lebens», Regie: Claude Sautet, 1970). Bis heute ist es eins der
berühmtesten Chansons in Frankreich. Bei Sophie Hunger spricht die Fußballlegende Éric Cantona
den Part von Piccoli.
In Frankreich darf Madame Hunger fast alles: Im Pariser Olympia hatte sie es einst gewagt, als kleine
Schweizerin, wie die Franzosen die Schweizer aus Prinzip nennen, ein Nationalheiligtum zu singen:
«Ne me quitte pas» von Jacques Brel. Und auf dem 2010er-Album mit ihrem Geburtsjahr in Titel,
«1983», coverte sie «Le vent nous portera» von Noir Désir. Mehr Frankreich geht nicht. «In der
Schweiz und auch in Deutschland hat man kaum eine Vorstellung davon, was Kulturnation in
Frankreich auch noch heißt: Nebst dem Stolz nämlich auch die Fähigkeit, Leute von woanders her als
die eigenen zu betrachten. Siehe Romy Schneider, die Österreicherin“, sagt Hunger.
«Queen Drifter» ist ein Stück, das wieder vom Unterwegssein handelt. Keine Wurzeln schlagen, ohne
Familie leben, das Abenteuer suchen: Hunger heroisiert das bewusst, in Auflehnung gegen die
Anforderungen, die viele noch immer an Frauen ab dreißig stellen. «Der Titel stammt von einer
Email, die ich einer befreundeten Musikerin geschickt habe. Bis ich merkte: Die Queen Drifter, das
bin ja ich.» Schon im Opener «Supermoon» ging es darum, im andern sich selbst zu erkennen. Doch
nicht jedes Du wird zum Ich und umgekehrt. Manche Distanzen sind unüberwindbar. Supermoon
nennt man die seltene Position, wenn der Mond der Erde am nächsten kommt und riesig leuchtet.
Allerdings beträgt die Entfernung immer noch 357.000 Kilometer. Ist das wieder eins der
Hungergefühle? Dass man sich der Sängerin live nahe glaubt, obwohl dieses Flackern von weit her
stammen könnte?
Parallel zu den vielen Momenten der Unterbrechung erzählt Sophie Hunger auch von Kontinuitäten.
Mit ihrer aktuellen Band ist sie seit drei Jahren unterwegs (die Häutung von der alten Band mit ihren
deutschschweizer Jugendfreunden ist vollzogen). Eine Band, die zusammen aufnimmt und in
derselben Besetzung auf Tour geht, ist immer auch eine Familie. Ihre Mitglieder: Alberto Malo am
Schlagzeug, der manchmal mitkomponiert; der Pianist Alexis Anérilles, der auch Elektronisches
beisteuert und Trompete spielt; Simon Gerber am Bass. Zwei von ihnen sind verheiratet, sagt
Hunger, «und ihre Frauen haben mir gesagt, dass sie auf der Bühne bei ihren Männern etwas sehen,
das sie mit ihnen nie teilen können. Ich dachte schon, shit, jetzt habe ich ein Problem…» Es ist eine
Familie, und doch wieder nicht. Zur bisherigen Band kommt der Belgier Geoffrey Burton dazu, der
eine effektlastige Gitarre spielt. Im Studio und später auf der Bühne. Spacig und psychedelisch, das
passt so gut wie die Spielereien, die man im Studio mit alten Bandmaschinen gemacht hat. Vor John
Vanderslice müsse man jeden Computer im Raum verstecken, berichtet Hunger lachend –
Supermoon ist ein weitgehend analoges Produkt.
Sophie Hungers Leben ist seit ihrer Kindheit geprägt von Ortswechseln, ihr Vater war Diplomat, ihre
Mutter Politikerin (und ihr Großvater Reporter, Schauspieler, Sänger, Dichter…). Aber noch nie hat
Hungers Musik diese Prägungen so stark reflektiert wie auf «Supermoon». Im Titelstück hat ihre
Stimme einen überirdischen Hall. Am Ende des Songs, wenn die leise Basspauke verstummt, zittern
Echoeffekte durch den Raum, die man aus der Frühzeit der Raumfahrt kennt. «Das schiebe ich gerne
auf Mark Lawson, der einige Stücke abgemischt hat», sagt Hunger. Lawsons Arbeit für Timber Timbre
hat Hunger beeindruckt, da sind verwandte Klangarchitekturen zu hören. Logisch, was Sophie Hunger
neben «Nebraska» von Bruce Springsteen (seeehr viel Hall) auch noch exzessiv gehört hat: Musik von
Joe Meek, dem englischen Toningenieur der späten Fünfziger- und Sechzigerjahre, der als erster das
Studio als Instrument begriff und ihm außerirdische Sounds entlockte.
Wer mit Außerirdischen Kontakt aufnehmen will, reist gerne nach Kalifornien. Dort kamen die Siedler
an ihre Siedlungsgrenze, dort heckte man die Mondfahrt aus und später das Internet. Und es war
schon immer das Land, um sich von seiner Biografie zu erholen oder gleich zu befreien. In «Mad
Miles» heult sie Kalifornien an wie wir Erdlinge sonst nur den Mond. Sie singt: « There's nothing here
to remember or recognize / I could stay here forever and never arrive.» Sophie Hunger ist
zurückgekehrt von diesem Trip. Sie hat uns dieses Album mitgebracht.
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