95-3E-01014-B-A - Thüringer Oberverwaltungsgericht

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95-3E-01014-B-A - Thüringer Oberverwaltungsgericht
3 E 1014/95.We
Aktenzeichen
Verwaltungsgericht Weimar
BESCHLUSS
In dem Verwaltungsrechtsstreit
des Herrn _____ H_____,
B_____, _____ N_____,
- Antragsteller bevollmächtigt:
Rechtsanwälte Fritsche und Partner,
Saalbahnhofstr.27, 07743 Jena,
gegen
den Abwasserzweckverband Apolda,
vertreten durch den Geschäftsführer,
Königstr.10-14, 99510 Apolda,
- Antragsgegner Beauftragte:
Thüringer Landesanwaltschaft,
vertreten durch den Generallandesanwalt,
Rießnerstraße 12 b, 99427 Weimar,
wegen
Kosten der Grundstücksanschlußleitung (Abwasser),
hier: Antragsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO,
hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Weimar durch
den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichtes Achtmann und
die Richter am Verwaltungsgericht Hofmann und Erlenkämper
am 1 1 . N o v e m b e r 1 9 9 6 beschlossen:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 07. Januar
1995 gegen den Beitragsbescheid des Antragsgegners vom 07. Dezember 1994
wird angeordnet, soweit ein Beitrag über 10.800,00 DM hinaus gefordert wird.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.260,00 DM festgesetzt.
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Aktenzeichen
I.
Der Antragsteller, Eigentümer des Grundstückes E_____ in A_____, sucht um vorläufigen
Rechtsschutz gegen die Heranziehung zu einem Kanalanschlußbeitrag nach.
Das Grundstück des Antragstellers ist das westliche von drei nebeneinander liegenden Grundstücken, die mit den Autohäusern H_____ (Antragsteller), Matt und Planer bebaut sind. Die
Grundstücke werden im Norden von der E_____, im Westen von der R_____ und im Osten
von der B_____ begrenzt. Sie liegen innerhalb des im Zusammenhang bebauten Ortsteiles.
Einen Bebauungsplan gibt es für diesen Bereich nicht. Ein im Entwurf vorliegender Flächennutzungsplan weist das Gebiet als Gewerbegebiet aus.
Mit Beschluß vom 23. Dezember 1992 erließ der Antragsgegner die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung des Abwasserzweckverbandes Apolda (BGS-EWS).
Die Satzung wurde am 03. Februar 1993 in der Ausgabe 15/93 des Amtsblattes für den Landkreis Apolda veröffentlicht. Nach § 5 der Satzung wird der Beitrag bei anschließbaren
Grundstücken nach der Grundstücksfläche berechnet. Der Beitragssatz beträgt nach § 6 für
anschließbare Grundstücke 6,00 DM pro qm Grundstücksfläche bis 40 Meter Tiefe in der jeweiligen Erschließungsfront.
Mit Beschluß vom 17. März 1993 erließ der Antragsgegner die 1. Änderungssatzung zur
BGS-EWS, die am 14. Mai 1993 im Amtsblatt für den Landkreis Apolda Nr. 18/93 veröffentlicht wurde. Grundstücksflächenmaßstab und Tiefenbegrenzung blieben bei der Änderung
unberührt.
Im zweiten Halbjahr 1993 erfolgte im Zusammenhang mit der Errichtung des Autohauses des
Antragstellers der Anschluß des Grundstückes an das öffentliche Abwassernetz. Zu diesem
Zwecke wurde über das Grundstück des Antragstellers und der ebenfalls angeschlossenen
Grundstücke der angrenzenden Autohäuser Matt und Planer eine Abwasserleitung mit einer
Länge von ca. 210 Metern zu dem Kanalanschluß an der B_____ errichtet.
Mit Beschluß vom 16. Dezember 1993 erließ der Antragsgegner die 2. Änderungssatzung zur
BGS-EWS, die am 18. Januar 1994 im Amtsblatt Apolda Nr. 24/94 veröffentlicht wurde. Der
Grundstücksflächenmaßstab wurde durch einen kombinierten Grundstücksflächen- und Geschoßflächenmaßstab ersetzt. Eine Tiefenbegrenzung sah die Satzung nicht mehr vor.
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Aktenzeichen
Mit Bescheid vom 07. Dezember 1994 zog der Antragsgegner den Antragsteller für den Kanalanschluß an der B_____ zu einem Anschlußbeitrag i. H. v. 27.840,00 DM heran. Der Bescheid erging auf der Grundlage der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung (BGS-EWS) vom 23. Dezember 1992.
Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller mit Schreiben vom 07. Januar 1995 Widerspruch ein, der mit weiterem Schreiben vom 17. Januar 1995 begründet und mit einem Antrag
auf Aussetzung der Vollziehung verbunden wurde. Er machte geltend, der Antragsgegner hätte bei der Berechnung des Anschlußbeitrages als Erschließungsfront die der E_____ zugewandte Grundstücksseite mit einer Breite von lediglich etwa 45 Metern zugrunde legen müssen, nicht dagegen die der R_____ (gemeint ist wohl die B_____) zugewandte Grundstücksseite mit einer Breite von 120 Metern. Dies habe unter Berücksichtigung der in der Satzung
festgelegten Tiefenbegrenzung von 40 Metern rechnerisch dazu geführt, daß das Grundstück
des Antragstellers beitragsmäßig ebenso stark belastet worden sei, wie die etwa doppelt so
großen Grundstücke der benachbarten Autohäuser Matt und Planer, was einen Verstoß gegen
das dem Abgabenrecht immanente Vorteils- und Äquivalenzprinzip darstelle. Er sei daher
lediglich bereit, einen Beitrag in der Höhe zu leisten, wie sie sich bei Zugrundelegung einer
Grundstücksfront von 45 Metern in einer Tiefe von 40 Metern ergebe (= 1.800 qm x 6,00
DM/qm = 10.800,00 DM).
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 1995 wies der Antragsgegner den Widerspruch zurück und lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Der Anschluß der Autohäuser
H_____, Matt und Planer habe im 2. Halbjahr 1993 nur an dem Anbindepunkt in der B_____
vorgenommen werden können, da dieser zu diesem Zeitpunkt einzig die erforderliche hydraulische Kanaldimension besessen habe. Der Kanal in der E_____ sei erst im Februar 1994
hergestellt worden. Daher sei die Berechnung der Erschließungsfront von der B_____ aus
nicht zu beanstanden. Der in der Beitragssatzung festgeschriebene Bemessungsmaßstab sei
nicht zu beanstanden. Dieser sei ein Wahrscheinlichkeitsmaßstab, aus dem sich in
sachgerechter Weise der für alle Grundstücke mit dem Kanalanschluß entstandene,
beitragsmäßig abzugeltende Grundstücksvorteil ergebe.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 03. August 1995, bei Gericht am selben Tage eingegangen,
hat der Antragsteller gegen den Bescheid vom 07. Dezember 1994 in der Fassung des am 03.
Juli zugegangenen Widerspruchsbescheides Klage erhoben (Az.: 3 K 1013/95.We) und
zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er verweist nochmals auf die
unterschiedlichen Anschlußvorteile der durch den Kanalanschluß bevorteilten Grundstücke,
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lichen Anschlußvorteile der durch den Kanalanschluß bevorteilten Grundstücke, denen bei der
Beitragsbemessung nicht Rechnung getragen worden sei. Im übrigen nimmt er im wesentlichen Bezug auf die bereits im Rahmen des Widerspruchsverfahrens vorgetragenen Gründe.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Beitragsbescheid des Antragsgegners vom 07. Dezember 1994 insoweit anzuordnen, als ein Anschlußbeitrag
über 10.800,00 DM hinaus gefordert wird.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er bezieht sich im wesentlichen auf die im Widerspruchsbescheid enthaltene Begründung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im
übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vom Antragsgegner im vorliegenden
und im Verfahren 3 K 963/95.We vorgelegten Verwaltungsvorgänge, die Gegenstand der Beratung waren, Bezug genommen.
II.
Das Gericht versteht den Antrag des Antragstellers dahin, daß die aufschiebende Wirkung des
Widerspruches - nicht der Klage - gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 07. Dezember
1994 angeordnet werden soll.
Ist, wie hier, die aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) entfallen,
so ist bei Erfolg des Antrages die aufschiebende Wirkung des gegen den belastenden Verwaltungsakt statthaften Rechtsbehelfes, also hier des Widerspruchs, anzuordnen ohne Rücksicht
darauf, ob bereits ein Klageverfahren anhängig ist.
Statthafter Rechtsbehelf gegen einen belastenden Verwaltungsakt ist grundsätzlich der Widerspruch und nur ausnahmsweise in den Fällen des § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Anfechtungsklage. Ist die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO
erforderlich, wird die aufschiebende Wirkung durch die Erhebung des Widerspruches ausgelöst. Sie dauert prinzipiell bis zur Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes an und endet nicht
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etwa mit der Zurückweisung des Widerspruches durch den Widerspruchsbescheid (BVerwG,
Urteil vom 27. Oktober 1987, NVwZ 1988, 251, 255; OVG Bremen, Beschluß vom 21. Juni
1985, NVwZ 1986, 933, 934; BayVGH, Beschluß vom 17. Juli 1990, BayVBl. 1991, 19, 20;
VG Gelsenkirchen, Beschluß vom 10. November 1966, DÖV 1967, 317, 318; Löwer, DÖV
1965, 829, 832 li. Sp.; Rotter, DÖV 1970, 660, 662 re. Sp.; Kopp, VwGO, 10. Auflage, § 80,
Rdnr. 34 m. w. N.; a. A. OVG Münster, Beschluß vom 18. Juli 1974, NJW 1975, 794, 794).
Daß in § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO neben dem Widerspruch auch die Anfechtungsklage als die
aufschiebende Wirkung auslösender Rechtsbehelf genannt ist, erklärt sich ausschließlich im
Hinblick auf die Ausnahmeregelung des § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO (BVerwG, NVwZ 1988,
251, 255), stellt aber keine Abweichung von dem Grundsatz dar, daß der Suspensiveffekt ausschließlich von dem Rechtsbehelf ausgelöst wird, der gegen den belastenden Verwaltungsakt
statthaft ist (VG Gelsenkirchen, DÖV 1967, 317, 318; Rotter, DÖV 1970, 660, 662 re. Sp.).
Eine gerichtliche Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO bezweckt, die Rechtslage in Kraft zu setzen, die bestehen würde, wenn die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfes nicht ausnahmsweise gemäß § 80 Abs. 2 VwGO (hier § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) entfallen würde. Ist statthafter Rechtsbehelf der Widerspruch, kommt daher ausschließlich die
Anordnung oder Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs in Betracht. Nur
wenn der Klage kein Widerspruchsverfahren vorausgeht, wird die aufschiebende Wirkung der
Klage angeordnet oder hergestellt (wie hier VG Gelsenkirchen, DÖV 1967, 317, 318; Rotter,
DÖV 1970, 660, 662 re. Sp.; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 3. Auflage, Rdnr. 666; a. A. ThürOVG, Beschluß vom 10. September 1996 - 2
EO 586/95 -, S. 10 ohne nähere Begründung; VGH Kassel, Beschluß vom 04. Mai 1973,
ESVGH 23, 173, 174 ebenfalls ohne nähere Begründung; OVG Münster, NJW 1975, 794, 794
als Konsequenz der dort vertretenen abweichenden Auffassung, daß die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs mit Erlaß des zurückweisenden Widerspruchsbescheides ende. Sie
müsse daher in Bezug auf die Klage neu angeordnet oder wiederhergestellt werden). Da im
vorliegenden Fall vor Erhebung der Klage ein Widerspruchsverfahren durchzuführen war,
kommt hier nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches in Betracht.
Der so verstandene Antrag hat Erfolg.
Der Antrag ist zulässig, insbesondere hat der Antragsteller, was für das gerichtliche Eilverfahren im Falle der hier vorliegenden Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten Zugangsvoraussetzung ist, mit Schreiben vom 17. Januar 1995 den gemäß § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO
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erforderlichen Aussetzungsantrag gestellt. Der Antrag ist von der Widerspruchsbehörde im
Widerspruchsbescheid vom 16. März 1995 abgelehnt worden.
Der Antrag ist auch begründet. Nach § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Diese entfällt nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO jedoch bei
der Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten, also auch bei der hier in Streit stehenden
Heranziehung zu Kanalanschlußbeiträgen. Nach § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO soll die Behörde
die Vollziehung eines Abgabenbescheides aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung eine unbillige, nicht
durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Nach ständiger
Rechtsprechung bindet § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO das nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO über
einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung entscheidende Gericht in dem selben Umfang wie die Behörde. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen
Verwaltungsaktes sind dann anzunehmen, wenn die im Aussetzungsverfahren allein mögliche
summarische Prüfung ergibt, daß ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen (OVG Münster, Beschluß vom 22. Februar 1989, NVwZ
1989, 588).
Der angegriffene Beitragsbescheid des Antragsgegners vom 07. Dezember 1994 ist nach
summarischer Prüfung rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten.
Als Rechtsgrundlage für die Heranziehung zu dem Anschlußbeitrag kommt allein die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung - BGS-EWS - vom 23. Dezember
1992 (Amtsblatt für den Landkreis Apolda, 03. Februar 1993, S. 8 ff.) in der Fassung der 1.
Änderungssatzung vom 17. März 1993 (Amtsblatt für den Landkreis Apolda, 14. Mai 1993, S.
4) - im folgenden als BGS-EWS 1992 bezeichnet - und nicht etwa die zum Zeitpunkt des Erlasses Beitragsbescheides geltende BGS-EWS in der Fassung der 2. Änderungssatzung vom
16. Dezember 1993 (Amtsblatt für den Landkreis Apolda, 18. Januar 1994, S. 5 ff.) in Betracht.
Die Rechtmäßigkeit eines Beitragsbescheides bemißt sich nach der Rechtslage im Zeitpunkt
des Entstehens der Beitragspflicht (VG Braunschweig, Beschluß vom 28. Juli 1989 - 3 B
3145/89 -, S. 2; Wuttig/Hürholz/Peters, Gemeindliches Satzungsrecht für Praxis und Rechtsprechung, Stand: 01. Januar 1996, Teil 3-Frage 28, Seite 1; Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 6, Rdnr. 725). Im vorliegenden Falle ist das Grundstück des Antragstellers im 2. Halb6
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jahr 1993 am Anbindepunkt in der B_____ an die öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossen worden, die Beitragspflicht somit gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 der in diesem Zeitpunkt
gültigen BGS-EWS 1992 materiellrechtlich entstanden. Diese Satzung bleibt ungeachtet ihrer
späteren Änderung Rechtsgrundlage für die Gebührenveranlagung, denn eine spätere Satzung
kann eine einmal entstandene Beitragspflicht nicht zu einem anderen Zeitpunkt oder gar in
einer anderen Höhe noch einmal entstehen lassen (BVerwG, Urteil vom 07. April 1989, DVBl
1989, 678, 679). Das Außerkrafttreten der ortsgesetzlichen Grundlage verändert den materiell
entstandenen Abgabeanspruch nicht und ist daher für die rechtliche Zulässigkeit seiner Verwirklichung durch einen Beitragsbescheid ohne Einfluß (VG Braunschweig, a.a.O., S. 3; OVG
Lüneburg, Urteil vom 22. Oktober 1981 - 3 OVG A 209/79 -, S. 8). Auf die zum Zeitpunkt
des Erlasses des Abgabenbescheides vorliegenden Rechtsverhältnisse kommt es daher nicht
an (OVG Lüneburg, Beschluß vom 06. Oktober 1989 - 9 M 76/89 -, S. 3).
Die Satzung stellt jedoch für den streitgegenständlichen Beitragsbescheid keine geeignete
Rechtsgrundlage dar, da die in § 6 getroffene Tiefenbegrenzungsregelung unzulässig ist. Die
Privilegierung größerer Grundstücke durch die festgelegte Grundstücksflächenbegrenzung
von 40 Metern Tiefe in der jeweiligen Erschließungsfront verstößt jedenfalls dann gegen das
sich aus § 7 ThürKAG ergebende Vorteilsprinzip sowie gegen den abgaberechtlichen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), wenn, wie hier, diese Grundstücke über die Tiefenbegrenzung
hinaus genutzt und insoweit auch eindeutig von der Anschlußmaßnahme bevorteilt werden.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 ThürKAG können Beiträge von denjenigen Beitragspflichtigen erhoben werden, denen durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme der jeweiligen öffentlichen
Einrichtung besondere Vorteile zuwachsen. Sind die Vorteile der Beitragspflichtigen verschieden hoch, so sind die Beiträge gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 ThürKAG in der Beitragssatzung
entsprechend abzustufen. Der Vorteil besteht in der Steigerung des Gebrauchswertes des
Grundstückes. Maßgeblich für die Bemessung der Steigerung des Gebrauchswertes ist die
Ausnutzbarkeit des Grundstückes, wie sie sich aus der zulässigen baulichen und gewerblichen
Nutzung (BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1969 , BVerwGE 32, 227; Urteil vom 19. Februar
1982, NVwZ 1982, 677, 678; OVG Münster, Urteil vom 22. November 1990 - 2 A 357/87 -,
S. 23; OVG Lüneburg, Urteil vom 14. März 1989, OVGE MüLü 41, 387, 388) ergibt.
Für Grundstücke, die, wie vorliegend die angeschlossenen Grundstücke der Autohäuser
H_____, Matt und Planer, innerhalb des im Zusammenhang bebauten Ortsteiles (§ 34 Abs. 1
BauGB, unbeplanter Innenbereich) liegen, müßte daher an sich in jedem Einzelfall entschie7
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den werden, inwieweit, d. h. bis zu welcher Tiefe, ein übergroßes Grundstück baulich oder
vergleichbar nutzbar und damit bevorteilt ist (Ritthaler, Thüringer Kommunalabgabengesetz,
S. 60). Wegen der mit solchen Feststellungen verbundenen Anwendungsschwierigkeiten des §
34 BauGB kann der Ortsgesetzgeber im Interesse der Rechtssicherheit, Gleichbehandlung der
Beitragspflichtigen und Verwaltungspraktikabilität eine satzungsmäßige Tiefenbegrenzung
deshalb grundsätzlich anordnen. Eine solche Regelung begründet die Vermutung, daß alle
Grundstücke bis zur festgesetzten Tiefengrenze bevorteilt sind und die dahinter liegende Fläche der Grundstücke mangels baulicher oder gewerblicher Nutzbarkeit nicht bevorteilt ist.
Diese Vermutung ist jedoch dann widerlegt, wenn und soweit das Grundstück über die Tiefengrenze hinaus tatsächlich baulich oder gewerblich genutzt wird (vgl. OVG Lüneburg,
Beschluß vom 19. September 1989 - 9 M 65/89 -, S. 6; Driehaus a.a.O., § 8, Rdnr. 1030).
Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Falle eine Tiefenbegrenzung, wie sie in § 6 der
BGS-EWS 1992 angeordnet worden ist, unzulässig. Wie sich aus der bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Lageskizze ergibt, werden einige Grundstücke des angeschlossenen
Gebietes - Autohäuser Matt und Planer - weit über die satzungsmäßig angeordnete Tiefengrenze von 40 Metern hinaus baulich und gewerblich genutzt und somit durch den
Grundstücksanschluß beitragsrelevant bevorteilt. Damit ist die o. g. Vermutung einer Vorteilsbegrenzung für übergroße Grundstücke widerlegt. Vielmehr ist davon auszugehen, daß
die Vorteile aus der Nutzbarkeit einer Grundstücksfläche mit einer großen Tiefe den Vorteilen
aus der Nutzbarkeit einer Grundstücksfläche mit einer geringen Tiefe nicht regelmäßig annähernd gleich sind. Sie dürfen daher nicht mit Hilfe einer Tiefenbegrenzung beitragsrechtlich
generell gleich behandelt werden. Das würde zu einer auch unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität nicht mehr gerechtfertigten Begünstigung einer Gruppe von Grundstückseigentümern zu Lasten der übrigen führen. Eine Tiefenbegrenzung im unbeplanten Innenbereich, die keine Regelung für die Fälle enthält, in denen die beitragsrechtlich relevante
Nutzung über die vorgesehene Tiefengrenze hinausreicht (etwa durch die Regelung, daß in
diesen Fällen die für die Beitragsermittlung maßgebende Grundstückstiefe von der hinteren
Grenze der tatsächlichen Nutzung bestimmt wird), nimmt keine Rücksicht auf vorteilsrelevante Unterschiede in der baulichen oder sonstigen Nutzung der Grundstücke und verstößt daher
gegen das Vorteilsprinzip aus § 7 ThürKAG. Sie ist auch mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht vereinbar (vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 22. November 1990 - 2 A 357/87 -, S. 23 zur Zulässigkeit einer Tiefenbegrenzungsregelung im beplanten
Innenbereich).
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Nach alledem stellt sich der streitgegenständliche Beitragsbescheid als rechtswidrig dar. Die
aufschiebende Wirkung war jedoch lediglich in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen
Umfange anzuordnen, da das Gericht gemäß § 88 VwGO nicht über das Klagebegehren hinausgehen darf.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus
§§ 13, 20 Abs. 3 GKG, wobei das Gericht in Anlehnung an den Streitwertkatalog des Bundesverwaltungsgerichtes die Festsetzung von ¼ des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwertes für angemessen hält, soweit es sich um Fälle § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
handelt (vgl. auch ThürOVG, Beschluß vom 27. Januar 1994 - 2 EO 18/94 -, nicht veröffentlicht). Der Wert des Hauptsacheverfahrens ergibt sich aus der Beitragssumme von 27.840,00
DM abzüglich des unstreitigen und nicht angefochtenen Betrages von 10.800,00 DM.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diese Entscheidung steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Thüringer Oberverwaltungsgericht, Kaufstr. 2 - 4, 99423 Weimar,
zu.
Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Weimar, Rießnerstraße 12 b, 99427 Weimar,
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle innerhalb von zwei
Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Beschwerdegericht eingeht.
Für Beschwerden gegen die Streitwertfestsetzung gilt die Zweiwochenfrist nicht; insoweit ist
die Beschwerde gem. § 25 Abs. 3 GKG zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes
100,00 DM übersteigt und die Beschwerde innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.
In Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen ist die Beschwerde nicht gegeben,
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 DM nicht übersteigt (§ 146 Abs. 3
VwGO).
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Hofmann
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