Santa Cruz

Transcription

Santa Cruz
Santa Cruz
1
Santa Cruz
2
Gemeinden deutscher Zuwanderung
Kurzeinführungen zu........................................... 5
Interviews
1- Georg Banzer Schwietering............................12
2- Karl Adolf Eduard Füchtner Michelfelder.......18
3- Dr. Franz Kempff Job.......................................24
4- Franz Wilhelm Otto Kenning Breconitsch........32
5- Josef Kreidler Singer.......................................36
6- Karl Mayser Sauer..........................................42
7- Paul Seng Kötsel............................................48
3
70
65
60
Bolivia
Boca do Acre
Porto
Velho
Ariquemes
Rio Branco
10
Guajar·-Mirim
Inapari
Ji-Parana
Riberalta
PANDO
Cobija
10
50
0
50
0
Brazil
Puerto
Maldonado
150 Kilometers
100
100
150 Miles
Politische Karte Bolivien
Santa
Ana
Peru
BENI
15
Juliaca
Trinidad
San Borja
LA PAZ
15
Lago
Titicaca
Puno
Caceres
Desaguadero
La Paz
Guaqui
Toquepala
Cochabamba
COCHABAMBA
Montero
Ilo
Tacna
Santa Cruz
Oruro
Putre
Arica
Aiquile
ORURO
Robore
Puerto
Suarez Corumba
Potosi
Iquique
South
Pacific
Ocean
Chile
POTOSI
San Josede Chiquitos
Sucre
Lago
Poopo
20
SANTA
CRUZ
Santa Rosa
del Sara
Chimore
Camiri
CHUQUISACA
Uyuni
Capitan
Pablo Lagerenza
20
General
Eugenio A. Garay
Tarija
Villazon
Tocopilla
TARIJA
La Quiaca
Calama
Mejillones
Tartagal
Mariscal
Estigarribia
Paraguay
San Ramon de la
Nueva Oran
Antofagasta
4
70
San Salvador
de Jujuy
Concepcion
Argentina
65
60
1
1910 zählte Bolivien 2.270,000 Einwohner mit dem
Regierungssitz La Paz, in der 78,856 Menschen lebten.
Das direkte Umland von La Paz auf dem Altiplano,
heute dicht besiedelt, war eine ländliche Gegend
und wurde erst 1970 per Dekret zur eigenständigen
Gemeinde El Alto deklariert. Vergleichszahlen aus
dem INE Zensus von 2012 geben für die Doppelstadt
Gemeinden deutscher
Zuwanderung
heutigen Department Pando, gegliedert war
(Santibañez, S. 37). Die Bevölkerung Boliviens
setzte sich nach Santibañez wie folgt zusammen:
“658.000 Weiße spanischer Abstammung; 614.000
Mestizen; 725.000 Indios; 3.000 Neger; 10.450
Ausländer, wovon die Hälfte Peruaner, Chilenen
und Argentinier sind.“ Das Territorium umfasste
damals noch 1.568.241 Quadratkilometer. Bolivien
war somit nach Brasilien, Argentinien, Mexico und
Peru das fünftgrößte der 20 Länder Lateinamerikas
(Santibañez, S. 56): Gegen Ende des 19. Jahrhunderts
sprach man von Bolivien als ein großes Land mit
wirtschaftlicher Zukunft, da die umfangreichen
Erzvorkommen ebenso wie die Existenz begehrter
Naturprodukte wie Chinarinde und Naturkautschuk
bekannt waren und ausgebeutet wurden.
Einsammeln der Kautschukmilch
La Paz 764,617 und El Alto 848,840 Einwohner an.1
Die Republik Bolivien war immer ein Einheitsstaat,
der um 1900 in acht Departments und einem
sogenannten
„nationalen
Territorium“,
dem
1 Statistische Angaben für Cochabamba, Santa Cruz und Tarija
konnte ich leider für die Epoche um die Jahrhundertwende nicht
finden, da das Statistische Amt in Bolivien (Instituto Nacional de
Estatística, INE) erst im Jahre 1936 eingerichtet wurde und seine
Arbeit aufnahm. Alle Bevölkerungsangaben aus früheren Epochen
beruhen auf Schätzungen oder sind Zitate.
Die vier Gemeinden Boliviens, in denen meine
Interviewpartner heute leben, sind Gründungen der
frühen Kolonialzeit: Cochabamba 1571, La Paz 1548,
Santa Cruz de la Sierra 1556 umgesiedelt an seinen
heutigen Standort 1601 und Tarija 1574. Diese Orte
waren bereits in der Kolonialzeit für ihr günstiges
Klima und die fruchtbaren Täler bekannt und so
wundert es nicht, dass auch deutsche Siedler in diese
Gemeinden zogen. Oftmals jedoch erst nachdem sie
die ersten Jahre im bolivianischen Hochland oder
im Amazonasgebiet verbracht hatten, da dies die
Standorte der wirtschaftlichen Aktivitäten waren.
5
6
Santa Cruz
S
PANDO
BENI
LA PAZ
SANTA
CRUZ
COCHABAMBA
Santa Cruz
ORURO
CHUQUISACA
POTOSI
TARIJA
Santa Cruz
Santa Cruz de la Sierra am Rio Piraí gelegen,
kurz Santa Cruz genannt, liegt auf 437 müMN im
Tiefland. Das Department stellt das flächengrößte
Department Boliviens mit 2.655.084 Mio. Menschen
(INE 2012). Es grenzt an die Nachbarländer Brasilien
und Paraguay. Die Metropole Santa Cruz weist das
höchste Bevölkerungswachstum Boliviens auf und
gehört zu den 16 am schnellsten wachsenden Städten
in Lateinamerika. Dieses Wachstum setzte aber erst
in den 50iger Jahren des letzten Jahrhunderts ein.
Ergaserschliessung, eine florierende Landwirtschaft
und in Folge dessen der Ausbau der Infrastruktur
zogen und ziehen Menschen an. Santa Cruz ist heute
die Stadt mit der höchsten Kaufkraft, was wiederum
die Wirtschaft insbesondere Baugewerbe und
Handel beleben.
In der städtischen Agglomeration von Santa Cruz
leben heutzutage circa 1.800.00 Einwohner.
Aber zurück zur Epoche der deutschen Einwanderer
vor 100 Jahren. Die Blühte der Kautschukausbeute
in den Departments Beni, Pando und Santa Cruz
war vorüber und der Ort Santa Cruz, der eines der
Versorgungszentren der Region war, verfiel in einen
Dornröschenschlaf. Seit der Gründung durch die
Spanier 1561 war die Gemeinde eine Siedlung an
der Grenze, der „frontier“, zu den nicht unterworfenen
Tieflandindianerstämmen. Unsicherheiten und
vielfache Übergriffe durch Tieflandindianer führten
7
40 Jahre nach ihrer Gründung zu ihrer Verlegung:
Santa Cruz „la Vieja“, neben San José in der
Chiquitania gelegen, konnte nicht gehalten werden
und wurde an den Rio Piraí verlegt. Aber auch nach
ihrer Verlegung bleib diese Frontstadt, eine kleinere
Ansiedlung.
Im Jahre 1900 zählte das Department „59.470
Einwohner. Die damals nicht gezählten Indianer
verdoppeln fast diese Zahl; Mestizen erreichen nicht
mal 50.000 und Neger gerade mal 1.000.“ (Bolivia
en el primer Centenario de su Independencia
1825 -1925, S. 1116) Entsprechend der damaligen
Auffassung handelte es sich um das üppige,
fruchtbare Tiefland, welches durch „ausländische
Kolonisatoren mit Kapital und Ideen um die
Infrastruktur auszubauen, die gegenwärtig nicht
existiert“ entwickelt werden sollte (Ebda. S. 1117).
Im Jahre 1914 waren 100 deutsche Bürger im
Konsulat des deutschen Kaiserreichs in Santa Cruz
eingetragen (Hollweg, 1995, S. 231).
Zu Pferde in einer Ortschaft von Santa Cruz ohne
Jahresangabe, Fotografie: Archiv Familie Elsner
Ab 1950 erfolgte die verbesserte Anbindung von
Santa Cruz an den nationalen Markt durch Straßen
nach Cochabamba und La Paz, durch Eisenbahnen
und den Flugverkehr. Diese Infrastruktur wirkte
belebend für die Stadt und das Department und trug
entscheidend zum Wachstum bei.
Aus den Interviews mit den Nachkommen der Familie
Kempff, deren Großvater 1913 nach Santa Cruz
einwanderte, erfahren wir: „Großvater war fasziniert
von der Natur und der Wildheit des Kontinentes. ...
Aus Santa Cruz berichtete er, dass er in den ersten
8
Jahren nach seiner Ankunft in der Gemeinde auf
den Kirchsturm stieg, um einen Überblick über die
Stadt zu erlangen: Nach vier Straßenzügen hörte die
Bebauung schon auf, so klein war Santa Cruz und so
überschaubar.“
„Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zählte die
Bevölkerung der Stadt Santa Cruz nicht mehr als
Dr. Kempff 1961 bei der Überquerung einer
Hauptstraße im Zentrum von Santa Cruz
20.000 Seelen. Santa Cruz war abgeschnitten von der
Landesentwicklung, da sich Boliviens Regierungen
auf den exportorientierten Bergbau und seine
Gemeinden im andinen Hochland konzentrierten.
Obwohl Santa Cruz die Hauptstadt des flächengrößten
Departments und ein Wachstumspol war, fehlte es
an einer Basisversorgung mit Trinkwasser, an einer
Energieversorgung und an Krankenhäusern für
die Versorgung der Bevölkerung. Ebenso war der
Handel sehr eingeschränkt und reduzierte sich auf
den Export von Rohrzucker (Chancaca), Alkohol,
Trockenfleisch, Edelhölzern, Häuten und Fellen.“
(Zitate aus dem Interview mit den Nachkommen
Lorena, Julio und Oscar Kempff).
Wie Stillstand und die isolierte Lage von Santa
Cruz durch Straßenerschließungen, der Eröffnung
des Flugverkehrs und anderen Innovationen wie
der elektrischen Energie - eine Initiative deutscher
Einwanderer - überbrückt wurden, erfahren wir
aus den Interviews mit den Nachfahren von
Banzer, Füchtener, Kempff, Kenning, Seng, Mayser
und Kreidler. Sie alle kamen angezogen durch
den Kautschukboom in die Amazonasregion und
siedelten sich nach Ende des Boom im regionalen
Versorgungszentrum Santa Cruz an.
Eine umfassende Beschreibung und Auflistung
von Deutschen und Deutschstämmigen im
bolivianischen Tiefland finden wir in dem
umfassenden Werk von Mario Gabriel Hollweg,
selbst Nachfahre deutscher Einwanderer. In den
zwei Bänden seines Buches „Alemanes en el Oriente
Boliviano – su Aporte al Desarrollo de Bolivia“, Band
I 1535-1918 und Band II 1918-1945 geht der Autor
ausführlich auf die Siedlungen im Department Beni,
Pando und Santa Cruz ein. Er beschreibt die Jahre
des Kautschukbooms und vermittelt ein genaues
Bild über das Leben und das Wirtschaften der
Deutschen im Tiefland seit ihrer Ankunft bis in das
20. Jahrhundert.
Bei meinem Aufenthalt in Santa Cruz traf ich leider
nicht alle Nachfahren deutscher Einwanderer an. in
Santa Cruz lebt eine große deutsche Kolonie und es
gibt eine renommierte Deutsche Schule. Es heißt,
dass sich die Nachkommen der deutschen Migranten
in Santa Cruz sogar besser assimiliert haben als in
La Paz. Sie verheirateten sich mit bolivianischen
Frauen, ihre Muttersprache ist Spanisch und sie
sind heute in der Regel nicht mehr des Deutschen
mächtig: Der deutschen Kultur sind sie jedoch sehr
verbunden. Da mein Besuch von Santa Cruz in die
Vorweihnachtszeit fiel, konnte ich mich nicht nur
von der guten deutschen Küche in deutschen
Restaurants überzeugen, sondern auch von der
deutschen Weihnachtsbäckerei: Es gab Zimtsterne
und Lebkuchen und sogar Lebkuchenhäuschen
werden hergestellt (Nachfahren in 4. Generation von
Georg Banzer, s. Interview).
•
Gasser, Gebrüder Karl, Fernando und
Gebhard, Besitzer des Handelshaus „La
Providencia“ in Santa Cruz „Gasser &
Schweitzer“, Filiale in Yacuiba. Bruder
Gebhard zog später nach Cochabamba.
•
Hollweg Wever, Paul, eingewandert 1909,
holte seinen Bruder Friederich nach. 1921
kam auch der jüngste Bruder Kurt mit 15
Jahren nach Santa Cruz. Erst Angestellte
in Handelshäusern, dann eigenständiger
Unternehmer im Handel, im Transportwesen,
in der Viehwirtschaft („ El Cerrito“) und als
Käseproduzent in der Region Santa Cruz,
•
Weise, Guillermo, eingewandert 1890,
Zahnarzt in Trinidad, Riberalta und Santa
Cruz,
•
Wille, Bierbrauerei,
•
Trepp, Bergbau
Landkarte zu Bolivien und Peru aus der Kolonialzeit;
Santa Cruz liegt am Rande der „Frontier“, dort wo die
Kartierung aufhört beginnt das Amazonasgebiet,
zu dieser Zeit weitgehend unerforscht.
Weitere wichtige Beiträge zur wirtschaftlichen
Entwicklung der Region Santa Cruz de la Sierra
wurden von folgenden deutschen Einwanderfamilien
geleistet:
•
Fischer, Ewald, eingewandert
1926,
Abteilungsleiter im Handelshaus Juan Elsner
& Cia, später selbstständiger Unternehmer
in der Textil- und Verpackungsbranche,
•
Frerking, Walter, eingewandert 1907 nach
Riberalta, Buchhalter und später Eigner
eines Handelshauses in Santa Cruz,
9
Interviews
10
Interviews
Georg Banzer Schwietering
Karl Adolf Eduard Füchtner Michelfelder
Dr. Franz Kempff Job
Franz Wilhelm Otto Kenning Breconitsch
Josef Kreidler Singer
Karl Mayser Sauer
Paul Seng Kötsel
11
Santa Cruz
1
Interview
Georg
Georg Banzer Schwietering
Geboren in Osnabrück, am 9. Februar 1850
Gestorben in Santa Cruz, am 4. September 1909
Der junge Georg
12
Auswanderung
Mein Urgroßvater wird in eine Osnabrücker
Unternehmerfamilie geboren, die verschiedene
Liegenschaften besitzt und Geschäfte – unter
anderem eine Apotheke und eine Zulieferfirma
für Baumaterialien - betreibt. Er absolviert eine
gymnasiale Ausbildung mit Latein und Französisch
und besitzt eine gute Sprachfähigkeit, so dass ihm
das Erlernen der spanischen Sprache leicht fällt
und er sie später perfekt beherrscht. Georg nimmt
als junger Mann am deutsch-französischen Krieg
teil und entschließt sich nach Kriegsende - angeregt
durch die Lektüre von Alexander von Humboldt Lateinamerika zu erkunden.
In Galauniform, Französisch-Preussischer Krieg
Die Schiffsreise
In Hamburg auf dem Dampfer „Corcovado“ beginnt
1873 seine Reise nach Südamerika. Er führt ein
detailliertes Tagebuch über die Schiffsreise unter
dem Motto: „Heute verlasse ich meine Heimat,
ohne niemanden etwas zu schulden!“1 Seinem
Schiff ist kein Glück beschert, schon in Frankreich
im Hafen von Pontillac gibt es die erste Havarie.
Georg muss das Schiff wechseln. Er nutzt die
erzwungene Pause in Gironde, um im Theater von
Bordeaux Goethes Faust zu besuchen und macht
sich über die Schauspielkünste der Franzosen lustig.
Fortgesetzt wird die Reise auf dem Schiff „El Cuzco“
über Santander, Vigo, Lissabon. Georg beobachtet
und beschreibt sehr genau die Gewohnheiten
und Gebräuche seiner Mitreisenden. Auch seine
Beobachtungen über die Natur, Pflanzen wie Tiere,
hält er ausführlich in seinem Tagebuch fest: „Man
sieht kaum Bäume, alles ist trocken, aber die wenigen
Gewächse sind sehr verschieden, es gibt grüne und
gelbe Zitronen und viele Orangen. Die Straßen sind
voll mit Eseln und Maultieren. Elegante Kutschen
gibt es wenig, sondern nur einfache Lastkarren.
Die Bekleidung der Leute ist einfach, ohne Luxus,
aber die Uniformen der Militärs ähneln unseren
deutschen Landsern. Es gibt herrliche Gebäude
und die Hafeneinfahrt wird von einem Turm mit
Leuchtsignal beherrscht. Die Kathedrale wurde auf
einem Hügel errichtet und ist aus Ziegeln erbaut.
Im Inneren ähnelt sie der Kathedrale von Chartres
oder der griechischen Kapelle in Wiesbaden, nur um
vieles größer.“1 Im Dezember wird die Reise nach
Madeira fortgesetzt, wo er sich an den Vulkanen und
der üppigen Vegetation erfreut: „(es ist) so schön,
dass die Schweizer Alpen auf Platz Nummer zwei
rücken.“
Am 10. Dezember überqueren sie den Äquator, jetzt
schon nah der brasilianischen Küste auf der Höhe
Pernambucos. Auf dem Schiff erwirbt er einen Hund,
einen Labrador und tauft diesen auf den Namen Hans.
Am 16. Dezember 1873 erblickt er den Zuckerhut von
Rio, besucht den botanischen Garten, beschreibt die
stolzen Palmen und andere exotische Pflanzen. Die
Botanik beeindruckt ihn sehr ebenso wie das bunte
Leben der Stadt. Einem Handwerker kauft er einen
hochwertigen Panamahut für 180 englische Sterling
ab, der in fünf Monaten Handarbeit erstellt worden
ist. Er ist fasziniert vom Markt der Stadt mit seinen
Unmengen an exotischen Früchten und Vögeln und
sonstigem Getier, welches er noch nie im Leben
gesehen hat. „In so einem berauschendem Land mit
solch üppiger Natur ist es verständlich, dass es kaum
plastische Kunst gibt“, ist sein Tagebucheintrag nach
1 Diese und die folgenden Zitate sind seinem Reisetagebuch
entnommen.
13
dem Besuch der kaiserlichen Kapelle in Rio.
Am 21. Dezember 1873 passiert er Montevideo, wo
eine Quarantäne über den Hafen verhängt ist und
er sich so gezwungen sieht, den 24. Dezember mit
einem „Cocktail ohne Eis bei brütender Hitze“ im
Hafen zu feiern. Sie passieren die Magellan Straße zu
Neujahr 1894 und der junge Georg studiert täglich
mehrere Stunden die spanische Sprache. Er besucht
Puerto Arenas und legt am 4.1.1874 in Valparaiso an.
Dort besucht er deutsche Migranten. Zudem muss er
wieder sein Schiff wechseln, von der „Cuzco“ steigt
er um auf die „Lima“, so die Namen der Schiffe. Am
12.1. des gleichen Jahres passiert er Antofagasta
und beobachtet den Bau der Eisenbahnlinie.
Georg beschreibt den beginnenden Guanoabbau
und mokiert sich über den verschlafenen Hafen
Antofagasta, „eine spekulative Bauruine“. Die
Schiffsreise endete in Arica.
fest: „ In Friedenzeit wird ein Militär hier auch
gegen seinen Willen eingezogen. Ein Regiment
von 150 Personen hat 80 Musiker und 300 Frauen
(„ramonas“), die sich auf beschlagnahmten Eseln
vorwärtsbewegen. Die Wachposten sind verdreckt.
Seit der Unabhängigkeitserklärung haben die
Wachstuben keinen Besen mehr gesehen. Wenn ein
Wachtposten abgelöst wird, folgt der nächste mit
seiner Frau – ohne Frauen kein Soldat. Wenn sich
der Soldat besäuft, gibt´s als Strafe 200 Stockhiebe
oder man wird gezwungen, fermentierten Urin zu
trinken.“
„In Friedenzeiten hat Bolivien 500 Soldaten, 32
Generäle, 60 Oberst, 200 Hauptmänner und 400
Leutnant! Die Kavallerie hat in Friedenszeiten nur
einige Sattel und wenig Zaumzeug und kein Geld,
um die Tiere zu füttern.“
Georg und Ehefrau Josefine
Auf dem Landweg nach Cochabamba
Von dort begibt er sich nach Cochabamba, wo er
von der deutschen Handelsfirma Schulze, die Stelle
als Filialleiter angeboten bekommt. Bevor er aber
anfängt zu arbeiten, bereist er noch weite Teile der
Anden - „in Höhenlagen oberhalb des Montblanc“
-, und beschreibt minuziös seine Erlebnisse, die
Tierkarawanen und die Skelette der verstorbenen
Maultiere zu beiden Seiten des Weges, das erste
erlegte Viscacha „eine Kreuzung aus Kaninchen,
Ratte und Fuchs“, die erfolglose Jagd auf Guanacos
und den Flug des Kondors.
Ankunft und erste Eindrücke
in Cochabamba
Nach seiner Ankunft vertraut er 1874 seinem
Tagebuch seine ersten Eindrücke an: „Cochabamba
ist wunderbar, in einem Tal gelegen und von einem
hohen Berg begrenzt, dem Tunari mit ewigen
Schnee.“ Auch hat er schon erfolgreich gejagt und
die Beute in der Küche der Gastfamilie abgegeben.
Eine bissige Beobachtung über das Militär der
damaligen Zeit hält er wie folgt in seinem Tagebuch
14
Umzug nach Santa Cruz de la Sierra
Im November des gleichen Jahres zieht er auf Wunsch
seines Dienstherrn nach Santa Cruz um, die Firma
will am Gummiboom mitverdienen. In Totora wird
das Inventar erhoben und die Transporttiere ruhen
aus. Aufgrund der Malariagefahr nimmt er Chinin als
Prophylaxe, erklärt aber, dass ihm dies nicht bekommt
und das Heilmittel „Cognac“ weit besser wirkt. Santa
Cruz gefällt ihm auf Anhieb gut. Herrliche Vieh- und
Pferdebestände sowie die Beschaffenheit der Stadt
fallen ihm ins Auge: „Es scheint eine konservative
Stadt zu sein, die Häuser sind einstöckig, die Straßen
nicht gepflastert und die Kutschen werden von bis
zu zehn Pferden oder Ochsen gezogen.“ Er reist
viel, kommt bis an die brasilianische Grenze. Sein
Geschäft floriert und bald verliebt er sich er in ein
junges Mädchen, Josefina Aliaga. Am 5. August 1877
findet die Hochzeit statt. Mit Josefina Aliaga sollte er
zehn Kinder zeugen.
Leben in Santa Cruz de la Sierra
Sein Bruder Karl besucht ihn Santa Cruz und
zusammen bereisen sie die berühmten Ortschaften
mit den Jesuitenkirchen der Chiquitania. Über
seinen Bruder erhält er als Unterstützung von
Einer der vielen Briefe Georgs an seine Frau,
Josefine Banzer
15
seinen Eltern eine stolze Summe in Reichsmark.
Bedauerlicherweise verstirbt sein Bruder bei diesem
Aufenthalt an einer Lungenentzündung. Hier enden
Georgs Tagebuchaufzeichnungen.
Nur kurze Zeit arbeitet er noch als Angestellter.
Er eröffnet seine eigene Firma mit einem
zweiten Gesellschafter, Herrn Torres, so dass das
Unternehmen auf den Namen Torres und Banzer
lautet. In seinem Geschäft vertreibt er nicht nur
importierte Produkte aus Deutschland, sondern
auch Lebensmittel, die in Bolivien hergestellt
werden wie Zucker, Fette, Textilien und Stoffbahnen
- alles was man in Santa Cruz zum Leben benötigt.
Über seine Geschäfte lässt er sich relativ selten
aus, sondern hält vielmehr seine vielfältigen, sehr
unterhaltsamen Beobachtungen über Land und
Leute im Tagebuch fest. Auch über seine Familie
gibt es keine Tagebucheintragungen. Er pflegt
einen regen Briefverkehr mit seiner Familie in
Deutschland. Viele dieser Unterlagen sind bis heute
erhalten.
Er und seine Kinder erben von seiner Familie in
Deutschland, auch nach seinem Tode. Die Beträge
werden über das Handelsunternehmen „Zeller,
Villinger & Cia.“ mit Sitz in Santa Cruz de la Sierra
nach Bolivien transferiert.
1885 kehren Georg und Josefina, allerdings ohne
die Kinder, noch einmal nach Deutschland zurück.
Georg tritt keine zweite Reise mehr an, da er mit 59
Jahren in Santa Cruz verstirbt. Seine umfangreichen
Tagebücher und Briefe überlebten ihn. Ebenso wurde
die deutsche Kultur und Sprache im Alltag seiner
Nachkommen beibehalten: Sowohl die Tischsitten
wie die Essgewohnheiten sind stark von deutscher
Kultur beeinflusst. So gibt es auch heute noch zur
Weihnachtzeit in der Familie Banzer Christstollen
und Spekulatius aus eigener Produktion und aus
Lebkuchen hergestellte Hexenhäuschen. Auch bei
Dritte Generation der Familie Banzer
in Santa Cruz de la Sierra: Ayda, Vita und Jorge
16
Literatur, Musik und den Studienorten der Urenkel
und Ururenkel bezieht man sich auf Deutschland.
Der Kontakt zu Deutschland ist nie abgebrochen,
weder zu den deutschen Verwandten noch zu
einigen Familienmitgliedern deutscher Sprache, die
in der Schweiz wohnhaft sind.
Seit der Ankunft von Georg Banzer vor 141 Jahren in
Bolivien hat sich ein fruchtbarer Austausch beider
Kulturen - der Bolivianischen und der Deutschen ergeben. Nachkommen von Georg Banzer nahmen
entscheidenden Einfluss auf das Leben und die
Entwicklung Boliviens.
Das Interview wurde am 4.12. 2014 in Santa Cruz de la
Sierra mit dem Urenkel gleichen Namens,
Georg Banzer, geführt.
Jorge Banzer in Galauniform
Wappen der Familie Banzer
17
Santa Cruz
2
Interview
Karl
Karl Adolf Eduard
Füchtner Michelfelder
Geboren am 16.08.1890 in Pleidelsheim,
Baden-Württemberg
Gestorben am 16.08.1952 in Tübingen
18
Auswanderung
Mein Vater entstammte einer alteingesessenen
Familie, die sich seit dem 17. Jahrhundert der
Land- und Viehwirtschaft widmete. Durch die
Steuereintreibung für den Herzog von BadenWürttemberg
wurden
zudem
beachtliche
Nebeneinkünfte erwirtschaftet. Das Verhältnis zum
Herzog soll so gut gewesen sein, dass dieser sogar
bei uns übernachtet haben soll!
Haus der Familie Füchtner in Pleidesheim
Aber zurück zu meinem Vater: Gerade als mein Vater
seine Lehre als Buchhalter abgeschossen hatte, fand
er in der Zeitung eine Annonce der Firma Zeller,
Villinger & Cia, die ausgebildete Buchhalter für
ihre unterschiedlichen Geschäftsstellen in Bolivien
suchten. Emilio Zeller, der Firmengründer, stammte
ebenso aus Baden-Württemberg und suchte sich
sein Personal durch Zeitungsannoncen in seiner
alten Heimat. Das Handelsunternehmen Zeller hatte
bei Zeiten damit begonnen Kautschuk, Paranüsse
und Leder über Puerto Suárez nach Deutschland
zu exportieren und im Gegenzug Produkte aus der
Heimat nach Bolivien zu importieren. Im Laufe
der Jahre hatte Zeller sein Unternehmen Dank
seines guten Geschäftssinns und seiner aus der
alten Heimat geholten Fachkräfte in Buchhaltung
und Verwaltung zum größten Handelshaus des
bolivianischen “Oriente”, des Ostens Boliviens,
entwickelt. So stammten nicht nur mein Vater,
sondern auch Beischer, Weitbrecht, Kreidler und
Seng und viele andere aus Württemberg.
Mein Vater verließ 1912 als Junggeselle seine
Der junge Karl Adolf im Smoking
Heimat, um sich in Bolivien bei Zeller zu verdingen.
Während der Überfahrt erlernte er die spanische
Sprache.
Einwanderung als Angestellter der
Firma Zeller
Erst wurde er in Santa Cruz eingearbeitet, nur ein
Jahr später übernahm er die Filiale in Portachuelo.
Dann wurde er nach Concepción de Ñuflo de Chavez
weitergeschickt und erst 1920 zog er sich aus der
Firma Zeller zurück. In der Regel hatte man damals
Vierjahresverträge, die außerdem die Verpflichtung
enthielten, nach Beendigung des Vertrages nicht bei
der Konkurrenz oder einem anderen Unternehmen
der Region als Angestellter zu arbeiten. Daher war
man sozusagen gezwungen, nach Vertragsende sich
als selbstständiger Unternehmer niederzulassen,
den Vertrag zu verlängern oder weiterzuziehen.
19
Mein Vater verpflichtete sich zunächst einmal acht
Jahre bei Zeller, danach eröffnete er sein eigenes
Unternehmen, so wie es viele andere deutsche
Angestellte wie die Scheidl, Deussen, Dencker, Giers
ebenfalls taten.
Die Arbeit begann damals pünktlich in aller
Herrgottsfrüh und endete um zehn Uhr in der
Nacht. Harte Arbeit prägte das Leben. Routine und
Regelmäßigkeit bestimmten den Tagesablauf.
Sehr diszipliniert musste man sein, um diesen
Arbeitsrhythmus durchzustehen. Die Mehrheit der
deutschen Einwanderer, alles Männer, arbeiteten im
Kautschuk. Frauen migrierten nur in den seltensten
Fällen - und wenn, dann mit ihren Familien.
Auf in die Selbstständigkeit
Ab 1920 arbeitete mein Vater als Buchhalter in
seiner eigenen Firma, die er 1919 mit anderen
Einwanderern gründete. Dies ist auch die Zeit,
in der er die bolivianische Staatsangehörigkeit
angenommen hat. Als Geschäftspartner gründeten
sie in Santa Cruz die Fabrik “Alcohol Hirtner & Cia.”,
die Alkohol aus Zuckerrohr herstellte. Sie vertrieben
eine Zeitlang sehr erfolgreich die Brandweinmarke
“Todos Santos”, was übersetzt “Allerheiligen” heißt.
„Todos Santos“ wurde schnell zur bekanntesten Marke
im Osten Boliviens. Aber dieses Unterfangen brachte
ihm auf die Dauer kein Glück: Der Melassepreis stieg
gewaltig an, die Fabrik warf keine Gewinne mehr ab
und ging in der großen Depression 1929-30 pleite.
Mehr Glück hatte mein Vater mit einem “Supermarkt”,
dem „Almacén Buenos Aires“, den er in einem großen
Gebäude in Santa Cruz eröffnete. Er handelte mit
Lebensmitteln wie Reis, Schokolade, Fett, Butter, Käse
- alles verkaufte er dort und die Kundschaft kam, weil
er so ein sympathischer Kerl war. Das Geschäft lief
recht gut. Er handelte mit vielen Produkten, teilweise
auch Produkten, die von deutschen Landsleuten
hergestellt wurden, wie zum Beispiel dem Käse der
Finca “El Cerrito” der deutschstämmigen Familie
Hollweg, die sogar Mozzarella herstellten.
20
Fesch unter Freunden - rechts im Bild Karl Adolf
Von der Schönheit und den Schönen
Aber zurück zu meinem Vater und seinem wichtigsten
Merkmal: Er war ein schöner Mann. Er hatte
wunderbare blaue Augen und kastanienbraune,
dichte Haare. Wirklich ein wunderbares Mannsbild!
Und er war vernarrt in die Frauen bzw. die Frauen in
ihn! Mit Doña Felima Farfán, eine seiner zahlreichen
Geliebten, wurde ihm die erste Tochter geboren. Es
lebte sich gut zu dieser Zeit in diesen Orten, denn
es gab fast alles zu kaufen, was das Herz begehrte.
Wenn man Geld hatte, war es wie im Paradies. Es
gab jede Menge Obst, Geflügel - von allem gab es
in Hülle und Fülle. Und es gab viele schöne Frauen.
Und Vater war ein Lebemann und da er so hübsch
war, fand er immer Gefallen an einer Frau und sie
an ihm.
In Montero traf er Josefina Soria Galvarro Pérez:
Die Schönste des Dorfes, von adliger spanischer
Abstammung. Zu Zeiten des Kautschukbooms kamen
viele adlige Spanier nach Beni oder Santa Cruz, da
heirateten sie nach römisch-katholischem Brauch.
Mein Großvater mütterlicherseits war ein gewisser
Rafael Soria Gavarro Medrano, Abkömmling eines
spanischen Conde, der die Gemeinde Totora im
Department Cochabamba gegründet hat. Er hatte
sich mit einer gewissen Doña Manuela Suarez
Araña y Velasco gut verheiratet. Mein Vater war
weniger ambitiös: Er ging weiterhin seiner Arbeit
als Buchhalter nach und stieg bei Gelegenheit den
Frauen hinterher. Nein, ich muss sagen, die Frauen
liefen ihm hinterher, weil er so gut aussehend war.
Er hatte in dieser Zeit vier junge Damen aus gutem
Haus, die ihn umwarben.
Eine Familie besonderer Art
Die Auserwählte Josefina Soria Galvarro
Spanien von einer Krise betroffen war und viele
Menschen Hunger litten. Spanien war wirtschaftlich
am Ende, während man in Bolivien gutes Geld
verdienen konnte - sowohl mit Kautschuk wie in
der Viehwirtschaft. Im Januar 1927 entschloss er
sich, Josefina zu heiraten. Er war Protestant, seine
Auserwählte Katholikin. Aber mein Vater erwirkte
eine Sondergenehmigung der Kirche und so
Schon im November 1927 wurde mein älterer Bruder,
Carlos Rafael, in Santa Cruz geboren, im Juli 1929
Hans Wilhelm Kurt, meine Wenigkeit. Der Bischof
fand diese deutschen Namen schrecklich und
meinte zu meinem Vater: „Warum gibst Du deinen
Kindern Namen von Vögeln – wenigstens ein Name
deiner Kinder sollte spanisch sein!” Und so wurde
ich statt auf den Namen Wilhelm, auf die spanische
Version “Guillermo” getauft. Alle Kinder wurden nach
römisch-katholischem Brauch getauft.
Die Ehe meiner Eltern entwickelte sich unerfreulich
und so kam es bereits 1930 zur Scheidung. Josefina
Braut und Brautjungfern in Charlestonkleidern
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wollte die Scheidung und bekam sie. Mein Vater
wurde sogar ex-kommuniziert. Da meine Mutter mit
der ganzen Stadt verwandt war, lebte sie zufrieden
weiter in der guten Gesellschaft von Santa Cruz. Ja
und wir Kinder, Carlos und ich, blieben bei unserem
Vater. Ein Kindermädchen, Doña Tomasa, eine echte
Indianerin der Chiquitania, versorgte uns bei Tag und
bei Nacht. Sie war eine ganz außergewöhnliche Frau.
Wir Kinder besuchten die deutsche Grundschule und
im Anschluss die Oberschule des „Colegio Nacional
Florida“. Vater finanzierte auch mein fünfjähriges
Studium der Pharma-Chemie an der Universität von
Santiago de Chile.
Vereinen, die einen hohen Anteil an europäischen
Einwanderern als aktive Mitglieder zählten. So
engagierte er sich auch 1914 als die deutsche
Gemeinde in Santa Cruz unter Führung ihres Konsuls,
Franz Albrecht, für die deutsche Reichswehr Gelder
sammelte: In der Liste des Konsuls ist mein Vater
als Angestellter der Firma Zeller aufgeführt mit
einer Spende von 50 Bolivianos; Zeller, Villinger &
Cia trugen als “Casa Comercial” (Handelshaus) 1.000
Bolivianos bei.
Er hatte viele gute Freunde in der deutschen
Gemeinde, unter anderen Dr. Franz Kempff. Er war
der Arzt, der mir half, auf die Welt zu kommen. Er war
zeitlebens ein sehr guter Freund meines Vaters und
war oft bei uns Zuhause.
Söhne Hans und Carlos in Schuluniform
der Deutschen Schule
Das gesellschaftliche Leben in Santa Cruz
Unser Papa war weiterhin so beliebt, dass er zu allen
Feierlichkeiten eingeladen wurde. Mittwoch und
Freitag ging er in den internationalen Klub. Papa war
auch Gründungsmitglied des Rotary Klubs in Santa
Cruz (gegründet 1937). Er war Zeit seines Lebens sehr
gesellig und engagierte sich in den verschiedenen
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Vater Karl Adolf mit Söhnen Hans und Carlos
Profil meines Vaters und sein
Sinn für das Schöne
Und dann starb Vater. Ich konnte es nicht fassen. Ich
habe selten eine Person erlebt, die gleichzeitig so
freundlich, sympathisch und intelligent sein konnte.
Papa war uns immer ein guter Freund. Er tanzte
gerne – und wir haben ihm, als wir älter waren, die
neuen Modetänze beigebracht wie zum Beispiel den
Tanz „Conga“. Im Karneval zogen wir gemeinsam los.
Er hatte immer so eine positive Art, war gut gelaunt,
fröhlich – wir zogen los als Komparsen im Karneval!
Wenn er sich aber mal über etwas richtig ärgerte,
dann war das auch heftig. Er war ein Mensch der
großen Gefühle und liebte das Schöne. Er war sehr
beliebt bei der Bevölkerung.
Im Hause meines Vaters gab es Möbel aus
Deutschland, viele Silberwaren, eine große
Münzsammlung und viele schöne Dinge. Er hat uns
den Sinn für das Schöne vermittelt. Vor allem der
klassischen Musik galt seine Vorliebe. Wöchentlich
traf man sich zur Hausmusik im Hause meines Vaters
und wenn Musiker nach Santa Cruz kamen wurden
Konzerte in unserem Haus abgehalten.
Geschäft und ein paar Grundstücke. Wir waren seine
einzigen ehelichen Kinder. Mit einer „Camba“, Frau
aus dem Tiefland, hatte er weitere Kinder gezeugt.
Er war halt ein Frauenheld. Er hatte auch noch eine
Verlobte kurz vor seinem Tode, aber vor der geplanten
Hochzeit verstarb er 1952. Aus Nostalgie hatte er
eine Reise in seine alte Heimat unternommen. In
Tübingen, bei einer Routineuntersuchung, wurde
Krebs diagnostiziert. Er verstarb kurze Zeit später an
den Folgen der Operation.
Das Interview wurde mit Hans Füchtner in Santa Cruz
im Dezember 2014 geführt.
Wahrscheinlich war dies der Auslöser dafür,
dass ich mich später entschloss, in der Kunst zu
arbeiten. Aus Brasilien und aus aller Welt kamen
Kunstliebhaber, um Kunstwerke bei mir zu kaufen.
Ich bin zwar Autodidakt, jedoch habe ich den
von meinem Vater erlernten Schönheitssinn und
meine Chemiekenntnisse gewinnbringend in die
Restaurierung von kolonialer Kunst einbringen
können. Für diese Arbeit habe ich spezielle Tinkturen
entwickelt. Mein Vater wie auch meine Mutter haben
uns die Liebe und das Verständnis für Kunst mit in
die Wiege gelegt. Sie war ja eine echte Aristokratin
aus Santa Cruz.
Die Hinterlassenschaften meiner Eltern
Meine schöne Mama, Josefina, hat nach meinem
Vater noch dreimal geheiratet. Sie war einfach eine
wunderschöne Frau. Wir Kinder haben uns oft in
ihrer Nähe aufgehalten, da wir ja am gleichen Ort
lebten. Viele Männer haben sich in sie verliebt. Sie
starb mit 87 Jahren und litt an Alzheimer.
Sohn Hans als junger Mann
Obwohl mein Vater so ein Lebemann war, hat er
für uns Kinder eine solide Ausgangsbasis für unser
späteres Leben geschaffen. Er vererbte uns das
23
Santa Cruz
3
Interview
Franz
Dr. Franz Kempff Job
geboren in Saargemünd, Elsass-Lothringen,
am 10. Februar 1879
gestorben in Santa Cruz am 3. September 1977
Der junge Franz Kempff
24
Auswanderung und erste Jahre in Brasilien
Mein Großvater, Dr. Franz Kempff, war ein Philanthrop
und ist bis heute ein Vorbild für mich. Er entstammte
einem katholischen gutbürgerlichen Elternhaus aus
der Stadt Saargemünd. Seine Eltern, Margarete und
Julius, die eine Gerberei betrieben, konnten Franz,
dem Erstgeborenen, und seinen drei Geschwistern
eine solide humanistische Ausbildung zukommen
lassen.
Mit 25 Jahren nahm er eine Arbeitsstelle als
Schiffsarzt bei der Firma „Bremer Lloyd“ an. Auf
seiner ersten Schiffsreise gelangte er in die USA,
New York. Wie wir es bis heute oft antreffen, hatte
eine deutsche Firma mehr Vertrauen in deutsche
Ärzte als in die amerikanischen Kollegen und stellte
so an ihren wichtigsten Niederlassungen entsandte
deutsche Ärzte ein. Von New York führte ihn der Weg
im Jahre 1905 nach Manaus, in der damaligen Zeit
der zweitwichtigste Hafen für die deutsche Firma
„Bremer Lloyd“ in Amerika. Die wirtschaftlichen
Aktivitäten der deutschen Exportfirmen wurden
durch den Kautschukboom beflügelt. In Brasilien
arbeitete mein Großvater jeweils sechs Monate für
die „Bremer Lloyd“ in Manaus und sechs Monate in
Rio de Janeiro im Wechsel. Zusätzlich zu seiner Arbeit
suchte er sich ein akademisches Umfeld. In Manaus
ebenso wie in Rio unterrichtete er als Professor an den
örtlichen Universitäten (siehe Arbeitsbescheinigung
der Freien Universität von Manaus).
Die Eltern Margarete (1838-1883)
und Julius Kempff (1832-1905)
Die Ideen von Albert Schweizer beeinflussten die
Berufsentscheidungen des jungen Franz. Er wollte
Menschen helfen, daher studierte er Medizin. Seine
Doktorarbeit an der Kaiserlichen Wilhelm Universität
in Straßburg, der heutigen Université Louis Pasteur
de Strasbourg, verfasste er 1903 „Zur Biologie des B.
Pratyphi A.“, dem Erreger des Paratyphus.
Veröffentlichung seiner Doktorarbeit 1903
Arbeitsbescheinigung der Escola Universitaria Livre de
Manáos, Faculdade de Medicina e Pharmacia
aus dem Jahre 1909
In Brasilien lernte mein Großvater Paul Busch kennen,
den Vater des späteren bolivianischen Präsidenten
German Busch. Busch und Kempff hatten sich durch
ihre Arbeit als Ärzte kennengelernt. Busch heiratete
eine reiche Bolivianerin und arbeitete nicht mehr als
25
Arzt. Auch damals war das Leben der Reichen einfach
– die reiche Frau war die Lösung! Paul Busch sollte
später noch wichtig für Kempffs Lebensweg werden,
denn er empfahl ihm die Übersiedlung nach Bolivien.
Aber erst noch einmal zu den jungen Jahren meines
Großvaters im brasilianischen Amazonasgebiet:
Seine zweite Anstellung als Arzt in Lateinamerika
fand er in Guajará-Mirim im Bundesstaat Rondónia,
im Grenzgebiet zu Bolivien bei der Firma, „Madeira
Mamoré Railway Company“. Diese US-Amerikanische
Firma baute die berühmt berüchtigte Eisenbahntrasse
durch den Urwald, auch „Eisenbahn des Teufels“
genannt. Die 350 fertiggestellten Kilometer Trasse
wurden 1912 eingeweiht. Eine der schwierigsten
Eisenbahnkonstruktionen der damaligen Zeit! Mein
Großvater arbeitete im firmeneigenen Krankenhaus,
das in Villa Bella lag. Aus dieser Zeit erzählte er,
dass täglich ein Mensch starb, so hart waren die
Arbeitsbedingungen bei der Erschließung des
Urwaldes, um die Trasse zu legen: Gelbfieber,
Malaria und Schlangenbiss waren die häufigsten
Todesursachen. Das Krankenhaus in Villa Bella wurde
durch einen starken Tornado zerstört. Die Firma
unterstütze ihn nicht beim Wiederaufbau des Hospizes
und so kündigte er seine Stelle. Und er suchte weiter,
jetzt schon an die 35 Jahre alt, nach einem Einsatz als
Arzt in einem etwas ruhigeren Milieu. Dieses fand er
in Santa Cruz de la Sierra in Bolivien.
Ankommen in Santa Cruz de la Sierra
und Leben in Bolivien
1913 traf er in Santa Cruz ein. Im ersten Drittel des
20. Jahrhunderts zählte die Bevölkerung von Santa
Cruz nicht mehr als 20.000 Einwohner. Santa Cruz
war abgeschnitten von der Landesentwicklung,
da sich die herrschenden Regierungen auf den
exportorientierten Bergbau und seine Gemeinden im
andinen Hochland konzentrierten. Obwohl Santa Cruz
die Hauptstadt des flächengrößten Departments war,
fehlte es an einer Basisversorgung mit Trinkwasser, an
einer Energieversorgung und an Krankenhäusern für
die Versorgung der Bevölkerung. Der Handel war sehr
eingeschränkt und reduzierte sich auf den Export
von Rohrzucker (Chancaca), Alkohol, Trockenfleisch,
Edelhölzern, Häuten und Fellen.
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Nach seiner Ankunft in Santa Cruz de la Sierra fand er
eine Anstellung über das Erziehungsministerium im
„Colegio Modelo de Señoritas“, an dem er die Fächer
„Hygiene“ und „Kinderkrankenpflege“ unterrichtete. Im
Jahre 1918 wurde Franz Kempff zum Betreuungsarzt
für alle schulischen Einrichtungen der Stadt ernannt.
Im gleichen Jahr nahm er auch eine Stelle als
leitender Arzt der gynäkologischen Abteilung im
Gemeindekrankenhaus „San Juan de Dios“ an. Seine
Ausbildung als Pathologe konnte er ebenfalls nutzen.
Da es wenig gut ausgebildete Ärzte in dieser Zeit in
Santa Cruz gab, wurden ihm auch die pathologischen
Arbeiten übertragen. Über viele Jahre war er der
einzige Pathologe in Santa Cruz.
Im Jahre 1917 geschah das Wunderbare, was schon
Großvater Busch beglückte: Mein Großvater, Dr. Franz
Kempff, ehelichte mit 38 Jahren die 20 Jahre jüngere
Luisa Mercado Dermit, eine Frau aus der guten
Gesellschaft von Santa Cruz, Enkelin des berühmten
Freiheitskämpfers José Manuel Mercado Montero.
Große Ländereien, Viehzucht und Landwirtschaft
brachte sie in die Ehe ein – das Einkommen der Familie
Kempff war gesichert. Aus dieser Ehe gingen fünf
Kinder hervor: Roland (mein Vater), Enrique, Manfred,
Noel und Nelly. Ich bin wiederum der Erstgeborene
von Roland und somit der älteste Enkel von Franz
Kempff. Alle Kinder wurden Akademiker, schrieben
Bücher, spielten eine Rolle im öffentlichen Leben und
setzten sich für die junge Republik ein. Wir Nachfahren
sind sehr stolz auf diese Familiengeschichte – auch
wir Söhne und Enkelsöhne haben studiert, wurden
Akademiker, leisteten und leisten wichtige Beiträge
für die Entwicklung unseres Landes.
Mein Großvater war nie in dubiose Machenschaften
verwickelt. Er war Mitglied des bedeutendsten Clubs
in Santa Cruz, dem „Sozialen Club 24. September“.
Ebenfalls gründete er einen Deutschen Club, den
„Hogar Alemán“. Das Haus der Kempff war Treffpunkt
nicht nur der guten bolivianischen Gesellschaft und
der Deutschsprachigen in Santa Cruz, sondern auch
bedeutender Persönlichkeiten wie z. B. Hans Kundt,
dem deutschen General, der im bolivianischen Heer
wichtige Posten besetzte. Dr. Kempff war der Arzt
für die deutschen Einwanderer, er führte ein offenes
Haus.
Aber noch einmal zurück zu dem vielfältigen
dienstlichen Engagement meines Großvaters.
1925 berief ihn die Gemeinde zum Direktor des
Krankenhauses „San Juan de Dios“. Zum ersten Mal
erhielt er ein seiner Ausbildung entsprechendes
ordentliches Gehalt. Zu diesem Zeitpunkt hatte er
sich als Kommunalpolitiker in der liberalen Partei
engagiert. Schon damals war er Mitglied verschiedener
Gremien u.a. des Wahlausschusses der Gemeinde.
1924 wurde er zum Bürgermeister von Santa Cruz
gewählt - trotz seiner deutschen Nationalität, die
er nie ablegte. 1930 erfolgte die Wiederwahl zum
Bürgermeister. Zum Dekan der lokalen Universität
wurde er 1931 ernannt. Mit 58 Jahren zog sich mein
Großvater aus der Leitung des Krankenhauses „San
Juan de Dios“ zurück. Das war im Jahre 1937. Aber
bis ins hohe Alter versorgte er Patienten in seiner
Privatpraxis in seinem Haus. Soweit seine erfolgreiche
berufliche Laufbahn in Santa Cruz.
In den Jahren, in denen mein Großvater als
angesehener und wohlhabender Bürger nicht mehr
von den Einnahmen seiner Arbeit abhängig war,
eiferte er seinem Ideal, Albert Schweizer, nach: Einmal
im Jahr ritt er für drei Monate aus und besuchte alle
Missionsstationen in der Chiquitania: San José, San
Rafael, San Miguel, San Ignacio de Velasco, Concepción,
San Javier bis hin zu den Missionen der Guarayos. Das
waren mehr als 1000 Kilometer, die er da auf dem
Rücken von Pferden zurücklegte. Die Franziskaner
hatten alle ehemaligen Jesuitenmissionen zu dieser
Zeit übernommen. Mein Großvater stellte die ärztliche
Versorgung in den abgelegenen ländlichen Gebieten
sicher. Er war ein großer Freund der Priester und
des Bischofs. Letztere organisierten die ambulante
Behandlung durch meinen Großvater.
Zeit der Kriege
Im I. Weltkrieg hielt der deutsche Konsul eine Kollekte
für Deutschland ab und auch Dr. Kempff beteiligte sich
finanziell an diesem Unterfangen mit 200 Bolivianos,
was für damalige Verhältnisse eine stolze Summe war.
In dieser Zeit existierte eine große deutschsprachige
Gemeinde in Santa Cruz von circa 120 Personen, die
für Deutschland Geld sammelten. Sie veranstalteten
auch die erste öffentliche Versammlung auf dem
Hauptplatz in Santa Cruz in Solidarität mit den
deutschen Soldaten. Mein Großvater war liberal
und gehörte der deutschnationalen Bewegung an.
Daher fand sich mein Großvater auch 1917 auf der
„Schwarzen Liste“ von Deutschen in Santa Cruz
wieder, die als Feinde der USA galten. Er hatte sich auf
Seiten Deutschlands für den I. Weltkrieg eingesetzt
– er hatte ja auch sein Scherflein für die deutsche
Wehrmacht beigetragen.
1932, vor Ausbruch des Chaco-Krieges, wurde eine
Verleumdungskampagne gegen ihn angezettelt,
da er seine deutsche Nationalität beibehielt.
Aufgrund seiner guten Beziehungen und seiner
wertvollen Arbeit, gelang es seinen Gegnern jedoch
nicht, ihn mundtot zu machen. Mein Großvater war
sehr beliebt, weil er vielen Frauen bei der Geburt
geholfen hatte. Seine medizinischen Diagnosen
wurden wertgeschätzt. Zudem verlangte er von den
Armen kein Geld für seine Arbeit. Selbst wenn ich
heutzutage durch die Chiquitania reise, werde ich,
gefragt, ob ich mit Dr. Kempff verwandt bin. Er blieb
der Landbevölkerung durch sein unermüdliches
Engagement in guter Erinnerung.
Aber zurück zum Chaco-Krieg: In dieser Zeit wurde er
der wichtigste Arzt der Garnison. Er kündigte seine
Mitarbeit im Krankenhaus auf und übernahm die
Leitung des Militärkrankenhauses. 1935 wurde er
daraufhin zum Ehrenmitglied des Gemeinderates von
Santa Cruz gewählt.
Bleibende Eindrücke
Mein Großvater war fasziniert von der Natur und
der Wildheit des Kontinentes. Er erzählte gerne
Geschichten. Aus Santa Cruz berichtete er, dass er in
den ersten Jahren nach seiner Ankunft in der Gemeinde
auf den Kirchsturm stieg, um einen Überblick über
die Stadt zu erlangen: Nach vier Straßenzügen hörte
die Bebauung schon auf, so klein war Santa Cruz
und so überschaubar. Als Arzt leistete er zahlreiche
Beiträge zum Gemeindeleben nicht nur als Mediziner
für Allgemeine Medizin und Pathologe sondern zum
Beispiel auch für die lokale Bierbrauerei. Er übernahm
die Kontrolle des Fermentierungsprozesses! Er
war für alles Mögliche zuständig, da es kaum gut
27
ausgebildete Akademiker in dieser Zeit in Santa Cruz
gab. Seine gute Ausbildung und seine vielseitigen
Interessen brachte er, wo er konnte, ein.
Mein Großvater war zudem ein sehr systematischer
Mensch. Er sprach acht Sprachen: Deutsch und
Französisch hatte er in seiner Heimat ElsassLothringen erlernt, Griechisch und Latein lernte er in
der Schulzeit, um Medizin zu studieren, Englisch und
Portugiesisch lernte er in seiner Zeit mit dem Bremer
Lloyd in der USA und in Brasilien und Spanisch
sowie eine lokale Sprache erlernte er in Bolivien. Er
studierte die spanische Sprache zuerst in Villa Bella
mit einem Spanischlehrer. In unserer Familie wurde
Spanisch gesprochen.
Der Alltag
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reiche Frau geheiratet. Das einzige Mal, dass mein
Opa wirklich ein Geschäft tätigte, war der Verkauf des
Viehbestandes einer der vielen Haziendas über einen
deutschen Verwalter, der mit dem Geld auf nimmer
Wiedersehen verschwand.
Mit dem Opa habe ich stundenlange Gespräche
geführt über Bergbau und Goldvorkommen. Er liebte
es, über diese Themen zu sprechen. Er kannte sich
sehr gut über Lagerstätten und Vorkommen aus. Wenn
er auf seinem Pferd ausritt, hat er sich alles genau
angeschaut, er hat vieles in Skizzen festgehalten. Er
entdeckte ein neues Mineral in Bolivien,„la Columbita“
und Goldvorkommen in Santa Ana de Velasco. Eine
der Lagerstätten kann man noch heute besichtigen.
Obwohl er Arzt war, interessierte er sich sehr für die
Geologie und den Bergbau. In der Chiquitania gab es
mehrere Goldlagerstätten, die er exakt kartierte.
Mein Großvater war ein sehr disziplinierter Mensch,
was seinen Tagesablauf anbelangte. Um 7.00 Uhr
nahm er seine Arbeit auf, kam dann um 11:00 Uhr
nach Hause. Zu Hause wurde deutsch gekocht
mit einem kleinen bolivianischen Einschlag. Die
Elsässer Platte mit Sauerkraut hatte ich schon im
Haus meines Großvaters kennengelernt. Er liebte
das gute Essen und den deutschen Wein, besonders
Moselwein. Froschschenkel habe ich zum ersten Mal
bei meinem Opa in Santa Cruz gegessen. Zudem
waren Naturjoghurt und gute Käsesorten in seinem
Haus stets vorrätig. Dauerwürste, wie sie im Elsass
hergestellt werden, liebte er sehr. „Paté de lentejas“,
aus der man eine Art Linsensuppe herstellen konnte,
war sein Reiseproviant. Das nahm er immer mit,
wenn er die Gemeinden auf dem Lande besuchte.
Bier wurde aus Deutschland importiert ebenso wie
der Wein von der Mosel. Die deutschen Importe
kamen über Buenos Aires nach Santa Cruz. Nach
dem Mittagessen durfte die Siesta nie fehlen. Danach
widmete er sich seiner privaten Praxis. Um 18:00
Uhr ritt er aus, um Krankenbesuche zu erledigen. Am
Hauptplatz fand er immer Gelegenheiten, sich mit
Freunden auszutauschen. Um 20:00 Uhr gab’s dann
das Abendessen. Ihm schmeckten die kleinen Bananen
mit Käse und Honig besonders gut zum Nachtisch!
Zu dieser Zeit lebten noch wilde Stämme in dieser
Gegend wie z.B. die heute ausgestorbenen SirionóKrieger. Eine dieser Gruppen hatte eine Hazienda
angegriffen. Auch Frauen und Kinder wurden bedroht.
Sie kamen zu Pferd und auch mein Opa ritt hoch
zu Ross, mischte sich ein und rettete das Kind, das
gerade erschossen werden sollte. Er war ein Mann mit
Zivilcourage.
Er war ein zurückhaltender Mensch, ein Humanist,
kein guter Geschäftsmann. Als Arzt verlangte er die
niedrigsten Honorare. Gott sei Dank hatte er eine
Das Haus des Großvaters lag im Zentrum von Santa
Cruz in der Straße Caracas vier Blocks von der
Stadtmitte entfernt. Es war ein einstöckiges Haus mit
Das Familienleben
Er war ein sehr liebevoller Vater und Familienmensch.
Unsere Familie verbrachte die Ferien immer
zusammen. Die Familie reiste viel in Bolivien und im
Ausland. Alle drei Jahre besuchten wir Europa, aber
auch andere lateinamerikanische Länder und die USA.
Seine Ratschläge gab er einem auf eine sehr sanfte
Art, keine Schläge, sondern Rat! Er war strikt und
konsequent. Das Fach, wo keiner an ihn heran kam, war
die Mathematik. Mein Großvater war ein Weltenbürger
und ein Universalist in seinen Kenntnissen. Sein
Hobby war der Bergbau. Darüber ist in den Briefen
an seinen Sohn einiges überliefert, einschließlich der
Lagepläne. Er kaufte auch Bergbaulizenzen in Santa
Ana de Velasco, was als Erbe an die Kinder überging.
großem Innenhof, umgeben von einer Gartenanlage.
Im Innenhof gab es Hängematten und hinter dem
Haus einen Pferdestall. Am Hauseingang waren
Metallringe angebracht, um die Pferde anzubinden,
auch für die Gäste des Hauses. Das waren sozusagen
die reservierten „Besucherparkplätze“. Das Haus war
mit Palmen und Orchideen versehen. Es beherbergte
Zimmer für die zahlreichen Enkel und Gäste sowie
ein großes Esszimmer und sechs Schlafzimmer mit
Bädern für die engsten Familienangehörigen, was
damals eine Seltenheit war. Der Ziegelbau war gut
durchlüftet und dem Klima angepasst. Am Abend
stellte man seine Schaukelstühle auf die Straße, um
die frische Abendluft zu genießen und die Leute zu
grüßen. Als er alt war und ich ihn zum Spaziergang
abholte, wollte er nie gestützt werden. Er wollte
nie alt erscheinen, war immer elegant gekleidet,
schwarzer Anzug, Fliege und Hut, ein Gentleman.
Gesellschaftliches Leben der Deutschen in Santa Cruz
Deutsche Zuwanderer wurden willkommen geheißen
mehr als Amerikaner. Die Deutschen waren formaler
in ihrer Kleidung, in ihrem Benehmen. Mit der
bolivianischen Oberschicht gab es keine Probleme,
abgesehen von einigen Anfeindungen zu Kriegszeiten.
Mit den Eingeborenen hatten die Deutschen ebenfalls
keine Probleme, denn sie behandelten sie mit Respekt.
Die Deutschen waren willkommen. Auch heute noch
sagt man, diese Deutschen sollen sich hier verewigen.
Dies taten sie dann; oft auch mit Eingeborenen. Daher
gibt es auch heute noch in entlegenen Gebieten viele
Einwohner mit blauen Augen und hellen Haaren.
Das „Hogar Alemán“ gründete er, eine Art Deutscher
Club in Santa Cruz. Zudem brachte er zusammen mit
anderen Deutschstämmigen alle drei Monate er eine
deutsche Zeitung heraus. Eine Deutsche Schule wurde
erst später in Santa Cruz gegründet, sie ist weniger
als 20 Jahre alt. In Santa Cruz existierten damals
noch keine Privatschulen. Die Kinder der Deutschen
gingen auf die öffentliche Schule „Colegio Nacional
Florida“ und studierten später im Ausland vor allem
in Deutschland. Ein Deutsches Krankenhaus existierte
nicht, das einzige städtische Krankenhaus „San Juan
de Dios“ wurde ja durch ihn geleitet.
Beziehungen zu Deutschland Franz Kempff in Santa Cruz beim Überqueren
einer Hauptstraße in der Regenzeit
Bis zum I.Weltkrieg pflegte er die Familienbeziehungen
nach Deutschland. Im Krieg starb seine Schwester bei
einem Bombengriff. Danach besaß er keine nahen
Verwandten mehr in der alten Heimat, wodurch sich
die Beziehungen zu Deutschland abkühlten. Sein
Bruder wanderte nach Brasilien aus und baute dort
als Ingenieur eine Motorindustrie auf. Auch dieser
verstarb in Sao Paulo an einem Herzschlag, wodurch
Franz seinen letzten nahen Verwandten verlor. Erst
durch seinen Sohn Fernando, meinen Bruder, der
an der Universität Aachen studierte, wurden die
Beziehungen zu Deutschland wieder belebt. Ihm
wurde gerade an der Universität Aachen die Ehre zu
Teil, anlässlich der Emeritierung seines 80-jährigen
Hochschulprofessors die Laudatio zu halten.
Das Interview mit dem Enkel, Oscar Kempff fand
in La Paz 2013 statt. Die Enkel Lorena und Julio Kempff
leisteten wertvolle Beiträge in Santa Cruz im Dezember 2014
Wappen der
Familie Kempff
29
Fotos: Krankenhaus San Juan de Dios in Santa Cruz,
Doktor Kempff und Kollegen
Kundt im Kreise von bolivianischen Soldaten
30
Fotos: Jesuitenmissionen Concepción und San José de Chiquitos
Indianer aus der Ethnie der Sirionó,
die Doktor Kempff jährlich besuchte
31
Santa Cruz
4
Interview
Franz
Franz Wilhelm Otto Kenning
Breconitsch
Geboren in Berlin am 25.September 1877
Gestorben in Santa Cruz de la Sierra am 4.Juli 1950
Hinten, stehend von links nach rechts:
Wilhelm (Guillermo) Kenning Voss, mein Vater, Phillip Kenning Voss,
Otto Kenning Voss (Sohn),
Vorne von links nach rechts:
F. Otto W. (Vater) Kenning Breconitsch, Heinrich Kenning Voss, Lotty Kenning Voss
32
und Henriette Voss Schmidt de Kenning
Auswanderung
Mein Großvater wanderte 1910 aus Deutschland
aus. Per Schiff reiste er nach Buenos Aires und von
dort ging es auf dem Landweg über Santiago de
Chile nach Arica und weiter in die Berge nach Potosí.
In seiner alten Heimat hinterließ er zwei Brüder, von
denen einer im I. Weltkrieg verstarb. Seine Eltern
waren William Kenning und Louise Breconitsch.
Uns wurde erzählt, dass die wirtschaftliche Krise in
Deutschland ihn zur Auswanderung bewegte und er
sich auf eine Annonce Hochschilds bewarb. Er hatte
eine Ausbildung zum Buchhalter absolviert, sprach
kein Wort Spanisch als er ausreiste und musste es
erst in Bolivien erlernen.
In Potosí arbeitete er in der Bergwerksgesellschaft
Hochschild, dessen Chef, Moritz Hochschild, ein
deutscher Jude, ihn schon nach der Ankunft in Chile
unter Vertrag genommen hatte. In Potosí gefiel ihm
weder die Arbeit in der Mine noch bekam ihm die
Höhe, so dass er sich 1912 entschloss, nach Santa
Cruz de la Sierra weiter zu ziehen, wo er einen Vertrag
mit dem durch Kautschukhandel groß gewordenen
Handelshaus Gasser & Schweitzer einging.
Sesshaftwerdung und Familiengründung
In Santa Cruz lernte er Johannes Voss und seine
Frau Claudine Shmidt kennen, ein schon älteres
Ehepaar aus Hamburg Altona. Voss war bereits 1898
aus Deutschland ausgewandert. Er hatte eine Zeit
lang in San Ignacio de Velasco gearbeitet und war,
als sie sich kennenlernten, bei Nicolás Suarez in
Puerto Suarez als Buchhalter angestellt. Voss hatte
eine wunderschöne Tochter, Anna Voss Schmidt
mit Namen, in Hamburg Altona 1890 geboren und
unverheiratet. Da geschah das Unausweichliche,
mein Großvater verliebte sich in sie. 1916 wurde
in Santa Cruz geheiratet. Mein Vater Hans Otto
Wilhelm wurde in Santa Cruz im Jahre 1917 geboren,
Philipp 1919 und Otto 1923. Anna starb acht Jahre
nach Eheschließung an Unterernährung – Mangel
an Vitaminen, hieß es. Mein Großvater heiratete
daraufhin zwei Jahre später die Schwester von Anna,
Henriette Voss, die zwanzig Jahre jünger war als er.
Mit ihr zeugte er zwei weitere Kinder, Heinrich 1927
und Lotty 1935. Das war damals nicht unüblich, dass
zur Versorgung der Kinder eine nahe Verwandte
geehelicht wurde.
„La Providencia“ – das Handelshaus
in Santa Cruz
Mein Großvater arbeitete weiter als Buchhalter
für Don Felipe Schweitzer, der in Santa Cruz das
Handelshaus „La Providencia“ unterhielt. 1924
wurde er Anteileigner des Unternehmens, das aus
diesem Grund in „Schweizer & Cia“ umbenannt
wurde. „La Providencia“ verkaufte alles Mögliche. Es
war ein großer Bazar! Sie importierten zum Beispiel
Nadeln und Nähzeug aus Europa ebenso Möbel,
Handwerkszeug und Geräte für die Landwirtschaft.
Alles was man braucht, wenn man auf dem Lande
lebt. Von der Familie Schweitzer lebt niemand mehr
in Bolivien. Heute können wir uns gar nicht mehr
vorstellen, wie groß der Handel hier war.
Mein Großvater arbeitete seit seiner Ankunft in
Santa Cruz im Jahre 1912 bis zum Ausbruch des II.
Weltkrieges zusammen mit Don Felipe Schweitzer.
Erst 1947 trennten sich die Geschäftspartner. Mein
Großvater, jetzt schon siebzigjährig, behielt seinen
landwirtschaftlichen Betrieb und seine geliebte
Viehwirtschaft. Er blieb Zeit seines Lebens in Santa
Cruz, da er unter Bluthochdruck litt und die Höhe
des Altiplano nicht vertrug.
„La Providencia“ war eines der drei großen
Handelsunternehmen in Santa Cruz neben dem
Handelshaus Zeller & Moser und den Gebrüdern
Elsner. Diese drei Handelshäuser erlebten ihre
Blütezeit bis zum Ausbruch des II. Weltkriegs.
Die Deutschen waren in dieser Epoche diejenigen,
die Innovationen einführten. Sie trafen bei ihrer
Ankunft auf ein Land, das keine Elektrizität,
Telefonverbindungen und Kinos kannte. Deutsche
waren es, die dies und vieles mehr in Santa Cruz
einführten. Mein Großvater war auch der erste, der
1912 einen Generator zur Stromversorgung in Santa
Cruz auf seiner Finca „El Arenal“ installierte. 1914
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eröffnete er das erste Kino in Santa Cruz. Später baute
er als erster eine moderne Viehwirtschaft in „Las
Palmeras“ am Ufer des Rio San Juan in der Chiquitania
auf. Dort verbrachten wir auch unsere Ferien. Bis
heute haben wir auf dem Gelände des Großvaters
noch einen landwirtschaftlichen Betrieb, ein paar
Schafe und ein paar Ziegen. Auf seinen Wunsch
wurden die drei größeren Kinder zum Studium der
Landwirtschaft nach Santiago de Chile geschickt.
Nur der Älteste hat das Landwirtschaftsstudium
abgeschlossen. An seinem Lebensende hat sich
mein Großvater ausschließlich der Viehwirtschaft
auf seiner Länderei „Las Palmeras“ gewidmet.
Mein Großvater Don Otto
Mein Großvater war ein sehr ernsthafter Mensch,
kein Vielredner, eher schweigsam. Er war streng
und hatte an allem was auszusetzen. Zeit seines
Lebens war er sehr pünktlich. Er hielt sich strikt
an seine Prinzipien und war sehr fordernd. So
kannte man ihn in der Gesellschaft in Santa Cruz.
Man sagte auch schon mal den Deutschen nach,
dass sie sehr „quadratisch seien“ – nicht nach
rechts und nicht nach links schauend – streng
und verantwortlich. Er lebte bescheiden und war
genügsam, manchmal auch hart gegen sich selbst. Er
war nie ein liebevoller, zärtlicher Vater. Er hatte sehr
früh seine Mutter verloren und seine Stiefmutter
war auch nicht gerade ein Ausbund an Wärme und
Zärtlichkeit. In der angeheirateten Familie Voss gab
es eine liebevolle Großmutter, die war nett zu uns
Enkelkindern. Von seiner zweiten Frau, Henriette
Marie Adelheit, die ja zwanzig Jahre jünger war als
er und die von ihrer Familie gezwungen worden war,
ihn wegen der Kinder zu heiraten, war nicht viel
Wärme und Herzlichkeit zu erwarten.
Mein Großvater war Lutheraner und hat seine
Glaubenszugehörigkeit sein Leben lang beibehalten.
Da es in Santa Cruz keine evangelische Gemeinde
gab, nahm er an den Gottesdiensten teil, wenn ein
Pastor mal zu Besuch kam.
Er liebte es, sich mit anderen deutschen Musikern
zusammen zu schließen und zu musizieren. Sie
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hatten ein kleines Orchester aufgebaut. Er war ein
begnadeter Musiker, spielte fünf Instrumente unter
anderem Klavier, Geige und Mandoline.
Wenn wir mal verreisten, dann ging es nach La Paz.
Eine solche Reise auf dem Rücken eines Maultiers
war schrecklich, sehr anstrengend. Es gab ja damals
noch keine ausgebauten Straßen!
Mein Großvater nahm nie die bolivianische
Staatsbürgerschaft an, sondern behielt seinen
deutschen Reisepass aus Berlin. Er bewegte
sich gerne in deutschen Kreisen, besonders mit
Deutschstämmigen seines Alters. Von der Familie
Voss kamen noch Cousins nach Santa Cruz, die
Pinkerts. Auch mit ihnen traf man sich gerne. Santa
Cruz hatte sogar einen eigenen deutschen Friedhof!
Den gibt es übrigens heute noch.
Deutsches Brauchtum
Mein Großvater legte Wert auf deutsche Gerichte:
Berliner Ballen, Ofenpfannkuchen und die Art
wie ein Schwein zubereitet wurde, hatte er aus
seiner alten Heimat mitgebracht. Als Beilage
wurden viele Kartoffeln gegessen, an Reis konnte
man sich nicht gewöhnen. Besonders an den
Feiertagen wie zu Weihnachten wurde deutsches
Weihnachtsgebäck hergestellt. Großvater war
sowieso ein hervorragender Koch, Bäcker und
Konditor, was Nachtische und Torten anbelangte.
Selbst Hochzeitstorten verstand er anzufertigen.
Weihnachten wurde früher in Santa Cruz am 6. Januar
gefeiert, aber bei uns zuhause feierte man das nach
deutschem Brauch mit einem Weihnachtsbaum am
24. Dezember. Alle Familienmitglieder versammelten
sich um den Baum herum und es wurde musiziert.
Verbundenheit mit Deutschland
Zu Hause wurde nur Deutsch gesprochen. Alle seine
Kinder sprachen ein sehr gutes Hochdeutsch, obwohl
sie nie in Deutschland gelebt hatten. Die Kinder
wurden nach deutschem Stil und Gepflogenheiten
gekleidet. Viele Deutsche sandten ihre Kinder
zur Unterstützung ins Deutsche Reich. Der zweite
Sohn meines Großvaters wurde ebenfalls nach
Deutschland geschickt, aber er nahm nicht am Krieg
teil.
In den 30iger Jahren wurde mein Großvater zum
Honorarkonsul für das Dritte Reich ernannt. Er war
Mitbegründer der „Deutschen Schule“ in Santa Cruz
und aktives Mitglied der „Sociedad de Estudios
Geográficos e Históricos“, einer Gesellschaft für
geografische und historische Studien. Er war auch
einer der Gründer der Deutsche Schule in Santa Cruz.
Als sein Vater erkrankte reiste er einmal nach
Deutschland und später noch einmal mit seiner
zweiten Frau. Nie wurden die Kinder mitgenommen.
Großvater war in den Jahren in Santa Cruz zu einer
angesehenen Person im öffentlichen Leben der Stadt
avanciert. Er besaß verschiedene Liegenschaften
in Santa Cruz, er war ein Mann mit Geld. Er pflegte
keinen Kontakt mehr zu Deutschland und wollte
auch nicht mehr nach Deutschland zurückkehren.
Hinten von links nach rechts:
Peter Voss Schmidt, Hans Voss Schmidt,
Vorne von links nach rechts: Anna Voss Schmidt,
Henriette Voss Schmidt.
Unsere Familie ist heute nicht sonderlich groß – es
leben hier in Santa Cruz noch 16 Enkelkinder, nur
sechs von ihnen tragen noch den Namen Kenning.
Das Haus, das Großvater hier in der Stadt erwarb, ist
weiterhin im Familienbesitz.
Das Interview wurde mit
Enkelin Silvia Cecilia Irmgard und
Enkelsohn Hans Heinrich Philipp Kenning Moreno am
3.12.2014 in Santa Cruz geführt.
35
Santa Cruz
5
Interview
Josef
Josef Kreidler Singer
Geboren in Altheim, Kreis Horb am Neckar am 4. Juni 1880
Gestorben in San Ignacio de Velasco am 29. Februar 1920
36
Nachfahrentafel der Familie Kreidler Singer
Auswanderung
Unser Großvater Josef wurde als sechstes Kind einer
Großfamilie geboren. Insgesamt fütterten seine
Eltern neun Kinder durch. Zu dieser Zeit war die
wirtschaftliche Lage in Deutschland sehr schlecht,
auch wenn die Eltern einen großen Bauernhof
in Haidenhof besaßen, der sich bis heute im
Familienbesitz befindet. Heute noch werden dort
Schweine gemästet und Hühner gezüchtet. Josef
besuchte die Grundschule und absolvierte eine Lehre
als Buchhalter in Horb am Neckar im Schwabenland.
Da er keine Arbeit fand, beschloss er, 22 Jahre alt,
nach Bolivien auszuwandern. Mein Urgroßvater lieh
Josef 400 Reichsmark für die Überfahrt.
Wilhelmine Kreidler (1850-1918)
mit Sohn und Ehemann
Zusammen mit zwei Cousins brach er im Jahre
1903 von Antwerpen aus nach Südamerika auf.
Das Auswanderschiff nahm seinen Kurs über die
Kanarischen Inseln, passierte Recife, Brasilien nach
Buenos Aires, Argentinien, wo Josef an Land ging.
Zusammen mit anderen Auswanderern suchten
sie Arbeit in der argentinischen Hauptstadt, leider
ohne Erfolg. Daraufhin beschlossen sie weiter in
den Norden Südamerikas zu ziehen, da sie erfuhren,
dass es in Paraguay Arbeitsstellen gäbe. Sieben Tage
dauerte die Reise per Schiff auf dem Rio Paraguay
von Buenos Aires nach Asunción. Die Flüsse waren
die einzigen Transportwege, da es keine Straßen
gab. In Asunción angekommen, verließ ihn der Mut,
eine Anstellung in der Stadt zu finden. Aber als sie
mittags in ein deutsches Lokal einkehrten, trafen
sie einen deutschen Farmer. Dieser versprach sich
für die drei jungen Männer bei einem deutschen
Unternehmer einzusetzen, einem Württemberger, der
das größte Importunternehmen vor Ort besaß. Nach
einem kurzen Vorstellungsgespräch wurde Josef als
Buchhalter mit einem Gehalt von 250,00 Pesos im
Monat eingestellt. In einem Brief „an seine herzlich
geliebten Eltern und Geschwister“ berichtete er am
24.3.1903: „Mein Vorgänger war ein ziemlich alter
Engländer. Die Buchhaltung ist sehr schwer und alles
ist in Spanisch... Ich kann schon ganz ordentlich
Spanisch sprechen, aber es ist schwer. Ich hoffe,
dass es mir hier gut gehen wird.“ Das Handelshaus
hatte eine kleine Filiale im Landesinneren von
Paraguay in Villarica verbunden durch die einzige
Eisenbahn im Land. Diese wurde Josef anvertraut.
Die Reise bis Villarica dauerte noch einmal einen
Tag. Villarica war zu dieser Zeit die zweitgrößte Stadt
mit 2000 Einwohnern in Paraguay. Für Zuckerrohr,
Baumwolle und Viehwirtschaft war der Ort das
Wirtschaftszentrum.
Leider wissen wir nicht genau, wie lange er in
Villarica arbeitete, höchstwahrscheinlich ein Jahr. Wir
nehmen an, dass er dort von dem Kautschukboom,
der Bonanza des „weißen Goldes“ erfuhr, der sich in
Windeseile bis Paraguay herum sprach.
Einwanderung nach Bolivien
So machte er sich im Jahr 1904 auf, um in Puerto
37
Suárez sein Glück zu suchen, damals das Zentrum
des Kautschukbooms. Per Schiff reiste er bis an die
Grenze zwischen Brasilien und Bolivien. Es dauerte
drei Monate, bis er Puerto Suárez, die Boomstadt,
erreichte. In seinen Briefen an seine Eltern
beschrieb er den Verlauf der Reise. Er war einer der
wenigen, der gesund blieb und nicht vom Fieber
heimgesucht wurde. Zuerst fand er keine Anstellung
und wartete im Hafen, dem Umschlagplatz für
Kautschuk, auf sein Glück. Die Kautschukbestände
befanden sich nördlich im bolivianischen Tiefland.
In Karawanen wurden die Kautschukballen zum
Hafen transportiert. Josef scheint, sich als Schreiber
im Hafen sein Geld zu verdienen. Er berichtete, dass
er für die „Briefe 100 Reichsmark“ erhielt. Schon zu
dieser Zeit hatte er zusammen mit seinem Cousin
die Idee, eine eigene Firma zu gründen. Aber sein
guter Geschäftssinn mäßigte ihn. Um genügend
Startkapital zu akkumulieren, sparte er ein weiteres
Jahr. Er erhoffte sich, eine Filiale im Landesinneren
zu günstigen Bedingungen zu übernehmen. Dies
schien zu gelingen. Leider sind die Briefe über diese
Zeit verloren gegangen, so dass uns keine genauen
Informationen vorliegen.
Leben in Bolivien
Im Jahr 1906 fand er eine Anstellung bei dem
deutschen Handelshaus „Stöfen, Schnack, Müller
& Co“, in San Ignacio de Velasco. Das Handelshaus
importierte Kessel und Maschinen und exportierte
Edelhölzer wie Mahagoni und Naturkautschuk. Hier
fand der fünfundzwanzigjährige Josef nicht nur
Arbeit, sondern auch die große Liebe seines Lebens,
die zwanzigjährige Bolivianerin Lindaura Rivero.
Geheiratet wurde im Mai 1906 in San Ignacio de
Velasco. Sieben Kinder wurden dem Paar geboren:
1907 Wilhelmine, 1911 Nora, 1913 Josef (der im
ersten Lebensjahr verstarb), 1914 Blanca, 1916
Regina, 1917 Otto Alfonso unser Vater. Das letzte
Kind, unsere Tante Frida, erblickte 1920 das Licht
der Welt.
Aus dem Briefverkehr können wir entnehmen, dass
es unserem Großvater 1912 schon ökonomisch recht
gut geht, denn er investierte 20 000 Reichsmark in
38
Josef mit Töchtern Wilhelmine, Norah und Blanca
in San Ignacio de Velasco 1914
sein Haus und verlieh Gelder an seine Verwandten,
die immer wieder durch Liebesgeschichten
gebeutelt wurden. Er beschreibt, dass es in dieser
Zeit in Bolivien einfach ist, Geld zu verdienen und
ein gutes Leben zu führen. „Das Leben in Amerika ist
so einfach!“
Brief des Großvaters vom 14. November. 1912
an seine Eltern über seine Finanzen
Gleichzeitig erkannte er, dass durch das tropische
Klima viele Krankheiten ausgelöst wurden. In einem
Brief an seine Eltern,datiert vom 15.10.1913 beschrieb
er die Malariaanfälle und eine Pockenepidemie, die
die Indianer dahin raffte. „Hier machten wir in letzter
Zeit traurige Tage mit, da eine ungemein heftige
Fieberepidemie herrschte, verbunden mit einem
gefährlichen Halsleiden. Und einer Art Genickstarre,
so dass viele Leute daran starben, besonders auch
unter den Indianern. Glücklicherweise blieben wir
von Todesfällen verschont, obschon auch bei uns
die Krankheit eingerissen war. Außerdem hatten
die Mädchen leichte Pocken, aber heute sind
wir soweit alle gesund und erwarten in diesen
Tagen wieder Familienzuwachs.“ Zudem notierte
er die Geldbeträge, die er über eine Hamburger
Handelsfirma an seine Familie nach Deutschland
sandte, um sie zu unterstützen. Über deutsche
Zeitungen aus Buenos Aires, die er wohl abonniert
hatte, war er gut über die Verhältnisse in Deutschland
informiert.
1914, nach Ausbruch des I. Weltkriegs beschrieb
Josef recht präzise, wie die Kautschukpreise
verfielen und die Bevölkerung versuchte, durch das
Sammeln größerer Mengen zu überleben. Zudem
suchte man die alten Goldminen, die schon in
Zeiten der Jesuiten und Portugiesen ausgebeutet
wurden, zu rehabilitieren, aber insgesamt „...ist
die Geschäftslage ziemlich oberfaul, da das Geld
sich beinahe vollständig verflüchtigt hat.“ Bis 1919
verblieb Großvater als Angestellter in San Ignacio
de Velasco mit der Firma „Stöfen, Schnack, Müller &
Co“. Er schrieb: “Wir leben jetzt wieder sehr einsam,
da tausende von Menschen in die Gummiwälder
gezogen sind, um ja recht viel Gummi zu arbeiten, da
dieser jetzt sehr billig ist – da soll das Quantum den
Preis ersetzen.“
Wegen des Krieges lagen die Geschäfte danieder,
Export wie Import kamen zum erliegen. Trotz des
Krieges ging es ihm recht gut, er erbaute ein neues
Spendenaufruf zu Unterstützung des I. Weltkrieges
mit Einzahlungen und Unterschriften
39
Wohnhaus in San Ignacio de Velasco, übernahm zum
zweiten Mal das Amt des Bürgermeisters und war
Schatzmeister des Club Social, dessen Mitbegründer
er im Jahre 1912 war.
Josef war, wie die meisten deutschen Migranten,
deutschnational eingestellt und trug mit 50
Bolivianos zur Sammelaktion des deutschen Konsuls
für den Krieg in der alten Heimat bei.
Auch seiner Familie in Haidenhof ließ er in
diesen schweren Kriegsjahren Geld zukommen. Er
sorgte sich um das Wohlergehen seiner Familie in
Deutschland. Zeit seines Lebens war er sehr gut
über die Geschehnisse in seiner Heimat informiert
und bestellte sogar in diesen Jahren, die Zeitschrift
„Schwarzwälder Bote“ nach San Ignacio de Velasco.
Seit der Einführung der Telegraphen ab 1915
verbesserte sich die Kommunikation mit der Familie
in Deutschland.
Amazonasbecken - Lage des Rio Iténez, der auch Rio
Guaporé genannt wird, lila markiert
Aufbau des eigenen Geschäftes
1919 teilte er seiner Familie mit, dass er aus der
Firma „Stöfen, Schnack, Müller & Co“ auszuscheiden
gedenkt und sich mit dem ersparten Kapital von
52 000 Bolivianos (circa 200 000 Reichsmark)
selbstständig machen möchte. Zudem gehörte
ihm ein Haus im Wert von 20 000 Bolivianos
und er erwartete von zwei Familienmitgliedern
Rückzahlungen von 50 000 Reichsmark. Zusätzlich
besaß er 50 000 Reichsmark in bar. In dieser Zeit
erwarb er eine Farm für 12 000 Bolivianos mit 400
Rindern, 250 Zuchttieren, 20 Zuchtstieren, 30 Ochsen
und 100 Pferden. Seine Frau bewirtschaftete eine
weitere Farm mit 50 Milchkühen. Josef führte Buch
über alle Einnahmen, ein typischer Buchhalter.
Seine Ersparnisse resultierten daher, dass er kaum
Geld ausgab und immer gut verdiente. Er exportierte
Gummi und importierte im Gegenzug Handelswaren
aller Art. Zudem investierte er in den Transport.
San Ignacio de Velasco liegt 200 km zwischen den
beiden größeren schiffbaren Flüssen. Der Ort war in
dieser Zeit ein bedeutender Verkehrsknotenpunkt.
Auch handelte Josef mit kastrierten Stieren, die als
40
Zugtiere vor die Holzkarren gespannt wurden, um die
Kautschukballen bis zu den Häfen des Rio Paraguay/
Rio de la Plata und des Rio Iténes, einem Zufluss des
Amazonas, zu transportieren. Im Gegenzug wurden
alle lebensnotwendigen Produkte importiert. Seine
Ersparnisse hatte er vor dem Krieg auf Banken in
New York und Hamburg sicher angelegt.
In einem Brief von November 1919 aus Santa Cruz
erfahren wir, dass seine Mutter verstorben war und
Deutschland den Krieg verloren hatte. Ein Brief
brauchte vier Monate von Deutschland nach Santa
Cruz. So erfuhr er mit großer Zeitverschiebung vom
Tode seiner Mutter. Sein sehnlichster Wunsch war
es, in dieser Zeit noch einmal mit seiner gesamten
Familie nach Deutschland zu reisen. Eigentlich war
dies für 1915 geplant, aber durch den Ausbruch des
Weltkrieges wurde die Reise verhindert.
Josef arbeitete emsig weiter, er baute seine Farm aus,
erwarb Maultiere und überlegte sich, einen Cousin
anzustellen. Bisher hatte er deutsche Produkte wie
Dampfmaschinen und alles Zubehör, was man nicht
in Bolivien herstellen konnte, importiert, aber auch
Arbeitsgeräte wie Sägen und Messer aus Solingen
(Zwillinge), Schnürstiefel aus Deutschland gegen
möglichen Schlangenbiss wurden importiert ebenso
wie Kirchenglocken und Gegenstände des täglichen
Bedarfs wie Geschirr, Besteck, bis hin zum Klavier aus
Hamburg. Ansonsten waren Josef und seine Familie
Eigenversorger mit Lebensmitteln, da sie Zucker und
alle Agrarprodukte selber herstellten, ebenso Stoffe
und Kleidung.
In seinem letzten Brief vor seinem Tode datiert vom
14.11.1919 berichtete er, dass er nach Santa Cruz
de la Sierra reisen werde, um Waren im Wert
von 100.000,00 Reichsmark einzukaufen. Jetzt
kaufte er US-amerikanische Produkte, aber er hoffte
in Zukunft seine Waren wieder aus Deutschland
beziehen zu können. Im Februar 1920 verstarb Josef
im Alter von 40 Jahren an Magengeschwüren und
einer Darmkrankheit. Seine Ehefrau Lindaura folgte
ihm 12 Jahre später in den Tod. Sein Reichtum wurde
unter seinen Nachkommen aufgeteilt. Heute leben
noch circa 200 Nachkommen in Bolivien. Allein
unser Vater hatte 24 Enkelkinder.
Beziehungen zu Deutschland
Die Familie Kreidler pflegt bis heute die Beziehungen
zu Deutschland und den deutschen Verwandten.
Lange Zeit bestand ein reger Briefverkehr
zwischen dem deutschen und dem bolivianischen
Zweig der Familie. Alle vier Jahre wird ein großes
Familientreffen in Deutschland in der Nähe von
Freudenstatt im Schwarzwald organisiert. Am
letzten Treffen nahmen 160 Familienangehörige
teil. Zum 100. Geburtstag von Otto Alfonso im Jahre
2017 ist sogar ein Treffen in San Ignacio de Velasco
geplant.
Profil des Großvaters
Josef war sehr arbeitsam. Zudem war er nie in
Frauengeschichten verwickelt wie seine Cousins,
und führte Zeit seines Lebens ein eher bescheidenes
familienbezogenes Leben. Frau und Kinder reisten
immer mit. Seine Familie in Deutschland unterstützte
er finanziell besonders im I. Weltkrieg. Für die
damalige Zeit war er ein sehr gebildeter Mann mit
guter Beobachtungsgabe für das Zeitgeschehen,
was ein umfassender Briefverkehr mit der Familie
in der alten Heimat belegt. Die in Deutschland
lebende Familie hegt sehr gute Erinnerungen an
ihn. Seine Briefe haben unversehrt zwei Weltkriege
überstanden. Josef war der Typ des guten Patriarchen
und ein guter Staatsbürger. Sein Lebensrhythmus war
von den deutschen Gebräuchen geprägt: Wir saßen
als Familie gemeinsam am Tisch und wir nahmen
gemeinsam die Mahlzeiten ein. Pünktlichkeit und
Disziplin zeichneten ihn aus. Auch wir Enkelkinder
mussten studieren, fleißig sein, früh um 06:00
aufstehen und früh zu Bett gehen. Diese Werte hatte
der Großvater schon unseren Vater mitgegeben und
dieser „vererbte“ diese Tugenden an die nächste
Generation. Großvater hatte Charisma und war
daher mehrere Male in das Amt des Bürgermeisters
gewählt worden.
Das Interview wurde mit den Brüdern Walter und Elmar
Kreidler am 4.12.2014 in Santa Cruz geführt.
Interessant ist, dass alle Frauen der Familie Kreidler
nicht in Bolivien wohnen, sondern in den USA,
in Peru und in Afrika, während alle männlichen
Nachkommen in Santa Cruz de la Sierra geblieben
sind und wichtige Positionen im öffentlichen Leben
übernahmen wie z. B. Alfonso Otto Kreidler, der in der
Zeit von 1971-1974 als bolivianischer Generalkonsul
nach Hamburg berufen wurde.
41
Santa Cruz
6
Interview
Karl
Karl Mayser Sauer
Geboren in Kreuzlingen am Bodensee am 2. Februar 1884
Gestorben in Santa Cruz de la Sierra am 15. Oktober 1952
Beerdigt in San Ignacio de Velasco am 17. Oktober 1952
42
Auswanderung
Mein Vater Karl erblickte am 7. Februar 1884 –
während einer Reise seiner Eltern - im schweizer
Kreuzlingen am Bodensee das Licht der Welt.
Er war der Erstgeborene einer aus dem Süden
Deutschlands stammenden Mittelstandsfamilie,
die als Pharmazeuten ihr Geld verdienten. Daher
konnten es sich die Eltern leisten, ihm eine
humanistische Erziehung mit Griechisch- und
Lateinunterricht zu ermöglichen. Nach der Schule
absolvierte er eine pharmazeutische Ausbildung,
was ihm später von großem Nutzen sein sollte. In der
Kaiserlichen Marine leistete er seinen Militärdienst
ab. Sechsundzwanzig Jahre alt wanderte er im
September 1910 nach Lateinamerika aus. Neugierde
und Abenteuerlust waren der Antrieb. Er konnte sich
die Schiffsreise, von Montevideo nach Puerto Suarez,
Bolivien, selbst finanzieren. Von dort ging es weiter
auf dem Rücken von Maultieren bis zum Rio Iténez
wie wir Bolivianer ihn nennen. Bei den Brasilianern
heißt er Rio Guaporé. Er bildet die natürliche Grenze
zwischen Bolivien und Brasilien und ist ein rechter
Nebenarm des Rio Mamoré. Dort suchte er einen
Verwandten auf, der schon vor ihm aus Deutschland
ausgewandert war.
Zwei seiner jüngeren Brüder, Hugo und Paul, sollten
ihm vor und nach dem I. Weltkrieg nach Bolivien
folgen. Sie siedelten sich in der gleichen Region
an, Hugo zwischen Fortín Libertad und Madrecitas,
Provinz Ñuflo de Chávez, und Paul in San Ignacio de
Velasco, also im Tiefland Boliviens an der Grenze zu
Brasilien.
Als Flussschifffahrtskapitän im
Amazonasgebiet
Zu dieser Zeit gab es schon einen regen
Flussverkehr auf dem Rio Paraguay und San
Ignacio de Velasco war der zentrale Ort der
Region, das Handelszentrum des Kautschukbooms.
Das deutsche Handelsunternehmen Stöfen,
Schnack, Müller und Cia nahm ihn Ende 1910 als
Kommandant ihrer Flussschifffahrt unter Vertrag.
Stöffens, Schnack, Müller & Cia waren schon früh,
nämlich 1906, in das Geschäft mit dem „weißem
Gold“ eingestiegen und entwickelten sich zum
größten Handelsunternehmen der Region: Sie
kauften Kautschuk auf und exportierten ihn nach
Europa. Im Gegenzug importierten sie deutsche
Handelsgüter und vertrieben sie im gesamten
schiffbaren Amazonasgebiet. Ihr Hauptsitz lag in
Puerto Suarez, Zweigstellen unterhielten sie in
Iténez, San Ignacio, San José, Santiago, Santa Cruz,
Santa Ana und in Brasilien in Corumbá und Matto
Grosso. So lernte er als Flussschifffahrtskapitän
weite Teile des bolivianischen und brasilianischen
Amazonastieflandes kennen, bereiste die Flüsse
Iténez oder Guaporé, den Mamoré und seine
Nebenflüsse.
Karl Mayser als Flussschifffahrtskapitän
43
Abenteuer jeglicher Art stellte er sich, da zu dieser
Zeit viele Tieflandethnien noch keinen Kontakt zur
Außenwelt hatten. Er berichtete in seinen Briefen
von Menschenfressern und den guten Wilden.
Mehrere Forschungsreisende begleitete er in diesen
Jahren wie zum Beispiel den Schweden Erland
Nordenskiöld, in dessen Werk „Exploraciones y
Aventuras en Sudamérica“ er Erwähnung findet.
Erland Nordenskiöld, „Exploraciones y Aventuras en
Sudamérica“
nach Naturkautschuk sprunghaft an. Vor allen
Dingen England und Deutschland importierten
die Kautschukballen über den Rio Paraguay,
dessen größter Hafen, Puerto Descalvados, zum
Umschlagplatz für den Kautschuk wurde bis die
Ware über den Atlantik Europa erreichte. Die
Geschäfte blühten und der junge Karl machte sich
selbstständig. Zusammen mit anderen Deutschen
gründete er in San Ignacio de Velasco eine
Handelsfirma mit dem Namen „Sociedad Comercial
e Industrial Mato Grosso - Bolivia“. Er importierte von
Möbeln über Küchenartikel alles aus Deutschland,
was Absatz fand.
In seinem Handelshaus führte er Zeit seines Lebens
eine Abteilung mit pharmazeutischen Produkten,
der seine besondere Aufmerksamkeit galt. Er hatte
den Ruf der bestsortierte Apotheker in der Region
zu sein, da er die Medikamente importierte. Karl
legte sich auch beachtliche Ländereien zu, züchtete
Rinder und Ochsen als Zugtiere. Später durch die
Revolution von 1952 verlor er das Land.
Als Währung wurden zu dieser Zeit englische Sterling
benutzt. Seine Gewinne ermöglichten es ihm, für
den deutschen Kaiser eine großzügige Geldspende
aufzubringen ebenso wie seine deutschen
Landsleute im Tiefland Kreidler und Kempff dies
taten (siehe Spendenaufruf für den I. Weltkrieg). Mit
Manfred Kempff verband ihn zeitlebens eine enge
Freundschaft.
Auf den Reisen des englischen Flugpioniers Fawcett
wurde er dessen Reisegefährte. Mit dem Schweizer
Frederico Frey erkundete er einheimische Ethnien
wie die „Pauserna“, heute bekannt unter dem
Namen Guarayos. Sein Wissendrang kannte
keine Grenzen. Bis 1914, mehr als drei Jahre,
führte er dieses Wanderleben auf den Flüssen im
Amazonasgebiet.
Vom Angestellten zum selbstständigen
Unternehmer
Durch den I. Weltkrieg stieg die Nachfrage
44
Keine Mühsal war ihm zu groß, kein Weg war ihm zu
weit, um Gegenstände, die ihm wichtig waren, unter
den schwierigen Verkehrsbedingungen dieser Zeit
zu importieren. Als er zu Geld gekommen war, ließ
er sogar einen Schrein für die Heiligenprozessionen
in San Ignacio aus London über Buenos Aires nach
Santa Cruz transportieren. Für meine Mutter wurde
ein Klavier aus Europa nach San Ignacio de Velasco
geschafft, das erste Klavier im Amazonasgebiet.
Dies gelangte per Schiff nach Montevideo, dann
per Boot über den Grenzfluss zwischen Argentinien
und Paraguay bis Puerto Decalvados auf dem Rio
Paraguay. Bis zum Bestimmungsort San Ignacio de
Velasco wurden die Güter die letzten Kilometer
auf Karrenwagen durch Ochsengespanne, per
Handkarren oder von Trägern befördert.
Familiengründung
In San Ignacio de Velasco wurde Karl im Jahr 1920
sesshaft. Dort heiratete er am 12.3.1921 Leticia
Ardaya Somoza ein 16 Jahre jüngeres Mädchen aus
guter Familie aus Santa Cruz de la Sierra. Sie stammte
aus einer der ersten Pionier-Einwanderfamilien,
die als Freiheitskämpfer aus Argentinien ihren
Weg nach Bolivien fanden. Ihr Vater besaß große
Ländereien und investierte ebenfalls mit Erfolg in
die Kautschukextraktion.
Das Familienleben
Wir waren neun Kinder in der Familie, zwei davon
verstarben in jungen Jahren, vier Mädchen und drei
Jungen überlebten. Ich wurde am 29. Julio 1928
in San Ignacio de Velasco geboren. Unser Vater
sprach nie in der deutschen Sprache mit uns. Aber
er schickte uns in die deutsche Schule nach Santa
Cruz. Damals war ein deutscher Geistlicher, Baldwin
Spät, Familienmitglied. Er importierte den ersten
Lastwagen aus Deutschland und brachte ihn nach
San Ignacio de Velasco. Damals gab es noch sehr
wenige Automobile. Er fuhr uns von San Ignacio nach
Santa Cruz de la Sierra. Die Fahrt zur Schule dauerte
sechs Tage für eine Strecke, die wir heute in sechs
Stunden zurücklegen. Ich war gerade acht Jahre
alt geworden und wohnte allein in einer Pension.
Damals gab es nur eine deutsche Grundschule in
Santa Cruz.
Zeugnisheft Mayser - Deutsche Schule
Santa Cruz de la Sierra
Auswirkungen
Nachkriegszeit
des
Krieges
und
Als Bolivien Deutschland den Krieg erklärte, wurde
diese Schule in Santa Cruz geschlossen. Ich hatte
gerade mal drei Volkschuljahre absolviert. Meine
Schule wurde sogar zerstört und geplündert. Viele
Deutsche wurden gefangen genommen und in
den Vereinigten Staaten in Internierungslagern
festgesetzt. Meinem Vater halfen seine guten
Beziehungen
zur
bolivianischen
Regierung
und seine Freundschaften, so dass er nach der
Festnahme durch die Polizei wieder frei kam. Sein
vielfältiges freiwilliges Engagement besonders
für das Erziehungswesen hatte ihm viele Freunde
unter der bolivianischen Bevölkerung beschert, die
sich für ihn einsetzte. So war er zum Beispiel 1929
Schatzmeister in der Gemeindeverwaltung von San
Ignacio de Velasco gewesen. Er durfte als einer der
wenigen Deutschen sein Unternehmen weiter führen.
Aber es gab keinen Kautschuk mehr. Die USA waren
in den Markt eingestiegen, hatten eine „Rubber
Company“ gegründet und kauften den Kautschuk zu
sehr niedrigen Preisen während des Krieges auf. Die
USA manipulierten Preis und Markt. Erst mit dem
II. Weltkrieg blühte die Kautschukgewinnung noch
einmal auf.
Ich kehrte also zwangsweise nach San Ignacio de
Velasco zurück, da die dortige katholische Schule
nicht geschlossen worden war, und setzte mein
Studium in San Ignacio de Velasco fort. Diese Schule
gehörte zum „Vicariato Apostólico de Chiquitos“
und wurde von deutschen und österreichischen
Geistlichen geleitet. Der deutsche Bischof Berthold
Bühl hatte sie gegründet. Deutsch zu unterrichten,
war jetzt verboten. Dort studierte ich drei weitere
Jahre. Dann fehlten die Schüler, um weiterführenden
Unterricht anzubieten. Wir hatten gute Lehrer und
viele deutsche Mitschüler.
Das war dann schon gegen Ende der
Kautschukgewinnung
im
bolivianischen
Amazonasgebiet. Es gab kein Geld mehr in der
Gemeinde. Viele Handelshäuser gingen ab 1920
Bankrott und mussten schließen. Mein Vater blieb,
aber es gab keine Arbeit. Für seine Tierbestände
45
konnte er keine Medizin kaufen, es gab keinen
Absatzmarkt für die Rinder. Dann brach eine Seuche
aus und mein Vater hatte keinen Pfennig, um für
seine 20 000 Rinder die notwendige Medizin zu
erstehen.
Auch für mich standen Veränderungen an. Ich
musste nach Santa Cruz auf das „Colegio Nacional
Florida“, die einzige Schule, die es noch gab. Viele
eingewanderte Familien, besonders Deutsche,
verließen zu diesem Zeitpunkt San Ignacio de
Velasco und zogen nach Santa Cruz oder kehrten
nach Europa zurück.
Aber mein Vater blieb in San Ignacio de Velasco. Er
führte sein Handelshaus, den landwirtschaftlichen
Betrieb und die Apotheke weiter. Aus La Paz und
Santa Cruz de la Sierra bezog er die meisten seiner
Handelsgüter.
Engagement und Ortsverbundenheit zu
San Ignacio de Velasco
Mein Vater setzte sich sein Leben lang für
die Verbesserung der Trinkwasserversorgung,
die Erziehung und die Verbesserung der
Gesundheitsdienste in der Region ein. Aber auch in
Infrastrukturmaßnahmen war er im wahrsten Sinne
des Wortes wegweisend: Er ließ eine Flugpiste in
San Ignacio bauen, um einmotorige Maschinen
eine Landemöglichkeit zu bieten und so den Ort
an die nationale Ökonomie anzuschließen. Auch
gelang es ihm, die Regierung dazu zu bewegen,
den Postverkehr nicht nur bis San Ignacio, sondern
bis in die letzten Dörfer der Provinz auszuweiten.
Danach gründete er die erste öffentliche Schule
in San Ignacio und San Miguel und setzte sich für
weitere Schulen in den ländlichen Gebieten ein
wie in Buena Hora, Coyú und in den Ortschaften
im Grenzgebiet der Provinz Velasco. Der Staat war
eigentlich nicht präsent. Als Anerkennung seiner
Dienste in dieser Grenzregion führte eine dieser
Schulen später seinen Namen ebenso wie eine
Straße in Santa Cruz.
San Ignacio ist bis heute die größte Siedlung in der
Chiquitania. Die Maysers waren eine der Familien in
46
San Ignacio, denen es wirtschaftlich einigermaßen
gut ging. San Ignacio de Velasco war durch die
Anwesenheit vieler gut gestellter deutscher
Einwanderer eher paternalistisch geprägt, während
die Stadt Concepción immer sehr spanisch, sehr
feudal war. Zwischen den beiden Siedlungen
bestand ein großer kultureller Unterschied.
Familienleben und Freunde
Pünktlichkeit,
Respekt
und
Herzlichkeit
zeichneten meinen Vater aus. Er war ein
freundlicher, ruhiger Charakter. Mit uns Kindern
unterhielt er sich über mannigfache Themen.
Seine
Freizeitbeschäftigungen
waren
der
landwirtschaftliche Betrieb und die Bücher. Er
hatte sogar deutsche Zeitungen nach San Ignacio
abonniert. Unsere Ferien verbrachten wir auf
unserem landwirtschaftlichen Betrieb oder in
Santa Cruz, wenn mein Vater wegen geschäftlicher
Angelegenheiten dorthin fuhr. Er lud gerne
deutsche Landsleute nach Hause ein ebenso wie
die deutschen Geistlichen. Wir waren immer ein
Veröffentlichung von Luis Jorge Mayser Ardaya
über die Familie Mayser in Bolivien
offenes Haus und auch die einfachen Leute liebten
ihn, denn er war als Wohltäter bekannt - er half
seinem Nächsten.
Seine Unternehmungen betrieb er sehr ernsthaft,
ich hab ihn nie betrunken gesehen. Er trank nie
viel. In seinen Geschäften konnte man immer
anschreiben lassen – auch in der Apotheke und die
Leute kamen rund um die Uhr, 24 Stunden am Tag.
Als mein Vater starb, gedachten viele Menschen
seiner mit Wärme und Zuneigung. Er starb auf dem
Flug von San Ignacio nach Santa Cruz an einer
Hirnblutung am 15. Oktober 1952 im Alter von 67
Jahren. Er wurde in San Ignacio beerdigt. Er war mit
einer reichen Nachkommenschaft gesegnet.
Kultur und Beziehungen zu Deutschland
Mein Vater sprach ausschließlich spanisch. Er katte
erst in Bolivien Spanisch gelernt, beherrschte die
Sprache aber gut. Zu Hause aßen wir bolivianische
Gerichte, es gab selten mal Sauerkraut, wenn
ich mich richtig erinnere. Auch Weihnachten
wurde im bolivianischen Stil gefeiert: Es gab
eine heiße Schokolade um Mitternacht. Jeden
Abend saß er zusammen mit den Geistlichen der
Gemeinde und trank sein Schnäpschen. Mein
Vater liebte das gesellschaftliche Leben. Schon im
Jahre 1906 gründete er in San Ignacio den „Club
Social Oriente Velasco“, den er als Präsident viele
Jahre leitete. Er war sowohl in der bolivianischen
wie in der deutschen Kultur verankert. Seine
deutsche Staatsangehörigkeit gab er nie auf.
In sein Heimatland ist er allerdings nie mehr
zurückgekehrt. Diese Reise war zu dieser Zeit
extrem lang und umständlich und dauerte über 40
Tage, teilweise auf dem Rücken eines Maultieres.
Bis
heute
unterhalten
wir
Kontakt
Familienmitgliedern in Deutschland.
zu
Das Interview wurde mit Luis Jorge Mayser Ardaya
am 2.12. 2014 in Santa Cruz geführt.
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Santa Cruz
7
Interview
Paul
Paul Seng Kötsel
Geboren in Göppingen am 28. Februar 1889
Gestorben in Santa Cruz am 20. November 1974
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Auswanderung
In Deutschland sprach man von Krieg! Es war das
Jahr 1911. In seiner Familie in Stuttgart lebte er
zusammen mit seinen vier Brüdern. Mein Großvater
hielt sie zum Arbeiten an – sie waren ja Schwaben. So
hatte mein Vater Paul direkt nach der Schule und dem
zweijährigen Militärdienst eine Lehrlingsausbildung
in einem Handelshaus absolviert. Diese Zeit war
sehr militarisiert, es wurden militärische Übungen
und Aufmärsche abgehalten. Paul suchte sich Arbeit
in dem schwäbischen Handelshaus „Zeller, Villinger
& Cia.“, die ihn für einen Handelsposten im Beni
aussuchten. Mein Vater wusste weder, wo der Beni
noch wo Bolivien lag. Die wichtigste Aufgabe des
Hauses „Zeller, Villinger und Cia.“ bestand darin,
Kleidung, Jagdwaffen und Lebensmittel nach
Bolivien zu exportieren und Naturkautschuk über
Manaus nach Deutschland zu importieren.
1912 schiffte sich mein Vater auf einem
transatlantischen Dampfer nach Lateinamerika ein.
Das Haus Zeller zahlte die Überfahrt. Von Hamburg
aus nahm das Schiff Kurs auf Manaus. Von Manaus
aus gab es Verbindungswege nach Bolivien. Drei
Monate brauchte das Schiff bis zum Hafen von
Manaus. Per Dampfschiff wurden damals viele Waren
über die Wasserwege des Amazonas und des Rio
Mamoré bis nach Riberalta transportiert. Riberalta,
ein kleiner Ort im Beni Boliviens gelegen erlebte
eine Blütezeit während des Kautschukbooms. Von
Riberalta dauerte es dann nochmals fünf Tage im
Kanu bis nach Trinidad.
Überfahrt nach Manaus
Ankunft in Bolivien und erste Erfahrungen
im Kautschukboom
Zu dieser Zeit waren die Flussschifffahrtskapitäne
und ihre Mechaniker Deutsche oder Japaner. Das
Haus „Zeller, Villinger y Cia.“ besaß mehrere große
Flussschiffe. Man transportierte Kautschukballen,
die man vorher per Ochsengespann aus dem Wald
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geholt hatte, und verlud sie auf diese Schiffe.
Zwischen Krokodilen und Kaimanen navigierte
man so flussaufwärts in Seitenarmen der großen
Flussläufe des Amazonasgebietes bis zu den
entlegensten Siedlungen.
Mein Vater ließ sich in Riberalta nieder. Von dort
aus bewegte er sich im wahrsten Sinne des Wortes
„wie ein Fisch im Wasser“ in allen Seitenarmen auf
Anordnung des Agenten des Hauses „Zeller, Villinger
und Cia.“, sammelte Kautschuk ein und verlud ihn. Ein
harter Job! Und es gab viel Konkurrenz, besonders mit
Nicolás Suarez, dem größten Kautschukunternehmer
seiner Zeit. Mein Vater schenkte den Indianern
Sachen, so dass sie dann nur noch an meinen Vater
verkaufen wollten und nicht mehr an die Aufkäufer
von Nicolás Suarez.
Mein Vater sprach zu diesem Zeitpunkt kaum
Spanisch und verstand entsprechend wenig. Er sah zu
den großen Bananenstauden auf und man versuchte
ihm wohl verständlich zu machen, dass diese großen
Bananen essbar seien. Er biss hinein und spuckte
aus. Bis er verstand, dass diese Kochbananen nur
zubereitet essbar waren.
Kriegszeiten
insgesamt ungefähr 17 Jahre.
In diesen Jahren gab es eine große Überschwemmung
im Beni. Der Wasserstand war so hoch, dass er im Haus
zwei Tische übereinanderstellen und darauf sein
Bett stellen musste , um im Trockenen zu blieben. Er
schlief dadurch direkt unter dem Strohdach und die
Ratten knabberten nachts an seinen Fingernägeln.
Es herrschte Lebensmittelknappheit. Der einzige
Arzt praktizierte in Trinidad, das fünf Tagesreisen
entfernt lag. Getrocknetes Rindfleisch gab es nur
noch zu verzehren. Und das war so stark gesalzen,
um haltbar zu bleiben, dass es nur mit Ají essbar war.
So lernte mein Vater den Ají lieben!
Die Indianer flussaufwärts liebten meinen Vater,
weil er ihnen Kleidung, Nahrungsmittel und Waffen
schenkte und er im Gegenzug von ihnen das so
begehrte Feuerholz erhielt. Er unterhielt immer gute
Beziehungen zu ihnen. Sie nannten ihn „Papa“.
Einmal gelang es ihm, einen Kaiman von 5 Meter
Länge zu erjagen. Er nahm das Tier aus und
nahm es in einer Kiste mit nach Stuttgart ins
Naturkundemuseum. Pablo Seng, Bolivien, stand
auf einem Metallplättchen im Ausstellungsraum.
Ich habe dieses Ungetüm später im Museum
kennengelernt.
Während des I. Weltkrieges wollten viele junge
Deutsche freiwillig in den Kampf fürs Vaterland
ziehen. Sie kamen aus Riberalta und anderen
entlegenen Landesteilen Boliviens. Sie kamen bis
Buenos Aires. Dort warteten sie auf einen Dampfer,
der sie nach Deutschland bringen sollte. Das
Schiff kam nie. So kehrten sie enttäuscht um. Sie
hatten die Reise aus der eigenen Tasche bezahlt.
Auch spendeten sie für die Kollekten, die zur
Unterstützung des I. Weltkrieges in Bolivien von den
deutschen Konsulaten durchgeführt wurden, erst für
Kriegsmaterialien, später für die Verwundeten und
Kriegsversehrten. Sein Bruder verstarb im Krieg.
Männerabend in Riberalta
Der nicht alltägliche Alltag im Beni
Dieser Arbeit im Beni ging mein Vater während
der gesamten Zeit des Kautschukbooms nach –
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Santa Cruz: große Handelsreisen und
Familiengründung
Das Stammhaus von „Zeller, Villinger und Cia. „in
Bolivien befand sich in Santa Cruz, wohin ihn Don
Emilio Zeller umsetzte und ihn zum Leiter der
Einkaufsabteilung beförderte. Er war der Mann
seines Vertrauens. Jetzt musste er die Einkäufe
abwickeln oft mit vier, sechs oder sogar acht
Kisten angefüllt mit britischem Sterlingsilber als
Zahlungsmittel durch die Welt reisen. Die Waren
erwarb er in Deutschland, Spanien und England.
Diese Reisen nach Europa konnten bis zu sechs
Monaten dauerten. Allein die Atlantiküberquerung
dauerte drei Monate. Importiert wurde alles von
Schuhen, über Pferdegeschirr und Reitzeug bis zu
Eisenwaren aller Art. Der Transportweg war auch
weiterhin per Schiff über Manaus, Riberalta, Trinidad,
Santa Cruz. Alles war entsprechend gut gegen die
Feuchtigkeit verpackt mit Planen, die mit Kautschuk
präpariert waren, so dass Regen und Flusswasser
der wertvollen Last nichts anhaben konnten. Die
Strecken über Land wurden in Karren durchgeführt
mit ein Meter hohen Rädern, so dass die Pfützen
sicher durchquert werden konnten. So brachte er
auch das erste Klavier für den deutschen Club und
später für die deutsche Schule nach Bolivien.
1929 verliebte sich mein Vater in eine Mitarbeiterin
im Hause Zeller nämlich die Kassenwartin. Sie kam
aus guter Familie in Santa Cruz, sie Katholikin, er
Protestant, beide nicht religiös fanatisch und so
heirateten sie schnell. Wir Kinder wurden alle in
Santa Cruz geboren. Ich, der jüngste im Jahre 1939.
Er hatte schon eine Tochter, Consuelo, aus seiner Zeit
im Beni. Wir unterhielten gute Beziehungen zu ihr.
Fincero und Imker auf eigene Rechnung
Wir bewohnten damals unser Haus im Stadtzentrum,
das vermietet wurde als wir auf´s Land zogen. Die
Finca bewirtschaftete er mit 80 Milchkühen, Pferden,
Maultieren gekreuzt mit Eseln. 24 Hektar Land
verwandelte er in einen „Cafetal“ (Kaffeeanbau).
Zudem errichtete er auf dem Gelände eine
Ziegelfabrik. Und viele, viele Früchte hatten wir:
Mangos, Ananas, Orangen.
Dann vertiefte er sich in die Imkerei. Aus dem heute
benachbarten Vallegrande importierte er von den
Franziskanern erstandene italienische Bienen. Per
Maultier wurden die Bienenkörbe über 200 km
geschaukelt. Er verschenkte sie auch weiter an
seine Freunde, wie den Dr. Franz Kempff oder Walter
Frerking. Mit 500 Bienenstöcken gewann er 30
Tonnen Honig im Jahr. Wir verkauften an COMIBOL,
an Süßwarenhersteller und begannen über das
Handelshaus Gasser und Co. nach Holland und
Deutschland zu exportieren. Wir brauchten damals
dringend Devisen! So wurde er zum Pionier der
Bienenzucht in Bolivien. Bis die Killerbiene kam. Diese
afrikanische Bienenart zerstörte alle italienischen
Bienenstämme. Bis heute verwahren wir noch die
Spezialmaschinen, die mein Vater importiert hatte so
wie elektrische Honigschleudern, auf. Über Schilling
importiere er auch Hefen (Gärmittel), um aus Honig
Essig herzustellen.
Nach 36 Jahren als Angestellter bei „Zeller, Villinger
und Cia.“ wollte er sich unabhängig machen. Er kaufte
sich eine Finca mit Obstbäumen, um ein ruhigeres
Leben zu führen.
Als jedoch Kyllmann, Bauer & Cia. eine Filiale
in Santa Cruz eröffneten und ihn als Filialleiter
anheuerten, arbeitete er noch einmal für zwei Jahre
als Angestellter. Dann schloss nämlich Kyllmann,
Bauer & Cia. den Laden in Santa Cruz.
Hoch zu Ross
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Ferien auf dem Bauernhof
Wir kannten eigentlich keine Ferien, nachdem
mein Vater die Finca gekauft hatte. Sie lag 25 Km
außerhalb von Santa Cruz und wir ritten dorthin
zu Pferde. Die Verbindungswege waren zu dieser
Zeit schlecht ausgebaut. Wenn wir mal Bolivien
verließen, fuhren wir nach Buenos Aires, höchstens
einmal im Jahr.
Auf der Finca in unseren Ferien gingen wir fischen
mit dem Freund Schulz, veranstalteten Pic-nics am
Fluss, erst angeln, dann Dynamit fischen und aßen
die Leckereien aus unseren mitgebrachten Körben.
Eigentlich machten wir keine Ferien.
Mein Vater hatte auch keine Lust mehr zu reisen, da
er als junger Mann so viel reisen musste, der junge
Handelsreisende. Zudem waren die Kontakte durch
die Kriege in Deutschland reduziert, viele aus der
Familie waren verstorben. Die einzige Schwester
lebte in Tampa, USA, aber da hätte er ja hinreisen
müssen.
Gewohnheiten und
Gesellschaftliches Leben
Mein Vater war ein energischer Mensch, sehr
pünktlich und korrekt, hatte ein weiches Herz,
konnte aber auch mal einen Wutanfall bekommen
„Meine lieben Kinder“, gleichzeitig mit „Crucifix
nochmal...“ verbinden. Er verstand sich sehr gut mit
meiner Mutter. Er unterhielt gute Beziehungen zu
seinen Landsleuten, die ihn per Pferd auch weiterhin
besuchten, als wir auf der Finca wohnten. In die
bolivianische Gesellschaft war er voll integriert. Als
Santa Cruz an die 100 000 Einwohner hatte, grüßte
jeder meinen Vater! Er war Präsident vom deutschen
Schulzentrum, vom deutschen Club, vom deutschen
Friedhof aber auch Mitglied vom „Club Social 24 de
Septiembre“, so benannt nach dem Gründungsdatum
der Stadt Santa Cruz.
Er arbeitete immer bis zu seinem letzten Tag, an dem
wir einen Mangobaum pflanzten. Nie hat er mir was
verboten. Wenn ich weggehen wollte und um Geld
bat, dann sagte er nur: Hold Dir, was du brauchst.
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Champion im Bogenschiessen
Paul ist der Dritte von links
Aber er führte Buch über alles, über die Bienen, über
den Haushalt. Er nahm alles auf in seine Buchhaltung
auch 20 Pesos.
Besonders machte sich das bei den Essgewohnheiten bemerkbar: Frühstück gab es zu einer bestimmten
Stunde ebenso wie Mittagessen und Abendbrot.
In der Küche wurde deutsch gekocht. Meine
Mutter hatte bei „Mutti Windruf“ im Restaurant des
Deutschen Clubs gearbeitet und so gelernt, Spätzle,
Sauerkraut, viel Gemüse in große Schüsseln, Salat
und Radieschen zuzubereiten. Aber auch Torten,
Kuchen, Kekse, alles wurde nach deutscher Rezeptur
gebacken.
Er hatte die spanische Sprache perfekt erlernt
und sechs weitere Sprachen. Zuhause sprachen
wir spanisch. Mein Vater disziplinierte uns nicht,
Deutsch zu sprechen. Aber er sandte mich dann auf
eine deutsche Schule, er wollte, dass ich Deutsch
lerne. Er war stolz, ein Deutscher zu sein.
Die Zeit des Krieges, General Kundt
und die „schwarze Liste“
Der deutsche Militär Hans Kundt kehrte 1932 nach
Bolivien zurück, um das Land im Chaco Krieg gegen
Paraguay zu unterstützen. Pablo Seng, der Kundt wie
alle Deutschen schon von seinem ersten Aufenthalt
in Bolivien kannte, begleitete ihn als Ortskundiger
bis nach Villamonte. Zudem arbeitete er als sein
Übersetzer. Aus dieser Zeit gibt es eine nette
Anekdote zu berichten. Sie hatten eins der wenigen
Autos zur Verfügung gestellt bekommen. Es gab
kaum Benzin zu kaufen und sie hatten kaum noch
Benzin. Zudem waren sie in einen Schusswechsel
geraten und wollten so schnell als möglich aus
der Schusslinie verschwinden. Sie schafften es
gerade noch bis Chargua, einem Außenlager der
amerikanischen Erölfirma Standard Oil. Seng suchte
einen deutschen Bekannten auf und es gelang ihm,
Rohöl zu erstehen, mit dem er den Wagen „auftankte“.
Irgendwie funktioniert das Fahrzeug zwar, fuhr aber
eher wie ein Traktor weiter. So kamen sie bis nach
Hause, aber die Reifen glühten! Sie hatten vergessen,
die Bremse zu lösen, aber Dank des Rohöls hatte der
Wagen eine solche Kraft, dass er die ganze Strecke
trotz angezogener Handbremse hinter sich gelegt
hatte.
Paul Seng bereitet das Auto vor für die Reise mit Kundt an
die Front des Chaco Krieges
Paul Seng war als Deutscher in Bolivien bekannt und
hatte einen deutschen Pass, also stand er auch auf
der „schwarzen Liste“. Zum Glück war seine Tochter
Consuelo mit einem Militär, Carlos Suarez Guzman,
verheiratet, der eng mit dem damaligen Präsidenten
Villaroel befreundet war. Als die „schwarze Liste“
veröffentlicht wurde, suchte dieser Schwiegersohn
Villaroel auf und unterbreitete ihm, welchen großen
Beitrag sein Schwiegervater zur Entwicklung
Boliviens geleistet habe. So wurde der Name Seng
persönlich von Villareol von der Liste entfernt.
Das Interview wurde mit Enkelsohn Pablo Seng Coimbra in
Santa Cruz im Dezember 2014 geführt.
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